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Intrigen an der hohen Pforte. Der Khan der Tataren und der Pascha von Bender wollen Karl zur Abreise zwingen. Er verteidigt sich mit vierzig Dienern gegen eine Armee. Man bemächtigt sich seiner und behandelt ihn als Gefangenen.
Das Glück des Schwedenkönigs hatte sich in ein Mißgeschick verwandelt, welches ihn bis in die geringsten Kleinigkeiten verfolgte. Bei seiner Rückkehr fand er sein kleines Lager zu Bender von den Wassern des Dniester überschwemmt. Er zog sich nun einige Meilen weit nach dem Dorfe Warnitza zurück, wo er sich, als ob er ein Vorgefühl von dem hätte, was ihm hier begegnen sollte, ein großes steinernes Haus erbauen ließ, das im Notfall einige Stunden lang einen Sturm aushalten konnte. Er möblierte es gegen seine Gewohnheit mit Pracht, um den Türken einen größern Respekt einzuflößen.
Er baute dann noch zwei Häuser, das eine für seine Kanzlei, das andere für seinen Günstling Grothusen, der einer seiner Tafeln vorstand. Während der König so bei Bender baute, wie wenn er für immer in der Türkei bleiben wollte, hatte Baltadschi Mehemet, welcher mehr als je die Intrigen und Klagen dieses Fürsten bei der Pforte fürchtete, den Gesandten des deutschen Kaisers nach Wien geschickt, um dort um einen freien Durchzug des Königs von Schweden durch die Erbländer des Hauses Österreich nachzusuchen. Dieser Gesandte hatte nach drei Wochen ein Versprechen von der kaiserlichen Regierung zurückgebracht, daß sie Karl die ihm gebührenden Ehren erweisen und ihn in voller Sicherheit nach Pommern geleiten lassen wolle.
Man hatte sich an die Regierung in Wien gewendet, weil der deutsche Kaiser Karl, der Nachfolger Josefs I. sich in Spanien befand, wo er mit Philipp V. um die Krone stritt. Während der deutsche Gesandte diesen Auftrag in Wien vollzog, schickte der Großwesir drei Paschas an den König von Schweden, um ihm anzukündigen, daß er das Gebiet des türkischen Reichs zu verlassen habe.
Der König hatte erfahren, welchen Befehl sie an ihn ausrichten sollten; er ließ ihnen daher gleich sagen, wenn sie wagen würden, ihm einen ehrenrührigen Vorschlag zu machen und den schuldigen Respekt zu verletzen, würde er sie alle drei sofort hängen lassen. Der Pascha von Salonichi, welcher das Wort führte, wußte seinen harten Auftrag in die achtungsvollsten Phrasen zu hüllen. Karl machte der Audienz ein Ende, ohne die drei Paschas eines Wortes zu würdigen. Sein Kanzler Müller blieb bei denselben zurück und setzte ihnen mit wenig Worten die Weigerung seines Gebieters auseinander, welche sie schon aus seinem Stillschweigen abgenommen hatten.
Der Großwesir gab nicht nach: er befahl dem neuen Seraskier von Bender, Ismael Pascha, den König mit der Ungnade des Sultans zu bedrohen, wenn er sich nicht ohne Verzug zur Abreise entschlösse. Dieser Seraskier war von einem milden, versöhnlichen Wesen, und genoß das Wohlwollen Karls und die Freundschaft aller Schweden. Der König ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein, jedoch nur, um ihm zu sagen, er werde nicht früher gehen, bis Achmet ihm zwei Dinge zugestanden habe, die Bestrafung seines Großwesirs und hunderttausend Mann, um an ihrer Spitze nach Polen zu rücken.
Baltadschi Mehemet fühlte wohl, daß Karl nur in der Türkei bleibe, um ihn zu verderben; er ließ deshalb alle Straßen von Bender nach Konstantinopel bewachen, um die Briefe des Königs aufzufangen. Er tat noch mehr, er verminderte sein Thaim, das heißt den Lebensunterhalt, welchen die Pforte den Fürsten liefert, denen sie Zuflucht gewährt. Die dem Schwedenkönig ausgesetzte Unterstützung war ungewöhnlich groß: sie bestand aus täglich fünfhundert Silbertalern und allem, was der Unterhalt eines Hofes erfordert, in Ueberfluß und Pracht.
Sobald der König hörte, daß der Wesir gewagt habe, seinen Unterhalt zu vermindern, rief er seinen Haushofmeister und sagte zu ihm: »Ihr habt bis jetzt nur zwei Tafeln gehabt; ich befehle, daß von morgen an deren vier hergestellt werden.«
Die Offiziere Karls XII. waren gewöhnt, nichts für unmöglich zu halten, was er befahl. Indessen besaß der König weder Vorräte noch Geld; und war daher genötigt, zu 20, 30 und 40 Prozenten von den durch die Freigebigkeit des Königs reich gewordenen Offizieren, Dienern und Janitscharen zu entlehnen. Der Gesandte von Holstein Fabrice, der englische Minister Jeffrey, sowie deren Sekretäre und Freunde gaben her, was sie besaßen. Der König lebte mit seinem gewöhnlichen Stolz und ohne für den nächsten Tag zu sorgen, von diesen Gaben, die nicht lange ausreichen konnten. Man mußte die Wachsamkeit der Wachen täuschen und im geheimen nach Konstantinopel schicken, um Geld von europäischen Kaufleuten zu entlehnen. Alle weigerten sich, einem Könige etwas zu leihen, der außer stande schien, es jemals wieder heimzuzahlen. Ein einziger englischer Kaufmann, namens Cook, wagte es endlich vierzigtausend Taler vorzustrecken, auf die Gefahr hin sie zu verlieren, wenn der König von Schweden sterben sollte. Das Geld kam gerade in dem kleinen Lager des Königs an, als man begann an allem Mangel zu leiden und auf keine Hilfe mehr zu hoffen.
Inzwischen hatte Poniatowski vom Lager des Großwesirs aus einen Bericht über den Feldzug am Pruth geschrieben, worin er den Baltadschi Mehemet der Feigheit und Treulosigkeit beschuldigte. Ein alter Janitschar, der empört über die Schwäche des Wesirs und noch dazu durch die Geschenke Poniatowskis gewonnen war, nahm diesen Bericht zur Hand, bat um Urlaub und überreichte das Schreiben dem Sultan.
Poniatowski reiste einige Tage später aus dem Lager ab und ging nach der hohen Pforte, um dort seiner Gewohnheit gemäß Intrigen gegen den Großwesir anzuzetteln.
Die Umstände waren günstig; seit der Zar sich wieder frei sah, beeilte er sich nicht seine Versprechungen zu erfüllen; die Schlüssel von Asow kamen nicht; der Großwesir, der dafür verantwortlich war, fürchtete mit Recht den Zorn seines Herrn und wagte es nicht, sich vor ihm zu zeigen.
Das Serail war damals mehr als je durch Intrigen und Parteiungen gespalten. Derartige Kabalen finden sich zwar an allen Höfen, allein sie endigen dort gewöhnlich mit einem Ministerwechsel, oder höchstens mit einer Landesverweisung, während in Konstantinopel bei einer solchen Gelegenheit immer mehr als ein Kopf fällt. Diesmal kostete es dem alten Wesir Tschurluli und dem Leutnant Baltadschi Mehemets, Osman, das Leben, da dieser der Haupturheber des Friedens vom Pruth gewesen war und seitdem eine wichtige Stelle an der Pforte bekleidet hatte. Man fand unter den Schätzen Osmans den Ring der Kaiserin und zwanzigtausend sächsische und russische Dukaten. Hiermit war der Beweis geliefert, daß Geld allein den Zaren vom Abgrund gerettet und das Glück Karls XII. zu Fall gebracht hatte. Der Wesir Baltadschi Mehemet wurde nach der Insel Lemnos verbannt, wo er drei Jahre später starb. Der Sultan nahm sein Vermögen weder bei seiner Verbannung noch bei seinem Tode in Beschlag; er war nicht reich und seine Armut die beste Rechtfertigung seines aufrichtigen Handelns.
