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Merkwürdige und plötzliche Umwandlung im Charakter Karls XII. Mit achtzehn Jahren bekriegt er Dänemark, Polen und Rußland, beendet den Krieg mit Dänemark in sechs Wochen, schlägt mit achttausend Schweden achtzigtausend Russen und fällt in Polen ein. Schilderung Polens und seiner Regierung. Karl gewinnt mehrere Schlachten und macht sich zum Herrn von Polen, wo er sich anschickt, einen König einzusetzen.
So bedrohten also drei mächtige Fürsten die Jugend Karls XII. Die Gerüchte von feindlichen Kriegsvorbereitungen verbreiteten Schrecken in Schweden und Bestürzung im Staatsrat. Die großen Generale von ehedem waren tot; man hatte Grund, unter einem jungen König, der bis dahin nur einen übeln Eindruck hervorgebracht hatte, alles zu fürchten. Er tat im Staatsrat fast nichts, als daß er die Beine unter dem Tische kreuzte; zerstreut, gleichgültig, schien er an nichts Anteil zu nehmen.
Der Staatsrat beriet in seiner Gegenwart über die Gefahr, in der man sich befand; einige Räte machten den Vorschlag, den Sturm durch Verhandlungen abzuwenden; plötzlich erhebt sich der junge Fürst mit der ernsten und sichern Miene des höhern Menschen, der seinen Entschluß gefaßt hat. – »Meine Herren,« sprach er, »ich bin entschlossen, niemals einen ungerechten Krieg zu führen, einen gerechten aber auch erst dann zu beendigen, wenn ich meine Feinde vernichtet habe. Mein Entschluß ist gefaßt: ich werde den ersten angreifen, der sich gegen mich erklärt; und wenn ich ihn besiegt habe, hoffe ich den andern einige Furcht einzujagen.« – Diese Worte setzten alle diese alten Räte in Staunen; sie sahen sich an und wagten nichts zu erwidern. Endlich, überrascht einen solchen König zu besitzen, schämten sie sich, weniger zu hoffen als er und nahmen mit Bewunderung seine Befehle in betreff des Kriegs entgegen.
Die Ueberraschung wurde aber noch größer, als man sah, wie er plötzlich auf die unschuldigsten Vergnügungen der Jugend verzichtete. Von dem Augenblick an, wo er sich auf den Krieg vorbereitete, begann er ein ganz neues Leben, von dem er keinen Augenblick mehr abwich. Voll von dem Gedanken an Alexander und Cäsar, beschloß er diese beiden Eroberer in allem nachzuahmen, nur nicht in ihren schlechten Eigenschaften. Er wollte nichts mehr wissen von Pracht, von Spiel, von Vergnügen; sein Tisch wurde von da an der mäßigste, den man sich denken konnte. Er hatte reiche Kleider geliebt, von da an kleidete er sich wie ein gemeiner Soldat. Man hatte ihn im Verdacht, eine Leidenschaft für eine Dame seines Hofes zu empfinden; mochte dies nun wahr sein oder nicht, gewiß ist, daß er von da an den Frauen für immer entsagte, nicht nur aus Furcht von ihnen gegängelt zu werden, sondern auch um seinen Soldaten, die er in der strengsten Disziplin erhalten wollte, ein Beispiel zu geben. Vielleicht tat er es auch, weil ihm der Gedanke schmeichelte, der einzige aller Könige zu sein, der eine so schwer zu überwindende Neigung künftig bezähmte. Er beschloß ferner, sich alles Weines zu enthalten. Die einen versicherten mich, er habe diesen Entschluß gefaßt, um eben seine Natur vollständig zu bezwingen und seinem Heroismus eine neue Tugend beizufügen. Die meisten aber behaupteten, er habe sich diese Enthaltsamkeit als Strafe für eine Ausschweifung und die Beschimpfung, die er in diesem Zustand einer Dame bei Tische in Gegenwart der Königin, seiner Mutter, zufügte, auferlegt. Wenn dies der Fall ist, so erscheint diese Verurteilung seiner selbst und die Entbehrung, die er sich damit sein ganzes Leben lang auferlegte, nicht weniger großartig und bewunderungswürdig.
Er begann damit, den Herzog von Holstein, seinen Schwager, seines Beistands zu versichern, und schickte einstweilen achttausend Mann in das benachbarte Pommern, um den Herzog vor den Angriffen der Dänen zu decken. Der Herzog bedurfte dieser Hilfe in der Tat. Bereits hatten die Dänen seine Staaten verheert, sein Schloß Gottorp genommen und belagerten nun nachdrücklichst seine Stadt Tönningen, wohin sich der König von Dänemark in Person begeben hatte, um einer Eroberung, die er für ganz sicher hielt, anzuwohnen. Dieser Funke drohte das ganze deutsche Reich in Flammen zu setzen. Von der einen Seite rückten die sächsischen Truppen des Königs von Polen, die Heere von Brandenburg, Wolfenbüttel und Hessen-Kassel heran, um sich mit den Dänen zu vereinigen. Von der anderen kamen die achttausend Mann des Königs von Schweden, die Truppen von Hannover und Celle, sowie drei holländische Regimenter dem Herzog zu Hilfe. Während so das kleine Holstein zum Kriegsschauplatz wurde, erschien eine englische und eine holländische Flotte in der Ostsee. Diese beiden Staaten waren die Garanten des von den Dänen gebrochenen Vertrags von Altona; England und die Generalstaaten beeilten sich übrigens damals hauptsächlich deshalb dem Herzog von Holstein beizuspringen, weil ihr Handelsinteresse sich der Vergrößerung und Stärkung Dänemarks entgegenstellte. Sie wußten, daß die Dänen als Herren der Durchfahrt des Sunds den handeltreibenden Nationen schwere Lasten auferlegen würden, sobald sie stark genug sein würden, um dies ungestraft tun zu können. Dieses Interesse hat England und Holland lange Zeit bestimmt, so viel an ihnen lag, ein gewisses Gleichgewicht der Macht unter den Fürsten des Nordens zu erhalten. Sie schlossen sich deshalb jetzt dem jungen König von Schweden an, da es aussah, als müsse er von so vielen Feinden erdrückt werden, und unterstützten ihn somit ganz aus dem gleichen Grunde, aus welchem man ihn angriff, nämlich weil sie glaubten, er sei nicht imstande sich zu verteidigen.
Er war auf der Bärenjagd, als er die Nachricht von dem Einfall der Sachsen in Livland erhielt; er hielt diese Jagd auf eine ebenso neue als gefährliche Art ab. Man bediente sich keiner anderen Waffen als gabelartiger Stöcke hinter einem an Bäumen ausgespannten Netze. Ein Bär von ungewöhnlicher Größe ging einmal gerade auf den König los, der ihn nach einem langen Kampfe mittels des Netzes und seines Stockes zu Boden schlug. Wenn man von derartigen Abenteuern oder der wunderbaren Stärke des Königs August und den Reisen des Zaren hört, möchte man sich in die Zeiten eines Herkules und Theseus zurückversetzt glauben.
Am 8. Mai 1700 brach er zu seinem ersten Feldzug auf. Er verließ Stockholm, wohin er nie wieder zurückkehrte. Eine zahllose Menge Volkes begleitete ihn bis zum Hafen von Karlskrona. Die guten Wünsche dieses Volkes, seine Tränen und seine Bewunderung gingen mit ihm. Ehe Karl Schweden verließ, setzte er einen aus mehreren Senatoren gebildeten Verteidigungsrat in Stockholm ein. Diese Kommission sollte für alles sorgen, was die Flotte, die Landarmee und die Landesbefestigung betraf. Der ganze Senat sollte die übrigen Angelegenheiten im Innern des Reichs in provisorischer Weise leiten. Nachdem er so eine gewisse Ordnung für sein Land geschaffen, beschäftigte sich sein von jeder anderen Sorge befreiter Geist nur noch mit dem Kriege. Seine Flotte bestand aus dreiundvierzig Schiffen: dasjenige welches er selbst bestieg, »Der König Karl,« war das größte, was man jemals gesehen hatte und trug hundertzwanzig Kanonen. Der Graf Piper, sein erster Minister, und der General Rehnsköld schifften sich mit ihm ein. Bald traf er mit der Flotte der Alliierten zusammen. Die dänische Flotte wich dem Kampfe aus und ließ die drei vereinigten Geschwader sich Kopenhagen soweit nähern, daß sie einige Bomben hineinwerfen konnten.
Es ist notorisch, daß der König selbst es war, der dann dem General Rehnsköld den Vorschlag machte zu landen und Kopenhagen von der Landseite zu belagern, während es von der Seeseite blokiert würde. Rehnsköld war erstaunt, wie ein junger Fürst ohne Erfahrung auf einen Plan kommen konnte, der von ebensoviel Einsicht wie Mut zeugte. Bald war alles für die Landung bereit; es wurde Befehl gegeben, fünftausend Mann einzuschiffen, die an der schwedischen Küste kantonierten, und die sich nun mit den an Bord befindlichen Truppen vereinigten. Der König verließ sein großes Schiff und bestieg eine leichtere Fregatte. Man begann damit, dreihundert Grenadiere in kleinen Schaluppen vorgehen zu lassen. Zwischen diesen Schaluppen schwammen kleine flache Boote, welche Faschinen, spanische Reiter und das Handwerkszeug der Pioniere trugen. Fünfhundert Mann Eliten folgten in anderen Schaluppen; dann kamen die Kriegsschiffe des Königs nebst zwei englischen und zwei holländischen Fregatten, welche mit ihren Geschützen die Landung decken sollten.
Die Hauptstadt Dänemarks, Kopenhagen, liegt auf der Insel Seeland in einer schönen Ebene südöstlich vom Sund und westlich von der Ostsee, wo eben der Schwedenkönig lag. Bei der unerwarteten Bewegung der Schiffe, die eine Landung besorgen ließ, sahen sich die über die Untätigkeit ihrer eigenen Flotte bestürzten Einwohner voll Angst um, an welchem Orte wohl der Orkan losbrechen würde. Die Flotte Karls hielt gegenüber Humblebek, sieben Meilen von Kopenhagen. Alsbald sammelten die Dänen dort ihre Reiterei. Milizen wurden hinter dicke Brustwehren gestellt und die Geschütze, die man dahin zu schleppen vermochte, gegen die Schweden gekehrt.
Jetzt verließ der König seine Fregatte, um sich in die erste Schaluppe an die Spitze seiner Garden zu begeben. Der französische Gesandte war in seiner Umgebung. »Herr Gesandter,« sagte er in lateinischer Sprache zu ihm, denn er wollte niemals französisch sprechen, »Ihr habt nichts bei den Dänen zu schaffen. Ihr werdet daher so gut sein und nicht weiter vorgehen.« – »Sire,« erwiderte der Graf Guiscard auf französisch, »der König, mein Herr, hat mir befohlen in der Umgebung Eurer Majestät zu bleiben. Ich schmeichle mir, daß Ihr mich gerade heute, wo Euer Hof am glänzendsten ist, nicht davon fort weisen werdet.« – Mit diesen Worten bot er dem König die Hand, der in die Schaluppe sprang, in welche dann auch der Graf Piper und der Gesandte stiegen. Unter dem Schutze der Schiffsgeschütze, welche die Landung deckten, rückte man weiter vor. Die Landungsboote waren jetzt noch dreihundert Schritt vom Ufer entfernt. Karl XII., dem es zu lange dauerte, bis er ans Land kam, warf sich jetzt mit dem Degen in der Faust von der Schaluppe ins Meer, wobei ihm das Wasser bis an den Gürtel reichte. Seine Minister, der französische Gesandte, die Offiziere und Soldaten folgten sofort seinem Beispiel und näherten sich dem Ufer trotz einem Hagel von Musketenkugeln. Der König, welcher in seinem Leben noch nie Kugeln hatte pfeifen hören, fragte den Generalquartiermeister Stuart, der sich neben ihm befand, was das für ein leises Pfeifen sei, das er um seine Ohren vernehme. »Das ist das Geräusch der Flintenkugeln, die man auf uns abschießt,« erwiderte der Generalquartiermeister. – »Gut,« sagte der König, »so soll dies künftig meine Musik sein.« – In demselben Augenblick erhielt der Quartiermeister, der das Getöse der Musketenkugeln erklärt hatte, einen Schuß in die Schulter und ein Leutnant fiel tot neben dem König nieder. Truppen, welche sich hinter Schanzen angreifen lassen, werden in der Regel geschlagen, weil diejenigen, welche angreifen, immer von einem Ungestüm beseelt sind, den diejenigen nicht haben können, die sich nur verteidigen, und weil das Erwarten des Feindes hinter Schanzen oft ein Bekenntnis der eigenen Schwäche und der Ueberlegenheit des Gegners ist. Die dänische Reiterei und die Milizen flohen nach einem schwachen Widerstande. Sobald der König Herr der Schanzen war, warf er sich auf die Kniee, um Gott für diesen ersten Erfolg seiner Waffen zu danken. Alsbald ließ er Redouten gegen die Stadt aufwerfen und steckte selbst ein Lager ab. Zugleich schickte er seine Schiffe nach Schonen, dem Kopenhagen nächstgelegenen Teil Schwedens, um von dort neuntausend Mann Verstärkung zu holen. Alles traf zusammen, um Karls Ungeduld zu begünstigen. Die neuntausend Mann standen zur Einschiffung bereit an der Küste und schon am folgenden Tage führte ein günstiger Wind sie ihm zu.
