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Weshalb ich das gethan?

Ich finde tagsüber keine Stunde Ruhe, nachts keine Stunde Schlaf.

Ich frage und prüfe mich, durchforsche und durchwühle mein Inneres und – finde nichts anderes, als daß ich es aus Neugier gethan, aus Koketterie, Frivolität.

Und ich that es aus instinktiver Abneigung gegen die Madonna da oben, aus echt weiblichem Haß gegen alle Ascetennaturen, that es aus angeborener Teufelei, aus geerbter Perversität, that es aus –

Nacht für Nacht steht er auf der Galerie und schaut zu mir herüber: Nacht für Nacht fühle ich auf mir seinen Blick.

Sein Licht aber hat er gelöscht.

*

Der Graf Cola Campana

an

Herrn Richard Voß

Berchtesgaden, Villa Bergfrieden,
Deutschland.

Villa Falconieri, Ende Mai.

Meine Aufzeichnungen, die ich Euch zuliebe für Euch und mich selbst machte und die mich nach Eurer Hoffnung von meinem eingebildeten Leiden heilen sollten, hatten nur zur Folge, daß ich mich von dem wirklichen Bestehen meiner Lebensmisere überzeugte.

An diesem meinem Glauben ist jetzt nicht mehr zu rühren und zu rütteln.

Denn, mit möglichster Klarheit und Wahrheit alles betrachtend, sehe ich in allem Entwicklung, Logik, Konsequenz und Resultat. Und das sind Realitäten, gegen die sich mit keinen Illusionen ankämpfen läßt.

Lassen wir also die Räsonnements und finden wir uns endlich mit dem Faktum, dem Facit ab. Dieses heißt:

Verfehltes Leben.

Solche zertrümmerten Existenzen gibt es zahllos wie Sand am Meer. Weshalb sollte grade ich eine Ausnahme sein?

Etwa weil ich eine Ausnahme bin?

Diese bleibt schließlich am wenigsten vor dem allgemeinen Menschenschicksal bewahrt.

Es geht alles so einfach zu: Du bildest dir ein, ein Wipfel zu sein, der ermatteten Wanderern Schatten spendet; und eines schönen Tages entdeckst du zu deinem höchsten Erstaunen, daß du an dem Götterbaume der Kunst nur ein winziges armseliges Blättlein bist. Ein einziger heißer Sommertag verdorrt dich; ein einziger rauher Windstoß reißt dich ab. Du verwehst in alle Winde ...

*

Ich weiß nicht, was das in diesem Frühlinge mit mir ist? Ich fühle mich verwirrt, beunruhigt, geängstigt.

Mußtet Ihr auch grade dieses Jahr nicht kommen! Noch niemals habe ich so unerbittlich klar empfunden, wie still Maria neben mir hingeht. Vielmehr: ich empfinde es jetzt überhaupt zum erstenmal. Die Lautlosigkeit unseres Ehelebens hat etwas Gespenstisches. Ich muß mich dermaßen in mich selbst eingesponnen haben, daß ich alle diese Jahre nichts sah; vor lauter Hüllen und Schleiern, Dünsten und Dämpfen nichts sehen konnte.

Sie sind zerrissen, und jetzt sehe ich – jetzt muß ich sehen!

Habe ich denn Maria niemals erkannt und verstanden?

Verstehe ich die Frau überhaupt nicht in ihrem allertiefsten und allergeheimsten Wesen, welches ihr Verhältnis zum Manne ist?

Damals, als ich noch dachte und dichtete, als es in meinem Leben noch Augenblicke gab, wo auch ich mich »dem Weltgeist näher fühlte«, wo ich über mich hinausgehoben ward und in dieser lichten Höhe strahlende Träume hatte – selbst damals in jenen stolzen Stunden hielt ich doch niemals mein Denken und Dichten für einen Pulsschlag des Menschengeschlechts.

In der langen Reihe meiner schwankenden Gestalten sah ich immer nur eine einzige Gestalt, die an ihren Zeitgenossen nicht sofort vorüberging. Ich sah sie für einen Augenblick stehen bleiben und der Zeit ihr Antlitz zeigen. Und dieses war das blasse schmerzverklärte hoheitsvolle Antlitz des liebenden und leidenden Weibes.

Ich kannte nur dieses eine einzige Weib und hielt es für das Weib!

Mit welchen Worten spreche ich diese Gedanken aus?

Was ging mit mir vor?

Es sind gar nicht meine eigenen Gedanken und Worte!

