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Jorg Auer und sein böhmischer Freund Pribek, Herr zu Klenau, zwei berüchtigte Hohlwegritter, waren ausgefahren, ihre Küchen mit frischem Fleisch zu versehen. Auf freiem Feld zwischen Cham und Regensburg verlegen sie einem Kaufmannszug die Straße. Die Knechte der beiden Klepperer traten schreiend und mit böser Gewalt an und stachen darein und würgten. Die Überfallenen ergriffen die Flucht, einige aber hielten stand und wehrten sich mit verbissener Wut. Unter diesen war auch ein junges Fräulein, die von einem Wagen herab Pfeil um Pfeil gegen die stürmischen Feinde schickte und dabei den Bauch des schwarz gezöpften Gaules traf, der den Ritter Jorg Auer trug. Das Tier bäumte sich in seiner Pein, überschlug sich und schleuderte den Reiter auf den Acker hin. sogleich fielen die Städter über ihn her, und es wäre ihm um den Hals gegangen, wenn nicht auf einmal die Bogenschützin neben ihm gestanden wäre und ihn mit einer Tartsche vor den gefährliche zustoßenden Spießen so lange gedeckt hätte, bis seine Leute die Oberhand gewannen und das Geleitvolk vertrieben.
Nachdem sich die zwei adeligen Buschklepper in die Beute geteilt hatten, die aus groben Ochsen und einigen Wagenladungen Tuch, Leder und Bier bestand, trennten sie sich freundschaftlich, und Jorg Auer fuhr in einem der Wagen seinem Raubhaus zu, die kühne Jungfrau, die den Schild über ihn gehalten, vor sich auf den Knien. Sie war ein Welschlandkind und schön und fremd anzuschauen. Ihr Vater, ein reicher Mailänder, den sein ausgedehnter Handel über die Alpen herübergeführt hatte,war den Stegreifmännern entwischt. Ihre Mutter war der Abspross eines Berberfürsten. Das schöne Mädchen sagte, sie heiße Coronella. Staunend sah sie in die weingelben Augen ihres Räubers, und das Herz setzte ihr fast aus vor abenteuerlicher Erwartung. Sie liebte ihn, der sie als Geisel mitführte, weil er so glorreich wie der Obrist der Schwertengel gewesen war, als er, die Furcht des Zornes senkrecht zwischen den Brauen, mit den Krämern gerauft hatte, und sie ließ sich von ihm mit heißen, schmerzenden Liebkosungen beladen, ob auch seine Knechte grinsend zuschauten, und ließ sich von ihm auf den Armen die Anhöhe hinauftragen in seine Burg.
Sie sah in ihm den Mann des Ungestüms, den dummen Sohn der Kraft, sie war entzückt von seinen verwilderten Sitten und schmeichelte ihm wie eine Knechtin, zog ihm die eisernen Schnäbel von den Schuhen, küsste seine blutigen Sporen, nahm die feuchte Stirn. »Du Tausendkerl!« girrte sie und war in Demut unterwürfig wie die biblische Magdalena, die mit ihrem Haar den Staub von den Füßen des Heilands gekehrt hatte.
Jorg Auer schickte nun einen Boten an den Vater Coronellas nach Regensburg, er möge die Gefangene mit welchen Talern oder mit einigen Säcklein Gewürz auslösen. Der Mailänder aber war ganz und gar von dem Laster des Geizes besessen; wenn er einen Pfennig entlassen musste, schaute er ihn jämmerlich an und drehte ihn um und um und küsste ihn wie einen teuern Blutsverwandten, von dem man für lange Zeit Abschied nimmt. Und dieser alte Pfennigspalter ließ dem Ritter erwidern, er möge die Tochter getrost bei sich behalten, solange es ihn freue, er werde ihrer bald überdrüssig werden und sie selber willig ziehen lassen. Wer sich mit einem Igel zu Bett lege, müsse eine hürnene Haut haben. Mit diesem Sprüchlein endete der unväterliche Brief.
Jorg Auer ließ sich dies alles von Coronella vorlesen, und als sie beide es wohl verstanden hatten, lachten sie sich an und waren vergnügt, dass es so und nicht anders gekommen war, denn sie hätten sehr ungern voneinander gelassen. Der Ritter ließ den Dorfpfarrer mitten aus der Messe holen, und der musste ihre Hände ineinander legen.