Alles das geschah angesichts der dänischen Flotte, die es nicht gewagt hatte, heranzukommen. Kopenhagen war so eingeschüchtert, daß es Abgeordnete an den König schickte, um ihn anzuflehen, daß er die Stadt nicht bombardieren möchte. Er empfing sie zu Pferd an der Spitze seines Garderegiments. Die Abgeordneten warfen sich vor ihm auf die Kniee. Er legte der Stadt eine Kontribution von viermalhunderttausend Reichstalern auf und befahl, daß man seinem Lager alle Arten Lebensmittel zuführen solle, die er pünktlich zu bezahlen versprach. Man brachte die Lebensmittel, da man ja doch gehorchen mußte, erwartete jedoch nicht, daß die Sieger sich zu einer Bezahlung herbeilassen würden. Die Bringer der Vorräte waren daher nicht wenig erstaunt, als sie selbst von dem geringsten Soldaten sofort auf das Anständigste bezahlt wurden. Seit langer Zeit herrschte in der schwedischen Armee eine Disziplin, welche nicht wenig zu ihren Siegen beigetragen hatte; der junge König verschärfte sie noch. Er wollte ferner, daß nach einem Siege seine Truppen die Toten nicht früher ausplündern sollten, als bis die Erlaubnis hierzu erteilt war; und brachte es mit Leichtigkeit dahin, daß dieser Befehl befolgt wurde. Zweimal täglich wurde in seinem Lager gebetet: um sieben Uhr morgens und um vier Uhr abends. Niemals vergaß er sich dabei einzufinden und seinen Soldaten das Beispiel einer Frömmigkeit zu geben, die immer Eindruck auf die Menschen macht, wenn sie keine Heuchelei darunter wittern. In seinem Lager, wo eine größere Ordnung herrschte als in Kopenhagen, war Ueberfluß an allem. Die Bauern verkauften ihre Vorräte lieber an die Schweden, ihre Feinde, als an die Dänen, die sie nicht so gut bezahlten. Die Bürger der Stadt sahen sich sogar mehr als einmal genötigt im Lager des Schwedenkönigs nach Lebensmitteln zu suchen, die sie auf ihren Märkten nicht haben konnten.
Der König von Dänemark befand sich damals in Holstein, wohin er sich nur begeben zu haben schien, um die Belagerung von Tönningen aufzuheben. Er sah die Ostsee mit feindlichen Schiffen bedeckt, einen jungen Eroberer bereits Herrn von Seeland und im Begriff sich seiner Hauptstadt zu bemächtigen. Er ließ in seinen Staaten öffentlich verkündigen, daß diejenigen, welche die Waffen gegen die Schweden ergreifen würden, von der Leibeigenschaft befreit sein sollten. Diese Verkündigung war von großem Gewicht in einem Lande, das ehedem frei gewesen war und wo jetzt alle Bauern und sogar viele Bürger leibeigen sind. Karl ließ dem König von Dänemark sagen, er führe nur Krieg, um ihn zum Frieden zu zwingen, er möge sich daher entschließen dem Herzog von Holstein sein Recht widerfahren zu lassen, sonst werde er Kopenhagen zerstören und das Land mit Feuer und Schwert verwüsten. Der Däne fühlte sich sehr glücklich, daß er es mit einem Sieger zu tun hatte, der den Gerechten spielte. Es wurde ein Kongreß in dem Städtchen Travendahl in Holstein abgehalten. Der Schwedenkönig duldete nicht, daß die Kunst der Minister die Verhandlungen in die Länge zog. Er wollte, daß der Friedensvertrag ebenso schnell zustande komme wie seine Landung auf Seeland. Derselbe wurde in der Tat am 5. August zugunsten des Herzogs von Holstein abgeschlossen, der für alle Kriegskosten entschädigt und von seiner Bedrückung befreit wurde. Der König von Schweden wollte nichts für sich selbst. Es war ihm genug, daß er seinen Verbündeten gerettet und seinen Feind gedemütigt hatte. So begann und beendete der achtzehnjährige Karl diesen Krieg in weniger als sechs Wochen.
Genau zur selben Zeit berannte der König von Polen die Hauptstadt Livlands, Riga, und rückte der Zar an der Spitze von fast hunderttausend Mann von Osten her. Riga wurde durch den schwedischen General Graf Dahlberg verteidigt, der achtzig Jahre alt das Feuer eines Jünglings mit der Erfahrung von sechzig Schlachten und Gefechten vereinigte. Der nachmalige polnische Minister Graf Fleming, im Krieg ebenso ausgezeichnet wie im Kabinett, und der Livländer Patkul betrieben die Belagerung unter den Augen des Königs; allein ungeachtet mehrerer Vorteile, welche die Belagerer davongetragen, vereitelte die Erfahrung des alten Grafen Dahlberg alle ihre Anstrengungen und der König von Polen verzweifelte daran die Stadt zu erobern. Endlich ergriff er die Gelegenheit, um die Belagerung mit Ehren aufzuheben. Riga war voll Waren, die den Holländern gehörten. Die Generalstaaten instruierten ihren Gesandten bei König August dahin, ihm Vorstellungen deshalb zu machen. Der König von Polen ließ sich nicht lange bitten. Er willigte ein, lieber die Belagerung aufzuheben als seinen Verbündeten den geringsten Schaden zuzufügen; und diese waren durchaus nicht über dieses Uebermaß von Gefälligkeit erstaunt, da sie die wahre Ursache derselben wohl kannten.
Um seinen ersten Feldzug abzuschließen, brauchte also Karl XII. nur noch gegen seinen Nebenbuhler auf der Bahn des Ruhms, Peter Alexjewitsch zu marschieren. Er war gegen diesen um so mehr erbittert, als sich in Stockholm noch drei moskowitische Gesandte befanden, welche kaum erst die Erneuerung eines unverbrüchlichen Friedens beschworen hatten. Er, der der strengsten Rechtlichkeit huldigte, konnte nicht begreifen, wie ein Gesetzgeber wie der Zar mit einem so heiligen Akte sein Spiel treiben konnte. Der junge Fürst war in seinem Ehrgefühl der Ansicht, Könige dürften keine andere Moral haben als Privatleute. Der Kaiser von Rußland hatte inzwischen ein Manifest erscheinen lassen, welches er besser für sich behalten hätte. Er führte darin als Grund für seine Kriegserklärung an: man habe ihm nicht die gebührenden Ehren erwiesen, als er inkognito durch Riga gekommen sei; auch habe man seine Gesandten die Lebensmittel zu teuer bezahlen lassen. Das waren die Beschwerden, wegen deren er Ingermanland durch achtzigtausend Mann verheeren ließ.
Am 1. Oktober, also zu einer Zeit, die sich in diesem Klima rauher anläßt als der Januar in Paris, erschien Peter an der Spitze dieses gewaltigen Heeres vor Narwa. Der Zar, der zuweilen vierhundert Wegstunden mit der Pferdepost zurücklegte, um ein Bergwerk oder einen Kanal zu visitieren, schonte seine Truppen ebensowenig als sich selbst. Er wußte überdies, daß die Schweden seit den Zeiten Gustav Adolfs den Krieg mitten im Winter ebenso eifrig fortführten wie im Sommer; er wollte daher auch seine Russen daran gewöhnen, keine Jahreszeit zu kennen, um sie dereinst den Schweden ebenbürtig zu machen. Zu einer Zeit also, wo in dem gemäßigteren Klima Schnee und Eis die Völker zwingen den Krieg zu unterbrechen, belagerte Zar Peter Narwa, welches 30 Grad vom Pole entfernt liegt, und Karl XII. rückte zum Entsatz der Festung heran. Kaum war der Zar vor dem Platz angelangt, als er sich beeilte, was er auf seinen Reisen gelernt hatte, hier ins Werk zu setzen. Er steckte ein Lager ab, ließ es nach allen Richtungen befestigen, von Stelle zu Stelle Redouten errichten und die Trancheen eröffnen. Er hatte das Oberkommando seiner Armee dem Herzog von Croy, einem geschickten deutschen General übertragen, der aber von den russischen Offizieren damals noch nicht gehörig unterstützt wurde. Er selbst nahm bei seinen Truppen nur den Rang eines Leutnants ein. Er wollte damit seinem ungeschlachten Adel, der ohne Kriegserfahrung und Ordnung nur schlecht bewaffnete Sklaven zu führen verstand, ein Beispiel militärischen Gehorsams geben. Es war indessen nichts so Wunderbares, daß der, welcher zu Amsterdam Zimmermann geworden war, um zu einer Flotte zu kommen, vor Narwa als Leutnant auftrat, um seine Völker die Kriegskunst zu lehren. Die Russen sind kräftig, unermüdlich und vielleicht ebenso mutig wie die Schweden; aber erst im Laufe der Zeit werden die Truppen an den Krieg gewöhnt und nur die Disziplin macht sie unüberwindlich. Die einzigen Regimenter, von denen sich etwas hoffen ließ, waren diejenigen, welche von deutschen Offizieren befehligt wurden; das waren aber nur wenige. Der Rest bestand aus Barbaren, die man aus den Wäldern geholt hatte; sie waren noch mit Fellen wilder Tiere bedeckt und zum Teil mit Bogen und Keule bewaffnet. Nur wenige besaßen Gewehre; keiner hatte jemals eine regelmäßige Belagerung gesehen. In der ganzen Armee befand sich kein guter Artillerist. Die hundertfünfzig Kanonen, welche das kleine Narwa leicht hätten einäschern können, brachten kaum eine Bresche zustande, während die Artillerie der Festung alle Augenblicke ganze Reihen in den Trancheen niederwarf. Narwa war fast ohne Festungswerke; der Baron von Horn, der in dem Platz kommandierte, hatte nicht tausend Mann reguläre Truppen. Gleichwohl vermochte jenes zahlreiche Heer die Festung in sechs Wochen nicht zu nehmen.
Es war bereits der 15. November, als der Zar erfuhr, daß der König von Schweden auf zweihundert Transportschiffen das Meer durchsegelt habe und zum Entsatz von Narwa heranrücke. Die Schweden waren nur zwanzigtausend Mann stark, aber der Zar besaß lediglich den Vorteil der Mehrzahl. Weit entfernt daher seinen Feind zu verachten, bot er alle Mittel der Kunst auf, um ihn zu überwältigen. Nicht zufrieden mit seinen achtzigtausend Mann, traf er Anstalten, um dem Feinde noch eine zweite Armee entgegenzustellen und ihn bei jedem Schritt aufzuhalten. Bereits hatte er dreißigtausend Mann von Pleskow heranbeordert, die sich in Eilmärschen näherten. Dann tat er einen Schritt, der ihm die Verachtung der Welt zugezogen hätte, wenn dies bei einem Gesetzgeber, der so Großes geleistet, möglich wäre. Er verließ sein Lager, wo seine Gegenwart so notwendig war, um dieses neue Truppenkorps, welches recht gut ohne ihn anlangen konnte, heranzuholen, und wälzte hierdurch den Verdacht auf sich, daß er sich gefürchtet habe, in einem verschanzten Lager einem jungen unerfahrenen Fürsten Widerstand zu leisten, der ihn anzugreifen kam.
Wie dem sei, er wollte jedenfalls Karl XII. zwischen zwei Feuer nehmen. Damit nicht genug, entsandte er dreißigtausend Mann aus dem Lager von Narwa, um sich auf eine Wegstunde vor der Festung dem Schwedenkönig in den Weg zu stellen; zwanzigtausend Strelitzen standen auf dem gleichen Wege noch weiter vorwärts und fünftausend Mann bildeten die Vorhut. Man mußte sich also Bahn durch alle diese Truppen brechen, ehe man das Lager erreichte, welches durch einen Wall und einen doppelten Graben geschützt war. Der König von Schweden hatte bei Pernau im Meerbusen von Riga etwa sechzehntausend Mann Fußvolk und etwas über viertausend Reiter ans Land gesetzt. Von Pernau trat er sodann mit seiner Reiterei und nur viertausend Mann Infanterie den Eilmarsch auf Reval an.Nach anderen waren es fünftausend Mann Infanterie, dreitausenddreihundert Reiter und siebenunddreißig Geschütze. Er marschierte unbeirrt vorwärts, ohne den Rest seiner Truppen abzuwarten. Bald stand er mit seinen achttausend Mann vor den feindlichen Vorposten, und zögerte keinen Augenblick, diese Korps nacheinander anzugreifen, ohne ihnen Zeit zu lassen darüber klar zu werden, mit welch geringer Zahl sie es zu tun hatten. Als daher die Russen die Schweden anrücken sahen, glaubten sie der ganzen Armee gegenüber zu stehen. Die fünftausend Mann der Vorhut, welche in einem Felspasse (bei Pyhajokki) standen, wo hundert entschlossene Männer eine ganze Armee hätten aufhalten können, entflohen beim ersten Erscheinen der Schweden. Als die zwanzigtausend Mann hinter ihnen ihre Kameraden fliehen sahen, wurden sie von einer wahren Panik erfaßt und trugen die Verwirrung bis in das Lager. Alle vorgeschobenen Posten wurden in zwei Tagen genommen; und was unter anderen Umständen drei Siege gekostet hätte, verzögerte den Marsch des Königs nicht um eine Stunde. Endlich erschien er mit seinen achttausend von dem langen Marsche ermüdeten Soldaten vor dem durch hundertfünfzig Kanonen verteidigten Lager der achtzigtausend Russen. Kaum hatten sich seine Truppen etwas ausgeruht, als er auch, ohne lange zu überlegen, den Befehl zum Angriff gab.
