Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Drittes Kapitel

Menes erwartete unruhvoll den Abend dieses Tages. Er hatte Mühe, nichts von dem, was in ihm arbeitete, zu verraten, als der König, da er sich zur Jagd rüstete, ihn freundlich ansprach, fragend, warum ein so eigentümliches Feuer aus seinen Augen leuchtete. Er gab hastig dem ihn Bestürmenden zu verstehen, daß er den Verschwörern auf der Spur sei, könne aber bis jetzt nichts Näheres darüber sagen.

Der König drang nicht weiter in den Wortkargen, da er ihm zu sehr vertraute. Nichts wollte unserem Menes heute gelingen, er ging in den Sälen des Palastes auf und nieder, unterhielt sich mit den Kriegern, gab den Sklaven zwecklose Aufträge und warf sich dann auf sein Lager nieder, umsonst nach Schlaf verlangend. Der Morgen war unter Nichtstun hingegangen, der Mittag kam mit seiner brütenden Glut. Er eilte an den Nil, ein Bad zu nehmen; das frische, schilfumrauschte Wasser kühlte sein erregtes Blut; als er darauf langsam am Ufer hinwandelte, überlegte er nochmals im Geiste den kühnen Schritt, den er zu tun vorhatte. Einige Benommenheit beschlich ihn freilich, wenn er daran dachte, diesen Verruchten allein gegenüberzustehen, möglicherweise entdeckt zu werden, jedoch die begeisternde Aussicht, der ganzen bübischen Verschwörung endlich auf den Grund zu kommen, zum zweitenmal der Retter des Königs sein zu können, überwog alle Gedanken an Gefahr. Wie er sich so zögernd, mitunter stehenbleibend, nach Theben zurückwendete, bemerkte er vor sich eine leichte Staubwolke, aus der glänzende Gewande hervorwehten. Er hielt an. Es schien ein königlicher Zug zu sein, dem er da begegnete; voraus schritten mehrere Bewaffnete. Inmitten desselben schwankte eine Sänfte, überdacht von schillerndem Schirm, dessen vergoldeter Stab in der Sonne blitzte; die schwarzen Träger waren geschmückt, neben ihnen gingen halbnackte Dienerinnen, den Schluß machten wieder Krieger. War dies die Königin, die in dieser Sänfte ruhte? Menes zog sich hinter den Stamm einer Sykomore zurück; das hohe Gras ringsum verdeckte ihn völlig. Der Zug kam näher; gerade an der Stelle, die sich Menes zum Versteck ausersehen, hielt er an.

»Rastet ein wenig, Asa-Termutis fühlt sich angegriffen,« rief eine Stimme.

Menes sah, wie sich die alte Dienerin Huassa über die offene Sänfte niederbog, besorgt fragend, wie sich die Herrin fühle; er erkannte, als sie sich umwendete, Asa-Termutis. Die Königstochter lächelte müde, sie schüttelte den Kopf, als man ihr Wein anbot. Der Jüngling fühlte das tiefste Mitleid mit der gebrochen auf den Polstern Ruhenden; sie schien von düsterer Schwermut umfangen, kein Wort kam über ihre Lippen, ihr heiterer Schmuck schien ihrem ernsten Gesichtsausdruck Hohn zu sprechen. Eine Handbewegung der Kranken genügte, um den Zug wieder in Bewegung zu setzen; er schwebte wie ein Traumbild vor den feuchten Augen des jungen Mannes vorüber, um am Gestade des Nil zu halten, wo Asa-Termutis auf Anraten des Arztes ein Bad nehmen sollte.

»Sie könnte glücklich sein, Reichtum umfließt sie, Macht umstrahlt sie,« sagte Menes traurig, »und dennoch flieht das Glück von ihr. Wollten es die Götter, daß ich nicht die Ursache ihres Grames bin. Was ist es nur um die Liebe,« grübelte er im Weiterschreiten. »Warum empfinde ich nichts, wenn dieses schöne Weib mir ins Auge sieht, während mich ein Blick Myrrahs durchbebt wie Feuer. Warum sieht dies Königskind mehr in mir, als in jedem anderen Manne.«

Als er den Hof des königlichen Palastes erreicht hatte, trat ihm der von der Jagd zurückgekehrte König in Begleitung eines älteren Mannes entgegen, welcher der Leibarzt zu sein schien. Der Arzt sprach mit bedächtigem Tone, während er die Runzeln seiner Stirn von Zeit zu Zeit bewegte oder seiner Rede mit einer ernsten Gebärde Nachdruck verlieh. Als er sich verabschiedet hatte, schritt Ramses gedankenvoll seinen Gemächern zu. Ehe er das Portal erreicht, ward er Menes ansichtig, stand still, bis dieser nahe herangekommen und schüttelte dann schmerzhaft sein ehrwürdiges Haupt.

