Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Siebentes Kapitel

Mehrere Tage waren verflossen. Noch lag es in des Königs Zügen, als hätte das Schicksal einen ewigen Kummer auf dieselben meißeln wollen, tatlos schlich er bei Tage durch seinen Palast, in der Nacht hörten ihn seine Diener stöhnen. Man fand am Morgen der furchtbaren Nacht einen Stab, den der Herrscher durchnagt hatte, so sehr fraß er seinen eigenen Jammer wieder, so wenig vermochte er anfangs Herrscher seines Zustandes zu werden. Menes hatte sich von den Schrecken seiner Einkerkerung erholt und suchte seinem Herrn das Seelenweh tragen zu helfen, was ihm auch insoweit gelang, als derselbe allmählich seinen Dienern wieder zugänglicher wurde und sich mit eisernem Fleiß in zerstreuende Regierungsgeschäfte vertiefte.

Ein neues, jedoch ihn weniger tief berührendes Leid war für den Herrscher, daß Rebekka seit einigen Tagen schweigsamer wurde, was der Arzt innerer Erkrankung zuschrieb. Eines Abends, als der Herrscher bei ihr verweilte, erblich sie plötzlich, eine Schwäche überkam sie und man mußte sie mit starken Mitteln wieder zu sich selbst bringen. Der König hatte sich an die Jüdin gewöhnt, sie hatte ihm sein Weib ersetzt, und so zitterte er für ihr Leben, obgleich dies Leben wohl bisher ein wenig ehrenvolles gewesen. Ihm blieb nicht verborgen, daß sie eine innere Neigung zu ihm gefaßt, er vergalt ihr diese tiefere Teilnahme, ohne sie jedoch in dem Maße zu erwidern, mit dem sie ihm entgegengebracht wurde, er vergaß keinen Augenblick den Abstand, der sie von ihm trennte.

Eines Morgens trat Ramses mit etwas hellerem Auge zu Menes, der gerade damit beschäftigt war, einen Brief an seine Mutter zuschreiben.

»Ich komme von meiner Tochter,« sagte der Fürst, sich setzend.

Menes fühlte bei diesen Worten ein Unbehagen, das er sich nicht zu erklären vermochte.

»Ich habe mit ihr gesprochen,« fuhr er fort.

»Ich hoffe, sie fühlt sich gesünder,« entgegnete Menes abgewandt.

Der König nickte mit dem Kopfe.

»Sie ist ruhiger,« flüsterte er. Dann, als erwachte er aus einem Traum, neigte er sich hastig zu seinem Freunde, sah ihm innig in die Augen und sagte mit mildem, fast schmelzend weichem Ton: »Weißt du, wie ihre Krankheit heißt?«

»Hoher Herr,« erwiderte Menes, schwer aufatmend, als erdrücke ihn ein Felsgewicht. »Ich bin nicht Arzt, meine medizinischen Kenntnisse sind gering.«

Ramses drohte ihm lächelnd mit dem Finger.

»Schelm! weichst du mir aus,« sagte er.

Menes beugte sich auf den Tisch, und tat, als ob er unter den Rollen eine suche, wobei er über und über errötete, was dem König nicht entging.

»Ihre Krankheit heißt Liebe!« fuhr Ramses fort, »sie wird nicht daran sterben, hoffe ich, doch ich möchte sie davon heilen, sofern ich es vermag.«

Die Verwirrung, von welcher Menes überrascht wurde, läßt sich kaum beschreiben, er begann heftig zu zittern, eine innere Seelenpein malte sich in seinem Auge, wie er sie kaum unter dem Eisendach seines Kerkers empfunden. Er fühlte, wie sich der Dolch, der in des Königs Worten lag, immer mehr seinem Herzen näherte, er ahnte schon den drohenden Zusammenstoß. Was sollte er beginnen, das Nahende abzuwenden?

»Ich habe mit Asa-Termutis gesprochen,« begann der König aufs neue, nicht ahnend, welche Qualen er seinem Retter bereitete, »sie hat mir gebeichtet, unter Tränen gebeichtet, die Arme. Sie warf sich an meine Brust, und schien trostlos, dann schwebte sie wieder auf dem Gipfel des Glückes, um sogleich darauf wieder zerschmettert herabzusinken. Sie glüht, sie verzehrt sich – hörst du, Menes? – sie liebt; sie hat gebeichtet.«

Der junge Mann wandte beständig das Gesicht hinweg.

»Nun denn!« sprach der König weiter, »da du dir vorgenommen zu schweigen, sei es herausgesagt: Sie liebt dich! Du bist der Gegenstand ihrer Zärtlichkeit – also hat sie mir anvertraut.«

Es war gesagt. Menes fühlte sich vor einem Abgrund stehen.

»Du bist bescheiden, mein Sohn,« fuhr Ramses gerührt fort; »ich weiß es. Du träumtest dir nicht, daß dich so hohes Glück umstrahlen würde, deshalb stehst du nun stumm und ratlos. Gib mir deine edle Hand, mein zweimaliger Retter, wie könnte ich dir besser danken, als indem ich dir sie, die für dich glüht, zum Weibe gebe! Erst damit trage ich meine schwere Schuld ab. Erbebe nicht, erblasse nicht, und stehe nicht so niedergeschlagen – ich weiß, was ich sage. Wohl unerhört ist der Schritt, den ich tue, das war noch nie geschehen, solange sich der Nil durch diese Auen wälzt und die Pyramiden den Himmel durchbohren, aber ich mache es möglich; außergewöhnliche Verdienste verdienen außergewöhnlichen Lohn. Auch weiß ich, daß mein Volk diese Handlung gutheißt, kein Murren wird sich erheben bei dieser seltenen Hochzeit; sie lieben ihren König und verehren seinen Retter zu sehr, als daß sie Einwendungen gegen dessen Belohnung machen sollten. Nimm sie hin, sie sei dein.«

Der König wollte den Jüngling umarmen, trat aber befremdet zurück, als er dessen trauriges, tränenfeuchtes Auge wahrnahm. Als Menes die Worte von des Königs Lippen fallen hörte, war es ihm, als gösse man heiße Bleitropfen in sein Herz. Er war im Rausch, er hörte nur halb. Durfte er diese große Gnade, diese überschwengliche Huld zurückweisen, ohne den Gebieter aufs tödlichste zu beleidigen? Konnte er sie annehmen, ohne ewig unglücklich zu werden und die schöne Seele, die er liebte, unglücklich zu machen? Was sollte er tun? Was konnte er tun? Einen Augenblick besann er sich – zugreifen! rief sein böser Dämon in ihm. Macht! Glanz, Ruhm! Alles ist dein. Dann aber stand sein Entschluß fest.

»Es ist vorbei, ich bin verloren,« rief er aus, seinen Kopf von Schmerz überwältigt an die Wand des Gemaches stoßend, »ich muß meines Gebieters Gnade verlieren. Oh, warum mußte es so weit kommen. Warum haben mich die Götter dazu bestimmt, diesen edeln Mann und dies edle Mädchen zu kränken, warum vernichtete mich die Grausamkeit deines Sohnes nicht. Leb' wohl! Laß mich von dir ziehen, ich will hinaus in die Wüste, verbanne mich aus deiner erhabenen Nähe oder besser, töte mich.«

Der erstaunte Monarch hörte diesen Ausbruch des Schmerzes kopfschüttelnd an.

»Ich verstehe dich nicht,« sagte er dann gelassen, »beruhige dich und rede deutlicher. Warum soll ich dich verbannen? Warum mußt du meine Gnade verlieren?«

»Weil –« hier stockte Menes, doch ein Blick in das freundliche Gesicht seines Herrn gab ihm den Mut, fortzufahren. »Weil ich deine Tochter nicht zum Weibe nehmen kann, hoher Herr. Tadle mich! Nenne mich undankbar, vernichte mich – aber du kannst meinen Entschluß nicht wanken machen.«

»Und warum, fragt dich dein König, schlägst du diese hohe Gunst aus?«

»Ich könnte lügen, ich könnte,« sprach Menes, »dir ausweichen, aber ich halte es unter meiner Würde, Ausreden zu suchen!«

