Edgar Wallace
Großfuß
Edgar Wallace

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8

Hinten auf der Straße tauchten zwei schwache Lichter auf. Es waren die Scheinwerfer eines heranfahrenden Autos.

Jim stolperte, ging dann näher zu den Klippen und fand dort ein Versteck. Super trat dicht an seine Seite. Lattimer lag flach auf dem Boden hinter ihm. Der Wagen kam schnell näher. Jim hatte eine so rasche Fahrt auf dieser schlechten Straße für unmöglich gehalten. Als der kleine, offene Wagen vorbeisauste, sah er undeutlich eine dunkle Silhouette – eine Frau mit einem breitkrempigen Hut, die sich nach vorne neigte, damit ihr der Regen nicht ins Gesicht schlug.

Nach ein paar Sekunden fuhr das Auto durch eine der Öffnungen in der Umfassungsmauer und stand vor der Haustür still.

»Sie öffnet die Tür«, flüsterte Jim, als das Knarren eines Schlüssels durch den Wind zu ihnen herübergetragen wurde.

Super war ganz still. Erst als sie hörten, wie die Tür zugeworfen wurde, erhob sich Super.

»Nicht sprechen!« flüsterte er seinen Begleitern warnend zu und ging auf das Gebäude zu.

Der Wagen stand direkt vor der Haustür. Super wand sich wie eine Katze, ging vorsichtig heran und fühlte den Kühler an. Er war mit dem Resultat zufrieden. Dann ging er um das Haus herum auf die Rückseite. Kein Laut kam aus dem Innern des Hauses, kein Licht war sichtbar. Als er zur Tür zurückkam, sah er das geöffnete Vorhängeschloß lose herabhängen. Er beugte sich vor und horchte angestrengt. Aber er hörte nichts. Dann kehrte er wieder zu den beiden Männern zurück, die er an der Mauer zurückgelassen hatte.

»Es muß noch jemand anders kommen«, sagte er. »Sie bleibt hier nicht über Nacht . . . Sie hat irgend etwas Besonderes vor.«

Sie gingen zu den Felsen zurück, hinter denen sie sich versteckt hatten, und warteten auf das, was sich ereignen sollte. Eine Viertelstunde verging, eine halbe Stunde – dann hörten sie, wie sich die Tür öffnete und wieder schloß und wie das Vorhängeschloß wieder befestigt wurde.

»Sie bleibt nicht da.« Super war erstaunt. Man hörte aus dem Ton seiner Stimme, wie enttäuscht er war. »Zum Donnerwetter treten Sie in Deckung! Sie blendet ihre Scheinwerfer ganz hell auf!«

An dem kleinen Wagen, der bis dahin unsichtbar war, strahlten plötzlich für eine Sekunde zwei helle, weiße Lichtkegel auf, dann wurden sie sofort wieder abgeblendet. Der Wagen fuhr durch die Öffnung in der Umfassungsmauer heraus und wandte sich auf der Straße wieder ihnen zu. Sie hatten kaum genügend Zeit, sich zu verbergen, als die Scheinwerfer plötzlich wieder hell aufleuchteten. Wieder konnten sie den vorwärtsgebeugten Kopf und den Hut mit dem breiten Rand erkennen. Dann war das Auto an ihnen vorbei, und sie sahen nur noch den schwachen Schimmer des Schlußlichtes.

Super trat vor und war sehr mißgestimmt.

»Ich muß um Entschuldigung bitten«, sagte er. »Beide – sowohl Schlußfolgerung als auch Psychologie – sind eitle Dirnen, die einen im Stich lassen und verraten. Sie geht ins Haus und kommt wieder heraus, verschwindet – kein Mensch weiß, woher und wohin. Wenn wir ein wenig Glück hätten, wäre es möglich, sie einzuholen und ihrer Spur zu folgen, um festzustellen, wo sie sich wirklich aufhält.«

Sie mußten noch eine Strecke gehen, bevor sie Jims Wagen erreichten. Aber inzwischen hatte sich etwas Unangenehmes ereignet – einer der Reifen war undicht geworden, und man mußte das Rad wechseln. Sie beeilten sich, aber als sie fertig waren, konnten sie den Ford nicht mehr einholen.

In Groß-Pawsey setzten sie den Schutzmann des Ortes durch ihre Fragen in Erstaunen; aber er konnte ihnen keine Auskunft geben. Er hatte wohl zwei Wagen kommen sehen, aber bis zu diesem Augenblick war noch keiner wieder zurückgefahren.