Zwei Raketen und der Ruf: »Mit Gottes Hilfe!« in deutscher Sprache gaben das Signal. Als ein höherer Offizier dem König die Größe der Gefahr vor Augen hielt, rief er: »Wie! Ihr zweifelt noch, daß ich mit meinen achttausend tapfern Schweden diese achtzigtausend Moskowiter über den Haufen werfen werde?« – Einen Augenblick später fiel ihm bei, daß in diesen Worten einige Prahlerei gefunden werden könne, er eilte daher jenem Offizier nach und fuhr fort: »Seid Ihr denn nicht auch meiner Ansicht? Habe ich nicht zwei Vorteile vor dem Feinde voraus? Einmal den, daß seine Reiterei ihm hier nichts nützen kann und dann, daß seine Stellung eine so beengte ist, daß seine große Zahl ihm nur unbequem sein muß? So bin ich ja eigentlich stärker als er.« – Der Offizier hütete sich, eine andere Ansicht auszusprechen und so schritt der König am Mittag des 30. Novembers 1700 zum Angriff auf die Russen.
Sobald die Artillerie der Schweden eine Bresche in die Schanzen gelegt hatte, rückten sie mit aufgepflanztem Bajonett vor, wobei ein heftiges Schneegestöber, das ihnen in den Rücken wehte, dem Feinde ins Gesicht schlug. Eine halbe Stunde lang ließen sich die Russen niedermachen, ohne ihre Gräben zu verlassen. Der König griff den rechten Flügel des Lagers an, wo sich das Hauptquartier des Zaren befand, dem er zu begegnen hoffte, da er nicht wußte, daß der Kaiser selbst fort war, um jene dreißigtausend Mann Verstärkung herbeizuholen. Schon bei den ersten Salven erhielt der König eine Kugel gegen den Hals; es war jedoch eine matte Kugel, die sich in den Falten seines schwarzen Halstuches fing und ihm weiter keinen Schaden tat. Sein Pferd wurde unter ihm getötet. Herr von Sparre erzählte mir, der König sei mit Leichtigkeit auf ein anderes Pferd gesprungen und habe gerufen: »Diese Kerls lassen mich meine Reitübungen machen!« – Dann habe er fortgefahren zu kämpfen und seine Befehle mit der gleichen Geistesgegenwart zu erteilen.
Nach einem dreistündigen Kampfe waren die Schanzen auf allen Seiten durchbrochen. Der König verfolgte den rechten Flügel des Feindes mit seinem linken – wenn man die viertausend Mann, die hier vierzigtausend vor sich herjagten, so nennen kann – bis zum Narwafluß.
Die Brücke brach unter den Flüchtlingen; in einem Nu lag der Fluß voll Toter. Die übrigen kehrten in Verzweiflung nach ihrem Lager zurück, ohne zu wissen, wohin sie gerieten. Sie stießen auf einige Baracken, hinter welchen sie sich noch eine Zeitlang verteidigten, weil sie nicht mehr entwischen konnten. Endlich aber begaben sich die Generale Dolgoruki, Golowkin und Fedorowitsch zum König und legten ihm ihre Degen zu Füßen. Während man sie ihm vorstellte, erschien auch der Obergeneral Herzog von Croy und ergab sich mit dreißig höheren Offizieren.
Karl empfing diese hohen Gefangenen mit einer so gewandten Artigkeit und einer so leutseligen Miene, wie wenn er ihnen an seinem Hofe die festlichen Honneurs machte. Er wollte nur die Generale bei sich behalten. Alle Subalternoffiziere und Soldaten wurden entwaffnet an den Narwafluß geführt, wo sie auf Booten übergesetzt und nach Hause entlassen wurden. Inzwischen kam die Nacht heran, der linke Flügel der Russen schlug sich noch immer. Die Schweden hatten nur sechshundert Mann verloren; achtzehntausend Moskowiter waren in ihren Schanzen geblieben, eine große Anzahl war ertrunken, viele hatten den Fluß als Flüchtlinge passiert. Aber noch immer standen ihrer genug im Lager, um die Schweden bis auf den letzten Mann auszurotten. Allein es ist ja nicht die Zahl der Toten, wonach sich der Verlust einer Schlacht bemißt, sondern der Schrecken der Ueberlebenden. Der König benutzte den Rest des Tags, um sich der feindlichen Artillerie zu bemächtigen. Dann nahm er eine vorteilhafte Stellung zwischen dem Lager und der Stadt ein. Dort schlief er in seinen Mantel eingehüllt einige Stunden auf der bloßen Erde. Mit Tagesanbruch wollte er dann über den linken Flügel des Feindes herfallen, der noch nicht ganz gebrochen war. Aber um zwei Uhr morgens schickte der General Bede, der diesen Flügel kommandierte und der gehört hatte, wie gnädig der König die andern Generale aufgenommen und wie er alle Subalternoffiziere und Soldaten heimgeschickt hatte – zu ihm und ließ ihn bitten, ihm die gleiche Gnade zu gewähren.
Der Sieger ließ ihm sagen, er möge nur an der Spitze seiner Truppen herankommen und die Waffen und Fahnen vor ihm niederlegen. Bald darauf erschien dieser General mit seinen Russen, welche sich auf etwa dreißigtausend Mann beliefen. Sie marschierten mit entblößtem Haupte, Soldaten und Offiziere, durch die Spaliere von nicht ganz siebentausend Schweden. Als die Soldaten an dem König vorbeikamen, streckten sie ihre Gewehre und Degen; die Offiziere legten ihm die Feldzeichen und Fahnen zu Füßen. Er ließ diese ganze Masse über den Fluß zurückkehren, ohne einen einzigen Gefangenen zu behalten. Hätte er sie festgehalten, so würde die Zahl der Gefangenen wenigstens fünfmal größer als die der Sieger gewesen sein. Begleitet von dem Herzog von Croy und den anderen russischen Generalen hielt nun Karl seinen siegreichen Einzug in Narwa. Er ließ jenen ihre Degen wiedergeben und als er erfuhr, daß sie ohne Geld waren und die Kaufleute von Narwa ihnen nichts mehr borgen wollten, schickte er dem Herzog von Croy tausend Dukaten und jedem General fünfhundert, so daß diese Offiziere außer sich vor Bewunderung über eine Behandlung gerieten, von der sie keine Idee gehabt hatten. In Narwa wurde sofort ein Siegesbericht aufgesetzt, der nach Stockholm und an die Verbündeten Schwedens geschickt werden sollte; doch strich der König eigenhändig durch, was darin zu Vorteilhaftes für ihn und zu Kränkendes für den Zaren gesagt war. Seine Bescheidenheit konnte indessen nicht verhindern, daß man in Stockholm mehrere Medaillen schlug, um das Andenken an diese Ereignisse zu verewigen. Unter anderem erschien eine Medaille, die auf der Vorderseite den König auf einem Piedestal darstellte, an welches ein Russe, ein Däne und ein Pole gefesselt war; auf der Rückseite sah man einen Herkules mit seiner Keule, der auf einen Cerberus trat, mit der Umschrift: Tres uno contudit ictu.
Unter den am Tage von Narwa gemachten Gefangenen befand sich auch einer, der ein auffallendes Beispiel von dem gewaltigen Wechsel menschlicher Geschicke bot. Es war der älteste Sohn und Erbe des Königs von Georgien, Zarafis Artschelu. Zarafis bedeutet bei allen Tataren wie auch in Rußland soviel als Prinz oder Zarensohn; denn Zar hieß bei den alten Skythen, von denen alle diese Völker abstammen, so viel wie König. Es kommt also nicht von den römischen Zäsaren her, die diesen Barbaren noch lange unbekannt blieben. Sein Vater Mikelleski, der Zar und Beherrscher der schönen Ländergebiete zwischen dem Araratgebirge und der Ostküste des Schwarzen Meeres, war im Jahre 1688 von den eigenen Untertanen aus seinem Reiche vertrieben worden und hatte sich lieber dem Kaiser von Rußland in die Arme werfen, als zu den Türken seine Zuflucht nehmen wollen. Der neunzehnjährige Sohn dieses Königs wollte Peter den Großen auf seinem Kriegszug gegen die Schweden begleiten und wurde nun von einigen finnischen Soldaten gefangen genommen, die ihn bereits ausgeplündert hatten und im Begriff standen ihn niederzumachen. Der Graf Rehnsköld entriß ihn ihren Händen, ließ ihm einen Rock geben und stellte ihn seinem Gebieter vor. Karl schickte ihn nach Stockholm, wo dieser unglückliche Prinz einige Jahre später starb. Als der König ihn fortgehen sah, konnte er nicht umhin vor seinen Offizieren eine natürliche Betrachtung über das merkwürdige Schicksal dieses asiatischen Prinzen anzustellen, der am Fuße des Kaukasus geboren war und nun als Gefangener in die Eisfelder Schwedens wandern mußte. »Das ist gerade,« sprach er, »wie wenn ich eines Tages als Gefangener unter den Tataren der Krim säße!« – Diese Worte wurden damals nicht beachtet; später aber, als das Schicksal sie zu einer Prophezeiung gemacht hatte, erinnerte sich ihrer mancher nur zu wohl.
Inzwischen rückte der Zar mit seinen vierzigtausend Russen in Eilmärschen heran, um seinen Feind von allen Seiten einzuschließen. Auf halbem Wege erhielt er aber die Meldung von der Schlacht bei Narwa und der Zerstreuung seines ganzen Lagers. Er gab es nun auf, mit seinen vierzigtausend Mann ohne Erfahrung und ohne Disziplin einen Sieger anzugreifen, der eben mit achtzigtausend in einem verschanzten Lager fertig geworden war. Er kehrte um, hörte aber trotzdem nicht auf an der Disziplinierung seiner Truppen zu arbeiten, während er zugleich seine Untertanen zivilisierte. »Ich weiß wohl,« sprach er, »daß die Schweden uns noch oft schlagen werden; am Ende aber werden sie uns lehren, wie man sie schlägt.« – Seine Hauptstadt Moskau war voll Schrecken und Bestürzung bei der Nachricht von dieser Niederlage. Der Stolz und die Unwissenheit dieses Volkes war so groß, daß es sich von einer übermenschlichen Macht überwunden glaubte und die Schweden für Zauberer hielt. Diese Ansicht war so allgemein, daß man deshalb ein öffentliches Gebet zum heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron Rußlands, anordnete. Dieses Gebet ist zu eigentümlich, um nicht hier angeführt zu werden. Es lautete folgendermaßen: »O du, der du unser beständiger Tröster bist in allen unseren Nöten, großer heiliger Nikolaus, du großmächtiger! Durch welches Versehen bei unsern Opfern, bei unseren Kniebeugungen, Verneigungen und Gnadentaten haben wir dich beleidigt, daß du uns so verlassen hast? Wir haben deinen Beistand angerufen gegen diese furchtbaren, frechen, wütenden, schrecklichen und unbezwinglichen Zerstörer, als sie uns wie Löwen und Bären, denen man ihre Jungen geraubt, angegriffen, erschreckt, verwundet und zu Tausenden getötet haben, uns, die wir dein Volk sind. Da das unmöglich hat geschehen können ohne Zauberei und Hexerei, so bitten wir dich flehentlich, o großer heiliger Nikolaus, sei du unser Kämpe und Fahnenträger, befreie uns von dieser Zauberschar, jage sie weit aus unseren Grenzen und gib ihnen den Lohn, der ihnen gebührt.«
Während die Russen dem heiligen Nikolaus ihre Niederlage klagten, ließ Karl XII. Gott danken und bereitete sich zu neuen Siegen vor. Der König von Polen konnte sich denken, daß sein Feind, der die Dänen und Russen besiegt, nunmehr über ihn herfallen würde. Er verband sich daher enger als je mit dem Zaren. Diese beiden Fürsten verabredeten eine Zusammenkunft, um ihre gemeinsamen Maßregeln zu besprechen. Sie sahen sich zu Birsen, einer kleinen Stadt in Litauen, ohne alle jene Förmlichkeiten, welche nur geeignet sind den Gang der Geschäfte zu hemmen, und die überdies weder zu ihrer Lage noch zu ihrer Stimmung gepaßt hätten. Die nordischen Fürsten sehen sich überhaupt mit einer Familiarität, die im übrigen Europa noch nicht eingeführt ist. Peter und August verbrachten vierzehn Tage miteinander unter Vergnügungen, die bis zum Uebermaß gingen; denn so sehr der Zar an der Reformierung seines Volkes arbeitete, so vermochte er doch niemals seinen eigenen gefährlichen Hang zur Ausschweifung zu zähmen.