Und er sagte ihm, daß er Myrrah liebe, daß er ihr treu bleiben müsse, daß es sein fester Wille sei, sie und keine andere zu besitzen. Er sank dem Monarchen zu Füßen, bereit, von ihm verstoßen zu werden, bereit, statt seiner Gnade seinen Fluch mitzunehmen in die Wüste, in die er sich schon verbannt sah. Lange lag er so am Boden, die Stirne auf die Dielen gepreßt, heiße Tränen vergießend, und wartete vergebens auf eine Antwort aus seines Gebieters Mund. Als er endlich den Kopf hob, war der König verschwunden. Er war gegangen; voll Zornes gegangen, dachte Menes, er verliert nicht einmal ein Wort mehr an dich, seine Diener werden dir seine zürnenden Befehle überbringen. Menes hielt sich den ganzen Tag in seinem Zimmer auf, jeden Augenblick gewärtig, aus dem Palast gewiesen zu werden. Er war unfähig, etwas zu tun, er konnte nur still vor sich hinweinen, denn es war ihm, als verlöre er im König einen Freund. So saß er, bis die Sonne ihre letzten Strahlen dunkelrotblitzend auf das Gold und Elfenbein seines Arbeitstisches warf. Sein Blick überflog die heiteren Farben des Zimmers, das ihm so lieb geworden; ihm war, als müßten die Gestalten an den Wänden traurig die Köpfe hängen lassen, da er sie nie mehr wiedersehen sollte, aber sie taten es nicht, sie lachten teilnahmlos herab, hielten die Lotosblume und schlugen die Harfe, als sei nichts geschehen. Was konnte er dazu, daß er Myrrah liebte und die Königstochter ihm nur Freundin war? Jetzt erwachte um so stürmischer die Sehnsucht nach der blassen, kleinen Jüdin in ihm; er hätte aufstehen und, wie er da war, in einem Atem nach Memphis laufen mögen. »Ich muß zu ihr!« rief er laut. Sein Herz schwoll weh und süß unter dem Hauch liebenden Dranges, seine Phantasie malte sich ihre Gestalt. Da hörte er Schritte vor der Türe. Sie öffnete sich; er erwachte aus seinen Träumen und sah den König vor sich. Jetzt naht es, jetzt bin ich verloren, jetzt gibt mir der den Todesstoß, den ich anbete, fast wie ein Wesen höherer Art. Ist sein Blick drohend? Menes sieht flehend zu ihm empor. Ramses neigt sich mit feuchtem Auge zu ihm nieder, seine Stimme bebt tonlos, wie er ihm ins Ohr haucht: »Sprich nicht mehr davon!« und die beiden Männer sinken sich laut weinend in die Arme.

* * *

Niemals, mit keiner Silbe, erwähnte der edle Fürst diesen peinlichen Gegenstand wieder. Menes erkannte nur an seinem Ernst, wie sehr er seine Tochter bemitleide, aber die königliche Huld trübte sich keinen Augenblick für ihn. Der junge Mann erzeigte sich nun, da er dies bemerkte, seinem Wohltäter doppelt herzlich; die Zartheit, mit der sich diese beiden Menschen begegneten, war rührend; der Fürst fand seinen Sohn dreifach in dem Jüngling wieder, auch deutete er ihm mehreremal leise an, daß er die jener ihm unbekannten Geliebten gezollte Treue hochachte. –

Es waren aus verschiedenen Teilen der durch Ramses eroberten Länder Sendungen von Tributen eingegangen. Gegen Abend des folgenden Tages nahm der Monarch die Gegenstände in Augenschein. Im Garten hatte man die Käfige der wilden Tiere aufgestellt, zwischen denen Ramses in Begleitung seines Freundes einherwandelte, sich besonders an den Affen Äthyopiens ergötzend, deren menschenähnliche Grimassen ihm manches Lächeln abnötigten. Er hatte sich noch nicht lange diesem Vergnügen hingegeben, als ein Diener ihn nebst Menes bat, ihm zu Rebekka zu folgen, es stehe schlimm mit der Jüdin Gesundheit. Rebekka hatte nämlich einige Tage das Zimmer gehütet; der Arzt hatte ihr Unwohlsein einer Erkältung zugeschoben, nun aber schien das Übel bedenklicher werden zu wollen. Sogleich verließ der König den Garten; Menes folgte ihm nach Rebekkas Gemach. Als sie eintraten, sahen sie Rebekka mit geschlossenen Augen auf dem Ruhebett liegen; der Arzt saß neben ihr, sie scharf beobachtend. Leise erkundigte sich Ramses bei diesem, welchen Weg die Krankheit genommen. Der Arzt wollte eben antworten, als Rebekka die Augen aufschlug, lächelte und, indem sie ihrem königlichen Freund müde die Hand reichte, sagte: »Ich danke dir, daß du kommst. Du siehst mich zum letztenmal.«

»Redet sie irre?« frug der König erschrocken den Arzt, welcher der blassen, auffallend hohl blickenden Jüdin die Kissen ordnete.

»Leider,« versetzte der Arzt bedächtig, »muß ich glauben, daß sie die Wahrheit redet, mein Gebieter.«

»Die Wahrheit?« sagte der König mit matter Stimme. »Soll auch sie mir entrissen werden?«

Ramses liebte die schöne Jüdin eigentlich nicht. Seine Neigung zu ihr war mehr sinnlicher Natur gewesen; die Beweglichkeit, die anmutige Schalkheit der Schönen hatten ihn wohl erheitert, jedoch ernstere, dauerndere Gefühle hatte sie ihm nicht einzuflößen vermocht. Als er sie nun elend vor sich liegen sah, als er sah, daß sie ihm genommen werden sollte, verbreitete sich seine Trauer mehr ins Allgemeine; er gedachte schwermutsvoll der Vergänglichkeit irdischer Schönheit, der Hinfälligkeit des Menschengeschlechts.

»Vor den Pforten des Todes stehen wir noch nicht,« sagte er lächelnd zu der Kranken, »wir werden noch manche glückliche Stunde miteinander durchleben.«

Die Kranke schüttelte traurig das Haupt.

»Ich bin vergiftet,« lispelte sie, »ich habe geahnt, daß es so kommen werde.«

Ramses wandte sich bestürzt zum Arzt, der das Wort der Jüdin bestätigte. Die verstorbene Königin müsse es noch bei Lebzeiten fertig gebracht haben, die Speisen der Unglücklichen mit schleichendem Gift zu versetzen, war des Arztes Meinung. Die Gaben hätten anfangs den Körper der Tänzerin kaum berührt, bis sie ihn nach und nach erschüttert; jetzt sei nicht mehr zu helfen, die inneren Teile seien zu bedeutend von dem Gifte durchdrungen.

»Also auch gänzlich unbeteiligt Unschuldige ziehen sie ins Grab hinab?« rief der König. als er dies vernommen, aus.

»Nicht Unschuldige,« entgegnete reuemütig die Jüdin, »ich war schuldig.«

»Du – schuldig?«

Sie klärte ihren Gebieter auf, erzählte ihm ihre ganze Verführungsgeschichte und stellte ihren Tod als gerechte Strafe hin. Der König war tief erschüttert, als er dies unter Tränen und häufigen Anfällen von Krämpfen hervorgestammelte Bekenntnis erhielt, er war aber edel genug, der Sterbenden keine Vorwürfe mehr zu machen. Menes erinnerte sich, daß die Verschworenen, als er sie belauscht, über Rebekkas Mitwissenschaft und Teilnahme gesprochen; damals hatte er diese Andeutungen nicht verstanden und sie weiter nicht des Nachforschens für wert gehalten. Er teilte dies jetzt dem König mit und bestätigte dadurch die Aussagen der Sterbenden.

»Wir wollen davon schweigen, Rebekka,« sagte der König freundlich, »du bist nicht schuldig, die Gerichteten waren es, nicht du. Man hat sich deiner Schwächen bemächtigt. Auch ist deine Schuld schon dadurch gesühnt, daß du Menes den Ort der Verschwörung verrietest. Denke der Sache nicht weiter nach.«

»Und so verzeiht mir, mein edler Herr?« schluchzte sie, sich an des Königs Hals werfend.

»Ich verzeihe dir, du hast mir manche glückliche Stunde bereitet,« erwiderte der Herrscher mitleidig, »du standest meinem Herzen nahe.«

Die Kranke sank mit glücklichem Lächeln auf den Wangen in die Kissen zurück. Der Arzt sprang ihr bei, ein starkriechendes Mittel vor sie hinhaltend, worauf sie sich wieder emporraffte.

»Noch zwei Geständnisse muß ich machen,« preßte sie mit Anstrengung heraus, »deren Verheimlichung meine Seele bedrücken würde.«

»Sprich ohne Furcht,« sagte der König mild, indem er ihre Hand ergriff.

Sie gestand hierauf, wie sie nebst ihrem Bruder das Schatzhaus bestohlen, und drang darauf, daß der König noch in dieser Stunde einen Beamten nach Memphis schicke mit dem Auftrag, ihren Bruder zur Rechenschaft zu ziehen, dann sagte sie: »Er hat verdient, gestraft zu werden, er ist schlecht.«

Der König gab den Befehl sogleich. Dies schien die Sterbende sehr zu beruhigen; sie ermahnte den abgeschickten Boten dringend zur Eile. »Der Gerechtigkeit ist Genüge geleistet,« flüsterte sie ermattet. »Nun habe ich nur noch ein Wort an Menes zu richten.«

Menes trat näher an ihr Lager heran, er fühlte Mitleid mit der Verblassenden, ob er sie gleich nie geachtet. Ihr jetziger Zustand versöhnte ihn jedoch mit allen ihren Untugenden. Sie öffnete den Mund und rang vergebens nach Atem. Sie mochte fühlen, daß es ihr nicht mehr gelingen wollte, in ihrer Schwäche dies letzte Geständnis herauszubringen. Die Anstrengungen, die sie machte, um sich die Worte abzuzwingen, versetzten sie in die lebhafteste Aufregung. Alle standen ihr bei. Man sah ihr an, wie sie sich selbst zürnte, wie sie dann alle ihre Kraft aufbot, um das Wort »Myrrah« hervorzuhauchen, welches Wort natürlich nicht verfehlte, Menes in große Spannung zu versetzen.