Jetzt lebten Jorg und Kronel – so rief er sie auf gut bayerisch – in unerhörten Freuden mitsammen und vergaßen der Welt. Und die Waffen rosteten in der Zeugkammer, die Krämer zogen drunten ungeschoren ihrer Wege, und die Knechte lagen faul auf den Bänken und schnarchten.
Aber nach wenigen Wochen änderte sich das Wesen Coronellas. Einem südlichen Volke angehörend, das von Sonne und Erde verwöhnt und verhätschelt war, gefiel ihr nimmer das nordische Burgnest mit seinen Räumen, die schmutzigen Bauernstuben glichen, mit dem niedrigen Deckengebälk und den Strohdächern. Der Hausrat war übel genug: vor ihrem Bett war ein Ochsenfell als Teppich gebreitet. Die Gänge rochen nach Fledermäusen, die nahen Ställe dunsteten, und ekles Geschmeiß flog heraus. Alles war hier eng und unbehaglich und freudlos. Und zu Mittag tischte man immer wieder Wildbret in schwarzem Pfeffer und immer wieder Forellen und Äschen auf, und die Kuchelfrau konnte nur für grobe und unwissende Gaumen kochen, so dass Coronella einmal schmollend ausrief: »Ist das ein Leben?! Bald werde ich wilde Feldrüben essen und Holzbirnen braten müssen!«
Sie hatte tausenderlei Schmerzen und Wünsche, und wenn diese nicht augenblicklich gestillt wurden, begann sie zu toben oder, was dem Ritter noch schlimmer schien, zu weinen. Die Frösche, die in dem Sumpf unterhalb der Burg ihrer mailichen Gelänge pflogen, verdrossen sie arg, und oft musste Jorg mitten in der Nacht aufstehen und mit seinen Leuten zu dem Sumpf hinunterlaufen und mit Stangen dareinschlagen, dass die Frösche erschrecken und verstummen sollten.
Coronella hätte gern ein prunkvolles, hervorstechendes, ragendes Leben geführt; das einsame Berghaus bot ihr keine Gelegenheit dazu. Ihr genäschiges Mündlein begehrte nach griechischen Nüssen und süßen Weinbeerlein; das Land hier bot nur saures Obst. Sie verlangte, Jorg möge einen Kleinodschmied ausplündern, denn sie wollte silberne Kniebänder tragen und gleißende Gürtel. Oder sie begehrte, er möge nach Regensburg um buntseidenes Gebände oder um Straußfedern oder um eine Schönheitssalbe reiten, just nach Regensburg, wo ihm doch die Leute herzlich gram waren. Also plagte sie mit ihren endlosen Begierden den Placker, der nur von Stegreif und Sattel lebte und auf zufällige Beute angewiesen war, denn seine Bauern hatte er schon bis aufs Blut ausgesogen und bis aufs Hemd ausgezogen. Und so streifte er fortan Tag und Nacht auf den Wegen umher und lauerte im Hinterhalt und wagte sich mit leeren Händen kaum mehr heim zu seiner schönen, launischen Quälerin. Und es war ihm ein bitterer Scherz, wenn er ihr zuweilen sagte: »Frau Kronel, herzliege Buhle, mein Grillengretlein, soll ich dir den Mond vom Baum herunterschütteln?«
Und in dem Maße, als ihre Wünsche ungeduldiger wurden, wurden seine Räubereien verwegener und schlimmer. Einmal fing er eine Silberkrämer, und als die Regensburger ihn nicht auslösten, sondern vielmehr den Boten, den Jorg ihnen schickte, eintürmten und nimmer freiließen, erboste sich der Ritter, und er führte den Krämer in einen Wald, zwang ihn die Hand auf einen Baumstumpf zu legen, und hackte ihm einen Finger ab. Den Verstümmelten jagte er fort und schrie ihm nach, er wolle Dohlen mit brennenden Schwänzen über Regensburg senden und es anzünden.
Diese feurige Drohung wurde ruchbar. Die Regensburger wandten sich erbittert an den Kaiser, und der nahm den Ritter Jorg Auer aus dem Frieden und kündete ihn in die Reichsacht. Da merkte der Stegreifmann, was er sich eingebrockt hatte, und in der Angst, die geliebte Coronella könne gefährdet werden in der gefährdeten Burg, sandte er sie sogleich mit einem verlässlichen Knecht über die Grenze hinüber zu seinem Freund Pribek und empfahl sie diesem als sein teuerstes Gut. Sie langte glücklich in den verwitterten, streitbaren Mauern des böhmischen Felsenschlosses an.
