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Im Übelamenwald

Der Riese Türsch hauste einsam in einer Mooskluft, und die lag so abgeschieden in der Wildnis, dass dort nicht einmal ein Vogel nisten wollte und Sonne und Mond in der verstrüppten Gegend ihren Schein verloren.

Vorzeiten war der Türsch nicht gar so mutterallein. Da lebte noch, von ihm getrennt durch verworrene Wälder und unwegsame Bergzüge, ein zweites Geschöpf seines ungetümen Schlages, und dem warf er alle sieben Jahre über das Gebirg hinweg seinen gläsernen Ring zu, und wieder nach sieben Jahren, nachdem das Kleinod genüglich bestaunt worden war, flog es in die läppischen Hände des Riesen heim. Die Leute vor dem Wald sahen oft das Glas hoch über den Himmel funkeln und verschillern und sinken in die Einöde. Doch einmal kehrte es nimmer zurück, und da hörte man den mächtigen Mann weithin heulen: »Runsa! Runsa!« Aber die Riesin meldete sich nimmer. Und so scholl oft, wenn der Mond nachts den Bergen am Nacken saß, die raue Klage: »Runsa! Runsa!«

Hernach blieb er lange verschollen und still, und die Bauern meinten, er habe den Schlaf, des er im Winter wie ein Bär mondenlang pflog, nun auch mit dem Tod vertauscht, und so wuchs denen vor dem Wald das Herz: sie wagten sich näher an die Wildnis heran, die sie des launischen und gewalttätigen Riesen wegen gescheut hatten. Sie bauten auch eine weidlichen Kirchturm hin und hängten zwei Glocken darein, die gaben ein zartes Geläute, die eine sang Seide, die andere Samt. Doch der Riese witterte bald den fremden Klang, er rieb sich den Schlaf aus den Wimpern, reckte sich auf und rannte spornstreichs dem Geläute zu, und als ihm der Turmknopf so eitel golden entgegen glitzerte, so deuchte es ihn in seiner gewaltigen Einfalt, das blitzgelbe Ding sei der Ursprung all des linden Klingklangs, und er brach den Turmknopf ab und trug ihn heim in die Kluft.

Darob wandelte nun die Siedler herseits und jenseits des Gebirges wiederum die alte Angst vor dem groben, mutwilligen Riesen an, sie zogen sich in heimlichere Landstriche zurück und ließen Turm und Dorf verfallen.

Nur ein Köhler blieb unerschrocken. Er drang mit seinem rußigen Tagwerk immer tiefer und tiefer in die Öde ein, die der Übelamenwald hieß, weiß sie so rau und verrufen war.

Der Riese ritt zuweilen auf einer entwurzelten Tanne an dem Meiler vorbei, guckte mit blödem Gelächter dem Köhler zu, sprach wohl auch hin und wieder den Mann mitleidig an: »Erdwürmel! Erdwürmel!« und ritt dann auf dem ungefügen Steckenross weiter seiner Lust nach.

Einst nächtens pochte er an das Dach der Siedelei und begehrte: »Flugs, Erdwürmel, gib mir die gelinke Hand!«

Der Köhler reckte eine eiserne Schaufel zur Tür hinaus, und der Riese zog den steinernen Fäustling aus, packte die Schaufel und presste sie treuherzig und zerdrückte sie ganz und gar. »Du bist stark, Erdwürmel«, lobte er. »Welche Kraft magst du erst in der gerechten Hand haben!«

Hernach zeigte sich der Türsch lange nimmer, an die dreißig Jahre nicht oder noch länger, Gott weiß es, und mochte wohl schlafen und vermoosen in seiner Schlucht.

Indes alterte der Köhler, und seine Brut wuchs heran, zwei Kerle, Wolftriel und Urch, und ein Mädchen.

Die Buben unterwies er, wie sie den Meiler bauen und hüten sollten, und lehrte sie das Wildbret fangen und braten. Und weil er nie ein holdes Wort an sie verlor und niemals von sich selber uns seinem Leben erzählte, so wussten die Brüder nicht, ob er ihr Vater oder der Ähnel oder gar ein noch fernerer Vorfahr war.

Um das Mädchen kümmert sich der Alte nicht, und sie war doch ein helles Wunderwerk, eine gerade, hochbeinige Magd mit feurig flimmerndem Haar und lieblichem Antlitz, indes die Brüder klein, knochig, schmutzig und verbartet waren, dem Alten gleich.

Weil sie anders war und ihre Schönheit die Hässliche befremdete, hielten die drei Männer das Mädchen für missartet, sie redeten sie nur selten an und gaben ihr, die sie für ganz unwichtig und unwürdig hielten, nicht einmal einen Namen. Die Männer brieten sich das erbeutete Fleisch selber, melkten selber die Hirschkühe aus und verrichteten jegliche Arbeit allein, also hatte die Namenlose nichts zu tun, und die feiernden Hände blieben ihr fein und die Haut schneeweiß im Schatten des Waldes, und sie lebte in ihrer Schönheit gedankenlos dahin. Sie blieb unbemannt, weil kein Knabe von ihr wusste, und wenn auch einer draußen vor dem Wald von ihrem hellen Wunderreiz erfahren hätte, er hätte sich vor den stockfinsteren Augen der Brüder weislich gehütet und sich den bangen Weg zu ihr verdrießen lassen.

Die Welt blieb ihr fremd, und nur wenn einer der Brüder mit dem Hirsch zum Hammerschmied, der eine Tagweide entfernt wohnte, die Kohlen führte und hernach ein Staunen heimbrachte, das lange nicht aus seinem Blick wich, da ahnte sie die Menschenwelt voll strahlender, unbeschreiblich seliger Dinge und Ereignisse, und sie dachte über die verschlossene Ferne nach, bis ihr das Herz schwer ward.

Einst im hohen Sommer, der Hund glomm am Himmel, und das Wasser rann weiß unterm Mond, da schlief das Köhlerkind im Wald, und es träumte ihr gar fremd und schön, so dass sie erwachte, und sie schaute die lichte Nacht und die sterndurchflirrten Schirme der Tannen und konnte sich des Traumes nimmer erinnern, ob sie auch noch so vieldarüber nachsann. Da legte sie das trunkene Haupt wieder ins Moos und schlief und spann den Traum weiter.

Als der Morgen anglühte und alles Gebirg im Tau lag, kam ein Fremdling auf weißem Ross durch die rauen Täler geritten. In seinem Helm brannte ein Kleinod, das fasste jeden Glanz des jungen Lichtes in sich. Seines Schildes Wappentier war ein Falke, der mit offenen Fängen aufwärts stieg.

Der Ritter sah die schöne Jungfrau ruhen und atmen. Da verließ er sein Ross, kniete neben sie hin und lauschte, wie sie lebte und wie ihre Brust ging und ihr leiser Hauch.

»Bist di eine Moosfrau?« flüsterte er. »Bist du ein Holdes oder ein Unholdes?« Und um zu erproben, ob sie Gottes Geschöpf wäre oder tückische Blendnis, legte er ihr den Kreuzgriff seines Schwertes auf die Brust.

Sie schauderte vor der Kühle des Stahles und erwachte.

Nun frohlockte er, dass sie das Kind eines Menschen war, und sie sah den fremden Ritter vor sich knien, strahlend von seiner Waffen Licht, mit schmaler, kühner Nase und freundlichem Mund, darüber der Flaum funkelte, sah die dichten Locken aus dem Eisenhut niederringeln auf die Schultern, sah das unbekannte, weiße Tier an den Baum gebunden und äsen im hangenden Laub. Die Welt war zu ihr gedrungen.

Er aber schaute ihre stillen, morgenklaren Augen und verlor sich darin wie in eine blaue, grundlose Flut.

»Mich dürstet viel«, sagte er.

Da ward sie ihm wunderhold, und sie tauchte die Hände in eine Mulde, darin der Berg seine reine, kühle Ader goss, und schöpfte daraus, und er trank aus ihren Händen das Wasser bis auf den lebendigen Grund.

Dann legte er den gleißenden Harnisch ab, tat den Helm ins Moos, und über dem strengen Wappenschild nickten die Wipfel zärtlicher Blumen.

»Ich will dich küssen«, sagte er.

Sie verstand nicht, was er begehrte.