Auf diesen Großwesir folgte Jussuf, das heißt Josef, dessen Schicksale ebenso merkwürdig waren wie die seiner Vorgänger. An den Grenzen Rußlands geboren und durch die Türken in einem Alter von sechs Jahren mit seiner Familie gefangen, war er an einen Janitscharen verkauft worden. Dann war er lange Zeit Diener im Serail und wurde endlich die zweite Person des Reichs, in welchem er Sklave gewesen war; doch war er nur Scheinminister. Der junge Seliktar Ali Cumürdschi erhob ihn auf so lange zu diesem schlüpfrigen Posten, bis er sich selbst dort festsetzen könnte; und Jussuf, sein Geschöpf, hatte nichts weiter zu tun, als die Willensäußerungen des Günstlings durch das Reichssiegel zu bekräftigen. Die Politik des ottomanischen Hofs schien seit den ersten Tagen dieses Wesirats eine andere geworden zu sein. Die teils als Minister, teils als Geiseln zu Konstantinopel befindlichen Bevollmächtigten des Zaren wurden besser als je behandelt, der Großwesir erneuerte mit ihnen den Pruther Frieden; was aber den König von Schweden am tiefsten kränkte, war die Mitteilung, die er erhielt, daß die geheimen Verbindungen, welche man zu Konstantinopel mit den Zaren einleitete, die Frucht der Bemühungen des englischen und des holländischen Gesandten seien. Seit dem Rückzug Karls nach Bender war Konstantinopel geworden, was Rom so oft war: der Mittelpunkt der diplomatischen Verhandlungen der Christenheit. Der französische Gesandte Graf Desaleurs vertrat dort die Interessen Karls und Stanislaus'; der Minister des deutschen Kaisers durchkreuzte diese Bemühungen. Die schwedische und die russische Partei platzten aufeinander, wie man die französische und die spanische lange Zeit am römischen Hofe einander bekämpfen sah.
England und Holland, welche neutral schienen, waren es doch nicht; die neue Handelsquelle, welche der Zar in St. Petersburg eröffnet hatte, zog die Aufmerksamkeit dieser zwei handeltreibenden Nationen auf sich.
Die Engländer und Holländer werden stets für denjenigen Fürsten sein, der ihren Handel am meisten begünstigt. Bei dem Zaren war viel zu gewinnen; man darf sich daher nicht wundern, wenn die Gesandten von England und Holland ihm bei der ottomanischen Pforte im geheimen an die Hand gingen. Eine der Bedingungen dieser neuen Freundschaft war, daß Karl sofort das türkische Gebiet verlassen müsse; sei es, weil der Zar sich seiner Person unterwegs zu bemächtigen hoffte, sei es, weil er Karl in seinen eigenen Staaten für weniger gefährlich hielt als in der Türkei, wo er beständig auf dem Punkte war, die ottomanischen Streitkräfte gegen das russische Reich in Bewegung zu setzen.
Der König von Schweden bestürmte fortwährend die Pforte, sie möchte ihn doch an der Spitze einer zahlreichen Armee durch Polen heimschicken. Der Diwan war in der Tat entschlossen, ihn zurückkehren zu lassen, aber nur unter einer Bedeckung von sieben- bis achttausend Mann, also nicht wie einen König, den man unterstützen will, sondern wie einen Gast, dessen man sich gerne entledigt. Zu dem Ende schrieb ihm der Sultan Achmet folgenden Brief:
»Großmächtiger unter den Königen, die Jesum anbeten, Rächer des Unrechts und der Beleidigungen, Schirmherr der Gerechtigkeit in den Häfen und Staaten des Mittags und Abends, leuchtend an Majestät, Freund der Ehre und des Ruhms und unserer hohen Pforte, Karl, König von Schweden, dessen Unternehmungen Gott mit Glück kröne!
Sobald der durchlauchtige Achmet, früher geheimer Kabinettschef, die Ehre gehabt haben wird, Euch diesen mit unserem kaiserlichen Siegel gezierten Brief zu übergeben, möget Ihr von der Wahrheit der darin enthaltenen Absichten überzeugt und versichert sein. Obschon wir nämlich geneigt waren, unsere stets siegreichen Truppen von neuem gegen den Zaren marschieren zu lassen, so hat doch dieser Fürst, um den gerechten Zorn zu besänftigen, in den uns seine Zögerung in Ausführung des am Ufer des Pruth abgeschlossenen Friedens versetzte, seither denselben bei unserer hohen Pforte erneuert und unserem Reich Schloß und Stadt Asow übergeben, auch durch Vermittlung der Gesandten von England und Holland, unseren alten Freunden, die Bande eines beständigen Friedens mit uns zu knüpfen gesucht. Also haben wir ihm Solches gewährt und seinen bei uns als Geisel befindlichen Bevollmächtigten unsere kaiserliche Friedensbestätigung erteilt, nachdem wir die seinige aus ihren Händen empfangen.
Wir haben unserem vielgeehrten und tapferen Delvet Gherai, Khan von Cudziak, der Krim, der nogaischen Steppe und Zirkassiens sowie unserem sehr weisen Rat und edeln Seraskier Ismael zu Bender, deren Herrlichkeit und Klugheit Gott verewigen und vermehren möge, unsern unverbrüchlichen und heilsamen Befehl zu Eurer Rückkehr durch Polen erteilt, entsprechend Eurer ersten Absicht, die uns von Eurer Seite wiederholt zu erkennen gegeben worden ist. Ihr habt Euch also vorzubereiten, unter dem Schutze der Vorsehung und mit einer ehrenvollen Begleitung noch vor nächstem Winter abzureisen, und Euch nach Euern Provinzen zurückzubegeben, wobei ihr Sorge tragen werdet, Polen als Freund zu passieren.
Alles, was noch für Euere Reise notwendig sein wird, an Geld, Menschen, Pferden und Wagen, wird Euch von meiner hohen Pforte geliefert werden. Wir ermahnen Euch insbesondere und empfehlen Euch, allen Schweden und anderen Leuten, die sich in Eurer Umgebung befinden, die bestimmtesten und deutlichsten Befehle zu erteilen, keinerlei Unordnung zu begehen und sich keine Handlung zuschulden kommen zu lassen, welche mittelbar oder unmittelbar diesen Frieden und diese Freundschaft verletzen könnte.
Ihr werdet Euch hierdurch unser Wohlwollen, von welchem wir Euch so große und so häufige Proben gegeben, als sich Gelegenheit dazu bot, bewahren. Unsere zu Eurer Begleitung bestimmten Truppen werden die unseren kaiserlichen Absichten entsprechenden Befehle erhalten.
Gegeben in unserer hohen Pforte von Konstantinopel am 19. des Monats rebyul eurech 1124. (19. April 1712.)«
Trotz diesem Brief gab der König von Schweden die Hoffnung nicht auf. Er schrieb dem Sultan, er werde sein Leben lang dankbar für die Gunstbezeigungen sein, mit denen seine Hoheit ihn überhäuft habe; er halte aber den Sultan für zu gerecht, um ihn durch ein noch von den Truppen des Zaren überschwemmtes Land mit einer einfachen Eskorte zu schicken. In der Tat hatte der russische Kaiser, dem ersten Artikel des Pruther Friedens zum Trotz, in welchem er sich verbindlich machte, alle seine Truppen aus Polen zurückzuziehen, noch neue Truppen dahin abgehen lassen; und was wirklich zu verwundern ist, der Großherr wußte nichts davon.
Die schlechte Politik der Pforte, wonach sie aus Eitelkeit stets Gesandte der christlichen Fürsten in Konstantinopel behält, dagegen selbst keine Agenten an die christlichen Höfe schickt, ist schuld, daß die letzteren oft die geheimsten Pläne des Sultans erfahren und Einfluß auf sie üben, während sich der Diwan stets in der tiefsten Unwissenheit über das, was bei den Christen offen passiert, befindet.
Der Sultan verschließt sich unter seine Frauen und Eunuchen ins Serail und sieht nur durch die Augen seines Großwesirs. Dieser ebenso unzugängliche Minister wie sein Herr ist stets nur mit Serailintrigen beschäftigt, führt keine Korrespondenz nach außen und wird deshalb in der Regel getäuscht, oder er selbst täuscht den Sultan, der ihn dann beim ersten Fehler absetzt oder erdrosseln läßt, um dann einen anderen ebenso unwissenden oder ebenso treulosen zu wählen, der sich gerade so benimmt wie seine Vorgänger und bald wie sie fällt.