Der König von Polen machte sich verbindlich, dem Zaren fünfzigtausend Mann deutscher Truppen zu stellen, die man bei verschiedenen Fürsten kaufen und die der Zar besolden würde. Dieser sollte seinerseits fünfzigtausend Russen nach Polen schicken, um dort die Kriegskunst zu erlernen; auch versprach der Zar dem König August drei Millionen Reichstaler in zwei Jahren zu zahlen. Wenn dieser Vertrag zur Ausführung kam, mußte er für den König von Schweden verhängnisvoll werden, denn es war dies allerdings ein rasches und sicheres Mittel, um die Russen kriegstüchtig zu machen. Es wären damit vielleicht auch die Ketten für einen Teil von Europa geschmiedet worden.
Aber Karl XII. beeilte sich, den König von Polen um die Früchte dieses Vertrags zu bringen. Nachdem er den Winter in der Nähe von Narwa zugebracht, erschien er in Livland und zwar vor derselben Stadt Riga, welche König August vergebens belagert hatte. Die sächsischen Truppen standen längs der Düna, die hier sehr breit ist. Es handelte sich darum, Karl, der auf dem andern Flußufer angelangt war, den Uebergang streitig zu machen. Die Sachsen waren gerade nicht von ihrem Fürsten befehligt, der krank lag, sondern von dem Marschall Stenau, der die Geschäfte des Obergenerals versah. Unter ihm kommandierten Prinz Ferdinand, Herzog von Kurland, und jener nämliche Patkul, der sein Vaterland mit dem Degen in der Hand gegen Karl XII. verteidigte, nachdem er dessen Rechte gegenüber von Karl XI. mit der Feder gewahrt hatte. Der König von Schweden hatte große Kähne nach einer neuen Erfindung erbauen lassen; die Borde derselben waren höher als gewöhnlich und ließen sich wie Zugbrücken heben und senken. Wenn man sie hob, deckten sie die Truppen, welche sie trugen, senkte man sie, so dienten sie als Brücken zur Ausschiffung. Noch einen anderen Kunstgriff wendete er an. Da er bemerkt hatte, daß der Wind von Norden, wo er stand, nach Süden wehte, wo seine Feinde lagerten, ließ er eine Menge nassen Strohes anzünden, dessen dicker Rauch sich über das Flußufer verbreitete und den Sachsen seine Truppen und deren Operationen verbarg. Unter dem Schutz dieser Rauchwolken ließ KarlAm 9. Juli 1701. Schiffe vorrücken, die ebenfalls mit rauchendem Stroh gefüllt waren, so daß die Rauchwolken sich immer weiter verbreiteten und vom Wind seinen Feinden in das Gesicht getrieben, diese in die Unmöglichkeit versetzten zu sehen, ob der König überging oder nicht. Er leitete selbst die Ausführung dieser Kriegslist. Als er sich bereits mitten im Flusse befand, sagte er zu dem General Rehnsköld: »Nun, ich hoffe, die Düna wird nicht schlimmer sein, als das Meer bei Kopenhagen. Glaubt mir, General, wir werden sie schlagen.« – In einer Viertelstunde befand er sich am andern Ufer und war sehr böse, daß er erst als der Vierte ans Land sprang. Alsbald ließ er seine Artillerie ausladen und formierte seine Schlachtlinie, ohne daß die vom Rauch geblendeten Feinde einen andern Widerstand zu leisten vermochten als daß sie einige Schüsse aufs Geratewohl abfeuerten.
Nachdem der Wind den Rauch zerstreut hatte, sahen die Sachsen den Schwedenkönig im Anmarsch gegen sie.
Der Marschall Stenau verlor übrigens keinen Augenblick; kaum erblickte er die Schweden, als er sich mit dem besten Teil seiner Reiterei auf sie stürzte. Der heftige Stoß dieser Truppe, der die Schweden in dem Augenblick traf, als sie ihre Bataillone bildeten, brachte sie in Unordnung. Ihre Reihen wurden durchbrochen und sie bis in den Fluß getrieben. Der König von Schweden sammelte sie sofort mitten im Wasser so ruhig, als wenn er eine Revue abhielt.
Nun rückten seine Soldaten in geschlossenen Gliedern wieder vor, drückten den Marschall Stenau zurück und marschierten in der Ebene auf. Stenau sah, daß das Vorgehen des Schwedenkönigs seine Truppen überrascht hatte; als geschickter General führte er sie daher in eine Stellung zurück, wo er durch einen Sumpf und einen Wald gedeckt war, in welchem seine Artillerie stand. Die Vorteile des Terrains und die Zeit, welche die Sachsen dadurch erhielten, um von ihrer ersten Ueberraschung zurückzukommen, gaben ihnen ihren Mut zurück. Karl zögerte nicht sie anzugreifen; er war fünfzehntausend Mann stark, Stenau und der Herzog von Kurland hatten zwölftausend, besaßen aber als ganze Artillerie nur eine eiserne Kanone ohne Lafette. Das Gefecht war heftig und blutig, zwei Pferde wurden dem Herzog unter dem Leibe getötet, dreimal drang er bis mitten in die königliche Garde, endlich aber warf ihn ein Kolbenschlag vom Pferde und nun verbreitete sich Unordnung in seinem Heer, das den Schweden den Sieg nicht mehr streitig machte. Kaum vermochten ihn seine Kürassiere zerquetscht und halbtot aus der Mitte des Getümmels und unter den Pferden hervorzuziehen, die ihn mit ihren Hufen bearbeiteten.
Nach diesem Siege eilte der Schwedenkönig nach Mitau, der Hauptstadt Kurlands. Alle Städte dieses Herzogtums ergaben sich ihm auf Gnade oder Ungnade; es war mehr eine Promenade als eine Eroberung. Unaufhaltsam rückte er bis Litauen und unterwarf sich unterwegs alles. Es war eine schmeichelhafte Genugtuung für ihn, als Sieger in jene selbe Stadt Birsen einzuziehen, wo sich der König von Polen und der Zar wenige Monate vorher zu seinem Untergang verschworen hatten.
An diesem Orte war es, wo er den Plan faßte, den König von Polen durch die Polen selbst entthronen zu lassen. Als er dort eines Tags bei Tafel saß, wo er seine gewöhnliche große Nüchternheit beobachtete und ganz von seinem Plane in Anspruch genommen in tiefem Schweigen verharrte, sagte ein deutscher Oberst, der dem Essen anwohnte, so laut, daß man es hören konnte: die Mahlzeiten, die der Zar und der König von Polen hier abgehalten, seien doch ein wenig anders gewesen als die Seiner Majestät. »Ja,« erwiderte der König, indem er sich erhob, »aber ich werde sie um so leichter in ihrer Verdauung stören.« – In der Tat zögerte er nicht, den Plan, den er sich ausgedacht, ins Werk zu setzen, wobei er diesmal etwas Politik mit der Macht seiner Waffen mischte.
Polen, ein Teil des alten Sarmatenlandes, ist etwas größer als Frankreich, aber weniger bevölkert als dieses, jedoch mehr als Schweden. Das Volk ist erst seit etwa siebenhundertfünfzig Jahren christlich. Es ist merkwürdig, daß die Sprache der Römer, die doch nie bis in diese Regionen gedrungen sind, heutzutage allgemein nur noch in Polen gesprochen wird; alles spricht hier lateinisch, sogar die Diener. Dieses große Land ist sehr fruchtbar, aber das Volk um so weniger gewerbtätig. Die Handwerker und Kaufleute, die man in Polen sieht, sind Schotten, Franzosen und besonders Juden. Es gibt hier gegen dreihundert Synagogen; wenn sich die Israeliten noch weiter vermehren, wird man sie einmal aus dem Lande jagen, wie man sie aus Spanien verjagt hat. Sie kaufen zu niedrigen Preisen die Landesprodukte, Korn und Vieh, verhandeln sie in Danzig und in Deutschland überhaupt, und verkaufen dann an den polnischen Adel diejenigen Luxusartikel, welche dieser besonders liebt, zu teuern Preisen. So bleibt dieses von den schönsten Flüssen bewässerte, weiden- und salzreiche, weithin mit Getreide bedeckte Land trotz seinem Ueberfluß arm, weil das Volk leibeigen und der Adel hochmütig und faul ist.
Die Regierung Polens gibt noch ein treues Bild von dem alten keltischen und gotischen Herrschertum, das überall sonst gemildert und abgeändert wurde. Polen ist das einzige Land, das noch Republik heißt, obschon es die königliche Würde besitzt. Jeder Edelmann hat hier das Recht bei der Königswahl seine Stimme abzugeben und kann selbst König werden. Dieses schönste aller Rechte ist mit dem größten Unfug verbunden: der Thron ist nämlich fast immer käuflich, und da ein Pole selten reich genug ist, um ihn kaufen zu können, wird er häufig an Fremde verhandelt. Adel und Geistlichkeit verteidigen ihre Freiheit gegen den König und nehmen sie dem übrigen Teil der Nation. Das Volk selbst ist leibeigen; so will das menschliche Geschick, daß überall auf die eine oder andere Art die große Mehrzahl von einer kleinen Minderheit unterjocht wird! Hier säet der Bauer nicht für sich, sondern für den Edelmann, dem er, sein Ackerfeld und die Arbeit seiner Hände gehört und der ihn verkaufen, ja sogar umbringen kann wie sein Vieh. Wer dagegen Edelmann ist, hängt nur von sich selbst ab. Um ihn wegen eines Kriminalverbrechens zu richten, bedarf es einer vollständigen Versammlung der Nation; man kann ihn erst verhaften, wenn er verurteilt ist; er wird deshalb auch fast nie bestraft. Es gibt hier viele arme Edelleute, die bei den Mächtigeren in Dienst treten und einen Sold erhalten, wofür sie die geringsten Arbeiten versehen. Dennoch wollen sie lieber ihresgleichen dienen, als sich durch den Handel bereichern; und während sie die Pferde ihrer Herren putzen, beehren sie sich mit den Titeln: Königswähler und Tyrannenvernichter.
Wer einen polnischen König im Prunk seiner Königswürde sieht, muß ihn für den unumschränktesten Fürsten in Europa halten; er ist jedoch gerade das Gegenteil. Die Polen schließen mit ihm den Vertrag wirklich ab, den man bei anderen Völkern als zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen bestehend annimmt. Bei seiner Krönung und durch seinen Eid auf die pacta conventa entbindet der König von Polen seine Untertanen des Eides der Treue für den Fall, daß er die Gesetze der Republik verletzen sollte.
Er ernennt alle Beamten und überträgt alle Ehrenstellen und Auszeichnungen. Nichts ist in Polen erblich als der Grund und Boden, und der Adel. Der Sohn eines Palatin hat ebensowenig ein Recht auf die Würde seines Vaters wie der eines Königs; aber es besteht der große Unterschied zwischen dem König und der Republik, daß jener kein Amt wieder nehmen kann, das er einmal verliehen hat, daß diese aber das Recht hat, ihm die Krone zu nehmen, wenn er die Staatsgesetze übertritt.
Der auf seine Freiheit so eifersüchtige Adel verkauft gleichwohl oft seine Stimme, selten aber seine Neigung. Kaum haben sie einen König erwählt, so fürchten sie seinen Ehrgeiz und setzen ihm ihre Kabalen entgegen. Die Großen, die der König ernannt hat und die er nicht wieder absetzen kann, werden oft seine Feinde, statt seine Geschöpfe zu bleiben. Diejenigen, welche dem Hof anhangen, werden ein Gegenstand des Hasses für den übrigen Adel. Hieraus entstehen immer zwei Parteien, ein unvermeidliches, ja notwendiges Uebel in Ländern, wo man Könige haben und doch die Freiheit bewahren will.
Alles was die Nation betrifft wird durch das Parlament, hier Reichstag genannt, geregelt. Diese Reichstagsversammlungen werden aus dem Senat und einer Anzahl Edelleute gebildet. Senatoren sind die Palatine und die Bischöfe; die zweite Klasse besteht aus den Abgeordneten der besonderen Palatinallandtage. Bei diesen großen Versammlungen präsidiert der Erzbischof von Gnesen, der Primas von Polen und Reichsvikar während eines Interregnums, die erste Person im Staat nach dem König. Es gibt selten mehr als diesen Kardinal in Polen, weil der römische Purpur keinerlei Vorrecht im Senat verleiht und ein Bischof-Kardinal genötigt wäre, entweder nach seinem Rang als Senator dort zu sitzen oder auf die soliden Rechte der Würde, die er in seinem Vaterlande bekleidet, zu verzichten, um die Ansprüche eines Fremden aufrecht zu erhalten.