»Mein Freund, mein Retter,« sprach er, tief bewegt, »mein Leben hast du mir gerettet – oh! könntest du mir auch dieses Leben retten.«

»Welches, mein hoher Gebieter?« frug Menes beklommen, ob er gleich wußte, wessen Leben gemeint sei.

»Menes! ich fürchte – o, ihr Götter! wie werde ich's ertragen,« zitterte es von des Königs Lippen, »ich fürchte, die Götter wollen sie mir rauben –«

»Mein hoher Herr! – faßt Euch –« wagte Menes abgewendet hervorzustammeln.

»Der Arzt – sagt mir – o, meine Tochter! – sie stirbt.«

Mit diesen Worten sank das Haupt des Herrschers auf die Schultern des jungen Mannes; eine Träne sah Menes über seinem Arm am Boden blitzend zerschellen. Doch nur einen Augenblick gab der Gewaltige seiner Schwäche nach, er raffte sich auf und schnitt langsam seinen Gemächern zu, Menes in der peinlichsten Mißstimmung zurücklassend. Zum Glück hatte der Jüngling nicht lange Zeit, über das Unheil, das er ohne seine Absicht heraufbeschworen, nachzugrübeln; der Abend sank auf die Gefilde nieder, das gefahrvolle Werk harrte des Vollführers. Nachdem er sich ein wenig ausgeruht, steckte er, um für alle Fälle vorbereitet zu sein, einen Dolch nebst einem aus starken Fäden gedrehten Seile zu sich und begab sich sodann klopfenden Herzens auf den Weg nach dem Tempel. In der Stadt war es bereits stille geworden; die Gewerbe ruhten, nur noch zuweilen ertönte der Hammerschlag des Schreiners. Türen und Fenster wurden der Abendkühle erschlossen; die Fischer kehrten vom Nile, die Krieger eilten zum Wein. Auf den Dächern der Häuser, unter bauschenden Vorhängen saßen die Bürger, die Abendluft zu genießen oder ihre Milch mit Datteln zu verzehren. Junge Mädchen warfen den Ball vor den Treppen der Wohnungen, oder man sah hinter den Fenstern zwei alte Leute vor einem kleinen Tische knien, die Steine des Brettspiels schiebend. Hastig eilte unser Freund quer durch die Stadt, ihrem nordöstlichen Ende zu, ohne in seiner Aufregung das Treiben der Menschen (was er sonst so gerne tat) zu beobachten. Bald ragten die riesigen Pylonen des Amun-Tempels vor ihm auf und bald war sein banger Fuß eingetreten in den ersten Hof des gewaltigen Gotteshauses, das wie ein lebendig gewordenes Gebirge unter dem zitternden Sternhimmel ruhte. Er schritt von Hof zu Hof, die letzte Zelle zu suchen, wo die nächtlichen Zusammenkünfte der Verschwörer statthaben sollten. Die Gegenstände waren kaum mehr zu unterscheiden, die weiten Höfe lagen weiß im Glanz des Mondes, wie ausgebreitetes Linnen, rings von finsteren Mauern umrahmt, die ihre schwarzen Schatten auf den schimmernden Sand gossen. Unser Wanderer störte durch seine Schritte zwei Geier von ihrem blutigen Mahl auf; in seinem hoch erregten Gemütszustande wollte ihm das häßliche Gekreisch der beiden wie eine Abmahnung erscheinen; er blieb einige Augenblicke stehen, bis zwei dienende Priester, die an ihm vorübergingen, nach seinem Begehren frugen. Hastig gab er zur Antwort, er habe noch ein Gebet zu verrichten, und eilte weiter. Heute imponierte ihm der mächtige Säulenwald, durch den er wandeln mußte, wenig, auch die Sphinxe ließen ihn gleichgültig, er hatte nur sein Ziel vor Augen, das ihn für alles übrige blind und taub machte. Bald war die letzte Zelle gefunden, deren Türe jedoch verschlossen war, ein sicheres Zeichen, daß die Stunde der Versammlung noch nicht gekommen; auch im Inneren ließ sich keine Stimme hören. Wie aber hineingelangen? Es war wichtig, vor allen übrigen in den Raum zu schleichen, da im anderen Falle die Entdeckung hätte unausbleiblich sein müssen; auch war das Tor zu massiv, um den Schall der Sprechenden deutlich nach außen dringen zu lassen. Was tun? Eile war nötig, jeden Augenblick konnten die ersten erscheinen. Halt! vielleicht hatte diese Zelle, wie viele des Tempels, keine Decke. Vielleicht war von oben in sie einzudringen. Der Jüngling stahl sich klopfenden Herzens eine Stiege hinauf. Richtig, die Decke der Zelle beschränkte sich auf ein von Säulen getragenes, sechs Fuß breites Steingesimse; durch den offenen Mittelpunkt konnten Sonne und Mond hineinscheinen. Aber wie hinuntergelangen? Er sah über den Rand in die Tiefe hinab. Zu erlauschen, was unten gesprochen wurde, war unmöglich; er mußte in das Innere der Zelle gelangen. Das mitgebrachte Seil ließ sich wohl an einer der hervorspringenden Dachverzierungen befestigen, reichte aber kaum bis in die Hälfte der Höhe. Doch dort stand eine Bildsäule Amuns, deren Haupt noch vielleicht acht Fuß vom Rande der Decke entfernt war; soweit reichte das Seil. Erfreut über diese Entdeckung, schlang Menes das Seil um eines der Ornamente; es berührte, hinabgelassen, die Steinschulter des im Sternlicht grünlich schimmernden Gottes.

