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Als Diana an einem der nächsten Tage ihre Einkäufe besorgt hatte und nach Hause kam, fand sie im Wohnzimmer eine etwas magere Dame mittleren Alters vor, die es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Sie begrüßte Diana mit einem gleichgültigen Lächeln. Diana hatte den Eindruck, als ob eine Romanfigur früherer Zeit lebendig geworden wäre. Die Fremde trug keinen Hut und strickte an einer feuerroten Wolljacke. Die Nadeln klapperten emsig in ihren Händen und schienen ganz von selbst zu arbeiten.
»Guten Tag – Sie sind sicher Miss Ford. Ich bin Miss Staffle – ich hoffe, daß wir gute Freunde werden!«
»Das hoffe ich auch!« erwiderte Diana. »Und wir werden noch bessere Freunde werden, wenn ich erst alles verstehe. Sind Sie hier zu Gast?«
Hurtig und flink schlugen die Stricknadeln aneinander.
Diana sah erstaunt zu – sie hatte noch niemals in ihrem Leben eine Wolljacke oder Strümpfe gestrickt.
»Nun ja, Mr. Selsbury dachte, daß Sie sich zu einsam fühlten. Es paßt ja für uns Mädchen nicht, daß wir allein sind, dann brüten wir zuviel.«
»Da haben Sie recht – ich brüte in diesem Augenblick auch über etwas nach.« Diana konnte sehr bestimmt auftreten. »Ist es richtig, daß Sie gewissermaßen als meine Anstandsdame engagiert sind?«
»Als Ihre Gesellschafterin«, erwiderte Miss Staffle leise.
»Nun, dann liegt der Fall ja sehr einfach.« Diana öffnete ihre Handtasche und nahm ein Scheckbuch heraus. »Wie hoch ist Ihr Gehalt?«
Miss Staffle nannte den Betrag.
»Hier haben Sie Ihr Gehalt für zwei Monate. Es war nicht meine Absicht, eine Gesellschafterin zu engagieren.« Sie klingelte, und die Stricknadeln hörten ganz plötzlich auf zu klappern.
»Eleanor, Miss Staffle verläßt das Haus vor dem Tee. Wollen Sie bitte dafür sorgen, daß das Gepäck heruntergebracht wird. Trenter soll ein hübsches Auto besorgen.«
»Aber, meine Liebe«, – Miss Staffles Stimme klang erregt und etwas scharf –, »Mr. Selsbury hat mich engagiert, und ich fürchte . . .«
»Mr. Selsbury braucht keine Gesellschaftsdame. Und nun, mein Engel, wollen Sie Spektakel machen oder wollen Sie als ein süßer, zarter Cherub von hier entschweben?«
Gordon kam nach Hause und war auf eine stürmische Szene vorbereitet. Er hatte sich aber fest vorgenommen, diesmal hart zu bleiben wie ein Felsen, mochte sie nun leidenschaftlich schelten oder ihn durch Tränen zu erweichen versuchen. Als er eintrat, ließ Diana gerade eine neue Platte auf einem ebenfalls neuen Grammophon spielen und tanzte vergnügt nach den Takten des neuen Schlagers: »Niemand darf mich Liebling nennen!«
Er konnte Grammophone im allgemeinen nicht leiden, aber im Augenblick gab es wichtigere Dinge zu besprechen.
Von der trefflichen Miss Staffle war nichts zu sehen.
»War jemand hier?« fragte er leichthin.
»Niemand, mit Ausnahme einer etwas verrückten alten Jungfer, die leider glaubte, daß ich eine Gesellschafterin brauche.«
Gordons Mut sank.
»Wo ist sie denn?«
»Ich habe mir nicht die Mühe gegeben, ihre Adresse zu notieren. Warum fragst du denn eigentlich? War die Gouvernante etwa für dich bestimmt?«
»Du hast sie wieder fortgeschickt?« Diana nickte.
»Ja, ihr Fleiß war ganz entsetzlich.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Sie hat die rote Strickweste doch nicht für dich gearbeitet?«
»Was, du hast eine – hm, eine Frau, die ich engagierte, fortgeschickt?« fragte er streng. »Wirklich, Diana, das geht etwas zu weit!«
Diana wechselte sofort das Thema der Unterhaltung.
»In zehn Minuten wird der Tee serviert sein. Mein lieber Gordon, deine Schuhe sind so schmutzig, geh schnell nach oben und zieh andere an.«
Der Widerspruchsgeist in ihm regte sich, sein Gesicht war rot vor Ärger.
