Edgar Wallace
Unter Buschniggern
Edgar Wallace

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Kriegshunde

Der Hauptzwang, der dem Schwarzen durch seine weißen Beschützer auferlegt wird, besteht darin, daß er sich verhindert sieht, seinen Gegner an der Gurgel zu fassen und ihn mit einem breiten, krummen Messer von Eingeborenenmachart in Stücke zu schneiden, wenn die Leidenschaft aufflammt. Natürlich wüten selbst die Stämme, die sich noch am besten betragen, gegen diesen Zwang, den die Briten auf sie ausüben.

Sicherlich besitzen die Akasavas ein sehr kurzes Gedächtnis, und sie vergessen die Strafen, die ihren Übeltaten zu folgen pflegen, unter günstigen Verhältnissen schnell und erliegen der Versuchung, die im Laufe der Zeit unabwendbar kommt. Daher fanden sich die Akasavas in einer ganz neuen Lage echten Kummers, als sie von gewissen gegen sie selbst gerichteten Übeltäten der Ochoris erfuhren, und bereiteten sich zum Kriege vor. Sie sandten vorher Botschaft an Sandi und berichteten ihm des langen und breiten, wie sehr die Ochoris sie beleidigt hatten. Glücklicherweise befand sich Sanders nicht weit und kam sofort, hielt Palaver ab und beschwichtigte den beleidigten Stamm, so gut er konnte.

Sanders war ein taktvoller Mann, aber Takt bedeutet durchaus nicht eine weiche Hand. Da war zum Beispiel ein grimmiger Kerl, der mit im Rat saß und barsche Fragen stellte. Er wurde noch kühner, als der Bezirksamtmann sanft antwortete, und überschritt – wie ein Kind oder ein Eingeborener das tut – die Grenzlinie, die gute Manieren von schlechten scheidet. Sanders wandte sich gegen ihn.

»Was für ein niedrig geborener, sklavischer Hund bist du doch?« fragte er; und während der Mann, noch vorsichtig nach einer Antwort suchte, stieß ihn Sanders den Hügelabhang hinunter, auf dem das Palaverhaus stand, und noch einmal wurde der Friede hergestellt.

Bald nach diesem Palaver kam eine bittere Klage der Isisileute. Sie betraf Fischnetze, die böswillig von den Lulungoleuten vernichtet worden waren. Das war schwieriger für Sanders zu erledigen. Schon aus einem Grunde: Alle Stämme, die etwas auf sich hielten, haßten die Lulungos, ein hartes, bösartiges, schadenfrohes Volk ohne Scham.

Aber die Isisis wurden beruhigt. Ein böser Krieg wurde abgewendet.

Noch andere kleinere Unruhen beschäftigten Sanders täglich; aber Sanders war voll Sorge wegen der Lulungos und ihrer bekannten Schlechtigkeit und wegen der Isisis, Ikelis, Akasavas und Ochoris, die alle die Lulungos mit einem tief eingewurzelten Hasse haßten.

Im Innern wußte Sanders wohl, daß der blutige Austrag in diesem Falle nur verschoben war, und berichtete dementsprechend an das Kolonialamt. Er erhielt darauf von einem aufgeregten Staatssekretär in Whitehall das dringende Ersuchen, die Strafexpedition um Himmels, willen wenigstens bis zum Ende des Rechnungsjahres und besser noch darüber hinaus zu verschieben.

Im Lulungobezirk, drei Tagesmärsche hinter dem Akasavabezirk, kennt man folgendes Sprichwort: »Wenn ein Mann einen heimlichen Feind hat, und er kann, ihn nicht finden, dann zerstöre deine eigene Hütte und suche zwischen den Trümmern!« (Das ist die etwas umständliche Übersetzung.) Ein anderes Sprichwort sagt: »Such' deinen Feind im Schatten deiner Hütte!« Und wieder ein anderes: »Wenn du deinen Feind nicht finden kannst, töte deinen liebsten Freund!« Alle diese Sprichwörter zeigen, daß die Lulungoleute einer düsteren Lebensanschauung huldigen, und daß sie von Natur aus mißtrauisch sind.