»Was willst du mir von ihr sagen?« frug er, in den verstörten Blicken der Sterbenden lesend, daß sie ihm wichtige, vielleicht folgenschwere Entdeckungen zu machen sich gedrungen fühlte.

»Myrrah,« hauchte die immer mehr Erblassende, »kaum als du fort warst, – Isaak – du bist betrogen – von –« hier hob sich die Brust der Hinschwindenden krampfhaft – sie sah den Jüngling an mit einem Blick, mit dem sie alles sagen wollte, mit einem verzweifelten Blick, als wollte sie ihn fragen: »Errätst du es denn nicht? Sei doch nicht so töricht, hilf mir!«

»Betrogen?« stammelte Menes, »von wem? Laß mich nicht im Zweifel, quäle mich nicht, du lügst nicht, ich sehe es dir an; am Rande des Grabes spricht man die Wahrheit.«

Die Jüdin schüttelte den Kopf. Todesblässe überzog ihre Wangen, schwer und kalt fühlte Menes ihre Hand in der seinen, der Druck ihrer Finger ließ nach.

»Sprich! von wem betrogen,« schrie er ihr laut in die Ohren, wie er sah, daß die Kräfte aus dem Körper der Sterbenden wichen. »O seid barmherzig, ewige Götter, gebt ihr noch so viel Kraft, daß sie es über ihre Lippen bringt, was sie mir sagen will, eine bange Ahnung befällt mein Herz –«

Der König winkte dem Verzweifelten, denn es war zu spät. Ein unsäglich mitleidiges Lächeln traf aus dem Auge Rebekkas den jungen Mann. Tränen quollen über ihre Züge, man sah, wie sehr sie ihn und wie sehr sie ihre eigene Hilflosigkeit bedauerte. Dann ward dies Lächeln starrer, immer starrer, immer ausdrucksloser, immer versteinter; der Blick verglaste sich, die Lippen liefen blau an, – ein Schauer! und sie hatte ihr abenteuerreiches Tänzerleben beschlossen. Bewegt hatte sich der König von der Leiche seiner Geliebten entfernt, Menes jedoch starrte ihr noch lange in das regungslose Gesicht, auf dem nun kein Lächeln mehr erblühen sollte, das keinen Liebhaber mehr reizte. Menes war es, als müßten ihm diese starren Lippen noch verraten können, was sie aussprechen wollten. »Was hat sie dir verkünden wollen! Betrogen hatte sie gesagt. Betrogen! kaum als du von Memphis abgereist.« Auch diesen Isaak brachte sie in Verbindung mit Myrrah. Was konnte zu Hause geschehen sein? Die abgebrochenen Andeutungen der Sterbenden ließen seiner einmal erregten Phantasie keine Ruhe mehr, sie bildete sich, aus dem nebelhaft Ungewissen, selbstquälerische Gestalten, sie marterte sich ab zu erraten, sie zog die verwegensten Schlüsse, die er kaum auszudenken wagte, die nur furchtsam am fernsten Horizonte seines Gemüts auftauchten, um bald wieder anderen Platz zu machen. Diesen Zustand der Ungewißheit vermochte er nicht länger zu tragen. Er bat den König um Urlaub, nur die schleunige Reise nach Memphis könne ihn dieser Seelenmarter entreißen. Der König bewilligte den Urlaub, und nach wenigen Tagen sehen wir unseren Freund dem Hafen von Theben zuschreiten, wo ihn ein schlankes königliches Fahrzeug erwartete, das den Befehl hatte, ihn unverzüglich nach Memphis zu bringen. Er schritt in Gedanken versunken die breite Steintreppe hinab, welche sich in die Fluten des Nil tauchte, ohne auf den ihn umtosenden Lärm zu achten. Gleichgültig flog sein Auge über die Hunderte von Masten, die vor ihm in die Lüfte starrten, über die Warenballen, die, von kräftigen Schultern gehoben, einherschwankten. Er hatte nur sein Schiff im Auge, das er nun erreicht hatte, und dem er Flügel wünschte. Eben wollte er das Brett betreten, als er, ohne es zu wollen, an einen Verkäufer stieß, der ein halb Dutzend kleiner Vogelkäfige auf dem Kopfe trug. Die kleinen Sänger kreischten auf, der Mann fluchte, und Menes wollte ihm, um ihn zu besänftigen, rasch ein Geschenk reichen. Er hatte schon die Hand ausgestreckt, da fiel sein Auge auf das neben dem seinen liegende Schiff. Er hielt unwillkürlich inne, sah mit immer mehr sich vergrößernden Augen nach der Falltreppe hinüber und eilte dann in höchster Erregung mitten durch die dichteste Volksmenge auf das andere Schiff zu. »Wen sucht er dort?« frug sich sein ihn begleitender Diener, der nicht wußte, was er von dem plötzlichen Davonlaufen seines Herrn halten sollte. Menes hatte ein Weib das Ufer betreten sehen, bei dessen Anblick er im Anfang zu träumen glaubte. War sie es wirklich? Und zu welchem Zwecke kommt sie hierher? Er teilte kräftige Stöße aus, warf einen Kasten voll Gänse über den Haufen, trat einige Töpfe zu Staub, die ihm im Wege standen, und gelangte nach vielen Fährlichkeiten an die Treppe des Schiffes. Dort war leider die Gestalt, welche seine Aufmerksamkeit so lebhaft auf sich gezogen, nicht mehr zu erblicken. Sein Diener kam näher.

»Rasch, folge mir!« rief er diesem zu. »Wir müssen sie finden. Eile mir nach.«

»Wen sucht Ihr so eifrig?« frug der Diener.

»Sahst du sie nicht, die Frau mit dem blauen Gewand?« frug Menes heftig, »die den Kopf so stolz trug? Drei Sklavinnen trugen ihr den Schirm.«

Dem Diener war, als ob er eine solche Gestalt gesehen; er folgte dem voraneilenden Herrn, ebenso spähende Blicke um sich werfend, wie dieser. Sie waren durch mehrere Straßen geeilt, als Menes einen Freudenruf ausstieß. Dort wandelte eine stolz schreitende Dame dem Königspalast zu.

»Sie ist's,« rief er, »es ist meine Mutter.«

Noch wenige Schritte und er hatte sie erreicht. Das Wiedersehen war auf beiden Seiten ein wirklich herzliches. Menes küßte gerührt die Hände Assos und diese sah mit Stolz auf ihren so hoch in der Gunst des Königs gestiegenen Sohn. Bis in ihr fernes Memphis war die Kunde von seiner Erhöhung gedrungen. Wie oft hatte sie sich in Frauengesellschaften mit seinem Ruhme gebrüstet.

»Du erfreust das Herz deiner Mutter,« sagte sie, »aber erlaube mir, daß ich dich jetzt mit mehr Ehrfurcht anrede als früher, mein mächtiger Sohn.«

Ihr Benehmen ward ein sehr demütiges, sie verbeugte sich öfter respektvoll vor Menes, stellte ihn ihren Dienerinnen als einen Großen im Reiche vor und schien mit einer Art Genuß ihre Niedrigkeit zu betonen; man sah ihr an, daß sie in den Strahlen seines Ruhmes schwelgte, was ihn den Bescheidenen in nicht geringe Verlegenheit setzte. Auch bis zu ihr war die Kunde gedrungen, er werde die Tochter des Königs zum Weibe erhalten. Als sie danach frug, lenkte der Jüngling verstimmt von diesem Thema ab. Er wollte vor allem von Myrrah hören und stellte in dieser Beziehung mehrere Fragen, die Asso anfangs absichtlich überhörte, als er sich jedoch geradezu nach ihr erkundigte, nahm seiner Mutter Gesicht einen traurigen Ausdruck an.

»Laß uns,« sagte sie, »an einen stillen Ort kommen, an dem wir ungestört sind, dort werde ich dir von Myrrah berichten, so lange zähme deine Neugierde.«

Menes führte sie klopfenden Herzens in den Palast. Die scheue Zurückhaltung über Myrrahs Leben, die er in Zusammenhang brachte mit den Rätselworten der sterbenden Rebekka, flößten ihm Besorgnis ein; seine Mutter war von dem Augenblick an, als er den geliebten Namen genannt, sehr wortkarg geworden. Hastig schritt er voran nach seinem Zimmer, wo er für einige Erfrischung sorgen ließ. Natürlich ließ es Asso nicht an bewundernden Ausrufen fehlen, die Pracht des Königspalastes betreffend; die gute Frau kam fast um die Ruhe ihres Gemüts, als sie die reich ausgestatteten Zimmer ihres Sohnes betrat. Sie untersuchte mit wichtiger Miene die Teppiche, das Gold und das Elfenbein, sie frug nach dem Wert der Stickereien und wußte die Stoffe mit Namen zu nennen.

