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Im Jahre eintausendfünfzigunddrei nach der wundersamen Niederkunft der Jungfrau ritt ich, Wolf Ulstadt, über die Moldau und stellte in der deutschen Herberg im Wyschegrad mein gelbes Roß ein, das frisch und willig mich ins Böheimland getragen.
In selber Herberg traf ich einen Herrn Ott, in dem schlesischen Ort Landeshut behaust, der zählte gleich mir achtzehn Jahre und war offenen, frohen Gemütes, so daß er mir bald angenehm und freund war und ich ihm stracks erzählte, daß mein herzlieber Vater zu Aachen unter einem grauen Stein schlafe und das beträchtliche Erbe an Geld und Wald meinem älteren Bruder zugefallen sei, ich aber nach weiten Reisen mir in Böheim ein sicheres Brot suchen wolle, am liebsten in einer Schreibstube, da ich wohlbelesen und gelehrt und einer geschwinden, klaren Schrift fähig sei.
Dagegen meinte Herr Ott, sein Blut sei viel zu rastlos und dulde es nicht, daß er behaglich sein Lebtag mit Feder und Tintenhorn schalte, seine Lust sei vielmehr, die Felsen aufzureißen und in ihre Abgründe nach Erz zu spähen, und darum befleißige er sich in dem nahen Städtchen Eule des Bergwesens, wisse aber ein edles Gebirg, trächtig an Silber, zwischen den Orten Trautenau und Landeshut gelegen, dort wolle er einmal das funkelnde Mark ausbeuten und ein gewaltiger Bergherr werden.
Mir aber riet er, ich möge flugs des böhmischen Herzogs Gemahlin Jutta, die als deutsche Kaiserstochter hier zu Prag deutschen Hof hielt, bitten, daß sie mir die Stelle ihres Kanzleischreibers verleihe, dieweil der frühere vor kurzem des Todes verfahren sei.
So schrieb ich denn mit meiner stattlichen Kanzleischrift einen Brief an die Herzogin, darin stund, wie ich adligen Geschlechtes sei und mancher Sprache kundig, auch wie ich trotz meiner geringen Jahrzahl wohlbereiset durch vieler Herren Länder. Selbem Brief fügte ich einen köstlichen Rosenkranz bei, aus Perlen geknüpfet, die zwischen der Insel Ormus und der Stadt Basseram aus dem Meerwasser geholet, und dazwischen glühten auengrüne Smaragde aus dem Lande Zypern, und ich bat ehrfürchtig, die Fürstin wolle mich in ihre Huld nehmen und mit der Kanzlei bedenken, zumal ich aus ihrem deutschen Vaterland gefahren komme und ihres Herrn Vaters, des Kaisers Heinrich, getreuer Untertan sei.
Die Frau Herzogin ließ mich alsbald holen. Sie war gar stolz gewachsen und dankte mir freudig für das Geschenk, das wie eine Kette Tau in ihren Händen leuchtete. Hernach reichte sie es einer zierlichen Jungfrau, die in ihrer Nähe weilte, und fragte mich nach meiner Herkunft und meinen Fahrten, und ein glückliches Verhängnis fügte es, daß meiner Zunge lauter kluge und artige Worte zu Gebot standen, und ich merkte bald, daß mir die hohe Frau gewogen war. Indes legte das zarte Fräulein neben ihr wie im vergessenen Spiel sich den Rosenkranz um den weißen runden Hals, also daß die Perlen und Steine an ihrer Haut um so preislicher schimmerten, und lächelte mir dabei in die Augen. Mir bangte, daß sie in ihrer Einfalt solchen Frevel übte an der geweihten Schnur, doch grollte ich ihr nicht, denn sie war überaus lieblich und wohlgebärdig, und so hoffte ich, daß auch Gott und seine gekrönte himmlische Hausfrau ihr nicht allzusehr mochten zürnen.
