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Ich werde in meinem Leben noch viel geliebt werden; aber nie wieder so, wie von ihm.

*

Unsere Zeit kommt mir so erbärmlich klein vor, daß es mir groß erscheint, durch eine Leidenschaft den Verstand zu verlieren und zum Selbstmörder zu werden.

*

Du schreibst mir nicht mehr? Du kannst mir also nicht mehr verzeihen?

Nun wohl, wohl, wohl!

Eine letzte Bitte, ehe ich abreise: nach Rom, zur Königin.

Packe meine sämtlichen Schreibereien zusammen und sende sie unter der beigegebenen Adresse nach Deutschland. Der Mann ist sein einziger Freund. Er soll ein Dichter sein. Gewiß wird auch er mich verdammen. Aber vorher will ich ihm sagen – zuschreien will ich ihm:

»Ich bin ja das eingemauerte Weib oben auf Tusculum! Das Weib mit den vor Entsetzen aufgerissenen Augen, mit dem Todesschrei auf den Lippen! Seht ihr denn nicht, wie meine arme Seele sich krümmt und windet in Qualen, um dem gräßlichen Gestein zu entrinnen? Um Gottes Barmherzigkeit willen, seht ihr nicht, daß es mich umklammert hält wie mit Grabesschollen?«

Mitleid!

Ich bin lebendig eingemauert!

Eingemauert in meine eigene Natur ...

*

Herr Richard Voß

an

Frau Melanie Voß
Berchtesgaden, Villa Bergfrieden, Deutschland.

Villa Falconieri, 15. Mai.

Und so schritt er denn aus seinem »leuchtenden Hause« hinaus in die feierliche schweigende Nacht ...

In der Halle war Maria.

Als sie sein stilles verklärtes Gesicht sah, wußte sie sogleich: jetzt wird er's an sich vollbringen!

Sie hatte darauf seit Monaten gewartet.

Die Aerzte hatten ihr gesagt, daß es Gehirnerweichung wäre, daß das Ende noch lange, lange ausbleiben könnte, daß er unmenschlich litt.

Sie hatte sich geweigert, ihn in eine Anstalt überführen zu lassen, hatte seit Monaten die treuesten Wärter- und Wächterdienste gethan, hatte seit Monaten auf die Erlösung geharrt, heimlich darauf gehofft.

Mit eigener Hand hatte sie für ihn den Schlaftrunk bereitet.

Aber er glaubte sich von der »fremden Frau« verfolgt und seines Lebens bedroht. Er wollte die Erlösung aus ihren Händen nicht annehmen.

Jetzt brachte er sie sich selbst.

Endlich!

Seit dem Tage, wo die geistige Nacht für ihn begonnen hatte, war Maria die »fremde Frau« gewesen. Jetzt erkannte er, daß es Maria war: in seiner letzten Stunde erkannte er sein Weib.

Er ging zu ihr, sah sie mit stillem Lächeln lange an, küßte sie auf die Stirn und sagte leise:

»Liebe liebe Maria!«

In diesen letzten drei Worten, die er zu ihr sprach, war sein ganzes zwanzigjähriges Leben mit ihr enthalten. Und es lag in diesen letzten drei Worten inbrünstiges Flehen um ihre Vergebung und zugleich glühender Dank für ihr Liebesopfer, das reumütige Bekenntnis seiner Schuld und zugleich die jubelnde Erkenntnis der Wahrheit:

Du bist auf Erden meine himmlische Liebe gewesen!

Dann ging er, sattelte selbst sein Pferd und ritt davon: am Cypressenteich vorbei, zum hinteren Parkthor, bei der Villa Mondragone hinaus.

Maria begab sich in sein Zimmer.

Auf dem Schreibtische lagen die Papiere, die ich Dir mit diesem Briefe schicke.

Maria las alles.

Der einzige Gedanke, dessen sie sich fähig fühlte, war: ›Erlöst! Bald wird er von allen Leiden erlöst sein!‹

Seine Aufzeichnungen lesend, blieb sie in seinem Zimmer, bis der Tag graute. Als es im Kapuzinerkloster zur ersten Andacht läutete, ging sie hinaus, um die Knechte nach ihm auszuschicken.