»Und in solchem Glanze lebst du Glücklicher?« rief sie, indem sie ihn küßte, aber mit einer Ehrerbietung, die ihm ein Lächeln abnötigte.

»Gewiß,« sagte Menes gleichgültig. Er dachte nur an die Nachrichten über Myrrah; was galt ihm dieser hohle Prunk, gern hätte er ihn hingegeben für ein Wort von der Geliebten. Als sich Asso an die sie umglänzende Pracht gewöhnt, fühlte sie sich bald nach Weiberart so heimisch darin, als sei sie unter dem Thronhimmel geboren.

»Nun aber sprich mir endlich von Myrrah,« sagte Menes, ungeduldig auf einer kostbaren Schale mit den Fingern trommelnd. Asso nahm ihm behutsam die Schale aus den Händen, sie außer Bereich seiner Finger stellend; denn es sei doch schade um die teure Masse, meinte sie, der König würde zürnen, wenn sie zerbräche.

»Myrrah!« begann Asso, sich über das nun aufgetragene Mahl hermachend, »o mein lieber Sohn, was soll ich dir über sie sagen? Laß mich heute schweigen über diesen unerquicklichen Gegenstand. Du siehst, ich bin ermüdet von der Reise, morgen wollen wir weiter darüber sprechen.«

»Du kannst dir denken, wie sehr ich danach verlange,« sagte Menes, »von ihr zu hören, denn meine Neugierde ward durch allerlei Gerüchte, die zu mir gedrungen, in hohem Grade erweckt.«

»Der Drang, dir von ihr Kunde zu geben, hat mich hierher geführt,« erwiderte ihm Asso ernst, »erkenne daran meinen liebevollen Eifer; doch bin ich noch zu erregt, um mit Ruhe von ihr zu sprechen. Erlasse es mir heute, mein Sohn.«

Menes vermochte trotz allen Bemühungen nichts mehr über das Mädchen zu erfahren. Es blieb ihm nichts anderes übrig als der Mutter ihre Zimmer anzuweisen, die sich in der Nähe der seinigen befanden, und die der König, sobald er die Nachricht von der Ankunft Assos erhalten, ihr bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte. Asso gab dem ungestüm in sie Dringenden nur einige Andeutungen, die seine Neugierde aufs äußerste spannen mußte, ohne sie zu befriedigen. Als ihr Menes am folgenden Tag zu verstehen gab, er habe von der verstorbenen Rebekka einen Wink über Myrrahs Lebenslauf erhalten, nickte Asso traurig mit dem Haupt, fuhr ihm zärtlich über die Wangen und nannte ihn ihren lieben Sohn. Nach einigen Tagen ließ sie zuweilen dunkle Bemerkungen über die Treue im allgemeinen fallen, verbreitete sich weitschweifig über die Unbeständigkeit gewisser Weiber und säte so auf jegliche Weise Besorgnis in das Herz ihres Sohnes, indem sie sich stellte, als könne sie das, was er endlich doch einmal erfahren mußte, ihm nicht sagen, ohne grausam zu werden und sie wolle diesen Akt der Grausamkeit so weit hinaus schieben als nur möglich, da es für eine zärtliche Mutter doch gar zu hart sei, den eigenen Sohn zu verwunden. Es läßt sich denken, daß, als er dies beobachtete, Menes' Gemüt nur zu sehr ahnte, welche traurige Nachricht man ihm verheimlichen wollte, er ward still und finster, er verlor sein offenes, zutrauliches Wesen völlig, ja er veränderte sich so sehr, daß selbst der König ihn oft mit besorgten Blicken betrachtete. Endlich vermochte er sich nicht länger zu beherrschen. Als er einst müde von einem Spaziergang heimkehrte, der seinen Geist, statt ihn zu zerstreuen, noch mehr verfinsterte, trat er vor seine Mutter, ihr geradezu erklärend, wenn sie ihm nicht sofort genaue Auskunft erteile, was sich mit Myrrah seit seiner Abwesenheit zugetragen, würde er noch in dieser Stunde nach Memphis segeln. So in die Enge getrieben, rückte denn Asso mit der Sprache heraus, indem sie ihren Zügen einen mitleidigen Ausdruck zu geben sich bemühte. Sie begann zögernd damit, sie habe Myrrah, wie sie versprochen, gepflegt, aber das Mädchen habe nur noch kurze Zeit nach seiner Abreise um ihn getrauert. Bald habe sich der Eindruck verwischt, den er auf sie gemacht, fröhlich singend sei sie durchs Haus gewandelt, als ob Menes nie gelebt. Dann berichtete sie, wie Isaak sich um ihre Hand beworben, und wie die leichtfertige Jüdin nicht lange gezögert, diese ihm zu geben. Sie, Asso, habe gar manchmal Myrrah aufgefordert, ihm, Menes, zu schreiben, sie habe dies leider immer abgelehnt, ja, sie müsse gestehen, die Treulose habe sogar öfter über Menes' ehrlich gemeinte Briefe gelacht. »Es sei ein gar zu guter Junge,« habe sie einmal gesagt, »aber sie könne nun einmal nichts dazu, daß sie Isaak, ihren Glaubensgenossen, mehr liebe als ihn.«

Menes sah seiner Mutter starr in die Augen, während sie ihm diese klug erdichtete und mit den nötigen Pantomimen begleitete Erzählung vortrug. Dann erblaßte er, schloß die Augen und biß sich auf die Lippen, daß sie bluteten. Er entfernte sich, ohne ein Wort zu entgegnen. Glaubte er dieses Märchen oder glaubte er es nicht? so fragte sich das ehrgeizige, listige Weib. Er war so ruhig geblieben, sie hätte ihn lieber in Wut ausbrechen sehen. Hatte sie vielleicht die Farben allzu stark aufgetragen und dadurch ihr Gemälde unwahrscheinlich gemacht? Oder tat die Erfindung bereits ihre Wirkung, haßte er die, die er einst geliebt? Das mußte sie zu ergründen suchen, um ihre weiteren Pläne darauf zu bauen. »Wenn ich ihm Schmerz bereite,« entschuldigte sie sich, »geschieht es ja in der Absicht, sein Wohl zu befördern.«

Sie sah den Tag über ihren Sohn nicht mehr. Gegen Abend empfing sie ein Schreiben von ihm, das ihr in fast heiterem, wenigstens sehr gleichmütigem Tone ankündigte, er habe beschlossen, morgen nach Memphis abzureisen, um, wenn sich die Dinge so verhielten, wie sie ihm gesagt, an der Treulosen Rache zu nehmen. Dieser Entschluß kam der Mutter natürlicherweise sehr ungelegen, wie rasch mußte durch ihn die ganze Unwahrheit ihrer Erzählung enthüllt werden. Sie eilte sogleich zu ihrem Sohne, ihm diesen Vorsatz auszureden. Er hörte sie jedoch kaum an, sondern gab mit erzwungener Ruhe den Befehl, das Schiff zu rüsten. Als sie ihn genugsam mit Gründen bestürmt, die ihn in seinem Entschluß wankend machen sollten, frug er, anstatt ihr ihre Beweise umzustoßen: wie ihr die Zimmer gefielen, welche des Königs Gunst ihr angewiesen. Sie sah ihn verblüfft an, schüttelte den Kopf und wollte sich entfernen. An der Türe blieb sie noch einmal stehen.

»Ist es dein fester Vorsatz, dich von der Untreue Myrrahs zu überzeugen?« frug sie.

Er lächelte mit seinen bleichen Lippen, sah zum Fenster hinaus und nickte mit dem Kopf; sie fühlte an seinem seltsamen Benehmen, daß er ihr nicht mehr ganz traute.

»Dann rate ich dir,« setzte sie hinzu, »die Jüdin zu töten. Höre nicht lange auf ihre Entschuldigungen, die solche Weiber immer in Bereitschaft haben, sondern töte sie, ohne sie zu hören, sie könnte dich durch ihre Beteuerungen umstimmen, denn du bist leicht gerührt.«

»Verlasse dich darauf,« sagte Menes mit zweideutigem, finsteren Lächeln, »ich werde die Schuldige treffen.«

Asso zuckte zusammen.

»Ich will dir sagen, mein Sohn,« setzte sie mit einschmeichelnder Stimme hinzu, »was in dieser Sache das beste ist. Sieh! Du bist schwach, weichherzig. Überlasse es mir, die Elende zu strafen, mein Zorn wird nicht erweicht von ihren Tränen wie der deine; in dir bin ich beleidigt, und wenn Weiber hassen, hassen sie männlicher wie die Männer. Ich hasse sie – oh! wenn du wüßtest wie sehr.«

Er schwieg.

»Nicht wahr,« fuhr sie fort, »mein sei das Rachewerk? Du willigst darein?«

»Du bleibst hier, Mutter,« entgegnete er entschieden.

»Wie! Du sagst das so bestimmt, fast befehlend?« stotterte die Witwe.

»Allerdings.«

»Ich werde abreisen, mein Sohn.«

»Du wirst es nicht! Ich werde es verhindern.«

»Oh! ich bin also gefangen?«

»Beinahe, ein wenig – bis ich wiederkehre.«

»Mir scheint, du glaubst nicht an die Treulosigkeit Myrrahs?« sagte die zitternde Witwe.