Diese Reichstage müssen nach den Gesetzen des Königreichs abwechselungsweise in Polen und Litauen abgehalten werden. Die Deputierten machen dort nicht selten ihre Angelegenheiten mit dem Säbel in der Hand aus wie die alten Sarmaten, von denen sie abstammen, bisweilen auch in vollster Trunkenheit, welches Laster die Sarmaten nicht kannten. Jeder zu diesen Reichstagen abgeordnete Edelmann genießt das Recht, welches in Rom die Volkstribunen besaßen: gegen die Gesetze des Senats Einsprache zu tun. Ein einziger Edelmann, welcher sagt: »Ich protestiere!« – hemmt mit diesem einen Worte den einstimmigen Beschluß aller übrigen; und wenn er den Ort, wo der Reichstag abgehalten wird, verläßt, muß dieser ebenfalls auseinander gehen.
Man pflegt den Verwirrungen, welche aus diesem Gesetz entspringen, ein noch gefährlicheres Gegengift entgegenzusetzen. Polen ist nämlich selten ohne zwei Parteien. Da hierdurch aber die Einstimmigkeit bei den Reichstagen unmöglich wird, bildet jede Partei ihre Konföderation, in welcher durch Stimmenmehrheit entschieden wird, ohne daß man auf die Einsprache der Minderheit achtet. Diese Versammlungen, welche eigentlich ungesetzlich aber durch die Sitte berechtigt sind, werden im Namen des Königs abgehalten, obschon sie oft seinem Willen und seinen Interessen entgegen sind; ungefähr wie die Liga in Frankreich sich des Namens Heinrichs III. bediente, um diesen König zu unterdrücken, und wie das englische Parlament, welches Karl I. auf dem Schafott sterben ließ, damit begann, daß es den Namen dieses Fürsten an die Spitze aller Beschlüsse setzte, die es zu seiner Vernichtung faßte. Wenn dann die Unruhen beendigt sind, ist es Sache des allgemeinen Reichstages, die Akte dieser Konföderationen zu bestätigen oder zu kassieren. Auch kann ein Reichstag alles, was der vorgehende geschaffen hat, wieder umstoßen, nach denselben Vernunftgründen, wie in einem monarchischen Staate ein König die Gesetze seines Vorgängers, ja sogar seine eigenen wieder aufheben kann. Der Adel, welcher die Gesetze der Republik macht, bildet auch ihre bewaffnete Macht. Bei großen Anlässen steigt er zu Pferde und kann eine Armee von über hunderttausend Mann bilden. Dieses große Heer, Pospolite geheißen, bewegt sich schwerfällig und läßt sich nicht leicht leiten. Die Schwierigkeit, Lebensmittel und Futter für dasselbe zu beschaffen, gestattet nicht, daß es lange beisammen bleibe. Ihm fehlt die Mannszucht, der Gehorsam, die militärische Erfahrung; aber die Liebe zur Freiheit, die es belebt, macht es immer furchtbar.
Man kann dies Volk besiegen, auseinander sprengen, es sogar eine Zeitlang in Knechtschaft halten, aber bald schüttelt es das Joch wieder ab. Die Polen vergleichen sich selbst mit dem Schilfrohr, das der Sturm niederbeugt, das sich aber sofort wieder erhebt, wenn der Windstoß vorüber ist. Aus diesem Grunde haben sie auch keine festen Kriegsplätze; sie wollen selbst die einzigen Wälle ihres Freistaats sein. Sie dulden nicht, daß ihr König Festungen baue, weil sie fürchten, daß er sich ihrer weniger bedienen würde, um das Land zu schützen, als um es zu unterdrücken. Das Land ist somit ganz offen, mit Ausnahme von zwei bis drei Grenzfestungen. Wenn sie daher bei ihren Bürger- oder sonstigen Kriegen einen Ort festhalten wollen, so müssen sie in aller Eile Erdschanzen anlegen, alte halbverfallene Mauern wieder herstellen, fast ausgefüllte Gräben wieder abstechen, und gewöhnlich wird die Stadt genommen, ehe die Verschanzung beendigt ist.
Die Pospolite ist zur Landesverteidigung nicht immer parat; sie rückt erst auf Befehl des Reichstags oder in Zeiten der Gefahr auf das einfache Aufgebot des Königs ins Feld.
Die gewöhnliche Bewachung Polens geschieht dagegen durch ein stehendes Heer, welches auf Kosten der Republik erhalten wird. Es besteht aus zwei Korps unter zwei verschiedenen Obergeneralen. Das erste Korps, sechsunddreißigtausend Mann stark, rekrutiert sich in Polen, das zweite, zwölftausend Mann, in Litauen. Die beiden Obergenerale sind unabhängig voneinander; obschon vom König ernannt, sind sie doch nur der Republik verantwortlich und üben die höchste Gewalt über ihre Truppen. Die Obersten sind die unumschränkten Herren ihrer Regimenter; sie haben für den Unterhalt derselben zu sorgen, so gut sie können, und ihnen den Sold auszuzahlen. Da sie aber selbst selten bezahlt werden, verwüsten sie das Land und richten die Bauern zugrunde, um ihre und ihrer Soldaten Habsucht zu befriedigen. Die polnischen Herren erscheinen in diesen Feldlagern mit größerer Pracht als in den Städten; ihre Zelte sind schöner als ihre Häuser. Die Reiterei, die zwei Drittel der Armee bildet, besteht fast nur aus Edelleuten; sie zeichnet sich durch die Schönheit der Pferde und den Reichtum der Gewänder und Geschirre aus.
Die Gendarmen insbesondere, die in Husaren und Panzerreiter zerfallen, sind stets von mehreren Dienern begleitet, die ihre Handpferde führen. Diese letzteren haben Zäume mit silbernen Plättchen und silbernen Nägeln, gestickte Sättel und Sattelkissen, vergoldete und manchmal massiv silberne Bügel und große hängende Schabracken nach Art der Türken, deren Pracht die Polen nach Möglichkeit nachahmen.
So geputzt und prächtig diese Reiterei ist, so verkommen, schlecht gekleidet und schlecht bewaffnet war damals die Infanterie. Sie hatte weder Uniformen noch sonst etwas Gleichartiges in ihrer Ausrüstung. So war es wenigstens ums Jahr 1710. Aber dieses Fußvolk, welches herumziehenden Tataren gleich sieht, erträgt Hunger, Kälte, Strapazen, kurz die ganze Last des Kriegs mit bewundernswürdiger Ausdauer. In diesen polnischen Soldaten erkennt man noch den Charakter der alten Sarmaten, ihrer Vorfahren; ebensowenig Mannszucht, die gleiche Wut beim Angriff, die gleiche Geneigtheit zu fliehen und wieder in den Kampf zurückzukehren, die gleiche Mordlust, wenn sie Sieger sind.
Der König von Polen hatte sich anfangs mit dem Gedanken geschmeichelt, daß diese beiden Armeen zu seinen Gunsten kämpfen, daß die polnische Pospolite sich auf sein Gebot waffnen, und daß alle diese Streitkräfte, vereint mit den Sachsen, seinen Untertanen, und den Russen, seinen Verbündeten, eine Masse bilden würden, vor welcher die kleine Zahl der Schweden gar nicht wagen könnte sich zu zeigen. Allein plötzlich sah er sich gerade, weil er sich so viel Mühe gab, alle diese Streitmittel zusammen zu bringen, ihrer sämtlich beraubt.
Von seinen Erbländern her an die unumschränkte Gewalt gewöhnt, glaubte er vielleicht zu sehr die Polen wie die Sachsen regieren zu können. Schon mit Beginn seiner Regierung machte er Unzufriedene; gleich seine ersten Maßnahmen reizten die Partei, welche sich seiner Wahl entgegen gestellt hatte, und entfremdete ihm fast alle übrigen. Polen murrte, als es seine Städte mit sächsischen Garnisonen belegt, seine Grenzen mit fremden Truppen besetzt sah. Diese Nation, die weit eifersüchtiger über die Erhaltung ihrer Freiheit wacht, als sie sich beeilt ihre Nachbarn mit Krieg zu überziehen, sah den Krieg des Königs August gegen Schweden und den Einfall in Livland keineswegs als ein ihrer Republik vorteilhaftes Unternehmen an. Ein freies Volk ist schwer über seine wahren Interessen zu täuschen. Die Polen fühlten, daß wenn dieser ohne ihre Zustimmung unternommene Krieg unglücklich ausfiel, ihr von allen Seiten offenes Land dem Schwedenkönig zur Beute fallen würde; daß aber, wenn er glücklich endete, sie durch ihren König selbst unterjocht werden würden, der dann als Herr von Livland und Sachsen Polen zwischen diese beiden Länder einklammern würde. In die Alternative versetzt, von ihrem erwählten König zu Sklaven gemacht oder von dem mit Recht aufgebrachten Karl XII. ruiniert zu werden, erhoben sie ein einstimmiges Geschrei gegen diesen Krieg, dessen Spitze sie mehr gegen sich als gegen Schweden gekehrt glaubten. Sie sahen in den Sachsen und Russen nur die Werkzeuge ihrer Knechtung. Als sie dann hörten, wie der König von Schweden alles vor sich niedergeworfen habe, was sich ihm entgegenstellte, und mit einer siegreichen Armee nach dem Herzen Litauens vordringe, sprachen sie sich gegen ihren Fürsten mit um so größerer Freiheit aus, je unglücklicher er war.
Litauen war damals in zwei Parteien geteilt, in die der Fürsten Sapieha und die Partei Oginski. Diese Familien hatten mit Privathändeln angefangen, die bald in Bürgerkrieg übergingen. Der König von Schweden schloß sich an die Fürsten Sapieha an, und Oginski, von den Sachsen schlecht unterstützt, sah seine Partei nahezu vernichtet. Die litauische Armee, welche diese inneren Wirren und der Mangel an Geld ohnedem zu einem Minimum herabgebracht hatten, wurde durch den Sieger zerstreut. Die wenigen, welche es mit dem König von Polen hielten, irrten in Trupps von Flüchtlingen durch das Land und fristeten durch Plünderung ihr Dasein. August sah in Litauen seine Partei ohnmächtig, seine Untertanen gegen ihn aufgebracht und eine feindliche Armee, die ein junger beleidigter, siegreicher und unversöhnlicher König führte.
In Polen war allerdings eine Armee vorhanden; statt aber sechsunddreißigtausend Mann stark zu sein, wie das Gesetz vorschrieb, zählte sie nur achtzehntausend. Sie war nicht nur schlecht bezahlt und bewaffnet, sondern ihre Generale waren auch noch nicht mit sich im reinen, welche Partei sie ergreifen sollten. Noch konnte der König den Adel aufbieten ihm zu folgen, aber er wagte es nicht, sich einer Weigerung auszusetzen, die sofort seine Schwäche aufgedeckt und somit dieselbe noch vergrößert hätte.
In diesem Zustand der Unsicherheit und Verwirrung verlangten alle Palatinate, daß der König den Reichstag berufe; wie in England in schwierigen Zeiten alle Körperschaften des Staats Adressen an den König richten, worin sie ihn bitten, das Parlament zusammen zu rufen. August hätte zwar eine Armee nötiger gehabt als einen Reichstag wo man die Handlungen der Könige wiegt. Er konnte jedoch nicht umhin ihn zu berufen, um es nicht ganz mit der Nation zu verderben. Der Reichstag wurde also auf den 2. Dezember 1701 nach Warschau berufen. August bemerkte hier bald, daß Karl XII. wenigstens ebensoviel Freunde in dieser Versammlung habe als er selbst. Diejenigen, welche es mit den Sapiehas hielten, die Lubomirski und ihre Freunde, der Schatzmeister der Krone Palatin Leczinski, der dem König August sein Vermögen verdankte, und besonders die Parteigenossen der Prinzen Sobieski waren alle im geheimen für den König von Schweden gewonnen.
Der bedeutendste dieser Parteigänger und der gefährlichste Feind des Königs von Polen war der Kardinal Radziejowski, Erzbischof von Gnesen, Primas des Königreichs und Präsident des Reichstags. Es war dies ein äußerst ränkevoller, im Finstern arbeitender Mann, den eine ehrgeizige Frau, von den Schweden Madame la Cardinale genannt, beherrschte, und unaufhörlich zu Intrigen und Parteiumtrieben aufhetzte. Der Vorgänger Augusts, der König Johann Sobieski, hatte ihn erst zum Bischof von Wermland und Vizekanzler des Reichs gemacht. Radziejowski, der damals erst Bischof war, erhielt den Kardinalshut durch die Bemühungen desselben Königs. Diese Würde eröffnete ihm bald den Weg zum Primat. Indem er so in seiner Person alles vereinigte, was den Menschen imponiert, durfte er sich ungestraft viel erlauben.
