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Pyramiden und – Kasernen.
Die schöngeistige Abendgesellschaft war heute von Seiner Majestät früher, als es sonst geschah, entlassen worden... Die Herren Hofrath Schlagfelder, Professor von Koppelsdorf hatten sich mit tiefen Bücklingen und neidischen Seitenblicken auf den Museendirector, welchen der König durch einen Wink bedeutet hatte zu bleiben, entfernt...
Die Majestät saß in einem Armsessel und bohrte die Spitze des Stiefels in das weiche, zottige Fell eines großen Neufundländers, welcher auf einem prachtvollen Teppich vor den Füßen des Fürsten lag...
Die Majestät war übellaunig, mißmuthig an diesem Abend.
Und sie glaubte Grund zu diesem Mißmuth zu haben...
Der Museendirector kannte diesen Grund recht wohl, aber er hütete sich, die Wunde direkt zu berühren, auf diesen königlichen Mißmuth baute er das Gebäude seiner Zukunft auf...
Der König hatte nach längerem Schweigen eine Frage über Marecampus' Aufenthalt in Aegypten hingeworfen. Dieser gab einige lebhaft gefärbte Schilderungen dieses alten wunderbaren Landes, das die ältesten Denkmäler und Spuren der menschlichen Gesittung enthält...
»Sire, Sie erwähnten die Pyramiden von Gizeh,« so schloß er... »Es war eine wundervolle, mondbeglänzte Zaubernacht, wie Meister Ludwig sagt, die sich herabgesenkt auf die Ufer des Nils... Ich saß auf der Pyramide des Cheops und blickte hinaus in die helle Landschaft. Fünf Jahrtausende zogen an meinen Blicken vorüber... Mein Geist versenkte sich in jene Zeiten, wo die Hirtenvölker in jenes Land fielen, in welchem schon die Cultur ihre ersten Zeichen eingegraben, als noch das Kreuz des Südens, welches jetzt dem Seefahrer an den Gestaden Südamerika's aus der nächtigen Himmelsbläue entgegenglänzt, über den Eichen- und Buchenwäldern der baltischen Länder stand... Vom Saume der Wüste sah ich sie herziehen die große Caravane... Dunkle Gestalten, in weißen, faltigen Gewändern, voran die Priester mit den blitzenden Reifen um das Haupt, auf hochbepackten Dromedaren. Der Staub der Wüste, die Ermattung der weiten Reise lag auf ihren Gestalten, in ihren Zügen. Von dort, wo die Wellen des weißen und des blauen Nils sich mischen, aus den Ebenen des südlichen Nubiens kamen sie... Und wieder wandelten Jahrtausende vorüber... Ein zahlreiches gedrücktes Volk, aus Asiens Ebenen stammend, wallte um die Ufer des heiligen Flusses... Und empor unter ihren fleißigen Händen stiegen die Denkmäler, welche sich die Pharaonen aufbauten, die Mausoleen eines Königsgeschlechts, das über zwei Jahrtausende seine Scepter über dieses Reich ausstreckte... Das waren Könige!.. O, Sire! mich faßte ein heiliger Schauer bei der Erinnerung an jene alten Dynasten, deren Staub unter mir moderte, in den Todtengemächern der Pyramide, bei der Erinnerung an die Macht und den Glanz dieses Purpurs, der den Thron des Sesostris bekleidete... Ein Wort aus dem königlichen Munde und es entstanden jene gigantischen Denkmäler, die seit Jahrtausenden bis herauf zu unseren Tagen durch ihre einfache Erhabenheit von der Macht und der Herrlichkeit jener Könige künden... So lange dieser Erdball die Bahnen durcheilt, die ihm die Hand der Gottheit angewiesen, so lange werden die Namen jener ältesten Herrscher des Aegypterlandes, die Namen Cheops, Chephren, Mycerin die Gemüther der Sterblichen mit scheuer Ehrfurcht erfüllen. In Staub zerfallen ist das Reich des großen Macedoniers, in Trümmer gegangen die Herrschaft der stolzen Cäsaren – die Pyramiden stehen noch..«
Der König hatte das Haupt in die Hand gestützt und gedankenvoll vor sich niederblickend, der Schilderung zugehört... Weder eine Geberde, noch ein Wort hatte den Erzähler unterbrochen. Das tiefe Schweigen des Fürsten dauerte auch noch eine Weile als der Museendirector geendet hatte und in sichtlicher Spannung irgend eine Aeußerung erwartete...
Marecampus kannte die Eigentümlichkeiten der Majestät sehr gut. Er wußte, daß dieses Schweigen die Stille vor dem Sturm bedeutete, der um so mächtiger losbricht, je dumpfer und je lautloser die vorhergehende schwüle Ruhe der Natur gewesen...
Plötzlich zerreißt ein jähes, thierisches Schmerzgeheul die Luftschwüle des Gemachs.
Ein heftiger Fußtritt des königlichen Herrn hat bei dem raschen Aufspringen des Fürsten den Neufundländer getroffen, der sich winselnd unter das Sopha schleppt...
Der König ruft ihm ein zorniges Couché zu und mißt mit heftigem, leidenschaftlichem Schritt das Cabinet...
Mit einem Male hält er in seinem Auf- und Niederschreiten inne und bleibt dicht vor Marecampus stehen, welcher vor dem lebhaften Blicke des Fürsten, vor diesem zornig funkelnden Auge das seinige mit einer gewissen scheuen, ehrfurchtsvollen Miene zu Boden schlägt, als könne er den Blick der Majestät nicht ertragen.