Frau Jutta vergütete mir am selben Abend noch die Perlenkette mit hundert Goldkronen, die sie mir in die Herberg schickte, und ließ mir künden, daß mir das Amt verliehen sei. Des freute ich mich denn herzhaft, lohnte den Boten reichlich und fragte ihn nachdem Namen des Fräuleins, das mit dem Rosenkranz heute sich den Hals gezieret. Sie hieß Annelein von Bünau und war hochgeborenen Stammes, ihre früh verblichenen Eltern hatten sie der Frau Herzogin hinterlassen, daß diese sie zu künftigen Ehren bewahre und aufzöge.
Die jähe Gunst, die meine allergnädigste Herrin mir schenkte, erbitterte manchen böhmischen Herrn, und Neider und Anfeinder warfen mir abgünstigen Auges mein Glück vor, auch murmelten sie verdrossen, daß die deutsche Frau ins Land gekommen und sich deutsche Diener küre, die sich wunder was deuchten und sich spreizten in den Strahlen ihrer Gnade, so daß die Kinder des böhmischen Landes im Schatten trauern müßten.
Ich aber schwieg still dazu, trat den Abgönnern klüglich aus dem Weg und zeigte bei den Geschäften, die ich für die Fürstin führte, viel Kunst und Witz, und als sie merkte, wie treu und ergeben ich ihr diente, vertraute sie mir bald ganz und gar und berief mich oft zu sich, wenn mir mein Amt Zeit und Weile ließ, und goß mir ihr Herz aus, das sie sonst schweigend verhalten mußte unter dem fremden Volk, dem ihr Gemahl gebot.
Einmal erzählte sie mir, wie sie zu Schweinfurt am Main in frommer Nonnen Hut herangewachsen sei und Herzog Bretislaus von ihr vernommen und in toller Minne zu ihr entglommen sei, und der wilde Böhme, nicht gewohnt, sich zu gedulden, sei abends, da sie im Gärtlein lustwandelte, in die Nonnenabtei eingedrungen und habe sie aus der Schar der Gefährtinnen auf sein Roß gerissen. Der Pförtner aber habe, den Räuber zu hemmen, hastig das Tor mit einer starken Kette gesperrt, doch habe Bretislaus sein Schwert gebraucht und mit furchtbarem Schlag die Kette gebrochen und sei entritten. Also sei Jutta des Tschechenvolkes Herzogin worden.
Darauf war mir, ich müsse meine allergnädigste Herrin trösten, wagte es jedoch nicht, und als die edeln Fräulein rings seltsamlich schwiegen und die Äuglein senkten, griff ich nach einer Harfe, schlug sie und sang ein rheinisches Lied dazu, die bangen Frauen zu ermuntern. Sie staunten, daß ich so trefflich die Saiten meisterte, und die hübschen Fräulein begabten mich mit süßen Mandeln, edeln Nüssen und blankem Obst. Die Gräfin Annelein von Bünau hingegen strich mir durch das blonde Ringelhaar und zwickte mich ins Ohr, so herzlich gut hatte ihr der Singsang gefallen. Ich aber, solcher Liebkosungen ungewohnt, fühlte es mir rot über Stirn und Schläfen sprühen, sprang auf vom Schemel, und die Hoffräulein lachten hell über mich und über sie. Sie hatte damals eine Schnur mit gelben beinernen Perlen um das Haupt und war gar anmutselig und schön.
Seither wußte ich mir nichts Lieberes, denn zu harfen zu Füßen der Frau Jutta, dabei ich heimlich meine Lieder an das feine Annelein richtete, der ich wahrhaft gut war. Doch in währendem Singen mied ich ihren Blick; die andern sollten es nicht erfahren.