Er bot seinen Einfluß auf, um nach dem Tode des Königs Johann den Prinzen Jakob Sobieski auf den Thron zu bringen; aber der schwere Haß, den der Vater trotz seiner Heldengröße sich zugezogen hatte, brachte den Sohn um die Nachfolge. Der Kardinal Primas verband sich nun mit dem französischen Gesandten Abbé von Polignac, um dem Prinzen von Conti die Krone zuzuwenden und dieser wurde auch wirklich gewählt. Aber schließlich triumphierte Sachsens Geld und Heeresmacht über seine Bemühungen. Radziejowski ließ sich nun zu der Partei, die den Kurfürsten von Sachsen krönte, herüberziehen, paßte aber mit Ungeduld auf eine Gelegenheit, wo er die Nation mit ihrem neuen König entzweien konnte.
Die Siege Karls XII., der den Prinzen Jakob Sobieski begünstigte, der Bürgerkrieg in Litauen, die allgemeine Erhebung aller Geister wider den König August überzeugten den Kardinal Primas, daß die Zeit gekommen sei, wo er August von Sachsen wieder heimschicken und dem Sohn des Königs Johann den Weg zum Throne bahnen könne. Dieser Prinz, früher der unschuldige Gegenstand des Hasses der Polen, wurde in dem Maße ihr Schoßkind, als sich der Haß auf den König August warf; doch wagte er es noch nicht, den Gedanken an einen so großen Umsturz der Dinge zu fassen, den übrigens der Kardinal bereits in aller Stille vorbereitete.
Anfangs tat Radziejowski zwar, als wollte er den König wieder mit der Republik aussöhnen. Er ließ Schreiben herumgehen, die scheinbar von dem Geiste der Versöhnlichkeit und christlichen Liebe diktiert waren, ein abgenutzter und wohlbekannter Köder, an dem aber die Menschen gleichwohl stets von neuem anbeißen. Er schrieb einen rührenden Brief an den Schwedenkönig, worin er diesen beschwor, im Namen dessen, den alle Christen in gleicher Liebe anbeten, Polen und seinem Könige den Frieden wieder zu geben. Karl XII. gab eine Antwort, die mehr auf die wirklichen Absichten des Königs als auf dessen Worte gemünzt war. Er verblieb übrigens mit seiner siegreichen Armee im Großherzogtum Litauen und erklärte, er wolle den polnischen Reichstag nicht stören; er führe mit August und den Sachsen Krieg, nicht mit den Polen; weit entfernt die Republik anzugreifen, sei er vielmehr gewillt, sie von ihrem Unterdrücker zu befreien. Brief und Antwort waren natürlich für das große Publikum bestimmt. Unterhändler, welche beständig zwischen dem Kardinal und dem Grafen Piper hin und her gingen, und geheime Versammlungen bei diesem Prälaten, waren die Triebfedern, die den Reichstag in Bewegung setzten. Derselbe stellte den Antrag, eine Gesandtschaft an Karl XII. zu schicken und verlangte einstimmig vom König, daß er die Russen nicht mehr an die Landesgrenzen berufen, seine sächsischen Truppen aber heimschicken solle.
Das Mißgeschick Augusts hatte bereits zustande gebracht, was der Reichstag von ihm verlangte. Das im geheimen zu Birsen mit den Russen abgeschlossene Bündnis war gerade so hinfällig geworden, als es anfangs furchtbar ausgesehen hatte. August war durchaus nicht imstande, dem Zaren die fünfzigtausend Deutsche zu schicken, die er im deutschen Reiche aufzubringen versprochen hatte. Der Zar, seinerseits ein gefährlicher Nachbar Polens, beeilte sich durchaus nicht, mit seiner ganzen Macht einem geteilten Lande beizuspringen, von dem er selbst einmal etwas zu erbeuten hoffte. Er begnügte sich zwanzigtausend Russen nach Litauen zu schicken, die dort schlimmer hausten als die Schweden. Sie flohen zwar überall vor dem Sieger, verheerten aber dabei die Ländereien der Polen und kehrten endlich, als sie nichts mehr zu plündern fanden, von den schwedischen Generalen verfolgt, truppweise in ihre Heimat zurück. Die Trümmer der bei Riga geschlagenen sächsischen Armee schickte König August nach Sachsen, um dort zu überwintern und sich neu zu rekrutieren. Durch dieses ihm abgenötigte Opfer hoffte er die aufgebrachte polnische Nation wieder zu sich zurück zu führen.
An die Stelle des Kriegs traten nun die Intrigen. Der Reichstag war beinah in ebensoviel Parteien geteilt, als es Palatine gab. An dem einen Tage hatten die Interessen des Königs August die Oberhand, am andern Tage wurden sie mit Füßen getreten. Alle Welt schrie nach Freiheit und Recht, aber man hatte keine Idee davon, was es heiße frei und gerecht zu sein. Man verlor die Zeit mit geheimen Kabalen und öffentlichen Reden. Der Reichstag wußte in der Tat nicht, was er wollte oder sollte. Große Versammlungen haben zur Zeit bürgerlicher Unruhen beinahe noch nie richtige Beschlüsse gefaßt, weil die Parteimänner dabei in der Regel frech auftreten und die rechtschaffenen Leute zu schüchtern sind. Am 17. Februar 1702 löste sich der Reichstag nach dreimonatlichen Kabalen und Schwankungen in Tumult auf. Die Senatoren, das heißt die Palatine und Bischöfe, blieben in Warschau. Der polnische Senat hat das Recht provisorische Gesetze zu erlassen, welche die Reichstage selten für ungültig erklären; dieser weniger zahlreiche und geschäftsgewandtere Körper war weniger lärmend und beschloß schneller.
Er beschloß, daß man die im Reichstag in Vorschlag gebrachte Gesandtschaft an den König von Schweden schicken und daß die Pospolite aufgeboten werden und sich für alle Fälle bereit halten solle. Dann erließ er verschiedene Verordnungen, um den Unruhen in Litauen zu steuern, noch mehr aber um die Autorität des Königs abzuschwächen, die übrigens jedenfalls weniger zu fürchten war als die Karls.
Unter diesen Umständen wollte August lieber von seinem Besieger als von seinen Untertanen harte Bedingungen annehmen. Er beschloß, den Schwedenkönig um Frieden zu bitten und einen geheimen Vertrag mit ihm abzuschließen. Diese Absicht mußte er natürlich vor dem Senat verbergen, den er als einen noch weit schwieriger zu behandelnden Feind zu betrachten hatte. Die Sache war eine delikate; er verließ sich hierin aber ganz auf die Gräfin Königsmark, eine sehr vornehme Schwedin, mit der er damals in vertrautem Verhältnisse stand. Der Bruder dieser Dame ist durch seinen unglücklichen Tod bekannt geworden, ihr Sohn aber hat die französischen Heere mit Glück und Ruhm geführt.Graf Philipp von Königsmark, der Bruder Auroras, war der Geliebte der Prinzessin Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg-Celle. Er war im Begriff sie zu entführen, als er eines Abends durch vier Meuchelmörder angegriffen wurde, die ihn durchbohrten und seinen Leichnam in eine Kloake warfen. – Ihr Sohn Moritz von Sachsen war Marschall von Frankreich und gewann im Jahre 1745 die Schlacht von Fontenoi.
Diese durch ihren Geist und ihre Schönheit gleich hervorragende Frau war mehr als irgend ein Minister befähigt eine Unterhandlung zu führen. Da sie überdies Güter in den Staaten Karls XII. besaß und längere Zeit an seinem Hofe verweilt hatte, fehlte es ihr nicht an einem annehmbaren Vorwand, um bei diesem Fürsten vorzusprechen. Sie erschien also im schwedischen Lager in Litauen und wendete sich zunächst an den Grafen Piper, der ihr allzu schnell eine Audienz bei seinem Herrn zusagte. Unter den vielen Talenten, welche die Gräfin zu einer der liebenswürdigsten Damen in Europa machte, gehörte auch das große Geschick, womit sie die Sprachen verschiedener Länder, die sie nie besucht hatte, mit ebensoviel Feinheit sprach, als ob sie dort geboren wäre; es machte ihr sogar manchmal Vergnügen französische Verse zu dichten, die man für Produkte einer in Versailles Geborenen hätte nehmen können. Auch auf Karl XII. verfaßte sie ein Gedicht, das die Geschichte nicht vergessen darf. Sie führte darin die Götter der Fabelwelt auf, welche die verschiedenen Tugenden Karls rühmten. Das Gedicht schloß mit den Worten:
Kurz jeder Gott, laut singend seinen Ruhm,
Hob ihn in der Erinnrung Heiligtum
Auf den erhabensten, den ersten Ort,
Nur Venus schwieg und Bacchus sprach kein Wort.
Aber all dieser Geist, diese Liebenswürdigkeit waren bei einem Manne wie der König von Schweden war, verloren. Er weigerte sich beharrlich sie zu sehen. Sie faßte nun den Entschluß, ihm bei seinen häufigen Spazierritten in den Weg zu treten. Wirklich begegnete sie ihm eines Tages auf einem schmalen Wege, und stieg aus dem Wagen, sobald sie seiner gewahr wurde. Allein der König grüßte sie, ohne ein Wort an sie zu richten, wendete sein Pferd und kehrte auf der Stelle um, so daß die Gräfin von ihrer Reise nur die Genugtuung mit nach Hause nehmen konnte, daß sie glauben durfte, der Schwedenkönig fürchte niemand als sie.
Der König von Polen mußte sich also dem Senat in die Arme werfen. Er ließ ihm durch den Palatin von Marienburg zwei Vorschläge machen: man solle ihm die Armee der Republik überlassen, dann wolle er derselben aus seiner eigenen Tasche zwei Vierteljahre Sold zum voraus bezahlen, oder man solle ihm gestatten zwölftausend Sachsen nach Polen kommen zu lassen. Der Kardinal Primas gab ihm eine Antwort, die ebenso hart war wie die Abweisung des Schwedenkönigs. Er erwiderte dem Palatin von Marienburg im Namen der Versammlung: man habe beschlossen eine Gesandtschaft an Karl XII. zu schicken und er möchte dem König nicht raten, die Sachsen kommen zu lassen.
In dieser Not wollte der König wenigstens den Schein der königlichen Würde bewahren. Er schickte daher einen seiner Kammerherren zu Karl, um anzufragen, wo und wie Seine schwedische Majestät die Gesandtschaft seines Königs und Herrn und der Republik empfangen wollte. Leider hatte man vergessen, bei den Schweden um einen Geleitschein für diesen Kammerherrn zu bitten. Der König von Schweden ließ ihn daher ins Gefängnis stecken, statt ihm Audienz zu gewähren, und sprach sich dahin aus, eine Gesandtschaft der Republik wolle er annehmen, nicht aber eine des Königs August. Eine solche Verletzung des Völkerrechts konnte nur das Recht des Stärkeren gestatten.
Karl ließ nun Garnisonen in einigen Städten Litauens und rückte selbst bis über Grodno hinaus, einer in Europa durch die dort abgehaltenen Reichstage bekannten, jedoch schlecht gebauten und noch schlechter befestigten Stadt.
Einige Meilen jenseits Grodno stieß er auf die Gesandtschaft der Republik: sie war aus fünf Senatoren gebildet. Diese wollten zuerst ein Zeremoniell regeln, auf das sich der König nicht verstand; sie verlangten, daß die Republik als eine durchlauchtige behandelt werde, und daß man ihnen die Wagen des Königs und seiner Senatoren entgegenschicke. Er ließ ihnen sagen, die Republik würde als eine erlauchte, nicht aber als eine durchlauchtige angeredet werden, der König bediene sich nie eines Wagens, er habe viele Offiziere um sich, aber keine Senatoren, man werde ihnen einen Generalleutnant entgegenschicken und sie sollten nur auf ihren eigenen Pferden kommen.
Karl XII. empfing sie in seinem Zelte mit Entfaltung einiges militärischen Pompes. Ihre Rede war voll Zurückhaltung und Dunkel. Man merkte, daß sie Karl XII. fürchteten, August nicht liebten, sich aber doch schämten, auf Befehl eines Fremden dem König, den sie erwählt hatten, die Krone wieder zu nehmen. So wurde nichts fest beschlossen und Karl XII. machte ihnen endlich bemerklich, daß er in Warschau seinen Entschluß fassen würde.
Seinem Marsch ging ein Manifest voraus, womit der Kardinal und dessen Partei in acht Tagen Polen überschwemmten. Karl lud in diesem Schreiben alle Polen ein, ihre Rachegelüste dem seinigen anzuschließen, und wollte ihnen begreiflich machen, daß ihre Interessen und die seinigen ganz die gleichen wären. Zwar gingen diese in der Tat weit auseinander, aber das durch eine große Partei, durch die Verwirrung des Senats und das Herannahen des Siegers unterstützte Manifest machte dennoch einen tiefen Eindruck. Man mußte Karl als Protektor anerkennen, weil er es einmal sein wollte, und man noch froh, sein mußte, daß er sich mit diesem Titel begnügte.
