Wilhelm Walloth
Im Schatten des Todes
Wilhelm Walloth

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7.

Am folgenden Tage trafen sich: das Ehepaar Meyer mit Natalie, Weihals, das Ehepaar Körn nebst Karl im Atelier Otto Grüners. Nicht zufällig. Grüner hatte die Gesellschaft geladen, da sein Bild »Salomes Tanz vor Herodes« vollendet auf der Staffelei prangte, hell beglänzt von der durchs breite Fenster lächelnden Herbstsonne.

Die Frau Rechtsanwalt entfaltete hier ihre ganze bezaubernde Liebenswürdigkeit; wie eine die Künste beschützende Fürstin sprach sie dem etwas verzagten Künstler Mut zu.

Weihals suchte in der großen Mappe nach Bildern, die seinem Geschmack behagten, war aber sonst klug genug den Mund zu halten. Höchstens, daß er an dem Salome-Bild die Nebensachen bewunderte. »Ach Herr Grüner, wie hawe Se doch de rote Sammet so gut getroffe! ma könnt ja ordentlich mit de Fingerspitze drüber fahre!« Oder ein andermal: »Der Marmor sieht aus wie werklicher Marmor! gar net wie gemalt, gar net!«

Der Schuldirektor hielt es natürlich für seine 156 Pflicht, der Gesellschaft zu beweisen, auf welch hoher Stufe sein künstlerisches Beurteilungsvermögen stand. Er schritt, seine Gattin am Arm, an den Wänden entlang, betrachtete die dort hängenden Skizzen und ergoß darüber seinen gelehrten Phrasenschwall. Beständig wiederholte er seine Lieblingsredensart: »Siehst du, liebes Kind,« (vor der Welt war seine Gattin stets sein »liebes Kind«) »das ist die größte Kunst, mit den kleinsten Mitteln die höchste Wirkung hervorzubringen . . .« Dabei schielte er jedoch immer ängstlich nach Otto hinüber, der im Stillen über die ewig wiederholten Ausdrücke: Farbenwerte, Nuancen, helldunkel u. s. w. lächeln mußte. Doch zog sich der gelehrte Herr so geschickt aus der Sache, daß man ihm nicht gerade einen direkten Unsinn nachweisen konnte.

Nata verhielt sich wie immer still, wie von einem leisen jungfräulich-kühlen Trotz umflort, der indes gerade dadurch, daß er abstoßen wollte, anzog. Karl hatte seit dem letzten Gespräch Interesse für sie und suchte sie zum Sprechen zu bringen. Sie behandelte ihn diesmal sehr kühl.

Die Gesellschaft löste sich in mehrere Gruppen auf in dem großen Raum. Meyer war mit seiner Frau allmählich in den Erker gelangt, in dem ein niedlicher Rohrtisch nebst Stühlen zum Ruhen einlud, Der Maler bot Cigaretten an, man ließ sich nieder. Nun holte der Künstler das Bild Nataliens aus einem Winkel hervor und wies es den erstaunten Eltern vor. Er hatte es aus dem Gedächtnis gemalt. Der Anwalt baute hierauf sofort die Hoffnung: 157 Grüner liebe seine Tochter, und dieser Gedanke machte ihn heiter.

Hier, im Angesicht seiner Werke, brachte es nun Otto, den Karl beständig durch leise Winke ermutigte, endlich über sich, den Anwalt daran zu erinnern, daß er sich ein kleines Haus kaufen wollte.

»Sind Sie denn endgültig entschlossen?« fragte der Anwalt, seine Unruhe bekämpfend.

»Es ist das einzige Mittel,« versetzte Otto, »um mir Ruhe und Arbeitskraft zu verschaffen.«

Frau Meyer mischte sich auch ins Gespräch. »Herr Grüner hat ganz recht!« meinte sie wohlwollend.

»Aber liebe Emilie,« fiel ihr der Anwalt ärgerlich in die Rede, »du hast früher anders gesprochen.«

»Ja, aber es wär unrecht, seh ich jetzt ein, dem Herrn Grüner abzuraten. Er braucht für seine Nerven Stille, er braucht ein großes Atelier, in dem er auch große Gemälde ausstellen kann.«

»Das kann er auch, wenn er ein Atelier mietet!« versetzte der Anwalt mit einem so verzweifelten Zittern der Stimme, daß ihn Emilie vorwurfsvoll ansah.