»Und mir verweigerte,« rief der König im Tone des tiefsten Unwillens, »der Minister der öffentlichen Bauten und der Finanzminister diesen Morgen die Bagatelle von zehntausend Ducaten, die ich für die Vollendung meiner Alhambra auf der Fasaneninsel brauche... Mir, dem Könige dieses Landes, hält man diese Bagatelle vor, unter leeren, hohlen Ausreden...«
»Sire, Sie sind ein constitutioneller König... Zu jenen Zeiten, da man die Pyramiden baute, wußte man nichts von jener Theilung der Gewalten, von dem le roi regne mais non gouverne...«
»Das heißt, der König ist eine Gliederpuppe, die der Herr Finanzminister einmal an diesem, der Herr Minister der Justiz an jenem Arme zieht... Wenn ich noch eine Million verlangt hätte!... Aber zehntausend Ducaten... Ich wollte die Alhambra zu einer Caserne für die Grenadiere meiner Garde einrichten... man hätte sie auf das Budget setzen können, aber der Finanzminister scheut die Vorwürfe der Kammer... er fürchtet eine Anklage...«
»Und zeigte sich nicht Seine Excellenz der Kriegsminister geneigt den Intentionen Eurer Majestät entgegenzukommen durch die Uebernahme der Verantwortlichkeit dem Landtage gegenüber...«
»Ah, bah, reden Sie mir nicht von dem Kriegsminister... Der schwitzt schon Angstschweiß, wenn man ihm nur das Wort Kammerdebatte nennt. Als er im vorigen Jahre die zwei Millionen Nachbewilligung für die Armee verlangte und man ihm etwas scharf zusetzte, versicherte er mir, daß er lieber zehnmal eine Batterie stürme, als noch einmal sich diese Raisonneurs auf den Hals ziehen wolle...«
Der Museendirector nahm den Ausdruck jener tiefen und ehrfurchtsvollen Ergebenheit an, welcher den Mächtigen so sehr schmeichelt, vielleicht, weil sie immer seltner wird:
»Ist die Zahl der Männer, welche für den Dienst und das Interesse ihres Herrn und Königs sich auch vor den bittersten Prüfungen nicht scheuen, eine so kleine?«
Die Frage war kühn, gewagt. Es war ein Senkblei, welches Marecampus in die Tiefe der Seele des Fürsten warf.
Der König streifte den Frager mit einem raschen, forschenden Blick... Dieser hatte den seinigen fest auf die Parquetdiele geheftet, der Antwort des Königs harrend. Aber die Majestät schwieg, setzte, wenn auch ruhiger und gemäßigter, die Wanderung durch das Zimmer von Neuem fort...
Es war ein leidenschaftlicher, aber leicht schwankender, in seinen Entschlüssen veränderlicher und auch ängstlicher Mann... Nur mit Widerstreben trug er die constitutionellen Beschränkungen. Er würde den mit Ehren und Würden überhäuft haben, welcher ihm die absolute Königsgewalt wieder hätte herstellen können, aber um keinen Preis würde er es gewagt haben, selbst einen ihn compromittirenden Schritt zu thun – und vielleicht durch einen gewaltsamen Staatsstreich die alte Ordnung der Dinge wieder herzustellen...
Eine mit Straßen- und Barrikadenkampf in den Hauptstädten des Landes verbunden gewesene Volkserhebung hatte den Vater des Königs zur Ertheilung einer Constitution gezwungen und der Sohn hatte nach dem einige Jahre später erfolgten Tode seines königlichen Vaters die Regierung angetreten und den Eid auf die Verfassung, die schon tiefe Wurzeln im Volke geschlagen, abgelegt...
Als Marecampus sah, wie der König beharrlich schwieg, fuhr er noch immer mit jenem Ausdrucke der Ergebenheit, aber indem dabei eine gewisse Erregtheit im Tone der Stimme durchklang, fort:
»In den Landen Eurer Majestät leben edle Geschlechter, deren Ahnen so alt sind wie die der Montmorency's in Frankreich, edle Patricier, deren Vorfahren mit dem Ahnherrn Ihres erlauchten Hauses die Schlachten der Kreuzzüge mit fochten... Ist keiner unter ihnen, welcher für seinen königlichen Herrn sich opfern würde – keiner, der sich den Ruhm verdienen möchte, den Glanz der Krone wieder hellfunkeln zu lassen vor allem Volke, den königlichen Purpur zu reinigen von den Tintenflecken, welche die Constitutionsschreiber und Verfassungsmacher ihm angespritzt haben...«
Der König zuckte, fast erschrocken über diese kühne Andeutung, die in den Worten des Museendirectors lag, zusammen...
»Lassen wir das Thema fallen, lieber Marecampus,« sprach der Fürst mit plötzlich ganz verändertem, leisem Ton, der seltsam genug gegen das frühere, leidenschaftliche Wesen abstach, »es ist das ein gefährliches Kapitel... Ich werde wohl sehen, wie ich die paar Ducaten,« fügte er seufzend hinzu, »welche ich für meine Alhambra brauche, auf andere Weise beschaffe.«
Dann trat er dicht an den Andern heran und sprach mit leiser Stimme, als fürchte er fast, die Worte könnten hinausfliegen über die Schwelle des Gemachs, wenn er sie stärker betonte, »die Zeiten, mein lieber Marecampus, sind vorbei, daß sich die Herren im Ritterdienst für ihre Könige opferten... sie verlangen eher, daß wir uns für sie opfern... Wir müssen unser Schicksal ertragen... Es geht ein böser Geist durch die Länder, der überall den Saamen des Unfriedens ausstreut... Und dann will ich nichts von Gewaltthat wissen... Hu!« und er machte eine Geberde des Abscheus, »ich denke mit Entsetzen an die Schreckenstage zu meines hochseligen Vaters Lebzeiten... Wie die Schüsse knallten... Wie die Leichen, die blutigen durch die Straßen getragen wurden... Nein, nichts da von Gewalt... Die Könige, mein lieber Marecampus,« schloß der Souverain in einer Anwandlung menschlicher Offenherzigkeit, »haben wenige wahre Freunde... Ich glaube Sie gehören zu diesen Wenigen... Ich liebe meine Herrn Minister sammt und sonders nicht, aber kann ich es ändern?... Setze ich sie ab, bekomme ich vielleicht noch andere anragirtere Constitutionsausleger. Laissons cella, mon, ami,« fügte er in vertraulichem Tone hinzu, »und sein Sie überzeugt, daß ich Ihre Ergebenheit zu schätzen weiß...«
Marecampus verneigte sich ehrerbietig.
