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Scholastika konnte ihre Gedanken von der Vorstellung nicht losreißen: Vetter Wolf in Monte Carlo, im Grandhotel de Paris, inmitten jener kosmopolitischen Gesellschaft; Vetter Wolf im Kasino spielend, gewinnend, verlierend. Es paßte so gar nicht zu ihm. Er erschien ihr für solches Leben viel zu spießbürgerlich, viel zu solid, viel zu gut!
Aber der Ausdruck solid paßte nicht mehr für ihn. Denn wer Yvonne so eindringlich den Hof machte, wer sich in der Gesellschaft des Grandhotel so leicht bewegte: dieser Herr war alles andre als spießbürgerlich und solid. Der Base gegenüber behielt er sein steifes Benehmen bei, was von ihm wenig freundlich war. Dabei mußte sie sich immer aufrichtiger gestehen, daß er von den Herren der Gesellschaft sehr zu seinem Vorteil abstach. Er war so durch und durch Gesundheit und Kraft, so ganz und gar ein Mann, war so urdeutsch!
Und der Graf? Ob dieser ahnte, daß der Vetter sein Nebenbuhler war?
War er das wirklich? Er schien es durchaus nicht zu sein, schien entweder alle Hoffnung auf Gegenliebe aufgegeben zu haben oder in seinen Empfindungen ein andrer geworden zu sein. Durch ihre eigene Schuld! Um ihr das zu zeigen, war er gekommen. Lediglich deshalb. Aber ihr geschah recht...
Nur selten nahm der Freiherr die Einladung zum Diner im Schloß an, er amüsierte sich lieber in Monte Carlo. Von seiten Yvonnes waren diese Einladungen stets sehr dringlich, fast zudringlich; von seiten des Grafen weltmännisch höflich. Gegen Scholastika rühmte er den Freiherrn auf das höchste. Bisweilen schien es ihr jedoch, als klänge in seinen Tiraden etwas wie leiser Spott. Nun, zum Spott gab der Freiherr dem Grafen wahrlich keine Veranlassung.
Eines Tages hielten die Offiziere des in Nizza stehenden Kavallerieregiments ein Hindernisreiten ab. Der Platz lag oberhalb von Kap Martin, unter den Felsen des Mont Agel, dieses schönsten Berges der Côte d'Azur. Auch der Mont Agel war auf seinem Gipfel eine einzige Festung, der gewaltige Grenzschutz gegen das benachbarte Italien, dem Frankreich seine Perlen, Nizza und Mentone, fortgenommen hatte: Nizza, die Geburtsstadt von Italiens Volkshelden Giuseppe Garibaldi. Das konnte Italien seinem Nachbarn niemals vergessen, dafür mußte es eines Tages seine Revanche haben.
»Revanche!«
Es war das große Wort Frankreichs, war Frankreichs Parole für jetzt und für alle Zukunft: Revanche gegenüber Frankreichs Feinden, die es gedemütigt hatten. Jedes französische Herz pochte mit glühendem Schlag: »Revanche! Revanche!«
Die Schloßbewohner hatten für das militärische Schauspiel Einladungen erhalten und Graf Charles hatte den Freiherrn aufgefordert, sie zu begleiten. Hanns Wolfram nahm an. Der Tag war sommerwarm, der Platz wundervoll mit weitem Ausblick über Meer und Küste, die Wiesen in bunter Frühlingsherrlichkeit leuchtend: rote Anemonen, gelbe Tazetten, weiße Narzissen. Anemonen, Narzissen und Tazetten auch unter den hohen Ölbäumen ringsumher. In solcher festlichen Natur mußten die Menschen beständig feiern und ihres Lebens sich freuen. Der Glückliche, der in solcher Natur leben durfte, lebte doppelt und dreifach. Und doch war für die meisten, die da kamen, um in Monte Carlo den Reigen um den goldenen Gott aufzuführen, diese festliche Natur kaum vorhanden. Für diese gab es auf Erden nur das eine: spielen – gewinnen; gewinnen – spielen, Gold, Gold, Gold!