Die Untätigkeit und Sorglosigkeit dieses Hofes ist in der Regel so groß, daß, wenn die christlichen Fürsten sich miteinander vereinigen wollten, ihre Flotten in den Dardanellen und ihre Landarmee an den Toren von Adrianopel sein könnten, ehe die Türken an eine Verteidigung dächten. Aber die verschiedenen Interessen, welche die Christenheit immer trennen werden, retten die Türken vor einem Schicksal, das ihnen sonst ihre schwache Politik und ihre Unwissenheit im Land- und Seekrieg bereiten würde.
Achmet war von dem, was in Polen vorging, so wenig unterrichtet, daß er einen Aga dahin schickte, um zu sehen, ob es wahr sei, daß die Truppen des Zaren sich noch dort befänden. Zwei Sekretäre des Königs von Schweden, welche türkisch verstanden, begleiteten den Aga, um als Zeugen gegen ihn zu dienen, wenn er einen falschen Rapport machen sollte.
Dieser Aga sah die Wahrheit mit eigenen Augen und legte dem Sultan selbst Rechenschaft hierüber ab. Achmet war wütend und wollte den Großwesir erdrosseln lassen; aber der Günstling, der ihn beschützte und der ihn noch zu bedürfen glaubte, wirkte seine Begnadigung aus und erhielt ihn noch eine Zeitlang im Ministerium.
Die Russen wurden durch den Wesir offen, durch Ali Cumürdschi, der die entgegengesetzte Partei ergriffen hatte, im geheimen begünstigt; aber der Sultan war so erbost, der Vertragsbruch so offenbar, und die Janitscharen, welche oft Minister, Günstlinge und Sultane zittern machen, verlangten so laut den Krieg, daß niemand im Serail eine gemäßigte Ansicht zu äußern wagte.
Der Großherr ließ also die russischen Gesandten, welche bereits ebenso gewöhnt waren ins Gefängnis zu wandern als zur Audienz zu gehen, in die sieben Türme sperren. Von neuem wurde der Krieg gegen den Zaren erklärt, die Roßschweife aufgepflanzt und Befehle an alle Paschas erlassen, eine Armee von zweimalhunderttausend Mann zu sammeln. Der Sultan selbst verließ Konstantinopel und verlegte seinen Hof nach Adrianopel, um dem Kriegsschauplatz näher zu sein.
Um diese Zeit nahm eine von seiten Augusts und der Republik Polen an den Großherrn geschickte feierliche Gesandtschaft den Weg nach Adrianopel; der Palatin von Masowien stand an der Spitze dieser aus über dreihundert Personen bestehenden Gesandtschaft.
Was zu dieser Gesandtschaft gehörte, wurde in einer der Vorstädte Adrianopels angehalten und gefangen gesetzt. Nie hatte sich die Partei des Königs von Schweden mit schöneren Hoffnungen getragen; aber dieser große Anlauf verlief abermals im Sande und ihre Hoffnung ward getäuscht.
Wenn wir einem weisen und weitsehenden öffentlichen Minister, der damals in Konstantinopel lebte, glauben dürfen, so trug sich der junge Cumürdschi schon damals mit anderen Plänen, als dem russischen Zaren in einem zweifelhaften Kriege Steppen streitig zu machen. Er wollte den Venezianern den Peloponnes, das jetzige Morea wegnehmen und sich zum Herrn von Ungarn machen.
Um diese großen Pläne auszuführen, wartete er nur, bis er erster Wesir sein würde, von welcher Stelle ihn nur seine Jugend noch ausschloß. Bei solchen Plänen brauchte er den Zaren eher zum Verbündeten als zum Feind. Es lag weder in seinem Interesse noch in seinem Willen den König von Schweden noch länger zu hüten, noch weniger die Türkei zu dessen Gunsten zu waffnen. Er wollte nicht nur diesen Fürsten wieder heimschicken, sondern er sprach es auch offen aus, daß man künftig keinen christlichen Minister mehr in Konstantinopel dulden sollte. Alle Gesandte seien ja doch nichts anderes, als anständige Spione, welche die Wesire verderbten und verrieten und seit langer Zeit alle Intrigen im Serail anzettelten; die in Pera und an den Handelsplätzen der Levante ansässigen Franken bedürften nur einen Konsul aber keinen Gesandten. Der Großwesir, der seine Erhebung, ja sogar sein Leben dem Günstling zu verdanken hatte, und denselben überdies fürchtete, bequemte sich um so leichter dessen Absichten an, als er sich den Russen verkauft hatte und er sich so an dem König von Schweden, der ihn hatte verderben wollen, zu rächen hoffte. Der Mufti, ein Geschöpf Ali Cumürdschis, war gleichfalls ein Sklave seines Willens; er hatte den Krieg gegen den Zaren angeraten, als der Günstling ihn wollte, er fand ihn jedoch ungerecht, sobald dieser junge Mensch seine Ansicht in dieser Richtung geändert hatte. Kaum war daher die Armee versammelt, als man Vergleichsvorschläge in Beratung zog. Der Vizekanzler Schawirow und der junge Scheremeteff, die Gesandten und Geißeln des Zaren bei der Pforte, versprachen nach langen Verhandlungen, daß der Zar seine Truppen aus Polen zurückziehen würde. Der Großwesir wußte zwar recht wohl, daß der Zar dieses Versprechen niemals ausführen würde, unterzeichnete aber gleichwohl das Abkommen und der Sultan begnügte sich mit dem Schein, als ob er den Russen Gesetze auferlegt habe, und blieb in Adrianopel. Man sah somit in weniger als sechs Monaten, wie der Frieden mit dem Zaren beschworen, wieder Krieg erklärt und dann der Frieden aufs neue festgestellt wurde.
Der Hauptartikel bei all diesen Friedensverträgen war immer die Fortschaffung des Königs von Schweden. Der Sultan wollte seine Ehre und die des türkischen Reichs nicht dadurch schädigen, daß man den König der Gefahr aussetzte, unterwegs von seinen Feinden aufgehoben zu werden. Es ward daher bestimmt, daß er fort solle, daß aber die Gesandten von Polen und Rußland für die Sicherheit seiner Person einstehen müßten. Diese Gesandten schwuren nun im Namen ihrer Herren, daß weder der Zar noch der König August der Durchreise Karls ein Hindernis in den Weg legen würden. Er dürfe aber auch seinerseits keine Bewegung in Polen veranlassen. Nachdem der Diwan so das Geschick Karls festgestellt hatte, begab sich der Seraskier von Bender, Ismael, nach Warnitza, wo der König lagerte und teilte ihm die Beschlüsse der Pforte mit, wobei er ihm in geschickter Weise zu verstehen gab, daß jetzt kein Aufschub mehr möglich sei und er fort müsse.
Karl erwiderte nur, daß der Großherr ihm eine Armee versprochen habe und keine Eskorte, und daß Fürsten ihr Wort halten müßten.
Um diese Zeit unterhielt der General Flemming, der Minister und Günstling des Königs August, einen geheimen Briefwechsel mit dem Khan der Tatarei und dem Seraskier von Bender. Der sächsische Oberst La Mare, ein französischer Edelmann, hatte mehrere Reisen von Bender nach Dresden gemacht, die alle einen verdächtigen Charakter trugen.
Der König von Schweden ließ endlich an der walachischen Grenze einen Kurier festnehmen, welcher von Flemming an den Fürsten der Tatarei ging. Die Briefe wurden Karl gebracht; man entzifferte sie und ersah daraus ein bestimmtes Einverständnis zwischen den Tataren und dem Dresdener Hofe; doch waren sie in so zweideutigen und allgemeinen Ausdrücken gehalten, daß man nicht daraus entnehmen konnte, ob König August die Türken nur der schwedischen Partei abtrünnig machen oder ob er den Khan veranlassen wollte, Karl bei dessen Rückkehr durch Polen seinen Sachsen auszuliefern.
