Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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XV. Fromme Mönche

1.
              Draußen stob in grauen Wolken
Schnee, des Sturmes Spielgeselle,
Drinnen glomm die trübe Lampe
In des Klosters Krankenzelle.

Elmar lag mit starren Blicken
Auf dem braunen Hirschhautpfühle,
Todesschatten um die Stirne,
Auf den Wangen Leichenkühle.

Beda traurig ihm zu Füßen,
Ailrat kummervoll zu Häupten;
Stumm mit Sinnen und mit Sorgen
Sahn sie auf den Schwerbetäubten.

Trat herein der gute Prior,
Trat herein der Abt, der greise:
»Lebt der Arme? Kann er leben?
Wird er leben?« – fragt' er leise.

Beda drauf: »Des Rätsels Lösung
Fand ich wohl, doch ohne Hoffen:
Schwer, mit giftgetränktem Eisen
Hat ein Unhold ihn getroffen.

Machtlos gegen Teufelstücke
Sind die Säfte frommer Kräuter:
Ungestüm in allen Pulsen
Gärt und rast ein böser Eiter;

Fauler Brodem zischt und siedet
Fieberheiß durch alle Adern;
All das Spiel der heitern Kräfte
Ward empört zu wildem Hadern.

Hilflos ist die Kunst, und ratlos
Muß ich ihn verderben sehen;
Trauernd sag' ich: eine Blume
Wird der dunkle Schnitter mähen.«

Seufzend sprach der gute Prior:
»Jammer um den stolzen Knaben!
Bitter ist es greisen Männern,
Gelbe Locken zu begraben.

Wär's unmöglich, Heil zu finden?
Zwar – man raunt von wilden Weibern,
Die mit Sud und Segensprüchen
Rettung bringen kranken Leibern;

Zwar – man spricht von einer Waldfrau,
Irgendwo, – im blauen Grunde,
Einer Heidin; sondrer Dinge
Hat sie sonderbare Kunde.

Wohlvertraut mit allen Rätseln
Aller Kräuter und Gewächse,
Weiß sie Heiltrank zu bereiten,
Und man nennt sie – eine Hexe.

Eine Hexe? Tiefste Kenntnis,
Gottesgabe, reich und selten,
Durfte stets, weil unverstanden,
Tor und Törin Zauber schelten.«

Drauf der Abt nach langem Sinnen:
»Männern ziemt es, Rats zu pflegen,
Hier das Beßre, dort das Schlimmre
Wohlbedächtig abzuwägen.

Prior, Ihr versteht gar manches,
Was gar mancher gern verstünde,
Alt' und neue Schrift; ich hoffe,
Was Ihr meint, ist ohne Sünde.

Gut und fromm ist jedes Wissen,
So es frommt den Menschenkindern,
So es Seelenqual zu schweigen,
Leibesnot vermag zu lindern.

Sind die Heiden kluge Meister,
Gehn wir doch in ihre Schule!
Schreibt uns nicht, was sie ersonnen,
Bisos nimmermüde Spule?

Nicht allein der scharfe Stachel,
Süßer Seim auch ward den Bienen;
Meiden wir das Gift des einen,
Muß uns doch der andre dienen.

Ist die Waldsibylle kundig,
Wilden Fieberbrand zu dämpfen,
Ihre Weisheit soll uns nützen,
Ob wir ihren Wahn bekämpfen.

Fromme Brüder, uns zu prüfen,
Ward uns zugesandt der Wunde:
Beda, rüste dich, denn morgen
Wanderst du zum blauen Grunde!«

 
2.
Winterwald im Sonnenglanze,
Reich an Silber und Demanten,
Die an jedem Zweige blitzten,
Die auf jeder Knospe brannten!

Rings ein Glimmern und ein Glühen,
Gleich, als wollten eitle Zwerge
Einmal zum Verwundern zeigen
All den Reichtum ihrer Berge;

All den Hort geheimer Schätze,
Die sie rastlos schürften, scharrten:
Winterwald im Sonnenglanze,
Schöner als ein Frühlingsgarten!

Winterwald, wie still und einsam!
Nur des Würgers schrille Klage,
Nur des Spechts eintönig Pochen
Und ein Schreiten fern im Hage.

Vor dem Felsenhaus der Drude
Stand ein Wandrer, heiß vom Gange:
»Kommst du endlich?« sprach die Wala;
»Ich erwarte dich schon lange.