In freier Weile schrieb ich den Fräulein fromme Psalmen in strenger Mönchsschrift ab, am Abend vor dem Schlaf zu beten; der Gräfin Annelein aber erkeckte ich mich, den Psalm »Herzlich lieb hab' ich dich« zu geben, woran ich lange mit Fleiß und Freude gemalet; jeden Buchstaben hatte ich mit Veiglein und Himmelsschwerteln und anderen liebsamen Blumen ausgerüstet und blaue und goldene Vögel darauf gesetzt. Das edle Annelein nahm es hin mit frohen Augen, sie schenkte mir dafür ein Tüchlein, und das war lind und weiß wie frischer Maienschnee, und es war mir oft, wenn ich es in Händen hielt, es müsse vor lauter Zartheit wie ein Wölklein im Wind zerfließen.
Seither erfreute sie mich mit manch liebem Blick, wenn ich sie heimlich anlugte. Verstohlene Liebe tat mir wohl und weh. Wenn ich ihr nahe war, war mir heiß und fröstelte mich. Sie ward alle Tage schöner, und was sie redete, das reimte sich wohl.
Einst sandte meine gnädigste Herrin das Annelein mit einem Auftrag zu mir. Gott wollte es, daß niemand dritter in der Schreibstube war. Wir beide aber erblaßten, als wir so himmelsallein uns gegenüberstunden, und keines wußte zu reden.
Da erbarmte sie sich meiner und tat mir die Arme um den Hals, und vor Wonne schier verließ mich die Kraft meines Auges, und dennoch sah ich auf ihrem entblößten, weißen Arm sieben winzige braune Male, die waren geordnet wie der Sternenwagen nachts am Himmel. Und sie sprach: »Herzlieber Wolf, dir geb' ich mich mit Leib und Seele; dein will ich sein, sonst niemandes auf Erden.« Und sie küßte mich auf die Wange. Es gruselte mich selig, dennoch erschrak ich und sagte höflich: »Gnädiges Fräulein, wohl bin ich edel geboren, doch ist meine Abkunft minder hoch als Eure. Wie könnte es denn sein, daß ich Euch gewänne!« Sie tröstete mich: »Herzliebster, gedenke, daß unseres Fürsten Vater Udalrich eine Bäurin zum Gemahl genommen. Herzog Bretislaus ist einer Bäurin Sohn, sein Ahnherr ging hinter dem Pflug. Wie sollte es mich bekümmern, daß du geringeren Adels bist als ich!« Da ward mein Herz frei und ich redete: »Wollte es das Glück, edles Fräulein, daß Ihr mir für ewig würdet, bei Gott, ich tät' mich nicht sträuben. Doch sollte es nicht sein, mir kommt keine Liebere in den Sinn als Ihr.« Darauf rief sie fröhlich: »Nun so küß mich, du gar ernsthafter Mann!« Ich aber wußte nur zu stammeln: »O zartes Fräulein!« Sie lachte meines Zagmutes, und in holdem Lachen entblößten sich ihre weißen Zähne. Da küßte ich schüchtern das Himmelszeichen auf ihrem Arm, und wir reichten uns die rotgelben Ringlein und gelobten uns stete Treue. Wie wunderhold sie war! Ihresgleichen gab es nimmer auf Erden.
Damals zimmerte ich ihr ein Nähtrühlein, darein malte ich aufs zierlichste Wappen und Schild meines Geschlechtes, und als sie den hübschen Hausrat zum erstenmal insgeheim in ihrer Kammer beäugelte, stand Frau Jutta plötzlich neben ihr, und ob auch das Annelein das Geschenk verhüllte, die Herzogin begehrte es zu schauen, und beschämt bot die Erschrockene das Trühlein dar und sperrte es auf mit einem goldenen Schlüssel. Meine gnädigste Herrin merkte an dem Wappen, von wannen das hübsche Gerät rühre, und sie lachte: »Gib mir es, und ich geb' dir dafür den Wolf!« Vor Schreck und Furcht fiel ihr das Mägdlein zu Füßen und rief: »Allerdurchlauchtigste Frau, nehmt das Trühlein! Ihr seid die Gnade. Ihr werdet mir geben, was mir frommt.«
Doch wie sich das Glück wie ein leichter Falter in mein Leben verfliegen wollte, kam ein trüber Sturm und entführte es mir.