»Erlauben Sie, Herr Meyer,« bemerkte Otto, »der Künstler braucht Stimmung. – In einem gemieteten Atelier finde ich nie die intensive Stimmung wie im eigenen, behaglich eingerichteten.«

»Ganz richtig!« lächelte Emilie freundlich. »Die Hausfrau braucht auch eine hübsche Küche, wenn sie mit ›Stimmung‹ kochen soll.«

Meyer warf seiner Frau einen zürnenden Blick zu und wandte sich dann an Grüner: »Aber bedenken Sie doch, was Sie mit so nem Haus für 158 ne Last auf sich laden! Die Reparaturen, die Steuern, die Mieter!«

»Ja,« meinte Otto, »das wird sich schon finden. Ich hab mir sagen lassen, ein Haus sei eine ganz gute Kapitalanlage, bei den geringen Zinsen, die man heut zu Tag bekommt, – höchstens drei und ein halbes Prozent. Ein Haus kann sich doch zu vier bis fünf Prozent verzinsen.«

»Ha! ha!« lachte der Anwalt gezwungen, »Herr Grüner wird Geschäftsmann!«

»Heutzutag muß man ein wenig Börsenjobber sein,« versetzte Otto ernst; »auch als Künstler.«

»Ganz recht,« lobte ihn Emilie. »Das freut mich an unserm früheren Mündel. Er wird endlich praktisch; er ist nicht mehr Hans der Träumer, nicht mehr das phantastische Kind; er wird ein Mann.«

»Ich begreife dich nicht, Emilie!« erwiderte der Anwalt mit unsicherer Stimme. »Du . . . du hast früher selbst gemeint, unser lieber Herr Otto müsse bei seiner geringen Weltkenntnis sehr vorsichtig sein. Sonst verliert er was er hat.«

»Jetzt seh ich aber,« versetzte sie freudig, »daß er uns nicht mehr braucht. Er kommt durchs Leben. Kaufen Sie sich nur das Häuschen, Herr Grüner.«

Nun ließ sich aus dem Hintergrund des Ateliers die Stimme des Kommerzienrats vernehmen, der gerade in Aktstudien blätterte, dabei aber aufmerksam dem Gespräch gefolgt war.

»Ganz recht, Herr Grüner! lasse Se sich nur net irr mache. Ä Haus verzinst sich noch ganz gut; besser als die lumpige Staatspapiercher. Kann Ihne 159 ä Haus doch auch net verlore gehn, is keine Kursschwankunge unnerworfe! ganz praktisch!«

Dem Anwalt stieg das Blut zum Kopf. Er schwieg, ganz in sich versunken.

»Also,« begann Otto von Neuem, »wann kann ich das Kapital flüssig machen?«

»Was?« fuhr der Anwalt aus seinen Träumen. »Ja so, ja, flüssig machen? Jederzeit! jederzeit! Haben Sie denn schon ein Haus?«

»Ja,« versetzte der Künstler, »für zehntausend Mark; das Übrige leg ich in Möbeln an. Ich möcht die Möbel jetzt schon kaufen, – brauchte also in diesen Tagen viertausend Mark.«

»Jederzeit, jederzeit!« versicherte der Anwalt, vor dessen Augen sich sämtliche Bilder des Ateliers zu verzerren und im Kreise zu drehen begannen. »Kommen Sie nur . . .«

»Gut, ich komme also . . . na sagen wir . . . übermorgen?«

»Gut, übermorgen!«

Meyer mußte sich einen Augenblick setzen. Die Beine versagten ihm den Dienst, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, doch wußte er seinen Seelenzustand unter einer jovialen Miene zu verbergen. Nur Weihals, der ihn die ganze Zeit über beobachtet hatte, war nun seiner Sache beinahe sicher.

»Wie wärs,« lud Otto seinen früheren Vormund ein, »Sie würden sich das Haus mal ansehen?«

Meyer lehnte ab, er habe dringende Geschäfte, aber wenn seine Frau nebst Tochter mit ihm das Haus besehen wollten, habe er nichts dagegen.

160 Emilie war einverstanden. Der Kommerzienrat bat um die Erlaubnis die Gesellschaft in seinem Automobil hinfahren zu dürfen; man nahm den Vorschlag gern an, bestieg das prächtige Auto und fuhr darauf los.

Weihals lenkte mit Stolz selbst. Den beiden Damen ward es etwas angstvoll zu Mut bei dieser Geschwindigkeit; das Rasseln und leise Rütteln erschreckte sie. Weihals hatte Nata neben sich sitzen und erwies ihr viel Aufmerksamkeit. »Wenn man nur bessere Räder erfinden könnte!« erklärte er ihr. »Diese Gummiräder nutzen sich gar zu rasch ab und sind enorm teuer. Überhaupt ist so eine Automaschine ein gar zu kompliziertes Ding.« Einmal machte dann auch der Kraftwagen Miene, ohne ersichtlichen Grund stehen bleiben zu wollen, dann schoß er jedoch wieder gehorsam vorwärts. Bald hatte man das kleine Haus erreicht, es lag außerhalb der Stadt, ganz einsam mitten in einem Garten.

