Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Wilhelm Walloth

Das Schatzhaus des Königs

Roman aus dem alten Ägypten

Und die Ägypter zwangen die Kinder
Israels mit Unbarmherzigkeit.
2. Mose, 1, 13

Erster Teil

Erstes Kapitel

Die Wüste! Wie ein Leichenhemd bleicht sie im Westen. Leer, öde, wie der Tod, liegt sie dort; ihre gelblichweißen Sandkörner dürsten unter der sengenden Sonnenglut bis an den Himmel; bis dahin, wo sich sein schönes Blau in gelbroten Duft verwandelt, stößt die arme, menschenverlassene, löwenbewohnte Wüste. Dort weiter im Westen liegt die Oase Amun, wie ein verlorner Smaragd, grün, blühend, üppig. Aber im Osten blinkt der Nil durch goldene Ähren. Welcher Gegensatz. Hier Tod, da Leben. Hier Trauer, dort Freude; denn haarscharf grenzt an den Sand das Gras, unmittelbar an den Garten Ägyptens stößt die Wüste; nur so weit die Überschwemmung des Nils reicht, gedeiht das Land. Und welches Land! Dort die nackten Arbeiter auf der Pyramide, wenn sie erschöpft die Werkzeuge sinken lassen, erquicken sich oft an dem Anblick dieses Landstrichs, der sich mit seinen Auen, Ährenfeldern, Kanälen, Häfen, Tempeln und rötlichen Steingöttern vor ihnen ausbreitet; dicht an die Wellen des Flusses geschmiegt, wie der goldschimmernde Prachtmantel eines Königs. Es sind jüdische Arbeiter, verachtete Ebräer, die dort unter dem Geißelhieb ägyptischer Bauaufseher, vom Glutwind der Wüste angehaucht, im Schweiße ihres Angesichts dem König Ramses das Grabmal bauen. Der Bau naht seiner Vollendung; Stufe türmt sich auf Stufe; bis zur höchsten Spitze schwindeln die Treppen empor, dort aber soll die Kolossalstatue des Königs ihren Platz finden. Dies schwierige Werk auszuführen, ist man im Augenblick beschäftigt. Eine schiefe Ebene führt über die menschenwimmelnden Treppen empor bis zum Gipfel des Riesengrabes. Auf diesem schiefen Weg steht das Steinbildnis des Königs. Die Arme dicht am Leib, die Hände auf den Knien, starrt es mit feierlicher Ruhe die zahllosen Arbeiter an, die bemüht sind, an Walzen und Stricken das granitene Ungetüm in die Höhe zu rollen. Auf den Knien des Bildes steht ein Oberaufseher, mit den Händen den Rhythmus angebend, unter welchem die Männer zu ziehen haben; ein vor ihm stehender Gehilfe markiert den Takt durch aneinandergeschlagene Stäbe. Zur Seite wandeln Wasserträger, von welchen der vorderste den schiefen Weg übergießt, die Bahn glatt und kühl zu halten. So bewegt sich das Bild des Königs langsam seinem Bestimmungsort entgegen. Unten hält der König in eigner Person und schaut von seinem Streitwagen aus dem Werke zu. Er ist im Begriff sich mit dem kriegslustigen Volk der Chetas in einen Kampf einzulassen, aber bevor er sein Ägypten verläßt, will er sein Bild auf den Gipfel seines Grabes gehoben sehen. Des Königs Züge blicken ernst. Seine Umgebung teilt die ernste Stimmung, denn das Werk, das sie anstaunen, ist ebenso wichtig als dasjenige, das sie im Begriffe sind, zu unternehmen; beide kosten Menschenleben.