Sanders hatten unten in M'Piti, der Musterstadt, die ihm als Residenz diente, einen Koch vom Lulungostamme. Der war ein unsteter Geselle. Er war im Norden bis Dakka gekommen und im Süden bis Banana und vermutlich den Kongo hinauf bis Matadi. Als er nach M'Piti kam und nach Arbeit suchte, wurde er nach seinem Namen gefragt und antwortete auf Küstenenglisch:

»Massa, sie welche nennen mir immer Sechspence. Ich mach'm fein Kuch. Sie sehen um bessern Kuch, sie nich finden ihn – vastehste?«

»Und was für ein Bastardgeschwätz nennst du das?« fragte Sanders im Lulungodialekt.

»Herr, ihm sein Englisch«, sagte der Schwarze tief verletzt.

»Affensprache ist's«, gab Sanders schonungslos zurück. »Kruleute und Mulatten, die keine eigene Sprache haben, reden so. Wie heißt du in deinem Stamme?«

»Lataki, Herr«, sagte der Koch.

»Dann sollst du hier auch so heißen. Außerdem sollst du hier nur deine Landessprache sprechen, und als Lohn erhältst du zehn Schillinge den Monat.«

Lataki war ein guter Koch und genau drei Monate lang ein Muster in seinem Betragen. Aber am Ende dieses Zeitraums fand Sanders, als er eines Tages unerwartet von einem Jagdausflug zurückkehrte, unseren Lataki in Sanders' höchsteigenem Bett vor.

Lataki war sehr betrunken, und zwei leere Geneverflaschen neben dem Bett zeugten wider ihn. Sanders rief seine Polizisten, und Lataki kam ins Kittchen, um dort nüchtern zu werden; das nahm vierundzwanzig Stunden in Anspruch.

»Du mußt einsehen«, belehrte Sanders den Sünder am nächsten Tage, »daß sich meine Diener nicht gestatten dürfen, sich zu betrinken. Noch weniger aber kann ich meinen Dienern gestatten, ihren Rausch in meinem Bett auszuschlafen.«

»Herr, ich schäme mich«, erwiderte Lataki munter. »Aber so was kann einem Mann, der viel von der Welt gesehen hat, schon mal passieren.«

»Das gleiche kannst du von der Haue sagen, die du jetzt kriegen wirst.« Sanders gab den Polizisten einen Wink.

Lataki war kein Stoiker; und als er an einen Baum gebunden war und von einem ärgerlichen Haussapolizisten zehn Hiebe auf seinen feisten Rücken erhielt, fluchte er sehr vernehmlich auf Sanders und auf jene Zivilisation, deren auserwähltes Werkzeug Sanders war.

Nachdem alles vorüber war und Lataki entdeckt hatte, daß er noch am Leben sei, bekannte er, obwohl innerlich sehr verletzt, daß er wenig mehr erhalten habe, als er verdiente, und versprach unter Tränen, daß diese Lektion nicht fruchtlos gewesen sein solle. Sanders, der in dieser Angelegenheit nichts mehr zu bemerken hatte, entließ ihn zu seiner Arbeit.

Eine Woche danach aß der Bezirksamtmann einsam sein Palmölgericht. Das ist ein schmackhaftes Gericht, eine Art Küstencurry mit Huhn.

Er hatte eben zu essen begonnen, als er plötzlich innehielt. Dann nahm er eine Kleinigkeit von dem Gericht – geradesoviel, wie auf die Spitze einer Stecknadel ging –, schmierte es auf eine Glasscheibe und brachte dieses Präparat unter sein Mikroskop.

Was er da sah, fesselte sein Interesse. Er stellte das Mikroskop weg und schickte nach Lataki, und dieser kam, in tadelloses Weiß gekleidet.

»Lataki«, sagte Sanders nachlässig, »du kennst die Gepflogenheiten der Weißen. Sage mir doch, auf welche Weise könnte ein Herr seinem Diener eine Ehre erweisen?«

Der Koch, der in der Türöffnung stand, zauderte.

»Da gibt's viele Wege«, sagte er nach einer Weile. »Er könnte –«

Lataki hielt inne, er wurde unsicher.