Als man nun durch die leeren Zimmer schritt, wußte der Kommerzienrat dem Gespräch, halb ernst, halb scherzhaft, eine solche Wendung zu geben, daß er der Frau Meyer andeuten konnte: wenn sie einmal in eine schwierige Lebenslage käme, solle sie sich nur an ihn wenden.

»Sie würden mir helfen?« lachte sie verschmitzt.

»So viel ichs vermag!«

»O, Sie sind bekannt . . . als . . . nicht grade sehr freigebig,« scherzte sie boshaft.

»Kommt darauf an!« meinte Weihals wichtig.

161 »Hoffentlich brauch ich Ihre Herzengüte nie auf die Probe zu stellen!« spottete Emilie arglos.

Dann redete man wieder von der neuen Hauseinrichtung. Der Maler schwärmte von dem idyllischen Leben, das er hier zu führen, von den künftigen Kunstwerken, die er hier auszuführen gedachte und die gutmütige Emilie, die für die Kunst wenigstens großes Interesse hegte, gönnte ihm von Herzen seine Begeisterung für diesen stillen Erdenwinkel, dies kleine Gärtchen, diese niedlichen mit Linoleum belegten Zimmer. Alle ihre Hausfrauentugenden regten sich, sie begann gemeinsam mit ihm vom künftigen Leben in dieser stillen Häuslichkeit zu schwärmen. Im Stillen hegte sie die Hoffnung, daß Otto – sich ein gewisses Weibchen mitten in diese häusliche Herrlichkeit setzen werde und spielte jetzt auch stark auf diesen ihren Lieblingswunsch an. Otto stutzte. Ein Licht ging ihm auf, als der Blick der hübschen Frau so verklärt auf ihrer Tochter ruhte, gleichsam als wollte sie den Künstler einladen, doch hier sein Glück beim Schopf zu fassen. Nata merkte davon nichts, oder vielmehr, sie tat als ob sie nichts davon merkte. Ihr war der Künstler sehr unsympathisch; schon sein Äußeres stieß sie ab. Otto selbst hatte gegen die niedliche Kleine mit dem reizenden Porzellanpuppengesichtchen nichts einzuwenden, aber er empfand auch keine sonderliche Neigung für sie.

Beim Nachhausegehen fragte ihre Mutter sie: ob ihr Otto gefalle? Sie sagte die Wahrheit: gar nicht. Die Frau Rechtsanwalt war darüber betrübt und 162 gab sich Mühe ihrer Tochter die Vorzüge Ottos ins richtige Licht zu setzen, – ohne jedoch Erfolg zu haben. Natalie merkte kaum auf und grübelte beständig darüber nach, warum sich der Papa in der letzten Zeit garnicht mehr so natürlich frisch zeigte wie sonst. Sie hing sehr an ihm, es stimmte sie melancholisch, daß er auf einmal sich so verändert hatte.

Als Emilie nach Hause zurückgekehrt war, entstand zwischen ihr und dem Gatten zum erstenmal ein heftiger Streit. Er warf ihr mit einer ihr unbegreiflichen nervösen Erregtheit vor, daß sie noch selbst dazu beigetragen, den Maler in seinem Vorsatz zu bestärken.

Zum erstenmal verstand sie ihren Gatten nicht. Sie hatte ihn stets für einen Ehrenmann gehalten; aber diese sonderbare, beinahe krankhafte Aufregung, die ihn befiel, sobald von der Rückgabe dieses Geldes die Rede war, gab ihr doch zu denken. Sie blieb verstimmt und der Anwalt bemerkte bald mit tiefem Schmerz, daß seine Frau nur noch dann redete, wenn es unbedingt nötig war, daß sie oft wie in schmerzliche Träume verloren vor sich hinstarrte, daß sie ihn manchmal mit so erstaunten Augen prüfte, als wisse sie garnicht mehr, wer er sei. Ihr Vater war ein hoher Staatsbeamter gewesen, der streng seine Pflicht erfüllend, die rechte Hand des vorigen Landesfürsten gewesen war. Von diesem hatte sie den Sinn für Ehrbarkeit geerbt. Wie mußte sie es aufnehmen, wenn ihr Mann, zu dem sie stets empor gesehen, entlarvt vor ihr stand?

