Dämmernacht! Durch Busch und Wipfel
Ging ein ahnungsvolles Weben
Wie ein Traum von Lenz und Liebe,
Finkenschlag und Blütenleben.
Vor dem Grottentor der Drude
Sproß der Farn aus fahler Hülle
Halb entrollt; der Brunnen raunte
Leis im Moos, sonst tiefe Stille.
Nächst dem Brunnen saß ein Mädchen,
Auf den Knien verschränkt die Hände,
Müd und blaß. – »Wie schaurig einsam
Dünkt mich heut das Berggelände!
Horch, ein Ruf, wie aus den Lüften,
Fern und hohl! – Es ist der Reiher,
Der allnächtlich von der Nethe
Nordwärts zieht zum Heideweiher.
Finster steht der Wald; gespenstig
Recken sich die schwarzen Stämme,
Wüst Getier; die Wurzelknorren
Sträuben drachengleich die Kämme.
Naht es nicht von da und dorten?
Wolfsgeheul und Wetterbrausen
Schreckt mich nicht, doch dieses Schweigens
Dumpfes Brüten macht mir Grausen.
Arme Hilde! – Offne Wege
Ging ich sonst am lichten Tage:
Heimlich und auf Schächersteigen
Kriech' ich jetzt im nächt'gen Hage.
Sonst, mit Sonnenschein im Herzen,
Wollt' ich immer, was ich mußte,
Stets getrost, weil auf dem Pfade
Meiner Pflicht ich stets mich wußte;
Jetzt, von Not und Qual getrieben,
Folg' ich einem dunkeln Drange;
Eine such' ich, die ich fürchte,
Die mich haßt, erwart' ich bange.
Ob sie kommt die düstre Waldfrau?
Zwiefach ängstigt meine Seele
Zage Scheu, daß ich sie finde,
Sorge, daß ich sie verfehle.
Wenn sie kommt, was soll ich sprechen?
Wenn sie sprach, was kann sie denken?
Wird sie nicht mit rauher Rede
Schadenfroh die Kranke kränken?
Wird sie nicht die Fremde bannen
Und dem Christenmädchen fluchen?« –
»Nein, sie heißt dich gern willkommen«,
Sprach es seitwärts in den Buchen.
»Nein, mit Schmach und herben Worten
Wird sie dich nicht überschütten:
Jung und alt, seit hundert Wintern
Hat sie mehr als du gelitten.
Männerstreit gehört den Männern,
Recht der Götter ist die Rache;
Vieles lernt' ich und das eine,
Duldersinn sei Frauensache.
Komm, ich sitze zu dir nieder!
Was dich drängte, mich zu fragen,
Ward mir kund; ein wilder Vogel
Hat es heut mir zugetragen.« –
Drauf die Jungfrau mit Erröten:
»Weise Frau, du bist so linde,
Und du redest weiche Worte
Wie die Mutter mit dem Kinde.
Was mich quält – um meinetwillen
Hat ihn alles Weh betroffen! –
Muß ich trauern um den Toten,
Oder darf er Heimkehr hoffen?
Hätt' ich eine Mutter – einsam
Bin ich, und wem kann ich's klagen?
Weinen muß ich –« Sprach die Drude:
»Kind, ich will dir alles sagen!
Den du meinst, wiewohl genesen,
Krank verweilt er bei den Stillen,
Frei der Fesseln, weil gefesselt
Nur durch Wahl und eignen Willen;
Fern den Seinen, niemals ferner,
Nahe dir und niemals näher:
In der Menschenbrust zu lesen,
Braucht es keiner Zukunftsspäher.
Ob nicht dir, doch einem andern
Senden werd' ich meinen Boten;
Liebe zürnt und – liebt; ich denke
Wort zu halten einer Toten.
Wenn der Ginster blüht am Raine,
Wenn die Rose glüht im Garten,
Wird ein Frankenmädchen lächeln,
Doch in Tränen. – Kannst du warten?
Wüßt' ich mehr, ich sagt' es gerne;
All dein Leid, dein stummes Flehen
Rührt mich tief; nur Frauenherzen
Können Frauenharm verstehen. –
Sterne steigen, Sterne sinken:
Unsre sind im Niedergange. –
Brach der Wolf die Zauberkette,
Stieg ans Land die Meeresschlange?
Hat der Kampf im Wigridfelde,
Den die Wala singt, begonnen?
Stille Jungfrau'n, ihr nur wißt es,
Die ihr sitzt am Zeitenbronnen.
Öde war es längst, noch öder
Wird es hier im hohlen Steine,
Eh die Rose glüht im Garten.
Eh der Ginster blüht am Raine.
Einsam machen Not und Alter,
Guttat mehr noch als die beiden;
Dank ist Last: der träge Schuldner
Liebt, den Gläubiger zu meiden.
Einsam ward ich! Übel passen
Reiseschuh' zu grauen Haaren:
Dennoch mit dem einzig Treuen,
Meinem Hunde, muß ich fahren.
Jede Gunst, sogar die letzte,
Bleibt nach Mühsal und Beschwerde
Mit versagt, die allerärmste:
Schlaf im Schoß der Heimaterde.
Weine nicht! – Du magst ihn grüßen,
Den du meinst; mit nassen Locken
Wird er dir entgegentreten:
Meine Zöpfe bleiben trocken! –
Komm, ich führe dich; der Wildbach
Sperrt den Weg mit Block und Schrunde,
Und die Augen meiner Wächter
Seh' ich glühn im finstern Grunde.« |