*

Maria ist nicht minder eine tragische Erscheinung; und wenn ich ihr Leben zurückdenke, so faßt mich des Lebens ganzer Jammer an ... In der faulen verpesteten Atmosphäre ihres Elternhauses lebte sie unberührbar rein, liebte sie unerschütterlich stark einen außergewöhnlich schönen Mann mit außergewöhnlich häßlicher Seele. Die Erkenntnis der Wahrheit wirkte entgeisternd auf sie. Wie mit erstarrten Daseinsempfindungen lebte sie fort und gab sie nach vielen Jahren einem Kinde das Leben. Jetzt begann es sich in ihr zu regen, etwas in ihr zu erwachen. Es war jedoch nicht das Weib, sondern die Mutter. Ihr Kind starb, und sie wollte sterben, und wurde von einem Manne am Leben erhalten, an dessen Herzen jetzt auch das Weib hätte erwachen müssen. Aber –

Das Dunkle, Geheimnisvolle und Unheilvolle, das zwischen uns steht, bleibt und will nicht weichen.

Bisweilen denke ich: es möchte sein, weil sie nur die »Madama« ist und nicht meine Frau.

Ich will nach dem verschwundenen und verschollenen Mariano suchen lassen ... Gewiß ist er längst verdorben gestorben.

Und dann –

*

So vieles ist jetzt mit mir anders geworden, zum Erschrecken anders.

Vielleicht hat es darin seinen Grund, weil ich Schlafwandler, der ich war, mich selbst geweckt habe. Ich suchte hier Ruhe, Frieden und Vergessenheit; aber selbst die Villa Falconieri singt mir jetzt kein Wiegenlied mehr.

Ich durchirre das Haus von Zimmer zu Zimmer, durchstreife den Park von Weg zu Weg. Aus dem Hause treibt es mich hinaus ins Freie, um mich bald wieder zurück zu scheuchen. Die Steinplatten auf meiner Galerie zeigen die Spuren meiner ruhelosen Schritte wie in der Zelle eines Gefangenen der Fußboden abgeschürft ist durch die ewige Bahn des Eingekerkerten. Die zwanzig Jahre meines ruhelosen Lebens ließen also nicht nur im Gemüte ihre Eindrücke zurück.

Die vielen Thore der Villa mußten wieder geschlossen werden. Neulich schlichen sich Fremde ein.

Es war seit vielen Jahren das erste Mal.

Eine sehr seltsame Wahrnehmung mußte ich machen ... Die Natur ist mir seit kurzem, seit meinem gewaltsamen Erwachen, nicht mehr Allheilerin und Allhelferin. Selbst die große Tragödin, die römische Campagna, hat aufgehört, ihre gewaltigen Strophen aus dem Drama der Weltgeschichte für mich zu recitieren. Und sie verstummte doch bis jetzt niemals!

Was bedeuten diese Zeichen?

Gestern war ich auf Tusculum ...

Wie in diesem Jahre auf Tusculum der Ginster blüht!

*

Ich glaube, ich schrieb Euch, daß ich in der Villa Taverna Nachbarn habe. Und zwar schon seit März. Es ist der Prinz von Sora, ein berüchtigter Wüstling. Die arme junge Frau! Der Prinz ist nämlich verheiratet und hat seiner Frau willen von dem bankerotten Borghese die Villa Taverna gemietet. Die Prinzessin, die Blut husten soll – habe ich das nicht bereits erwähnt? – gehört zu den Spitzen der römischen Modedamen: zu den allerhöchsten Spitzen.

Schade darum! Das heißt – sie soll nämlich im Grunde entzückend sein.

Dabei ist sie erst zweiundzwanzig Jahre. Die göttliche Jugend!

Aber bei dieser Jugend bereits für das ganze Leben ruiniert. Und wodurch ruiniert?

Durch Weltleben.

Es ist etwas so trostlos Oedes! Allerdings kommt in diesem Falle eine sehr unglückliche Ehe hinzu.

Vielleicht ist die Prinzessin gar nicht sehr unglücklich? Denn solche Weltdame – überhaupt die Frauen ... Wer kennt sich bei ihnen aus. Wer kennt sie?

Ich nicht!

Ich bin gar kein Kenner der Frauen; sondern nur ihr »Verklärer«.

Das klingt sehr schön, heißt indessen nichts anderes, als daß ich die Poesie benützt habe wie der Anstreicher die Tünche. Eine graue Mauer färbte ich rosenrot, himmelblau, blütenweiß.

Jedenfalls war ich so glücklicher.

Eine blutjunge elegante und gewiß reizende Weltdame, die in einer unglücklichen Ehe lebt und sich zu Tode amüsiert – das ist alles! Und es ist im Grunde schrecklich banal. Mit einer solchen Frau sollte kein ernsthafter Mann Mitleid fühlen.