»Warum sollte ich nicht, bist du es doch, die sie mir verkündet,« lächelte der bleiche Jüngling, mit brennenden Augen seine Mutter durchbohrend. »Ist nicht alles möglich in dieser Welt? Auch der glänzendste, reinste Tautropfen wird Schmutz, wenn man ihn zu Boden schleudert, auch das blankste Gold erhält Flecken, wenn unsaubere Hände es betasten. Oh! es wäre ja möglich. Wer versteht eine andere Seele bis auf den Grund. Ich könnte mich getäuscht haben, denn ich war damals befangen, ohne Menschenkenntnis. Jedenfalls ist es Zeit, daß ich mir selbst Gewißheit hole.«

»Du glaubst also, daß ich die Wahrheit gesprochen?« rief Asso.

»Ich glaube nichts, ich will sehen,« sagte er ruhig.

Die Mutter ging in großer Bestürzung. Sie hatte von der Flucht Myrrahs aus Isaaks Wohnung noch nichts erfahren, da sie, als diese Flucht ins Werk gesetzt wurde, bereits auf der Reise war, und sah sich deshalb schon im Geiste entlarvt vor Menes stehen. Was sollte sie tun? Ihm zuvorkommen? Myrrah töten lassen, oder am besten sich von Theben wegstehlen und selbst das blutige Werk vollziehen? Dieser Plan schien ihr der rätlichste, sie schauderte keinen Augenblick davor zurück in ihrem blinden Trieb, dem Sohne dieses Hemmnis auf dem Wege des Ruhmes hinwegzuschaffen. Myrrah mußte unbedingt vom Erdboden verschwinden, dann war ihre Entlarvung unmöglich, und Menes' Heirat mit der Königstochter ließ sich leicht bewerkstelligen. Ihr Entschluß stand fest, sie wollte ihn mit derselben Entschiedenheit ausführen, mit der sie ihn gefaßt. Noch heute nacht sollte sie ein Boot, das dem ihres Menes zuvorkommen mußte, nach Memphis tragen. Ehe sie den Palast verließ, bat sie Asa-Termutis um eine Unterredung. Sie fand das Königskind, dessen sich eine edle Resignation bemächtigt hatte, auf ihrem Lager sitzen, welches sie von jetzt ab frühe am Abend aufzusuchen gewohnt war. Asa-Termutis sprach fast kein Wort, sie schüttelte nur trübe ablehnend das Haupt, als Asso ihr zu verstehen gab, sie werde sich die größte Mühe geben, ihren Sohn mit ihr zu vereinigen. Nur einmal, als Asso frug, ob sie, Asa-Termutis, nicht selbst mit Menes sprechen wollte, um dadurch vielleicht auf sein Herz einzuwirken, erwiderte sie: »Er hat gesprochen!« Die Witwe ging auf ihr Zimmer, wo sie sogleich ihre nötigsten Dinge einpacken und zur heimlichen Abreise fertigmachen ließ. Auf dem Tisch fand sie ein Schreiben von Memphis. Der Nomarch dieser Stadt, ihr Freund, richtete einige Zeilen an sie. Kaum hatte sie die Hieroglyphen überflogen, als ihre Dienerinnen sie erbleichen sahen; sie trieb alle aus dem Gemache und las noch einmal mit gespanntester Aufmerksamkeit den Brief, der ihren ganzen Plan zerstörte.

»Hohe Freundin,« begann dies Schreiben, »während der wenigen Tage Deiner Abwesenheit hat sich in Memphis des Merkwürdigen viel zugetragen. Ich halte es für meine Freundespflicht, Dir in kurzen Worten Kunde davon zu geben, da manches vorgefallen ist, was vielleicht für Dich von Wichtigkeit sein dürfte. Um mit dem weniger Auffallenden anzufangen: Myrrah ist ihrem Manne entflohen, kein Mensch weiß, welchen Weg sie genommen. Einige versichern, man habe sie nach Äthiopien als Sklavin verkauft, andere erzählen von ihrem Tod im Nil, wieder andere wollen sie auf einem Schiff, das nach Theben eilte, gesehen haben. Gestern trafen königliche Beamte in unserer Stadt ein und verhafteten Isaak. Ich darf Dir wohl, ohne mich in Unannehmlichkeiten zu stürzen, mitteilen, wessen man ihn anklagt. Er soll den Schatz des Königs beraubt haben, ein Verbrechen, das den Tod nach sich zieht. Als man ihn festnahm, verdankte man der Bosheit des Angeklagten die Auffindung eines höchst wichtigen Dokumentes, von dessen Inhalt ich Dir jedoch nur verraten darf, daß es seltsame Aufschlüsse über die Abstammung Myrrahs gibt. Dies Dokument – man flüstert sich viel darüber in die Ohren – hatte der Dieb im Schatzhause gefunden, hatte es wohl verwahrt und war gerade im Begriff, es für immer zu vernichten, als man es ihm noch zur rechten Zeit entriß. Dies Schriftstück wird in kurzem in den Händen des Königs sein; man ist gespannt auf die Eröffnung desselben. Wie ich eben erfahre, entzog sich Isaak dem Arm der Gerechtigkeit dadurch, daß er, als man ihn auf das Schiff brachte, um ihn nach Theben zu führen, sich in die Wogen des Nil stürzte. Man vermochte ihn nur als Leiche aus dem Wasser zu ziehen.«

Die Witwe zerriß schwer aufatmend den Brief, als sie ihn beendet. Ihr ganzer Plan war vernichtet. Wenn Myrrah entflohen – wohin sollte sie anders fliehen, als hierher; war sie vielleicht schon in der Nähe? Wann traf sie ein? Jeden Augenblick konnte sie mit Menes zusammentreffen. Das mußte verhindert werden. An Isaaks Tod und die Auffindung des Dokumentes zu denken, ließ ihr die tödliche Überraschung über diese Flucht nicht Zeit; dieser Gedanke verschlang alle übrigen. Was sollte sie jetzt beginnen? Ihre Reise nach Memphis war unnötig geworden, aber auch Menes fand dort nicht mehr, was er suchte; das war ein Trost. Entdecken, wo sich Myrrah aufhielt und sie unbemerkt verschwinden lassen vom Erdboden, das war das einzige Ziel, welches ihr blieb, die einzige Aussicht auf Rettung. Späher im Lande umherschicken, keine Kosten scheuen, sagte sie sich, sie mußte gefunden werden, die entlaufene Jüdin, und wenn man Jahre auf das Suchen verwendete. Und da Myrrah jedenfalls den Weg nach Theben genommen, mußte sie nicht in der Umgebung dieser Stadt gefunden werden? Jetzt galt es nur zu verhindern, daß Myrrah ihr zuvorkam, zu verhindern, daß sie mit Menes zusammenträfe. Darin lag die Schwierigkeit; diese Zusammenkunft mußte um jeden Preis hintertrieben werden. In solche Pläne und Gedanken vertieft, eilte die aufgeregte Frau, ohne es zu wissen, durch den nächtlichen Park des Palastes, vorüber an all den kleinen Verzierungen und architektonischen Spielereien, die man dort angebracht, vorüber an den Grotten, Statuen, vorüber an Felsen und Büschen, ohne auch nur einen Blick auf ihre Umgebung zu werfen. Erst als sie im Vorübereilen beinahe an den kleinen Obelisken gestoßen wäre, erwachte sie aus ihren fieberartigen Träumereien.

»Ruhe!« rief sie sich zu. »Diese Erregung kann nur schaden, sie raubt mir die kühle Überlegung. Es wird alles nach meinen Wünschen gehen, nur Geduld.«

Dann ließ sich die Erschöpfte auf eine Bank nieder, sich die schweißtriefende Stirn wischend.