Es ließ sich schwer denken, daß ein so großherziger Fürst wie August durch die Festnahme der Person des Schwedenkönigs das Leben seiner Gesandten und von dreihundert polnischen Edelleuten, die man als Geiseln für die Sicherheit Karls in Adrianopel behalten hatte, aufs Spiel setzen werde.
Andererseits wußte man, daß Flemming, dieser absolute Minister Augusts, sehr gewandt und sehr wenig skrupulös sei. Die dem Kurfürsten durch den König von Schweden zugefügten Beleidigungen schienen jede Rache verzeihlich zu machen; man konnte denken, daß, wenn der Dresdener Hof Karln dem Tatarenkhan abkaufte, er leicht auch die Freiheit der polnischen Geiseln der hohen Pforte werde abkaufen können.
Diese Gründe wurden zwischen dem König, seinem Geheimsekretär Müller und seinem Günstling Grothusen hin und her erwogen. Sie lasen die Briefe zu wiederholten Malen und da die fatale Lage, in welcher sie sich befanden, sie noch argwöhnischer machte, glaubten sie endlich das ärgste.
Einige Tage später wurde des Königs Verdacht durch die plötzliche Abreise eines Grafen Sapieha bestätigt, der sich zu ihm geflüchtet hatte und ihn nun jäh verließ, um nach Polen zu gehen und sich in die Arme Augusts zu werfen. Zu jeder anderen Zeit wäre ihm Sapieha nur als ein Mißvergnügter erschienen; aber unter so eigentümlichen Verhältnissen zögerte er nicht, ihn für einen Verräter zu halten. Der Umstand, daß man wiederholt in ihn drang, daß er abreisen möge, verwandelte seinen Verdacht in Gewißheit. Nachdem er sich dies einmal in den Kopf gesetzt hatte, blieb er bei seinem eigensinnigen Wesen dabei, daß man ihn verraten und seinen Feinden ausliefern wolle, obschon dieses Komplott niemals sicher erwiesen worden ist.
Er konnte sich täuschen, wenn er glaubte, die Tataren hätten seine Person an König August verhandelt; er täuschte sich aber ganz sicher, wenn er auf die Unterstützung des ottomanischen Hofs rechnete. Wie dem sei, er beschloß Zeit zu gewinnen.
Er sagte dem Pascha von Bender, er könne nicht fort, wenn er nicht vorher seine Schulden bezahlt habe; denn obschon man ihm längst sein Thaim wieder gegeben, hatte ihn seine Freigebigkeit immer genötigt, Geld zu entlehnen. Der Pascha fragte, wie viel er brauche, der König erwiderte aufs Geratewohl: tausend Beutel, oder eine Million fünfmalhunderttausend Frank in unserem Gelde. Der Pascha schrieb deshalb an die Pforte; der Sultan gewährte statt der verlangten tausend Beutel zwölfhundert und schrieb folgenden Brief an den Pascha:
»Brief des Großherrn an den Pascha von Bender.
Der Zweck dieses kaiserlichen Briefs ist, Euch zu wissen zu tun, daß auf Eure Empfehlung und Vorstellung, sowie auf die des sehr edeln Delvet Gherai, Khans Unserer hohen Pforte, Unsere kaiserliche Huld dem König von Schweden tausend Beutel bewilligt hat, welche unter Leitung und Obhut des erlauchten Mehemet Pascha, ehedem geheimen Kabinettschefs, nach Bender werden geschickt werden, um dort unter Eurer Verwahrung bis zur Abreise des Königs von Schweden, dessen Schritte Gott lenken möge, zu verbleiben und ihm dann nebst zweihundert weiteren Beuteln ausgehändigt zu werden, die Wir ihm in unserer kaiserlichen Großmut bewilligen.
Was die Straßen nach Polen betrifft, welche der König zu nehmen gesonnen ist, so werdet Ihr und der Khan, die Ihr ihn zu begleiten habt, so vorsichtige und weise Maßregeln treffen, daß während dieses Zugs weder die Truppen, welche sich unter Eurem Kommando befinden, noch die Leute des Königs von Schweden irgend einen Schaden tun oder eine Handlung unternehmen, welche als dem Frieden, der zwischen Unserer hohen Pforte und dem Königreich und Freistaat Polen herrscht, entgegenstehend angesehen werden könnten, so daß der König als Freund unter Unserem Schutze zieht.
Wenn er so tut, wie Ihr ihm ausdrücklich empfehlen werdet, soll er von seiten der Polen alle seiner Majestät schuldigen Ehren und Rücksichten genießen, wie Uns die Gesandten des Königs August und der Republik versichert haben, indem sie unter dieser Bedingung sich selbst, wie auch einige andere edele Polen, als Geiseln und Bürgschaften seines unbehelligten Durchzugs angeboten haben.
Wenn der Zeitpunkt, den Ihr mit dem sehr edeln Delvet Gherai für den Marsch ausgemacht habt, gekommen sein wird, werdet Ihr Euch an die Spitze Eurer tapferen Soldaten setzen, worunter auch die Tataren mit ihrem Khan sein werden, und den König von Schweden mit seinen Leuten zum Lande hinaus geleiten.
Also möge es dem alleinigen und allmächtigen Gotte gefallen, Eure Schritte und die ihrigen zu lenken. Der Pascha von Aulos hat während Eurer Abwesenheit Bender mit einem Korps Spahis und Janitscharen zu bewachen. Wenn Ihr Unsere Befehle und Willensmeinungen in allen diesen Punkten und Artikeln befolgt, werdet Ihr Euch der Fortdauer Unserer kaiserlichen Huld sowie der Belobungen und Belohnungen würdig machen, welche allen denen, die solche beobachten, gebühren.
Geschehen in Unserer kaiserlichen Residenz von Konstantinopel am 2. des Pferdemonats und im 1124. Jahre der Hegira.«
Während man diese Antwort des Großherrn noch erwartete, schrieb der König an die Pforte, um sich über den Verrat, dessen ihm der Khan der Tataren verdächtig schien, zu beklagen. Aber die Wege waren wohl bewacht, überdies war der Minister ihm feindselig gesinnt und so gelangten seine Briefe nicht an den Sultan. Der Wesir verhinderte sogar den französischen Gesandten Desaleurs nach Adrianopel zu gehen, wo sich die Pforte befand, weil er fürchtete, dieser Minister, der im Interesse des Königs von Schweden handelte, werde den Reiseplan stören wollen.
Karl, empört darüber, daß man ihn gewissermaßen aus dem Gebiet des Großherrn fortjagen wolle, beschloß, überhaupt nicht zu gehen.
Er hätte darum nachsuchen können, über deutsches Gebiet zurückzukehren oder sich auf dem Schwarzen Meer einzuschiffen, um dann über das Mittelländische Meer nach Marseille zu gehen; aber er zog es vor, überhaupt um nichts nachzusuchen und die Ereignisse abzuwarten.
Als die zwölfhundert Beutel angelangt waren, ging sein Schatzmeister Grothusen, der während dieser langen Zeit die türkische Sprache erlernt hatte, ohne Dolmetscher zum Pascha, um ihm die zwölfhundert Beutel abzuschwatzen und aufs neue irgend eine Intrige an der Pforte anzuzetteln, immer in der falschen Annahme, die schwedische Partei werde doch noch endlich das ottomanische Reich gegen den Zaren in Krieg verwickeln.
Grothusen sagte dem Pascha, der König könne seine Reisevorkehrungen nicht treffen ohne Geld. »Aber,« erwiderte ihm der Pascha, »wir werden ja alle Kosten eurer Abreise bestreiten; Euer Gebieter hat, so lange er sich unter dem Schutze des meinigen befindet, nichts zu bezahlen.«
Grothusen behauptete, die türkischen Reiseequipagen seien so sehr von den fränkischen verschieden, daß man sich der in Warnitza befindlichen schwedischen und polnischen Arbeiter bedienen müsse.