»Macht eine Pause,« befiehlt Ramses. »Laßt die Arbeiter einige Sekunden ruhen, reicht ihnen Wasser, laßt die Weiber Erfrischungen herbeitragen.«

Dies geschieht. Der Koloß wird inmitten seines Weges eingehalten, die Stricke werden befestigt, der Koloß liegt vor Anker. Auch die Peitsche der Aufseher ruht. Aller Augen ruhen auf dem König, der wortkarg sein Bild mustert, wie es dort verderbenbringend zwischen Himmel und Erde schwebt. Verderbenbringend! Denn das geringste Versehen, ein falscher Zug, ein falscher Takt kann das Steingewicht der Statue zermalmend herabschleudern, Tausenden den Tod bringend. Und welch unglückliche Vorbedeutung, wenn das Bild des Königs herniedersänke von seinem Sitz? Alle Zuschauer, selbst die arbeitenden Ebräer sind sich der Wichtigkeit des Moments bewußt; sie sprechen wenig, Winke und Andeutungen ersetzen jetzt die Worte. Überall Schweigen der Erwartung, nur auf einer der obersten Stufen hat sich ein lebhafter Wortwechsel entsponnen. Dort liegt ein alter, weißhaariger Jude, schweißtriefend auf den glühenden Steinen der Treppe, neben ihm kniet ein jüngerer Mann von dunkler Gesichtsfarbe und scheublickenden Augen, die verstohlen unter den Wimpern hervorblitzen.

»Vater,« flüstert die Stimme des jungen Mannes, »erhebe dich, der Aufseher bemerkt deine Ermattung. Du weißt, wir dürfen nicht ermüden, selbst das Alter nicht.«

»Mein Sohn Isaak –,« mehr vermag die trockne Zunge des Alten nicht hervorzustottern. Der Sohn reicht ihm einen Wasserkrug und netzt die welken Lippen des Vaters. Lächelnd streicht der Ermattete nun über die Hand des Jüngeren, in seinem Auge glüht Dankbarkeit.

»Nun aber raffe dich auf, Vater,« flüstert Isaak aufs neue, »willst du die Peitsche des elenden Ägypters kosten? Mache nicht, daß der Sohn sehen muß, wie der Rücken des Vaters blutet. Oh! mir kocht der Zorn im Herzen, wenn ich dich mißhandelt sehe.«

»Laß mich hier liegen, bekümmere dich nicht um mich, mein Sohn,« erwidert ihm der Erschöpfte. »Verbeiße deinen Grimm zwischen den Lippen, dein Zorn kann mir nichts helfen, du erschwerst nur dadurch unser Elend. Mich werden sie bald zum Leichnam gepeitscht haben, aber dir, Isaak, wird die Pflicht, dich zu schonen. Was soll deine Schwester Rebekka beginnen ohne dich? Tue, was dir die Vögte sagen, widersprich ihnen nicht – gib mir die Hand darauf, Isaak, daß du geduldig die Beschimpfungen tragen, dich nicht widersetzen willst, bis sich der Herr dein Gott, gelobt sei er, vielleicht später über dich erbarmt.«

Unwillig reichte der Jüngling dem Vater die Hand. Trotz lagerte sich in seinen Zügen, als aber der Vater bittend zu ihm empor sah, versuchte er zu lächeln.

»Nun sind es vierzig Jahre, daß ich den Ägyptern die Steine zu ihren Bauten fahre,« murmelte der alte Jude. »Wann wird Jehova, gelobt sei er, das Leiden seinem Kinder enden und es genug sein lassen der Qual? O armes Volk der Ebräer! Deine Weiber gebären Sklaven, deine Männer erziehen gekrümmte Nacken. Dein Blut dient den stolzen Unterdrückern zum Mörtel, deine Kraft baut ihnen unsterbliche Monumente, Aussatz und Verdummung erniedrigen dich, dein Stamm ist ein Rudel Hunde geworden. Wie waren wir angesehen, als Abraham einzog in dies Land und der Vater Josephs seine Herde weidete im Lande Gosen! Gott unserer Väter, hast du keine Helden mehr, die dein Volk erlösen?«

Bis hierher hatte der Alte vor sich hin gesprochen, als das Signal zum Weiterziehen des Kolosses ertönte. Die Aufseher riefen, ihre Peitsche klatschen lassend. Die Volksmasse erhob sich von den Stufen, um nach dem Seile zu greifen. Da bemerkte einer der Aufseher, ein nackter, wildaussehender Ägypter, wie der alte Jude das Seil, an welchem er zu ziehen hatte, kraftlos sinken ließ, der Sohn jedoch das entfallende hastig verstohlen aufhob, um zu seiner Last noch die des müden Vaters zu fügen. Rasch sprang Set der Aufseher hinzu. Ergrimmt packte er den Alten an der Gurgel und schrie ihm zu, augenblicklich selbst zu ziehen.