»Ich spiele ein gefährliches Spiel,« murmelte sie vor sich hin, »aber ich habe den Mut, es durchzuführen, ich setze alles, selbst meine Ehre daran, es zu gewinnen, und wenn ich unterliege, unterliege ich mit Würde. Ich weiß, was zu meines Sohnes Bestem dient, ich werde unbarmherzig, ohne Rücksicht auf ihn oder andere, danach streben, ihn vor der Welt zu erhöhen, ihn groß und ruhmvoll zu sehen, und sollte auch der Fluch der Götter auf mir lasten und sollten diese Hände« – sie betrachtete sie – »Blut vergießen müssen. Ich scheue kein Verbrechen, wenn es gilt, ihn glücklich zu machen.«

Ihre Liebe zu ihrem Sohne war Ehrgeiz. Sie fühlte nicht das Schändliche ihrer Pläne und Absichten, sie hatte eben völlig andere Ansichten von Menschenglück als er. Vor ihr lag der in den Nilkanal mündende Teich, silberblinkend wie der Rücken eines auf den Rasen geworfenen Schildes. Am Rande des Teiches neigte sich schmachtend eine Palme mit ihrem federartigen Büschel in den klaren, goldigblauen Nachthimmel. Der Mond zitterte schüchtern auf den Wellen des Teiches; ein Kahn, an dem sich die Wellen brachen, gluckste leise durch die Stille der Nacht. Dieses Wellenspiel klang manchmal wie ein schmerzlicher Hilferuf, und wenn sich das Rauschen der Zweige in das eintönige Wellengemurmel mischte, glaubte man zwei sich über ihr Unglück unterhaltende Menschen zu hören. Drüben in der Ferne verschwammen die schwarzen Dächer der entschlummerten Stadt in der Bläue der Nacht; wie Riesenarme, die sich verlangend emporrecken, ragten dort zwei Obelisken. Der Witwe ward es seltsam zumut in dieser Einsamkeit, in die sie sich, hingerissen von ihren Empfindungen, gewagt. Sie liebte die Einsamkeit nicht, sie fürchtete sich vor ihr. Eben war sie im Begriff aufzustehen, schleunigst den Heimweg zu suchen, als sie einen weißen Gegenstand bemerkte, der sich hinter einer dunkeln Hecke regte. War es ein Tier, das dort lauerte? Ein Reiher? Sie blieb sitzen, ihr Herz klopfte hörbar. Es knirschte in den Ästen. Der Kies knisterte, als wenn der Bauch eines Krokodils sich darüber hinschleppte. Das Gebüsch zerteilte sich jetzt, heraus schlüpfte eine zarte Gestalt, die furchtsam den vom Mond milchweiß beglänzten Pfad musterte, sich nach allen Seiten hin umsah und sich alsdann langsam vorwärts bewegte. Es war ein menschliches Wesen, das sich da versteckt hatte. Asso konnte nur erkennen, daß sie ein Weib vor sich hatte; weitere Beobachtungen ließen sich jetzt noch nicht machen. Die Gestalt huschte näher, anscheinend wollte sie nach dem Palast. Asso saß wie eine Bildsäule, die Gestalt mußte an ihrer Bank vorüber. Jetzt blieb die Gestalt stehen, jetzt zog sie die Falten ihres Mantels um den Leib, jetzt kam sie näher. Wer war es? Der Witwe begann sich eine freudige Ahnung aufzudrängen. Diese zarten Glieder hatte sie schon gesehen. Das furchtsame Wesen hatte die Bank erreicht; sie stutzte, als sie die regungslose Frau auf der Bank gewahrte; doch mochte sie dieselbe anfangs für ein lebloses Bild halten, denn sie wollte weiterschreiten. Kaum stand sie aber zwei Schritte vor Asso, als sie zurückbebte, wie von einer Schlange gebissen. Auch Asso war aufgesprungen, freudige Überraschung leuchtete aus ihren Augen. Sie hatte gefunden, was sie suchte.

»Erkenne ich dich? Du hier?« knirschte sie, indem sich ihre Züge zu einem scheußlichen Gemisch von Wut, Schadenfreude und Heimtücke verzerrten. Ein Griff und sie hatte die Hand der Gestalt umfaßt wie mit Geierklauen.

»Laßt mich los,« hauchte die Gestalt, in der Asso Myrrah erkannt hatte.

Ja! sie war es, sie stand vor ihr, die Feindin, die Verhaßte, der Zufall, das Glück hatte sie in ihre Hand gegeben. Nun durfte sie aufatmen, die Erfüllung ihrer heißen Wünsche war in ihre unmittelbare Nähe gerückt. Auch Myrrah hatte die Furchtbare erkannt, von der all ihr Leid ausging, sie sah ihr in das kalte, herzlose Auge, hörte ihre schweren, heißen Atemzüge und konnte den eisigen Schauer, der ihr vom Gehirn den Rücken hinabrann, kaum zurückdrängen bei dieser Erkennung.

»Ei! das trifft sich vortrefflich, meine holde Myrrah,« sagte Asso tückisch lächelnd, »ich freue mich, deine Bekanntschaft auf diese Weise zu erneuern, komm, laß uns ein Wörtchen zusammen wechseln, setze dich, du bist, wie man mir schrieb, entflohen; das war nicht recht, der gute Isaak liebte dich aufrichtig.«

Wie kam Myrrah hierher? Ihre Lebensschicksale waren kurz folgende:

Myrrah hatte, als sie sich nach ihrer glücklichen Flucht im Nilschilf verborgen, bald ein Fahrzeug entdeckt, dessen Führer bereit war, sie nach Theben zu fahren. Einige goldene Spangen und andere Kostbarkeiten, die sie ihm reichte, erhöhten des Mannes Eifer. Auf der Hälfte der Fahrt stieß Hadsa, die treue Schwarze, zu ihr; nun aber erklärte der Schiffer, zwei Personen seien ihm zu viel für sein Boot; er war unter keinen Umständen zum Weiterfahren zu bewegen, sondern lieferte die beiden Frauen einem größeren Schiffe aus, das Elfenbein von Äthiopien nach Memphis gebracht hatte und das nun über Theben seinen Weg nach seinem Vaterland zurücknahm. Der Kapitän des Fahrzeuges erklärte sich bereit, Myrrah und ihre Dienerin nach Theben zu befördern. Kaum befanden sich die beiden Frauen an Bord, als sie auch schon über Zudringlichkeiten dieses Kapitäns zu klagen hatten. Sie wollten ans Land gesetzt sein, jedoch der Äthiopier gab ihren Bitten nicht nach, sondern schloß die Verlassenen in einer unteren Kajüte ein. Sie errieten nun aus Winken und Andeutungen, daß man mit dem schändlichen Plane umging, sie in Meroë als Sklavinnen zu verhandeln. Einem seltsamen Auftritt jedoch hatten sie ihre Rettung zu verdanken. Des Kapitäns Bruder wollte nämlich die beiden Frauen für sich allein besitzen, was der andere nicht zugab. Oft hörten sie den heftigen Wortwechsel der beiden. Als das Schiff in der Nähe von Theben anhielt, trat der ältere Bruder zu Myrrah in die Kajüte, setzte sich neben sie und versuchte es, auf unverschämte Weise mit ihr zu scherzen. Myrrah, blaß vor Schrecken, bemerkte nicht, daß er vergessen, die Türe zu schließen, was hingegen Hadsas scharfes Auge sogleich entdeckte. Myrrah blieb stumm, Hadsa aber schlug ein überlautes Geschrei auf, sprang an die Türe und rief nach dem anderen Bruder, der denn auch sogleich herbeieilte, und wie er sah, was vorging, augenblicklich über den anderen herfiel. Beide Kämpfenden schlugen und bissen sich auf wahrhaft tierische Weise; schließlich wälzten sie sich auf dem Boden umher. Diesen Moment benutzte Hadsa, sie nahm ihre zitternde Herrin bei der Hand, führte sie aus der Kajüte die Schiffstreppe hinauf, und so entkamen sie leicht, da die Verbindungsbrücke des Schiffes noch nicht vom Lande zurückgezogen war. Hierauf flohen sie nach Theben, wo sie vor einigen Wochen angekommen waren. Während dieser Tage hatte sich Myrrah keine andere Aufgabe gestellt, als in Menes' Nähe zu gelangen, was ihr bis jetzt unmöglich gewesen. Heute hatte ihr Hadsa geraten, sich in den Gebüschen des Palastgartens zu verbergen, sie, Hadsa, wolle im Palast nach Menes fragen, um ihm mitzuteilen, wer auf ihn wartete. Das war geschehen, Myrrah aber konnte es nicht langer aushalten in ihrem Blätterversteck, sie wollte ebenfalls nach dem Palast eilen, denn Hadsa blieb ihr zu lange, und der Gedanke, in der Nähe des Geliebten zu weilen und ihm doch so ferne zu sein, wurde ihr unerträglich. Und nun! Alle Gefahren hatte sie überstanden; Jehova führte sie bis vor das Tor des Glückes, Isaaks Gewalt war sie entronnen, und nun öffnete sich ihr von neuem der Abgrund. Welcher tückische Zufall führte sie in die Arme der bittersten Feindin, in die Hände des Weibes, dem sie all ihr Elend zu verdanken hatte? Alles umsonst? Sollte sie im Hafen noch Schiffbruch erleiden? Nein! jetzt galt es siegen, jetzt galt es, die letzten Kräfte aufzuraffen, Hilfe war ja nahe, Hadsa konnte jeden Augenblick mit Menes in den Park eilen, sie war sicher, sie hatte keine Gefahr mehr zu fürchten.