Da sagten ihr die Leute:

»Der Herr muß im Hause sein! Wir sahen ihn soeben erst. Er ging um die Villa.«

Maria eilte in den Stall. Aber das Pferd war fort. Man suchte im Hause, im ganzen Park. Aber er war nicht da. Die Knechte liefen zu den Thoren und fanden sämtliche Eingänge bis auf das hintere Parkthor verschlossen. Dieses Thor stand weit offen. Aber die Knechte fanden nirgends die Spuren, daß das Pferd zurückgekehrt wäre.

Und doch hatten sie den Herrn vor einer Viertelstunde um die Villa gehen sehen!

Maria berief die Leute und hielt ein förmliches Verhör.

Wer hatte den Herrn gesehen?

Es waren vier Personen gewesen: der Inspektor, der die Leute weckte; der Oberknecht, der die Pferde fütterte; einer von den Ochsenjungen und ein Gärtner.

Diese vier Personen hatten sich zur nämlichen Zeit an verschiedenen Stellen beim Hause befunden. Und alle hatten den Herrn gesehen, wie er, aus der Halle tretend, durch das Löwenportal in den Hof gegangen war; und aus dem Hofe nach der hinteren Seite der Villa.

Er war langsam, langsam gegangen, ohne stehen zu bleiben und sich umzuschauen.

Jeder von den vieren hatte ihn gegrüßt.

Aber er hatte keinen Gruß erwidert, worüber jeder erstaunt gewesen war; denn der Graf liebte seine Leute, wie er von ihnen geliebt wurde.

Wann war das gewesen?

Grade als sie bei den Kapuzinern den Morgen einläuteten.

Also um vier Uhr.

Jetzt war's halb fünf.

Wo war der Herr zuletzt gesehen worden?

Als er in den Hof getreten war, von dessen Mauerrand der große weiße Rosenstrauch herabhing.

Da kam ein Hirt gelaufen und schrie:

»Auf Tusculum unter dem Kreuz liegt der Graf mit dem Pferde! Das Pferd ist gräßlich zerschmettert. Der Herr liegt da, als schlafe er nur.«

Als der Mann den Toten gefunden, war er noch warm gewesen. Bei den Kapuzinern hatten sie grade den Morgen eingeläutet.

In Frascati soll über den Vorfall eine notarielle Urkunde aufgenommen werden. Es gibt eben mehr Dinge zwischen Himmel und Erde –

Hier hat das Volk einen Aberglauben, in dem ein tiefer Sinn liegt: Dem Menschen sei die Macht gegeben, in der ersten Stunde nach seinem Tode noch einmal die Stätte zu umschreiten, die ihm auf Erden die liebste gewesen.

Und so umschritt denn unser Freund im Tode noch einmal sein liebes leuchtendes Haus ...

Auf allen Wegen rings um Tusculum fand man die Spuren seines Pferdes. Er muß also die ganze Nacht durch geritten sein. Als der Morgen graute, lag nach Aussagen der Hirten ein wogendes Nebelmeer um den Gipfel. Aus dem dichten Dunst ragte nur das Kreuz auf.

Er sprengte mitten in das Gewölk hinein und in die Ginsterblüte hinunter.

*

In seinem heiteren Frühlingszimmer bahrten wir ihn auf. Michelangelos sterbender Sklave stand zu seinen Häupten; die beiden kleinen Genien ließen bunte Blütengewinde über ihn niederhängen und die holde Frühlingsgöttin schien ihren ganzen Lenz auf ihn herabzustreuen.

Du glaubst nicht, wie friedlich und feierlich er aussah! Und so jung! Fast wie ein Jüngling.

Gestern nacht begruben wir ihn an einem Platz, den er sehr geliebt hat. Er liegt zwischen den beiden hohen Pinien, die, wenn man über die Villa Rufinella nach Tusculum hinaufsteigt, nahe beim Amphitheater dicht am Wege stehen.

Hier ruht er hoch über der Campagna und dem Molarathal, angesichts des Cavo und des Landes der Aeneide. Man sieht die schönen alten Bäume, die seine Ruhestätte bewachen, von Rom sowohl wie von Tivoli aus.

Es ist ein wahres Königsgrab – Nein!

Es ist ein echtes Dichtergrab!

Sein Begräbnis sollte in aller Stille stattfinden; aber er hatte ein Leichengefolge wie ein toter Volksmann oder ein Märtyrer. Von weither kamen die Landleute herbeigeströmt.

