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Meistens vergaß Gordon, daß vor dem Namen der angebeteten Heloise van Oynne das kleine Wörtchen Mrs. stand. Er war zu diskret veranlagt, um auch nur auf indirekte Weise festzustellen, wie ihre Ehe beschaffen war. Er stellte sich Mr. van Oynne als einen großen, phantasielosen und brutalen Geschäftsmann ohne Seele vor, und er ahnte den Kampf zwischen dieser feinsinnigen Frau und diesem materiellen, rücksichtslosen Mann: Ärger und verhaltene Wut oder vollständige Interessenlosigkeit auf seiner Seite, resigniertes Leiden und stete Unruhe auf ihrer Seite, bis sie der anderen Hälfte ihres geistigen Wesens begegnete. Und das war eben Gordon.
Er schaute wieder aus dem Fenster.
Mr. Julius Superbus hatte einen Tabakbeutel aus Wildleder aus der Tasche gezogen und war gerade damit beschäftigt, seine kurze schwarze Pfeife zu stopfen. Er schien ein Mann zu sein, der selbst die gemeinsten Methoden anwandte, um zu seinem Ziel zu kommen. Ein gewöhnlicher, brutaler Mensch, der sich nichts dabei dachte, seinem Auftraggeber Berichte zu schicken, die eine Frau mit einer feinen, ästhetischen Seele stark kompromittierten. Ein Detektiv! Verzweifelt wandte er sich an Diana. »Würdest du etwas dagegen haben, wenn ich einmal das Studierzimmer einen Augenblick für mich allein haben könnte? Ich muß einen Herrn sprechen.«
Sie winkte ihm einen freundlichen Abschied zu, als sie durch die Tür verschwand.
»Ich soll ihn hierherbringen, Sir?« Trenter traute seinen Ohren nicht.
Gordon mußte seinen Auftrag wiederholen.
»Er ist aber kein Gentleman«, warnte Trenter, der sich schon im voraus wegen seines Bekannten entschuldigen wollte.
Das stimmte auch. Mr. Superbus war wirklich kein feiner Mann. Gordon hatte sich zwar auch keinen falschen Illusionen darüber hingegeben. Trenter war gespannt, was bei der Zusammenkunft herauskommen würde. Er wußte ja, daß sein Freund ihm bei nächster Gelegenheit alles erzählen würde.
Er brachte Mr. Superbus in das Studierzimmer und zog sich dann diskret zurück.
Nichts an der Erscheinung dieses Mannes erinnerte an die römische Kultur während ihrer Glanzzeit.
Er war sehr klein und korpulent und watschelte mehr als er ging. Er hatte einen großen Kopf, ein rotes Gesicht und einen kleinen, struppigen schwarzen Schnurrbart, den er offensichtlich färbte. Auf seinem sonst kahlen Schädel wuchsen noch siebenundzwanzig Haare, dreizehn auf der einen und vierzehn auf der anderen Seite. Er pflegte sie des öfteren zu zählen.
So stand er vor Gordon, atmete hörbar und drehte seinen Hut in seinen blau angelaufenen Händen.
»Nehmen Sie bitte Platz, Mr. Superbus«, sagte Gordon verlegen. »Trenter erzählte mir, daß Sie – ich meine, daß Sie Römer sind.«
Mr. Superbus verneigte sich, bevor er sich setzte, als ob er sich überzeugen wolle, daß seine Füße auch noch zur Stelle seien.
»Jawohl, Sir«, sagte er mit einer tiefen Stimme. »Ich kann wohl sagen, daß ich das bin. Wir Superbusse« – er betonte dieses Wort so, daß man annehmen konnte, er meine Autobusse von besonderer Größe – »stammen aus einer alten, viele Generationen zählenden Familie. Es sind nur noch vier von uns übriggeblieben. Erstens, meine Wenigkeit, dann mein Bruder Augustus, der ein junges Mädchen in Coventry heiratete, weiter meine Schwester Agrippa, die jetzt sehr gut mit ihrem dritten Mann lebt. Und dann ist noch Scipius da, der ist auf der Bühne.«
»Wirklich? Ist er Schauspieler?« Gordon war einen Augenblick verdutzt über diesen Aufmarsch einer ganzen römischen Kohorte.
In der Nähe von Caesaromagnus liegt die Universität von Cambridge, und einige sarkastische Antiquare dieser Stadt erzählten, daß die so illustre Familie Superbus ihren Ursprung der grillenhaften Laune einiger Studenten verdankt, die vor mehr als hundert Jahren dort lebten. Sie hatten in ihrem Übermut die Familie eines armen Fuhrmannes mit Namen Sooper aufgegriffen und sie auf diesen lateinischen Namen getauft. Mr. Superbus hatte auch von diesen Gerüchten gehört, aber er hatte sie mit Verachtung von sich gewiesen.