»Ich lasse Sie hier, Lattimer – es ist möglich, daß man Sie hier verhaftet, aber ich brauche jemand auf Wachtposten.«

Sie fuhren im Sturm nach Horseham zurück. Die Donner rollten schwer, als Jim todmüde seinen Wagen vor Supers Büro zum Stehen brachte.

»Kommen Sie herein und trinken Sie Kaffee mit mir«, sagte Super, der sich während des ganzen Rückweges zur Stadt in Schweigen gehüllt hatte. »Ich glaube, daß ich besser denken kann, wenn ich nicht im Regen bin. Es tut mir sehr leid, daß ich Sie wegen dieser nichtssagenden Angelegenheit mitgenommen habe, Mr. Ferraby. Großfuß – hm – möglicherweise haben wir den Kerl verpaßt.«

Super saß durchnäßt in seinem Stuhl, und sein Gesicht nahm einen harten Ausdruck an.

»Ich bin wirklich nicht zufrieden. Sie kann nicht nach Pawsey gefahren sein – ich habe auf die Radspuren geachtet, als wir durchfuhren. Sie ist auch nicht durch Groß-Pawsey gefahren – der aufmerksame Beamte hat keinen Ford zurückkommen sehen, und ich glaube ihm durchaus. Er ist ein braver Mann; ich hatte ihn bei mir in einem Fall, als ich noch in Scotland Yard beschäftigt war. Sie ist nicht nach Pawsey gekommen, darauf will ich schwören. Wir fuhren doch über das letzte Ende der Straße, als ich Sie halten ließ. Die Straße ist sehr hell erleuchtet, und es waren überhaupt keine Autospuren zu sehen. Es ist möglich, daß Lattimer mir Neuigkeiten berichtet – ich habe ihn gebeten, mich anzurufen.«

In diesem Augenblick kam der Sergeant vom Dienst herein.

»Es wünscht Sie jemand aus Groß-Pawsey zu sprechen, Herr Oberinspektor.«

Super stand von seinem Stuhl auf und begab sich zu dem altmodischen Wandtelefon im anstoßenden Wachraum.

»Lattimer ist hier, Super. Ich habe den Fordwagen aufgefunden.«

»Wo?«

»Oben auf der Höhe der Klippe – er muß von dem Weg, der unten an der Küste entlangführt, abgebogen sein. Der Platz heißt Seahill.«

»Waren die Lampen an oder aus?« fragte Super schnell.

»Aus – dann war da noch etwas Merkwürdiges – quer über die Rückwand stand mit Kreide das Wort ›Großfuß‹ geschrieben.«

»Großfuß? Wie? Sonst noch etwas? War niemand bei dem Wagen?«

»Nein!«

Supers Gedanken arbeiteten schnell.

»Wecken Sie den Sergeanten des Ortes und rufen Sie den Polizeichef in Pawsey an. Sie können auch noch den Höhenrand der Klippen absuchen und die Straße, die unterhalb vorbeiführt, ob Sie jemand finden. Ich werde schnell zurückkommen. Haben Sie das Haus weiter beobachtet? – Gut!«

Er hängte den Hörer wieder ein und wiederholte Jim den Hauptinhalt der Nachrichten des Beamten.

»Ich muß sofort wieder hin, um nachzusehen; aber ich muß es erst mit Scotland Yard ausmachen. Gehen Sie und sehen Sie zu, ob Sie Cardew finden können, und holen Sie von ihm die Schlüssel des Hauses. Kommen Sie so schnell wie möglich zurück.«

Mr. Cardew hatte eine kleine Wohnung in der Nähe von Regent 's Park, wo er sich aufhalten konnte, wenn er eine Nacht in der Stadt zubrachte.

Jim hatte Glück; denn die äußeren Türen solcher Wohnungen sind um Mitternacht verschlossen, und es ist nur möglich, hineinzukommen, wenn man alle zwölf Familien im Hause aufweckt. Aber zufällig kam er gerade in dem Augenblick an, als eine lustige Gesellschaft aus einem Tanzklub zurückkehrte. Er stieg die Treppe zum dritten Stockwerk hinauf, wo Mr. Cardews Wohnung war.