Der Ritter Pribek war alt, verlebt, kahl und hässlich, seine Zähne waren zerstört, aus den Ohren wucherten ihm graue Borsten, seine Nase war ihm in einem Raufhandel eingeschlagen worden. Als er mit Freu Coronella zum ersten Mal allein war, sagte er zu ihr: »Stell dich nicht trutzig, Kronel!« Darauf erwiderte sie: »Mein Jorg ist hundertmal tapferer und tausendmal schöner als ihr. Doch wehe, was geschehen muss, das geschehe!« Da ergriff er sie und sprengte ihr mit jähem Riss den Gürtel auf. Sie bog sich zurück vor seinem übeln Weinatem, er widerte sie an. Aber sie weigerte sich ihm nicht.
*
Die Lärchen wurden fahl. Die Nordgänse schrien. Im Zwinger heulten die Wölfe. In diesen Tagen traf Jorg Auer unerwartet in der böhmischen Burg ein. Bleich und vermüdet stand er in der Tür, seine Augen waren elend, sein Mund war mürrisch.
Pribek saß am Tisch hinter einer Kandel, den Balg eines Luchsel auf den Knien, um den kahlen Schädel einen Türkenbund geschlungen und eine Eulenfeder drin.
Neben ihm lehnte seine Coronella, gekleidet in einen mit Hermelin und Goldbrokat gebrämten braunsamtenen Mantel, und spielte mit einem geschopften, rosigweißen Papagei, der sich in die vergoldeten Stänglein seines Gehäuses verbissen hatte.
Dem Ritter Jorg Auer war auf einmal, als stünde er vor zwei ganz fremden Leuten, und er hub schüchtern an: »Mir ist hart mitgefahren worden, Pribek. Regensburg hat lange Arme, es greift mir überall nach!«
Der Klenauer war peinlich überrascht von diesem Gast. Er erhob sich nicht zum Willkommen, reckte ihm nicht die Hand entgegen, hieß ihn nicht sich setzten und rasten. Den Mund zog er schel und brummte: »Hm, es ist allweil so gewesen: viel Geld, viel Freund'.«
»Du bist mein guter Gesell«, hub Jorg Auer wieder an und seufzte. »Wie oft haben wir und selbander an den Pfefferkrämern gerieben! Lass mich jetzt nicht im Stich! Sie wollen mir meinen Turm vom Berg herunterschmeißen.«
»Ich kann dir nicht helfen«, murrte Pribek. »Du hängst in der Reichsacht. Und Winter wird es. Und ich muss bei meinem Habicht bleiben, er ist krank, er schmeißt grün.«
Wie Galle war es da in dem Mund Jorg Auers. Doch versuchte er es noch einmal. »So gib mir Herberg für ein Jahr, bis ich mich aus der Acht gelöst habe! Verbirg mich hier! Sie wollen mir den Kopf abhauen, sie wollen mich angeschmiedet verderben lassen in Schmutz, Hunger und Verwundung!«
Im selben Augenblick ließ der Papagei das Gestänge los, flatterte heftig und schrie: »Kronel, Kronel!« Es war, als habe die schnarrende Stimme Pribeks geschrien, und ein wollüstiges Girren zitterte in dem Ruf, und es war nicht zu verkennen, wer den Vogel den Namen des jungen Weibes gelehrt hatte.
Bestürzt hörte Jorg Auer den verräterischen Vogel rufen. Eifersucht züngelte schroff in ihm auf. Er gewahrte zum ersten Mal, wie lüstern geschwellt die Lippen des alten Raufritters waren. Doch zweifelte er noch; er konnte nicht glauben, dass der Freund und Streitgenoss also gegen Ehre und Treue gehandelt habe. Und darum sagte er in trübem Scherz: »Wie seltsam singt das Vöglein dort! Und du, Pribek, was sitzest du so hart bei meiner Frau? Willst du dich an ihr verjüngen wie der morsche König David, bei dem immer ein junges Weib hat schlafen müssen?« Und während Jorg Auer so kläglich scherzte, zuckte er unbewusst nach dem Dolchmesser, das ihm an einer Kette zur rechten Hüfte baumelte.