Lächelnd nahm er ihre Hand in die Seine. »Wie viel Finger hast du daran, Schönste?«

Sie hatte über ein solches Rätsel niemals nachgedacht und wusste geraume Zeit nicht Antwort, und weil sie nur bis sieben zählen konnte, – sie hatte dies am Sternbild des Elches gelernt, – so fürchtete sie, ihre Kunst reiche nicht aus, und darum zählte sie flüsternd und verzagt und bog dabei immer zierlich den gezählten Finger ein, dass sie nicht irr werde: »Eins, zwei, drei, vier, fünf.« Und als sie bei dem letzten Wort die Lippen spitzte, drückte der Ritter hastig die seinen darauf. Nun hatte sie begriffen, und sie öffnete ganz schmal ihren Mund, bog sich zu ihm und küsste ihn brennend wieder.

Der Tag funkelte in den Wald, in den Lüften war ein Lachen, Lichtlein kringelten fröhlich im wandernden Brunn, und der Knabe drückte die Jungfrau mit zarter Kraft ins Moos zurück.

»Ich fürchte dich«, bebte sie.

Er sagte: »Das sollst du nicht.«

Die Erde flog himmelan, der Himmel sank ihr entgegen.

Das Leben der beiden ward eins.

In dem Augenblick, da sie von ihm empfing, schoss ein bunter, wundervoller Vogel aus den Bäumen nieder, tauchte die Brust ins Wasser, schrie auf und entflog.

Doch das weiße Ross schüttelte die betaute Mähne, scharrte ungeduldig den Grund und wieherte. Da setzte der Ritter den Helm auf, und darunter war seine Stirn verfinstert und ernst: »Das Tier mahnt mich. Leb wohl! Gedenke mein!«

Er fragte die Namenlose nicht, wer sie sei; er nannte nicht seinen Adel und seine Burg. Aus dem Sattel sich beugend, küsste er sie noch einmal.

Sie rief ihm nach: »Komm wieder!«

Ein Fels wiederholte: »Komm wieder!« An der Tannenwand verhallte es: »Komm wieder!«

Sein Harnisch glomm ferne zwischen den Stämmen. Das weiße Ross verleuchtete.

Sie stand unbeweglich, bis die Sonnenluft des lautlosen Mittags im Walde zitterte.

Trauernd sah sie an jenem schönsten Tag die Sonne scheinen, als verlöre sich diese für immer in den Wildnissen. Viele Tage hoffte sie keiner Wiederkunft.

Unter den Morgentannen harrte sie, und der stumme Wald half ihr warten. Sie sprach mit einem Baum wie mit dem Liebsten; der Wind rührte den Wipfel, und sie ward mit Tau besprengt. Falter flackerten, küsste die Blumen und flogen davon. Ihre fünf weißen Finger zählte sie immer wieder, bis es Abend wurde. Der Reiter kam nicht.

Sie saß die Nacht wach, der Mond stieg und versank. Ein Bär ging vorüber, seine Augen funkelten feucht. Des Hirsches Hufschlag klang am Fels.

Kränze band sie und warf sie in den Bach, das er sie zuflösse dem gerüsteten Mann. Oft leuchtete sie mit flammendem Scheit in die Nacht hinaus. Der Reiter kam nicht. Die Nächte aber schenkten ihr Träume, die wie Geschmeide waren und ihren Wunsch erfüllten. Ihr Leben war nur mehr ein Abglanz dieser Träume.

Sie träumte, der Geliebte käme im Herbst, Reif silberte der Handschuh, Reif lag in den Locken, Reif in des Rosses Mähne, und golden, feuerfarben und purpurn tanzte das Laub um ihn nieder.

Doch der Mond wuchs, seine Hörner stießen zusammen, und er siechte wieder. Der Sommer ward alt, keine frohen Lieder waren verflattert. Einbrach der Herbst, das Gras erblich, müde Ahornflügel wehten nieder in des Mädchens Schoß.

Übers Gebirg reisten wilde Kraniche, in den Eichen hingen die Geier und klagten. Die Berge versammelten die Wolken um ihr Haupt. Unsägliche Schwermut wob an feinen, trägen Nebeln.

Nun träumte das Mädchen, der Ritter käme im Winter daher auf seinem spiegelblanken Tier, durch die verschneite Schlucht trabe er unter schneegebeugten Bäumen, verschneit Waffen und Wehr, Eis in den Locken, Glut an der Lippe. Der Winter drang an. Ferne Höhen leuchteten silberblau, tief lag der Schnee und sperrte allen Weg. Rabengesang störte die weiße Stille. Oft erschütterte ein ungeheurer Sturm die Wildnis.

Das Mädchen fühlte verwundert, wie ihr Leib sich änderte, wie unbeholfen und müd er wurde, und sie schrieb dies ihrer leidvollen Sehnsucht zu. niemand sagte ihr, was an ihr sich ereignete; der Köhler und seine Gesellen hatten unwissende Augen.

Aber sie stand im tiefen Schnee und träumte, der helle Mann reite im seidenen Maienwind zu ihr, bekränzt mit blauen Blumen und Sidergrün, bekränzt Steigbügel und Sattel und das hohe, schnaubende Tier, ein Veilchenkränzlein um den Helm, ein reitender Blumenstrauß.

Der Schnee zerfloss. Wieder sang der Steinridel, wieder blühten die Osterblumen, weißblustige Stauden leuchteten, und der Urhahn spielte.

Da erfassten seltsam wilde Schmerzen das Mädchen, in unsagbare verworrenen Ahnugen flog sie von der Köhlerstätte und versteckte sich gleich einem ängstlichen Tier in den Felsenschrannen des Klammergesprenges.

Gewunden unter ihrer Pein, lag sie in der sprühenden Schlucht, die Wellen glitzerten vorüber, und immer wieder schrie sie mitten in den Schmerzen ihres zerreißenden Leibes: »Komm wieder!« als müsse der vom Getöse fallender Frühlingswaser erstickte Ruf den Geliebten erfassen irgendwo in den Tälern der Welt und ihn mit starkem Zauber zurückführen.

Sie schleppte sich in eine Höhle.

Drain saß ein Uhu. Der aufgestörte Vogel ward unruhig. Seine riesigen Sterne schwammen schwarz in den rötlichen Augen, langsam senkte er die Lider, langsam hob er sie wiederum und starrte das Weib ernst und durchdringend an. –

Also gebar sie das Kind. –

Am selben Tag strich der Wolftriel durchs Klammergespreng, einen Bären zu töten. Als der Wind die Schlucht niederflog, schnupperte der Mann und roch Blut. Hastig kroch er, immer wieder witternd, das trümmerüberbrückte Bett des Baches empor, tiefer in die Klamm hinein.

In einem Steinriss fand er die Schwester blass und erkaltet, und, in ihr Becken gebettet, wimmerte ein fremdes, winziges Mägdlein.

Er verrammelte die Höhle, drin die Leiche lag, mit schweren Steinen und trug das Kind heim.

*

Der alte Köhler zog das Dirnlein mit Hirschenmilch auf, und als es gezahnt hatte und laufen konnte, überließ er es sich selber.

Auch der Wolftriel und der Urch fanden nicht Zeit für die Kleine. Sie übermannte den Wolf und jagten das rote Wild, sie leimten Vögel und stellten den listigen Fischen nach, sie suchten im Übelamenwald das taube, liegende Holz und schleiften es zur Kohlstätte, warteten wortlos des Meilers, setzten, zerstörten und kühlten ihn und taten den Mund nur auf, die Waldmäuse zu verfluchen, die ihnen die Hütte streitig machten.

So setzte das Mädchen das Leben ihrer Mutter fort. Niemand herzte, niemand schlug sie. Von den Waldtieren lernte sie die Scheu, und von der Welt wusste sie gar nichts, denn in ihre Entlegenheit drang nicht der Schall geweihter Glocken, nicht der Jagdschrei noch Gekläff hetzender Bracken, und kein Pechschaber, kein Säumer verirrte sich her, wo nur der Hirsch seinen Wandel und die Wildsau ihre Furt hatte und der Felsengeier einsam wanderte über die waldige Ödnis.

Unter Bäumen und Felsen und wildem Getier erwuchs sie, sie arbeitete nichts und lebte müßig sich selber wie die Blumen im Moos. Unter den mürrischen Männern, die ihrer kaum achteten, lernte sie nicht reden, und weil sie darum allerweilen schwieg, schalten die andern sie die Törin.

Doch konnte sie überaus schön und weich pfeifen. Das hatte sie frühzeitig gelernt, als sie einmal die Laute des Sturmes nachahmte, und nun war es, sie trüge eine Amsel in der Brust. In ihrer weltunbewussten Seele drängten sich sonderbare Weisen wie Vögel mit zusammengedrückten Schwingen im Nest und warteten, bis sie die Lippen spitzte und die Zunge zittern ließ. Dann schwangen sich die feinen Pfiffe in Klüft und Geäst und suchten alle Öhrlein der Einöde auf, die das verwundert oder misstrauisch lauschten.