»Ich gehorche meinem königlichen Herrn,« sprach er mit bewegter Stimme und ehrfurchtsvollem Ausdrucke, »aber mein Herr und König wird mir gestatten jenen geistigen Kampf mit den Feinden der Gewalt von Gottes Gnaden aufzunehmen, der oft erfolgreicher als der des Schwertes ist... Mein Herr und König... wird mir...«
Der Monarch unterbrach, sich ängstlich die Hände reibend, den Sprechenden:
»Vorsichtig, vorsichtig, mein lieber Marecampus – und vor Allem schweigen Sie gegen Jedermann über diese Unterredung.«
Und ohne dem Museendirector Zeit zu einer weiteren Entgegnung zu lassen, fügte er rasch und im herablassendsten Tone hinzu:
»Gute Nacht, mein lieber Marecampus, auf Wiedersehen morgen zur Tafel... Vergessen Sie nicht, mir die Zeichnungen der griechischen Antiken, von denen Sie neulich sprachen, mitzubringen.«
Als Marecampus aus dem Portale des königlichen Schlosses trat und sich in den für ihn bereitstehenden Hofwagen warf, trug er sein Haupt noch stolzer und siegesgewisser, als neulich, da er die Unterredung des Herrn Hofrath Schlagfelder und Professor von Koppelsdorf belauscht hatte...
Die Eindrücke der mit der Majestät eben erlebten Scene schwellten sein Herz mit kühnen Hoffnungen und färbten seine Stirn mit lichter Gluth...
In halblautem Selbstgespräch traten sie aus dem Schrein des Herzens...
»Die Zeiten sind vorbei da sich die Herren im Ritterdienst für ihren König opferten... Wohl, wenn die Ritter zittern und ihre Pflicht vergessen, dann geht der Ruf an Jeden, der sich berufen fühlt zum Werke der Rettung... Wenn die Burgen dem Rufe ihres Herrn die Thore schließen, dann öffnen sich die Thüren der Hütten... Der in Niedrigkeit und Staub Geborne wird wieder das Heil der Welt.«
Mächtig gährte es im Hirn dieses Mannes, in welchem Fanatismus und ein zur Intrigue drängender Ehrgeiz in wilder Flamme loderte...
Sein Blick flog bis zur ersten Jugendzeit zurück...
Sein Vater war durch die Gunst des verstorbenen Königs vom Kammerlackai bis zu dem einträglichen Posten eines Inspectors auf einer königlichen Domaine befördert worden... Seine Mutter war bei einer Prinzessin des königlichen Hauses Kammerfrau gewesen...
Die tiefste, unbedingteste Ergebenheit gegen das königliche Haus, ein bis an das Sclavische streifender Gehorsam, ein Gehorsam, der mit Gefangennehmung des eignen Urtheils Alles vollzieht, was ihm von Oben befohlen wird, eine religiöse Anschauung, welche den Glauben an das absolute Königthum für unzertrennlich hielt mit dem Glauben an Gott, mit dem Christusglauben, ein tiefgewurzelter Haß gegen alle entgegengesetzten Bestrebungen: das waren die Grundsätze seiner Eltern, das die geistige Luft, in welcher der Knabe Joseph athmete...
Aber selbst in solchen sclavisch-gesinnten Gemüthern, wie es Joseph's Eltern waren, keimt ein gewisser Ehrgeiz. Um keinen Preis hätte der Vater zugelassen, daß Joseph dieselbe Laufbahn betrete, die er zurückgelegt hatte. Der Sohn wurde für das theologische Studium bestimmt. Joseph erhielt bei seinem Abgang vom Gymnasium zur Universität ein günstiges Zeugniß in litteris, sein Sittenzeugniß enthielt die Bemerkung, daß es zumal in Hinblick auf den gewählten Beruf eines Gottesgelehrten wünschenswerth sei, wenn Joseph eine gewisse Selbstüberhebung und einen leidenschaftlichen Ehrgeiz, von denen oft Spuren sich gezeigt, energisch bekämpfe... Als Joseph die Universität bezog, waren in dem Ministerium seines Staats die Dunkelmänner am Ruder... Eine fanatische Orthodoxie, in welcher jeder Andersgläubige als Ketzer und Revolutionär erschien, dem man auf jegliche Weise die Lebensbahn verlegte, herrschte... Sie hatte von dem Protestantismus nichts als den Namen... Jede Protestation gegen die Gefangengebung der Vernunft an den todten Buchstabenglauben und die Menschensatzungen, wurde als Hochverrath von ihr angesehen und wenn auch nicht gerade immer mit dem Criminalgesetzbuch, doch auf andere gleichfalls peinliche Weise verfolgt. Dieser Partei, welche zugleich die Lehre von der absoluten Fürstengewalt, als in den Worten der Schrift begründet, predigte, welche für den Armen und Gedrückten den Hinweis auf die himmlische Seligkeit hatte, für sich aber mit gierigen Händen die Güter dieser Welt in Anspruch nahm, schloß sich Joseph Marecampus an... Die mit der Muttermilch eingesogenen und durch die väterliche Erziehung tief eingeprägten Grundsätze, stimmten vollkommen mit jener Richtung überein. Zwei sehr individuelle Motive traten auf seinem Lebenswege hinzu, ihn in dieser Richtung zu bestärken. Das erste war ein ursprünglicher, ungemessener Ehrgeiz, eine Leidenschaft zu herrschen, welche beide Gefühle er durch Anschluß an diese im Besitze der Gewalt befindliche Partei am Sichersten befriedigen zu können hoffte. Das zweite hing mit jenem verhängnißvollen Verhältniß zu Mathilde von Olbers zusammen... Denn jener Mann, jener Verlobte Mathildens, den sie trotz jener unseligen Verwirrung noch immer liebte im Tiefsten ihres Herzens, war ein enthusiastischer Anhänger jener erhabenen Grundsätze bürgerlicher und religiöser Freiheit, zu welchen sich zwar nicht immer die Mächtigsten, aber doch die Besten des Menschengeschlechts bekannt haben...
Mathildens holde Liebenswürdigkeit reizte Marecampus, den das Schicksal auf eine so romantische Weise, als Lebensretter, mit dem jungen Mädchen zusammengeführt, ebenso wie der Gedanke, sie einem Manne abwendig zu machen, der ihm als schroffer Gegner in politischer, wie in religiöser Ueberzeugung gegenüber stand...
Marecampus hatte ein Steckenpferd. Trotz seiner streng-dogmatischen Anschauungen war er kein so erbitterter Gegner des Alterthums, wie viele Leute der Umkehr es sind...
Er hatte sich schon während seiner Studienzeit gern und oft mit der Baukunst der Griechen und Römer beschäftigt und als er später sich an der Universität habilitirte, trieb ihn diese Neigung zu Reisen nach Italien, Griechenland, dem Orient. Diese Reise kostete ihm den Rest des elterlichen Erbtheils, entschädigt ihn aber außer der wissenschaftlichen Ausbeute auch noch durch die Bekanntschaft mit dem jetzigen König, damals noch Kronprinz, die er in Rom machte...
