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Das Zeitalter der Wiederaufstehung der Malerkunst in Italien hat Männer ans Licht gebracht, zu denen die heutige Welt billig wie zu Heiligen in der Glorie hinaufsehen sollte. Von ihnen möchte man sagen, daß sie zuerst die wilde Natur durch ihre Zauberkünste bezwungen und gleichsam beschworen, – oder auch, daß sie zuerst aus der verworrenen Schöpfung den Funken der Kunst herausgeschlagen hätten. Ein jeder von diesen prangte mit eigenen, namhaften Vollkommenheiten, und es sind im Tempel der Kunst für viele von ihnen Altäre errichtet.
Ich habe mir aus diesen für jetzt den berühmten Stammvater der Florentinischen Schule, den nie genug gepriesenen Leonardo da Vinci, auserwählt, um ihn, wem daran gelegen ist, als das Muster in einem wahrhaft gelehrten und gründlichen Studium der Kunst und als das Bild eines unermüdlichen und dabei geistreichen Fleißes darzustellen. An ihm mögen die lehrbegierigen jünger der Kunst ersehen, daß es nicht damit getan sei, zu einer Fahne zu schwören, nur ihre Hand in gelenkiger Führung des Pinsels zu üben, und mit einem leichten und flüchtigen Afterenthusiasmus ausgerüstet gegen das tiefsinnige und auf das wahre Fundament gerichtete Studium zu Felde zu ziehen. Ein solches Beispiel wird sie belehren, daß der Genius der Kunst sich nicht unwillig mit der ernsthaften Minerva zusammenpaart; und daß in einer großen und offenen Seele, wenn sie auch auf Ein Hauptbestreben gerichtet ist, doch das ganze, vielfach zusammengesetzte Bild menschlicher Wissenschaft sich in schöner und vollkommener Harmonie abspiegelt. –
Der Mann, von dem wir reden, erblickte das Licht der Welt in dem Flecken Vinci, welcher unten im Arnotale, unweit der prächtigen Stadt Florenz, belegen ist. Seine Geschicklichkeit und sein Witz, die er von der Natur zum Erbteil bekommen hatte, verrieten sich, wie es bei solchen auserlesenen Geistern zu geschehen pflegt, schon in seiner zarten Jugend und sahen durch die bunten Figuren, die seine kindische Hand spielend herausbrachte, deutlich hervor. Dies ist wie das erste Sprudeln einer kleinen, muntern Quelle, welche nachher zum mächtigen und bewunderten Strome wird. Wer es kennt, hält das Gewässer in seinem Laufe nicht zurück, weil es sonst durch Wall und Dämme bricht; sondern läßt ihm seinen freien Willen. So tat Leonardos Vater, indem er den Knaben seiner ihm von Natur eingepflanzten Neigung überließ, und ihn der Lehre des sehr berühmten und verdienten Mannes, Andrea Verrocchio zu Florenz, übergab.
Aber ach! wer kennt und wer nennt unter uns noch diese Namen, die damals wie funkelnde Sterne am Himmel glänzten? Sie sind untergegangen, und es wird nichts mehr von ihnen gehört man weiß nicht, ob sie jemals waren.
Und dieser Andrea Verrocchio war keiner der gemeinsten. Er war dem heiligen Trifolium aller bildenden Künste, der Maler-, Bildner- und Baukunst ergeben – wie es denn dazumal nichts Ungewöhnliches war, daß für eine solche dreifache Liebe und Fähigkeit, eines Menschen Geist Raum genug hatte. Außerdem aber war er in den mathematischen Erkenntnissen bewandert, und auch ein eifriger Freund der Musik. Es mag wohl sein, daß dessen Vorbild, welches sich früh in die weiche Seele Leonardos eindrückte, viel auf ihn gewirkt hat; indes mußten die Keime doch auf dem Grunde seiner Seele liegen. Aber wer mag überhaupt bei der Geschichte der Ausbildung eines fremden Geistes alle die feinen Fäden zwischen Ursachen und Wirkungen auffinden, da die Seele während ihrer Handlungen sich dieses Zusammenhanges selbst nicht einmal immer bewußt ist.