»Ich werde nichts Derartiges tun!« sagte er scharf. »Ich will mich nicht in meinem eigenen Hause kommandieren lassen! Diana, die unerträgliche Situation muß jetzt ein Ende haben.« Er schlug mit der Hand schwer auf die Stuhllehne. »Einer von uns beiden verläßt heute abend das Haus. Ich habe genug! Die Dienstboten sprechen schon darüber. Ich sah, wie Trenter lächelte, als du heute morgen im Negligé zum Frühstück herunterkamst. Ich habe eine Stellung, einen guten Ruf und einen Namen in der City. Ich muß meine Interessen gegen die Gedankenlosigkeit selbstsüchtiger, rücksichtsloser Backfische wahren!«
»Aber wie kannst du mir einen solchen Namen geben?« fragte sie vorwurfsvoll.
»Ich gestatte unter keinen Umständen, daß eine so ernste Situation sich in einen Scherz oder Witz auflöst. Und ich sage noch einmal: Einer von uns beiden verläßt Cheynel Gardens.«
Sie dachte einen Augenblick nach, dann ging sie aus dem Zimmer. Gordon hörte, wie sie in der Diele telefonierte, und lächelte. Er hatte gesiegt. Man mußte nur fest auftreten und sich nicht einschüchtern lassen. Mehr war nicht notwendig –
»Ist dort die Redaktion des ›Morning Telegram‹? Hier ist Miss Diana Ford. Senden Sie doch bitte einen Reporter nach Cheynel Gardens Nr. 61.«
In zwei Sekunden war Gordon neben ihr in der Diele und hielt die Sprechmuschel zu. »Was machst du da?« fragte er erregt.
Sie zuckte die Schultern.
»Ein Leben ohne dich ist einfach unerträglich, Gordon«, sagte sie, scheinbar ganz gebrochen. »Wenn du mich aus der Wohnung weist, muß ich ins Wasser gehen.«
»Du bist verrückt!« stöhnte er.
»Der Leichenbeschauer wird vielleicht auch eine solche Ansicht äußern, wie ich hoffe – unterbrich mich nicht, Gordon. Die Leute der Redaktion wollen mich sprechen.«
Nur mit der größten Anstrengung gelang es ihm, sie von dem Apparat zu entfernen. Mit Gewalt nahm er ihr den Hörer aus der Hand.
»Machen Sie sich keine Mühe, jemand zu schicken . . . die Dame befindet sich sehr wohl. Sie ist am Leben – ich meine, es ist kein Selbstmord zu fürchten . . .«
Außer Atem ging er in sein Studierzimmer zurück.
»Dein Benehmen ist wirklich schändlich, direkt schamlos! Jetzt verstehe ich auch, warum dieser niederträchtige Dempsi vor dir Reißaus genommen hat und lieber draußen in der Wildnis sterben als länger bei einem so schrecklichen Zankteufel sein wollte!«
Gordon war an der Grenze seiner Geduld angekommen. Er war wild und grausam und wußte schon, bevor er zu Ende gesprochen hatte; daß sein Betragen unverzeihlich war.
»Es tut mir leid«, sagte er leise.
Ihre Gesichtszüge waren verschlossen, ihr Blick undurchdringlich. Er konnte ihre Gedanken nicht erraten.
»Es tut mir unendlich leid, das hätte ich nicht sagen dürfen bitte verzeih mir.«
Sie sprach noch nicht. Sie sah fast tragisch aus, wie sie hochaufgerichtet vor ihm stand.
Gordon schlich sich leise aus dem Zimmer. Dann sprach sie ihre Gedanken laut aus.
»Es ist doch einfach Unsinn, daß das Telefon nicht hier im Zimmer ist. Ich werde noch heute abend an das Postamt schreiben, daß das geändert wird.«
Das Abendessen verlief sehr schweigsam. Später ging Gordon aus.
»Ich habe mich mit einem Freund heute abend zum Theater verabredet«, sagte er.
»Ich habe auch seit Jahren kein Schauspiel mehr gesehen«, seufzte sie.
»Aber das wird dich nicht interessieren – es ist ein russisches Stück, das soziale Probleme behandelt.«
Sie seufzte aufs neue.
»Aber ich liebe doch das russische Theater so sehr! Die Haupthelden sterben so schön auf der Bühne, und man kann der Handlung so gut folgen. In einer Oper oder Operette weiß man nie genau, wen die Leute eigentlich darstellen, besonders wenn man den Text nicht genau versteht.«
»Dies ist aber kein Stück für junge Damen«, erwiderte er.
Aber sie ließ sich nicht überzeugen.
»Wenn du mich mitnehmen willst, ich bin in fünf Minuten umgezogen. Ich weiß sowieso nicht, was ich heute abend anfangen soll.«
»Du kannst dir doch überlegen, was es morgen zum Frühstück geben soll«, sagte er ärgerlich.