Herzog Bretislaus erlag einem tückischen Fieber, und da die Gewalt in die Hände seines Sohnes Spitihnäus fiel, nahm in diesem Fürsten der Haß gegen die Deutschen starke Flügel an, und das erste Geheiß, das er erließ, war, daß alles deutsche Volk bei Verlust des Leibes und des Lebens binnen dreien Tagen aus Böheim weichen sollte.
Als ich der Greuelmäre inne ward, eilte ich stracks zur Frau Jutta, sie möge mich schützen und mir ihre Fürsprache leihen. Meine gnädigste Herrin trat mir entgegen, das Antlitz entstellt ob des Unheils, das mit dem Hinschied ihres Gemahls sie ereilet, verhärmt die Augen ob des Grames über den Sohn, der ihrem Volke den Fuß auf die Brust setzte. Sie weinte, sie sei eine arme, verlassene Witib, Spitihnäus habe ihr befohlen, alle ihre deutschen Diener des Amtes zu entsetzen, und dräue, die eigene Mutter aus dem Land zu stoßen.
Jetzt wußte ich, daß das Glück mir abgesagt und für mich alles verloren sei. Doch floh ich nicht. Ich hoffte inbrünstig, das grausame Geheiß werde widerrufen oder Gott werde ein Wunder verhängen, daß ich bei meinem Annelein bleiben könne. Also verstrich die Frist von drei Tagen ungenützt, bis die Herzogin mich beschwor, zu entweichen, des Spitihnäus Laurer schlichen um, und sie bange um mein Leben. Jetzund beschloß ich, zu gehorsamen, und mein Herz war traurig. Meine gnädigste Herrin gab mir meine Besoldung und überdies zweihundert Dukaten und ein goldenes Armband, auf daß ich ihrer gedenke.
Vor Sonne und Tag schon stand ich im Tor, zum Abschied gerüstet, und das Annelein schaute mich an mit verzweifelten Augen: »Tröst' mich, lieber Buhle!« klagte sie. Ich erwiderte beklommen: »All mein Lebtag hab' ich die Welt aufgeblättert wie ein liebliches Buch. Nun ist es anders.« Sie reichte mir unter Tränen einen Rock, mit Fuchs gefüttert, daß mich nicht fröre, denn ich mußte in den kalten Winter hineinreiten, und zwang mir noch neunzig ungarische Gulden in einem blauseidenen Beutel auf und bat: »Nimm dies Scherflein! Mehr hab' ich nicht.« Hinwiederum bot ich ihr eilends mein rotledern gebundenes Andachtsbüchlein, darin mein Vater den Spruch gemalet:
Dein Glück flieht nicht von dir,
das dir auf Erd' beschaffen.
Schau' nur, wenn's vor der Tür,
daß du nicht tust verschlafen!
Brauch' Mittel, Zeit und Waffen!
Es war ein mannhaft Wort, ich hatte es mir fest in den Sinn geprägt, dennoch wußte ich meinem bangen Herzen keinen Rat.
Das Annelein geleitete mich in den Hof, streichelte mein Roß und bat es: »Trag mir ihn treulich!« Sie herzte und küßte mich, hielt mir den Bügel, und weinend drängte sie mich in den Sattel. Frau Jutta schaute zum Fenster herab, sie mochte wohl der Stunde denken, da sie ihr wilder Herzog aus dem Kloster geraubet, denn sie schrie mir zu: »Seht, wie das arme Blut um Euch klaget! Nehmt sie vor Euch aufs Roß und reitet in den Himmel!«
Darob tobte mein Herz, ich griff hinab nach der Holdesten, als wolle ich sie zu mir in den Sattel heben und mit ihr fliehen in die weite, ungewisse Welt. Aber ich bedachte mich und erwiderte meiner gnädigsten Herrin: »Nichts anderes auf Erden wär' mir lieber, als daß ich sie mitnähme. Allein ich wage nicht, sie jetzt in mein gefährdetes Schicksal zu ziehen. Ich baue auf Gott, er führt uns wieder zusammen.« Damit schlug ich ein Kreuz gegen die hohe Frau und segnete sie, die ewige Gotteskraft möge sie schützen. Dem Annelein strich ich noch einmal übers Haar und rief: »Laß uns gläubig scheiden! In meiner Treue bist du geborgen allezeit.« Also sprengte ich von hinnen.