Zu Erlernung jeder bildenden Kunst, selbst wenn sie ernsthafte oder trübselige Dinge abschildern soll, gehört ein lebendiges und aufgewecktes Gemüt; denn es soll ja durch allmähliche mühsame Arbeit endlich ein vollkommenes Werk, zum Wohlgefallen aller Sinne, hervorgebracht werden, und traurige und in sich verschlossene Gemüter haben keinen Hang, keine Lust, 'keinen Mut und keine Stetigkeit hervorzubringen. Solch ein aufgewecktes Gemüt besaß der Jüngling Leonardo da Vinci; und er übte sich nicht nur mit Eifer im Zeichnen und im Setzen der Farben, sondern auch in der Bildhauerei, und zur Erholung spielte er auf der Geige und sang artige Lieder. Wohin also sein vielbefassender Geist sich auch wandte, so ward er immer von den Musen und Grazien, als ihr Liebling, in ihrer Atmosphäre schwebend getragen und berührte nie, auch in den Stunden der Erholung nicht, den Boden des alltäglichen Lebens. Von allen Beschäftigungen aber lag die Malerei ihm zunächst am Herzen; und zu seines Lehrers Beschämung brachte er es darin nach kurzer Zeit so weit, daß er ihn selbst übertraf. Ein Beweis, daß die Kunst sich eigentlich nicht lernt und nicht gelehrt wird, sondern daß ihr Strom, wenn er nur auf eine kurze Strecke geführt und gerichtet ist, unbeherrscht aus eigener Seele quillt.
Da seine Einbildung so fruchtbar und reich an allerlei bedeutenden und sprechenden Bildern war, so zeigte sich in seiner lebhaften Jugend, wo alle Kräfte sich mit Gewalt in ihm hervordrängen, sein Geist nicht in gewöhnlichen, unschmackhaften Nachahmungen, sondern in außerordentlichen, reichen, ja fast ausschweifenden und seltsamen Vorstellungen. So malte er einst unsre ersten Voreltern im Paradiese, welches er durch alle mögliche Arten wunderbarer und fremdgestalteter Tiere, und durch eine unendliche, mühsame Verschiedenheit der Pflanzen und Bäume, so bereicherte und ausschmückte, daß man über die Mannigfaltigkeit erstaunen mußte und seine Augen nicht von dem Bilde abziehen konnte. Noch wunderbarer war der Medusenkopf, den er einst auf ein hölzernes Schild für einen Bauern malte: er setzte ihn aus den Gliedern aller nur ersinnlichen häßlichen Gewürme und gräulicher Untiere zusammen, so daß man gar nichts Erschrecklicheres sehen mochte. Die Erfahrenheit der Jahre ordnete nachher diesen wilden, üppigen Reichtum in seinem Geiste.
Aber ich will zur Hauptsache eilen und versuchen, ob ich eine Abschilderung von dem vielumfassenden Eifer dieses Mannes gelten kann.
In der Malerei trachtete er mit unermüdlicher Begier nach immer höheren Vollkommenheiten, und nicht in einer, sondern in allen Arten; und mit dem Studium der Geheimnisse des Pinsels verband er die fleißigste Beobachtung, die, als sein Genius, ihn durch alle Szenen des gewöhnlichen Lebens leitete und ihn auf allen seinen Wegen, wo andre es nicht ahndeten, die schönsten Früchte für sein Lieblingsfach einsammeln ließ. Also war er selber das größeste Beispiel zu den Lehren, die er in seinem vortrefflichen Werke von der Malerei erteilt, daß nämlich ein Maler sich allgemein machen solle und nicht alle Dinge nach einem einzigen angewöhnten Handgriff, sondern ein jedes nach seiner besonderen Eigentümlichkeit darstellen müsse; – und denn, daß man sich nicht an einen Meister hängen, sondern selbst frei die Natur in allem ihrem Wesen erforschen solle, indem man sonst ein Enkel, nicht aber ein Sohn der Natur genannt zu werden verdiene.
Aus eben dieser Schrift, der einzigen unter seinen gelehrten Arbeiten, die zu den Augen der Welt gelangt ist, und die man mit Recht das goldene Buch des Leonardo nennen könnte, wird uns offenbar, wie tiefsinnig er immer die Lehren und Regeln der Kunst mit dem Ausüben derselben verknüpfte. Die Beschaffenheit des menschlichen Körpers hatte er in allen nur ersinnlichen Wendungen und Stellungen, bis auf das kleinste, so in seiner Gewalt, als wenn er ihn selber geschaffen hätte; und immer ging er geradezu auf den bestimmten Sinn und die körperliche sowohl als geistige Bedeutung los, die in jeder Figur liegen sollte. Denn billig muß, wie auch er selbst in seinem Buche zu verstehen gibt, ein jedes Kunstwerk eine doppelte Sprache reden, eine des Leibes und eine der Seele. An einigen Orten in seinem Buche gibt er Anleitung, wie man eine Schlacht, einen Seesturm, eine große Versammlung malen solle; und da ist seine Einbildung so tätig und wirksam, daß sie schnell die deutlichsten und sprechendsten Züge in Worten zu einem auffallenden Ganzen zusammenträgt.