»Der Gott wird mir seine Entweihung verzeihen,« murmelte Menes aufgeregt, als seine Sandalen erst des Steinbildes Haupt berührten, dann auf seinen Schultern ruhten, dann auf seinen Armen hinabglitten und schließlich auf seinen Knien festen Boden suchten. Ein Sprung ließ ihn von dort die Steinfliesen der Zelle erreichen. So war er also im Mittelpunkt der Verschwörung, konnte hinter dem Rücken des Gottes, unsichtbar wie ein Geist, ihre Schändlichkeiten mit anhören. Die Säulen der Zelle standen regungslos, wie alte Krieger; über der Öffnung des Daches flimmerte der Sternhimmel; grün, wie eine Eidechse, schimmerte der Gott. Nun galt es ausharren. Ein Frösteln der Erwartung überlief Menes, die Knie zitterten ihm so heftig, daß er sich niedersetzen mußte. Es war eine seltsame Lage, er verhehlte es sich nicht. Die tiefe Stille ringsum regte die beängstigte Phantasie tief auf; er mußte zuweilen nach Atem ringen, so schwer legte sich ihm die Nacht und die spannungsvolle Erwartung auf die Brust. Er hatte vielleicht eine halbe Stunde voll Unruhe und Beklommenheit verbracht, als er draußen auf dem Gange näherkommende Schritte hörte. Mittels eines geschickten Schlages verbarg er das herabhängende Seil hinter dem Haupte des Gottes und lauschte. Was sollte sich ihm jetzt entschleiern? Welche Pläne schmiedeten die Gottvergessenen! Er war am Ziel, ihm war es vorbehalten, der Retter des Reiches genannt zu werden, und diese Gedanken erfüllten ihn mit Stolz. Die Türe ward geöffnet; Psenophis, der Oberpriester, schlich behutsam herein. Er trat auf den Altar zu, auf welchen er eine mitgebrachte Lampe stellte, deren Schein das grünliche Steinbild nebst den Säulen matt erhellte; dann winkte er nach der Türe; durch diese trat ein Sklave, mehrere Stühle hereintragend, die er im Kreise umherstellte. Kaum war dies geschehen, so hallte der Gang von neuen Schritten wider. Menes fühlte nun erst vollständig das Gefahrvolle seiner Stellung. Hoffentlich kam keiner der Eintretenden auf den Einfall, zwischen die Bildsäule und die Wand zu blicken. Hier stand oder besser stak der Tollkühne, still wie eine Leiche, selbst den Atem unterdrückend, soviel es gehen wollte.