Im Dämmer ritt ich, das Schwert im Gurt, die stählerne Armbrust gespannt und aufgelegt den Pfeil. Mein Roß rauchte. Noch einmal schaute ich mich um nach den bereiften Türmen Prags.
Die breite Straße meidend, gelangte ich an den Elbstrom. Auf einer Eisplatte trieb eine blutige Leiche vorbei. Ich wähnte, es könne gleich mir ein Mann aus rheinischem Land sein, und hielt mein Roß und trauerte um den unbeklagten Toten.
Ich ritt den Strom entlang, eine Brücke zu finden. Da erwartete mich ein Reiter mit erhobenem Hammer, als wollte er mit mir streiten auf Leben und Tod. Als wir uns auf Wurfweite nahe waren, erkannte ich meinen Freund, Herrn Ott aus Landeshut, der aus dem unheimlichen Land heimwärts reiste. Er freute sich, seiner Fahrt einen Genossen zu wissen, und beredete mich, mit ihm nach Breslau zu reiten, wo sich leicht für mich schriftkundigen Mann ein Amt fände.
Es wurde kälter, das Eis wuchs. Bald erreichten wir eine Stelle, wo die Elbe völlig verfroren war und Wölfe im Nebel schattenhaft über das vor Frost krachende Eis rannten. Da ritten auch wir darüber und gewannen das nördliche Gestade. Dort gerieten wir auf einen finsteren Waldweg.
Als wir von Welt und Leid redeten und Gott maßen mit dem kargen Maß unseres irdischen Wesens und ihn in unserer Not nimmer verstanden, und als wir also klagten, daß die Welt im Argen liege, schwirrte ein Schauer aus dem Hinterhalt, und meinem guten Gesellen stak ein Pfeil im Nacken, er fiel rücklings vom Gaul, das Blut verließ sein Antlitz, die Lippen erbleichten ihm, und er war tot. Mich aber traf kein Geschoß, als wäre ich unverwundbar und gegen alle Waffen gegürtet mit unserer Frauen Marien seidenem Haar, darauf der Kuß Gottes gelegen. Still begrub ich den Toten im Schnee.
Auf der Straße gen die Feste Grätz holte ich fliehende Deutsche ein, die nur das blanke Leben gerettet hatten und nun durch die großen, namenlosen Wälder nach Schlesien strebten. Sie trugen Blut in den Schuhen vom beschwerlichen Weg, von Wanderungen ohne Rast und Friede. Manche fielen vor Hunger um wie die Fliegen, viele lagen erfroren. Mir war, ich müßte in das Schicksal dieser gehetzten Leute versinken und mich aufgeben. Ich war ein Mann ohne Ziel.
Vor Müdheit ging mein Roß schlafend, und ich selber schlummerte immer wieder ein, über den Nacken des Tieres hingeneigt. In einer öden Waldhütte nächtigte ich.
Im Schneewald schien tags darauf die Sonne wie weißes Silber. Da stieß ich wieder auf versprengtes Volk: Kaufleute, die Gewölb und Ware verlassen hatten; Handwerker ohne Werkzeug; Bauern, die um Pflug und Acker gekommen; überjährte, hinfällige Menschen und zarte Kinder, von rauhem Husten geschüttelt, von wankenden Müttern geschleppt; Männer, schwer und müd vor Heimweh nach dem verbotenen Land. Oft saß einer auf kahlem Stein oder an nackter Dornstaude und verschmachtete.
Ich schaute ein Weib, dem waren die Augen gestorben, sie führte einen langen Stab und tastete mit der Hand vor sich hin in die Finsternis der Fremde. Ihr Antlitz war von Tränen zerfurcht wie ein Fels von wilden Bächen.