Leonardo wußte, daß der Kunstgeist eine Flamme von ganz anderer Natur ist als der Enthusiasmus der Dichter. Es ist nicht darauf angesehen, etwas ganz aus eigenem Sinne zu gebären; der Kunstsinn soll vielmehr emsig außer sich herumschweifen, und sich um alle Gestalten der Schöpfung mit behender Geschicklichkeit herumlegen, und die Formen und Abdrücke davon in der Schatzkammer des Geistes aufbewahren; so daß der Künstler, wenn er die Hand zur Arbeit ansetzt, schon eine Welt von allen Dingen in sich finde. Leonardo ging nie, ohne seine Schreibtafeln bei sich zu tragen; sein begieriges Auge fand überall ein Opfer für seine Muse. Dann kann man sagen, daß man vom Kunstsinne ganz durchglüht und durchdrungen sei, wenn man so alles um sich her seiner Hauptneigung untertänig macht. jeden kleinen Teil des menschlichen Körpers, der ihm an irgendeinem Vorübergehenden wohlgefiel, jede flüchtige reizende Stellung und Wendung, haschte er auf und trug es seinem Schatze bei. Es gefielen ihm vorzüglich wunderliche Angesichter mit besonderen Haaren und Bärten; weswegen er solchen Leuten manchmal lange nachging, daß er sie fest in seinen Sinn faßte, da er sie alsdann zu Hause so natürlich, als ob sie ihm gegenwärtig gesessen hätten, hinmalte. Auch wann zwei Personen, ohne daß sie einen Zuschauer zu haben glaubten, ganz unbefangen und ihrem Willen überlassen, miteinander sprachen, oder wann ein heftiges Gezänk entstand, oder ihm sonst menschliche Affekten und Gemütsbewegungen in ihrem vollen Leben und ihrer ganzen Kraft in den Weg kamen, so versäumte er niemals, sich die Umrisse und die Zusammenfügung der Teile zum Ganzen wohl zu merken. Auch betrachtete er, was manchem lächerlich vorkommen mag, oft lange und ganz in sich verloren, altes Gemäuer, worauf die Zeit mit allerlei wunderbaren Figuren und Farben gespielt hatte, oder vielfarbige Steine mit irgend seltsamen Zeichnungen. Daraus sprang ihm dann, während des unverrückten Anschauens, manche schöne Idee von Landschaften oder Schlachtgewimmel oder fremden Stellungen und Gesichtern hervor. Darum gibt er auch in seinem Buche selbst die Regel, dergleichen zur Ergetzung fleißig zu betrachten, weil der Geist durch dergleichen verwirrte Dinge zu Erfindungen aufgemuntert werde. – Man sieht, wie der ungemeine und von keinem nach ihm erreichte Geist des Leonardo aus allen Dingen, auch den geringgeachtetsten und kleinsten, Gold zu ziehen wußte.
In der Wissenschaft seiner Kunst war vielleicht nie ein Maler erfahrner und gelehrter als er.. Die Kenntnis der inneren Teile des menschlichen Körpers und des ganzen Räder- und Hebelwerks dieser Maschine, – die Kenntnis des Lichts und der Farben, und wie beide aufeinander wirken, und sich eines mit dem andern vermählt, – die Lehre von den Verhältnissen, nach welchen die Dinge in der Entfernung kleiner und schwächer erscheinen – alle diese Wissenschaften, welche in der Tat zu dem wahren, ursprünglichen Fundamente der Kunst gehören, hatte er bis in ihre tiefsten Abgründe durchdrungen.