Die August feindlichen Senatoren verbreiteten jenes Schreiben unter seinen Augen. Die wenigen, die ihm getreu blieben, verharrten in Schweigen. Als man endlich erfuhr, daß Karl in Eilmärschen heranrücke, schickten sich alle voll Verwirrung zur Flucht an. Der Kardinal war unter den ersten, die Warschau verließen. Die meisten eilten auf ihre Güter, um dort die Entwicklung der Dinge abzuwarten oder auch um ihre Freunde aufzubieten. Beim König blieb nur der Gesandte des römischen Kaisers, der des Zaren, der päpstliche Nuntius, sowie einige Bischöfe und Palatine, die sein Geschick zu dem ihrigen gemacht hatten. Man mußte fort und doch war noch kein Beschluß zugunsten Augusts gefaßt. Man beeilte sich vor dem Auseinandergehen noch einmal mit den wenigen Senatoren, welche noch den Senat bildeten, eine Sitzung abzuhalten. So eifrig diese Herren aber in seinem Dienste waren, so waren sie schließlich doch Polen. Sie empfanden alle eine so große Abneigung vor den sächsischen Truppen, daß sie es nicht wagten, ihm die Vollmacht zu erteilen, mehr als sechstausend Mann zu seinem Schutze heranzuziehen. Ueberdies bestimmten sie, daß diese sechstausend Mann von dem polnischen Obergeneral kommandiert und gleich nach Abschluß des Friedens wieder nach Hause geschickt werden sollten. Die Armeen der Republik dagegen stellten sie ihm zur Verfügung. Nach diesem Erfolg verließ der König Warschau, zu schwach gegen seine Feinde und keineswegs erbaut von der eigenen Partei. Alsbald erließ er seine Befehle zur Versammlung der Pospolite und der Armeen, die fast nur noch dem Namen nach bestanden. Von Litauen, wo die Schweden standen, hatte er nichts zu erwarten. Der schwachen polnischen Armee fehlte es an Waffen, an Vorräten und am guten Willen. Der größte Teil des eingeschüchterten, unentschlossen oder gar übelwollenden Adels blieb auf seinen Gütern. Vergebens befahl der König, von den Staatsgesetzen hierzu ermächtigt, bei Todesstrafe allen Edelleuten, daß sie zu Pferde steigen und ihm folgen sollten. Es war nachgerade zweifelhaft geworden, ob man ihm zu gehorchen habe. Seine größte Macht bestand in den Truppen seines Kurfürstentums, wo die unumschränkte Regierungsform keinen Ungehorsam aufkommen ließ. Bereits hatte er im geheimen zwölftausend Sachsen heranbefohlen, die sich in Eilmärschen näherten. Er ließ noch weitere achttausend nachkommen, welche er dem Kaiser gegen Frankreich versprochen hatte und die er nun in seiner Not zurückrufen mußte. Die Herbeiziehung so vieler Sachsen nach Polen hieß aber alle Geister gegen ihn aufbringen und verletzte das von seiner eigenen Partei erlassene Gesetz, welches ihm nur sechstausend gestattete. Allein er wußte wohl, daß, wenn er Sieger bliebe, man es nicht wagen würde, sich zu beklagen, daß man es ihm aber, wenn er besiegt würde, niemals verzeihen würde, auch nur sechstausend herangeholt zu haben. Während seine Truppen regimenterweise anlangten und er selbst von Palatinat zu Palatinat eilte, um den ihm treu gebliebenen Adel zu sammeln, kam der König von Schweden am 5. Mai 1702 vor Warschau an. Bei der ersten Aufforderung wurden ihm die Tore geöffnet. Er schickte die polnische Garnison nach Hause,Warschau war nicht befestigt und hatte keine Garnison. Poniatowski. löste die Bürgermiliz auf, stellte überall Wachen aus und befahl den Einwohnern ihre sämtlichen Waffen abzuliefern. Da es ihm aber genügte, sie entwaffnet zu wissen, und er sie nicht aufreizen wollte, legte er ihnen nur eine Kontribution von hunderttausend Frank auf. Der König August sammelte inzwischen seine Streitkräfte zu Krakau und war sehr erstaunt den Kardinal Primas hier anlangen zu sehen.Der Kardinal blieb in seiner Residenz zu Bowicz und ging nicht nach Krakau. Poniatowski. Dieser Herr wollte offenbar die Würde seines Charakters bis zum letzten Augenblick aufrecht erhalten und seinen König mit allen Zeichen der äußeren Ehrerbietung fortjagen. Er gab zu verstehen, daß der König von Schweden zu einem vernünftigen Ausgleich bereit scheine und bat demütigst um die Erlaubnis, ihn zu diesem Behuf aufsuchen zu dürfen. Der König August gestattete ihm, was er nicht hindern konnte, das heißt die Freiheit ihm zu schaden.
Der Kardinal Primas eilte alsbald zum König von Schweden, dem er sich noch nicht vorzustellen gewagt hatte. Er sah diesen Fürsten in Praga, der Vorstadt von Warschau, aber ohne die Zeremonien, die man bei den Gesandten der Republik für nötig gehalten hatte. Er traf Karl in einem Rock von grobem blauen Tuch mit kupfernen vergoldeten Knöpfen, schweren Stiefeln, Handschuhen von Büffelleder, die bis zum Ellbogen gingen, in einem Zimmer ohne Tapeten, wo sich zugleich sein Schwager, der Herzog von Holstein, der Graf Piper sein erster Minister, und mehrere Stabsoffiziere befanden. Der König ging dem Kardinal einige Schritte entgegen; sie hatten stehend eine eine Viertelstunde lange Unterredung, die Karl mit den lauten Worten schloß: »Ich werde den Polen nicht eher den Frieden gewähren, bis sie einen anderen König gewählt haben.« –
Der Kardinal hatte diese Erklärung erwartet und teilte sie nun sofort allen Palatinen mit, wobei er aussprach, wie sehr ihm diese Entscheidung unangenehm sei, wie es aber die Not, in der man sich befinde, erheische, dem Sieger gefällig zu sein.
Als der König von Polen dies erfuhr, sah er wohl ein, daß er nun seinen Thron durch eine Schlacht erhalten oder verlieren müsse. Um diese große Entscheidung herbeizuführen, bot er alle seine Hilfsmittel auf. Seine sämtlichen sächsischen Truppen waren von den Grenzen Sachsens herangekommen; der Adel des Palatinats Krakau, wo er sich eben befand, erschien in Masse und bot ihm seine Dienste an. Er sprach selbst allen seinen Edelleuten zu und mahnte sie an ihren Eid; sie versprachen den letzten Blutstropfen für ihn zu vergießen. Durch ihren Beistand und die Truppen, die den Namen Armee der Krone trugen, verstärkt, ging er zum erstenmal in Person dem König von Schweden entgegen. Er traf ihn bald auf seinem Marsche gegen Krakau.
Am 13. Juli 1702 stießen die beiden Könige auf einer weiten Ebene bei Clissau (Clissow) zwischen Warschau und Krakau aufeinander. August hatte gegen vierundzwanzigtausend Mann, Karl XII. nur zwölftausend. Die Schlacht wurde durch das Feuer der Artillerie eröffnet. Bei der ersten Salve der Sachsen erhielt der Herzog von Holstein, ein junger, mutiger und sehr wackerer Prinz, der die schwedische Reiterei befehligte, eine Kanonenkugel in den Leib. Der König fragte, ob er tot sei; man bejahte es, worauf er nichts erwiderte. Aber einige Tränen stürzten aus seinen Augen und er bedeckte einen Augenblick das Gesicht mit beiden Händen. Dann aber stieß er seinem Roß die Sporen in die Flanken und stürzte sich an der Spitze seiner Garde mitten in die Feinde.
Der König von Polen tat, was man von einem Fürsten erwarten konnte, der um seine Krone kämpfte. Dreimal führte er selbst seine Truppen zum Angriff vor, aber er focht nur mit seinen Sachsen. Die Polen, welche seinen rechten Flügel bildeten, waren schon zu Anfang des Gefechts entflohen, die einen aus Schreck, die anderen aus bösem Willen. Die Persönlichkeit Karls XII. schlug durch. Er trug einen vollständigen Sieg davon. Das feindliche Lager, die Fahnen, die Artillerie und die Kriegskasse Augusts fielen in seine Hände. Er hielt sich nicht lange auf dem Schlachtfelde auf,Er blieb acht Tage auf dem Schlachtfeld und ließ alle Verwundeten nach dem Schloß Pinczow, eine Wegstunde davon, bringen. Dann erst ging er nach Krakau, wo er sich das Bein brach. – Poniatowski. sondern marschierte direkt auf Krakau los und verfolgte den fliehenden König von Polen.
Die Bürger von Krakau hatten die Kühnheit, vor dem Sieger ihre Tore zu schließen. Er ließ sie aufbrechen. Die Garnison wagte keinen Schuß, man jagte sie mit Stock und Peitsche bis in das Schloß, wo der König mit ihr eintrat. Nur ein Artillerieoffizier wagte es, Miene zum Abfeuern einer Kanone zu machen, aber der König sprang auf ihn zu und entriß ihm die Lunte. Der Kommandant warf sich dem König zu Füßen. Drei schwedische Regimenter wurden bei den Bürgern einquartiert und die Stadt zu einer Kontribution von hunderttausend Reichstalern verurteilt. Als der Graf von Steinbock, der zum Gouverneur der Stadt ernannt worden war, hörte, daß man in den Gräbern der polnischen Könige, welche sich zu Krakau in der Kirche St. Nikolaus befinden, Schätze verborgen habe, ließ er dieselben öffnen. Man fand jedoch nur Gold- und Silberschmuck, der den Kirchen gehörte. Ein Teil wurde weggenommen und Karl XII. schickte selbst einen goldenen Kelch an eine Kirche in Schweden, was die polnischen Katholiken sehr gegen ihn aufgebracht haben würde, wenn gegen den Schrecken seiner Waffen irgend etwas hätte aufkommen können.
Karl verließ Krakau mit dem Entschluß, den König August aufs äußerste zu verfolgen. Aber wenige Meilen vor der Stadt stürzte sein Pferd und er brach das Bein. Er mußte sich nach Krakau zurücktragen lassen, wo er sich sechs Wochen in den Händen der Chirurgen befand. Durch diesen Zwischenfall gewann August Zeit sich zu erholen. Er ließ in Polen und im deutschen Reich das Gerücht verbreiten, Karl XII. sei infolge seines Sturzes gestorben. Diese falsche Nachricht wurde eine Zeitlang geglaubt und rief überall Bestürzung und Unsicherheit hervor. In diesem Zwischenraum versammelte der König August zu Marienburg und später zu Lublin alle bereits nach Sandomir berufenen Stände des Reichs. Der Zusammenfluß war groß, nur wenige Palatinate weigerten sich, die Versammlung zu beschicken. August gewann fast alle Herzen wieder durch Geschenke, durch Versprechungen und durch jene Leutseligkeit, die den unumschränkten Herrschern so notwendig ist, um sich Liebe zu erwerben, und den Wahlkönigen, um sich auf dem Throne zu erhalten.Hier ist ein zur Aufklärung dieser Geschichte notwendiger Umstand ausgelassen worden. Diejenigen Abgeordneten Großpolens, welche man im Verdacht hatte, daß sie Anhänger des Schwedenkönigs seien, wurden auf dem Reichstag von Lublin nicht zur Ausübung ihres Amtes zugelassen. Auf dem Nachlandtage, einer Versammlung, die in der Regel nach dem Reichstag abgehalten wird, schrien sie über die hierdurch den Palatinaten zugefügte Schmach und die der Freiheit geschehene Kränkung. Von den Schweden noch aufgehetzt und unterstützt, schlossen sie dann eine Konföderation, welche zwar die Erhaltung des Königs August auf dem Throne, aber salvis juribus pactorum conventorum aussprach, eine der Deutung sehr unterworfene Klausel und von zweifelhaftem Sinne, wenn der König sie beobachtet hätte. Diese Konföderation forderte andere Palatinate auf, sich denen von Großpolen anzuschließen und ging dann nach Warschau, wo dann in der von dem Kardinal berufenen Versammlung die Exvinkulation (Loslösung) von dem dem König von Polen schuldigen Gehorsam verkündet wurde. Poniatowski.
Der Reichstag wurde sehr bald über die Unrichtigkeit der Nachricht vom Tode des Königs von Schweden enttäuscht; aber dieser große Körper hatte nun einmal seinen Anstoß erhalten und so ließ er sich in der erhaltenen Richtung forttreiben: sämtliche Mitglieder schwuren, ihrem Souverän getreu bleiben zu wollen. So sehr sind derartige Versammlungen der Wandlung unterworfen. Selbst der Kardinal Primas tat, als ob er noch zu König August halte und erschien auf dem Reichstag zu Lublin. Er küßte dem König die Hand und weigerte sich nicht den Eid zu leisten wie die übrigen. Dieser Eid bestand darin, daß man schwur, nichts gegen den König August unternommen zu haben und nichts gegen ihn ferner unternehmen zu wollen. Der König dispensierte den Kardinal von dem ersten Teil des Schwurs, so daß der Prälat nur die zweite Hälfte unter Erröten beschwor. Das Resultat dieses Reichstages war der Beschluß, eine Armee von fünfzigtausend Mann auf Kosten der Republik und für den Dienst des Königs aufzustellen; den Schweden sechs Wochen Bedenkzeit zu geben, damit sie innerhalb dieser Frist sich erklären möchten, ob sie Krieg oder Frieden wollten, und den Fürsten Sapieha, den ersten Urhebern der Unruhen in Litauen, eine gleiche Frist zu gewähren, um den König von Polen um Verzeihung und Gnade zu bitten.
