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Der Kuckuck von Haselreuth

Das Dorf Haselreuth lag mit seinen verwitterten Hütten hoch und zierlich an den Gebirgshang hingesprengt wie der Flecken Bethlehem. im Krippenspiel. Weil der Ort in seiner Himmelsnähe allen Wolken und Winden offen stand, war auf die Turmuhr dort kein Verlass; der Wind trieb die Zeiger daran hin und her, wie es ihm gefiel. Und darum galt es den Haselreuther Bauern, wenn sie spätnachts zu ihren Weibern heimkamen, als die flüssigste Ausrede, sie hätten im Wirtshaus nur erfahren wollen, wie weit es an der Zeit sei. Denn der Huberwirt besaß eine Nürnberger Uhr, die trotz ihres hölzernen Räderwerkes genauer ging als die Sonne am Himmel.

Nun aber geschah es, dass die alte Nürnbergerin auf einmal launisch wurde wie ein bejahrter Ausgedingler und nach einem peinlich eingeteilten Leben endlich ihren Feierabend begehrte. Sie fing zu trotzen an, sie zeigte anders und schlug anders, und schließlich setzte das betrügerische Ding ganz und gar aus. Der Huberwirt wusste sich nicht zu helfen, er brachte den Schwengel, der da nimmer schwang und darum die einzige Schuld an allem zu tragen schien, zum Uhrmacher nach Sankt Oswald, er möge ihn beseitigen und die widerspenstige Uhr wieder in Gang bringen. Der Uhrmacher schob die staubige Brille hoch in die Stirn, schnüffelte ein bisschen an dem Schwengel herum und sagte: »Xaver, die Uhr da wird nimmer gesund, ihr Herzschlag ist schon zu alt. Du brauchst eine neue. Ich hab was für dich. Erst frisch aus dem Schwarzwald eingelaufen! Hier im Land noch nie gesehen! Eine Kuriosialität! Ein Wunder! – Da nimm.«

Gepriesen sei der Mann, der auf den göttlichen Einfall der Kuckucksuhr geraten ist! Im Jahr des Heiles 1730 grübelte einmal der ehrsame und kunstreiche Meister Anton Ketterer, im Gras eines lieblichen Schwarzwaldtales den Sonntag verlümmelnd, darüber nach, warum eigentlich der liebe Gott der Sonne droben keine Stimme verliehen habe, dass sie die Stunden zur Erde herunter rufe. Und wie jetzt aus dem schwarzgrünen Tann immer wieder in regelmäßigen Spannen die Zunge eines Kuckucks sich meldete, durchhuschte es plötzlich den Meister, diesen holden, schrulligen Waldschrei seinen braunen Uhren einzusetzen und den scheuen, liederlichen Vogel blitzhaft zum Türlein aus und ein hüpfen zu lassen, aller Welt und insbesondere jedem deutschen Gemüt zur Lust und Ergötzung. Wie gedacht, so getan! Und die Erde war wiederum um eine feine Freude reicher.

Und so hockten jetzt auch die Männer von Haselreuth in der Schenke und staunten die neue Uhr an wie nur je die Straßburger – ihre Münsteruhr, darauf der eiserne Hahnengockel kräht, und vor lauter Staunen gingen ihnen die Pfeifen zwischen den Zähnen aus. Heiliger Birnbaum! Wie neckisch zuckte der Vogel aus dem Gehäus, wie zog er blitzlings den Schnabel wieder hinter das zuschlagende Türlein zurück! Und nicht etwa ein zimperlich zwitscherndes Staudenschlüpferlein war es, oder ein lästig kreischender Häher, der da drin in der braunen Uhr nistete, und kein borstiger, verwetzter Rabenschnabel stieß krächzend und an den Galgen mahnend heraus, sondern just der Kuckuck war es, der allerheimlichste, verborgenste Vogel, den man trotz seines Geschreies niemals im Wald ertappen konnte! Zehnmal, elfmal, zwölfmal nacheinander stieß er seinen frischen, pfiffigen, geheimnisvollen, flötenweichen Namen aus – gugu! gugu! gugu! – und wurde doch nicht heiser, wie oft er auch rief Gott Lob, aus war es mit dem rostigen, verdrießlich scheppernden, schläfrigen Pendelschlag! Und die Kinder des Dorfes wussten auf einmal einen neuen Reim und sangen und tanzten ihn.