Er versicherte, sein Herr sei geneigt zu gehen und dieses Geld werde seine Abreise erleichtern und beschleunigen. Der allzu vertrauensvolle Pascha gab ihm die zwölfhundert Beutel. Einige Tage später kam er zum König und erbat in ehrfurchtsvollstem Tone seine Befehle wegen der Abreise. Seine Bestürzung war nicht gering, als der König ihm sagte, er sei noch nicht reisefertig und brauche noch tausend Beutel. Der Pascha war einige Zeit lang sprachlos über diese Antwort. Er trat an ein Fenster und vergoß Tränen. Dann wandte er sich wieder an den König und sprach: »Es wird mir den Kopf kosten, daß ich deiner Majestät gefällig war. Ich habe die zwölfhundert Beutel gegen den ausdrücklichen Befehl meines Herrn gegeben.« – Nach diesen Worten zog er sich in größter Betrübnis zurück.
Der König hielt ihn auf und sagte zu ihm, er werde sich bei dem Sultan entschuldigen. »Ach!« erwiderte der Türke, indem er fortging, »mein Herr kennt keine Entschuldigung, er kennt nur Strafe.«
Ismael Pascha teilte die Sache dem Khan der Tataren mit, welcher gleichfalls den Befehl erhalten hatte, nicht zu dulden, daß die zwölfhundert Beutel vor der Abreise des Königs abgegeben würden, und nun, weil er ebenfalls in die Abgabe des Geldes gewilligt hatte, wie der Pascha den Zorn des Großherrn fürchten mußte. Beide schrieben deshalb an die Pforte, und suchten sich zu rechtfertigen; sie beteuerten, daß sie die zwölfhundert Beutel nur auf das bestimmteste Versprechen eines königlichen Ministers, daß sein Herr dann ohne Verzug abreisen werde, abgegeben hätten; und baten dringend, es möchte die Weigerung des Königs nicht ihrem Ungehorsam beigemessen werden.
Karl, immer in der Meinung, der Khan und der Pascha wollten ihn seinen Feinden ausliefern, befahl seinem Gesandten beim Großherrn, Funk, gegen jene Klage zu erheben und noch tausend Beutel zu verlangen. Seine außerordentliche Freigebigkeit, sowie seine Geringschätzung des Geldes ließen ihn das Erniedrigende nicht erkennen, das in einem derartigen Begehren lag. Er stellte es übrigens nur, um eine abschlägige Antwort zu erhalten und so einen neuen Vorwand zu haben, um nicht fort zu müssen; aber man mußte doch schon aufs äußerste gebracht sein, ehe man zu derartigen Mitteln griff. Sein Unterhändler Savari, ein geschickter und unternehmender Mensch, brachte den Brief trotz der Strenge, womit der Großwesir alle Wege bewachen ließ, nach Adrianopel.
Funk sah sich somit genötigt, jene gefährliche Forderung zu stellen. Statt aller Antwort steckte man ihn ins Gefängnis. Der Sultan versammelte in seinem Zorn einen außerordentlichen Diwan und sprach selbst darin, was er sehr selten tut.
Seine Rede lautete nach der damals gefertigten Uebersetzung folgendermaßen:
»Ich kannte den König von Schweden nur durch seine Niederlage bei Pultawa und die Bitte, die er damals an mich stellte, ihm ein Asyl zu gewähren. Ich glaube nicht, daß ich ihn nötig habe, und habe auch keinen Grund ihn zu lieben oder zu fürchten. Ohne jedoch etwas anderes im Auge zu haben, als die Gastfreundschaft des Muselmans und meine Großmut, welche den Tau ihrer Gnade über die Großen wie über die Kleinen, über die Fremden wie über meine eigenen Untertanen verbreitet, habe ich ihn aufgenommen und ihn, seine Minister, seine Offiziere, seine Soldaten mit allen Bedürfnissen versehen und drei und ein halbes Jahr lang nicht aufgehört, ihn mit Geschenken zu überschütten.
Ich habe ihm eine stattliche Begleitung zugestanden, um ihn in seine Staaten zu geleiten. Er hat tausend Beutel verlangt, um einige Unkosten zu bestreiten, obschon ich selbst alles besorge; statt tausend habe ich ihm zwölfhundert Beutel gewährt. Nachdem er sie dem Seraskier von Bender abgelockt, verlangt er noch einmal tausend, und will nicht abreisen, unter dem Vorwand, seine Eskorte sei zu klein, während sie eigentlich für den Durchzug durch ein befreundetes Land viel zu groß ist.
Ich frage euch daher, ob es die Gesetze der Gastfreundschaft verletzen heißt, wenn ich diesen Fürsten heimschicke, und ob die fremden Mächte mich einer Gewalttat und Ungerechtigkeit zeihen können, wenn ich genötigt sein sollte, ihn mit Gewalt fortzuschaffen?«
Der ganze Diwan antwortete, daß der Großherr nur gerecht handle.
Der Mufti erklärte, der Muselman sei den Ungläubigen keine Gastfreundschaft schuldig, noch weniger den Undankbaren. Er gab zugleich sein Fetfa, eine Art Genehmigung, welche alle bedeutenden Verordnungen des Großherrn begleiten muß. Diese Fetfas werden wie Orakelsprüche verehrt, obschon diejenigen, von welchen sie ausgehen, nicht weniger Sklaven des Sultans sind, wie die anderen.
Der Befehl und das Fetfa wurden durch den Buyuk Imraur (Großstallmeister) und einen Schiau-Pascha (Oberhoffurier), nach Bender gebracht. Der Pascha von Bender erhielt den Befehl bei dem Khan der Tataren; er ging sofort nach Warnitza und fragte an, ob der König als Freund abreisen oder ihn zwingen wolle, den Befehlen des Sultans mit Gewalt Geltung zu verschaffen.
Diese Drohung brachte Karl XII. ganz außer sich. »Gehorche deinem Herrn, wenn du es wagst,« rief er ihm zu, »und entferne dich augenblicklich!« – Der erzürnte Pascha kehrte gegen die Sitte der Türken im Galopp zurück, wobei er Fabrice begegnete und diesem zurief: »Der König will keine Vernunft annehmen; jetzt wirst du sonderbare Dinge sehen!« – Noch am nämlichen Tage ließ er dem Könige keine Lebensmittel mehr zukommen und nahm ihm seine Janitscharenwache. Dann ließ er den Polen und Kosaken, welche sich noch zu Warnitza befanden, sagen, wenn sie Nahrungsmittel haben wollten, müßten sie das Lager des Schwedenkönigs verlassen und sich nach der Stadt Bender unter den Schutz der Pforte begeben. Alle gehorchten; dem König blieben nur noch die Offiziere seines Hauses und dreihundert schwedische Soldaten gegen zwanzigtausend Tataren und sechstausend Türken.
Es gab im Lager keine Vorräte mehr, weder für die Menschen noch für die Pferde. Der König befahl, man solle außerhalb des Lagers zwanzig jener schönen arabischen Pferde, die der Großherr ihm zum Geschenk gemacht hatte, niederschießen, wobei er bemerkte: »Ich will weder ihre Lebensmittel noch ihre Pferde.« – Es war dies ein Fest für die Tataren, welche bekanntlich das Pferdefleisch vortrefflich finden.
Mittlerweile umschlossen Türken und Tataren das kleine Lager des Königs von allen Seiten. Ohne deshalb bange zu werden, ließ dieser Fürst durch seine dreihundert Schweden regelmäßige Verschanzungen aufwerfen. Er arbeitete selbst mit daran: sein Kanzler, sein Schatzmeister, seine Sekretäre, die Kammerlakaien und alle Diener des Hauses beteiligten sich an dem Werke. Die einen verbarrikadierten die Fenster, die anderen befestigten Balken in Form von Strebepfeilern hinter die Türen.
Nachdem das Haus verbarrikadiert war und der König die Runde durch seine sogenannten Befestigungen gemacht hatte, setzte er sich ruhig mit seinem Günstling Grothusen zum Schachspiel nieder, als ob alles im tiefsten Frieden wäre. Zum Glück wohnte der holsteinische Gesandte Fabrice nicht zu Warnitza, sondern in einem kleinen Dorfe zwischen Warnitza und Bender, wo auch der englische Gesandte bei Karl, Jeffreys, residierte. Als diese beiden Minister sahen, daß der Sturm am Ausbrechen sei, boten sie sich zu Vermittlern zwischen den Türken und dem Könige an. Der Khan, besonders aber der Pascha von Bender, der keine Lust hatte diesem Monarchen Gewalt anzutun, nahmen das Anerbieten der beiden Minister mit Dank an. Sie hatten zu Bender zwei Besprechungen miteinander, denen der Serailfurier und der Großstallmeister, die den Befehl des Sultans und das Fetfa des Mufti überbracht hatten, anwohnten.