Und abends traf ich wiederum ein Weib, das hatte seinem toten Kind einen dürren Kranz um die Stirn geflochten und trug es am Arm mit sich ins Elend und jammerte: »Mein Kind, mein Englein, mein Sternlein, was hast du mich verlassen? Alle Sterne haben sich aufgetan, nur du hast dich zugetan. O mein Gott! O mein Gott! O mein Gott!«
Manchen, der im Schnee sich schlafen gelegt hatte, weckte ich auf, daß er nicht verdürbe.
In der Nacht winselte mich ein abgemergelter Hund an, den die Treue zwang, einem Bettler in den Tod zu folgen. Ich konnte ihn nicht füttern: was ich an Zehrung mitgeführt, war längst verschenkt.
Dann trat einer mit grauem niedergeschlagenen Hut an mich heran und flehte: »Sei gebeten um ein wenig Brot. Mein Weib verhungert.« Ich wies ihm schmerzlich die leeren Hände. Da schrie er: »O Kriste, du Herzog der armen Leute, warum erbarmst du dich nicht unser?!«
Als ich die Abgunst des Schicksals erwog und die vielen Menschen, die meines Blutes und meiner Zunge waren, ins Elend reisen sah und mein Los darein verstrickt, ward ich kleinmütig und träumte, wie ich mein Schwert gegen die eigene Weiche kehrte und mich auslöschte aus dem furchtbaren Leben. Allein mich bedünkte, daß solche Tat einem Manne übel anstände, vielmehr sollte ich trotzig weiterleben und mich der Not entgegenwerfen und sie mit rüstiger Kraft bestehen. Ich betete, Gott solle mich nicht versuchen, und meine Seele ward wieder ruhevoll.
Andern Tags erreichte ich das Trautenauer Land. Hinter diese gedehnten Wälder langte der Arm des Böhmerherzogs nimmer, ich atmete froher und ließ das Roß gemächlich trotten. Die Berge nächteten sich bereits an, als ein günstiges Ungefähr fügte, daß ich auf eine Schar von Häuern stieß, die Bergwerk getrieben in Kuttenberg. »Den Bart haben wir uns müssen wischen und gehen,« klagten sie, »jetzund müssen wir betteln und das Vaterunser pfeifen vor den Türen.« Sie standen ratlos mit Weib und Kind und begehrten nach einem Herrn, der sie nährte, und hätten in ihrer Bedrängnis gern ohne Löhnung bloß ums trockene Brot gearbeitet.
Mich erbarmte dieses Volk gar heftig, und der Reden meines schlesischen Freundes mich entsinnend über das silberträchtige Gebirge hinter Trautenau und hinter mir die goldgefüllte Reisetasche fühlend, rief ich: »Ihr Gesellen, wollet ihr ums Brot in den Berg eindringen, bis Gott uns mit hellem Erz begnadet, wohlauf, an Brot soll es euch wahrlich nicht gebrechen!«
Des freuten sich alle, und ihr Schichtmeister Purkram, ein beherzter Mann, spottete der eigenen Not und lachte: »Hol' es der Teufel! Gott gibt es wieder!«
So zogen wir insgesamt in Trautenau ein, allwo ich den armen Bergleuten eine warme Herberg verschaffte und sie weidlich speisen ließ.
Ich ritt den Schloßberg empor zum Burggrafen Albrecht von Trautenberg, gab ihm Angeld und erkaufte Geleitsbrief und Bergwerksfreiheit für mich und meine Häuer. Und mit diesen drang ich, als der neue Frühling den Schnee genommen, ein in die riesige Bergwüste, die böhmisches von schlesischem Land scheidet.
Es waren bittere Wochen auf den felsigen Abwegen dieser verworrenen, vergessenen Bannwälder. Meine feinen Hände wurden rauh und schrundig, meine Finger bluteten, die Arme hingen mir oft lahm von wilder Mühe. Wir fanden nur tauben Stein.