Aber die nahe Nachbarschaft stört mich. Wenn ich davon auch nur wenig höre und sehe, so weiß ich doch, daß sie existiert: dicht unter mir!

Und ich bin der Nähe von Menschen aus jener andern Welt so vollkommen entwöhnt.

Die Prinzessin soll durch die Extravaganzen ihrer Eleganz ebenso berüchtigt sein wie der Prinz durch seine sittliche Verlotterung. Sie soll zu den großen Raffinierten gehören: zu den ganz großen!

Sie macht immerfort Sensation, kann gar nicht leben, ohne immerfort Sensation zu machen.

Die Farbe, die sie für eine Saison trägt, wird sogleich Modefarbe: die Blume, die sie für eine Saison protegiert, sogleich Modeblume. In diesem Jahre kleidet sie sich ausschließlich in Weiß, liebt sie ausschließlich die weißen Lilien. Also ganz Madonna ...

Verzeiht die Entheiligung. Ich dachte nämlich an meine Madonna.

Welche Kontraste!

Uebrigens ist ihr Ruf tadellos – ich spreche noch immer von der Prinzessin. Eine toute grande dame, die einen verächtlichen Gatten besitzt, in Aeußerlichkeiten aufgeht, nur für ihre Schönheit, ihre Eleganz, ihre Emotionen lebt und dann einen tadellosen Ruf besitzt. Und das in Rom! Es scheint ein Mirakel zu sein.

Das Wunder ist aber weniger Wunder, sobald man annimmt, daß sie kalt ist, marmorkalt und unnahbar. Und nur aus Eitelkeit einen Liebhaber zu nehmen, dafür scheint sie mir denn doch – zwar nicht grade zu gut; aber viel zu besonders geartet.

Auch gibt es Frauen, die einfach aus Bequemlichkeit nicht lieben, weil ihnen jede Leidenschaft lästig ist. Und es gibt Frauen –

Doch was verstehe ich davon?

Ich kümmere mich nicht um Frauen, die schlaflose Nächte haben, weil sie für eine Toilette eine Farbennüance erfinden müssen, die noch niemals dagewesen ist.

Die Prinzessin von Sora hat schlaflose Nächte: denn Nacht für Nacht sehe ich in ihrem Zimmer Licht.

Was gehen mich die schlechten Nächte dieser Weltdame an und weshalb sie schlecht sind?

Unsere weiblichen dienstbaren Geister sind durch die prinzliche Nachbarschaft ungemein aufgeregt. Jede Stunde kommen sie – Ihr kennt ja unsere patriarchalische Art, mit unseren Leuten zu leben – mit irgend einer »sensationellen« Neuigkeit angestürzt ... Die Prinzessin soll von einem unerträglichen Hochmut sein und von der Dienerschaft trotzdem vergöttert werden. Die Armen von Frascati kommen scharenweise zu ihr. Dann steht sie in ihrem weißen Kleide unter Krüppeln und Bettlern wie eine heilige Elisabeth. Dabei gehört sie durchaus nicht zu den sogenannten Frommen. Die sichtbarliche Ausübung der Religion überläßt sie dem Prinzen; und sie überläßt den Prinzen seinen Maitressen.

Ihre französische Kammerfrau will wissen, daß sie noch niemals geliebt habe, daß sie unheilbar krank sei und bald sterben werde.

Es ist alles Klatsch und Tratsch und doch erregt es mich. Alles kommt nur davon, weil ich verlernt habe, unter Menschen ein Mensch zu sein.

Ich glaube doch nicht, daß sie in ihren vielen schlaflosen Nächten nur an Nichtigkeiten denkt.

Ich glaube, daß sie sehr leidet und sehr einsam ist.

*

Ich sprach von der »großen Tragödin«, der römischen Campagna, und vergaß, Euch zu erzählen, daß ich die große Frauendarstellerin Assunta Neri sah: nicht in Rom auf der Bühne; sondern im Park der Villa Falconieri.

Ich will nicht lügen!

Ich vergaß es nicht, ich verschwieg es. Und ich verschwieg es, weil dieses Ereignis – denn ein solches bedeutet ihr Besuch für mich – im tiefsten Innern mich erregte, so sehr erregte, daß es Euch erschrecken könnte. Auch würdet Ihr den Aufruhr meines Gemütes doch nur wieder für das Zeichen einer krankhaften und ganz unnatürlichen seelischen Vereinsamung halten.

Ihr wißt, daß ich die Neri bei ihrem Debüt in Rom kennen lernte, daß sie in meiner »Agrippina« auftrat, daß sie das große Ereignis des Abends und der ganzen Theaterwelt war, daß sie seit jener Vorstellung die souveräne Herrscherin der italienischen Bühne ist.