Das Amt eines Directors der königlichen Museen wurde später die lohnende Frucht dieser Bekanntschaft...
Während seines Aufenthaltes in Rom hatten sich auch in Folge mehrfacher Begegnungen die Fäden zwischen ihm und jener geheimen Macht geknüpft, deren Einfluß sich durch die verschiedensten Verbindungen, wie ein feines Gift durch alle Kanäle des menschlichen Körpers in fast alle Theile der katholischen, wohl oft auch der protestantischen Welt ergießt.
Man hatte ihn zum Convertiten machen wollen...
Aber die Versuche scheiterten – wohl eben so sehr an Marecampus kirchlichem Gewissen, als an seiner Klugheit, die es ihm vortheilhafter erscheinen ließ, sich dem Orden gegenüber eine gewisse Unabhängigkeit zu sichern...
Die Fäden wurden fortgesponnen, als er wieder nach Deutschland und zu seiner Wirksamkeit als akademischer Lehrer zurückgekehrt war... Mit vieler Schlauheit suchte man von jener Seite etwaige Glaubensscrupel zu beseitigen und auch die Bekehrungsversuche wurden seltner. Jener Brief, welcher Marecampus in der für ihn so bedeutungsvollen Nacht wieder zufällig beim Durchwühlen seiner Papiere in die Hände gerieth, hatte den letzten derartigen Antrag erhalten...
Er hatte ihn zurückgewiesen, ohne daß damit von beiden Seiten gebrochen worden wäre...
Seine Gedanken weilten noch bei diesem Verhältniß, als der königliche Hofwagen, der ihn bis zu seiner Wohnung gebracht, vor derselben hielt...
Er begab sich in sein Arbeitscabinet, sinnend über des Königs letzte Worte und über die Mittel, zu seinem Ziele zu gelangen.
Er verhehlte es sich nicht, es war eine titanenhafte Aufgabe, die er sich gestellt.
Die Verfassung des Landes umzustürzen, sich zum ersten Minister des Königreichs emporzuschwingen, dann das Land und den König unter seine starke Hand beugen, alle jene verhaßten Ideen von politischer Freiheit und religiöser Toleranz aus den Gemüthern der Menschen, alle die Völkerrechte schirmenden Einrichtungen aus dem Organismus des Staates zu reißen und an die Stelle den Staat zu setzen, wie er sich ihn aufgebaut, gewissermaßen der Prophet einer neuen Aera im Staatsleben seines Vaterlands zu werden: Marecampus fühlte trotz seines Selbstgefühls, seines ungemessenen Ehrgeizes, seiner Verachtung aller Hindernisse, daß dies Programm eines Lebenskampfes etwas von der Ausgeburt der Phantasie eines Wahnsinnigen an sich trug, wenn der, welcher sich dieses Programm gesetzt, nicht entschlossen war, mit eisernem Willen Alles an Alles zu setzen...
Es giebt Tausende, welche nur das bloße Aussprechen eines solchen Gedankens durch einen Mann in der Stellung des Museendirectors, für eine Narrheit, eine fixe Idee halten werden. Aber Alle sie vergessen, daß die romantischen Charactere zwar sehr selten geworden, aber doch noch nicht ganz ausgestorben sind...
Die romantischen Charactere waren zwar häufiger zur Zeit Mahomet's – durch dessen Wesen ein lebhafter Fug ursprünglicher Romantik geht – zur Zeit Harun al Raschids, Karl des Großen, zur Zeit Christoph Columbus, dessen romantischer Natur und den daraus sich entwickelnden Ideen vielleicht ebenso viel Antheil an der Entdeckung der neuen Welt gebührt als seinen wissenschaftlichen Untersuchungen und seemännischen Erfahrungen – sie waren zahlreicher selbst noch später zur Zeit der Reformation, aber ausgestorben sind sie nicht und die neuste Zeit ist sogar sehr darnach angethan ihre Entwicklung mehr zu begünstigen, als es seit Langem je der Fall... Bedarf es mehr, als zwei Namen zu nennen, deren Träger zwar ihrem Character, wie ihrem Streben nach durchaus verschieden, aber doch darin eine Gemeinschaft besitzen, daß eine starke romantische Strömung durch die Tiefe ihrer Natur zieht: Louis Napoleon III. und Giuseppe Garibaldi?
Wir verstehen, wenn wir bei allen diesen Männern von einem romantischen Zug ihres Characters reden, darunter nicht die mittelalterliche Don Quixoterie, wie sie Tieck, die Schlegel, de la Motte Fouqué auffaßten, sondern den geheimen, unwiderstehlichen Hang zum Außergewöhnlichen, Außerordentlichen...
Es liegt in diesem Hange ein Gemisch von Phantastischem, Kühnem, Abenteuerlichem, welches verbunden mit andern Momenten: Thatkraft, Ehrgeiz oder Begeisterung für eine Idee solche romantische Gestalten schaffen.
Marecampus hatte etwas von jenem romantischen Hange in sich, er schlummerte von Jugend auf in ihm und wurde wach, als günstige Umstände ihn in die Nähe des Thrones, in die Nähe der königlichen Person brachten... Er, im Verein mit jenen andern oben angeführten Momenten, hatte ihn diesen gigantischen Plan in der That fassen lassen...
Die Stille der Nacht lag längst auf der großen Stadt, über welcher ein reiner, klarer Winterhimmel mit hellfunkelnden Sternen sich breitete und Marecampus saß noch immer wachend in seinem Gemach...
Plan auf Plan zur Herbeischaffung der materiellen Mittel, deren er bedurfte, drängten sich in seinem Hirn...
Seine Hand streckte sich mechanisch nach einem Buche aus, das neben ihm lag und er blätterte darin, wie es seine Gewohnheit, wenn er ernsten Dingen nachsann...
Seine Augen blieben endlich an einer Stelle haften.
