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Immerfort höre ich die kindische und leichtsinnige Welt klagen, daß Gott nur so wenige recht große Künstler auf die Erde gesetzt habe; ungeduldig starrt der gemeine Geist in die Zukunft, ob der Vater der Menschen nicht bald einmal ein neues Geschlecht von hervorglänzenden Meistem werde auferstehen lassen. Ich sage euch aber, es hat die Erde der vortrefflichen Meister nicht zu wenige getragen; ja es sind ihrer einige so beschaffen, daß ein sterbliches Wesen sein ganzes Leben hindurch an einem einzelnen zu schauen und zu begreifen hat; aber wahrlich! viel, viel zu wenige sind derer, welche die Werke dieser (aus edlerem Tone geformten) Wesen innig zu verstehen und (was dasselbe ist) inniglich zu verehren imstande sind.
Bildersäle werden betrachtet als Jahrmärkte, wo man neue Waren im Vorü- bergehen beurteilt, lobt und verachtet; und es sollten Tempel sein, wo man in stiller und schweigender Demut, und in herzerhebender Einsamkeit, die großen Künstler, als die Höchsten unter den Irdischen, bewundern, und mit der langen, unverwandten Betrachtung ihrer Werke, in dem Sonnenglanze der entzückendsten Gedanken und Empfindungen sich erwärmen möchte.
Ich vergleiche den Genuß der edleren Kunstwerke dem Gebet. Der ist dem Himmel nicht wohlgefällig, welcher zu ihm redet, um nur der täglichen Pflicht entledigt zu werden, Worte ohne Gedanken herzählt, und seine Frömmigkeit prahlend nach den Kugeln seines Rosenkranzes abmißt. Der aber ist ein Liebling des Himmels, welcher mit demütiger Sehnsucht auf die auserwählten Stunden harrt, da der milde himmlische Strahl freiwillig zu ihm herabfährt, die Hülle irdischer Unbedeutenheit, mit welcher gemeiniglich der sterbliche Geist überzogen ist, spaltet, und sein edleres Innere auflöst und auseinanderlegt; dann knieet er nieder, wendet die offene Brust in stiller Entzückung gegen den Himmelsglanz, und sättiget sie mit dem ätherischen Licht; dann steht er auf, froher und wehmütiger, volleren und leichteren Herzens, und legt seine Hand an ein großes gutes Werk. – Das ist die wahre .Meinung, die ich vom Gebet hege.
Ebenso nun, meine ich, müsse man mit den Meisterstücken der Kunst umgehen, um sie würdiglich zum Heil seiner Seele zu nutzen. Es ist frevelhaft zu nennen, wenn jemand in einer irdischen Stunde, von dem schallenden Gelächter seiner Freunde hinwegtaumelt, um in einer nahen Kirche, aus Gewohnheit, einige Minuten mit Gott zu reden. Ein ähnlicher Frevel ist es, in einer solchen Stunde die Schwelle des Hauses zu betreten, wo die bewundernswürdigsten Schöpfungen, die von Menschenhänden hervorgebracht werden konnten, als eine stille Kundschaft von der Würde dieses Geschlechtes, für die Ewigkeit aufbewahret werden. Harret, wie beim Gebet, auf die seligen Stunden, da die Gunst des Himmels euer Inneres mit höherer Offenbarung erleuchtet; nur dann wird eure Seele sich mit den Werken der Künstler zu einem Ganzen vereinigen. Ihre Zaubergestalten sind stumm und verschlossen, wenn ihr sie kalt anseht; euer Herz muß sie zuerst mächtiglich anreden, wenn sie sollen zu euch sprechen, und ihre ganze Gewalt an euch versuchen können.
Kunstwerke passen in ihrer Art so wenig als der Gedanke an Gott in den gemeinen Fortfluß des Lebens; sie gehen über das Ordentliche und Gewöhnliche hinaus, und wir müssen uns mit vollem Herzen zu ihnen erheben, um sie in unsern, von den Nebeln der Atmosphäre allzuoft getrübten Augen zu dem zu machen, was sie, ihrem hohen Wesen nach, sind.