Die Welt der Törin war Laub und Baum und fallendes Wasser, antwortender Fels und Gewölk, das ruhelos übers Tal glitt. Ihre Spiele glichen nicht denen anderer Kinder. Sie ritt auf dem Hirsch oder lagerte unter sanften Schlangen oder rannte mit dem Wolkenschatten um die Wette und mit dem Flug der Raben. Manchen Winkel voll Veiglein wusste sie im Gebirg, und wenn in den Tannen rote Rosen blühten, schleckt sie den wilden Honig. Den Donnerkeil suchte sie in blitzgetroffenen Bäumen und den Widerhallt im dämmernden Wald, sie pflückte den Ginsterbrand vom Stein und blaue Blumenschellen, die watete in dem goldenen Kies der Gießbäche, die das Gebirg eilig verließen, oder ließ sich die kalten, weißen Wasser des Klammerfalles auf den Nacken springen, der nicht bräunte in Sommer und Luft, sondern weiß blieb wie die Blüte der Schlehe. Auf einsamen Felsen weilte sie und grüßte mit gebreiteten Armen Sonne und Mond und Wind.

Einmal saß sie nachts unter einer großen Tanne, di wegen ihrer überragenden Höhe von den Köhlern der Turmbaum genannt wurde, und sie sah droben in den Zweigen die Sterne hangen wie funkelnde Früchte. Da verlangte sie mit heißer Lust danach, und sie kletterte auf den Baum, die Sterne zu pflücken. Als sie damals droben hing im letzten Wipfel und die Sterne entrückt fand hoch über alle Höhen und unfassbar in kalte Fernen versunken, ward sie zum ersten Mal traurig: sie hielt die Welt für ein verschlossenes Rätsel, und in jeder Erscheinung schien ihr ein Trug zu lauern. So ward sie noch scheuer und verirrte sich völlig in dem Dämmer der eigenen Seele.

In die Köhlerei kam sie fast nur, wenn sie hungerte.

Sie verabscheute den Alten und sein schmutziges Gezücht, das, blinzelnden Kobolden ähnlich, mit den Schürstangen um den Meiler huschte, ihr graute vor dem Wolftriel und dem Urch, die die breiten Eichen brachen und die hellen Vögel knickten und stumm machten, die das dampfende Fleisch mit den Zähnen vom Bratspieß rissen und einander mit den Knochen des Bärenbratens bewarfen und beschädigten; ihr graute vor dem Wolftriel, den sie oft blutig aus dem Gestrüpp treten sah, wenn er einem reißenden Tier die Stange in den Rachen gestoßen hatte, sie fürchtete das wetterfinstere Gebälk der Hütte und den Anger dahinter, der mit Gebeinen besät lag wie der Fressplatz eines Wolfes.

Fremd und still wuchs das Mädchen heran und war bald um Hauptes Länge höher als die Männer.

Der Alte aber wurde von Sommer zu Sommer müder und wunderlicher und geschwätziger, seine Stirn verrunzelte immer wirrer, die Hände zitterten ihm immer heftiger. Und wenn er nun abends am glosenden Meiler die Kohlenwacht hielt, geschah es oft, dass er sich nach einem Menschen sehnte, und darum rief er so lange in die Düsterung hinein, bis die Törin zu ihm kam.

Da lehrte er sie Flachs spinnen oder versuchte ihr etwas zu erzählen. Weil er aber nichts wusste und ihm auch aus dem eigenen eintönigen Leben nimmer viel einfiel, so schwätzte er allerlei blaues Zeug über den Riesen.

»Einmal hat mein Vater in der Neumondnacht Kohlen geführt, eine einrossige Fuhr, und ist dem Türschen in die Nase hinein gefahren, hat gemeint, er ist im Hohlweg im Pimpernellwald. Da hat der Türsch niesen müssen, und die ganze Fuhr ist weithin geflogen, und das Ross hat sich den Kragen gebrochen.«

Das Mädchen hörte zu und sah ohne Regung in den Rauch, der faul aus dem Meiler quoll und im Mond schimmerte. »Hol mit Wolfsgelös, Törin«, bettelte dann der Alte. »Ich will mir damit die Augen salben, sie rinnen mir. Ich erzähl dir dafür vom Türschen.«

Und hatte sie ihm den Wolfskot gebracht, so begehrte er: »Brat mir einen Hirschziemer, brat mir ihm mürb, meine Zähne taugen nimmer. Ich erzähl dir dafür vom Türschen.«

Wenn er dann mühselig das Fleisch kaute, raunte er vor sich hin: »Der Türsch schläft jenseits des Berges. Er ist solang wie der Hannestag im Sommer, elf Ellbogen hoch. Sein Maul ist fünfhalb Schuh breit, ein Zahn drin wiegt hundert Lot. Der Kuckuck ist sein Herrgott.«

Der Alte fraß und würgte und fing plötzlich an zu husten, dass er schier an dem Mahl erstickte. Teilnahmslos kauerte das Mädchen neben ihm.

»Törin, du bist gut«, stammelte er, »aber die zwei Bärenhäuter gönnen mit den Bissen nimmer, möchten ihn mir noch aus dem Schlund reißen.«

In der Hütte drin röchelte der Wolftriel im Schlaf. Jäh erhob sich das Mädchen, als wolle sie fliehen.

»Bleib«, befahl der Alte, »ich erzähl dir vom Türschen. Der Türsch ist alt, viel älter als ich, er stammt aus dem Steinalter her, dazumal ist er langsam aus der Erde herausgewachsen. Der Türsch ist dumm, viel dümmer als ich, er kennt nit Brot und nit Feuer, er frisst Steine, als ob sie Käs wären. Dem Müller von Hammern hat er das Mühlrad gestohlen, hat es für ein Spinnrad gehalten, hat damit spinnen wollen. Ei, wie ist der Türsch dumm!«

Der Köhler kicherte in sich hinein und lachte und lachte immer lauter, bis er sich abermals verhustete und das Gekaute von sich spie.

Dem Mädchen ekelte, und sie ließ ihn allein.

Als ihre Brüste sich zu wölben begannen und der schmale Kindermund sich entfaltete, wurden die Weisen, die sie pfiff, immer herber, ihr ward leid um sich selbst, und sie wusste nicht warum. Seltsam bewegt gab sie sich oft dem silbernen Regen preis oder sie starrte vergessen in das lohende Abendgold und lauschte, wie buhlerisch die Amsel sang. Geheimnisvoll stäubten die Bäume. Schwermut fiel nieder aus zögerndem Gewölk.

Täglich stieg sie auf die hohe Tanne, ließ sich vom Wind neigen und blickte in den grundlosen Raum empor, wo die Wolken ihre Farben wechselten, und spähte dorthin, wo der Himmel versank, und alles war ihre ein dunkles Rätsel.

Unbegreiflich waren ihr die Sternenschwärme, die über die verdüsterten Wälder kreisend aufzogen, unbegreiflich die schwimmenden, blendenden Gefilde, die irgendeine verhüllte Macht über den Himmel scheuchte, unbegreiflich, dass eine Nacht der andern die Sonne in den Schoß war über das Tal hinweg, unbegreiflich die ewige Wanderschaft des Wassers in Tiefe und Fremde. Sie verstand das Feuer nicht, betrachtete es mit ahnendem Schauder und hielt es aller argen Gewalten trächtig; sie konnte nicht fassen, warum der Dorn ausgrünte und in rotem Prunk stand und dann schweigend alles wieder vergehen und verwehen ließ, was schön war. Sie blieb sich selber dunkel und wusste nichts von sich.

Die Bäume hielt sie für weise, weil sie so hoch waren und so stumm. Den Mond hielt sie für eine Freveltat, weil er so bleich und scheu dahin schlich über die schwarzen Schatten. Sie belastete die Dinge mit Geheimnissen, die nicht bestanden, und mit Taten, die nie getan. Die Welt schien ihr geflochten aus lauter regellosen und einander widersprechenden Zufällen, und das einzige Gesetz war der große, beharrliche Wald.

Von ihrer Tanne aus spähte sie über einen Bergsattel weit ins Land, das sie nie betreten hatte, und sie fasste mit dem Auge, das dem des Sperbers überlegen war, den goldigen Schimmer bewohnter Stätten, und ihre Sehnsucht spannte träumerisch den Bogen in die Ferne.