Doch Purkram der Schichtmeister ward nicht müd mit seinen tröstlichen Sprüchen. Immer wieder sagte er:
»All Unglück muß ein Ende han,
es kann nit fort auf einen schla'n.«
Er war ein gründlicher Mann, aus dem Harz gebürtig, und rühmte sich, er besäße den Bergspiegel, wodurch er mitten ins Eingeweide der Erde schaue und die teuern Erze fände. Er war des Glaubens, alle Dinge der Erde strebten, in die Gewalt der Menschen zu kommen, und darum war er gewiß, daß wir des Bergsegens einmal reichlich genießen würden.
Einst suchten wir in einem wilden, tiefen Grund. Purkram hatte einen Block aus dem Gebirg gesprengt und geraunt, er röche Silber, und ließ nicht ab zu hauen, ob auch die Nacht aufzog.
Ich saß, des Werkes müd, einsam in einem Geklüft, wo der Wind seine Rast hatte. Der Mond schielte um die Felsecke, nahebei murmelte ein Brünnelein, und weiter ab wetterte der Berggesell im Stein. Hoch droben hing der Silberhimmel, die Sterne spielten alle Farben, und ich träumte von dem Himmelswagen an dem lichten Arm des verlorenen Annelein, bis daß mir gar weh ward nach ihr und ich ein Lied sang und die Felsenstimme es nachtönte: »Du feins mein Lieb!«
Das weiße, linde Tüchlein, das sie mir geschenkt, legte ich aufs Gras, seine Blendnis sollte den Unkenkönig locken, daß er die Krone darauf lege und ich reich sei und mir ein köstliches, sicheres Leben neben meiner Allerherzliebsten bereiten könne.
Da sprang der alte Purkram herfür und warf einen Stein auf das Tüchlein. Es war gediegenes, durchdrungenes Silber. Ich sah aus der Wildnis empor auf des Himmels heiliges, stilles Gewölb und dankte Gott.
Purkram hatte eine dicke Silberader findig gemacht, die reiches Bergglück versprach. Als die Kunde davon nach Trautenau getragen war, war dort eitel Freude, und der Trautenberger entschloß sich, die landverscheuchten Deutschen aufzunehmen in seinem Gau, und so siedelten sie bald in den Städten und gründeten Dörfer, erschlossen rings die Berge und bauten Pochwerke und Schmelzhütten im Silbergrund und hausten nach deutschem Bergrecht. Mir aber floß der Reichtum in silbernen Bächen zu, und ich baute mir ein Schlößlein, das hieß ich den Efeustein, weil meine Gedanken Sommer und Winter grün um mein fernes Annelein laubten.
Nach zwei Jahren ritt ich mit fünf silberbeladenen Gäulen empor zur Burg Wyschegrad. Das Silber ließ ich zu des Herzogs Füßen legen, auf daß er sich daraus Geschirr und Leuchter gießen lasse. Spitihnäus senkte die verwirrten Augen. »Herr Wolf Ulstadt,« sagte er, »Ihr bereichert meinen Tisch gar hoch. Kein Bürger meines Landes hat mich je so reich bedacht. Für Euer silbernes Geschenk empfanget einen silbernen Namen. Edler, gestrenger Herr Wolf Silber von Silberstein, ich geb' Euch meine Berge frei. Und niemand soll Euch hindern in Böheim.«
Seine Augen ließen nicht ab von dem Silber, und er atmete heftig und redete: »Herr Wolf Silber, Ihr machet meine Krone reich. Ich bin ein Fürst und will Euch fürstlich lohnen. Begehret! Was immer auch Ihr wünschet, es sei gewährt.«