»Näher, nur näher,« rief Psenophis. »Ah! unsere Königin mit ihrem erlauchten Sohn.«

»Wir sind es,« sagte Urmaa-nofru-râ, ihr Tuch zurückschlagend, »wir stahlen uns aus dem Palast. Noch niemand sonst hier?«

»Es scheint, wir sind die ersten,« erwiderte Cha-em-dyam, finster um sich blickend.

»Die ersten und die besten, nicht die ersten besten,« witzelte Psenophis, »doch da kommen auch die übrigen pünktlich. Nur herein,« rief er den Gang hinab, »ihr braucht eure Schritte nicht zu dämpfen. Wie könnte hier ein Lauscher in der Nähe sein, ich habe alle Priester längst entfernt.«

Menes sah nun, wie einige ihm Unbekannte eintraten, die Anwesenden grüßten und sich zu ihnen setzten. Unter diesen befand sich ein dunkelfarbiger Jüngling, der, wie Menes aus den Anreden der übrigen erfuhr, ein äthiopischer Königssohn aus Meroë war. Nachdem alle Platz genommen, schloß Psenophis die Türe, holte die Lampe vom Altar – wobei ihr flackernder Schein vorüberhuschend den Winkel unseres Freundes streifte – und stellte sie mitten in den Kreis der Verschworenen. Als die Türe ins Schloß fiel, war es unserem Freund, als habe sich die Welt hinter ihm geschlossen. Er strengte alle seine Sinne aufs äußerste an. Nun galt es sehen, hören, behalten, nun saß er in der Höhle der Löwen – Umkehr unmöglich – er mußte ausharren, bis es jenen beliebte, zu gehen.

»O großer Amun-râ, der du zornig auf diese Elenden herabblickst,« betete er inbrünstig, »leihe mir deinen Schutz. Wenn du mich wieder glücklich aus den Klauen dieser Schurken befreist, will ich, was ich vernommen, zum Wohl deines Sohnes, meines guten Königs, verwerten.«

Das Durcheinanderreden der Versammelten ging in ruhigeres Gespräch über, als der Oberpriester, der Lenker des Rates, Stille gebot; der Lauscher hinter der Säule konnte jede Silbe vernehmen. Zuerst las Psenophis eine Liste ab, welche die Namen aller Königsfeinde enthielt; jeder antwortete, als er aufgerufen wurde, mit »Hier!« Es fehlte keiner. Sodann sprach Psenophis gewandt und schlau über den Zweck des ganzen Unternehmens. Er stellte Ramses den Zweiten als einen Unwürdigen hin, der die Fremden, die Juden zu sehr begünstige und die Kraft des Volkes in nutzlosen Kriegen vergeudete. Er hastete über jeden einzelnen Punkt geschickt hinweg, wußte die kleinen Fehler des Monarchen zu wahren Riesen auseinanderzutreiben und drückte die großen Eigenschaften des Gewaltigen zu Zwergen herab, tat dies aber mit solch verblüffender Zungengewandtheit, daß man ihm oft im Augenblicke recht geben mußte, und man erst später die Falschheit seiner Schlüsse durchschaute. Nachdem er lange genug als Sandkorn den Koloß Ramses bemäkelt, schloß er mit zündenden Worten, die ein lebhaftes Zustimmen seiner Schar hervorrief. Nun besprach man sich flüsternd, so daß unserem Lauscher der Beginn der Unterredung verloren ging.

»Er kann nichts mehr verraten,« lachte die Königin, etwas lauter als die übrigen, »mein Trank hat ihn stumm gemacht. Dank diesem köstlichen Kraut!«

»Ihr handeltet gut,« entgegnete Psenophis, »Hui hätte uns gefährlich werden können. Sehr gefährlich! Nun, vor seiner Verräterei sind wir gerettet; der Tod ist ein schweigsamer Bundesgenosse. Aber von anderer Seite droht uns Gefahr.«

»Gefahr? Woher?« fuhr der Prinz auf.

»Wo ist die schöne Jüdin, ich sehe sie nicht?« rief der äthiopische Königssohn dazwischen, »sie besucht unsere Zusammenkünfte nicht mehr.«

»Eben von ihr droht uns Gefahr,« sagte Psenophis.