»Da du ein guter Diener bist, obwohl nicht ganz frei von Fehlern, möchte ich dir Ehre antun, und deshalb habe ich beschlossen, da du bereits in meinem Bett geschlafen hast, daß du nun auch an meinem Tisch speisen sollst. Ich wünsche es.«

Der Mann zögerte ein wenig betroffen, dann kam er näher und setzte sich unbeholfen seinem Herrn gegenüber auf einen Stuhl.

»Entsprechend der Sitte deines eigenen Stammes werde ich dich jetzt bedienen«, sagte Sanders. Damit häufte er zwei große Schöpflöffel von dem Palmölgericht auf den vor dem Koch stehenden Teller.

»Iß!« lud er ihn ein.

Aber der Mann rührte sich nicht, seine Augen starrten auf das Tafeltuch.

»Iß!« befahl Sanders wieder. Aber noch immer saß Lataki wie gelähmt.

Da stand Sanders auf, ging zur offenen Tür seines Bungalow und pfiff. Ein Patschen von Füßen wurde hörbar. Sergeant Abiboo kam, und mit ihm vier Haussas.

»Legt den Kerl in Eisen!« befahl Sanders. »Morgen werde ich ihn hinunter zum Gouvernement schicken; dort soll er seine Verurteilung abwarten.«

Nachdem die Leute mit dem Gefangenen gegangen waren, ging Sanders zum Tisch zurück, entfernte sorgfältig den vergifteten Fisch und sättigte sich an Eiern und Bananen, denn in keines dieser beiden hätte man fein gemahlenes Glas ohne Gefahr sofortiger Entdeckung hineinzupraktizieren vermocht.

Gemahlenes Glas, so fein zerrieben, daß es sich wie gemahlene Kreide anfühlt, ist ein schlimmes Gift; denn wenn es mit den zarten inneren Organen eines Menschen in Berührung kommt, durchbohrt es diese, und er stirbt, wie die Schwarzen an der Küste wissen und seit Jahrhunderten gewußt haben.

Im Laufe der Zeit kam Lataki vor den Richter, der unter dem Strohdach der Palaverhalle saß, und Lataki brachte drei Vettern, einen Bruder und einen unparteiischen Freund, die sämtlich beschworen, Sanders selbst habe in böser Absicht das Glas in sein eigenes Essen getan.

Trotz dieser Übereinstimmung der Aussage – die Zeugen hatten nicht weniger als vier Verhöre in einer kleinen Hütte in der Nacht vor der Verurteilung zu bestehen – wurde der Gefangene zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Hier würde die Geschichte geendet haben, aber das Lulungovolk, das weit weg im Norden wohnte, betrachtete die Gefangensetzung seines Stammesgenossen als Casus belli.

Die Lulungos waren ein argwöhnisches, boshaftes, gehässiges, grausames Volk; sie waren durch ihre Lage begünstigt, denn sie wohnten am Rande eines Gebietes, das unbestritten französisches Gebiet und überdies unerreichbar ist.

Sanders schickte sofort Eilboten an alle Weißen, die in von den Lulungos gefährdeten Orten wohnten. Es waren im ganzen sechs, die sich aus zwei Missionen, der Jesuiten- und der Baptistenmission, zusammensetzten. Es waren Leute, denen man es schwer recht machen konnte, wie die folgenden Briefe beweisen. Die erste Antwort kam von dem Protestanten.

»Missionsstation Losebi.

Lieber Herr Bezirksamtmann!

Meine Frau und ich sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Warnung, aber Gott hat uns an diesen Platz berufen, und hier müssen wir so lange im Dienste unseres Herrn aushalten, bis Er in seiner Weisheit befiehlt, daß wir den Schauplatz unserer Arbeit verlassen.«

Pater Holling schrieb:

»Ebendofluß.

Lieber Sanders!

Ich glaube, Sie befinden sich im Irrtum über die Lulungoleute, von denen ich kürzlich mehrere gesprochen habe; sie sind außerordentlich höflich, das ist das einzige schlimme Zeichen, das ich an ihnen entdeckt habe.