In diesem Augenblick deuchte mich gering, daß der Herzog mich ermächtigt, Schlösser und Städte zu kaufen und mir Bergwerksfreiheit verliehen auf alle Erze seines weiten Landes; ich fühlte, daß eines wackeren Menschen Ziel nicht in seinem eigenen Schicksal ruhe, sondern darüber hinaus in edleren Höhen sternenhaft glänzen müsse, und jäh schlug mir das Blut ins Haupt, mein Herz brannte, und ich rief kühnlich: »Herzog von Böhmen, deutsche Knappen haben dies hohe Berggut geschürft, daß du mit den Deinen dich daran freuest, daß du daraus essest und trinkest und in Silber deine Hände badest, und daß auf silbernen Leuchtern das Licht dir edler flamme in festlicher Nacht. Herzog von Böhmen, um Gottes willen, gib den Deutschen Gnade und Recht und Heimkehr!«
Des Spitihnäus Stirn ward bleicher als mein Silber, und er murrte: »Ich weiß, daß Böheim dieses vertriebenen Volkes hart entbehrt.« Dann aber griff er in seinen pechschwarzen Bart und schrie mich an: »Deutscher Mann, willst du mich erkaufen?«
Da entgegnete ich: »Ich bin nicht gekommen, Euch, gnädigster Herr, mit diesem weißen Glanz hier zu bestechen. Nur bitten will ich Euch: lasset Raum einem rüstigen Volk, das Land mit seinen Werken zu erfüllen!«
Spitihnäus winkte, ich war entlassen.
Nun ritt ich sehnenden Mutes gen Franken, wo zu Schweinfurt des Herzogs vertriebene Mutter Jutta mit ihren Jungfrauen in einer Nonnenabtei lebte; dort wollte ich das Glück suchen, das mir über alles Glück ging.
Durch viele sommergrüne Gebirge ritt ich unbehelligt, kein Waldräuber sprengte mich mit seinem Spieß an. Blaue Vögel sangen von dem trauten Annelein und schauten mit innigen Augen vom Tann auf mich herab. Oft aber wandelte mich Furcht an, die Liebste sei schon aus dem irdischen Licht in ein anderes getaucht, oder sie trage das Haar geschoren und sei als Nonne eingeschleiert und müsse nun das Glöcklein läuten zur kalten Nacht. Ach, hätte sich ihr Geschick also geendet, ich hätte Schloß und Wald und das silberne Gebirg Unserer Lieben Frau vererbet, auf jegliches zeitliche Gut verzichtet und wäre weit von hinnen geritten bis ans Ende der Welt, um meiner Traurigkeit zu leben. Nach solch argen Träumen aber lachte ich jählings auf, wie ein Narr ohne Ursache getröstet, und redete dem Rosse zu, mich flinker zu tragen.
Einst sank ein schöner Tag darnieder, der Main blinkte in der tiefen Sonne Licht, die Erde war mir hold. Da kehrte ich in der Stadt Schweinfurt ein.
Im Tor begegnete ich einem Wagen voll guten Hausrates. Ein Weib schritt voraus, das hatte vier lange, gelbe Zöpfe, an jedem Zopf hielt sich ein trotziges Büblein fest, und ein jüngstes trug sie an der Brust. Ihr Mann leitete die Rosse durchs Tor. »Wohin?« fragte ich. Er deutete mit der Peitsche gen Osten. »Zurück ins Böheimland!«
So vernahm ich, daß die Leideswende gekommen war und die Deutschen wieder Landeshuld erfuhren und freien Paß hatten, in Böheim zu wandeln wie zuvor. »Glück auf!« rief ich freudig dem Völklein nach, und das Weib dankte, und die trotzigen Knaben schritten frisch aus in die neue Heimat.
Die aber, der zuliebe ich durch die ganze Welt geritten wäre, sie stand im Klostergarten voll gelassener Ruhe und schaute, das Abendlicht genießend, in die Ferne. In tausend hellen Wellen rollte ihr das Haar hernieder auf die Schulter: sie war noch keine Nonne, sie war mir nicht verloren. Als ich ihr nahte, kehrte sie mir das klare, schöne Angesicht zu, und ich stand still und gestillt und hielt sie an meiner Brust.