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Das Rutenbüblein

Wie hütende Großmütter neigten sich die sanften Berge über die Wiege des Tales, darin das hübsche, sauber abgerundete Einödwesen ruhte, das der junge Geschwendner zu betreuen und zu verantworten hatte. Der Gschwendner hätte hier in der unangefochtenen Einsamkeit als der glücklichste Mensch auf Erden bestehen können, wenn er das Leben nur nicht gar so sehr von der leichten Seite genommen hätte. Indes nämlich die Vorväter in der Tugend der Sparsamkeit gegrünt und damit den Hof hochgebracht hatten, zeigte der Nachfahre allzu gern, dass er der reiche Bauer war: er hing in einer übertriebenen und für einen Landwirt unpassenden Weise der Jagd nach, gab dem Bräuhaus tüchtig zu lösen und zahlte allen, die sich an ihn hielten, prahlerisch die Zeche und versäumte dabei immer mehr seine Äcker.

Diese Untugend verschärfte sich mit den Jahren, und wie das Unkraut tiefer wurzelt als das Korn, so nahm der Leichtsinn weit überhand über die guten Eigenschaften, die der Gschwendner gewiss auch von den fleißigen, haushälterischen Ahnen geerbt hatte. Und er begann Aussprüche zu üben, die wohl noch scherzhaft klangen, aber doch schon halb ernst gemeint waren, wie etwa: der Herrgott möge ihn vor der leichten Arbeit behüten, die schwere müsse ohnehin der Ochs tun. Oder er lachte, das Geld habe nur einen einzigen Fehler, und der sei, dass man es zählen müsse. Und so trank er sich mit allerlei arbeitsscheuem Gesindel auf du und du und kam für dessen Durst auf, blieb nächtelang außer Haus und ließ die Wirtschaft verwahrlosen.

Sein alter Lehrer klopfte ihm zuweilen warnend auf die Schulter. »Wenn du es so weiter treibst, verhausest du alles. Ändere dich! Es geht noch. Jedes Feuer ist leicht zu löschen, solange es erst glimmt.«

»Das versteht Ihr nit, Schulmeister«, trotzte der Geschwendner. »Mein Hof hält schon was aus. Ein Bauernhof ist eine ewige Sache.«

»Ja, jeder Hof hält schon einen Faulpelz aus, nur darf es der Bauer nicht selber sein«, sagte der Lehrer und ging.

»Neunundneunzig Schulmeister geben hundert Narren«, spottete der Gschwendner ihm nach. »Ich kann mein Geld nit ändern, es ist kurz.« Und er warf eine ansehnliche Banknote unter den Tisch. »So, das ist für den Besen! Und jetzt eingeschenkt oder den Wirt gehenkt!« Und er tätschelte die Kellnerin auf den Rücken, und sie schwenkte die Gläser frisch aus und lachte mit ihren blanken Zähnen, schwätzte ihm das Geld aus der Tasche und kreidete wacker an. »Trag mir und den Freunden auf, was Gutes im Haus ist!« rief er. »Ich bin mir selber das Beste schuldig.'

Wenn sein Weib ihm daheim Vorwürfe machte, lachte er sie aus. »Die Katzen greinen im März, die Weiber das ganze Jahr. Wenn es dir nimmer bei mir gefällt, so renn davon!«

»Ich sterbe, ehe ich eine Bettelfrau werde!« drohte sie.

»Dann wächst mir wieder eine neue«, spottete er. »Oder glaubst du, ich krieg keine andere nimmer? Und wenn ich die Haut von meinem ersten Weib ans Scheuntor nagle, mein Hof kriegt doch gleich wieder eine Bäuerin.«

Es war zu Georgi, als man das Märzenbier zapfte, da brannte in einer Gewitternacht der vierhundertjährige Gschwendnerhof ab, und sein Bauer schlief zur selben Stunde betrunken am fernen Wirtstisch, das Gesicht auf der Faust, neben sich eine trübe Lache Bier, und ließ sich nicht wecken.

Die Bäuerin war allein. daheim gewesen, sie hatte lange vergeblich nach Hilfe gerufen. »Wenn es brennt«, seufzte sie, »sind die Nachbarn weit.«

Mittags erst trottete er heim. Verkohltes Gebälk rauchte, die Mauern ragten trostlos öd. Die Bäuerin kauerte auf einem Rainstein und nährte ihr Kind.

»Was sitzt du da wie ein geweihtes Scheit und redest nichts?« fuhr er sie mit bösem Gewissen an.