Ich bleibe, weil ich überzeugt bin, daß ich irgendeinen ihrer Angriffe abschlagen kann. Ich verfüge über vier Martini-Metford-Büchsen und dreitausend Patronen, und wie Sie wissen, besteht das Gebäude aus massivem Stein. Ich hoffe, Sie irren sich, aber . . .«

Sanders nahm seinen Dampfer, Maximgeschütze und Polizeisoldaten und ging so weit stromaufwärts, als er mit dem kleinen Heckraddampfer kommen konnte.

Am Ende jener Tagesreise kam er an eine Lichtung, wo ein großer Holzstoß aufgespeichert war. Irgendwo in der Nähe lag da ein Dorf, das seine Steuern in Form dieser dauernd aufgefüllten Feuerholzvorräte bezahlte. Tag und Nacht loteten zwei Schwarze mit langen Stäben, indem sie auf der Reling saßen und im Wasser herumstocherten: Seichtes Wasser – Sandbank – Fahrrinne – seichtes Wasser. Manchmal glitt das Fahrzeug mit einem leisen Zittern längs des flachen Randes einer verborgenen Sandbank, um – pardauz – in das tiefe Wasser auf der anderen Seite zu schießen. Manchmal glitt das Boot im Finstern über eine Untiefe, um sich gleich darauf in einem kleinen See zu befinden, aus dem unpassierbare Sandbänke jeden Ausgang versperrten. Dann mußten die Leute über Bord springen und den Dampfer in tieferes Wasser schieben.

Als Sanders sechzig englische Meilen von der Baptistenmission entfernt war, erhielt er durch einen freundlich gesinnten Eingeborenen Nachricht:

»Herr, die Lulungos kamen am frühen Morgen; sie schleppten den Missionar, sein Weib und ihre kleine Tochter in ihre Stadt.«

Sanders, gelb vom Fieber, die Augenlider zum Zufallen aus Mangel an Schlaf, unrasiert und schmierig, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

»Steuert den Dampfer stromaufwärts!« befahl er Abiboo. »Ich muß schlafen!«

Vier Uhr nachmittags wachte er von dem Geräusch einer zerschmetterten Wasserflasche auf, die auf dem Bordbrett neben seiner Koje stand. Sie ging auf nicht erklärliche Weise in Scherben, und Sanders war übersät mit Atomen von Glassplittern und Wasserspritzern.

Dann hörte er das »Bang« einer Büchse dicht neben sich, und als er aufsprang und die aus Eisendrahtgitterwerk bestehende Tür seiner Kabine öffnete, kam Abiboo, um zu berichten.

»Zwei Männer feuerten vom Ufer herüber; einen von ihnen habe ich erschossen.«

Sie näherten sich nun dem Ort, und als sie um die Flußkrümmung fuhren, kam das Dorf in Sicht.

Die Sirene der kleinen »Zaire« gellte und quietschte trotzig. Sanders sah eine Menge Leute am Ufer herunterlaufen, und durch sein Doppelglas unterschied er die Kriegsmalerei an den Leibern der Männer. Dann kamen sechs Kanus in fliegender Fahrt herausgefahren, um mit dem Dampfer anzubinden. Ein Haussakorporal saß gleichgültig auf dem kleinen Sattelsitz hinter dem bronzenen Maximgeschütz und packte die Griffe.

»Fünfhundert Yards!« befahl Sanders. Der Korporal berichtigte ohne wahrnehmbare Eile das Visier.

Die Kanus kamen mit Sturmgeschwindigkeit an, denn sie fuhren mit dem Strom. Der Mann am Geschütz polierte einen beschlagenen Fleck an dem messingnen Wasserbehälter mit dem blauen Ärmel seiner Jacke, und sah dann auf.

Sanders nickte.

Näher und näher kamen die Kanus. Eines hatte die Führung bei dieser Wettfahrt, wo Haß die Anstrengung verdoppelte und der Tod der Preis war.

Plötzlich: »Tack – tack – tack – tack – tack!« lachte das kleine Geschütz krampfhaft, und das führende Kanu kehrte sich breitseits zum Strom, weil die Leute, die es steuerten, tot waren und ebenso die Hälfte der Ruderer.