»Herr, habt Erbarmen,« wimmerte der Hilflose, »ihr mutet alten Knochen zu, was kaum junge vermögen. Ich kann nicht weiter ziehen, meinen schwachen Händen entsinkt das Seil.«

»Das werden wir sehen,« höhnte der Ägypter, den zu Boden Gesunkenen aufreißend, »und du ziehst, alte Mumie, so lange als dein Odem es aushält, in deinem elenden, aussätzigen Leib. Nimm das Seil zur Hand.«

Nochmals versuchte der Greis das Seil festzuhalten, vergebens, es glitt zu Boden. Zähnefletschend schwang der Aufseher die Peitsche, denn schon begann der Koloß sich unter der Anstrengung von tausend Armen zu bewegen. Aber noch ehe der Riemen der Geißel niedersauste, sprang Isaak zwischen den Vater und den Aufseher, so daß er mit seinem Rücken die dem Hingesunkenen geltenden Hiebe auffing.

»Willst du dich widersetzen, elendes Judengesicht,« rief nun der Wütende, dem bleichen, zitternden Isaak entgegen. Schon hatte er den jungen Ebräer am Arm ergriffen, um in grausamer Lust seine Rache an ihm zu befriedigen, als ihm ein lautes, vom Streitwagen des Königs hertönendes Rufen den Arm sinken machte. Auch Isaak wandte sich um. Dieses Rufen hatte seinen Grund, denn die Statue stand zum Schrecken aller schief auf ihrem Wege. Es war ungleichmäßig gezogen worden, und nun kam es darauf an, den Fehler vorsichtig wieder zu verbessern. Der Oberaufseher auf den Knien des Steinbildes rief und winkte, der König und sein Gefolge kamen in die heftigste Erregung. Die Aufseher gaben den Arbeitern die Schuld an dem Versehen, die Arbeiter den Aufsehern. Ein allgemeines Zanken begann, die Peitsche knallte allerorten, so daß für Augenblicke das Werk unterbrochen wurde. Endlich befahl der König Ruhe, man solle versuchen, das Bild auf den richtigen Weg zurückzuziehen. Mit großer Vorsicht begann nun die eine Hälfte der Männer unter der Anleitung ihrer Beamten den Koloß zu drehen. Kaum bemerkbar wendete er sich auf seinem Platze nach der richtigen Seite hin, mit atemloser Spannung folgten alle dem gefahrvollen Experimente. Plötzlich geschah ein Ruck, die Drehung geriet ins Stocken. Der Oberaufseher war der Ansicht, es müsse sich ein Splitter aus dem Boden der schiefen Ebene durch das Umdrehen der wuchtigen Masse losgerissen haben. Daraufhin wurde das Werk von neuem eingestellt. Dem Beamten auf den Knien der Statue ward eine scharfe Rüge vom Könige überbracht, Ramses sei äußerst ungehalten über die schlechte Ausführung des Planes. Dem armen Oberbeamten schwindelten die Sinne, Schweiß bedeckte seine Glieder, er versuchte ein letztes Aushilfsmittel. Mit dem Mut der Verzweiflung gab er den Befehl, alle Arbeiter sollten zu gleicher Zeit mit der Anstrengung aller Kräfte das Bild von seinem Platze bewegen, auch, wenn dabei der Boden des schiefen Weges Not litte, es käme jetzt nur darauf an, der Statue über diese eine unglückliche Stelle wegzuhelfen. Das Ziehen begann, aber der steinerne Ramses blieb unbeweglich. Die Vögte suchten die Kraft der Ebräer mittels der Geißel zu erhöhen, alle Muskeln schwellten an, dumpfes Ächzen entrang sich dem Busen Tausender, die Stricke spannten sich an bis zum Zerreißen, Fluchen und Beten ertönte in wunderlichem Gemisch – da – bewegte sich das Bild? Ja, es bewegte sich wohl, das heißt, es erbebte von oben bis unten, darauf erscholl ein dumpfer Krach, der Boden des schiefen Weges war zerrissen.