Einmal hing sie eine ganze zuckende, schwere Donnernacht geklammert in dem Wipfel, der Sturm schleuderte ihn hin und her; der Mond, der droben verstümmelt gedroht, war im Gewölk zugrunde gegangen; Wildfeuer schlug nieder, und sie hing ohne Schrecken in dem Aufruhr und starrte hinaus ins Menschenland, wo eine glutrote, lebendige Säule in der Finsternis ragte.

Die Törin war sonderbar schön geworden: ihre Arme schimmerten weißer als die Haut der Birke, ihr Nacken blendete, wenn sie nachts an einem Baum lehnte und den Mond betrachtete, der aus dem Berg blühte und die Reise anhub über die Wildnis.

Oft fühlte sie die Adern in sich und stand in das rätselhafte Brausen ihres Blutes verloren. Und oft wachte sie aus dem Schlaf und merkte, dass sie sich im Traum das Haar geflochten hatte. Dann rannte sie wohl auf einen Waldanger und regte die Arme, als wolle sie im Mondlicht schwimmen. Waldtierlein grasten, Sterne regneten, die Blumen fieberten in der schwülen Sommernacht, und die Törin saß schlaflos im Moos, bis die Sonne den Tau entzündete und erwachte Vögel durcheinander lachten und greinten. Sie wähnte, sie müsse nun immerfort so leben und träumen.

Einst im Herbst stieg sie den tiefen Riss des Klammerbaches empor. Es war noch kein Schnee gefallen, aber ein ungewöhnlich früher und schwerer Frost war eingebrochen, und der Wasserfall lag versteint und gleißte.

Da hörte sie es rascheln im gefrorenen Gras. Sie duckte sich hinter eine Staude, fürchtend, Hirsche, die den Brautlauf übten, kämen daher mit bösen, feurigen Augen und schüttelten wütend das krause Geweih und dröhnten aus zottiger Kehle. O, sie war ohnmächtig geworden, als sie einmal diese Tiere hatte buhlen sehen, und fürchtete sich nun vor dem Schauspiel, dass sie entsetzte.

Doch als ihre Nüstern den Wind prüften, roch es wie nach einem Wolf, und sie erkannte, dass es der Wolftriel war, der von der Jagd kam, und sie hielt still und ließ ihn vorüber.

Hernach betrat sie neugiervoll den Steig, den sich der Mann auf seinen Birschgängen gebrochen und wovon er immer grobe, rotgefleckte Fische heimgebracht hatte.

Sie ging lange bergan. Auf einem Wetterbaum hockte ein dauender Geier, und im Tal hörte sie einen Wolf grob und seine Wölfin hell heulen. Sonst begegnete ihr nichts Lebendiges.

Auf einmal roch sie Eis, viel Eis.

Aus dem Wald tretend, stand sie an einem gewaltigen Felsensee.

Der See war blank überfroren. Hinter ihm strebte eine ungeheure Wand auf, Tannen düsterten davon nieder und funkelten aus dem Eisspiegel wider.

Die Törin trat auf das Eis und sah erschrocken ihr Widerbild darin schreiten, sah es zum ersten Mal, denn die hüpfenden Wildbäche des Gebirges, die fallenden, prallenden Wasser und der wallende Hausbrunn, die ihr vertraut waren, entbehrten der spiegelnden Ruhe.

Nun nahm sie im Eis das holde Antlitz wahr und die edle Bewegung der Glieder und hielt das Bild für eine liebliche Schwester, die hier unter der gläsernen Decke in den See gebannt war und nicht heraus konnte.

Und wie die Törin über den See schritt, der schwarz war wie dunkles Glas und klar bis auf den tiefsten Grund hinab, so ging sie dahin wie in Lüften, darunter das Nichts hängt, und unter ihren Füßen wandelte rastlos das liebliche Gespenst.

Das Eis krachte. Aber sie wusste nicht um die Gefahr.

Lange kniete sie auf dem Eis und vertiefte sich in des eigenen Bildes sehnsüchtiges Geisterantlitz, das halb lächelnd, halb ernst war und dadurch zauberhaft auf sie selber zurück wirkte. Dunkel gehemmt, wagte sie nicht, das Eis zu zertrümmern, um die andere zu befreien.

Dann brach der Winter ein mit sperrenden Schneemassen, und Rotten von Wölfen wechselten durch die Klammerschlucht und umstellten die Kohlstätte.

Als im zögernden Frühling gewaltige Tauwasser zu Tal schossen, die Welt sich wieder mit Farben rüstete und der Kuckuck anlangte, als im Bergwald wieder der junge Mai lauschte und die Steige gangbar wurden, suchte das Mädchen den geheimnisvollen Spiegel heim.

Wie ein dunkler, schwermütiger Kristall war der See dem Gebirge eingesetzt. Hoch droben auf der Wand stieben zersetzte Tannen auf, glänzten feuchte Felsen, blinkte letzter Schnee. Und in dem großen Spiegel fand die Törin die Geisterschwester wieder, greifbar nahe und dennoch durch eine furchtbare Bestimmung unerfassbar den sehnsüchtigen Händen.

Zuweilen schimmerte in der Tiefe ein sanftes, grünes Licht wie von milder Leuchte. Mit seinen in unsäglicher Zartheit gespiegelten Bäumen und Wolken und Farben schien der See eine kleiner, edlere Welt in sich zu tragen, und die Törin wäre nur zu gern in diese sanfte, entrückte Geisterlandschaft hinab getaucht, in diese zitternden, ungewissen, wundersamen Felswälder, um drunten mit der Fremden zu spielen, die sie glücklicher ahnte als sich selbst.

Doch schreckte sie immer irgendein Geschehnis zurück, so dass sie sich nie mit der Gespielin vereinen konnte. Da barst einmal droben ein Fels, zersplitterte die Tannen, polterte nieder, empörte den See und ertrank darin. Da glotzte ein Fisch mit kalten Augen aus der Tiefe, oder er sprang hoch und wies den glitzernden Bauch. Da senkten sich wilde Schwäne nieder, rastend im Wanderflug. Oder es kräuselte sich auf einmal silbrig und zart die Oberfläche unter des Windes Gang, oder lagerte die Wand plötzlich drohender, und der Nebel führte davor den lautlosen Geisterreigen und malte sich dahin grauend in den veränderten Wassern. Oder es schwamm ein zerrissener, bleicher Baum feierlich und erschreckend in der Strömung daher.

Sie weinte sie denn ihre weißen Tränen in die Flut und griff verlangend hinab, und im verstörten Spiegel erlosch der geliebte Schatten.

Und der launische See lag bald in seiner Bläue dem Himmel verschwistert, bald düsterte er schwer in sich hinab und nahm all das strenge, ernste Grün auf, das die Bäume in seinen Schoß gossen. Die Törin aber saß davor, verloren in ihr Bild und pfiff ihm ihre herben Weisen vor, und erst wenn sich die Tiefen nachtfinster verschlossen, wich sie von dem Schattensee.

Die Sonnwend kam, spärlicher ward der Vogelsang und verlor sich. Und einmal, als sich die Sonne aus dem Gebirge hob, die Erde in Tau dampfte und die Törin unter einer schwarzgrünen Tanne schlief, kam ein Fremdling auf müdem Ross durch die rauen Täler geritten. Sein Wappentier war ein Falke, der mit offenen Fängen aufwärts stieg. In seinem Helm saß ein zersprungenes Kleinod, sein Schild war von harten Streichen zerschlitzt, und sein Harnisch rostete. Der Bart, mit grauen Fäden durchsponnen, floss ihm breit über das Brusterz; das Auge war dunkler worden, seit er vor langer Zeit gesprengt durch den Übelamenwald.

Er sah die Jungfrau ruhen und atmen, und er wähnte, es sei dieselbe, die er einstmals in taugrüner Stunde hier an derselben Stelle geküsst. Sie war nicht gealtert, sie war viel schöner und strahlender als vormals, das Antlitz schmäler und edler, edler auch das Maß ihrer Glieder. Üppiger lockten die Lippen. Blaues Geäder dämmerte durch die weiße Haut, und ihre Hände lagen schlank ineinander verflochten auf der lebendigen Brust. Blüten, vom Tau beseelt und beseligt, umstanden ihr Lager; das unschlüssige Wunderspiel eines Pfaufalters umirrte sie wie ein Wunsch, der seines Zieles nicht gewiss ist.

Weiße, überschwängliche Wolken leuchteten durch die Wipfel. Der Sommerwald war todstill. Nur eine Biene sang. Der eiserne Mann sah lange das Mädchen an. Dann neigte er das Kinn auf den Panzer und flüsterte: »Nichts zweimal!« Ein schwarzer Waldvogel krähte auf.