Fabrice erklärte ihnen, daß Seine schwedische Majestät allerdings triftige Gründe habe, um zu glauben, man wolle ihn seinen Feinden in Polen ausliefern. Der Khan, der Pascha und die anderen schwuren bei ihren Köpfen, und nahmen Gott zum Zeugen, daß sie einen so schändlichen Verrat aufs tiefste verabscheuten. Sie wollten, sagten sie, lieber den letzten Blutstropfen vergießen als dulden, daß man es unterwegs auch nur an Achtung gegen den König fehlen lasse. Sie hätten ja die russischen und polnischen Gesandten in der Hand, die mit ihrem Leben zahlen müßten, wenn man gegen den König von Schweden die geringste Kränkung verüben wollte. Sie beklagten sich bitter, daß der König einen so beleidigenden Verdacht gegen Personen hege, die ihn so gut aufgenommen und behandelt hätten. Obschon die Schwüre nicht selten die Sprache der Lüge sind, so ließ sich Fabrice doch durch die Türken überzeugen; er glaubte in ihren Beteuerungen jenes Wesen der Wahrheit zu erkennen, welches die Lüge immer nur in unvollkommener Weise nachzuahmen vermag. Wohl wußte er, daß zwischen dem Tatarenkhan und dem König August ein geheimer Briefwechsel bestanden habe, allein er war überzeugt, daß es sich bei diesen Verhandlungen nur darum gehandelt haben könne, Karl XII. von dem Gebiet des Großherrn zu entfernen. Mochte sich nun Fabrice hierin täuschen oder nicht, er versicherte die türkischen Würdenträger, daß er dem Könige das Ungerechte seines Mißtrauens vorstellen wolle. »Aber,« setzte er hinzu, »wollt Ihr ihn denn wirklich mit Gewalt forttreiben?« – »Ja,« erwiderte der Pascha, »so lautet der Befehl unseres Herrn.« – Nun bat sie Fabrice nochmals ernstlich zu überlegen, ob dieser Befehl sie auch ermächtige, das Blut eines gekrönten Hauptes zu vergießen. – »Allerdings,« versetzte der Khan wütend, »wenn dieses gekrönte Haupt dem Großherrn auf dem Boden seines Reiches den Gehorsam verweigert.«
Da mittlerweile alles zum Sturme bereit war, wobei der Tod Karls XII. unvermeidlich erschien, während doch der Befehl des Sultans nicht gerade bestimmt aussprach, daß man ihn im Falle des Widerstandes töten solle, so beredete der Pascha den Khan, daß noch einmal ein Eilbote an den Großherrn nach Adrianopel geschickt wurde, um den letzten Befehl Seiner Hoheit einzuholen.
Sobald Jeffreys und Fabrice diesen kurzen Aufschub erlangt hatten, eilten sie zum König und benachrichtigten ihn davon. Sie kamen mit dem Eifer von Leuten, welche eine glückliche Nachricht bringen, wurden jedoch sehr kalt empfangen. Der König nannte sie freiwillige Unterhändler und behauptete, der Befehl des Sultans und das Fetfa des Mufti seien gefälscht, sonst hätte man nicht um neue Verhaltungsbefehle an die Pforte schicken müssen.
Darauf hin zog sich der englische Minister zurück; er hatte es satt, sich weiter mit den Angelegenheiten eines so starrsinnigen Fürsten zu befassen. Fabrice dagegen, den der König liebte, und der besser als der englische Gesandte an dessen Launen gewöhnt war, blieb bei ihm und beschwor ihn, nie wieder ein so kostbares Leben bei einem so nichtigen Anlaß aufs Spiel zu setzen.
Statt aller Antwort zeigte ihm der König seine Verschanzungen und bat ihn seine Vermittlung nur in der Richtung ins Leben treten zu lassen, daß er ihm Lebensmittel verschaffe. Man schlug es leicht bei den Türken heraus, daß sie so lange Vorräte in das Lager des Königs gelangen ließen, bis der Kurier von Adrianopel zurück wäre. Der Khan selbst hatte seinen plünderungssüchtigen Tataren befohlen, bis auf neuen Befehl nichts gegen die Schweden zu unternehmen; so daß Karl XII. bisweilen mit vierzig Reitern das Lager verließ und mitten durch die tatarischen Truppen sprengte, die ihm ehrerbietigst freie Bahn ließen. Er ging sogar geradezu auf sie los, wobei sie weit entfernt ihm Widerstand zu leisten, ihre Reihen vor ihm öffneten.
Endlich kam der Befehl vom Großherrn, alle Schweden, welche den geringsten Widerstand leisten würden, über die Klinge springen zu lassen und das Leben des Königs selbst nicht zu schonen. Der Pascha hatte die Gefälligkeit, Fabrice diesen Befehl zu zeigen, damit er bei Karl einen letzten Versuch mache. Fabrice machte diesem sofort die traurige Meldung. »Habt Ihr den Befehl gesehen, von dem Ihr sprecht?« fragte der König. – »Ja,« erwiderte Fabrice. – »Nun gut, so sagt ihnen von mir aus, daß dies ein zweiter Befehl sei, den sie unterschoben haben, und daß ich nicht abreisen werde.« – Fabrice warf sich ihm zu Füßen, wurde zuletzt selbst aufgebracht und warf ihm seinen Eigensinn vor. Alles war umsonst. »Kehrt zu Euern Türken zurück,« sagte der König lächelnd zu ihm: »sie sollen mich nur angreifen, ich werde mich schon zu verteidigen wissen.« Auch die Kapläne des Königs warfen sich ihm zu Füßen und beschworen ihn, jene unglücklichen Ueberreste von Pultawa und besonders seine eigene geheiligte Person nicht einem sicheren Verderben auszusetzen. Sie führten ihm zu Gemüte, daß ein solcher Widerstand ein Unrecht sei, daß er die Rechte der Gastfreundschaft verletze, wenn er mit Gewalt bei Fremden bleiben wolle, die ihn so lange und auf eine so großmütige Weise unterstützt hätten. Der König, der gegenüber von Fabrice nicht zornig geworden war, wurde es gegen seine Geistlichen und sagte ihnen, er habe sie mitgenommen, um Gebete zu sprechen, nicht um ihm ihre Ansichten zu sagen.
Die Generale Hord und Dahldorf, welche stets gegen einen Kampf gewesen waren, dessen Ausgang nur ein unseliger sein konnte, zeigten dem Könige ihre in seinem Dienst erhaltenen zahlreichen Wunden und beteuerten ihm, daß sie bereit seien, für ihn zu sterben, aber er möchte doch einen Anlaß abwarten, wo dies nötiger wäre. – »Aus euern und meinen Wunden ersehe ich, daß wir tapfer zusammen gekämpft haben,« gab ihnen Karl XII. zur Antwort. »Ihr habt bis jetzt eure Pflicht getan, ihr müßt sie aber auch heute tun.« – Jetzt konnte man nur noch gehorchen; ein jeder schämte sich, dem Tod an der Seite des Königs auszuweichen. Dieser Fürst glaubte sich so gut gegen einen Sturm vorbereitet, daß er im geheimen ein Vergnügen und eine Ehre darin fand, mit dreihundert Schweden einer ganzen Armee Trotz zu bieten. Er wies einem jeden seinen Posten an; sein Kanzler Müller, der Sekretär Ehrenpreiß und die Schreiber sollten die Kanzlei verteidigen; dem Baron Fies an der Spitze der Küchenoffizianten war ein anderer Posten angewiesen; die Stallknechte hatten wieder einen anderen Ort zu hüten, denn bei ihm war jeder Soldat. Er eilte zu Pferd von seinen Schanzen nach seinem Hause, versprach jedem Belohnungen, ernannte Offiziere und versprach die geringsten Diener zu Kapitäns zu befördern, wenn sie mit Mut kämpfen würden.