»Wie? Von ihr? Unmöglich!« widersprach der Äthiopier, »sie liebt mich, sie ist uns treu ergeben.«

»Sie liebt den König,« sagte Psenophis mit einem listigen Seitenblick auf die Königin, welche bei diesen Worten zusammenzuckte; »sie liebt ihn innig, sie hat mir mit großer Kühnheit getrotzt, sie weigert sich ernstlich, ihn zu töten.«

»So töten wir sie!« preßte Urmaa-nofru-râ heraus.

»Die waghalsige Dirne ist imstande, uns alle unter das Beil des Henkers zu liefern,« fuhr Psenophis fort, »der König ist ihr sehr gewogen; ich für mein Teil glaube, daß er, erfährt er, daß sie unserem Bunde angehörte, sie trotzdem begnadigen wird. Die Gefahr wächst von Stunde zu Stunde, rasches Handeln allein kann uns vom Verderben retten.«

»Ich nehme es auf mich, dieser Jüdin das Sprechen unmöglich zu machen,« sagte die Königin mit finsterem Stirnrunzeln, »mein Herz ist an dieser Tat beteiligt, nicht bloß mein Verstand. Sie hat mir den Gatten gestohlen, dadurch allein verdient sie den Tod. Lächele nicht, Priester, über meine Eifersucht und lasse mich gewähren. Es wird mir gelingen, ihr ein Gift beizubringen, wenn sie es am wenigsten erwartet. Ich kenne ein Kraut, das, wenn man es im Zimmer verbrennt, einschläfernd wirkt. Habe ich sie dadurch betäubt, so wird es mir ein leichtes sein, sie für immer schlafen zu machen.«

»Ich bin weit entfernt, Eurer gerechten Entrüstung zu spotten,« gab der Oberpriester zur Antwort, »hohe Frau, Eure Rache ist gerecht, ich selbst rate, der Tänzerin, sobald es möglich, Schweigen aufzuerlegen, da ein Wort von ihr hinreicht, uns alle zu vernichten.«

Mit Befriedigung gewahrte der Oberpriester die Röte des Ingrimms auf dem Gesicht der Eifersuchtgequälten.

»Vor allen Dingen bin ich der Meinung,« sprach nun der Prinz mit heiserer Stimme, »daß wir nicht länger dulden dürfen, wie sich ein fremder, aus Memphis kommender Mensch, jung, unerfahren wie ein Knabe, wie sich dieser Menes in der Gunst des Königs befestigt. Dieser Träumer ist es, der es bis jetzt unmöglich machte, einen Schlag gegen den König zu führen, denn trotz seiner Unerfahrenheit, seinem phantastischen Nichtstun lehrt ihn doch seine hündische Treue, wachsam zu sein. Meiner Ansicht nach muß er vor allen übrigen sich aus der Welt begeben.«

Alle stimmten dem Prinzen bei. Menes in seinem Versteck erkannte mit Schaudern, daß er der Gegenstand des allgemeinen Hasses war, denn sein Name ward nur mit den heftigsten Gebärden der Entrüstung ausgesprochen, er fühlte, daß, wenn ihn diese Menschen in ihre Gewalt bekamen, keine Rettung mehr für ihn möglich war. Sie zerrissen ihn mit Worten, ihm war zumut, als sei eine Herde hungriger Schakale über seinen Leichnam hergefallen, als er diese gräßlichen Verwünschungen gegen sich ausstoßen hörte.

»Der König wäre längst in seinem Grabmal zur Mumie vertrocknet,« rief Psenophis alle übertönend, »wenn diesem wortkarge Schwärmer nicht stets unsere Pläne durchkreuzte. Der Prinz hat recht: Vor allem müssen wir uns seiner entledigen.«

»Morgen,« sagte Urmaa bestimmt, »dringe ich mit drei Sklaven in sein Gemach, lasse ihm einen Sack überwerfen, fessele ihn und –«

»Nein, liebe Mutter,« widersprach ihr der Sohn, »ich habe ein besseres, schlaueres Mittel ausgesonnen, das weniger Aufsehen erregt und meine Rache glühender befriedigt.«

»Ich lade ihn freundlichst ein, meinen Palast zu besuchen, denjenigen, der südlich eine halbe Stunde von Theben entfernt liegt. Dort zeige ich ihm einen Käfig, den ich angeblich für Nilpferde erbauen ließ. Ich öffne die Eisentüre, lasse ihn hineinblicken und in diesem Augenblicke müssen ihn zwei vorher instruierte Sklaven in das Innere stoßen, woselbst er verhungern mag. Kein Sterblicher wird ahnen, wohin er gekommen, denn dieser Käfig hängt da, wo mein Palast an das Gebirge stößt, über einem Abgrund, in welchen er später versinkt. Diese Strafe mag grausam sein, aber sie ist gerecht.«

Man stimmte ihm freudig bei. In Menes' Busen stieg, als er die Worte des Entsetzlichen vernommen, nebst einem kalten Schauer, der ihn überlief, ein Trotzgefühl auf.