Da graute dem Ritter jäh vor dem schönen Gespenst, das nicht altern konnte, er spornte sein greises Ross und ritt davon.

Sein Harnisch verglomm fern zwischen den Stämmen.

*

Der alte Köhler verfiel immer mehr. Er tat keinen Handgriff mehr, vergaß sein Gewerbe und lungerte den lieben, langen Sommer faul auf der Laubstreu. Die Gesellen spürten seine Ohnmacht und gehorchten seinen immer kindischer werdenden Befehlen nur mehr, wenn es ihnen behagte.

Einmal schaffte er an: »Der Turmbaum muss weg! Er passt mir nit in den Wald, er ist zu hoch.«

»Er ist steinalt und könnt morsch werden«, nickte der Urch.

»Wie bärtig und zottig er ist! Putzen wir ihn weg!«

Als nun Wolftriel ausholte und die Axt in den hochbejahrten Baum trieb, dröhnte auf einmal der Boden, es stampfte und schnaufte und stürmte, als fahre der ewige Jäger mit seinem Gejaid daher.

»Der Türsch ist wach«, kreischte der Alte.

Schon trollte der Riese heran, ein Kerl so gewaltig wie der gefährdete Baum. Die Tannenrauschten, daran er streifte. Gebüsch knackte und prasselte unter seinem Fuß. Die mächtigen Nüstern stießen Rauch in den kühlen Tag.

»Der Wald erschillt«, stammelten die wulstigen Lefzen, deren obere von einer Hasenscharte zerrissen war. »Das Beil hat mich geweckt. Lasst mir mein Kräutel stehen!«

Der alte Köhler hinkte herbei. »Warum sollen wir den Baum nit schlagen? Er tragt nit guldene Zapfen, und es stehen solche noch tausend im Wald.«

»Brecht den Wiftel nicht!« lallte der Riese. »Ich bin so viel Jahr alt, als die Nadeln hangen am Pechelbaum. Brecht ihn nit! Sunst weiß ich mein Jahrzahl nimmer.«

»Wie alt bist du?« fragte der Urch.

Der Riese lachte blöd. »Ich bin in den Tölpeljahren.«

»Urch, renn in die Hütte, hol einen Brand!« flüsterte der Köhler.

Der Wolftriel zog die Stirn in harte Falten, schwang die Axt und hieb trutzig in die Kerbe, die er bereits geschlagen hatte.

Da bleckte der Türsch seinen Eberzahn, er sträubte die Brauen, packte sein steinernes Messer und fauchte: »Lass ab, Kohlruß! Den Bauch schlitz ich dir auf.«

»Wo ist die Runsa?« kicherte der Köhler. »Hat sie dir das gläserne Ringlein gestohlen? Weinst du noch allweil drum?«

Altes, ungefüges Leid ergriffe den Riesen: des Frevels an seinem Baum vergessend, röhrte er: »Die Runsa ist hin!«

Der Urch kam gerannt, einen knatternden Kienbrand schwingend, und gellte: »Feurio! Feurio!«

Ängstlich sah der Türsch das Unheimliche nahen. »Wie es flodert! Wie es Flunken schmeißt!« staunte er. Schritt um Schritt trat er hinter sich zurück, und als die Flamme nur mehr einen Beilwurf weit war, drehte er sich jäh um, gab Fersengeld, und die Wildnis rauschte hinter ihm zusammen.

Der Urch zerdrückte den Brand in der hürnernen Hand.

»Wunderalt mag er sein, der Türsch!« meinte er.

»Ehmals hat er den Kirchturm von Neuern entrückt und die Wildsäue an den Schwänzen zusammengebunden«, schwätzte der Alte. »Mein Vater hat ihn einmal liegen sehen bei guter Sonne zwischen den Bergen Ötwech und Zwereck, dort hat er sich den Nabel gesonnt, der Alberne, darein hat er einen gläsernen Stein gesetzt.«

Der Wolftriel fuhr auf, seine Augen flammerten: »Den Stein nehm ich ihm.«

»Ich mag ihn haben«, rief der Urch.

»Ich fang den Türsch, ich heb das Nest aus«, zischt der Wolftriel.

Ihre Stimmen kreuzten sich wie feindselige Spieße.

Der Alte rief: »Ihr müsst ihn fangen, eh die Sonne den Berg hinunter fährt. In der Nacht ist er viel stärker als bei Lichten.«

»Wir wollen es tun«, grinsten die Brüder.

Sie stürzten rasch die hohe Tanne, dass sie schütternd und prasselnd zu Boden schlug, drei andere mit sich reißend. Dann sägten sie den Stamm in Blöcke und zwängten in einen der gewaltigsten Klötze einen Keil.

»Jetzt leg ich dem Türschen einen Speck auf die Falle«, lachte der Urch, tat eine Wildsau, die sein Bruder gefällt hatte, an den Spieß und briet sie.

Als der Duft aufstieg und sich in den Wald schlug, schlich der Riese daher, gelockt und betäubt von dem kräftigen Geruch. Seine Nüstern brausten. »Das Wildbret will ich schlünden«, lechzte er, »mich hungert.«

Der Wolftriel deutete auf den verkeilten Klotz. »Erst hilf mir, das Holz da auseinander zwingen. Ich bin zu matt.«

»Wohl helf ich dir, Notnagel«, rief der Ungestüme fröhlich, tappte hin und fuhr mit den Fingern in die Fuge. Im Hui riss der Wolftriel den Heil heraus, da stand der Türsch geklemmt.

Vor Schmerz brüllte er auf und wollte sich befreien, und da es ihm missriet, den Klotz zu zerreißen, entrann er mit ihm in den Wald.

Die beiden Gesellen schämten sich wie Raubtiere nach misslungenem Sprung.

»Alle neun Donner!« schalt der Wolftriel seinen Bruder. »Du bist schuld, dass er davon ist. Du hast den Klotz zu klein gewählt.«

»Wir hätten den Schelm in einen Felsen einzwicken sollen«, murrte der Urch. »Ich betrüg ihn denoch um seinen groben Leib!« Und er schüttelte den alten Köhler bei den Schultern. »Was rätst du mir, Herrlein?«

Der Alte saß auf dem Strunk des Turmbaumes, sein Gesicht war schon ganz vermoost,nur die Augen funkelten noch drin aus zwei kleinen Löchern. Er schneuzte sich in den Ellbogen und murmelte, er wisse keinen Rat.

»Der müde Simsam taugt nit zu solchem Werk«, rief der Wolftriel verächtlich. »Er hat noch keinen umgebracht.«

»Oho!« prahlte der Alte auf. »Wie mein Vater nimmer hat Holz hacken können und wie ihm die Jahre das Haar genommen, hab ich ihm eine Grube gegraben, hab ihn hineingelegt und fein warm zugedeckt mit Rasen. ›Duck dir, Vater, duck dich!‹ hab ich ihm gesagt.«

»Du taugst nimmer, Herrlein«, beharrte der Wolftriel grausam, »du bist müßig gangen den ganzen Sommer. Dein Blut ist schon sauer, deine Kraft schabab.«

»Nein, nein, ich bin noch frisch«, wehrte der Alte ab.

Der Urch grollte: »Im Winter hast du den besten Sitz am Feuer, wir anderen müssen frieren. Du solltest doch einmal das Hinfahrtshemd anlegen.«

»Wollt ihr mich vom Herd schaffen? Soll ich auf dem Stein vor der Tür liegen im Winter? Das Wetter schlag euch ins Aug!« fluchte der Alte und schleppte sich davon.

*

Die Tage, die damals übers Gebirge kamen, waren sommerlich warm, trotzdem dass sich mancherorten die Birken schon verfärbten und geheime Glut im Laub ward.

Verhaltener sausten die Kronen, silberner und keuscher rieselten die Quellen. Je und je stand ein dunkler Baum starr eingegossen in den stillen, goldenen Herbst.

Die Törin badete im weißen Fall des Klammerbaches, der blendend wie ein Brautschleier niederhing; das Gestäub umsilberte und umrauschte siebenfarben den jungen Leib. Sie wusch sich die langen rotgoldenen Haare und ließ sie schwimmen, sie wusch sich die hohen Brüste, und dann ruhte sie und pfiff laut und weich.