Wie aber schon erwähnt ist, so war er nicht bloß ein großer Maler, sondern auch ein guter Bildhauer, wie auch ein ansehnlicher Baumeister. Er war in allen Zweigen der mathematischen Wissenschaften erfahren; ein tiefer Kenner der Musik, ein angenehmer Sänger und Spieler auf der Geige und ein sinnreicher Dichter. Kurz, wenn er in den fabelhaften Zeiten gelebt hätte, so wäre er unfehlbar für einen Sohn des Apollo gehalten worden. Ja er hatte seine Lust daran, sich in allerlei Fertigkeiten, wenn sie auch ganz außer seinem Wege lagen, hervorzutun. So war er im Reiten und Regieren der Pferde sowie auch in der Führung des Degens so wohl geübt, daß ein Unwissender hätte meinen sollen er habe sein ganzes Leben hindurch diesem allein obgelegen. Mit wunderbaren mechanischen Kunststücken und mit den geheimen Kräften der Naturkörper war er so vertraut, daß er einst, bei einer feierlichen Gelegenheit, die Figur eines Löwen von Holz machte, welcher sich selbst bewegte; und ein andermal hatte er aus einem gewissen dünnen Zeuge kleine Vögel gebildet, welche von selbst frei in die Luft emporschwebten. So hatte sein Geist einen angebornen Reiz, immer etwas Neues zu ersinnen, der ihn in beständiger Tätigkeit und Anstrengung erhielt. Alle seine Talente aber wurden durch edle und einnehmende Sitten, wie Edelgesteine durch eine goldene Einfassung, erhöht. Und damit der außerordentliche Mann auch den gemeinsten und blödesten Augen hervorstechend und ausgezeichnet erscheinen möchte, so hatte die freigebige Natur ihn ausdrücklich mit einer wunderbaren Leibesstärke, und zu allem dem endlich mit einer sehr ehrwürdigen Bildung und einem Gesichte, das man lieben und verehren mußte, begabt.
Der forschende Geist der ernsthaften Wissenschaften scheint dem bildenden Geiste der Kunst so ungleichartig, daß man fast, dem ersten Anblicke nach, zwei verschiedene Gattungen von Wesen für beide glauben möchte. Und in der Tat sind nur wenige Sterbliche so eingerichtet, daß sie diesem zwiefachen Genius opfern könnten. Welcher aber in seiner eigenen Seele die Heimat aller der Erkenntnisse und Kräfte, worin sonst viele sich teilen, findet, und wessen Geist, mit gleichem Eifer und Glücke, durch Schlüsse der Vernunft Wahrheiten ausrechnet und Einbildungen seines inneren Sinnes durch Mühsamkeit der Hand in sichtbare Darstellungen hervordrängt: – ein solcher muß der ganzen Welt Erstaunen und Bewunderung abnötigen. Und wenn er überdies nicht bloß einer einzigen Kunst ergeben ist, sondern mehrere in sich vereinigt, ihre geheime Verwandtschaft fühlt, und die göttliche Flamme, die in allen weht, in seinem Inneren empfindet, so ist dieser Mann von der Hand des Himmels gewiß auf eine wunderbare Weise vor andern Menschen hervorgehoben, und es werden viele mit ihren Gedanken nicht einmal an ihn heranreichen können. –
Der Hof des Mailändischen Herzogs, Lodovico Sforza, war der Hauptschauplatz, wo Leonardo da Vinci als oberster Vorsteher der Akademie, seine vielfachen Geschicklichkeiten entfaltete. Hier zeigte er sich in vortrefflichen Gemälden und Bildwerken; hier verbreitete er seinen guten Geschmack in Gebäuden; er war förmlich unter der Zahl der Tonkünstler als Spieler auf der Geige angestellt; er führte mit tiefer Einsicht den schweren Bau eines Wasserkanals über Berge und Täler, – und so stellte er bloß in seiner Person fast eine ganze Akademie aller menschlichen Erkenntnisse und Fertigkeiten vor. Ehe er den Bau des Kanals übernahm, begab er sich nach Valverola, dem Landsitz eines seiner angesehenen Freunde, und legte sich dort, unter Begünstigung der ländlichen Muse, mit großem Fleiß auf das Mathematische der Baukunst. Auf diesem stillen Landsitz brachte er nachher etliche Jahre zu, lag mit philosophischem Geiste den mathematischen und allen nur irgend zu einer gründlichen Theorie der bildenden Künste gehörigen Studien ob, und verlor sich ganz in tiefsinnige Spekulationen. Das Gepräge der in sich gekehrten Weisheit trug er auch in seinem Äußeren, indem er sich Haar und Bart so lang hatte wachsen lassen, daß er das Ansehen einer, Einsiedlers hatte; – wie denn einige in seinem unermüdeten Fleiß auch den Bewegungsgrund finden wollen, daß er zeitlebens unverheiratet blieb. – Während des Aufenthaltes in seiner ländlichen Einsamkeit trug er nun auch die Resultate seines Studiums, durch seinen Geist gesteigert und geläutert, und mit seinen eigenen sehr scharfsinnigen Gedanken und Beobachtungen versetzt, in ausführlichen Werken zusammen, welche sich, von seiner eigenen teuren Hand geschrieben, noch itzt in dem großen Ambrosianischen Bücherschatze zu Mailand befinden.