»Weiter, rasch weiter,« schrie der Mann auf den Knien des Bildes. Jedoch, als dieser dumpfe Knall ertönt war, hatten die Juden, bis ins Innerste erschreckt, mit den Stricken nachgegeben. Nun erst bemerkten sie das Gefährliche dieses Nachlassens, denn die ungeheuere Masse begann sich langsam nach rückwärts zu bewegen. Bestürzt riß nun jede Faust, um das drohende Hinabrollen aufzuhalten, heftig nach oben; dadurch entstand in der Verwirrung eine solche Ungleichartigkeit des Ziehens, daß die Steinmasse in Schwankung kam und ihr hölzerner Weg knirschte und bebte. Nun aber verloren die Ebräer völlig den Mut, ein betäubendes Toben und Durcheinanderschreien machte jeden Befehl des Oberbeamten unverständlich. Einige ließen vom Ziehen ab, andere zogen, der Oberbeamte faßte sich verzweiflungsvoll an die Stirn – da – ein sinnlähmender Donner, ein einziger, gewaltiger Aufschrei aus tausend Kehlen, und die hölzerne Ebene sank samt ihrem Steinkoloß in sich selbst zusammen. Bis nach Memphis hin hatten sie den Donner vernommen; der Spaziergänger blieb stehen, seinen Nachbar zu fragen, was dies Rollen bedeutete; dem Sänftenträger stockte der Atem, dem Fischer am Ufer des Nil entsank seine Angel, der Brettspieler hielt im Zug inne, als dies Dröhnen in sein Zimmer drang; die Toten in ihren unterirdischen Wohnungen mußten emporfahren aus ihrem tausendjährigen Schlummer, der alte Nil schlug Wellen, gerüttelt von der erschrockenen Erde. Die mit dem Leben Davongekommenen standen zu Bildsäulen erstarrt ratlos da und sahen auf den Ort der Verwüstung. Einige Augenblicke hindurch war die ganze Szene bedeckt von einen. riesig aufwirbelnden Staubvorhang, erst als dieser gesunken, konnte man die Größe des Unglücks ermessen. Die mit rasender Schnelligkeit hinabgeschnellten Stricke hatten Hunderte von Menschen von den Stufen geschleudert; die Walzen und Rollen, umpackt von Ketten, zertrümmerten bei ihrem Sturze, was ihnen in den Weg kam; die schiefe Brücke zerquetschte alles Lebende, das sich über oder unter ihr befand; die ganze Pyramide glich einem Berg von Trümmern, zerschmetterten Leibern und Blut. Hilferufe, Todesröcheln, Befehle zerrissen die Luft. Die Unbeschädigten versuchten die Verwundeten unter den Trümmern hervorzuwühlen, was ihnen jedoch selten gelang. Der König schickte sofort einen Boten nach Memphis, Ärzte und Sänften zu holen, denn obgleich die Zerstörung hauptsächlich das verachtete Volk der Ebräer getroffen, fühlte Ramses in diesem Augenblick, als Zeuge des ungeheuren Vorfalls, Mitleid mit dem Leben seiner Arbeiter, die von seinem eigenen Bild getroffen sich blutend im Staube oder auf der Treppe wälzten. –