Bald sah man die Armee der Türken und Tataren mit zehn Kanonen und zwei Mörsern zum Angriff der kleinen Schanze anrücken. Die Roßschweife flatterten durch die Luft, die Trompeten erschallten, von allen Seiten ertönte das Allahgeschrei. Der Baron von Grothusen machte dabei die Bemerkung, daß die Türken keine Schmähung gegen den König in ihre Rufe mischten und daß sie ihn nur Demirbash, den Eisenkopf, nannten. Alsbald faßt er den Entschluß, allein, ohne Waffen aus den Schanzen vorzutreten. Er ging auf die Reihen der Janitscharen los, die fast alle Geld von ihm erhalten hatten. »Wie, meine Freunde!« rief er ihnen in dem geeigneten Tone zu, »ihr wollt dreihundert waffenlose Schweden niedermetzeln? Ihr tapferen Janitscharen, die ihr fünfzigtausend Russen Gnade geschenkt habt, als sie euch ihr Amman (Gnade) zuriefen! Habt ihr die Wohltaten ganz vergessen, die ihr von uns erhalten habt? Wollt ihr diesen großen Schwedenkönig, den ihr so sehr liebt und der euch so viele Geschenke gemacht hat, dafür umbringen? Liebe Freunde, er verlangt ja nur drei Tage und die Befehle des Sultans sind nicht so strenge, als man euch glauben machen will.«
Diese Worte hatten eine größere Wirkung, als Grothusen selbst erwartet hatte. Die Janitscharen schwuren bei ihren Bärten, sie würden den König nicht angreifen, sie gewährten ihm die drei Tage, die er verlangte. Vergebens gab man das Signal zum Sturm, die Janitscharen, weit entfernt zu gehorchen, drohten sich auf ihre Führer zu werfen, wenn man dem Schwedenkönig nicht drei Tage verwillige. Sie drangen tumultuarisch vor das Zelt des Pascha von Bender und schrien, die Befehle des Sultans seien gefälscht. Diesem unerwarteten Aufruhr wußte der Pascha nur Geduld entgegenzusetzen.
Er tat, als ob er mit dem edelmütigen Beschlusse der Janitscharen ganz einverstanden sei und befahl ihnen, nach Bender zurück zu marschieren. Der Tatarenkhan, ein heftiger Charakter, wollte indessen mit seinen Truppen sofort zum Sturm schreiten, aber der Pascha, den durchaus nicht danach verlangte, den Tataren die Ehre zu lassen, den König gefangen zu nehmen, während der Ungehorsam seiner Janitscharen vielleicht an ihm selbst geahndet würde, redete dem Khan zu, noch bis zum anderen Tage zu warten.
Sobald der Pascha nach Bender zurückgekehrt war, versammelte er alle Offiziere der Janitscharen und die ältesten Soldaten; er las ihnen den bestimmten Befehl des Sultans und den Fetfa des Mufti vor und zeigte ihnen beide. Sechzig der ältesten Janitscharen mit ehrwürdigen weißen Bärten, die schon zahllose Geschenke aus den Händen des Königs erhalten hatten, machten darauf von selbst den Vorschlag, sie wollten gehen und ihn bitten, daß er sich ihren Händen anvertraue und gestatte, daß sie ihm als Leibwache dienten.
Der Pascha erlaubte es. Lieber wollte er jedes Mittel versuchen als diesen Fürsten töten lassen. Jene sechzig alte Bursche gingen also am anderen Morgen nach Warnitza, mit nichts bewaffnet als ihren langen weißen Stäben, welche die Janitscharen immer tragen, wenn sie nicht zum Gefechte gehen; denn die Türken halten die Gewohnheit der Christen, auch im Frieden Waffen zu tragen und zu Freunden und sogar in die Kirchen bewaffnet zu kommen, für eine Barbarei. Sie wendeten sich zunächst an den Baron von Grothusen und den Kanzler Müller, sie sagten denselben, sie kämen, um dem König als treue Garden zu dienen. Wenn er wolle, würden sie ihn nach Adrianopel führen, wo er selbst mit dem Großherrn sprechen könne. Während sie diesen Vorschlag machten, las der König Briefe, die von Konstantinopel kamen, und die Fabrice, der ihn nicht mehr sprechen durfte, durch einen Janitscharen ihm insgeheim hatte zustellen lassen. Sie kamen vom Grafen Poniatowski, welcher ihm weder zu Bender noch zu Adrianopel an die Hand gehen konnte, da er seit der unverschämten Forderung der tausend Beutel auf Befehl der Pforte in Konstantinopel zurückgehalten wurde. Er meldete dem König, daß die Befehle des Sultans, seine königliche Person in Haft zu nehmen oder umzubringen, falls er sich zur Wehr setze, nur zu sehr existierten; daß der Sultan allerdings durch seine Minister getäuscht worden sei, daß er aber, je mehr er in dieser Sache in Täuschung befangen sei, desto hartnäckiger darauf bestände, daß man ihm gehorche. Man müsse deshalb den Verhältnissen Rechnung tragen und sich in das Unvermeidliche fügen. Er nähme sich die Freiheit, dem Könige den Rat zu erteilen, daß er bei den Ministern auf dem Wege der Unterhandlungen sein Heil versuche; er solle doch ja nicht Starrsinn zeigen, wo nur Nachgiebigkeit etwas helfen könne, und möge von der Politik und der Zeit das Heilmittel gegen ein Uebel erwarten, welches Gewalttätigkeit nur unheilbar machen könne.
Aber weder die Vorschläge der alten Janitscharen noch die Briefe Poniatowskis vermochten den König zu überzeugen, daß er nachgeben könne, ohne eine Schmach zu begehen. Er wollte lieber von der Hand der Türken sterben, als in irgend einer Form ihr Gefangener sein. Er schickte daher die Janitscharen zurück, ohne sie nur vorzulassen, und ließ ihnen sagen, wenn sie nicht gingen, lasse er ihnen den Bart scheren, was im Orient die größte aller Beleidigungen ist. Die alten Leute waren außer sich vor Unwillen hierüber und gingen mit dem Rufe: »O der Eisenkopf! wenn er zugrunde gehen will, so soll er zugrunde gehen!« – Sie berichteten dem Pascha über den Mißerfolg ihrer Sendung und teilten auch ihren Kameraden in Bender mit, auf welch sonderbare Art sie empfangen worden seien. Alle schwuren darauf, den Befehlen des Paschas ohne Verzug Gehorsam leisten zu wollen und zeigten nun ebensoviel Eifer den Sturm zu unternehmen, als sie am Tage vorher Unlust gehabt hatten. Alsbald wurde auch der Befehl zum Angriff erteilt: die Türken rückten gegen die Schanzen, wo die Tataren bereits ihrer warteten, und die Kanonen eröffneten das Feuer.
Die Janitscharen auf der einen, die Tataren auf der anderen Seite nahmen im Nu das kleine Lager. Kaum zwanzig Schweden zogen dabei den Degen, die dreihundert Mann wurden umzingelt und ohne Widerstand zu Gefangenen gemacht. Der König befand sich um diese Zeit mit den Generalen Hord, Dahldorf und Sparre zu Pferd zwischen seinem Hause und seinem Lager.
Als er sah, daß sich seine Soldaten in seiner Gegenwart gefangen nehmen ließen, sagte er kaltblütig zu diesen drei Offizieren: »Gehen wir und verteidigen wir das Haus. Wir werden heute pro aris et focis kämpfen,« setzte er lächelnd hinzu.
Sofort galoppierte er mit ihnen nach jenem Hause, wo er etwa vierzig Diener als Schildwachen aufgestellt hatte, und das nach Kräften befestigt worden war.
So sehr diese Generale an die starrsinnige Unerschrockenheit ihres Herrn gewöhnt waren, konnten sie ihm doch ihre Bewunderung nicht versagen, als er sich so mit kaltem Blute und scherzend anschickte, zehn Geschützen und einer ganzen Armee die Stirne zu bieten. Sie folgten ihm mit einigen Gardisten und Dienern, im ganzen etwa zwanzig Personen.
