Edgar Wallace
Die drei von Cordova
Edgar Wallace

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20

Im ›Great South Central Hotel‹ war eine fröhliche Gesellschaft versammelt. May Sandford hatte noch eine Freundin eingeladen, und Mr. Sandford hatte einen Geschäftsfreund aus der City mitgebracht.

Black verspätete sich und kam erst eine Viertelstunde nach der festgesetzten Zeit. Sandford hatte bereits den Auftrag gegeben, das Essen zu servieren, als der Oberst erschien.

»Nehmen Sie Platz, Black«, sagte Sandford. Zwischen ihm und seiner Tochter war ein Platz frei, und dort ließ sich der Oberst nieder.

Seine Hand zitterte, als er die Serviette aufhob. Beim Entfalten fiel ein Brief heraus – eines jener grauen Kuverts, die er kannte. Er steckte den Umschlag in die Tasche, ohne ihn zu öffnen.

»Sie haben jetzt viel zu tun, Black, wie?« fragte Sandford lächelnd. Der freundliche Herr mit dem kurzen, weißen Backenbart hatte ein anziehendes Gesicht. Wenn er in guter Stimmung war, gab es keinen umgänglicheren und liebenswürdigeren Menschen als ihn. »Sie müssen mir eigentlich dankbar dafür sein, daß ich nicht in die Fusion der Hüttenwerke einwilligte. Sie hätten sich sonst zu Tode gearbeitet.«

»Ja, Sie haben recht«, erwiderte der Oberst kurz und schob den Unterkiefer vor. Diese Bewegung zeigte an, daß er beunruhigt war.

»In gewisser Weise sind Sie eigentlich ein bewunderungswürdiger Mann. Wenn Sie nur etwas konsequenter und solider wären, würden Sie erfolgreicher sein.«

»Halten Sie mich denn nicht für erfolgreich?«

»Darauf könnte ich mit Ja und Nein antworten. Sie sind jedenfalls nicht wirklich erfolgreich, Sie haben Ihre Erfolge zu schnell erzielt.«

Oberst Black ging nicht weiter auf das Thema ein und ermutigte den Millionär auch nicht, das Gespräch fortzusetzen. Er wartete auf eine günstige Gelegenheit. Im Augenblick mußte er geduldig sein, sich den anderen anpassen und sich möglichst unauffällig an der Unterhaltung beteiligen, die um ihn herum im Gange war.

Zu seiner Linken standen die Gläser von Miss Sandford. Sie lehnte die Tischweine ab und protestierte lachend gegen die Einladung ihres Vaters.

»Aber mein Liebling, an deinem Geburtstag mußt du doch wenigstens Champagner trinken!«

»Nun gut, Champagner will ich nehmen«, sagte sie fröhlich. Sie fühlte sich aus vielen Gründen glücklich, aber hauptsächlich weil . . . nun eben weil . . .

Das war die Gelegenheit.

Wie geistesabwesend zog Black Mays Sektglas näher zu sich heran. Dann nahm er verstohlen die kleine grüne Flasche aus der Tasche, entfernte den Glasstöpsel und schüttete die Hälfte des Inhalts auf seine Serviette. Danach verschloß er die Flasche wieder und ließ sie in seiner Tasche verschwinden. Die anderen Gäste waren so in ihre Unterhaltung vertieft, daß ihn niemand beobachtete. Langsam faßte er das Glas, setzte es auf seinen Schoß und wischte mit der feuchten Serviette zweimal über den ganzen Rand. Es gelang ihm, das Glas unbemerkt wieder auf den Tisch zu setzen.

Als er das getan hatte, fühlte er sich erleichtert. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und steckte die Hände in die Hosentaschen. Es war keine elegante Haltung, aber sie beruhigte ihn.

»Black, wachen Sie doch auf!« Sandford sprach zu ihm; der Oberst schreckte aus seinen Gedanken auf. »Mein Freund hier hat eben eine Bemerkung über Ihre Haare gemacht.«

»Wie?« Black fuhr sich mit der Hand an den Kopf.

»Oh, Ihre Frisur ist in Ordnung – aber seit wann haben Sie denn weißes Haar?«

Er hatte davon gehört, daß manche Leute plötzlich weiß werden, und sein Interesse war erwacht.

»Ach, ich – schon eine ganze Zeit.«

Er beteiligte sich nicht weiter an der Unterhaltung, denn die Kellner schenkten jetzt den Sekt ein. Er schaute Sandford an. Wie glücklich und selbstzufrieden war dieser Mann, der zärtliche, liebevolle Blicke mit seiner Tochter wechselte! Die beiden schienen sich ausgezeichnet zu verstehen. Es war eigentlich ein Jammer, daß sie in einigen Augenblicken sterben mußte und er dann ein gebrochener Mann war. Black wandte sich zu ihr um und betrachtete sie. Es war doch merkwürdig, wie zerbrechlich das Leben war, und daß ein Milligramm einer farblosen Flüssigkeit genügte, um das Band zwischen Seele und Körper zu zerreißen.