Heute nun galt es etwas andrem: Frankreichs militärischem Ruhm. Die Pferde liefen prachtvoll, die Offiziere waren schneidige Reiter, begeisterter Beifall der aus der ganzen Umgegend herbeigeströmten Zuschauer lohnte den Siegern.
»Wie finden Sie unsre Kavallerie?«
»Ausgezeichnet. Ich bewundere sie aufrichtig.«
»Sie bewundern uns? Der Deutsche bewundert die Franzosen?«
»Ich bewundere, was mir bewundernswert scheint.«
»Demnach würden die Deutschen auch ihre Feinde bewundern?«
»Wir würden sie jedenfalls achten.«
»Auch dann achten, sollten sie von ihren Feinden verachtet werden?«
»Die Deutschen verachtet? ... Entschuldigen Sie, wenn ich lächle. Hassen können uns unsre Feinde; hassen werden sie uns. Aber uns verachten – Noch einmal bitte ich Sie, mir zu erlauben, für die Verachtung unsrer Feinde nur ein Lächeln zu haben.«
»Wie es Ihnen beliebt. Übrigens besteht zwischen Frankreich und Deutschland Frieden.«
»So sagt man.«
»So ist es... Sie waren Soldat?«
»Ich bin Leutnant der Reserve beim bayrischen Leibregiment.«
»Bei den bayerischen Löwen?«
»Bayerns Ehrenname. Er muß jedoch immer von neuem verdient werden.«
»Immer von neuem ... Sagen Sie doch –«
»Was, Herr Graf?«
»Sie hassen also Ihre Feinde nicht, da Sie Ihre Feinde ja wohl bewundern?«
»Sie fragen, ob ich unsre Feinde nicht hasse?«
»Es heißt bei uns, die Deutschen wären des Hasses unfähig.«
»So heißt es in Frankreich?«
»Daher meine bescheidene Frage.«
»Es wäre für die Deutschen ein Unglück, wenn sie nicht auch hassen könnten.«
»Sie wollen sagen, es wäre eine Schmach für ein Volk, des Hasses nicht fähig zu sein; denn der Haß ist eines Volkes Kraft. Der Haß eines Volkes bringt den Sieg. Haß ist daher eines Volkes Palladium.«
»Ich werde Ihre Worte nicht vergessen, Graf von Roquebrune.«
»Überbringen Sie meine Worte Ihren Landsleuten. Es sind die Worte eines Franzosen.«
»Es ist nicht nötig, meinen Landsleuten Ihre Worte zu wiederholen.«
»Wie Sie meinen.«
Dieses Gespräch fand nach Schluß des Rennens statt und ward ohne Zeugen geführt. Man verließ die Tribünen und begab sich zu den Ausgängen, wo die Autos und Equipagen warteten. Das Auto des Grafen hatte eine Panne gehabt und die Herrschaften wollten daher eine Strecke Wegs zu Fuß zurücklegen.
Wo die Straße von Kap Martin in die allgemeine Route de Nice einlenkt, begegnete ihnen eine Equipage mit einem schwarz livrierten Diener auf dem Bock. In dem Wagen saß eine Greisin in tiefer Trauer mit einem altmodischen Umhang und altmodischen Kapotthut: die Exkaiserin Eugenie.
Graf von Roquebrune grüßte und es grüßte der Freiherr.
Als der Wagen mit der einsamen alten Frau an den beiden Männern vorüber war, fragte der Franzose im Tone höchsten Erstaunens: »Sie grüßten die einstmalige Kaiserin von Frankreich? Sie, ein Deutscher!«
»Ich grüßte nicht die Kaiserin, sondern die schwer geprüfte Frau. Halten Sie das eines Mannes für unwürdig?«
»Im Gegenteil. Ich bewundere Sie.«
In dem Ton des Grafen klang dieses Mal etwas andres als heimlicher Spott. Offenkundige Verachtung des Deutschen, der in Gestalt der Greisin das Unglück gegrüßt hatte...