Als sie aber an der Türe anlangten, fanden sie dieselbe bereits von den Janitscharen belagert. Schon waren sogar bei zweihundert Türken und Tataren durch ein Fenster eingedrungen und hatten sich aller Zimmer bemeistert, mit Ausnahme eines großen Saals, wohin sich die königlichen Diener zurückgezogen hatten. Dieser Saal lag zum Glück in der Nähe der Türe, durch welche der König mit seinem kleinen Gefolge von zwanzig Personen eindringen wollte. Er sprang vom Pferde, und ergriff Pistole und Degen, sein Gefolge folgte seinem Beispiel.
Die Janitscharen fielen von allen Seiten über ihn her; sie waren durch das Versprechen des Paschas, jedem acht Dukaten zahlen zu wollen, der bei der Gefangennehmung des Königs auch nur dessen Rock berührt haben würde, noch mehr angespornt. Er verwundete oder tötete aber alle, die sich ihm näherten. Ein Janitschar, den er verwundet hatte, richtete bereits seine Flinte gegen das Gesicht des Königs. Wenn der Arm des Türken nicht eine Bewegung infolge des Drängens der Menge gemacht hätte, die wie Wellen heran und zurück wogte, so war es um jenen geschehen. Die Kugel streifte seine Nase, nahm ihm ein Stück vom Ohr hinweg und zerschmetterte dem General Hord, der stets das Geschick hatte, an der Seite seines Herrn verwundet zu werden, den Arm.
Der König stieß dem Janitscharen den Degen in den Leib; zu gleicher Zeit öffneten ihm seine Diener, die sich in den großen Saal eingeschlossen hatten, die Tür. Der König sprang wie der Blitz hinein, seine kleine Truppe folgte. Die Türe wurde alsbald wieder verschlossen und mit allem, was man eben fand, verbarrikadiert. So war denn Karl XII. mit seiner ganzen Schar, die aus nahezu sechzig Mann bestand, Offizieren, Gardisten, Sekretären, Kammerdienern und Dienern jeder Sorte, in diesen Saal eingeschlossen.
Die Janitscharen und Tataren plünderten das übrige Haus und füllten die Zimmer. »Kommt, wir wollen diese Barbaren ein wenig hinausjagen,« sagte der König, setzte sich an die Spitze seiner Leute und öffnete selbst diejenige Tür des Saales, welche in sein Schlafzimmer führte. Er trat ein und gab Feuer auf die Plünderer.
Die mit Beutestücken beladenen Türken erschraken über die plötzliche Erscheinung des Königs, den sie gewöhnt waren zu respektieren, warfen die Waffen weg und sprangen durch das Fenster oder flüchteten in den Keller. Der König benutzte die Verwirrung und seine Leute, durch den Erfolg begeistert, verfolgen nun die Türken von Zimmer zu Zimmer, töten oder verwunden alle, welche nicht fliehen und säubern in Zeit von einer Viertelstunde das Haus von Feinden.
In der Hitze des Gefechts bemerkte der König zwei Janitscharen, die sich unter sein Bett verborgen hatten; er stieß den einen nieder, der andere schrie Amman und bat um Gnade. »Ich schenke dir das Leben,« sagte der König zu dem Türken, »unter der Bedingung, daß du dem Pascha getreulich erzählst, was du gesehen hast.« – Der Türke versprach das gern und man gestattete ihm nun, wie die übrigen aus dem Fenster zu springen.
Als die Schweden endlich Herren des Hauses waren, verschlossen und verbarrikadierten sie alle Fenster. Es fehlte ihnen nicht an Waffen: ein Zimmer im unteren Stockwerk, das voll Gewehre und Munition steckte, war den tumultuarischen Nachforschungen der Janitscharen entgangen. Das kam den Schweden nun zustatten, sie schossen aus den Fenstern in nächster Nähe auf die Masse der Türken, von denen sie in weniger als einer Viertelstunde zweihundert töteten.
Jetzt beschossen diese das Haus mit Kanonen; da die Steine aber sehr weich waren, gab es nur Löcher, ohne daß etwas einfiel.
Da der Tatarenkhan und der Pascha den König gern lebendig gefangen hätten und sich doch schämten, so viele Leute dabei zu verlieren und mit einer ganzen Armee sechzig Personen zu Leibe gehen zu müssen, beschlossen sie das Haus in Brand zu stecken, um den König so zur Uebergabe zu zwingen. Sie ließen also Pfeile mit angezündeten Lunten daran gegen Dach, Türen und Fenster schießen. In einem Augenblick stand das Haus in Flammen. Das glühende Dach war schon im Begriff auf die Schweden herabzustürzen. Da gab der König ruhig seine Befehle zum Löschen der Flammen. Er hatte ein kleines Faß mit Flüssigkeit gefunden, ergriff es nun selbst und schleuderte es, unterstützt von zwei Schweden an den Ort, wo das Feuer am heftigsten war. Dieses Faß war zufällig mit Branntwein gefüllt; aber in der Eile und Aufregung des Augenblicks dachte man nicht daran. Jetzt wüteten natürlich die Flammen mit erneuerter Kraft und verzehrten das Zimmer des Königs. Der große Saal, in welchem die Schweden sich bisher hielten, war mit einem furchtbaren Rauche angefüllt, in den sich Flammensäulen mischten, die durch die Türen der Nebenzimmer hereinzuckten. Die Hälfte des Daches stürzte in das Haus, die andere darüber hinaus und zerstob in Flammen.
In dieser äußersten Not schrie ein Gardist namens Walberg, man müsse sich jetzt ergeben. »Sonderbarer Kautz!« rief der König, »Er weiß nicht, daß verbrennen besser ist als gefangen werden!« – Ein anderer Gardist namens Rosen bemerkte nun, das Haus der Kanzlei, welches nur fünfzig Schritte entfernt lag, habe ein steinernes Dach und sei somit feuerfest. Man sollte einen Ausfall machen, dieses Haus zu erreichen suchen und sich aufs neue verteidigen. »Das ist ein echter Schwede!« rief der König. Er umarmte den Gardisten und ernannte ihn auf der Stelle zum Obersten. »Vorwärts, meine Freunde,« rief er dann, »nehmt so viel Pulver und Blei mit euch, als ihr könnt. Dann wollen wir mit dem Degen in der Hand die Kanzlei erobern.«
Die Türken, welche das in Flammen stehende Haus umgaben, gewahrten halb mit Bewunderung, halb mit Entsetzen, daß die Schweden sich nicht anschickten, es zu verlassen. Ihr Erstaunen stieg aber aufs höchste, als sie sahen wie die Tore sich öffneten und der König mit den Seinigen wie Verzweifelte gegen sie stürzten. Karl und seine Offiziere waren mit Degen und Pistolen bewaffnet; jeder tat mit dem Aufgehen der Türe zwei Schuß, dann warfen sie die Pistolen weg, griffen zu den Degen und trieben die Türken über fünfzig Schritte weit zurück. Aber einen Augenblick später sah sich die kleine Abteilung umzingelt. Der König, der nach seiner Gewohnheit gestiefelt war. verwickelte sich mit seinen Sporen und fiel. Einundzwanzig Janitscharen warfen sich sofort über ihn; er warf seinen Degen in die Luft, um so des Schmerzes überhoben zu sein, ihn abgeben zu müssen. Die Türken schleppten ihn nach dem Quartier des Pascha, wobei ihn die einen an den Beinen, die anderen unter den Armen hielten wie einen Kranken, den man zu belästigen fürchtet.
Sobald sich der König ergriffen sah, machte die Heftigkeit seines Wesens und die Wut, in die ihn der lange und furchtbare Kampf versetzt hatte, der Sanftmut und Ruhe Platz. Es entschlüpfte ihm kein Wort der Ungeduld, kein Blick des Zornes. Lächelnd sah er auf die Janitscharen, die ihn unter Allahrufen und in einem mit Hochachtung gemischtem Ingrimme forttrugen. Zugleich wurden auch seine Offiziere gefangen und von den Türken und Tataren ausgeplündert. Es war der 12. Februar 1713, als dieses merkwürdige Ereignis stattfand, welches weitere merkwürdige Folgen hatte.