Buchstaben lesen kann ein jeglicher lernen; von gelehrten Chroniken kann ein jeglicher sich die Historien vergangener Zeiten erzählen lassen und sie wieder erzählen; auch kann ein jeglicher das Lehrgebäude einer Wissenschaft studieren und Sätze und Wahrheiten fassen; – denn Buchstaben sind nur dazu da, daß das Auge ihre Form erkenne, und Lehrsätze und Begebenheiten sind nur so lange ein Gegenstand unsrer Beschäftigung, als das Auge des Geistes daran arbeitet, sie zu fassen und zu erkennen; sobald sie unser eigen sind, ist die Tätigkeit unsers Geistes zu Ende, und wir weiden uns dann nur, sooft es uns behagt, an einem trägen und unfruchtbaren Überblick unsrer Schätze. – Nicht also bei den Werken herrlicher Künstler. Sie sind nicht darum da, daß das Auge sie sehe, sondern darum, daß man mit entgegenkommendem Herzen in sie hineingehe und in ihnen lebe und atme. Ein köstliches Gemälde ist nicht ein Paragraph eines Lehrbuchs, den ich, wenn ich mit kurzer Mühe die Bedeutung der Worte her ausgenommen habe, als eine unnütze Hülse liegen lasse: vielmehr währt bei vortrefflichen Kunstwerken der Genug immer, ohne Aufhören, fort. Wir glauben immer tiefer in sie einzudringen, und dennoch regen sie unsere Sinne immer von neuem auf, und wir sehen keine Grenze ab, da unsre Seele sie erschöpft hätte. Es flammt in ihnen ein ewig brennendes Lebensöl, welches nie vor unsern Augen verlischt.
Mit Ungeduld fliege ich über den ersten Anblick hinweg; denn die Überraschung- des Neuen, welche manche nach immer abwechselnden Vergnügungen haschende Geister wohl zum Hauptverdienste der Kunst erklären wollen, hat mir von jeher ein notwendiges Übel des ersten Anschauens geschienen. Der echte Genug erfordert eine stille und ruhige Fassung des Gemüts und äußert sich nicht durch Ausrufungen und Zusammenschlagen der Hände, sondern allein durch innere Bewegungen. Es ist mir ein heiliger Feiertag, an welchem ich mit Ernst und mit vorbereitetem Gemüt an die Betrachtung edler Kunstwerke gehe; ich kehre oft und unaufhörlich zu ihnen zurück, sie bleiben meinem Sinne fest eingeprägt, und ich trage sie, solange ich auf Erden wandle, in meiner Einbildungskraft, zum Trost und zur Erweckung meiner Seele, gleichsam als geistige Amulette mit mir herum und werde. sie mit ins Grab nehmen.
Wessen feinere Nerven einmal beweglich, und für den men Reiz, der in der Kunst verborgen liegt, empfänglich sind, dessen Seele wird oft da, wo ein anderer gleichgültig vorübergeht, innig gerührt; er wird des Glückes teilhaftig, in seinem Leben häufigere Anlässe zu einer heilsamen Bewegung und Aufregung seines Inneren zu finden. Ich bin mir bewußt, daß öfters, wenn ich (mit anderen Gedanken beschäftigt) durch irgendein schönes und großes Säulenportal ging, die mächtigen, majestätischen Säulen, mit ihrer lieblichen Erhabenheit, unwillkürlich meine Blicke zu sich wendeten, und mein Inneres mit einer eigenen Empfindung erfüllten, daß ich mich innerlich vor ihnen beugte und mit aufgelöstem Herzen und mit reicherer Seele weiterging.
Das Hauptsächlichste ist, daß man nicht mit verwegenem Mut über den Geist erhabener Künstler sich hinwegzuschwingen und, auf sie herabsehend, sie zu richten sich vermesse. ein törichtes Unternehmen des eiteln Stolzes der Menschen: die Kunst ist über dem Menschen: wir können die herrlichen Werke ihrer Geweiheten nur bewundern und verehren und, zur Auflösung und Reinigung aller unsrer Gefühle, unser ganzes Gemüt vor ihnen auftun.