Er las sie mit halblauter Stimme. Es war das oft angeführte Wort Montecuculi's: »Drei Dinge gehören zum Kriegführen, erstens Geld, zweitens Geld und drittens wieder Geld.«
»Eine wohlfeile Weisheit,« lächelte er bitter, »so banal geworden, wie irgend eine Alltagsredensart und doch so peinlich wahr... Geld, Geld, ich spreche das Wort aus mit derselben Sehnsucht, mit welcher Archimed nach dem Hebel verlangte, welcher die Welt aus ihren Angeln heben sollte... Ich brauche Werkzeuge und diese Werkzeuge kosten Geld... Der König ist in gewissen Beziehungen geizig, auch wird er nichts geben um sich nicht zu compromittiren...
Die alten Geschlechter, auf deren Hülfe ich naturgemäß zuerst rechnen sollte, wollen ihre Säckel auf Kosten des Königthums füllen... Die wenigen Opferbereiten haben Nichts... Und wollen dann wieder wissen zu welchem Zweck – sie würden sich in mein Werk mischen und es verpfuschen nach ihrer Weise... Nicht für sie, dem Könige will ich die Herrschaft wieder gewinnen, ihm das Königthum zurückerobern... Mein Name soll sich an die neue Aera knüpfen, ich will diesen Staat aufbauen, auf meinen Principien.«
Er erhob sich und trat an seinen Arbeitstisch. Wie sein Auge darüber hinglitt, bemerkte er neben dem Schreibzeuge mehrere Briefe, die während seiner Abwesenheit von zu Hause angekommen waren. Seine Diener pflegten sie auf diesen dazu bestimmten Platz zu legen... Von seinen Gedanken vollständig in Anspruch genommen, schob er sie gleichgültig bei Seite.
»Geschäftliche Kleinigkeiten – ruht bis morgen.«
Dabei fiel einer der Briefe herab, so daß das hellrothe Siegel Marecampus entgegenglänzte...
Mit hastiger Geberde und indem ein leises Ah! der Ueberraschung ihm entschlüpfte, bückte er sich nach dem Briefe...
»Seltsamer Zufall,« murmelte er mit einem bittern Lächeln die Thiergruppe des Siegels, das Lamm, den Wolf und den darüberschwebenden Adler betrachtend, »der sie immer dann erscheinen läßt, wenn mir das Bewußtsein meiner Vereinzelung und meines Mangels an äußeren Mitteln in grellster Schärfe vor die Seele tritt. Sie sind zähe und unermüdlich, mein jüngster Absagebrief scheint sie nicht entmuthigt zu haben und wie der Versucher nahen sie mir immer wieder mit lockendem Anerbieten.«
Mit rascher Geberde streifte er das Couvert ab. Ueber die ersten Zeilen flog sein Auge mit gleichgültigem Ausdruck, die nächste Stelle las er mit langsamer Stimme, jedes einzelne Wort scharf betonend, halblaut vor, wie um das Gewicht des Inhalts desto lebhafter sich vor die Seele zu führen.
Die Stelle lautete: »Noch einmal haben Sie unsere Vorschlage zurückgewiesen... Und doch ist es ein Feind den wir bekämpfen, sind Ihre Gegner auch die unsrigen. Wollen Sie nicht, wie wir, den Glauben an die Satzungen der Kirche, die Unterwerfung des empörten Individuums unter die Autorität der von Gott eingesetzten Gewalten... Sie, wie wir bekämpfen die Revolution, mag sie unter der Maske des constitutionellen Königthums, oder unverhüllt in der Form der demokratischen Republik, oder in dem Abfall von den Satzungen der Staatskirche, oder in der sich keck und frivol vom Glauben emancipirenden Wissenschaft auftreten...«
»In Ihrem letzten Schreiben war ein Passus enthalten, der das Grundmotiv zu sein scheint, welches Sie unsere Vorschläge zurückweisen läßt. Sie schreiben, daß Sie durch unsere Anträge in ein Abhängigkeitsverhältniß zur Congregation treten würden. Sie werfen uns, wenn auch verblümt, herrschsüchtige, egoistische Zwecke vor, Sie lassen in Ihrem Briefe durchschimmern, daß es uns mehr um Befriedigung persönlicher, ehrgeiziger und herrschsüchtiger Leidenschaft zu thun, als um Erreichung des großen Ziels: die zügellos gewordenen Völker wieder zu dem alten, segensreichen Glauben an das göttliche Recht der Priester und Könige zurückzuführen...«
»Wir gestehen, daß wir diesen Vorwurf aus Ihrem Munde am wenigsten erwartet...«
»Sind Sie wirklich nicht des Glaubens fähig, daß es Männer geben kann, die ohne alles egoistische Interesse, ohne persönliches Interesse wenigstens insofern, als es sich um materielle Güter dieser Welt handelt, für das Königthum und Priesterthum von Gottes Gnaden, als die Grundsäulen menschlicher Ordnung wirken und kämpfen?... Sie sprechen in Ihrem Schreiben von den wilden Fanatikern der Revolution, gegen die zu streiten Ihre Lebensaufgabe, von jenen Menschen, die Alles an Alles setzen, nur um ihre Principien zum Sieg zu bringen, von jenen wilden Vernunftnarren, deren ausgeprägteste Vertreter wir in jenen Schreckensmännern von 1793 sahen, jenen Verruchten, die ihre blutigen Hände an das gesalbte Haupt König Ludwig's und an die gottgeweihten Priester legten und die arm starben, wie die Bettler, kaum so viel hinterlassend, daß man die Begräbnißkosten bestreiten konnte...«
»Wohlan, glauben Sie nicht, daß auf unserer Seite, auf der Seite der Vertheidiger jener alten, göttlichen Weltordnung, deren Repräsentanten die Priester und der freie König und – nicht das constitutionelle Scheinwesen – nicht auch jene Entäußerungen aller egoistischen Zwecke, zur aufopfernden Hingabe an die großen Principien, unter deren Schutz die Menschheit viele Jahrhunderte glücklich gelebt, zu finden?...«
»Oder sind Sie so unduldsam, so ungerecht, um diese Ueberzeugungstreue blos für sich in Anspruch zu nehmen?...«