»Du sollst mir büßen,« knirschte er, »du sollst sehen, wie sich der Träumer rächt. Gib acht! Du hast deinen Käfig für dich erbaut, Unmensch! Über euern Häuptern schwebt bereits unsichtbar das Schwert der richtenden Göttin, das schwarze Verhängnis.«

Er vergaß seine gefährliche Lage über diesen Betrachtungen vollständig, bis ihn ein unerwarteter Zwischenfall wieder unangenehm an dieselbe erinnerte. Der Oberpriester stand nämlich plötzlich mit allen Anzeichen des Schreckens auf.

»Was ist das?« unterbrach er die eifrig Redenden, »einen Augenblick stille!«

Man schwieg.

Menes war, als müßten ihm die Sinne vergehen. Sein Fuß, mit dem er zornig aufgestampft, hatte auf den Steinfliesen die Statue zu heftig berührt.

»Was? Warum? Wo?« wurde gefragt.

»Mir war, als hörte ich ein Schlürfen,« entgegnete der Oberpriester, sich umblickend.

»Es wird die Lampe oder der Wind gewesen sein,« meinte einer.

»Du hast dich getäuscht,« sagte ein anderer.

Psenophis leuchtete einmal flüchtig mit der Lampe durch die Zelle, setzte sie dann wieder hin und gab zu, daß er sich geirrt habe. Menes atmete auf, er richtete sich empor und schickte ein stilles Dankgebet zu den Göttern, die den Schein der Lampe an ihm vorübergleiten ließen. Nun beratschlagte die Versammlung, auf welche Art am leichtesten der König beiseite zu schaffen sei, ob durch einen offenen Angriff auf sein Leben oder einen heimlichen Überfall. Der äthiopische Prinz versprach seinen kriegerischen Beistand, der Statthalter Ani sei bereits in Meroë, um Truppen zu werben. Die Königin riet Vergiftung, Cha-em-dyam wollte Schwert und Dolch gebraucht wissen. Es ward lange hin und her gestritten, die Parteien ereiferten sich, immer lebhafter wurde das Wortgefecht, das Menes mit dem Gefühl des tiefsten Abscheus, des bittersten Unwillens belauschte. Manchmal vergaß er sich in seiner edlen Entrüstung so weit, daß er leise Worte vor sich hin flüsterte, die glücklicherweise vom wilden Stimmengewirr ungehört verschlungen wurden, manchmal war er nahe daran, unbesonnen vorzutreten, ein vernichtendes Machtgebot dazwischen zu schleudern. Endlich, nachdem die Gesichter sich kampflustig erhitzt, die Augen der Verräter wild funkelten, erhob sich Psenophis kühl lächelnd von seinem Sitz.

»Toren seid ihr,« rief er mit so dröhnender Stimme, daß die Streitenden verstummten.

»Toren, daß ihr euch in einer Sache bekämpft, bei der nur die tiefste Eintracht zum Ziele führen kann. Doch hört mich an. Ich habe einen Plan ersonnen, den ihr alle als einen außergewöhnlich schlauen anstaunen werdet und vor dessen tiefsinniger Verruchtheit die Bosheit selbst beschämt schweigen müßte. Eure Anschläge, die ich bis jetzt vernommen, dienen nur dazu, die Wut des Volkes gegen uns, als die Täter, die Anstifter zu erregen, mein Anschlag hingegen lenkt den Verdacht nicht nur von uns ab, er vernichtet ihn überhaupt, weil – weil der Nil der Täter sein wird!«

»Der Nil?« hallte es fragend in der Runde wider.