»Tack – tack – tack – tack – tack!«

Im zweiten Kanu gab es ein wildes Klettern; es schwankte und kenterte.

Der Strom war voll von schwarzen Köpfen, und die Luft hallte von wilden Schreien wider.

Was von der Flottille übrig war, machte kehrt und flüchtete.

Der Korporal am Maschinengewehr schob einen anderen Patronengürtel ein und schloß mit seiner Schießübung auf neunhundert Yards Entfernung gut ab.

Zwei Kanus, mit wahnsinniger Hast gepaddelt, befanden sich in relativer Sicherheit.

Sanders legte seinen winzigen Maschinentelegraphen auf volle Kraft vorwärts und folgte.

An Land sammelten sich die Lulungos zum Widerstand, und Geschosse mancherlei Art trafen den kleinen Dampfer. Aber das Maxim bestreute geschwätzig das Dorf, und bald kam ein Mann in nervöser Hast angelaufen, der einen Palmenzweig schwang.

Sanders ließ mit Feuern stoppen und rief durch sein Megaphon, der Bote solle an Bord schwimmen.

»Herr, wir schämen uns sehr«, sagte der Mann. Er stand in einer Wasserlache an Deck, und kleine Bäche liefen an ihm nieder.

»Wir wußten nicht, daß wir es mit Sandi dem Löwen, Sandi dem Büffel zu tun hatten, vor dessen Gestampf –«

Sanders schnitt ihm das Wort ab.

»Ein weißer Mann, eine weiße Frau und ein junges Mädchen befinden sich in eurem Ort. Bringt die an Bord, und ich will Palaver halten und diese Angelegenheit besprechen.«

Der Mann bewegte sich unruhig hin und her.

»Herr«, antwortete er, »der Mann starb an einer Krankheit, das Weib ist auch krank, und vom Mädchen weiß ich nichts.«

Sanders sah ihn an, den Kopf nach der Seite gebeugt wie ein neugieriger Vogel.

»Bringt mir den weißen Mann, tot oder lebendig!« sagte er leise. »Auch die weiße Frau, gesund oder krank – und das Mädchen.«

Nach einer Stunde brachte man den unglücklichen Missionar. Man hatte Zeit gebraucht, um seine Leiche etwas manierlich aussehend zu machen. In einem zweiten Kanu kam das Weib des Missionars. Vier Weiber hielten sie fest, denn sie war wahnsinnig.

»Wo ist das Mädchen?« fragte Sanders; er sprach kaum vernehmbar.

Der Bote schwieg.

»Das Mädel!« befahl Sanders und schlug den Boten mit seinem dünnen Stock über das Gesicht.

»Herr«, murmelte der Mann, den Kopf auf die Brust gesenkt, »der Häuptling hat sie.«

Sanders ging das Deck auf und nieder, dann ging er in seine Kabine und kam, an jeder Hüfte einen Revolver, zurück.

»Ich werde den Häuptling aufsuchen«, sagte er. »Abiboo – renn' den Bug des Dampfers in den weichen Ufersand und deck' die Straße mit dem Maxim, während ich an Land gehe.«

Er ging, ohne auf Widerstand zu stoßen. Kein Gewehr knallte, noch flogen Speere, während er schnell die breite Straße durchschritt.

Das Mädchen lag vor dem Haus des Häuptlings. Still – ganz still – tot. Die Hand, die ihr junges Leben geknickt hatte, war doch barmherziger gewesen, als Sanders zu hoffen gewagt hatte. Er hob die Kleine auf und trug sie in seinen Armen an Bord. Einmal hörte er ein leises Geräusch hinter sich, aber von Bord aus krachten drei Schüsse, und Sanders vernahm einen, dumpfen Fall und ein Wimmern.

Er brachte die kleine Leiche an Bord und legte sie ehrfürchtig auf das kleine Achterdeck. Dann erzählten sie ihm, daß die weiße Frau inzwischen gestorben sei. Er nickte bedächtig mit dein Kopf und meinte, es sei besser so.