»Ich bin entflohen,« erwidert sie mutig auf Assos Anrede, »jetzt ist die Stunde gekommen, von der ich dir einst sprach, die Stunde, in der dein Betrug offen vor deines Sohnes Augen liegt. Jetzt erfährt er, welcher Mutter er getraut, jetzt sieh zu, wie du seiner Entrüstung entgehst.«

»Weißt du so genau, ob er je erfahren wird, was ich für ihn getan?« höhnte Asso mit leiser Stimme, sich unheimlich rings umschauend. »Die Götter gaben mir die verhaßte Jüdin in die Hände. Du bist zwar in seiner Nahe, aber gib acht – wer die Dattel in der Hand hält, hat sie noch nicht im Munde.«

»Wie soll ich das verstehen?« entgegnete Myrrah ruhig, »mein Ruf dringt bis in die Gemächer des Schlosses; weiche von mir, du kannst unsere Vereinigung nicht mehr hintertreiben!«

»Nicht hintertreiben?« flüsterte Asso, in düsteres Hinbrüten versunken. »Als ich dir Isaak zum Manne gab, habe ich mehr getan, als mir die Pflicht gebot, damals schon hätte ich tun sollen, was ich jetzt entschlossen bin, zu tun. Ich danke euch, ihr Götter, daß ihr mich nun die Wolke hinwegnehmen laßt, welche den Strahl des Ruhmes verhinderte, meines Sohnes Haupt zu vergolden, jetzt ist er am Ziel, jetzt bricht die Schranke, die ihn von der Krone trennte; komme her, Myrrah, es ist nötig, daß du der Welt gute Nacht! sagst. Zeige, daß du Menes wahrhaft liebst, lasse dich töten, damit ihm der Weg nach den Sternen frei wird.«

Myrrah sah beklommen, nach Luft ringend, in die lauernden Züge ihrer Feindin.

»Erst, wenn sich das Grab über dir geschlossen,« murmelte Asso träumerisch, »wird mein Sohn die Kraft besitzen, die Hand der Königstochter zu ergreifen. Jetzt noch ist er wankelsinnig, aber wenn du fällst, wird er steigen; die Götter wollen deinen Tod; ich sehe, wie sie mir bestätigend zulächeln; – hätten sie sonst dich mir in die Arme geführt?«

»Laßt mich ziehen, ungefährdet,« preßte die geängstigte Myrrah hervor, indem sie ihre Hand derjenigen der Witwe zu entreißen suchte.

»Nein,« stöhnte die stolze Frau, »du entwindest dich mir nicht.«

»Ich rufe,« keuchte Myrrah, »ich rufe nach Hilfe!«

Sie sah, wie Asso einen glänzenden Gegenstand unter ihrem Gewand hervorzog.

»Ihr wollt mich töten? Mit eigener Hand?« rief nun das Mädchen, »oh, warum hört er mich nicht. Menes! eile mir zu Hilfe! Rasch, ehe es zu spät ist! Man tötet die, die du liebst. So soll ich wirklich sterben, ehe ich ihn gesehen, ganz in seiner Nähe, unter seinen Augen sterben?«

Ein mit Anstrengung aller Kräfte gegebener Stoß befreite sie von der Umstrickung der Gegnerin, aber kaum war sie aufatmend einen Schritt zurückgetreten, so sprang diese mit einem tigerartigen Satze dicht vor sie, und Myrrah sah die Schneide eines im Mondlicht funkenden Dolches auf ihren nur von dünnem Tuche bedeckten Busen gerichtet. Schon fühlte sie die kalte Metallspitze auf der warmen Haut, hastig griff sie nach der bewaffneten Hand und hielt die Zustoßende zurück. Aber den Kräften dieses Weibes war die von Flucht und Aufregung Erschöpfte nicht gewachsen, sie sank in die Knie, der Druck der bedolchten Faust ward immer gewaltsamer, der Gegendruck des Mädchens ward matter, immer matter, sie sah die Spitze näher rücken und schloß die Augen ohne weitere Abwehr, ja ohne Klageruf in ihr trauriges Schicksal ergeben.

»Er soll dich nicht besitzen,« hauchte es dicht neben ihrem Ohr.

Plötzlich hielt Asso mitten im Stoße inne; Myrrah öffnete noch einmal die Lider; ein Rauschen ließ sich rings in dem Gebüsche vernehmen, es zerteilte sich; Myrrah schrie auf, denn sie erkannte Hadsa, welcher eine Gestalt folgte, bei deren Anblick ihr Blut erst vom Hirn nach dem Herzen und von diesem wieder nach dem Hirn schoß. Asso stand wie zu Stein geworden.

»Er ist's,« flüsterte das Mädchen tonlos, und ehe sie noch fähig war, sich zu erheben, sah sie, wie eine männliche Hand der wütenden Asso den Dolch aus der Faust riß, fühlte sie, wie ein zitternder Arm sie umfaßte, sich zwei brennende Lippen wie glühende Eisen in die ihren bohrten, hörte sie, wie eine von Tränen erstickte Stimme zärtlich ihren Namen rief. Sie streckte im Taumel der Wonne ihre Arme aus und klammerte sich an den dunkeln Körper, der sich über sie beugte, wie der Ertrinkende an den Felsen; all ihr Wesen drang dieser Brust entgegen, sie wußte nicht, wer es war, sie fragte nicht, sie dachte nicht, sie war nur ein einziges Gefühl, ein so gewaltsam seliges Gefühl, daß ihr Herz kaum zu schlagen wagte. Endlich fand sie, wenn auch nicht Worte, so doch Seufzer, Tränen.

»Gefunden,« hauchte sie.

»Mein auf immer,« hörte sie den Mund, der auf dem ihren ruhte, lispeln. Asso hatte die Erkennung der beiden Liebenden betrachtet wie eine Hyäne, der man den Raub entrissen. Nicht Verlegenheit, nicht Schrecken drückten sich in diesen eisernen Zügen aus, eher Verachtung. Menes legte das Mädchen, das sich kaum erholen konnte von der Überschwenglichkeit dieses Glückes, sanft in die Arme Hadsas, an deren Brust es in ein krampfhaftes Weinen ausbrach, und trat mit ruhigen Schritten seiner Mutter entgegen. Eine Zeitlang betrachtete er sie mit Blicken unaussprechlichen Schmerzes. Allmählich aber, als er sah, daß sein Schmerz auf die Mutter keinen Eindruck machte, sie im Gegenteil ihn herausfordernd musterte, nahmen seine Züge einen ruhigen, kalten Ausdruck an.

»Mutter,« sagte er mit dumpfer Stimme, der man deutlich anhörte, wie sehr sie bemüht war, das innere Seelenweh hinter Gleichmütigkeit zu verbergen, »Mutter, was hast du getan!«

Asso schwieg, sie sah stolz dem Sohn ins Auge, ihre Hand machte eine zuckende Bewegung.

»Was hast du getan!« rief der Sohn noch einmal. »Ich habe alles erfahren – wie habe ich mich in dir getäuscht. Oh! oh!« seufzte er dann auf, »ich sagte: Mutter! diesen Namen verdienst du nicht mehr. Nein! du verdienst ihn nicht mehr.«

Im hintersten Winkel von Assos Auge leuchtete es auf wie eine bange Überraschung.

»Nein,« fuhr Menes fort, sich nun ganz seinem Schmerz überlassend, »du verdienst diesen Namen nicht mehr, und ich kann dir nicht ausdrücken, welchen Schmerz ich empfinde, da ich dies aussprechen muß. Ich hoffte darauf, daß du mir eine treue Ratgeberin würdest, ich hoffte auf deine wahre Liebe – damit ist es nun vorbei. Du hast keinen Sohn mehr, und weh mir, daß ich keine Mutter mehr habe. Doch lieber keine Mutter mehr haben, als eine solche, die den Sohn hintergeht. Und wie hintergeht! O ihr Götter! Hättest du mir dies alles zugefügt, was du diesem armen, unglücklichen, hilflosen Wesen getan, ich hätte dir verziehen, ich hätte überwunden, so aber hinter meinem Rücken diese zarte Seele peinigen, von der du wußtest, daß sie an mich gekettet ist mit allen Banden der Zärtlichkeit – das ist zuviel, das kann nur ein unmenschliches Wesen begehen, das kann ich dir nicht verleihen! In ihr hast du mich doppelt und dreifach gemartert, mich beleidigt, so tief beleidigt, daß, wärst du mir nicht von den Göttern zur Erzeugerin gegeben worden – daß ich – ja! es sei herausgesagt – mich nicht zurückhalten würde, dir diesen Dolch durch das arge, unmütterliche Herz zu stoßen.«

Außer sich warf er ihr die Waffe zu Füßen, daß der Kies aufflog. Die Witwe packte, von den Worten ihres Sohnes getroffen, ihr Kleid und verwickelte ihre Faust in seine Falten; über ihre Züge glitt es finster, ihre Lippen bebten und es war, als ob sie den Eindruck dieser Worte abschütteln wollte. Dann drehte sie sich langsam um. Ein häßliches Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Oh, ein guter Sohn!« kam es aus ihrer keuchenden Brust, »der seine Mutter töten möchte! Tue es doch! Was hält dich ab! Durchstoße diese Brust, die dich genährt, die dich liebt, ja liebt, trotz alledem, was sie dir angetan!«

»Mich liebt?« schrie Menes, ohne sich länger beherrschen zu können. »Kannst du nie, auch in diesem Augenblick, nicht aufhören zu heucheln?«

»Und fragst du nicht danach, warum ich dies getan?« sagte sie, fast ohne den Mund zu öffnen. »Du tadelst mich? Du tadelst mich und weiter nichts. Du bedenkst nicht, daß ich vielleicht auch Lob verdiene.«