Jetzt trat der Kellner hinter seinen Stuhl. Zuerst füllte er Mays Glas, dann das seine.

Black erhob sein Glas, ohne daran zu denken, daß er auf die anderen warten müßte, und trank es aus.

May berührte das ihre nicht. Sie sprach mit dem Herrn zu ihrer Linken. Black konnte im Augenblick nur eine schöne Wange und eine weiße Schulter sehen.

Er wartete ungeduldig.

Sandford machte aufs neue den Versuch, ihn in die Unterhaltung zu ziehen, aber der Oberst reagierte nicht darauf. Er begnügte sich damit, zuzuhören, was er sagte. Er wollte beobachten und warten. Endlich umschlossen Mays schlanke weiße Finger den Stiel des Glases, und sie hob es hoch; sie sah aber immer noch ihren Tischnachbarn an. Black rückte seinen Stuhl ein wenig zur Seite, als das Glas ihre Lippen berührte.

Er hielt den Atem an – sie setzte das Glas wieder nieder und sprach mit dem Herrn weiter. Langsam zählte er die schleichenden Sekunden – sechzig, hundert – und merkte nicht, daß Sandford wieder zu ihm sprach und ihn erstaunt ansah.

Das Gift hatte nicht gewirkt!

»Sind Sie krank, Oberst?« Alle sahen ihn an.

»Krank?« fragte er heiser. »Nein – warum sollte ich denn krank sein?«

»Öffnen Sie eins der Fenster«, sagte Sandford zu einem Kellner.

Ein kalter Luftzug berührte Black, und er zitterte. Er stand hastig auf und verließ den Raum, ohne recht zu wissen, was er tat. Nun war alles für ihn zu Ende.

Auf dem äußeren Gang stieß er in der Eile mit einem Herrn zusammen. Es war derselbe, der ihn vor einiger Zeit schon einmal aufgesucht hatte.

»Entschuldigen Sie, bitte«, sagte er und faßte ihn am Arm. »Wenn ich nicht irre, sind Sie Oberst Black.«

»Gehen Sie mir aus dem Weg!« stieß Black wütend hervor.

»Ich bin Inspektor Kay von Scotland Yard – ich muß Sie leider verhaften.«

Bei der ersten Ahnung der Gefahr zuckte der Oberst zurück, aber plötzlich schlug er mit der Faust zu und traf den Beamten unters Kinn. Es war ein harter Schlag, der den völlig unvorbereiteten Mann wie ein Stück Holz zu Boden warf.

Der Korridor lag einsam da. Ohne sich weiter um den Inspektor zu kümmern, eilte Black in das Vestibül. Er war ohne Hut, aber er bedeckte sein Gesicht mit der Hand, bahnte sich einen Weg durch die Menge und gelangte ins Freie. Schnell winkte er ein Auto heran.

»Waterloo-Bahnhof. Sie bekommen ein Pfund extra, wenn ich meinen Zug noch erreiche.«

In rasender Fahrt ging es den Strand entlang, aber er gab eine neue Instruktion, noch bevor der Bahnhof erreicht war.

»Es hat keinen Zweck mehr, der Zug ist eben abgefahren. Setzen Sie mich am Eton Square ab.«

Dort zahlte er und entließ den Wagen. Ohne große Schwierigkeit fand er die beiden anderen Autos, die dort auf ihn warteten.

»Ich bin Oberst Black«, sprach er den ersten Chauffeur an, der grüßend an seine Mütze faßte. »Fahren Sie auf dem kürzesten Weg, nach Portsmouth. Der andere Wagen soll uns folgen.«

Nach einer kurzen Strecke änderte er seinen Plan wieder.

»Fahren Sie zuerst zum ›Junior Turf Club‹ in der Pall Mall.«

Als er dort angekommen war, winkte er den Portier heran.

»Sagen Sie Sir Isaac Tramber, er möchte sofort herauskommen.«

Ikey war im Club. Der Oberst hatte auf gut Glück versucht, ihn zu finden.

»Holen Sie schnell Mantel und Hut«, rief Black dem verwirrten Baronet hastig zu.

»Aber –«

»Hier gibt es kein Aber!« fuhr Black ihn wütend an. »Holen Sie Ihren Mantel und Ihren Hut, wenn Sie nicht Gefahr laufen wollen, daß man Sie noch heute abend aus dem Club holt und auf die nächste Polizeistation bringt.«

Widerwillig ging Ikey zurück und kehrte gleich darauf wieder. Unterwegs zog er noch seinen Mantel an.

»Was, zum Teufel, soll das alles bedeuten?« fragte er bestürzt.

Plötzlich fiel das Licht einer Straßenlampe auf den unbedeckten Kopf des Obersten.

»Großer Gott, Sie haben ja weiße Haare! Sie sehen ganz wie dieser Essley aus!«


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