Aber ach! es ist auch diese, wie so manche andre uralte, mit ehrwürdigem Staube bedeckte Handschrift in den Bücherschätzen der Großen, ein unangerührtes Heiligtum, vor welchem die unverständigen Söhne unsers Zeitalters, höchstens mit einer leeren Ehrfurchtsbezeugung, vorübergehen. Das Manuskript wartet noch auf denjenigen, welcher den Geist des alten Malers, der darin verzaubert schläft, daraus erwecken, und aus den lange getragenen Banden erlösen soll.
Alle die Schönheiten und das Vortreffliche in den vielen Gemälden unsers Leonardo auseinanderzusetzen, ist meine Feder nicht imstande. Sein berühmtestes Bild ist wohl die Vorstellung des heiligen Abendmahles in dem Refektorium der Dominikaner zu Mailand. Man bewundert darin den seelenvollen Ausdruck in den Köpfen der jünger Christi, wie jeder den Herrn zu fragen scheinet: Herr! bin ichs? Die alten Anekdotensammler der Kunst erzählen, daß Leonardo, nachdem er die übrigen Figuren vollendet, eine Weile gezögert, und immer bei sich überlegt und nachgedacht, oder, (um vielleicht eigentlicher zu reden,) auf glückliche Eingebungen geharret habe, wie er das verräterische Gesicht des Judas, und das erhabene Antlitz Jesu, recht vollkommen ausdrücken solle; worauf der Prior des Klosters einen einleuchtenden Beweis seines Unverstandes gegeben, indem er ihn, wie einen Tagelöhner, über sein Zögern zur Rede gestellt habe.
Noch eines Gemäldes des Leonardo muß ich, eines merkwürdigen Umstandes halber, gedenken. Ich meine das Bildnis der Lisa del Giocondo, (der Gemahlin des Francesco), an welchem er vier Jahre arbeitete, ohne durch die sorgfältigste und feinste Ausarbeitung jedes Härchens, den Geist und das Leben des Ganzen zu ersticken. Sooft nun die edle Frau ihm zum Malen saß, rief er allemal einige Personen herzu, die sie durch eine angenehme und muntre Musik auf Instrumenten, mit der menschlichen Stimme begleitet, aufheitern mußten. Ein sehr sinnreicher Einfall, wegen dessen ich den Leonardo immer bewundert habe. Er wußte nur zu wohl, daß bei Personen, welche zum Malen sitzen, sich gewöhnlich eine trockene und leere Ernsthaftigkeit auf ihrem Gesichte einzufinden pflegt, und daß eine solche Miene, wenn sie im Gemälde in bleibenden Zügen festgehalten wird, ein ungefälliges oder wohl gar finsteres Ansehen gewinnt. Dagegen kannte er die Wirkung einer fröhlichen Musik, wie sie sich in den Mienen des Gesichts abspiegelt, wie sie alle Züge auflöst, und in ein liebliches, reges Spiel setzt. So trug er die sprechenden Reize des Antlitzes lebendig auf die Tafel über, und wußte bei Ausübung der einen Kunst sich der andern so glücklich als Gehülfin zu bedienen, daß diese auf jene ihren Widerschein warf.
Wie viele geschickte Maler aus des Leonardo Schule ausgegangen, und wie angesehen und allgemein verehrt er in seinem Leben war, läßt sich gedenken. Als er einst in einem Kloster vor Florenz nur den Entwurf zu einem großen Altarblatte gemacht hatte, ward der Ruf dieses Entwurfs so groß, daß zwei Tage lang eine Menge Volk aus der Stadt dahin wallfahrtete, und man hätte meinen Sollen, es würde ein Fest oder eine Prozession gehalten.