Der Anwalt hatte einen leichten Schlaf, und als Jim zum zweitenmal an die Tür klopfte, sah er, wie Licht in dem Gang gemacht wurde und sich die Tür so weit öffnete, wie es die vorgelegte Sicherheitskette gestattete.

»Um Himmels willen, Ferraby!« sagte Cardew, als er die Kette löste. »Treten Sie näher. Was in aller Welt bringt Sie um diese Stunde zu mir?«

In kurzen Worten erzählte ihm Jim von dem Abenteuer dieser Nacht.

»Sicherlich werden Sie mir unter diesen Umständen verzeihen, daß ich Minter von dem Drohbrief erzählte. Ich glaube, er hält die Sache für sehr wichtig.«

Mr. Cardew strich sich erregt durch das zerzauste Haar.

»Kam sie erst so spät in der Nacht?« fragte er vollständig verwirrt. »Aber sie ist doch aus Barley Stack schon kurz nach elf heute morgen abgefahren! Wo ist sie jetzt?«

»Das will Minter ja gerade entdecken«, sagte Jim. »Der Wagen wurde verlassen aufgefunden, und das Wort ›Großfuß‹ war quer auf die Rückwand des Wagens geschrieben. Super denkt, daß es eine Irreführung sein könnte. Die Lokalpolizei sucht in diesem Augenblick die Küste und die Klippen ab, um – geradeheraus gesagt – um ihre Leiche zu finden.«

Cardew konnte nur den Kopf schütteln.

»Das kann ich nicht glauben, es ist zu – zu entsetzlich. Ich habe Reserveschlüssel zu dem Hause, aber sie befinden sich in meinen Büroräumen im Temple. Warten Sie so lange, bis ich mich angezogen habe – haben Sie Ihren Wagen hier? Wenn nicht, so wäre es besser, wenn Sie eine Taxe besorgten.«

Schon nach wenigen Minuten hatte er sich angezogen, und als er wieder zu Jim trat, war er für eine lange Fahrt gerüstet.

»Natürlich muß ich mit Ihnen gehen«, sagte er ruhig. »Ich muß wissen, was mit Hanna passiert ist.«

Schnell fuhren sie zum Temple. Cardew ging durch das Tor und kam bald mit einem Schlüsselbund zurück.

»Sie sind an diesem Ring; ich habe sie nicht erst ausgesucht, das können wir später tun.«

Wenn Super erstaunt war, als er den verzweifelten Amateurdetektiv sah, so ließ er es sich doch nicht merken.

»Oben auf der Klippe oder unten ist nichts gefunden worden. Geben Sie mir die Schlüssel, Mr. Cardew.«

Der Anwalt suchte sie heraus und löste sie vom Ring.

»Gibt es noch andere Schlüssel außer diesen – ich meine, gibt es noch mehr Nachschlüssel?«

»Nein, es hat immer nur zwei Sätze gegeben. Einen gab ich stets den Leuten, die das Haus mieteten oder benutzen wollten, und der andere Satz wurde in meinem Büro aufbewahrt. Dieser Satz ist niemals benutzt worden.«

Kurz bevor sie sich auf den Weg nach Süden machten, nahm Super Jim beiseite.

»Ich werde einen Mann nach Hill Brow schicken, um Elson ausfindig zu machen. Er ging letzte Nacht um neun Uhr fort und ist noch nicht zurückgekommen. Er nahm seinen Rolls-Zweisitzer – sein Chauffeur war nicht bei ihm. Ich sage Ihnen das – vielleicht hören Sie mehr davon, wenn der Fall vor den Staatsanwalt kommt. Kennen Sie Cardews Gärtner?«

»Sie haben sich gestern nach ihm erkundigt?«

»Ja«, sagte Super und sprach nicht weiter davon.

Jim ergriff das Steuer, und wieder sauste der lange Wagen die Horseham Road hinunter, aber diesmal mit weniger Vorsicht, denn die Straße war leer. Horseham selbst lag öde und verlassen da. Der Sturm hatte sich endlich gelegt, die Sterne kamen zwischen den zerrissenen Wolken durch, und nach etwa einer Stunde hielt der Wagen vor dem kleinen Gebäude, das dem Dorfsergeanten als Wohnung diente und die wenigen Strolche einschloß, die die Gesetze von Groß-Pawsey überschritten.

Der Sergeant und zwei Detektive aus dem bedeutenderen Pawsey erwartete sie.