Pribek hatte die zuckende Gebärde gewahrt. »Willst du mich andolchen? Hüt dich!« warnte er. »Ich lass dich in den Turm legen und werde deiner drin vergessen.«
Ein wildes Wort wollte in Jorg Auer auffahren. Aber er zerbiss es zwischen den Zähnen und fraß es hinunter. Er kannte das rachsüchtige Gemüt seines Genossen, er wusste, dass diese Burg voll heimlicher Schleichtreppen und vertünchter Meuchelpförtlein war und voller Falltüren, die sich tückisch öffneten, voller Keller und dicker Mauern, die das Geheul der Gefangenen abdämpften und verschluckten. Er hielt still in ohnmächtiger Wut, und die Kehle schmerzte ihn davon wie einem Gewürgten.
Pribek aber deutete auf die Tür und zeterte: »Heb dich! Heb dich!«
Jorg Auer wandte sich zu seiner Freu. »Kronel, du gehst mit!«
Sie dehnte sich unwillig und sagte: »Soll ich wieder dorthin heimkehren, wo ich fremd bin? In das öde Bussardnest? Und soll ich ewig wieder gesalzenes Hirschfleisch essen? Hier ist es warm und gut.«
Die weingoldenen Raubvogelaugen Jorg Auers brannten.
»Rüste dich!« fuhr er sie an. »Du gehörst zu mir!«
Schön und schlank und schleichend wie ein Pantherweib ging sie auf ihn zu. »Wohlan, du willst es haben!« sagte sie.
*
Sie saß vor ihm auf dem Ross und hielt den Käfig mit dem weißen Papagei. Jorg ritt anfangs sehr schnell, denn er fürchtete, Pribeks Gesinde werde irgendwo Fürpass halten und ihm die Bahn verrennen und das Weib wegnehmen.
Sie ritten über die schrolligen Äcker der Bauern, über raue Heide und blondes Gras, durch birkenvergilbte Haine und rauchenden Wald, an rotfahlen Felsen vorüber. Die Gegend war dicht mit Bergen besetzt, und es war kein gemächliches Gebirge. Es nebelte, Dampf stieg aus den Wipfeln, die Sonne verblich darin, und die verwaiste Erde wurde dunkel und traurig.
Nordhalb des Osserstockes ritten sie gen Bayern.
Jorg Auers Gesicht war beschattet und verdüstert von der weiten Krempe seiner Wolfshaube. Er hatte den ganzen langen Weg nicht geredet, er hatte nur manchmal geheimnisvoll gelächelt. Coronella spähte nach seiner verschlossenen Stirn.
Da stieß er endlich widerwillig heraus: »Meine Burg ist ausgebrannt. Ich bin vertrieben. Jetzt weißt du es.«
»Warum hast du mich dann geholt?« entgegnete sie.
Die Wälder ruhten herbstlich verstummt. Nur in den nebeldurchdämmerten lüften irrte kreischendes Raubzeug. Der Schweiß des Gaules stank.
»Meinst du, ich werde jetzt rindslederne Schuhe tragen wie die armen Leute oder gar barfuß laufen?« hub sie wieder an. »Wie Schleichdiebe reisen wir!«
Der Mann sagte: »Wir finden schon irgends einen Unterschlupf.«
»Kronel, Kronel!« schrie der weiße Vogel im Käfig. Er schrie so heiser wie der Ritter Pribek.
»Weib, die Weile wird mir lang!« sagte Jorg Auer ungestüm. »Sing mir ein Lied! Ein Lied von der Untreu!«
Sie fragte: »Was stichst du auf mich los mit deinen verhüllten Worten?«
Da schnob er sie an: »Woher hast du dies samtene Kleid? Der Pribek hat dir die Fetzen angezogen! Du arges Herz, mit seinen Geschenken hat er dich gekauft und überwunden! O, ich hab' es wohl gemerkt, wie er dich angeschaut hat und du ihn! Ihr zwei habt unter einem Hütlein gespielt!«
Die Eifersucht zerriss ihn mit den Fängen eines Teufels.
»Du grober Bayernkerl, wes beschuldigst du mich?!« klagte sie.