»Doch genug darüber. Es schweige der Hader – und gestehen wir uns, unsere Feinde sind stark, sie mehren sich von Tag zu Tag...«
»Darum noch einmal reichen wir Ihnen die Hand. Gehören Sie auch einer andern Kirche an – Ihre Feinde sind trotzdem die unsrigen... Die historischen Grundlagen Ihrer Kirche werden von denselben ebenso bedroht, wie unsere Kirche von denselben bedroht wird. Die Revolution verbündet sich überall soliderisch ohne nach dem Glaubensbekenntniß der Einzelnen zu fragen – die Anhänger der von Gott eingesetzten Weltordnung müssen, wenn sie nicht unterliegen wollen, dasselbe thun...«
»Zum Beweis, daß wir es aufrichtig und ehrlich, nur im Interesse der guten Sache meinen, wollen wir alle früher von uns aufgestellten Bedingungen fallen lassen und Ihnen in Ihrem jetzigen Wirkungskreis nützlich sein ohne alle Verpflichtung Ihrerseits...«
»In der Voraussetzung, daß Sie – mögen Sie nun unsere Mithülfe annehmen oder zurückweisen – die Discretion, die wir in unsern beiderseitigen Beziehungen stets beobachtet auch hier gelten lassen, empfehlen wir Ihnen zwei Männer, die Ihnen unter Umständen wesentlich von Nutzen sein können.«
»Der eine dieser Männer ist der bei dem vierten Infanterieregiment stehende Hauptmann Klingen, der andere, ein gewisser Herr von Wolkowsky, ein Violinvirtuos, in der dortigen musikalischen Welt nicht ganz unbekannt. Der erstere ist ein entschlossener Mann, der schon mehr als einmal im Kampfe unseren Feinden gegenüber gestanden, dabei energisch und – was oft schädlich – etwas zu Gewaltthätigkeiten geneigt, eine Folge seiner Kriegsdienste unter den Fahnen Sr. Majestät Carl V. (Don Carlos) von Spanien und König Ferdinands von Neapel...«
»Der Virtuos ist geschmeidiger in seinen Formen, hat durch seine Kunst Zutritt in Zirkeln, die dem Hauptmann, dessen Sitten etwas rauh, verschlossen sind und eignet sich Frauen gegenüber, die er durch sein phantastisches, excentrisches Wesen besticht, besonders gut zur Verfolgung unserer großen Aufgabe... Er ist zuverlässig und muß es sein, ebenso wie der Hauptmann. Ihre Vergangenheit ist uns Bürge dafür... Nicht blos die Pflicht der Dankbarkeit gegen unsere Gesellschaft bürgt uns, sondern auch das Bewußtsein, daß wir die Mittel in den Händen haben, einen Rückfall oder Abfall zu strafen.«
»Sie werden es nicht falsch deuten, wenn wir Ihnen einen Wechsel an die Ordre des Herrn Raphael Bamberger und Joel Heinemann dort beilegen.«
»Wir haben in Berücksichtigung der manichfaltigen Ausgaben, zu denen die beiden genannten Herren im Interesse unseres Dienstes genöthigt worden, einem Jeden derselben eine gewisse jährliche Summe ausgeworfen. Bis jetzt bezogen Sie dieselbe direct von uns. Wir bitten Sie, von jetzt an ihnen diese Unterstützung ganz nach Ihrem Ermessen zufließen zu lassen. Den übrigen Rest des Geldes bitten wir Sie als einen Beitrag zu den Kriegskosten gegen einen Feind zu betrachten, den mit allen Mitteln zu bekämpfen eine ebenso dringende als heilige Pflicht eines Jeden ist, der die göttliche Weltordnung nicht in Staub und Trümmer zerfallen lassen will...«
»Sollten Sie unsere uneigennützig angebotene Allianz annehmen, so wollen wir noch bemerken, daß Sie um sich dem Hauptmann und dem Virtuosen gegenüber zu legitimiren blos die Worte zu sagen brauchen: » Ich bin es, der zu Ihnen kommt.« Schriftliche Beglaubigungen zu geben, ist nach einigen traurigen Erfahrungen, die wir damit machten, nicht mehr Brauch in unserer Gesellschaft...«
Marecampus legte den Brief bei Seite und hob das Couvert hastig auf...
Ein feines, zusammengelegtes Papier, das er in seiner Aufregung nicht bemerkt, lag in dem Couvert... Es war der Wechsel. Ein unwillkürlicher Ruf des Erstaunens glitt über Marecampus Lippen...
Eine solche Summe hatte er nicht erwartet...
»Ah!... das ist eine Hülfe, mit der sich etwas beginnen läßt...
Aber sie kommt von ihnen!... Zwar ohne Bedingung und Gegenforderung – aber doch von ihnen; und sie sind schlau und erfahren...«
Er blickte überlegend vor sich hin...
Endlich war sein Entschluß gefaßt...
Mit stolzer, entschiedener Geberde hob er den Kopf.
»Ich nehme es an. Sind sie schlau – so werde ich desto vorsichtiger sein. Sie trugen mir, ich nicht ihnen das Bündniß an.
Sie verhandeln mit mir Macht gegen Macht. – Sie sehen in mir nicht das Werkzeug mehr, den bloßen Diener ihres Willens, sondern den Mann, der ihnen gleich ist.
Und sie thun klug daran; sie haben Recht, wenn sie sagen: Unsere Gegner sind auch die Deinigen. Der Feind des Unglaubens, der Empörung bedroht unsere Kirche wie die ihrige...
Zur selben Abendstunde, in welcher der Museendirector diesen Brief las, saßen drei Männer in der Mansardenstube des Schriftsetzers Wenzel an dem Krankenbette eines Kindes, am Lager des kleinen Hans. Ein Anfall jener heimtückischen, hinterlistigen Krankheit, der Bräune, die schon so viel blühende Kinderblumen dem Garten des Lebens geraubt, hatte den Kleinen vor drei Tagen in später Abendstunde heimgesucht. Seit dem heutigen Morgen erst war, Dank der geschickten energischen Behandlung des Doctor Schilden und der unermüdlichen Pflege des Menschenhassers, die Gefahr beseitigt und das Kind schlummerte ruhig hinter den Gardinen...
Trotzdem schaute der Schriftsetzer mit verzweifelter, zerknirschter Miene drein, zuweilen einen bittenden Blick auf den Doctor werfend, der ihm eben im gedämpften Tone eine derbe und eindringliche Strafpredigt hielt...