Knurre nicht, du treuer Graubart!
Freilich staunt wohl der und jener,
Tritt zu mir, der Heidenhexe,
Ein geschorner Nazarener!«

Beda drauf: »Und kam er dennoch,
Kam er des Gebotes willen,
Gegen Gott vielteure Pflichten,
Gegen Menschen zu erfüllen;

Nicht zu lehren, nein zu lernen!
Einen Wunden kannst du heilen,
Gönnst du uns, von deinem Wissen
Mir ein Kleines mitzuteilen.

Fürchte nicht, daß deine Hilfe
Einem Widersacher fromme:
Deines Volks ein bleicher Knabe
Ist's, für den ich bittend komme.«

Sprach die Alte: »Rede klüger!
Weißt du doch, ein Arzt, ein rechter,
Schuldet, was er hat, den Menschen;
Bist du gut, ich bin nicht schlechter.«

Beda drauf: »Er rast und schlummert;
Im verderbten Blute kreisen
Gift und Geifer, die ein Neidhart
Ihm geimpft mit falschem Eisen.

Waldgewächs und Gartenblüte,
Trost für fressend Weh und Wunde, –
Manches lernt' ich: diesen Armen
Rettet nur verhohlne Kunde;

Jene, die seit grauen Tagen,
Unerkannt dem klügsten Kenner,
Heimlich erbten und vererbten
Weise Frau'n und stille Männer.

Sprich, was kann ich tun?« – »Des Odems
Hast du schon zuviel verschwendet;
Alles wußt' ich, eh es wurde,
Und ich weiß, wie alles endet.

Leides viel befährt ein Knabe,
Den sein Vater nicht gezogen;
Rauh und hart ist seine Schule,
Sei ihm denn ein Gott gewogen.

Leides viel schafft Frauenminne,
Frauen sind's, die finstren Blickes
MiddilgardsMiddilgard, im Heliand die Erde, als mittlere, zwischen der nördlichen Nebel- und der südlichen Feuerwelt gelegene Wohnung der Menschen. unsel'gen Söhnen
Drehn den Faden des Geschickes. –

Folge mir!« – Die Kienholzfackel
Zog sie aus dem Felsenrisse;
Über Steingeröll und Klüfte
Ging's in feuchte Finsternisse;

Abwärts, aufwärts, immer weiter,
Drohend, wie um Wacht zu halten,
Rechts und links mit wucht'ger Keule
Starrten finstre Steingestalten;

Aufwärts, abwärts, immer tiefer,
Bis der Fußtritt hohler tönte
Und des Ganges düstre Enge
Sich zur weiten Wölbung dehnte.

Erze glimmerten wie Sterne,
Und vom großen Bergkristalle
In der Kuppel floß wie Mondlicht
Blaue Dämmrung in die Halle.

Zwischen Pfeilern an den Wänden
Hier und dort ein Götterbildnis,
Grau und grimmig; Todesschweigen
In der dumpfen Felsenwildnis. –

»Sieh dich um«, begann die Drude;
»In des Berges Riesensaale
Steht, solang die Erde stehet,
Christenfuß zum ersten Male.

Einst das Heiligtum der Ew'gen,
Ward er heute ihr Gefängnis;
Stetig ist die Welt im Wechsel
Und unbeugsam das Verhängnis.

Doch ans Werk, den Kranken dürstet;
Vorbedachtes schafft sich schnelle;
Sitz indessen und genieße
Meines Brots und meiner Quelle!«

Von den rasch geschürten Bränden
Grell beleuchtet, warf die Hohe
In den Tiegel Kraut und Knollen,
Salz und Samen in die Lohe.

Wispelworte auf der Lippe,
Die ihr auf der Lippe starben,
Prüfte sie das Kohlenknistern
Und des Trankes Wechselfarben.

Beda, mit gespannten Sinnen,
Sah, doch sah er nur die Drude,
Wie sie schürte, wie sie rührte,
Wie sie raunte ob dem Sude;

Sah, doch nicht des Berges Wunder,
Nicht die Truh'n, die schwarzen Schreine,
Nicht das Heergerät, verworren
Aufgehäuft im hohlen Steine:

Helm und Schild und Schuppenpanzer,
Kettenhemden und Standarten,
Kolben, Speere, breite Klingen,
Die aus jedem Winkel starrten;

Nicht den Hort uralter Beute,
Goldgeschmeid' in allen Ecken,
Silberkessel, riesengroße,
Römerschmuck, Pokal und Becken.