Das Ehepaar begegnete Bekannten und so kam es, daß Scholastika und der Freiherr für sich blieben. Mehr als je fühlte sie, daß sie nicht zu den andern gehörte, sondern daß ihr Platz an der Seite ihres Landsmanns und Vetters war. Zum erstenmal aus seiner Zurückhaltung heraustretend, sagte Hanns Wolfram in heftiger Erregung: »Wie sie uns hassen! Oh, wie sie uns hassen! Sie denken an nichts andres, als wie sie ihren Haß stillen können! Sie verzeihen uns nicht, daß wir sie in dem uns aufgedrungenen Krieg besiegten, daß wir die Stärkeren geblieben sind. Nicht nur die Stärkeren, sondern auch die Besseren, wie wir ohne Überhebung von uns sagen dürfen. Auch die um vieles Tüchtigeren, trotz ihrer großen Kultur. Aber in dem einen sind sie uns über: in ihrem Haß. Ja, Herr Graf, wehe uns, wenn wir Deutsche nicht wieder hassen könnten! Ein guter Geist bewahre uns Deutsche davor. Jeder Blutstropfen in uns muß aufglühen in Haß wider euch... Und bei diesen Leuten war ich zu Gast! Ich schäme mich. Und du – was geht das mich an? Verzeih! Es übermannte mich. Aber weil ich ihren Haß fühle wie eine teuflische Gewalt, riß es mich hin. Wir sind hier von Todfeinden umringt und ich saß an ihrem Tisch, aß ihr Brot. Welche Schande für mich!«
»Du meinst, welche Schande für mich.«
»Das ist deine Sache. Gleich morgen werde ich mich bei deinen Freunden verabschieden.«
»Du willst abreisen?«
»Gleich morgen. Ich habe genug von dieser Welt. Mir ekelt.«
»Du verachtest mich?«
»Weil dir diese Welt so gut gefällt? Weil du dieses Pariser Dämchen so zärtlich liebst? Weil dieser Herr Graf – doch das alles ist deine eigene Angelegenheit. Jedenfalls reise ich. Deutschland, Heimat, Bayern, mein Volk! Noch niemals fühlte ich so stark das stolze Glück, Deutscher zu sein und solche Heimat zu haben, bewohnt von solchem Volk. Es ist ein Glück, das ich mir immer von neuem verdienen muß, ich und jeder Deutsche. Dasselbe sagte ich auch diesem Grafen, den ich –«
»Den du hassest?«
»Hassen? Ich dieses Herrlein hassen? Diesen Wüstling und Verderber! Du meinst wohl, den ich verachte? Jawohl, ich verachte den feinen Herrn, und das von ganzem Herzen. Du freilich–«
Sie war so totenbleich, daß er nicht weiter sprach ...
Auch für diesen Abend war der Freiherr auf das Schloß geladen. Er sagte ab, was selbst Yvonne weniger lebhaft bedauerte als der Graf. Am nächsten Vormittag erschien der Freiherr, um sich zu verabschieden; er habe zu Hause zu tun und es sei des Müßiggangs genug. Auch sei die Welt der Riviera für einen Menschen seines Schlags zu verlockend und schön. Ein Mensch des Nordens gehöre nicht in diese Welt, ein solcher Mensch bedürfe der Rauheit und Härte. Darum sei es für ihn die höchste Zeit, heimzukehren, wo freilich noch immer Winter herrsche. Aber das sei für ihn gerade das rechte!