Sie weinte auf. »Schäm dich in Gottes Erdboden hinein! Du wirst noch einmal den Strick über den Dachbalken werfen!«

»Zum Selbstmörder bin ich nit geboren«, erwiderte er. »Flenn nit! Ich holz' den Wald aus, da rinnt Geld herein, und der Hof steht bald wieder da, und schöner als früher!« Die Hoffnung der Bäuerin, das Unglück werde ihn bessern, erfüllte sich nicht. Als Haus und Stuben wieder neu erbaut waren, trieb er es noch schlimmer, und die Vernunft führte nimmer den Zügel, Er verlor im Kartenspiel den Erlös der ganzen Heuernte und meinte achselzuckend dazu, ein rechter Mann müsse auch einmal verlieren können. Oft hatte er den zweiten Rausch schon sitzen, ehe er den ersten ausgeschlafen hatte, und manchmal trank er die ganze Woche, und die Bäuerin brachte ihm sonntags früh ein frisches Hemd in die Wirtsstube, da saß er dann in blühweißen Hemdärmeln wie ein Pfingstelreiter, zechte weiter und berappte für alle, die an seinem Tisch lungerten, und machte sich über den Geiz der Ahnen lustig. Daheim aber trug er den Sonntagsrock auch am Werktag, und er war zur Arbeit nicht willig und wälzte sich schläfrig auf der Bärenhaut, und wenn ihn die Bäuerin mahnte, er möge aufstehen und ackern, murrte er: »Sei froh, dass ich liege! Wer schläft, vertut sein Geld nit!«

Sankt Urban, da geht die Kleemahd an. Aber der Gschwendner ließ die Sense am Nagel hangen. Wenn Sankt Ägid bläst ins Horn, heißt es: »Bauer, sä dein Korn!« Der Gschwendner aber dachte an diesem Tag nicht an die Aussaat, seine Freundlein sangen beim Dorfwirt, das war unterhaltlicher. Am Sankt Gallustag muss jeder Apfel in den Sack! Im Garten des Gschwendner erfror das Obst am Ast, und die Bäuerin konnte die Arbeit nimmer bewältigen, die ihr aufgelastet war, der Bauer aber saß beim Trunk und vergaß der Pferde draußen und ließ sie hungern und frieren und tröstete sich mit dem elenden Trost: »Was nutzt alles Rackern und Sparen? In hundert Jahren ist alles wieder in fremden Händen.«

Einmal trat ihm sein Weib mit aufgehobenen Armen in den Weg. »Du, dass wir nur nit lernen, wie bitter fremdes Brot schmeckt! Unser Hof wird bald vergantet werden!« Er stieß sie lachend von sich. »Meinetwegen können sie die ganze Weltkugel verganten!«

Die Hilfe kam noch zur rechten Zeit. Von unerwarteter Seite. Einmal nach einer verbrausten, gottsträflichen Woche lag der Bauer am helllichten Tag noch schnarchend im Bett, und in seiner dumpfen Trunkenheit hatte er die Decke von sich gestrampelt, und sein Gesäß lag entblößt.

Da kam sein vierjähriges Büblein in die Stube, und als er den Vater in einer solch unwürdigen und hässlichen Lage sah, holte er schnell eine Rute und schlug mit zornigen und unbarmherzigen Schlägen auf das nackte Fleisch los. Der Gschwendner hob sein übernächtiges, blasses, welkes Gesicht. Da gewahrte er, dass ihn sein eigenes Kind züchtigte. Und als er in die ernsterglühten Augen des kleinen richtenden Engels sah, fing er zu winseln an und verkroch sich dann aufheulend unter der Decke.

Was war ihm da geschehen? Mit einmal sah er sein leeres, wüstes, unwürdiges Leben vor sich. Und er fühlte, dass er am Ende war, wenn er nicht ein anderer wurde, ein rechter Bauer, der diesen Namen verdiente. Während er aber es unter seiner Decke heiß und reuig bedachte, kam ihn unversehens ein Lachen an. Er dachte an das grimmige Büblein, und wie er, der Gschwendner, sich vor ihm fürchtete, weil das Kind mit der Rute im Recht war. Und das Lachen brach tief und schütternd und befreiend aus seiner Brust, dass erst ein Büblein den Alten auf den rechten Weg hatte führen müssen. Freilich, es war sein Büblein, ans dem jetzt das Blut der Ahnen so zornig gesprochen hatte.

Seit jenem Geschehnis fand der Bauer sich wieder heim in sein besseres Selbst, und der Hof war ihm und den Kommenden gerettet. ..


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