»Glauben Sie es nur, kein Anderer als Sie mit Ihren Vermummungen sind an der Krankheit des Kindes Schuld... Das Bürschchen in Shwals und Pelz zu wickeln, wie einen Eskimo, dann aus der heißen Offizin hinaus auf die Straße laufen und einen Schneemann vor dem Fenster aufbauen lassen, bei welcher Beschäftigung der Kleine seine grönländische Bekleidung bis auf die Pelzhandschuhe bei Seite wirft...«
»Aber er gab so gute Worte, daß ich es ihm nicht eben abschlagen konnte...« stotterte Wenzel, indem er dabei einen ängstlich forschenden Blick nach der Bettgardine warf...
»Und Sie müssen natürlich, um Ihrem Character als unveränderlicher Menschenfeind treu zu bleiben, jede Bitte des Kindes, sei sie auch noch so thöricht, erfüllen, nur damit Sie Ihren Zweck erreichen, die Menschenbrut um eine verderbte Bestie vermehrt zu haben...«
Wenzel, der den Spott in den Worten des Doctors nur zu lebhaft fühlte, schnitt ein so verzweifelt-bestürztes Gesicht, daß Hardungen eine Art Mitleid mit ihm fühlte.
»Lassen Sie es gut sein, Doctor, Freund Wenzel wird in Zukunft bei der Erziehung seines kleinen Diogenes rationeller verfahren... aber wir wollen leiser sprechen... ich glaube, der Kleine fängt an sich zu regen.«
Wenzel schnellte von seinem Sitze empor und schlich auf den Fußspitzen an's Bett.
Der Kleine schob die Gardine zurück und streckte mit mattem aber freundlichem Lächeln dem bärtigen Schriftsetzer die kleine Hand entgegen.
»Guten Morgen, Vetter Wenzel... Hans ist wieder ganz gesund... Hans hat Durst und Hunger...«
Ueber das Gesicht des Schriftsetzers flog es wie heller Sonnenschein, der durch dunkle Gewitterwolken bricht.
»Hören Sie es, Doctor,« rief er mit leuchtenden Blicken, »er hat Appetit, er will essen... trinken... Recht so, mein Junge... iß, trinke, soviel als du willst... hier und hier.«
Und er holte mit einer Taschenspieler-Geschwindigkeit aus einer Schublade der alten Kommode ein Papierpaquet, dessen Inhalt er wie ein übermüthiges Kind eine geschenkte Zuckerdüte auf dem Tischchen vor dem Bette ausschüttete...
Und wie aus dem Füllhorn Bosco's rollten aus dem Paquet Zuckerbretzeln und Bonbons, Chokoladenkugeln und kleine geräucherte Würstchen, Stücke Mandelkuchen und Biscuits...
Der kleine Hans streckte, die kaum bestandene Krankheit vergessend, lustig den Arm nach den verlockenden Dingen aus.
»Aber bester Wenzel,« zürnte jetzt ernstlich der Doctor, indem er rasch die Hand auf die Leckereien legte und Hans wehrte, »wollen Sie denn unsern kleinen Freund absolut umbringen... einem noch kranken Kinde solche Dinge zu bieten!... Da, mein Kleiner,« und er reichte ihm ein Glas lauwarmer Milch und ein Biscuit – »das wird das beste Abendessen heute für dich sein...«
Hans lächelte und langte nach der Milch, Wenzel schnitt wieder eine jener Grimassen der Zerknirschung, als Hardungen, der den Kleinen theilnehmend betrachtete, plötzlich ein lebhaftes Ah! der Ueberraschung ausstieß...
Wenzel und der Doctor sahen fragend zu ihm auf.
»Was haben Sie, Hardungen... was fällt Ihnen an unserm Hans so auf, daß Sie ihn so ängstlich forschend betrachten?« frug der Doctor, den Blicken Hardungens folgend, als dieser ihm nicht gleich antwortete...
»O es ist nichts, eine Kleinigkeit,« lächelte Hardungen gezwungen, indem er sich sichtlich zu fassen und seine Ueberraschung zu verbergen suchte, »ich glaube eben eine kleine Beobachtung gemacht zu haben, die vielleicht zur Entdeckung der Angehörigen des Kindes führen könnte...«
Bei diesen Worten stand der Schriftsetzer auf und stellte sich, Hardungen unruhig und mißtrauisch betrachtend, dicht an das Bett des kleinen Hans, dessen Händchen er in seine große, derbe Faust nahm...
»Eine Entdeckung,« frug Doctor Schilden, »und in wie fern?...«
»Ich bemerkte eben, daß der Kleine oberhalb des rechten Ellenbogens eine Lilie und drei kleine rothe Sternchen als Muttermaal hat und ein so besonderes Kennzeichen dürfte die Auffindung der Angehörigen des Kleinen doch sehr erleichtern... bei einem etwaigen Aufruf in den Zeitungen...«
»Angehörige... Aufruf in den Zeitungen... bei den Krokodillen des Nils, sie mögen kommen,« loderte der Schriftsetzer auf, »wilder wie Prairienhunde... Herr, es waren zwanzig Grad Kälte, als ich den Wurm da fand... in einem Faß auf offener Straße... Daß sich die Haifische mit dem Fleisch dieser Angehörigen mästen mögen... Mir gehört er... mir! ich bin sein Angehöriger und keine Bestie auf dem Erdenrund hat weiter Anspruch an ihn... Ich werde ihn groß ziehen, er soll meine Grundsätze, meinen Haß gegen die wilde Brut... soll Alles erben, was ich habe... Ich weiß, Sie, Herr Hardungen und der Herr Doctor da gehören nicht zu den wilden Menschenbestien, die unbarmherziger gegen einander sind als die reißenden Thiere der Wälder... Sie werden mir beistehen... Sie werden mir den Kleinen nicht nehmen lassen...«
Er schwieg und sah die beiden Männer mit ängstlich fragenden Blicken an. Es lag etwas unendlich Rührend-Komisches in diesen Worten des Schriftsetzers, der kaum sieben Jahre alt, ein Waisenkind geworden, unter fremden rohen Menschen aufgewachsen, von früher Jugend auf getreten, in die Winkel gestoßen und gequält wurde, der Jahre lang mit Entbehrungen kämpfte und auf der weiten Erde kein Wesen hatte, das er sein nennen konnte; in den Worten dieses Menschenhassers, wie er sich nannte, der für den kleinen verlassenen Knaben, welchen er sterbend auf der Straße gefunden, sein eignes Leben gelassen hätte...