163 Der Anwalt lag fast den ganzen nächstfolgenden Tag, wie von einer schweren Krankheit befallen, auf seinem Sopha. Er schloß die Augen, konnte aber nicht schlafen. Sein Herz klopfte zum Zerspringen und wollte gar nicht mehr zur Ruhe kommen. Er zermarterte sein Gehirn über Vergangenes und noch mehr über Zukünftiges. Er wußte nicht mehr, was gräßlicher war, seine Tat oder die Folgen seiner Tat. Wenn er die Augen einmal öffnete und sein Blick durchs Fenster auf das puffende Dampfrohr fiel, entstand in seiner Phantasie das Bild eines eben abgefeuerten Revolvers. Wie ekelhaft das Weltbild in sein Auge grinste: diese Tätigkeit, dieses Hasten und Drängen, diese Farben und Formen, wie traurig! Daß er sie doch nie mehr zu sehen brauchte!

Und war nicht schließlich sie, die er geliebt, schuld an seinem Elend? Wars nicht ihr zu lieb, daß er gesündigt? Fast stieg nun ein Gefühl von Groll, ja Widerwillen gegen die Geliebte in ihm auf; ihr Schritt auf dem Hausflur erweckte ihm ein nervöses Zittern, ihre Stimme krampfte ihm die Kehle zusammen. Wenn sie ihn verstieß, – das fühlte er – dann würde er die Schußwaffe, die er schon einmal auf sich gerichtet, auf sie richten. Aber noch war es nicht so weit, noch war ja Hoffnung vorhanden, daß Otto die ganze Sache totschwieg, verzieh. Ein schlimmes Zeichen war es freilich, daß Emilie ihn gar nicht um die Ursache seines Leidens fragte. Das ließ darauf schließen, daß sie den tiefern Sitz dieses Leidens ahnte!

164 Natalie wußte gar nicht, was sie aus dem allem machen sollte. Sie fühlte, daß ihre Eltern nicht mehr in so innigem Einvernehmen lebten wie früher und litt schwer darunter. Sie beobachtete scharf und fühlte jetzt dunkel heraus, um was es sich etwa handelte. Sie fühlte, daß nicht Krankheit den Vater so niederbeugte und empfand eine Art von Scheu vor ihm. Heute morgen hatte er sie rufen lassen in sein Arbeitszimmer. Sie war mit ängstlicher Miene eingetreten. Er drehte sich von seinem Strohsessel halb zu ihr hin, sah sie an mit ganz verstörten Augen und öffnete die Lippen, brachte aber anfangs kein Wort heraus.

»Ich weiß nicht mehr, was ich von dir wollte, Kind,« stammelte er dann mühsam. »Mir ist eben oft gar nicht wohl. Geh nur wieder!« Sie wendete sich nach der Türe. Da hörte sie, wie er leise vor sich hinflüsterte: »Armes Kind!« Sie wendete stürmisch um und brach gewaltsam in Tränen aus. Sogleich hing sie an seinen Hals.

»Was ist dir, Papa, was ist dir?«

»Es wird noch alles gut werden,« gab er leise schluchzend zurück. »Denk nie schlecht von deinem Vater! Ja, alles, alles wird noch gut.« Sie wagte nicht weiter zu fragen, denn nun ward seine Miene wieder streng, kalt. Er hieß sie gehen.

Sie fühlte, daß sie ihn nicht mehr so innig lieben konnte, wie in früheren Zeiten. Sie wagte aber nicht mit der Mutter darüber zu sprechen, da diese ja eben so tief wie sie selbst unter dem seltsamen Benehmen des Vaters litt.

165 Dem jungen Herrn Körn wich sie mehr als früher aus, obgleich es sie stärker denn je zu ihm hinzog. Sie hatte das Gefühl, als müsse sie vor den Eltern gleichsam um Schutz bei ihm nachsuchen. Einmal traf er mit ihr auf dem Karlsplatz in dem Trambahnkiosk zusammen. Er überraschte sie, wie sie gerade ihr Taschentuch an die Augen führte, um ihre nicht mehr zurückzuhaltenden Tränen zu trocknen. Sie blickte mit verweinten, geröteten Augen auf die heranbrausenden blauen Wagen, auf die vielen schwarzen Regenschirme, auf die von schräg niederprasselnden Strichregen gleichsam ausgestrichenen Häusermassen und Bäume des großen Platzes. Wie gerne hätte sie mit Karl ein paar Worte gesprochen; doch er ging grüßend vorüber. Sie hatte offenbar keinen tieferen Eindruck auf sein Herz gemacht, und der Kummer dieser unerwiderten Liebe nagte nun auch noch an ihr. Schon seit einigen Tagen war es ihr vorgekommen, als ob sich Weihals ihr in verliebter Weise nähern wollte. Diese Annährung steigerte ebenfalls ihre Leiden, denn sie hatte entdeckt, daß der Vater die stille Werbung des Kommerzienrats mit großer Freude begünstigte. So war die Ärmste von allen Seiten gleichsam eingeschlossen von einem See von Plagen.


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