Und sie ist die große Verkünderin eines neuen Frauengeschlechts, das die Zeit geschaffen hat und das die Dichter der Zeit versuchen auszusprechen.

Nur ich weiß davon nichts.

*

Eines Vormittags brachte man mir einen Strauß weißer Lilien und sagte: Assunta Neri sei da!

Mein erstes Gefühl war Schreck.

Es war ein solch rätselhafter Schreck, als drohte mir plötzlich eine große Gefahr. Mein erster Gedanke war, dieser Gefahr zu entfliehen – so schwach und feige kann ein Mann sein, für den es im Leben nichts mehr zu hoffen und nichts mehr zu fürchten gibt. Ich suchte Maria, als müßte ich bei ihr Schutz finden. Sie war aber nicht im Hause. Da trieb mich eine neue geheimnisvolle Empfindung der Künstlerin entgegen. Es war wie eine Gewalt, so daß ich – ich konnte es gut beobachten – unter einem inneren Zwange stand.

So ging ich denn hinaus.

Gibt es wirklich ein neues Frauengeschlecht, und ist Assunta Neri die Verkörperung desselben, so muß diese Gattung der modernen Frau: der Frau fin de siècle, ein unaussprechlich trauriges trost- und hoffnungsloses Frauengeschlecht sein, bereits am Anfange seiner Existenz dem Untergange geweiht. Denn Assunta Neri hat eine kranke Seele. Wenn nun ihre Kunst »Natur« ist; und wenn ihre Natur nur ein Spiegelbild der Natur des Weibes ist, so muß dieses Weib bis in seinen intimsten Lebensnerv hinein krank sein.

Nein! Von dieser Frau weiß ich nichts.

Ich will davon nichts wissen!

Assunta Neri machte auf mich den Eindruck eines Sciroccotags. Alles an ihr ist schwere schwüle Wüstenglut. Ein fahles gespenstisches Licht umzittert Himmel und Erde, die einen erstickenden Dunst ausatmet. Die ganze Natur ist zu Tode erschöpft und sehnt sich nach dem letzten erlösenden Seufzer.

So erschien mir diese Frau.

Vielleicht legte ich meine eigene Stimmung in sie hinein. Ich sehe ja Menschen und Dinge derart unwirklich, daß ich meinen eigenen Augen nicht trauen darf.

Uebrigens wechselten wir beide nur wenige Worte; denn Maria kam.

Die Neri ging sogleich auf sie zu und beschäftigte sich beinahe fieberhaft mit ihr, schien sie entzückend zu finden. Als ich Maria später fragte, was die Neri eigentlich mit ihr gesprochen hätte, wußte sie es kaum. Sie sagte: sie hätte immerfort die andere Dame ansehen müssen.

Die »andere Dame« war die Prinzessin von Sora – Assunta Neri wohnt nämlich in der Villa Taverna. Die Prinzessin hatte sie auf einem Spaziergange begleitet und die beiden waren zufällig in unseren Park geraten.

Wie Ihr seht, geht alles mit sehr natürlichen Dingen zu.

Da Maria die »andere Dame« immerfort ansehen mußte, werdet Ihr auf sie neugierig sein: denn dieses Anstarren einer vollkommen fremden Dame sieht Maria so gar nicht ähnlich.

Was soll ich Euch sagen? Ich sah nichts als ein Gewirr schwarzer Spitzen und in dieser leichten dunklen Wolke ein schmales weißes Gesicht mit – ich weiß nicht einmal, was für Augen sie hat. Ich glaube: ihre Augen sind sehr dunkel und – ich weiß es wahrhaftig nicht! Ich weiß nur, daß ihre Augen einen eigentümlichen Blick haben.

Einen unvergeßlichen Blick!

Sie trug keine Handschuhe. Ich habe niemals solche kleinen blassen hilflosen Hände gesehen! Ich sah in ihren Händen immerfort den Strauß weißer Lilien, den mir die Neri geschickt hatte; und ich sah die Hände mit dem Lilienschimmer immerfort sich erheben wie in angstvollem Flehen, wie in –

Ich bin und bleibe doch ein unheilbarer Träumer!

Während die Neri mit Maria sprach, unterhielt sich die »andere Dame« mit mir. Sie hat eine sehr leise, sehr süße Stimme.

Ihre Stimme klingt wie Vogelgezwitscher.

Vielleicht erhebt sie in ihren schlaflosen Nächten die blassen Hände und betet mit ihrer süßen Stimme: »Lieber Vater im Himmel, laß mich leben!«

Und vielleicht hat der Himmel Erbarmen.

*


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