Sprach die Drude: »Was ich konnte,
Tat ich; nimm den Krug und wandre:
Menschenmühe ist das eine,
Göttersegen ist das andre.

Knickt ein Zweig am Blütenbaume,
Mag das Mägdlein um ihn klagen:
Bricht ein Wald, – vor finstern Nächten
Muß die bange Welt verzagen.

Menschen sterben, Völker sterben!
In das Heimatland der Eiche,
In das Kinderherz der Starken
Schlich die arge Südlandsseuche.

In das Kinderherz der Starken
Kroch das Fieber eurer Lehren,
Die den Stahl des Arms erweichen
Und das Blut in Milch verkehren.

Wird der Süd den Nord bezwingen?
Felsen beugt man nicht, sie brechen.
Alte Fehd' ist zwischen beiden,
Und der Nord, er wird sich rächen.

Erz in Erz, vom Schneegebirge
Wogen seh' ich blonde Scharen:
In die Tiberstadt, die große,
Ziehn blauäugige Barbaren.Die Seherin schaut im Geiste den Kampf unter den Mauern Roms, der im Jahre 1155 zwischen den aufständischen Römern und dem soeben von Hadrian IV. zum Kaiser gekrönten Friedrich Rotbart, an dessen Seite Heinrich der Löwe focht, stattfand.

Brausen hör' ich durch die Gassen
Männerschritt und ehrne Hufe,
Schildgekrach und Schwerterklirren,
Jammerschrei und Siegesrufe.

Sprengt ein gelbgelockter Kämpe
In des Volks empörte Wogen;
Feuerfarb auf goldner Brünne
Wallt sein Bart zum Sattelbogen.

Welch Getümmel um den Riesen!
Ihm zur Seite muntre Knappen:
Einer, wild und löwentrotzig,
Führt das weiße Roß im Wappen.

Speere sind ihm schwache Binsen,
Helm und Halsberg irdne Töpfe,
Hagelschauer seine Schläge
Auf die blut'gen Römerköpfe. –

O der Nord, er wird sich rächen!
Dennoch – dunkle Zeichen drohen:
Felsenschwer auf unsern Häuptern
Liegt der Zorn der Ewighohen.«

Beda sprach: »Und Einer waltet
Stark und still ob allen Tagen!
Stolz und Trotz ist eure Tugend,
Unsre – Tragen und Entsagen;

Glaubend, hoffend Einen lieben
Und dem Dienst der andern leben.
Willst du nicht zum Dienst der andern
Mir von deinem Wissen geben?

Silber bebt dir um den Scheitel,
Und dein Odem wird verhauchen:
Sag, wie kann den Toten nützen,
Was die Lebenden gebrauchen?«

Finster blickend sprach die Alte:
»Stiegst du in das Tal der Buchen,
Wie einst Wodan kam zur WalaDie Drude spielt auf ein Lied der älteren Edda an, die Wegtamsquida, in welchem Wodan unter dem Namen Wegtamr, der Wanderer, bei der toten Wala in der Helaburg erscheint, um über das Schicksal des von allen Asen geliebten Balder, der durch schwere Träume beunruhigt wurde, Auskunft zu erlangen. Die unwillige Seherin erkennt sofort den Göttervater. Simrocks Edda 37. ,
Mich mit Fragen zu versuchen?

Von den Göttern stammt mein Wissen,
Und den Göttern geb' ich's wieder,
Nie den Rupfern unsrer Saaten,
Nie den Kräh'n im Nachtgefieder.

Doch ich will den Gast nicht kränken,
Mag ich auch den Mönch nicht lieben:
Fremder Mann, du wärest besser
Heim am Cheviot geblieben.« –

»Kennst du mich?« – »Ich kenn euch alle!
Geh, schon graut es in den Gründen
Und der Schnitter wetzt die Sense
Im Konvent zu Dreizehnlinden.«

Beda sprach: »Du weise Waldfrau,
Mög' auf dir und deinem Tranke
Ruhn so reicher Gottessegen,
Als ich tausendfach dir danke!«

Auf der Brust gekreuzt die Hände
Neigt' er sich wie zum Gebete:
Ob er Trost und Licht von oben
Für ein dunkles Herz erflehte?


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