Isaak hatte sogleich, nachdem der Donner des stürzenden Bildes verhallt war, seinen Vater neben sich vermißt. Mit Gewalt schüttelte er sich die Schauer des Entsetzens, die ihn überrieselten, von den Schultern, sprang die Stufen der Pyramiden hinab und wühlte verzweiflungsvoll, den Namen seines Vaters vor sich hinrufend, in dem Trümmersand und den Leichenmassen, die sich am Fuße des Gebäudes aufgetürmt hatten. Endlich nach langem Suchen gab seinem Weheruf eine schwache Stimme, die unter einem zerbrochenen Rollwerk hervorzukommen schien, Antwort. Mit Anstrengung aller seiner Kräfte gelang es ihm, sich durch die Pfähle, die Splitter, der zerstörten Maschine durchzuarbeiten, denn er gewahrte mit Schrecken, wie mitten in den Speichen der zerschlagenen Räder der Körper seines Vaters hing. Rascher, als er es selbst für möglich gehalten, gelangte er in die Nähe des Bejammernswerten, hob ihn sanft aus dem Gewirr der Trümmer und trug ihn sorgsam ins Freie. Hier angekommen, überzeugte ihn eine Untersuchung des bewegungslosen Körpers, daß zwar das Haupt des Vaters, getroffen von Balkenwerk, blutete, daß sich aber immer noch ein wenn auch mattes Fünkchen von Leben in dem verwundeten Leib regte. Behutsam schlich sich Isaak, den Körper des alten Mannes auf den Schultern, durch die Trümmer; unbeobachtet gelangte er auf den Weg, der nach Memphis führte. Die Aufseher waren zu beschäftigt, um sich um den einzelnen zu bekümmern; diesem Umstand hatte es der junge Ebräer zu verdanken, daß er ohne Anruf oder gar Aufenthalt weiterziehen konnte. Er floh von dannen, so rasch es seine arme Last erlaubte, scheue, angstvolle Blicke hinter sich werfend, ob man ihn nicht etwa verfolgte. Er war entschlossen, sich auf Tod und Leben zu verteidigen, sollte man ihn zum Stillstand zwingen. Es war ihm heilige Pflicht, den Vater in Sicherheit zu bringen. Da aber niemand an Verfolgung dachte, verlangsamte er seine Schritte, um dem Verwundeten, dessen leises Stöhnen ihm durch die kindliche Seele schnitt, keine Schmerzen zu bereiten. Er hatte die Hälfte des Weges zurückgelegt, als ihm eine von der Oase Amun nach Memphis ziehende Karawane begegnete. Der Anführer der Karawane, ein stämmiger Ägypter, schien mit dem unglücklichen Alten Mitleid zu fühlen.

»Wohin, wohin?« rief er von seinem Kamel herab den beiden zu.

Isaak erklärte in kurzen Worten, er trüge einen sterbenden Vater; der Weg nach Memphis werde ihm immer länger, kaum könne er sich noch auf den Beinen erhalten. Der Anführer brachte die Karawane zum Stehen.

»Der Weg ist nicht mehr weit, tritt näher, Freund,« rief er, »du magst deinen Vater hier auf eines der ledigen Kamele heben. Wir verweigern keinem Sterbenden die letzte Ruhestätte.«

Isaak schleppte sich heran. Kaum aber ward der Führer des Näherkommenden genauer ansichtig, als er erschrocken Befehl zum Weiterziehen gab.

»Bleibt nur, wo ihr steht,« rief er zurück, »ihr seid Juden. Dein Vater mag sterben, wo es ihm beliebt, bei uns findet er keinen Ort dazu!« – Und sie trabten weiter.

Tränen der Wut und Scham perlten über Isaaks Wangen.

»Armes Volk, armer Vater,« flüsterte er. »Oh! wann kommt die Stunde der Rache, wann werden wir als Menschen behandelt werden?«

Er schleppte sich mühsam noch einige hundert Schritte weiter, schon sah man die Tempeldächer von Memphis gelbrötlich herüberleuchten, dann aber machte er, um sich, wie dem Alten, die nötigste Erholung zu gönnen, am Rande eines palmenumstandenen Brunnens halt. Das Haupt des Vaters hatte er sorgsam im Schatten auf schwellendes Moos gebettet; jetzt suchte er nach einem frischen Trunk für die zuckenden Lippen des Greises, da gewahrte er ein Tongefäß auf der Steineinfassung der Zisterne. Eben wollte er die Stirne des Vaters mit dem Inhalt des Gefäßes kühlen, als aus dem kleinen Palmenhain, der den Brunnen nach der östlichen Seite hin umgab, schreiend eine ägyptische Dienerin trat.

»Ein Jude! Willst du mein Gefäß unberührt lassen, du Aussätziger,« zeterte das Weib und riß es dem Jüngling aus den Händen.