»Wir haben nichts gefunden«, berichtete der Sergeant. »Aber einer der Dorfleute sah eine Frau dem Seeweg zu und den Hügel hinuntergehen.«

»Wann war das?«

»Ungefähr vor zwei Stunden. Er sagte, daß sie aus der Richtung des Bahnhofs kam – von Pawsey Station, die mitten zwischen hier und der Stadt liegt. Der letzte Zug von London hält dort; aber ich habe den Stationsbeamten nicht finden können.«

»Sie ist überhaupt nicht von der Bahn gekommen«, sagte Super. »Das hat sie vielleicht vorgetäuscht. Benutzen Sie immer diese Haltestelle, Mr. Cardew?«

»Während des Krieges bin ich einmal dort gewesen. Gewöhnlich fahre ich bis zur Endstation, wenn ich die Bahn benütze, und fahre dann mit dem Omnibus hinaus.«

»Hatte Hanna Shaw die Gewohnheit, mit der Bahn zu kommen?«

Cardew schüttelte den Kopf.

Der herrenlose Wagen war nicht fortgebracht worden, wie ihnen der Sergeant erzählte, und sie fanden ihn in der Verfassung, wie sie der Polizist geschildert hatte. Es war leicht zu verstehen, warum sie ihn auf ihrem Weg nach Pawsey nicht bemerkt hatten. Der Wagen war auf einen kleinen Hügel hinauf und auf der anderen Seite den Abhang hinuntergefahren worden, so daß er von der Straße aus nicht sichtbar war.

Mit Hilfe seiner Lampe prüfte Super das Auto sorgfältig. Die mit Kreide auf die Rückseite geschriebene Inschrift schien den alten Polizeibeamten nicht zu interessieren, obwohl sich Mr. Cardew darüber aufregte.

»Es ist keine weiße Kreide – sie ist grün!« sagte der Anwalt. »Billardkreide!«

»Vielleicht werden wir sie in einem Billardsalon finden«, brummte Super. »Wir wollen das Queue suchen!«

Woraufhin Mr. Cardew erhaben schwieg.

Supers Hauptaugenmerk wandte sich dem Wageninnern zu. Auf dem Trittbrett stehend, ließ er das Licht seiner Lampe langsam über den Boden und die Sitze gleiten.

»Der Sitz ist verkratzt – auch das Leder zeigt neue Kratzer und ist ganz sauber. Kein Schmutz an der Fußbremse oder an der Kupplung. Hieraus kann man nichts schließen.«

Sie kamen zu Jims Wagen zurück.

»Waren Sie unten beim Haus, Sergeant?« fragte Super, und Lattimer bejahte.

»Es ist niemand dort. Der Platz ist bewacht, seit Sie ihn verließen – auch jetzt steht noch ein Mann Wache dort.«

Super stieg in den Wagen und ließ sich an Jims Seite nieder. Die Lokalbeamten der Polizei stellten sich auf die Trittbretter. So fuhr der Wagen den Hügel hinunter und bog in die Küstenstraße ein. Diesmal fuhr er direkt zum Haus, und alle stiegen aus.

»Wie schrecklich unheimlich!« sagte Cardew schaudernd. »Ich habe niemals bemerkt, wie einsam und verlassen mein Besitztum hier ist.«

Der Wagen wurde auf Supers Wink so zum Stehen gebracht, daß die großen Scheinwerfer auf die Tür fielen.

»Das Vorhängeschloß ist hier. Hanna ist nicht da.«

Auf Super machte diese Entdeckung keinen Eindruck.

»Ich habe auch nie erwartet, daß sie hier sei«, sagte er. »Aber sie war vorher hier. Sie kam aus einem ganz bestimmten Grund. Hatte sie noch etwas von ihren Sachen in dem Haus, Mr. Cardew?«

Der Anwalt schüttelte den Kopf.

»Nichts – es könnte höchstens sein, daß sie heute etwas gekauft und hergebracht hätte.«

»Heute hat sie nichts hierhergebracht«, erwiderte Super eindringlich. »Hatte sie irgend etwas in einem Bücherschrank oder in einer Kommode?«

»Soviel ich weiß, nicht.«

Super steckte den Schlüssel ins Loch und drehte um. Die Tür war außerdem noch einmal verschlossen, und als sie offen war, leuchtete Super mit seiner Taschenlampe in das düstere Innere.