Er bohrte weiter: »Warum hat dir der Pribek das Kleid geschenkt? Es ist gar köstlich! Umsonst gibt er nichts her, der Habicht. Ich kenne ihn. O ich Narr, warum hab' ich ihm vertraut?«
»Du kannst mich schwer hüten«, sagte sie spöttisch. »Ich gefalle allen.«
»Den Pribek erschlag ich!« rief er. »Er träumt von dir! Keiner darf von dir träumen!«
»Dann müsstest du alle deine Knechte umbringen, Jorg!«
Er schlug mit dem Schwert an einen Felsen, dass die Schollen davon sprangen. »Sag, wie ist es mit dem Pribek gewesen?«
Sie erwiderte ihm nur mit einem verwegenen Lächeln.
»Gesteh, oder ich brech dir die falschen Augen aus!« Er packte ihren Arm und zerrte ihn hoch. »Schwör, dass du unschuldig bist!«
Sie sah das irre Licht in seinen Augen und stammelte: »Ich schwöre, – ich schwöre« – Doch der falsche Eid lastete so schwer auf ihrem Arm, dass er niedersank. »Ich mag nicht schwören!« murmelte sie.
Er heulte auf wie ein verbrühter Hund.
Sie hatte sich wieder gefasst. »Was heulst du? Du hast es doch hören wollen! Wer den Skorpion drückt, dem rinnt das Blut über die Hände.«
»Kronel, Kronel!« schnarrte der aufgescheuchte Vogel.
Der Ritter stöhnte: »Was soll ich mit dir tun? Soll ich dich totdrosseln? Soll ich dir einen Strohwisch in den Zopf binden und dich durchs Land weisen wie ein feiles Vieh? O der kahle Geck! O der feiste Schuft! Und du, du böse Nocke! Ich werde erst ruhig sein, bis du nimmer bist.«
Sie fühlte, er hatte Furchtbares mit ihr vor. Sie wollte sich ihm entwinden und vom Ross springen. Aber er hielt sie hart an sich.
Vom Reitweg bog er ab in eine Schlucht, die von schwarzen, zerrissenen Tannen bevölkert war. Darüber war das vermummte Gebirge zu ahnen.
»Wir reiten irr«, mahnte Coronella zaghaft.
Er hörte nicht auf sie. Er sang grob und sich selbst zum Spott:
»Und als ich in die Scheuer kam,
da hub ich an zu nisteln,
da stachen mich der Hagendorn,
darzu die rauen Disteln.«
Der Berghall erwiderte. Raben greinten. Ein Wolf glitt wie ein grauer Irrwisch ins Dickicht.
An einer Lache, die nach Moder roch, hieß Jorg Auer sein Weib vom Ross steigen.
»Jorg, Jorg«, flehte sie, »ertränk mich nicht darin! Schlag mich lieber tot! Und wenn ich gestorben bin, leg mich in eine eichene Truhe, die so lange hält, wie ich noch hätte leben sollen!«
Er starrte sie fremd an. »Deine kunstvollen Reden rühren mich nicht, Kronel. Zieh dich aus!«
Er riss der Entsetzten den Samt vom Leib, das weiße Hemd, die mit silbernen Lilien bestickten Strümpfe. Neben dem Sumpf wuchs ein Baum, der war so verbogen, als knie er. Daran band der Ritter seine Frau.
Rings wer Urwaldeinsamkeit, grauenbringende, nackte, tödliche Wildnis. Nebelriesen erhoben sich. Ein gespenstischer Tierkopf stieß aus dem Qualm und zog sich wieder zurück. Coronella schauderte. Sie glaubte, nun käme der Tod. Ihr Schrei brannte durch die Stille.
Sie wimmerte: »Jorg, bin ich eine Spinne, dass du mich so sehr hassest? Kannst du denn Henkerswerk tun an mir?«
Dann seufzte sie: »Wie grau ist da die Welt! Ich habe einmal in einem Sonnenland gewohnt.«
Jorg Auer hatte den Papagei aus seinem Gehäus entlassen. Der Vogel flog auf und krallte sich an einen Ast hob über Coronella.
Jetzt richtete der Ritter die unbarmherzigen Stoßvogelaugen auf sie. »Mach Reu und Leid! Deine Stunde ist da.«
Wieder tat sie einen Schrei, dass der ganze Wald erklang und das verlorene Tal.
Droben im hohen Holz erwiderte es. Es dröhnte wie eine Waldorgel. Die Hirsche röhrten vor dem Brautkampf.