»Lob?«

»Ja! Lob!« fuhr Asso fort, deren harte Stimme zu zittern begann. »Ich war grausam, ich hielt es für meine Pflicht, grausam zu sein. So, wie ich handelte, war gut gehandelt, ich handelte so, weil ich dich liebte. Ja! schüttele den Kopf – liebte –! und –« ihr Ton ward nun so trotzig, daß Menes erschrak – »und ich würde wieder so gehandelt haben, wenn sich mir die Gelegenheit geboten und die Umstände es gefordert. Du bist ein Undankbarer,« rief sie dann, als Menes sie unterbrechen wollte. »Ein Sohn, der seine Mutter nicht versteht, ein Sohn, der seiner Mutter nicht würdig, ein kleinlicher Sohn, dessen niedriger Geist sich nicht aufzuschwingen vermag aus seinen erbärmlichen Zwecken, verächtlichen Zielen. Gut! nimm diese elende Jüdin zum Weib, beschließe dein Leben in Dunkelheit, hege sie, pflege sie, küsse sie, treibe das lächerlich-kindische Spiel, das sie Liebe nennen, das du mit dem Tier und mit dem geringsten Fischerknecht gemein hast, geh hin! pflanze dich fort, suche das Glück deines Lebens darin, deine Kinder zu züchtigen, habe kein höheres Ziel, als einen Enkel auf den Knien zu wiegen oder deinem Weibe ein neues Kopftuch zu kaufen, o pfui! dann aber nimm die Verachtung, die volle Verachtung deiner Mutter dahin, die dich zu Höherem bestimmte, du Schwächling! dem einst eine Königskrone über dem Haupte leuchtete und der sie ausschlug.«

Asso hatte diese Worte leidenschaftlich hervorgestoßen. Ihre Stimme hatte sich gesteigert, kaum war ihr letztes Wort verhallt, als sie sich mit Heftigkeit umwandte und von dannen schritt. Menes sah ihrem festen, selbstbewußten Schritt an, daß sie von ihrer Würde, von der Löblichkeit ihrer Tat völlig durchdrungen war und gab es auf, ihr weitere Vorstellungen zu machen, die zu nichts geführt hätten. Einen Augenblick, nachdem sie gegangen, stand er noch in Nachdenken verloren, ihr traurig nachsehend.

»Sie liebte mich nie,« sagte er sich, »Selbstsucht war ihre Liebe zu mir. Ich sage mich los von dieser Mutter, und es wird mir jetzt leicht, mich von ihr loszusagen, hoffentlich sehe ich sie niemals wieder; hoffentlich wirft ihre finstere Stirne nie mehr einen Schatten in mein strahlendes Glück.«

Er schritt leuchtenden Angesichts auf Myrrah zu, die sich aus den Armen Hadsas losmachte, ihre Tränen trocknete, ihm verschämt entgegeneilte und, von seinen liebeswarmen Armen umschlungen, an seine Brust sank.

Hadsa lächelte glücklich, als sie die in eine einzige Gestalt verschmolzenen Liebenden sah, eine Träne blitzte über die sammetne Schwärze ihrer Wangen und sie schlich sich stille davon, den Wonnerausch der Glücklichen nicht zu stören.

»Und so halte ich dich endlich in den Armen,« flüsterte Menes, sich sanft mit ihr am Ufer des Teiches niederlassend, »so viel Weh, so viel Leid hast du durchkämpfen müssen, bis du Ärmste erlöst, an meinen Busen flüchten durftest! Oh! welche Prüfungen haben dir die Himmlischen auferlegt, meine arme, verfolgte Gazelle, meine keusche Lotosblume, die das Haupt so scheu unter den Wellen birgt. Oh, wenn ich doch nur eine Ahnung gehabt hätte von – ich will ihren Namen nicht mehr aussprechen – von ihren Hinterlisten, wenn ich doch eine Nachricht erhalten hätte von deinen Qualen, aber ich lebte fern von dir, glaubte dich im Schoße des Friedens, und erfahre nun, daß du weit Schlimmeres erduldet wie ich, du treue, standhafte Seele. Ich könnte mir zürnen, daß ich nicht gefühlt, wie du um meinetwillen littest, daß ich lächeln konnte, während du vielleicht weintest, Speise nahm, während du Hunger littest, süß einschlummerte, während du dich auf dem tränennassen Lager wälztest.«

»Es ist vorüber,« hauchte Myrrah, ihren Mund an den seinen schmiegend, »sprich nicht mehr davon.«

»Du hast recht,« lispelte er, sie in sich hineinziehend, »du hast recht, überstandenes Leid ist keines mehr. Sind wir doch nun doppelt selig im Rückblick auf die ernste Prüfungszeit, sie dient nur dazu, unser jetziges Glück mit einem Strahlenglanze zu umgeben; wie der Mond dort leuchtet auf dem dunkeln Grund des Himmels, so leuchtet nun unsere Liebe auf dem dunklen Grund überwundener Gefahren.«

»Ich habe dich,« flüsterte sie, die Augen schließend, »weiter brauche ich nichts, nach Weiterem frage ich nicht, weiter weiß ich nichts mehr, ich habe die Welt vergessen!«

Er fühlte ihren schwellenden Busen weich an seiner Brust brennen und es versagten ihm die Lippen, sie nach den Gefahren, die sie durchkämpft, eingehender zu fragen oder ihr die seinigen mitzuteilen. Die Erzählung derselben mußte späteren Tagen aufbewahrt bleiben. Er fühlte, wie sie sich sicher fühlte an seiner Brust, denn sie drückte sich zitternd in sie hinein, und er schwur sich: alles Leid ihr sorgsam aus dem Wege zu räumen, ihr die Tage so schön zu machen, als es ihm nur möglich sein würde, ihr nie ein mürrisches Wort zu sagen. Sein Auge weilte trunken erst auf den Reizen, die er umarmen durfte, dann auf denjenigen der Natur, die sein Liebesglück erhöhen zu wollen schienen. Über den Zinnen des Palastes stieg eine rosig angehauchte Glut empor, der Widerschein der Morgenröte. Das königliche Gestirn schickte seine glühenden Trabanten, die Strahlen durch die Nacht, damit sie die Palastsäulen seines Sohnes vergoldeten. Wie ein feuriges, marmornes Riesenschiff stand der Palast in dem grünwogenden Blättermeer des Gartens, berauschende Düfte umwehten zärtlich die Liebenden und ein erwachender Vogel grüßte sie mit seinem ersten Lied. Der Mond aber nahm milden Blickes von ihnen Abschied. Wie zitterte der Teich im fröstelnden Morgenwind, wie brannte der Palast, wie hold schlossen die Sterne die Augen, wie flüsterten die Zweige! Es ward den beiden so seltsam zumut, sie wollten doch lächeln und mußten weinen, ihr Blick ward tiefer und ihre Küsse glühten bedeutungsvoller. Und sieh! wer tritt dort aus dem Laubgang, begleitet von seinem reichen Gefolge? Wer winkt, daß die Trompeten schmettern? Es ist König Ramses, der Sohn der Sonne: die Strahlen seines Vaters umleuchten ihn triumphierend. Er schreitet auf den trunkenen Menes zu, er überreicht ihm eine Papyrusrolle; Menes betrachtet erst Myrrah, dann den König, er sieht, wie der König Myrrah umarmt und sie feierlich vor dem ganzen Hofe seine Tochter nennt. »Ja! Tochter!« spricht er, »also will es mein großer verstorbener Vater Seti der Erste, also hatte er es dieser Rolle anvertraut, die wir der Hand eines Verbrechers entrissen; Myrrah, so sagt dies Dokument, war meines großen Vaters Kind, und jetzt ist sie das meine!«

Und die Großen des Reiches verneigen sich vor ihr, und die Trompeten und Trommeln und Harfen stimmen an den Hymnus der Liebe, der menschenbeglückenden, weltbezwingenden Liebe und alle schreiten ergriffen zum Tempel, dessen säulenprächtiges Innere sich majestätisch vor ihnen auftut.

* * *

Dort aber, fern auf dem blitzenden Nile rauscht ein vergoldetes Boot gen Memphis. Eine schöne, mädchenhafte Gestalt lehnt sich über Bord, ihr Blick sucht sehnsüchtig den Palast des Ramses, ihr Ohr lauscht den Trompeten, die von dort herüberschmettern.

»Wie bist du glücklich, o Königskind,« singen ihre Sklavinnen, sie umtanzend, »du fliegst von Stadt zu Stadt, dir huldigen die Töchter Ägyptens, dir neigen sich die Palmen, die Pyramiden, dein Fuß wird bald die heilige Oase Amun betreten, wo du von nun an deinen Träumen leben kannst! Wie bist du glücklich, o Königskind! Dein Schmuck ist von Gold und edlen Perlen, dich lobt Isis, die Wunderbare, dir dienen schöne Sklavinnen, dir sind in Liebe geneigt die jungen Männer deines Volkes. Ja! in Liebe! in Liebe, und dein Grabmal ist reich bemalt, tief und verschwiegen! ja, du bist glücklich!«

Aber aus den Augen des Königskindes rollt eine Träne in den aufrauschenden Nil und ihre Arme ringt sie nach Theben zurück!


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