»Ja, der Nil,« lächelte Psenophis, »der heilige Strom wird unser Bundesgenosse sein, den verdammungswürdigen König zu töten, der die verworfene Brut der Ebräer beschützt, der die Macht der Priester eindämmt, der sein Weib betrügt und Fremden sein Vertrauen schenkt. Hört mich an, wie ich es zu machen gedenke: Ich habe am großen Nilkanal nördlich der Stadt ein unterirdisches Gemach erbauen lassen, um der Sonnenhitze entgehen zu können, wenn Festlichkeiten abgehalten werden sollen; solche unterweltliche Prachtsäle sind nichts Seltenes, ihr wißt, daß viele Reiche dergleichen besitzen, oft ganze Monate dort unten zubringen, wenn sie die Sonnenhitze schlecht vertragen oder der Schlaf ihr heißes Lager flieht. In einen solchen Saal werde ich den König zum nächtlichen Gastmahl laden. Nun aber habe ich zuvor – das Werk geht in diesen Tagen bereits seiner Vollendung entgegen – den Nilkanal so dicht an der rechten Wand des unterirdischen Gemaches vorbeiführen lassen, daß das Öffnen mehrerer Riegel, einiger Zapfen genügt, die Wassermasse in das Innere des Zimmers hereinbrausen zu machen, und zwar stürzt sie aus solcher Höhe herab, daß, wie der Baumeister sagt, bis ihr drei zählt, der ganze Raum bis zur Decke mit dem wogenden Naß erfüllt ist. Die Geladenen, beim Weine Sitzenden werden also, kaum zur Besinnung gekommen, schon als Leichen in dem zum Meer gewordenen Gemache umherschwimmen. Auf diese Weise läßt sich der Tod des Königs einfach auf Rechnung des Zufalls schieben – die Wand des Saales konnte nun einmal den Druck des Kanalwassers nicht aushalten. Kein Mensch ist schuld an dem Unfall – der Nil hat es getan.«

Als er geendigt und mit triumphierender Miene, wie ein siegreicher Feldherr um sich geblickt, schwieg die Versammlung noch einige Augenblicke. Ein unbehagliches Gefühl, ein demütigendes Grauen überschlich die Hörer, sie ernannten in dem kahlen Priester ihren Meister. Einige warfen Blicke des Neides, des geheimen Ärgers auf seinen glatten Schädel, der sich so stolz erhob, als gebühre ihm die Königskrone. Dann gaben alle kleinlaut ihre Zustimmung. Der Plan sollte in sechs Tagen, wie Psenophis angegeben, zur Ausführung gelangen, bis dahin werde das unterweltliche Werk, das Graben des Seitenkanals beendet sein. Nachdem man noch einige Bestimmungen festgesetzt und sich gegenseitig Treue gelabt, erhob sich die Versammlung. Psenophis nahm eine solche herablassende Herrschermiene an, als man sich trennte, daß Cha-em-dyam ihn mit mißtrauischen Blicken beobachtete, doch als der Oberpriester ihm ins Ohr flüsterte: »Wann dürfen wir dich den Sohn der Sonne nennen?« verklärten sich die düsteren Züge des Prinzen zu einem unheimlichen Grinsen.

»In sechs Tagen, hoffe ich,« flüsterte er.

»So hoffe auch ich,« erwiderte Psenophis, »und deiner Huld werde ich gewiß sein?«

Statt aller Antwort drückte ihm der Prinz gnädigst die Hand. – Indessen hatten alle das Gemach verlassen; Menes war allein, befreit von dieser Meute; er atmete auf. Er trat aus seinem Versteck. Das also war das finstere Werk, das dem König drohte? Auf diese hinterlistige Weise wollte man ihn vernichten? Er ballte die Fäuste gegen die Türe und schwur ihnen alle die grimmigste Rache.