In Florenz hatte Leonardo da Vinci sich wieder aufgehalten, seitdem, in den kriegerischen Zeiten von Italien, der Herzog Lodovico Sforza von Mailand eine gänzliche Niederlage erlitten hatte, und die Akademie zu Mailand ganz zerstiebt war. In seinem hohen Alter ward er noch von König Franz dem Ersten, aus Florenz nach Frankreich berufen.
Der Monarch schätzte ihn über alles hoch, und empfing den alten fünfundsiebzigjährigen Mann mit besonderer Freundlichkeit und Achtung. Allein es war ihm nicht beschieden, sein Leben in dem ihm neuen Lande noch hoch zu bringen. Die Beschwerlichkeiten der Reise und die Verschiedenheit der Landesart mußten ihm die Krankheit zugezogen haben, die ihn nicht lange nach seiner Ankunft befiel. Der König besuchte ihn fleißig in seiner Krankheit, und bezeigte sich sehr besorgt um ihn. Als er einst auch zu ihm kam, an sein Lager trat, und der alte Mann sich im Bette aufrichten wollte, um dem Könige für seine Gnade zu danken, ward er unvermerkt von einer Schwachheit überfallen, – der König unterstützte ihn mit seinen Armen, – aber der Atem ging ihm aus, – und der Geist, der so viele und große Dinge gewirkt hatte, welche noch jetzt in ihrer Vollkommenheit bestehen, war durch einen einzigen Hauch, wie ein Blatt von der Erde, weggeweht. –
Wenn der Glanz der Kronen das Licht ist, welches das Gedeihen der Künste vorzüglich befördert, so kann man die Szene, die an dem Ende von Leonardos Leben steht, gewissermaßen als eine Apotheose des Künstlers ansehen; in den Augen der Welt wenigstens mußte es für alle Taten des großen Mannes ein würdiger Lohn erscheinen, in den Armen eines Königs zu erblassen. –--
Man wird mich nun vielleicht fragen: Ob ich denn nun diesen hier so hochgepriesenen Leonardo da Vinci als den vortrefflichsten, und als das Haupt aller Maler aufstellen, und alle Schüler auffordern wollte, daß sie gerade so zu werden streben sollten wie er?
Aber anstatt zu antworten, frage ich wieder: Ob es denn nicht erlaubt sei, seinen Blick einmal absichtlich auf den großen und betrachtungswürdigen Geist eines einzigen Mannes zu beschränken, um seine eigentümlichen Vortrefflichkeiten einmal recht für sich, in ihrem Zusammenhange zu überschauen? – und ob man wohl so dreist, mit der anmaßenden Strenge eines Richteramtes, die Künstler nach Maß und Gewicht ihrer Verdienste in Reih und Glied stellen könne, wie die Lehrer der Moral tugend- und lasterhafte Menschen, nach genauen Regeln des Ranges, über- und untereinander zu setzen sich vermessen?
Ich meine, man könne Geister von sehr verschiedener Beschaffenheit, die beide große Eigenschaften haben, beide bewundern. Die Geister der Menschen sind ebenso unendlich-mannigfaltig, als es ihre Gesichtsbildungen sind. Und nennen wir nicht das ehrwürdige, faltenreiche, weisheitsvolle Antlitz des Greises eben sowohl schön, als das unbefangene, Empfindung atmende, zauberhafte Gesicht der Jungfrau?
Allein bei dieser bildlichen Vorstellung möchte mir jemand sagen: Wenn aber das Losungswort Schönheit ertönt, drängt sich dir da nicht unwillkürlich aus innerer Seele das letztere Bild, das Bild der Venus Urania in deinem Busen hervor?
Und hierauf weiß ich freilich nichts zu antworten.
Wer bei meinem zwiefachen Bilde, wie ich, an den Geist des Mannes, den wir eben geschildert haben, und an den Geist desjenigen, den ich den Göttlichen zu nennen pflege, gedenkt, wird in dieser Gleichnisrede vielleicht Stoff zum Nachsinnen finden. Dergleichen Phantaseien, die uns in den Sinn kommen, verbreiten oftmals auf wunderbare Weise ein helleres Licht über einen Gegenstand, als die Schlußreden der Vernunft; und es liegt neben den sogenannten höheren Erkenntniskräften ein Zauberspiegel in unsrer Seele, der uns die Dinge manchmal vielleicht am kräftigsten dargestellt zeigt.-