Yvonne schmollte, was ihr, wie sie wußte, reizend stand. »Sie gehen fort und wissen, daß ich gerade im Begriff bin, mich in Sie zu verlieben! Wie abscheulich von Ihnen! Wie kann ein Mann fortgehen, wenn ihm von einer Dame derartige schöne Dinge gesagt werden? Aber so seid ihr Deutschen! Wenig galant seid ihr! Freilich ist es gerade eure Ungalanterie und Ungrazie, die euch für uns gefährlich macht. Jawohl, mein ungalanter Herr! Aber gehen Sie nur! Wir werden uns zu trösten wissen. Jagen Sie in Ihrem abscheulichen Eislande Bären und herzen Sie das Töchterlein Ihres Försters, wie es Ihr Kronprinz getan haben soll, der dafür von dem Försterpapa auf das abscheulichste abgeschlachtet wurde... Charles, my sweatheart, was sagst du dazu, daß dieser Herr fortgeht, obgleich ihm deine arme kleine Frau eine Liebeserklärung macht?«
Was Charles dazu sagte? Charles bedauerte unendlich, Charles würde den scharmanten Vetter der schönen Freundin seiner armen kleinen Frau sehr vermissen. Es war von dem Herrn Baron unendlich liebenswürdig gewesen, bisweilen im Schloß gespeist zu haben. Leider nur bisweilen.
Die beiden standen einander gegenüber. Der Deutsche übersah die zum Abschied ausgestreckte Hand des Franzosen, der seine Hand sinken lassen mußte. Sie sahen sich an, zwei Todfeinde.
Jawohl, Graf von Roquebrune – auch der Deutsche konnte hassen! Haß war ja wohl Kraft. Aber nicht der Haß, sondern die Kraft verleiht einem Volke den Sieg. Es kommt nur darauf an, welcher Wille und welche Kraft am machtvollsten ist...
Der Freiherr ließ sich bei Scholastika melden. Sie stand, ihn erwartend, mit dem Rücken gegen das Fenster.
Vielleicht kam er, um ihr zu sagen: »Reise mit mir. Ich nehme dich mit mir zurück in die Heimat, nach Hause!«
Er kam und schien nicht zu sehen, wie bleich sie auch heute war.
»Willst du dich nicht setzen?«
»Entschuldige. Ich habe Eile und muß noch packen.«
»Dann lebe wohl.«
»Du bleibst wohl noch eine Weile hier?«
»Ich bleibe noch eine Weile hier.«
»Deine Freunde sagten mir, du würdest sie wahrscheinlich doch nach Paris begleiten?«
»Nein. Ich sagte dir ja schon, so reizende Menschen meine Freunde auch sind, werde ich ihrer Einladung nicht Folge leisten.«
»So reizende Menschen deine Freunde auch sind – ich verstehe, daß der Graf leidenschaftlich geliebt werden kann. Freilich von keiner deutschen Frau, das wäre für eine deutsche Frau undenkbar, abgesehen von dem unauslöschlichen Haß dieser Herren Franzosen gegen alles, was deutsch ist. Wir sprachen übrigens gestern davon. Aber ich stehe hier und schwatze. Zu Hause werde ich alle von dir grüßen ... Wo ist die Zenz? Ich möchte der guten Alten Lebewohl sagen.«
»Ich werde sie rufen.«
Sie ging in ihr Schlafzimmer, benachrichtigte die Zenz, kehrte nicht zurück.
»Das wäre für eine deutsche Frau undenkbar –!«
Sie sank neben ihrem Lager zu Boden, das Gesicht in die Kissen vergraben ...
Scholastika blieb an diesem Tage allein. Ihre Freunde fuhren nach Antibes, wo ein englischer Freund ein wegen seiner Schönheit berühmtes Landhaus besaß. Scholastika hatte mit von der Partie sein wollen, entschuldigte sich jedoch.
Wie es dann kam –
Plötzlich stand er vor ihr und sagte ihr, er habe seine Frau nicht begleitet, er sei zu Hause geblieben; denn er müsse sie sprechen, sie müsse ihn anhören, müsse die Seine werden. Seine Liebe zu ihr sei eine Gewalt von oben herab, sei etwas Überirdisches, also etwas Heiliges. Und auch sie –
Ja, ja, und auch sie –
Da sagte sie ihm, sie liebe ihren Vetter. Es sei für sie eine Schmach, seinen Erklärungen Gehör geschenkt, eine Schmach sei es für ihn, diese Erklärungen gemacht zu haben und sie jetzt zu wiederholen. Die Schuld dafür treffe indes lediglich sie selbst.
Und sie sagte ihm, sie würde sein Haus am nächsten Tage verlassen.