Weißgrünes Wasser, ratlos nach jähem Sturz, irrte zurück und ging im Wirbel. Eintönig scholl das Gesaus der Klamm. Mitten in einem süßen, bangen Pfiff brach die Törin ab. Über ihr am felsigen Ufer hatte sich das Gebüsch geteilt, ein urfremdes, riesiges Scheusal glotzte herab und rief: »Pfeift ein Amixel so hellauf? Bist du ein Vogel?«

Betroffen stand sie ob des ungestalten Mannes. Aus dem schartigen Maul wuchs ihm das Haar, von den Brauen wucherte es aufwärts über die Stirn, überall wildes verfilztes Haar, nur aus dem Scheitel glänzte eine kahle Beule. Die Hände hatte er blutig.

Er kauerte droben hin und wühlte verlegen im Bart.

»Dein Antlitz ist nit rußig, deine Augen glinzen.«

Sie hörte die Schmeichelei nicht. Sie deutete verstört auf seine roten Hände. Schreien konnte sie nicht.

An den Brauenvorsprüngen, die gleich drohenden Felsen über seinen Augen hingen, zuckte es, die dicken Lefzen verzerrten sich. »Sam mir der Donner! Dem Kohlruß hab ich die Hirsche zerrissen. Drum blut ich.«

Läppisch griff er nach ihr hinab.

Ihr ekelte vor den roten, abscheulichen Fingern, schrill schrie sie auf.

»Was wimpelst du, feins Tierlein?« schmeichelte er. »Bist gar so kungunderwinzig!«

Fliehend watete sie durchs dunkle Wasser.

Wie eine Schlange schlüpfte sie in ein Steinloch.

Der Riese hob die Felsplatten auf und wälzte sie fort und grub lange nach ihr, um sie zu haschen und mit ihr zu spielen. Aber seine Finger waren zu ungeschickt, er fand sie nicht.

*

Die Köhler schäumen vor Wut, als sie das Aas ihrer vermissten Hirschkühe auf dem Dach der Meilerhütte sahen. Sie wussten gleich, wer ihnen die Tiere zerfetzt hatte, sie fanden die Fährte des Riesen im Tau.

Am selben Tag blieb der Klammerbach aus, und der Brunn, der bei der Köhlerei in den Einbaum fiel, versiegte.

»Der Türsch hat den Berg ausgesoffen«, greinte der Alte, »er tut uns alles zu Possen. Jetzt müssen die Mühlen feiern und die Hämmer, das Wasser wird lang nit rinnen.«

Inder die Gesellen einen neuen Meiler mit Reisig begrasten, saß der Köhler am Rand des leeren Troges und ließ die Füße müßig baumeln. Der Urch, in dem der Groll wühlte ob des metzgerischen Riesen, hielt in der Arbeit inne und lugte eine Weile dem Alten zu. »Hilf uns, Herrlein!« rief er unwillig.

»Ich kann nix mehr heben, ich kann mich nimmer bucken«, raunzte das Herrlein. »Ich bin müd, die ganze Nacht hab ich kein Aug nit zugetan. Die Trud hat mit ihren zwei langmächtigen Armen durchs Dach gegriffen und hat mich gedrosselt.«

»So rat uns, wie wir den Türschen abtöten sollen!«

»Mein Hirn ist leer, ich weiß nix«, mummelte das Herrlein, saß mit schlaffem Mund und nickte schier noch während des Redens ein.

Die Brüder lauerten schief hin in das Gesicht des Alten, das voll grünlicher Flecken war, als schimmele es.

»Er seufzt nur mehr, sonst kann er nix. Er nutzt nimmer«, zürnte der Wolftriel. »Die Nase rinnt ihm, das Moos wachst ihm im Bart. Alt ist er und kalt.«

»Duck dich, Vater, duck dich!« stieß der Urch durch die Zähne. Da stierten sich die zwei an mit finsteren Augen, dahinter finstere Hirne gärten, sie nickten sich grässlich zu, und ein heiserer Vogel schnarrte, als wäre er mit ihnen einverstanden.

Kurz danach in einer Frühe schaufelten die Brüder den Karren voll der hölzernen Kohle.

»Fahrt ihr zum Schmied?« fragte der Alte. »Nehmt mich mit!«

Der Wolftriel aber reichte ihm eine Axt. »Du bleibst daheim. Du wärst ob deines Alters den Schmiedkindern zum Spott. Doch den Meiler sollst du hüten, dass das Feuer nit ausbricht, und mit der Axt da sollst du die Föhre stürzen, der der Turmbaum den Wipfel zerbrochen hat.«

»Mir tun die Flechsen weh«, weigerte er sich, »die Gicht zieht mir den ganzen Leib zusammen.«

Sie ließen ihn klagen und zogen selbander den Karren in die ferne Schmiede.

Todmüde kamen sie wieder n den Übelamenwald heim und hatten vor den Wagen eine Kuh gespannt und ein volles Fass aufgeladen.

Das Herrlein stand vor dem Meiler, die Augen scheu wie ein Rossdieb, und seines Gesichtes blasse Angst schimmerte durch Schmutz und Bart hindurch.

Der Wolftriel flackerte ihn an: »Die Föhre steht noch!«

»Ich hab nimmer können«, flennte der Alte, »die Kraft ist nimmer da, die vielen Jahre haben mich vermüdet.«

Der Urch schalt: »Der Bach ist leer! Kein Tropfen im Einbaum! Wir sollen die Äxte schleifen. Wo nehmen wir das Wasser dazu her?«

»Was habt ihr mir mitgebracht, meine Büblein? Was ist im Fässlein drin?« geiferte lüstern der Alte.

»Nix für dich.«

»Dann melkt mir die Kuh! Ihr Euter strotzt.«

»Die Milch willst du uns auch noch wegsaufen, du nutzloser Mann? Hol dich der Hinker!«

Das Herrlein watschelte zu dem Fass, betastete es mit den dürren Fingern, schnüffelte daran und leckte an dem Zapfen.

»Greif das Fass nit an!« drohte der Wolftriel. »Es gehört dem Türschen.«

»Ihr wollt den groben Schroll mit Branntwein lohnen?« klagte der Alte. »Er verdient ihn nit. Gebt ihn mir, dass ich Kraft krieg!«

Die Männer trieben ihn weg.

Als die Sonne zu Rast gegangen war, schütteten sie das Fass in den Brunntrog, waffneten sich hernach in der Hütte mit Schürbaum und Hacken und lauerten.

Die Finsternis rann aus dem Wald, und es wurde kühl. Ein Kauz hohnjauchzte, und im Gebirge huben die geilen Hirsche zu röhren an. Der Meiler schwelte in der Nacht.

Der Türsch ließ nicht lange warten. Er brach aus der Wildnis, neigte sich über den Einbaum und roch.

Heute stank das Wasser nach Feuer. Hatte eine Flamme drin gebadet?

Er scheute sich zu trinken: die Köhler waren heimtückisch. Mühsam bedachte er sich. Jeweilen näherte er die stumpfe Nase dem Trog und sog wild und gierig den Dunst des Trankes ein. Aber immer wieder riss er den zottigen Schädel zurück, das Gelüst zähmend, und sann schwerfällig nach und ahnte, dass er sich hüten müsse vor den drei Erdwürmern. Es mochte wohl Eisenwasser sein im Einbaum, die Rußigen schleifen drin ihr hartes Werkzeug, das den trotzigen Wald anfällt und niederbeißt. Eisen, stärker, schärfer, gefährlicher als Stein, Eisen hat in dem Trog da gebadet. Eisenwasser, hei, das müsste wohl stark machen, dass man die Berge aus ihren Nestern rütteln und die Täler mit Felsen zuriegeln und Felsen nach den Plätzen schleudern könnte, wo das Feuer eingekäfigt ist und der Rauch steigt! Hei, so einen ungeheuren Berg zu werfen tief ins Land hinein, wo der falsche, kluge Mensch sich mit Mauern schützt und seine festen Türme gepflanzt hat! Hei, mitten darein den Osser zu schleudern!

Der Türsch warf die Hände über sich, als müsse er aus den Lüften die rasende Kraft erpacken, die er sich wünschte.

»Eisenwasser macht stark.« Mit diesem Gedanken besiegte er sein Misstrauen. Er bückte sich und hob den Trog an die Lefzen.

Eine Flamme rann ihm in den Leib. Sein Hals brannte, sein Herz zuckte. Nun schien der Trunk in seine Adern zu münden und an des Blutes statt drin zu kreisen. Und süß war das Eisenwasser, namenlos süß!

Der Bart troff dem Riesen, die Augen wurden ihm glasig vor Lust, den Atem benahm es ihm. Er musste innehalten im Trunk.

Mit jähem Ruck tauchte jetzt der Mond über den Wald und stand, ehe er noch gewarnt werden konnte, auf einem dürren Wipfel festgespießt. Der Türsch gähnte, als wolle er ihn verschlingen, und langte mit den Armen nach ihm.