»Wir gehen um das Kuckuckshaus,
der blaue Kuckuck lacht heraus.«

Zwar hatte im benachbarten Guglöd der Wirt über dem verräucherten Zifferblatt seiner Stockuhr eine gläserne Glocke, die die Stunden schlug, und der ganze Ort bildete sich wunders wie viel darauf ein. Aber die Haselreuther schlugen jetzt in den groben, zerrillten Biertisch und schworen: »So was wie unsern Gugu gibt es auf der Welt nimmer. Und wenn sich die Guglöder noch einmal mit ihrem saudummen Glasglöckel prahlen, so wollen wir sie faunznen, dass ihnen das Maul schelch hängt!«

Der Huberwirt erhielt wegen seiner Kuckucksuhr von weit und breit her eifrigen Zulauf, ob er auch die neugierigen Gäste mit sauerem Bier tränkte und seine kichernde Alte gern mit doppelter Kreide schrieb. Aber wann gibt sich ein Mensch mit seinem Glück zufrieden?! Und so wollte auch der Huber es Hals über Kopf zu einem steinreichen Mann bringen und sein Haus sauberer und weitläufiger aufbauen, dass es auch die fremden Wandersleute beherbergen könne, die jetzt immer häufiger die Berge besuchten, die hinter dem Dorf grünten, blauten und vergrauten. Doch bevor das Haus neu aufgemauert werden konnte, musste es erst gründlich wegbrennen. Es war ja samt Dach und Wand und aller Habseligkeit ganz hübsch versichert. Dabei lag es abseits und hart am Wald. Also in Gottes Namen!

Fortan hörte man den Huberwirt sich in trüben und ahnungsvollen Andeutungen ergehen. »Gebt acht, Männer, die Wetter heuer sind scharf. Da zündelt es gewiss bald!« sagte er zu den Gästen. Oder auch: »Das Heu ist heuer ganz feucht unters Dach kommen. Kein Wunder, wenn es von selber brennend wird!« Oder: »Die Welt wird immer schlechter. Wie leicht kann sich ein Mordbrenner herauf in unser Dorf verirren!«

Und richtig! Am Freitag nach Ägidi erhob sich ein schüchternes, zärtliches Gebrumm, ein ganz fernes Wetterlicht zuckte, und weit draußen über Rinchnachmünd etwa löste sich ein behagliches niederbayerisches Gewitterlein. Aber schon schlug es in Haselreuth rot aus dem Wirtshausdach, und der Huber stand mit Weib und Kindern zeternd um das Feuer (nicht im Hemd, sondern alle angetan mit ihren besten Joppen und Sonntagskitteln), und sie schrien und weinten: »Der Blitz! Der Blitz! Gezündelt hat er!«

In den Tälern, wo man den wilden Schein aufgehen sah, gellten die Brandglocken. Und die Haselreuther rannten daher und wollten löschen. Doch zur Feuersnot gesellte sich die Wassersnot; an dem abschüssigen Hang war kein Brunn und kein Weiher, und mit der Jauche allein wurden sie der Flammen nicht Herr. Und so standen sie hilflos um das Gebäude herum, das wie eine riesige Fackel steil leuchtete und sich verzehrte.

»Hab ich es nicht allweil gesagt, dass es zündeln wird?!« jammerte der Huber. »Ich bin ein Abbrändlinger! Ein Abbrändlinger bin ich!«

»Abbrändlinger sind wir!« jammerten sein Weib und die Kinder.

»Alles ist hin!« fing der Huber wieder an. »Alles, alles! Und die schöne Uhr auch!«

Der Huberwirt zog den Hals zwischen die Achseln, duckte sich und nahm eine verwegene Gebärde an, als wolle er sich in die niederprasselnde Glut stürzen und ihr die brennende Uhr aus dem Rachen reißen.

Da hub auf einmal im nahen Wald eine wohlvertraute Stimme an zu rufen: »Gugu, gugu!«

»Jesusmaria!« schrie der Wirt. »Ist das vielleicht gar schon sein Geist?«

Alles horchte auf. Selbst das schnalzende, polternde Feuer dämpfte sich und schien den Atem anzuhalten.

»Gugu, gugu!« lockte es. »Gugu,. gugu, gugu!« Elfmal sang der verräterische Vogel. »Gugu, gugu!«

Da lag fröhlich aufgedeckt, was ewig geheim hätte bleiben sollen, und ein helles Lachen erschütterte die Welt. Es lachten die Bauern, dass ihnen die Bäuche bidmeten; es lachte der bucklige Haselreuther Mond; es lachte das wehende Feuer; es lachte der heilige Florian, der eben aus der Wolke sein Schäffel in die Brunst goss; es lachte schließlich der verratene Spitzbub selber mit..

Und lachend wallfahrten die Haselreuther in den Wald hinein zu der Fichte, daran der Abbrändlinger vorsorglich die Kuckucksuhr genagelt hatte.

Die Ursache des Brandes hat kein Unberufener erfahren, denn die Haselreuther halten zusammen wie Pech und sind der Meinung, dass alles, was im Dorf ausgekocht wird, auch im Dorf gegessen werden müsse. Also erlitt die bürgerliche Ehre des Huberwirtes keinen Schaden. Und in scheinheiliger Demut nimmt er es hin, wenn ihm ein schelmischer Gast zuzwinkert und zutrinkt mit dem Gruß: »Gugu!«


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