Die »Zaire« lief rückwärts bis in die Mitte des Stromes, und Sanders' Blicke ruhten nachdenklich auf der Stadt.

Es verlangte ihn mit allen Fasern nach dem Lulungohäuptling. Er wollte ihn in seiner kalten Wut in Gestalt eines ausgebreiteten Adlers auf die Erde nageln und ihn langsam mit Feuer töten.

Aber der Häuptling und seine Leute waren in den Busch geflohen, und das französische Gebiet, wohin sie flüchten konnten, war in der Nähe.

Am Abend begrub er den Missionar und seine Familie auf einer kleinen Insel und trieb dann stromabwärts, schwarze Rachegedanken und ein Gefühl der Ohnmacht in der Seele; denn man kann kein Volk mit zwanzig Polizeisoldaten bekriegen.

Sanders kam an einen kleinen Holzplatz und machte für die Nacht fest. Am Morgen setzte er seine Fahrt fort, und mittags geriet er ohne jede vorhergehende Warnung in das Gros einer Kriegsflottille.

Zweck und Ziel der hundert Kanus, die zu vieren langsam stromaufwärts fuhren, und die maschinenhafte Regelmäßigkeit, mit der die Leute ihre Paddeln handhabten, konnten nicht mißverstanden werden.

Jene Linie an der Rechten waren Akasavaleute; man konnte das an den stumpfen Nasen ihrer ausgehöhlten Baumstammkanus erkennen. Links waren die Ochoris, ihre Kanus waren mit Rotholzfarbe gestreift. In der Mitte, in leichteren Kanus einer besseren Machart, sah er die mit weißen Querlinien bemalten Gesichter des Isisistammes.

»In des Himmels Namen!« rief Sanders mit erhobenen Augenbrauen.

In der Flottille selbst war Betroffenheit genug, und ihre unregelmäßigen Linien schwankten und brachen auseinander, denn die »Zaire« dampfte mitten in sie hinein. Dann stellte Sanders seine Maschine auf »Halt« und befahl die Häuptlinge an Bord.

»Welche Teufelei geht hier vor?« fragte er.

Otako, der König von Isisi und älteste unter den Häuptlingen, sah verlegen zu Ebeni von Akasava hinüber; aber Bosambo, selbsternannter Herrscher der Ochoris, ergriff das Wort.

»Herr!« rief er. »Wer könnte dem nimmer schlafenden Auge Sandis entrinnen? Ach, wir glaubten dich viele Meilen weg, aber wie die Eule –«

»Wo wollt ihr hin?« unterbrach Sanders.

»Herr, wir wollen dich nicht hintergehen«, antwortete Bosambo. »Diese großen Häuptlinge sind meine Brüder, denn Lulungoleute kamen über unsere Dörfer und haben viel Übles durch Mord und Raub angerichtet. Und weil wir alle gleichmäßig darunter gelitten haben und im Unglück alle gleich sind, geht es jetzt gemeinsam gegen das Lulungovolk, denn wir sind nur Menschen, und unser Herz ist wund.«

Ein Lachen, ein böses freudloses Lachen löste sich von Sanders' Lippen.

»Und ihr wollt sengen und morden?«

»Herr, auf das Vergnügen freuten wir uns.«

»Die Stadt in Brand stecken, den Häuptling erschlagen und das Volk, das sich im Busch versteckt hält, in alle Winde zerstreuen?«

»Herr, und wenn sie sich in der Hölle versteckten, wir werden sie finden!« sagte Bosambo. »Aber wenn du, unser Vater, nein dazu sagst, wollen wir unsere Krieger versammeln und ihnen sagen, daß du es verbietest.«

Sanders dachte an drei frische Gräber auf einer kleinen Insel.

»Geht!« befahl er und zeigte stromaufwärts.

Er stand an Deck der »Zaire« und beobachtete, wie das letzte Kanu um die Flußkrümmung verschwand, und lauschte, wie der rollende Gesang schwächer und schwächer wurde: der Kriegsgesang, wie ihn die Isisikrieger vor dem Beginn der Schlacht singen.


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