»Hab' Erbarmen mit einem Sterbenden,« wollte der junge Ebräer einwenden, aber das Weib ließ nicht nach zu toben. Sie betrachtete das Gefäß von allen Seiten, wusch es an der Stelle, wo Isaaks Hände es berührt, unter fortwährendem Schmähen. Isaaks Inneres empörte sich.

»Gönne mir einen Tropfen Wasser, du Unbarmherzige, mein Vater ist dem Sterben nahe, ein Tropfen könnte ihn retten, er und ich sind keine Tiere. Auch wir haben ein Recht, zu leben.«

»Es wäre am besten,« keifte sie, »man ließ euch alle verdursten, ihr Fremdlinge, die ihr uns den fruchtbarsten Landstrich wegnahmt. Unser nun zu Osiris eingegangener König hat euch verwöhnt; wir aber wollen euch beweisen, daß ihr kein Recht habt, den Nil mit eurem Schmutz zu trüben.«

»Warum,« entgegnete der Arme mit zitternder Stimme, »behandelst du uns Hilflose so geringschätzig, die wir dir nichts zuleid getan? Gib mir Wasser!«

»Da nimm!« höhnte das Weib und spie dem Flehenden vor die Füße.

Länger vermochte sich Isaak nicht zu beherrschen. Ein Sprung, ein Schlag und das Tongefäß lag zerschmettert am sandigen Boden. Schreiend jagte die Ägypterin davon. Der Brunnen war in dieser Jahreszeit fast ausgetrocknet; der Ebräer versuchte deshalb, das Wasser, das noch in den Scherben des zerbrochenen Gefäßes haftete, seinem Vater auf die Lippen zu träufeln. Kaum hatte er es so weit gebracht, daß der Ohnmächtige matt die Augen aufzuschlagen vermochte, um sie sofort unter leisem Wimmern wieder zu schließen, als allmählich näherkommender Hufschlag sein Herz in Schrecken setzte, Häscher möchten ihn verfolgen. Er sprang auf. Richtig, ein Zug nahte dem Brunnen, einige Sänften voraneilend. Erwartungsvoll beobachtet unser Freund den Zug. Schon dachte er daran, rasch mit seiner Bürde davonzueilen; allmählich bei schärferem Hinblicken jedoch schien es ihm, als wenn die Herankommenden nicht an Verfolgung dachten. Er beschloß, ruhig den Verlauf der Dinge abzuwarten. Bald entdeckte er, daß er umsonst Befürchtungen gehegt; die Männer näherten sich friedlich dem Brunnen, in ihren Sänften lagen einige durch den Sturz des Kolosses getroffene ägyptische Aufseher, die sie nach Memphis zu tragen den Befehl hatten. Der Anführer des Zuges wendete sich an Isaak.

»Noch viele Verwundete warten auf unsere Hilfe,« begann er, »wir dürfen nicht rasten; unter den Trümmermassen liegt noch mancher Brave verborgen, der des Ausgrabens mit Verzweiflung harrt. Wir vertrauen deinem Schutz einstweilen diese drei Männer an, bis wir hierher zurückkehren. Überwache die Unglücklichen, es sind Aufseher, alle drei dem Tode nahe!«

Man setzte die Sänften im Schatten der Palmen zu Boden. Isaak, des Gehorsams gewöhnt, nickte stumm vor sich hin; die Ägypter kehrten zur Pyramide zurück, bald machte sie gelb aufwirbelnder Sand unsichtbar. Gleichgültig schweiften die Augen des Ebräers über die drei Sänften – es waren ja ägyptische Aufseher, die dort mit dem Tode rangen, es waren ja seine Peiniger, seine Feinde – sollte er Mitleid mit ihnen fühlen? Sie waren ja nun kraftlos, die Geißel konnten sie nicht mehr schwingen, keine Befehle mehr geben! Alle lagen sie regungslos, wie Leichen unter dem grünen Baldachin der Palmen, Blutflecken auf den Gewändern, die Mienen ausdruckslos nach den Blättern gerichtet, die Augen glanzlos. Zuweilen huschte ein schmerzhafter Zug über eines der Gesichter. Isaak sah, wie sich eine große Fliege, deren Stich äußerst schmerzhaft, dem einen der Aufseher auf die Stirne setzte, um das Blut seiner Wunde, welches unter der Binde hervorquoll, zu schlürfen; der Hilflose versuchte das Tier zu verscheuchen; sein Stich verursachte ihm, wie es schien, unnennbare Qual. Der Jude aber sah teilnahmlos zu, wie sich der Elende abmühte. Dem anderen war der Verband von dem Arme gesunken, sein tropfendes Blut rötete das Gras; der Ebräer tat, als bemerke er nichts davon. Nun arbeitete sich der dritte Verwundete unter einer Last von Binden und Kissen hervor, schlug die geröteten Augen auf und stammelte ermattet: »Wasser!«