»Wo unsere Familie eigentlich herstammt, kann ich Ihnen nicht sagen.« Er sprach jetzt über sein Lieblingsthema. »Aber Sie wissen ja, wie Frauen sind, wenn echte Römer auftreten!«
Gordon gab sich nicht die Mühe, dies auch nur zu vermuten.
»Nun, Mr. Superbus, Sie haben eine – hm, sehr wichtige Position – Sie sind Detektiv, soviel ich weiß?«
Mr. Superbus nickte ernst.
»Es ist doch ein sehr interessanter Beruf, die Leute zu beobachten, vor Gericht aufzutreten und Zeugnis über ihre verschiedenen Missetaten und Verbrechen abzulegen?«
»Da sind Sie falsch unterrichtet – ich trete niemals vor Gericht als Zeuge auf. Ich bin sozusagen mehr kaufmännisch tätig. Natürlich erscheine ich auch vor Gericht bei einem besonderen Kuhp zum Beispiel –«
»Kuhp? Was meinen Sie denn mit Kuhp?« fragte Gordon erstaunt.
»Nun, ich meine – Sie verstehen doch, was ich sagen will wenn ich eine ganz große, geschäftliche Sache mache –«
»Ach, Sie sprechen von einem Coup!«
»Ich nenne das immer Kuhp«, erwiderte Mr. Superbus liebenswürdig. »Augenblicklich habe ich einen ganz großen Kuhp vor.« Er sprach ganz leise und beugte sich so weit wie möglich zu Gordon vor. »Ich bin nämlich hinter dem Doppelgänger her«, flüsterte er heiser.
Ein schwerer Stein fiel Gordon vom Herzen. Die Sache hatte also nichts mit Mrs. van Oynne und nichts mit ihrem großen, brutalen Ehemann zu tun, der sich mehr mit seinen Hunden und Pferden als mit seiner feinsinnigen, intellektuellen und schönen Frau beschäftigte.
»Ich kann mich auf den Namen besinnen – der Doppelgänger ist doch ein Verbrecher? Ist das nicht der Mann, der in der Rolle seiner Opfer auftritt?«
»Ja, das ist er, Sir«, entgegnete Mr. Superbus. »Er ahmt sie nicht nur nach, er ist dann wirklich der Betreffende selbst. Nehmen Sie doch nur den Fall von Mr. Smith –«
Gordon erinnerte sich daran.
»Sie können sich doch kaum vorstellen, daß ihn jemand nachmachen könne, obwohl es nicht so schwer war, da er einen weißen Backenbart trägt und nicht verheiratet ist. Der Doppelgänger hat den Alten um achttausend Pfund erleichtert. Das hat er wieder einmal gekonnt! Erst hat er den wirklichen Smith weggelockt, dann erschien er plötzlich im Privatbüro und schickte einen neuen Angestellten mit einem Scheck zur Bank. Deswegen hat sich doch Smith jetzt aufs Land zurückgezogen. Er hat sich schwer blamiert und kann sich in Gesellschaft nicht recht sehen lassen.«
»Ach so, jetzt verstehe ich«, sagte Gordon langsam. »Sie handeln im Auftrag –«
»Der Vereinigung der Versicherungsgesellschaften. Der Mann sucht seine Opfer nämlich meistens unter Direktoren und Generalvertretern dieser Branche aus.«
Gordon lachte vergnügt, was er selten tat.
»Und Sie sind mir gefolgt, um mich zu beschützen?«
»Das gerade nicht«, sagte Mr. Superbus mit der Zurückhaltung, die ihm sein Beruf auferlegte. »Ich wollte Sie nur kennenlernen, damit ich später im Bilde bin, wenn der Doppelgänger versucht, in Ihrer Rolle aufzutreten.«
»Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?«
Mr. Superbus nahm sie gnädig an und sagte dann, er werde sie zu Hause rauchen, als er sie einsteckte.
»Meine Frau liebt nämlich den Rauch einer guten Zigarre so sehr. Außerdem kommen die Motten dann nicht in die Vorhänge. Denken Sie, mein Herr, ich bin jetzt dreiundzwanzig Jahre glücklich verheiratet. Es gibt keine bessere Frau auf der Erde als die meine.«
»Ist sie auch Römerin?«
»Nein, sie stammt aus Devonshire.«
Als Diana eine halbe Stunde später wieder in das Zimmer trat, stand Gordon an den Kamin gelehnt. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt, den Kopf leicht geneigt und schien ganz in Gedanken versunken zu sein.
»Wer war denn dieser kleine merkwürdige Mann?« fragte sie.
»Er heißt Superbus«, erwiderte er, plötzlich aus seinen Träumen gerissen. »Er hat einige Nachforschungen angestellt. Er will einem Verbrecher auf die Spur kommen, der einen anderen Geschäftsfreund um achttausend Pfund betrogen hat.«
»Ach!« sagte Diana und setzte sich schnell nieder, denn die Erinnerung an den verstorbenen Mr. Dempsi wurde plötzlich sehr lebendig in ihr.