»Du verdienst das Schlimmste, du wunderböse, du unzüchtige Frau!« sagte Jorg Auer. »Abe ich will dich nur mit der Gerte strafen.«
Und während er die Rute aus dem Dorn schnitt, lichtete sich die Luft, und die kämpfende Sonne klob den Nebel. Ein Zauberer schien hastig einen Vorhang wegzuziehen. Fieberisch lodernde Bäume enthüllten sich. Der Herbst brannte, ein Taumel von Feuer und Gold. Droben im Gewölk lag ein blendender Weiher, darin schwamm die Sonne. Das grasende Ross hob erstaunt den Kopf.
Nur ein einziges Mal peitschte Jorg Auer mit der Rute hin. Dann wurde er des wunderbaren, sonnbeglänzten Leibes inne, der da gebunden stand und nackt war wie ein Baum, ein Stein. Die Getroffene ächzte. Da grellten die weißen Zähne aus der rotdämmernden Höhlung ihres Mundes. O dieser Venusmund! O dieser Leib, der da gegen seine Fessel rang! Wie eine verruchte Blume war er, deren Duft süße, wirre Träume wirkt und einschläfert und den Schläfer vergiftet. O die funkelnden Zwillinge dieser Augen und die dunkeln Wildbrauen darüber! O ihr Haupt, ihr Hals, ihr Haar –, ihr Duft!
Wahnsinnig blökten die fernen Brunsthirsche. Die Luft lastete schwer und schwül. Und der Ritter küsste plötzlich das nebelfeuchte Haar der Frau. »Allerschönste Kaiserin!« raunte er.
Sie wand sich in den Stricken gleich einer lüsternen Flamme. Sie deutete auf ihre Brust. Dann stand sie still wie in blumenhafter Unschuld. Sie sagte: »Schweig! Und schlage mich!«
Er stürzte vor ihr nieder, er presste die Lippen auf den rosigen Bug ihres Knies. Sie stieß ihn von sich. »Erst bind mich los!« sprach sie mit bestechendem Lächeln.
In wildgieriger Eile löste er sie. Er küsste den Striemen, den er ihrer goldenen Haut geschlagen hatte.
Sie wich zurück. »Tritt mir nicht zu nahe! Zwingen lass ich mich nicht! Binden und schlagen musst du dich von mir lassen! Dann erst – will ich vergessen.«
Der Ritter war behext. Alles war ihm jetzt gleichgültig und er begehrte nichts als diesen schönen Leib. An den Glutufern ihrer Lippen sollten seine Küsse landen. Er selbst war höchste Glut, und in einer Flamme wollte er sich kühlen.
Er warf die Kleider ab und bot sich mit tölpischem Lächeln dar und ließ sich an den Baum binden. Sie Band ihn hart, zuerst die Arme, dann den Rumpf, dann Bein und Bein und zuletzt den Hals.
Indes verschloss sich der Himmel wiederum. Der Nebel flog. Ein Rabe krächzte im Grau heiser und wild, als wäre er der Geist eines Mörders.
»Schlag mich!« lechzte Jorg Auer. »Schlag mich!«
Sie kümmerte sich nicht um den Ungeduldigen, sondern schlüpfte rasch in seine Hosen, legte seinen Wams an, seine Stiefel uns Sporen, Schwert und Dolch und drückte sich seinen Hut in die Stirn. Sie stand da wie ein junger, feiner Edelmann.
Jorg Auer schaute ihrem befremdlichen Treiben zu. »Was soll die Mummerei?« zankte er. Er schaute albern darein wie ein Aprilnarr, der sich ertappt hat.
Aber dann ahnte es ihn gräulich an. Er sträubte sich gegen die Stricke, er spannte seine äußerste Kraft.
Sie trat zu ihm hin. »Jorg, du hast dir ein Feuer im Schoß angezündet. Jetzt wirst du schreien. Es wird dich keiner hören. Und wer dich hört, wird meinen, es plärre ein Hirsch.«
»Was zum Schinder willst du mir mit tun?« röchelte er.
Sie zog das Dolchmesser und verstümmelte ihm die Nase.
»Not! Not!« schrie er, und seine Stimme klang entstellt und fremd.
Coronella schwang sich in den Sattel und trieb das Ross an. Es schnob auf, drehte den Kopf fragend nach dem gefesselten Herrn, und trabte dann davon. Bald war der Schlag seiner Hufe verschollen.
Nur der weiße Papagei blieb und klammerte droben am Ast. Und das Laub winkte träumerisch, und die wandelbaren, haltlosen Gebilde des Nebels schwebten vorüber, graue, träge Schwaden.