Jetzt treffen aus allen Städten Italiens Deputationen mit Kronen und Kränzen ein.

Sie kommen zu spät.

Villa Falconieri, am 30. Mai.

Italien ehrt seine Toten.

Gestern abend fand in Rom im Nationaltheater für unsern stillen Freund eine großartige Feier statt. Sein »Frühling« wurde aufgeführt. Die kleinste Rolle war durch einen ersten Künstler besetzt.

Der Eindruck war ein ungeheurer.

Assunta Neri spielte, wie man sie nie zuvor spielen gesehen hatte. Sie war keine Schauspielerin; sondern eine Priesterin. In einem Tempel stand sie vor versammeltem Volke und verkündete allem Volke das Evangelium von der erlösenden Liebe des Weibes.

Ich saß in einer Loge bei Maria, deren hohes Lied heute gesungen wurde.

Denn Maria hat der Tote gemeint und nicht Viviane.

Ich sah die Prinzessin.

Sie kam mit der Königin, die wie sämtliche Damen in Schwarz erschien. Ich konnte das Gesicht der neuen Ehrendame deutlich erkennen. Es war bleich wie weißer Marmor und von der Holdseligkeit einer Melusine.

Die Prinzessin blickte immerfort zu Maria hinüber. Sie war so gespenstisch regungslos, daß es im Hause Aufsehen erregte.

Nach Schluß der Vorstellung ging der Vorhang noch einmal in die Höhe.... In einem Blütenhain war unseres Freundes Büste aufgestellt; und bei den Klängen des Beethovenschen Trauermarsches legten die Künstler Lorbeer vor seinem Bilde nieder.

Nur Assunta Neri that es nicht.

Das Publikum erhob sich von den Sitzen ...

Ich wurde dann in die Loge der Königin berufen, die gut und klug mit mir über den Verstorbenen sprach. Sie ließ mich ihren Damen vorstellen. Die Prinzessin wollte mir die Hand reichen; aber wie gelähmt sanken ihre Arme herab. Sie wollte mit mir sprechen; aber um ihre Lippen zuckte es wie um den Mund eines Kindes, das sich mühsam der Thränen enthält. Stumm sah sie mich an.

Es war ein trostloser Blick.

Maria umarmt Dich mit Schwesterliebe. Ich begleite sie morgen nach Brindisi, wo sie sich für Afrika einschifft: in der italienischen Armee ist der Typhus ausgebrochen. Vielen wird sie Trost und Hilfe bringen.

Das ist auf Erden ihr Amt!

*

Ein Letztes von dem Toten und seinem »leuchtenden« Hause.

Dieses verfällt und verödet mehr und mehr.

Unkraut wuchert auf den Wegen, der Cypressenteich versumpft, die Rosen vor der Villa sind wieder Wildnis geworden. Verwüstet liegt das »Zaubergärtlein«. Die Sarkophage in der Villa Taverna wurden an den Meistbietenden verkauft.

Nur Marias weißer Rosenstrauch blüht von Jahr zu Jahr herrlicher über der jetzt vollständig zertrümmerten Bildsäule des antiken Nymphäums. Auf dem Grunde des Hofes fand ich noch in diesem Jahre einen von den »hunderttausendmal hunderttausend« Briefen, die der arme Wahnsinnige geschrieben und durch die Winde hat verstreuen lassen.

Auf dem Zettel stand mit großen festen Buchstaben:

» Die himmlische Liebe ist doch die höchste Liebe

*

Der Fremde, der in einer schönen Mondnacht durch das Falkenthor eingeht, den schimmernden Oelwald durchschreitet, durch das zweite hohe Portal in die feierlichen Schatten der Steineichen tritt und weiter wandelt – vor diesem liegt plötzlich die Villa Falconieri in solchem magischen Glanze, daß er gewiß begreift, warum sie noch immer das »leuchtende« Haus ist.

Er, der dieses Haus seine leidenschaftlichste und zugleich glücklichste Liebe genannt hat, erhielt die selbstverfaßte Grabschrift, und an die Felswände unter dem Kreuz von Tusculum haben Hirten eine kleine Gedenktafel gestiftet.

Sie ist aus weißem Stein und zeigt in schlichtem Bilde die Gestalt der göttlichen Jungfrau. Darunter steht geschrieben:

»Maria, bitte für ihn!«

 

Ende.


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