Da machte sich der Mond schmächtig, als wolle er sich durch die engen Stämme schleichen und auskneifen, und er krümmte sich demütig wie ein Sichlein und war auf einmal verhuscht. Nun war alles finster, die Berge gespensterten unsicher, und dem Riesen dunkelte es vor den Augen.

»Des Mondes bin sich verlustig«, seufzte er.

Doch da hing die gelbe Scheibe wieder in Fülle droben und blendete ihm ins Gesicht. Und der Mond murrte etwas, schnitt eine grelle Fratze und erbrach eine helle Lache über die Kohlstätte.

»Bist du wieder da, Rädlein«, zürnte der Türsche. »Sam mir der Donner, ich schür dich auf!« Er hauchte den Mond an, dass er trüb anlief.

Nach solchem Spiel schien es dem Riesen an der Zeit, seinem Durste weiter zu frönen. Er hob behutsam wieder den Einbaum, keinen Tropfen zu vergeuden, und goss sich ihn bis auf die letzte Neige in die Gurgel. Sogleich fühlte er ein wirbelndes Feuer in sich, und Kraft bedrückte ihn, die sich messen wollte, und Übermut schwoll überwallend auf, und in solcher Bedrängnis wusste er sich keinen fröhlicheren Ausweg, als dass er den scheuntorbreiten Hosenlatz auftat und seinen Brunnen ließ in den leeren Trog.

Dann hob er das Knie, klatschte auf die Schenkel, tanzte tölpisch und wackelte dazu mit dem Kopf, rülpste und redete in einer knorrigen, verwitterten, ungelenken Sprache allerhand Läppereien oder sang aus rauer Drossel ein ungereimtes, verrücktes Lied:

»Beiß Bixbaum, beiß Buxbaum,
beiß bexbuxbirnbaumern Bein!«

Dabei stolperte er über einen Scheithaufen, taumelte und fiel hin. So oft er sich aufraffen wollte, so oft kollerte er wieder zurück. Schließlich wünschte er gar nimmer, auf die Beine zu kommen, das Liegen tat ihm wohl, und ihm war, eine Wolke fließe ihm durchs Hirn und verhülle alles, was ihm je das Leben versauert hatte. »Das Wasser ist stärker als ich«, lachte er.

Da regte es sich im Schatten.

Der Mond stutzte und hielt in seiner Auffahrt inne.

Der Trunkene horchte.

»Reckt der Rabe den Flittich? Pflodert der Schuhu?« lallte er.

Droben im Wald schrie ein rasender Hirsch, und sein Nebenbuhler erwiderte ihm.

Der Wolftriel und der Urch sprangen herdann.

Mit Stricken und Ketten flochten sie dem ungefügen Mann die Füße zusammen; in ihren berußten Joppen, mit ihren langen, spitzen Nasen hüpften sie wie zwei Nachtraben um ihn.

Er wehrte sich nicht. des süßen Trankes voll, liebte er die Gesellen, die sich um ihn mühten, und hielt sich für geliebt und fürchtete keine Gefahr für sich. Das Treiben der beiden schien ihm ein harmloses und ergötzliches Schelmenstück, daraus er zwar nicht klug wurde, das aber des Zuschauens wert war, und so hielt er lachend und geduldig still, als der Wolftriel ihm den Hals an eine gewaltige Wurzel festband.

»Ist das rinnend Feuer von dir, Schürigankel?« fragte ihn der Riese. »Es sei dir vergolten, du sollst noch siebzehn Jahre leben!«

Nun hinkte auch das Herrlein herzu und leuchtete mit einer Fackel das gefesselte Ungeheuer an.

»Furkel mit nit vor dem Bart, Erdwürmel!« bat der Trunkene schläfrig.

Doch der Alte erwiderte: »Du wunderalter Türsch, sag mir das Kräutel, das gegen den Tod gewachsen ist, sonst seng ich dir die Augen aus!«

»Enzigon und Pimmelwurz wachsen gen den Tod, am Dornstag muss man sie brocken«, kicherte der Riese. »Das weiß ich, aber ich sag es dir nit.«

Der Wolftriel war ungeduldig. »Ich stoß ihm den Schädel ab. Was soll das Geschwätz?« raunte er dem Bruder zu.

Doch der Urch wehrte ihn zurück, er hätte gern manches erfahren von dem Riesen.

»Woher kommst du, du gewaltiger Mannsmensch?« fragte er.

»Aus dem dummen Land komme ich.«

»Frisst du auch Leut?«

»Die Rösser haben ein feines Fleisch, das haltet an im Darm, sonderlich die Hufe.«

»Hast du eine Seel im Leib, Türsch?«

»Nix hab ich, ich bin hohl. Drum gib mir Eisen? Das macht stark. Eisen will ich schmecken.«

»Das sollst du«, brüllte der Wolftriel. Er war nimmer zu bändigen und hackte mit der Axt wütend auf den Riesen ein, und dieser staunte über die Schmerzen, die ihn nun so plötzlich nach den Wonnen des Trunkes überfielen, und sah mitten in seiner Tötung, wie der Mond sich auf einen Ast niederließ und dort ruhesam einschlief wie ein geplusterter, satter Vogel.

Auf einmal erkannt der Türsch, dass etwas Ungeheuerliches, Schreckliches, dass ein fahler Frevel an ihm geschah, er wand sich und bot sich und schnaufte, dass den Köhlern der Ruß aus dem Bart stob, und schrie grauenhaft auf, und sein Schrei überschwoll allen Lärm die Wälder, die von der Hirschbrunft dröhnten.

Unter den Streiche des Wolftriel kugelte ihm der Kopf auf den versengten Rasen der Kohlstätte, und die Köhler steckten den Kopf auf den Wipfel eines Baumes. Dort riss er noch einmal das blutende Maul auf und rief rau und wehmütig übers Gebirg hin: »Runsa!«

Die Mörder suchten am Leib des Erschlagenen das Kleinod, davon das Herrlein gefaselt hatte, und als sie es nicht fanden, schalten sie den Alten ob seiner Lügen und hießen ihn schlafen gehen auf die Streu.

Hernach zerhackten sie den Leichnam wie einen gefällten Baum. Die Trümmer schleiften sie mit großer Mühe in ein Dickicht.

Bei diesem Werk begegnete ihnen die Törin. Sie hatte den Schrei gehört, sie roch etwas Schwüles, Entsetzliches, einen finsteren Duft, wie sie ihn noch nie wahrgenommen.

Die Männer wischten sich die bluteigen Finger in die Bärte und starrten das Mädchen an. Sie war schier nackt, und ihre Haut war in der Finsternis von grauenhafter Helle, wie eine Blendblume durchbrannte sie die Nacht.

Da erkannten die beiden jäh, dass das Mädchen zu ihren Jahren gekommen war, und sie standen gebannt und waren erregt wie Glut, darein ein Schürbaum gestoßen.

Der Wolftriel trat an sie heran, fasste sie mit den feuerharten Fingern und betrachtete sie mit gefährlich langem Blick. Sein Hauch stand sie an: »Hallo, willst du dem Türschen sein Herz fressen?«

Der Griff schmerzte sie, sie wand sich los. Sie fühlte, dass die zwei Männer mehr zu scheuen waren als der Wolf im Winter.

*

Der Wolftriel und der Urch hatten mit Stangen Löcher in den glosenden Meiler gestoßen, dass die Luft durchziehe. Nun stolperten sie mürrisch und mit triefenden Schläfen in die Hütte.

Der Alte aß gerade. Er tat hastig und gierig, als habe er schon tagelang gehungert, und der schmutzige Bart hing ihm dabei in die Milch hinein. Ihn verdross es, dass die Gesellen das Behagen seines Mahles störten, verlegen strich er sich durch den wirrverfilzten Schopf, und seine Augen fragten misstrauisch von einem zum andern.

Der Wolftriel rasselte ihn an: »Du ewiger Fraß!«

Der Alte ward feuerrot, ein rauer Husten erschütterte ihn, und er hustete, was er in Mund und Schlund hatte, wieder in die Schüssel zurück. »Neidest du mit das Tröpflein?« ächzte er.

»Bei der Schüssel hältst du dich weidlich, da füllst du dich an wie eine Zecke. Aber einen Baum kannst du nimmer stürzen!«

»Ich bin noch frisch!« schrillte der Köhler. Seine Augen irrten unruhig in den engen Löchern umher, als wollten sie daraus entspringen, und standen auf einmal wie ertötet unter dem unbarmherzigen Blick des Urch.