Als sie nun allein war, teilte sich ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Grammophon und ihren Grübeleien. Sie mußte zuweilen an Dempsi denken, aber der Gedanke war ihr etwas unbehaglich. Nicht, daß sie diesen etwas merkwürdigen Menschen, den Sohn Michael Dempsis und Marie Stezzagannis, geliebt hätte. Dempsi brach in ihr Leben ein wie ein Erdbeben über das Haus eines kalifornischen Farmers. Er hatte alle ihre Lebensanschauungen umgestoßen und sie furchtbar erschüttert. Aber jetzt erinnerte sie sich nur noch schwach an seine schmächtige, sehnige Gestalt und an seine vielen Reden. Er hatte sich ihr damals zu Füßen geworfen, hatte gedroht, sie zu erschießen, dann hatte er wieder erklärt, daß er sie anbete und ihretwegen seine geistliche Laufbahn aufgeben wolle. An einem heißen Februarmorgen – sie besann sich noch darauf, wie reich die Rosen in dem Garten blühten – hatte er sein ganzes Vermögen vor sie hingeschleudert und einen tränenreichen Abschied von ihr genommen. Dann war er in die Wildnis gelaufen, um niemals wieder zurückzukommen.
Tatsächlich war die nächste Wildnis etwa hundert Meilen entfernt, aber er hatte gesagt, daß er in die Wildnis gehen und seinem Leben ein Ende machen wolle, das schon über die Grenzen menschlichen Duldens hinaus durch Kummer und Qualen bedrückt sei. Er wolle dort vergessen und Erlösung von seinen Leiden finden. Wahrscheinlich hatte er auch sein Versprechen erfüllt, soweit es sich um den Weg in die Wildnis handelte. Diana beklagte oder betrauerte ihn nicht. Sie war nur neugierig, unter welchen Umständen er wieder erscheinen und die achttausend Pfund von ihr zurückfordern würde, die er ihr damals wohlverpackt und zusammengeschnürt in einer so großartigen dramatischen Szene vor die Füße geworfen hatte. Er hatte allerdings in der Aufregung sein Ziel verfehlt. Das Bündel Banknoten war in weitem Bogen über ihre Füße hinweggeflogen und hatte die Katze getroffen, die gerade Junge hatte und auf Dempsi losstürzte. So wurde seine wilde Flucht noch beschleunigt.
Als die Jahre vergingen, wurde ihr der Besitz des Geldes immer unangenehmer, und sie machte einen schwachen Versuch, seine Verwandten zu entdecken, obwohl sie wußte, daß er nicht einmal einen Vetter hatte. Aber dann geriet das Andenken an Dempsi allmählich in Vergessenheit. Ein romantischer Farmer machte ihr den Hof. Dieses Abenteuer endete jedoch etwas plötzlich, als die sehr unromantische Frau dieses Mannes in einem Auto auf der Bildfläche erschien und ihn wieder mit sich fortnahm.
Diana dachte an diesem Abend auch nur fünf Minuten an Dempsi, dann probierte sie einen neuen Walzerschritt aus, den man eventuell auch nach Jazzmelodien tanzen konnte.
*
»Ich verstehe nur nicht«, sagte Trenter, »daß unser gnädiger Herr so etwas erlaubt. Es schickt sich doch nicht, daß eine junge Dame im Hause eines Junggesellen wohnt. Das erinnert mich an einen Fall, den der alte Superbus erzählt hat. Er ist ein Gerichtsvollzieher und sieht immer nur die Schattenseiten des Lebens.«
»Ich würde mich schämen, einen Gerichtsvollzieher zum Freund zu haben, selbst wenn man mir eine Million dafür bezahlte«, erwiderte Eleanor, die in dürftigsten und ärmlichsten Verhältnissen groß geworden war. »Eher würde ich mir noch einen Bettler zum Freunde nehmen. Und sorgen Sie sich nur nicht um unsere Miss Diana, Arthur, es ist sehr gut, daß sie da ist. Besonders ich bin sehr froh darüber. Denken Sie denn nicht an mich? Habe ich denn nicht auch eine Moral? Haben die Köchin und ich nicht seit Jahren in demselben Haus mit einem Junggesellen gelebt?«
»Mit euch ist das doch etwas ganz anderes. Das Haus ist lange nicht mehr das, was es war«, klagte er.
Aber seine Trauer hatte einen tieferen Grund, den die beiden nicht kannten. So methodisch Gordon sonst auch war, so zählte er doch niemals seine Zigarren. Diana aber hatte ein gutes Schätzungsvermögen und paßte auf alles auf. Eines Tages fragte sie Trenter so nebenbei, ob Mäuse im Hause seien, und als er das bejahte, meinte sie, es sei doch sonderbar, daß Mäuse Havannazigarren auffräßen.
»Es wird noch ein großer Umschwung kommen, ein schrecklicher Wechsel, das fühle ich schon«, sagte er. »Ich weiß es ganz bestimmt. Ich habe immer das zweite Gesicht gehabt, schon als ich noch ein Junge war.«
»Dann sollten Sie eine Brille tragen«, erwiderte Eleanor.