Sie kamen in eine kleine Vorhalle. An der anderen Seite war eine zweite Tür, deren obere Hälfte aus Glasscheiben bestand und die sich öffnete, als Super dagegen drückte. Sie führte in einen Gang, der von der Vorder- bis zur Rückseite des Hauses lief.

»Bleiben Sie alle stehen«, sagte er warnend. »Ich werde das Haus untersuchen, und ich möchte dabei allein sein.«

Die beiden Räume, die zur rechten Hand des Ganges lagen, wurden zuerst durchsucht. Es waren einfach möblierte Schlafzimmer. Die Betten waren nicht überzogen, und er vermutete, daß die Wäsche in den Schränken war, die in den Räumen standen.

Er ging zur Eingangstür zurück und untersuchte den ersten Raum links. Es war ein Speisezimmer, und eine schnelle Besichtigung enthüllte keine besonderen Dinge. In einer Wand befand sich eine Öffnung, die von einem Rolladen geschlossen war. Augenscheinlich wurden hier die Speisen von der Küche ins Eßzimmer gereicht. Jetzt blieb nur noch die Küche zu untersuchen. Als er die Tür aufzumachen versuchte, stellte sich heraus, daß sie verschlossen war. Super ging zu seinen wartenden Begleitern zurück.

»Haben Sie den Schlüssel, Mr. Cardew?«

»Nein, es gibt wohl einen Küchenschlüssel, aber der wurde nie abgezogen. Steckt er nicht im Schloß?«

Super versuchte die Türklinke noch einmal; aber sie gab nicht nach, sie war fest verschlossen. Er bemerkte einen eigentümlichen Geruch und rief Jim zu sich.

»Riechen Sie etwas? Mir scheint, als ob hier etwas verbrannt worden ist.«

Ferraby nahm einen beißenden Geruch wahr, der ihm bekannt vorkam.

»Cordit!« sagte er plötzlich. »Hier ist eine Waffe abgeschossen worden – und zwar erst kürzlich.«

»Das dachte ich mir«, sagte Super kühl. »Diese Idee hatte ich gleich, als ich den Geruch von heißem Eisen erkannte. Die Tür ist von innen verschlossen.«

Er ging zum Speisezimmer zurück. Der Rolladen war befestigt. – Er fand ein kleines Schlüsselloch. Diesmal rief er Cardew zu sich.

»Ja«, sagte er, »er ist verschließbar. Aber ich habe keine Ahnung, wo der Schlüssel ist. Er war noch da, als meine Sekretärin Miss Leigh hier zu Besuch war. Und es ist mir niemals etwas davon gesagt worden, daß er verlorengegangen sei. Es ist ein Schnappschloß, und wenn man es zufällig geschlossen hatte, konnte man es nur mit dem Schlüssel öffnen. Ich hatte niemals einen zweiten Schlüssel. Können Sie nicht in die Küche kommen?«

»Nein – sie ist von innen verschlossen.«

»Dann werden wir wohl den Rolladen aufbrechen müssen«, meinte Cardew.

Er ging mit Lattimer zu dem kleinen Schuppen neben dem Haus und brachte ein paar rostige Werkzeuge.

Darunter befand sich auch ein kleiner Büchsenöffner, und Super, der den Haken des Instrumentes zwischen Rolladen und Rahmen ansetzte, arbeitete heftig an dem Schloß. Plötzlich sprang es krachend auf, und er schob den Laden nach oben. Jetzt konnte man den Geruch von Cordit deutlich wahrnehmen, selbst Cardew fiel er auf.

»Was ist das für ein Geruch?« fragte er, aber Super überhörte ihn, denn er lehnte sich durch die Öffnung und suchte den Raum mit seiner Lampe ab. Der weiße Lichtkreis bewegte sich langsam über den Fußboden zur Tür hin. Dann sah man einen Schuh, dessen Spitze nach der Decke zeigte . . . der Lichtschein glitt darüber hinweg . . . dann noch einen Schuh – dann kam der Saum eines schwarzen Kleides in den Lichtkegel. Eine Frau saß mit dem Rücken an die Tür gelehnt, ihr Kopf war auf die Brust gesunken, als ob sie betrunken sei. Super konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber er wußte, daß es Hanna Shaw war. Und er brauchte auch nicht die Blutlache auf dem Fußboden zu sehen, um zu wissen, daß sie tot war.


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