»Sogleich zum König,« sagte er sich, »jeden einzelnen genannt. Eine Abteilung Krieger in das Haus eines jeden von ihnen abgeschickt und sie dann öffentlich vor den Augen des Volkes hingerichtet, ohne Verzug, ohne Gericht, ohne Verhör!« Er glühte innerlich, er mußte sich den Kopf mit beiden Händen halten, so schlug ihm das entrüstete Herz bis ins Gehirn hinauf, so wälzten sich ihm die Gedanken wild unter der brennenden Schädeldecke. Doch jetzt galt es handeln. Rasch weg von diesem Ort des Verbrechens, rasch zum König, er mußte aus dem Schlummer der Nacht geweckt werden. Keine Minute durfte verloren gehen, dies Bubenstück vor ihm zu entlarven. Der Jüngling kämpfte seine Erregung nieder, schwang sich auf den Sockel des Steinbildes und hatte eben das vom Dach herabhängende Seil mit der Hand erreicht, als er näherkommende Schritte auf dem Gange vernahm. Was tun? Herabspringen? Sich wieder verbergen? Er lauschte. Vielleicht gingen die Schritte vorüber. Nein! sie hielten vor der Türe. Das Schloß ertönte dumpf. O ihr Götter! Sie haben vergessen, die Lampe mitzunehmen, diese soll geholt werden. Rasch der Lampe einen Stoß gegeben, damit sie erlöscht. Sein Fuß erreicht sie, sie liegt zerschmettert am Boden; der Docht brennt aber noch matt im schwimmenden Öl. Er flieht hinter die Bildsäule; zu spät; die Türe wird geöffnet.

»Was ist das?« hörte er den keuchenden Psenophis rufen. »Herbei! Es war jemand hier, wir sind belauscht!«

Ferne Stimmen geben Antwort. Der Docht am Boden legt sich um und erlischt. Dem armen Menes schwinden die Sinne.

»Herbei! Herbei!« dröhnte es durch die Hallen. Die kaum Gegangenen kehren lärmend zurück und sehen furchtsam, zweifelnd in das nunmehr dunkle Gemach.

»Ich sah ihn im Schein der Lampe,« beteuert der Oberpriester.

»Unmöglich!« ruft die Königin.

»Er war's! Menes war's! Er hat sich versteckt.«

»Wer warf die Lampe zu Boden?« schreit es im Chor.

»Er! Er tat's, um sich zu retten,« entgegnet, am ganzen Leibe zitternd, der Priester.

»Du träumst,« hallt es ihm zurück.

»Da ist er; seht ihr dort das Seil vom Dache herabschweben?« stößt er auf einmal frohlockend heraus.

»Bei Gott! Das ist ein Seil!«

»Er hat recht, wir sind belauscht. Folgt mir, es soll sich sofort offenbaren.«

Der Prinz stürzt in den dunkeln Raum, fällt über die Lampe und ruft wütend: »Wer hier?«

»Tor! er wird wohl Antwort geben,« höhnt die Königin.

Der Prinz gelangt bis an die Bildsäule. Da schreit er auf und flieht mit blutendem Arm zurück.

»Ich erhielt einen Dolchstoß,« ächzt er, den Arm haltend.

»Es ist am Tag,« schreit Psenophis, »wer folgt mir hinter die Bildsäule?«

Einige der Verschworenen fassen ihre Dolche und dringen zögernd ein; Menes rafft seinen ganzen Mut zusammen, die Verzweiflung leiht ihm Riesenkräfte. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, er stürzt sich wie ein rasender Löwe mitten in die verblüfften Verschworenen, um auf diese Art durch Überrumpelung den Ausgang zu erzwingen. Vergebens! Sie fassen ihn! Ein paar Dolchstöße machen ihn wieder frei. Er rennt zurück, springt auf den Sockel und schwingt sich an dem Seile in die Höhe. Schon hat er den Rand des Daches erreicht, schon glaubt er sich hinaufschwingen zu können, da fühlt er eine Hemmung am Fuße, man hat ihn gefaßt und zieht ihn unter Gelächter und Triumphgeschrei zurück.

»Ho! Ho!« brüllt der Prinz, »die Jagd ist zu Ende, die Antilope ist gefangen.«

»Schneidet ihm die Lauscherohren ab!« schrien die übrigen.

»Nein! Habt ihr meinen Käfig vergessen?« lacht der Prinz, »dahinein gehört das seltene Tier.«

»Seht, wie es um sich beißt, wie es die Augen verdreht, wie es die Fäuste gebraucht. Wirst du uns nun dem König verraten?« tobt es wild um den Daliegenden.

Menes ist es, als versänke er im Meere. Vor seinen Ohren rauscht's, vor seinen Augen ziehen flimmernde Bilder vorüber; die Gedanken: verloren zu sein; Myrrah in dieser traurigen Welt allein zu lassen; den König nicht retten zu können – zucken noch einmal wie qualvolle Blitze durch sein zitterndes Hirn, dann ist eine tiefe Bewußtlosigkeit die Folge seiner Anstrengungen und Aufregungen.


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