Isaak sah gleichmütig zu ihm hinüber; da verwandelten sich seine bis dahin starren Züge. In seinem Auge leuchtete eine dämonische Lust, er lachte dem keuchend sich Abmühenden höhnisch zu.

»Wasser,« lallte dieser noch einmal.

Isaak sprang auf.

»Du bist's,« rief er hinüber. »Du! Set! der meinen Vater schlug! Gott gab dich in meine Hände! O wie gütig ist Gott! Sieh her, elender Ägypter, hier liegt der, den du schlugst – erkennst du uns?«

»Isaak,« hauchte Set, »reiche mir Wasser, ich werde dir's vergelten. Mein Kopf brennt, mein Eingeweide steht in Flammen, hab' Erbarmen.«

»Erbarmen? Hattest du Erbarmen mit mir und meinem Vater?«

»Ich befehle es dir, reiche mir Wasser!«

»Befiehl so lange du willst und sieh zu, wer dir gehorcht.«

Isaak wandte sich ab. Einige Minuten verstrichen lautlos. Endlich streckte der Aufseher noch einmal seine Arme aus.

»Verzeihe mir, Isaak,« wimmerte er, »es ist wahr, ich bin euch ein strenger Herr gewesen, doch es soll besser werden. Ich verspreche es dir. Ich bin nun machtlos in deine Hände gegeben, wirst du deine Gewalt mißbrauchen? Bedenke, daß man dich zur Rechenschaft ziehen wird, tust du mir Übles.«

»Was kümmert's mich,« murmelte der Ebräer, »kann ich nur meinen Rachedurst für diesen Augenblick befriedigen, später mögen sie mit mir anfangen, was sie wollen. Ich reiche dir kein Wasser. Leide Qual, wie wir sie litten.«

Der Ägypter sank stöhnend zurück. Isaak war im Begriff, den Körper seines Vaters von neuem auf die Schultern zu laden, als ihn der Anblick des verschmachtenden Set zum Mitleid zu bewegen schien. Er schritt zum Brunnen, sammelte mühsam die letzten Wasserreste des zerbrochenen Gefäßes in einer Scherbe und hielt sie dem Ägypter vor die brennenden Lippen. Dieser erhob sich.

»Beim großen Osiris,« sagte er, »ich will dir's lohnen, wenn ich genese! Du handelst schön an mir, Jude.«

Eben beugte er seine lechzenden Lippen nach der feuchten Scherbe, als der Ebräer ein heiseres Gelächter hören ließ und, statt ihn trinken zu lassen, die Scherbe in den Sand schleuderte. Darauf überließ er den Sterbenden seinem Schicksal und wendete sich mit seiner lebendigen Last auf dem Rücken Memphis zu. Bald hatte er das Tor erreicht. Da lag es vor ihm, das gewaltige Memphis! Wie ein riesiges Gebirge von Türmen, Dächern und Hallen wölbte es sich in den Himmel, der sich erschrocken in sich selbst zu flüchten schien, befürchtend, dieser wogende Häuser-Ozean dränge bis in seine sonnigen Geheimnisse hinauf und belästige die ewigen Götter. Das war sie, die Stadt der Pyramiden, die Stadt des Apis mit ihren Göttern und Tempeln, ihrem Hafen, ihren stolzen Straßen! Er aber, der arme Jude, schlich sich furchtsam an den Posten vorbei, dem engen Schmutzviertel seines verachteten Stammes zu.


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