»Beruhigen Sie sich, lieber Wenzel,« sprach endlich Schilden, indem er gerührt seine Hand auf die Schulter des Schriftsetzers legte, »es wird Ihnen Niemand den Kleinen nehmen... Die Leute sagen, daß jedes Kind hundert Sorgen in's Haus brächte und die Menschen sind selten, welche die Sorgen aufsuchen. Das, was unser Freund Hardungen sagte, war jedenfalls nur eine Vermuthung, ein augenblicklicher Einfall.« Und er warf dabei dem Redacteur einen bedeutsamen Blick zu.
»Gewiß,« setzte Hardungen rasch bestätigend hinzu, »es war nur eine hingeworfene Aeußerung, auf die Sie, mein lieber Wenzel, um so weniger Gewicht zu legen brauchen, wenn Sie bedenken, daß hier ein Verbrechen vorliegt, das Hinausstoßen eines hilflosen Kindes in eine kalte Winternacht...«
Wenzel drückte den Beiden die Hand.
»Sie haben Recht,« athmete er »uf, »es war eine Gespensterfurcht... Und nicht wahr, Hans, du bleibst immer bei mir?...«
»Immer –« sagte der Kleine mit den klugen blauen Augen und seinen Beschützer freundlich anblickend...
Schilden und Hardungen sagten gute Nacht.
Als sie unten auf der Straße waren und langsam einem Weinkeller zugingen, in dem sie zuweilen des Abends sich erholten, richtete der Arzt einen prüfenden Blick auf seinen Freund, der in Gedanken versunken neben ihm einherschritt...
»Sie haben eine Entdeckung gemacht, Hardungen,« sagte Schilden, »Ihr Ausruf, Ihre Ueberraschung hatte einen tieferen Grund, aber Sie verstanden meinen Wink und beruhigten den armen, braven Wenzel, der an dem Kinde, das, wie er, Niemand als ihn auf der Welt hat, das er dem Tode entriß, mit allen Fasern seines Herzens hängt.«
Hardungen antwortete nicht.
»Sie schweigen,« fuhr Schilden nach einer Weile fort, »und Sie haben ein Recht zu schweigen... Wir nennen uns Freunde und noch kennen Sie nicht die Vergangenheit Ihres Freundes... noch habe ich Ihnen nicht...«
»Nein, nein,« unterbrach ihn hastig Hardungen, mit leidenschaftlicher Geberde des Freundes Hand ergreifend, »suchen Sie nicht ein solches Motiv für mein Schweigen... aber ist Schweigen nicht oft Pflicht – zumal, wenn ein Geheimniß nicht uns allein gehört, wenn man vielleicht,« setzte er verlegen hinzu, »Mitwisser eines Geheimnisses ist, an dessen Bewahrung das Lebensglück mehrerer Menschen hängt...«
Auf diese Antwort schwieg Schilden und sie gingen wieder eine Strecke stumm nebeneinander her...
Mehrmals war es Hardungen als drängte sich noch eine Frage auf des Freundes Lippen, aber dieser konnte es nicht über sich gewinnen, diese Frage wirklich zu thun...
Sie stiegen in den Weinkeller hinab. Eine Nische, von zwei hervorspringenden Pfeilern der alten Kreuzwölbung gebildet, war leer... Hierher setzten sie sich... Golden funkelte der Rheinwein in den Krystallgläsern, berauschend, wie ein Zauberhauch, strömte des Weines Blume ihren Duft aus und Schilden, träumerisch in den Kelch schauend, fühlte wie dieser Zauberduft verklungene Zeiten, begrabene Gestalten, eingesargt in den verborgensten Winkel seiner Seele, in der Gruft der Vergessenheit, lebendig werden ließ, herauslockte aus der dunkeln Tiefe an die lichte Oberfläche seines Geistes, an die Erinnerung...
»Die Todten werden lebendig und die Begrabenen stehen aus ihren Gräbern auf,« sprach er, vor sich hinstarrend und Hardungens Hand fassend, »lassen Sie mich das Leichentuch wegziehen, welches über den Hoffnungen meines Lebens liegt...«
Hardungen, der den Doctor noch nie in solcher Stimmung gesehen, drückte ihm still, und schweigend die Hand und rückte dicht an seine Seite...
Und des Doctors Auge begann zu glänzen und zu leuchten und sein Mund erzählte von einem duftigen Liebestraum, den er einst geträumt von einem süßen Mädchenbild, das er einst sein genannt, einer holden, lichten Feengestalt. Dann hielt er inne, hob den Becher mit dem goldnen Weine und leerte ihn in einem hastigen Zuge... Und der Wein strömte wie Feuerglut in seinen Adern, seine Augen schossen Blitze, seine Brust keuchte und sein bebender Mund erzählte von einem heimtückischen Dämon, einem Vampyr, der sich in das kleine, stille Paradies seines Lebensglücks geschlichen, der mit seinem Hauche es vergiftet und ihm des Mädchens Seele gestohlen hatte...
Und Hardungen lauschte in athemloser Spannung, denn diese Geschichte, diese unselige, jammervolle Geschichte, er erkannte sie sofort – es war dieselbe, die er in jener Ballnacht in dem verborgenen Winkel gehört hatte... Jetzt fiel es wie ein Nebelschleier von seinen Blicken: Mathilde, Schilden und Marecampus: sie waren die drei Personen in jenem so erschütternden Drama, das da draußen am Rhein gespielt, ein Drama, von dem die Welt keine Ahnung hatte und das doch das Lebensglück zweier Menschen in seinen geheimsten Tiefen angriff. Und Schilden erhob sich, leerte noch einmal das Kelchglas und warf es dann zu Boden, daß es klirrend zerbrach...
.. »Und es war ein Priester Jehova's,« lachte er wild und grell auf, »dieser Satan... ein christlicher Levit, der das Kunststück ausführte... Willst du ihn kennen, den Namen?«
Schilden war außer sich... Die Umstehenden wurden aufmerksam. Hardungen nahm den Freund am Arm und riß ihn mit sich fort hinaus auf die einsame Straße...
»Still, Freund, still,« sprach er, »ich kenne den Leviten und seine Opfer...« Schilden starrte ihn an...
»Mathilde... Marecampus... Glaubst du nun?... Aber komme, heim zu mir... Du sollst Alles erfahren und wenn noch ein Fünkchen Gerechtigkeit in der Welt ist: so hoffe ich, dir eine Sühne zu bereiten, an jenem Leviten, über die sich ein Drako freuen wird.«