»Ihr tut mir nix«, lächelte er blöd und grübelte mit dem Finger im Ohr. »Es reißt ja ein Wolf den andern nit, außer es ist Hunger im Wald. Ich weich ja bald. Trage nur Geduld mit mir!«

Am Schemel spann die Törin, den Rocken zwischen den weißen Schleier von Traum und unklarer Sehnsucht, und sie hörte nicht, was um sie vorging.

Plötzlich aber war ich, als träfe ein glühender Stich ihr Knie. Sie schrak auf und sah, wie die Gesellen ihr Fleisch angafften mit wütendem Durst.

»Was schaut ihr die Törin an wie märzige Kater?« zeterte der Alte. »Schert euch zum Kohlhaufen!«

Der Wolftriel richtete sich auf wie ein Erwachender, über seiner Nase gruben sich tiefe, böse Falten lotrecht in die Stirn. »Alter, deine Zeit ist da«, knurrte er, »wir wollen dich von der Erde tun, wie es der Brauch verlangt.«

Das Herrlein ward grau wie Baumrinde. Er wehrte sich, er fletschte die ausgefaulten Zähne, holte die letzte Neige seiner versiegenden Kraft aus sich uns stieß mit den dünnen Armen, mit den müden Beinen um sich. Doch die beiden überwanden ihn rasch und schleppten ihn zur Tür hinaus.

Jetzt bettelte er: »Lasst mich! Diesen Winter leb ich nimmer aus.«

»Das hast du schon oft gelogen«, erwiderte der Urch. »Der Tod rupft dich heuer wieder nit ab. Wir trauen dir nimmer.«

»Ich bin noch frisch«, sagte der Köhler weinerlich, »ich verwillig mich nit in euer Tun.«

»Du musst daran«, sprach der Wolftriel, »du bist ein alter Mann, der nimmer kann. Und nimmer nutz, nimmer lieb.«

»Ich will euch wieder helfen, das Holz verkohlen und Tannenstöcke ausgraben und die Bäume werfen. Ich will wieder jungen«, gelobte er heulend.

Späte Krähen flatterten und schrien rack rack, die schwarzen Flügel schlugen.

Die Männer zerrten den Alten in den Wald zu einer frisch aufgerissenen Grube. Er zittert, dass er sich kaum mehr in den Knien halten konnte. »Ihr bösen Buben, ruht mit euern Schwänken!« greinte er.

»Herrlein, es ist so bräuchlich. Wir tun nit unrecht.«

Er stöhnte. »Ich weiß es. Aber ich will noch nit hinein.«

»Gib dich drein, Herrlein! Du hast schon lang genug gelebt.«

Am Rand der Grube kam es noch zu einem kurzen Kampf, dann stießen sie ihn hinab, und drunten wehrte er mit den krummen, gelähmten Händen, mit den entkräfteten Armen den Schutt ab und den Wasen, der auf ihn niederfiel. Vor Wut zischte er wie eine Natter, die fahle Zunge spielte zwischen den zerbrochenen, geschwärzten Zähnen. »Der Blick soll euch erglasen!« fluchte er. »Was versteckt ihr mich unter der Erde? Ich hab mich noch nit satt gelebt.«

Die Männer droben hatten Herzen wie Sperber. »Deck ihn nur fest zu, dass er nimmer fliehen kann«, spornte der eine den andern.

Sie stürzten gleichmütig die Schollen auf ihn hinab und töteten reuelos, bedenkenlos wie Tiere. »Leg dich hin und stirb!« mahnten sie das Herrlein.

Als der Alte halb verschüttet lag, ergab er sich in sein Los und sagte beruhigt und versöhnt: »Achtet nur auf den Meiler, dass das Feuer nit drausschlägt!« Hernach schwieg er und ward verhüllt.

»Wir hätten ihn tiefer im Wald vergraben sollen, dass er nit heimfinde«, meinte der Urch.

Die Törin schaute von Ferne zu und dachte vergebens nach, warum die zwei den schmutzigen Alten verscharrten, der sie das Spinne gelehrt und ihr von dem Türschen erzählt hatte, und warum er sich gar so unbändig widersetzte.

Es dämmerte. Die Berge dräuten einander wie dunkle Unholde, die sich zum Zweikampf aufrufen. Nebel flossen aus der Klammerschlucht, rankten um die Baumspitzen und blieben dran hangen. Fahle Dünste schlichen durch die Stämme. Im Gewölk brannte noch eine Welle ein höllisches Feuer und verscholl dann hinter dem Nebel.

Der Urch ging auf die Törin los. Sein Gesicht war voller Krusten, der Schnauzbart strahlte ihm steif von der Lippe ab wie einem Waldkater. Er war übel gewachsen und auf der Brust voll hässlicher Haare.

»Greif sie nit an!« drohte ihm Wolftriel. »Sonst erhau ich dich.«

»Dass dich der Wolf nage! Mir gehört sie auch«, knirschte der andere.

Der Wolftriel brüllte: »Sie ist mein!«

Die wilden Adern strotzten ihnen an der Stirn, zum Springen prall vor Hass, ihre Finger krümmten sich spielerisch und würgten die Bilder ihrer Hirne. Sie tappten nach den Schürstangen und schlugen auf einander los. Nach den ersten unbarmherzigen Hieben floh der Urch in den Wald, und der Wolftriel sprang ihm nach.

Das Mädchen blieb allein auf der Kohlstätte.

Wie ein launisches Gespenst stieg der Rauch aus dem Meiler, schwermütig und bedrückend ragte der halb verschleierte Wald, die Wipfel wie gelähmt, die Äste ohne Sang, die Luft ohne Laut. Auf einer Staude stand der düstere Vogel Wendehals, öffnete toll den Schnabel, drahte den Kopf wie eine gereizte Otter und zischte nach der Törin.

Ihr Antlitz war verschlossen, das grüne Auge zu Smaragd versteinert.

Im Wald schlugen die Stangen gegen einander. Die Zwei rauften lange.

Endlich war es still.

Der Wolftriel taumelte mit blutigem Schürbaum aus dem Dickicht, hinter sich eine rote Fährte. Er leckte sich die Wunden.

»Koch Tannenzapfen, Törin!« ächzte er. »Mit dem Sud sollst du mir die Schrunden waschen.«

Scheu trat sie zu dem Mordmann hin.

Von seinen Wunden trunken, wirr von ihrer Nähe, fasste und presste er sie mit zerstörendem Grimm an sich. Seine Augen klafften gleich schwarzen Schluchten, und ihr war, sie würde in diese verschlingenden Augen hinein gerissen und müsse drin verschwinden. Solche Augen hatte der Wolf, wenn er lechzend der Wölfin nachtrollte, so stierte der Hirsch, wenn er im Vorherbst schnauend seine Kühe ritt. Ein fremdes Grauen schüttelte das Mädchen, die Brust jagte ihr. Ihr dämmerte verworren auf, was Fürchterliches der Mann begehrte.

»Meine Hitze miss sich kühlen«, stammelte er. Er holte wild Atem, seine Schläfen belebten sich scheußlich, die Aderrünste darauf schwollen und zuckten. »In mir brennt es«, klagte er, »aus dem Maul muss es mir flackern.« Die eigenen Worte entzündeten ihn, wie eine Flamme in sich zurückschlägt.

Sie sah das verzerrte, missfarbene Gesicht hart vor sich, die hässliche, spitze Nase, die knechtisch niedere, beschmutzte Stirn, die siedenden, wüsten Augen. Ihr Blut schrak zurück, sie stieß den Mann mit jäher Kraft von sich.

Wieder tappe er nach ihr mit den schweißigen, schier kreisrunden Händen, mit den kurzen, verwahrlosten Fingern, die mit Warzen besät waren. Sein Hirn lallte, seine Zunge lag lahm.

Dreimal jagte er sie um den Meiler. Immer näher kam er ihr. Ihr toste das Herz.

Aus dem Übelamenwald stieg dumpf und hohl das Röhren eines Brunsthirsches und schwoll und zürnte empor, ward röchelnde Wut und fiel wieder, und der Nachhall spukte verstöhnend in der Wildnis.

Da sprang die Törin auf den Meiler hinauf und versank.

Eine Flamm fauchte heraus, und der Meiler stand loh.

Mit verbissenen Zähnen kroch der Wolftriel ins Moos. Das Blut schlich ihm aus dem Leib, und die Erde verschlang es.

Die rote Lohe aber brannte tagelang einsam für sich hin, uns als sie nichts mehr zu verzehren hatte, fraß sie sich selber auf.


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