Allein noch während dieser Verhandlungen war Karl von seiner Verletzung genesen und warf schon wieder alles vor sich nieder. Unerschütterlich in seiner Absicht die Polen zu zwingen, ihren König selbst zu entthronen, ließ er durch die Intrigen des Kardinal Primas eine neue Versammlung nach Warschau berufen, welche ein Gegengewicht gegen die Lubliner sein sollte. Seine Generale machten ihn darauf aufmerksam, daß diese Angelegenheit sich in die Länge ziehen und über lauter Aufschieben und Verzögerungen einschlafen könnte; daß während dieser Zeit die Russen sich täglich mehr an seinen in Livland und Ingermanland verbliebenen Truppen an den Krieg gewöhnen würden; daß die Gefechte, welche in diesen Provinzen zwischen Schweden und Russen stattfänden, nicht immer zugunsten der ersteren ausfielen und daß seine Gegenwart vielleicht bald dort nötig sein werde. Aber Karl, in seinen Entwürfen ebenso unerschütterlich wie feurig in seinen Handlungen, erwiderte ihnen: »Und wenn ich fünfzig Jahre hier bleiben müßte, würde ich nicht früher fortgehen, als bis ich den König von Polen entthront habe.«
Er ließ nun die Warschauer Versammlung in Reden und Briefen die Lubliner bekämpfen. Sie mußte ihr Verfahren durch die Gesetze des Landes zu rechtfertigen suchen, die ja immer zweideutig sind, die jede Partei nach ihrem Belieben auslegt und die der Erfolg allein unbestreitbar macht. Er selbst verstärkte erst seine siegreichen Truppen durch sechstausend Reiter und achttausend Mann Infanterie, die ihm aus Schweden zukamen und marschierte damit gegen die Ueberbleibsel der sächsischen Armee, die er bei Clissau geschlagen und die, während er an seinem Sturze zu Bette lag, Zeit gehabt hatte sich zu erholen und zu verstärken. Aber diese Armee wich ihm aus und zog sich in nordwestlicher Richtung von Warschau gegen Preußen zurück. Der Bug lag zwischen ihm und seinen Feinden. Karl schwamm an der Spitze seiner Reiterei hinüber, während die Infanterie eine Fuhrt weiter oben aufsuchte. Dies geschah am 1. Mai 1703. Er erreichte die Sachsen an einem Ort mit Namen Pulseth. General Stenau kommandierte das noch zehntausend Mann starke sächsische Korps. Auch der Schwedenkönig hatte auf seinem Geschwindmarsch nicht mehr mitgebracht, da er überzeugt war, daß auch eine geringere Zahl genügen würde. Der Schrecken vor seinen Waffen war auch in der Tat so groß, daß die Hälfte der sächsischen Armee bei seinem Anmarsch davonlief, ohne einen Kampf anzunehmen. General Stenau hielt einen Augenblick mit zwei Regimentern stand; bald aber sah auch er sich in die allgemeine Flucht seiner Armee mit hineingezogen, die sich zerstreute, ohne eigentlich geschlagen zu sein. Die Schweden machten kaum tausend Gefangene und töteten nicht ganz sechshundert Mann, wobei ihnen die Verfolgung mehr Mühe machte als die Besiegung.
Mit den Trümmern seiner nach allen Richtungen geschlagenen Truppen zog sich August eilig nach Thorn, einer alten an der Weichsel gelegenen Stadt des Königreichs Preußen zurück, die unter der Protektion des Königs von Polen stand. Karl machte alsbald Anstalten sie zu belagern. Nun glaubte sich König August auch hier nicht mehr sicher und flüchtete sich nach solchen Orten Polens, wo er noch einige Soldaten sammeln konnte und wo die Schweden auf ihren Streifzügen noch nicht hingekommen waren. Inzwischen hatte Karl bei seinem raschen Marsche, wobei er die Flüsse durchschwommen und die Infanterie auf der Croupe hinter seinen Reitern mitgenommen hatte, noch keine Geschütze bis vor Thorn bringen können. Er mußte daher warten, bis von Schweden aus zur See welche zugeführt wurden.
Einstweilen bezog er einige Meilen von der Stadt eine Stellung, rückte aber doch oft nur allzu nahe an die Wälle, um zu rekognoszieren. Bei diesen gefährlichen Gängen war ihm das einfache Kleid, das er beständig trug, von einem größeren Nutzen als er geahnt hatte. Er fiel infolge hiervon nicht auf und wurde von den Feinden nicht aufs Korn genommen, die sonst sicher nach ihm geschossen hätten. Einmal hatte er sich in Begleitung eines seiner Generale namens Lieven, der eine mit Gold gestickte blaue Uniform trug, der Festung so sehr genähert, daß er fürchtete, der General könnte bemerkt werden. Er befahl ihm daher in einer Regung von Hochherzigkeit sich hinter ihn zu stellen. Dabei dachte er nicht daran, daß er sein eigenes Leben einer offenbaren Gefahr aussetze, um das eines seiner Untertanen zu retten. Lieven, der zu spät einsah, daß er einen Fehler begangen, als er eine so auffallende Uniform angezogen, die auch seine Umgebung der Gefahr aussetzte, fürchtete für den König selbst und zögerte zu gehorchen. Der König faßte ihn jedoch beim Arm, stellte sich vor ihn und deckte ihn. In diesem Augenblicke streckte ein Kanonenschuß von der Flanke her den General auf der nämlichen Stelle tot zur Erde, die der König kaum eben erst verlassen hatte. Der Tod dieses Offiziers, der an seiner Stelle und trotzdem er ihn hatte retten wollen, fiel, trug nicht wenig dazu bei, ihn in seinem Glauben an eine sichere Vorausbestimmung zu bestärken, den er sein Lebenlang festhielt, und der ihn zu der Ueberzeugung brachte, daß das Schicksal ihn so auffallend beschütze, weil es ihn zur Ausführung der außerordentlichsten Taten bestimmt habe.
Alles gelang ihm, seine Unterhandlungen und seine Waffen waren gleich glücklich. Er war in Polen gleichsam allgegenwärtig, denn sein Marschall Rehnsköld befand sich im Herzen dieses Landes mit einem großen Armeekorps; gegen dreißigtausend Schweden manövrierten unter verschiedenen Generalen an den nördlichen und östlichen Grenzen und hemmten die Anstrengungen des ganzen russischen Reichs, und Karl selbst stand am westlichen Ende Polens an der Spitze seiner Eliten.
Der König von Dänemark war durch den Vertrag von Travendahl, den er in seiner Schwäche nicht zu brechen wagte, gebunden, und verhielt sich ruhig. Dieser Monarch war zu klug, um seinen Aerger über diese Operationen des Königs von Schweden in der Nähe seiner Staaten, offen zu zeigen. Weiter gegen Südwest, zwischen Elbe und Weser erschloß das Herzogtum Bremen, das letzte Gebiet der alten schwedischen Eroberungen mit seinen starken Garnisonen unserem Kriegshelden die Pforten Sachsens und des deutschen Reichs. So war alles von der Nordsee bis zur Mündung des Dniepr, somit in der ganzen Breite von Europa und bis an die Pforten von Moskau voll Bestürzung und in Erwartung einer vollständigen Umwälzung. Karls Schiffe, die die Ostsee beherrschten, waren damit beschäftigt, die in Polen gemachten Gefangenen nach Schweden zu führen. Schweden selbst genoß inmitten dieser gewaltigen Bewegungen der Ruhe und eines tiefen Friedens. Der Ruhm seines Königs war seine Lust, ohne daß es sich davon bedrückt fühlte, denn seine siegreichen Truppen wurden auf Kosten der Besiegten bezahlt und unterhalten.
In diesem allgemeinen stummen Respekt des Nordens vor den Waffen Karls XII. wagte es die Stadt Danzig allein, ihm zu mißfallen. Vierzehn Fregatten und vierzig Transportschiffe führten dem König eine Verstärkung von sechstausend Mann nebst Geschützen und Munition für die Belagerung von Thorn zu. Diese Verstärkung mußte die Weichsel herauffahren. An der Mündung dieses Flusses liegt aber die reiche und freie Stadt Danzig, die nebst Thorn und Elbing in Polen die gleichen Vorrechte genießt, wie die Reichsstädte in Deutschland. Ihre Freiheit wurde der Reihe nach von den Dänen, den Schweden und einigen deutschen Fürsten angegriffen; und sie bewahrte dieselbe nur, weil die Eifersucht dieser Mächte aufeinander sie schützte. Der Graf Steinbock, einer der schwedischen Generale, versammelte den Magistrat im Namen des Königs und verlangte freien Durchzug für die Truppen und die Munition. Mit jener Unklugheit, die man nicht selten Stärkeren gegenüber entwickelt, wagte es der Magistrat nicht, dies Verlangen abzuschlagen, aber auch nicht es ohne weiteres zu bewilligen. Nun erzwang General Steinbock mehr als er anfangs verlangt hatte; er legte sogar der Stadt eine Kontribution von hunderttausend Talern auf, die sie für ihre unkluge Weigerung bezahlen mußte. Als endlich jene Verstärkung, die Artillerie und die Munition vor Thorn angekommen war, begann am 22. September die Belagerung.
Der Gouverneur der Festung, Nobel, verteidigte sie einen Monat lang mit seinen fünftausend Mann Besatzung. Am Schluß des Monats sah er sich genötigt, sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. Die Garnison wurde kriegsgefangen und nach Schweden geführt. Nobel wurde dem König ohne Waffen vorgestellt. Dieser, der nie eine Gelegenheit vorüber ließ, wo er das Verdienst an seinen Feinden ehren konnte, gab ihm eigenhändig einen Degen, machte ihm ein ansehnliches Geldgeschenk und ließ ihn auf Ehrenwort frei. Die kleine und arme Stadt aber wurde zu einer Kontribution von vierzigtausend Talern verurteilt, was für sie eine außerordentliche Buße war.
Elbing, an einem Arm der Weichsel gelegen, durch die deutschen Ritter gegründet und gleichfalls Polen zugehörig, ließ sich den Fehler der Danziger nicht zur Lehre dienen; es besann sich ebenfalls allzu lange, bis es den schwedischen Truppen den Durchmarsch gewährte. Dafür wurde es noch härter als Danzig bestraft. Karl rückte am 13. Dezember an der Spitze von viertausend Mann mit aufgepflanztem Bajonett in die Stadt. Die erschrockenen Einwohner warfen sich in den Straßen auf die Kniee und flehten um Gnade. Der König ließ sie entwaffnen, quartierte seine Soldaten bei den Bürgern ein, ließ dann den Magistrat kommen und verlangte eine Kontribution von zweimalhundertsechzigtausend Talern, die noch an demselben Tage bezahlt werden sollte. In der Stadt befanden sich zweihundert Kanonen und viertausend Zentner Pulver, deren er sich bemächtigte. Der Gewinn einer Schlacht hätte ihm nicht so viel gebracht. Alle diese Erfolge waren nur Vorläufer von der Entthronung des Königs August.
Kaum hatte der Kardinal Radziejowski seinem König geschworen, daß er nichts gegen ihn unternehmen wolle, als er sich, immer unter dem Vorwand für den Frieden wirken zu wollen, zu der Warschauer Versammlung begab. Dort sprach er nur von Eintracht und Gehorsam, aber er hatte eine Schar Soldaten mitgebracht, die er auf seinen Gütern hatte ausheben lassen. Endlich ließ er die Maske fallen und erklärte am 14. Februar 1704 im Namen der Versammlung den Kurfürst August von Sachsen für nicht mehr befähigt die polnische Krone zu tragen. Einstimmig wurde ausgesprochen, daß der Thron erledigt sei. Es lag im Willen des Königs von Schweden und somit auch des Reichstags, dem Prinzen Jakob Sobieski den Thron des Königs Johann, seines Vaters, zu verleihen. Jakob Sobieski befand sich damals zu Breslau in Schlesien, wo er mit Ungeduld die Krone erwartete, die sein Vater getragen hatte. Eines Tags befand er sich mit einem seiner Brüder, dem Prinzen Konstantin, einige Stunden von Breslau auf der Jagd, als plötzlich dreißig sächsische, im geheimen von König August abgesandte Edelleute aus einem nahen Walde hervorbrachen, die beiden Prinzen umzingelten und ohne Widerstand entführten. Man hatte Relaispferde vorbereitet, auf denen man sie sofort nach Leipzig führte wo sie in enge Gewahrnis genommen wurden. Dieser Handstreich durchkreuzte die Pläne Karls, des Kardinals und der Warschauer Versammlung.
Das Schicksal, welches auch mit gekrönten Häuptern sein Spiel treibt, brachte fast zu gleicher Zeit auch den König August der Gefangenschaft nahe. Er saß drei Stunden von Krakau bei Tische, indem er sich auf eine Feldwache verließ, welche in einiger Entfernung ausgestellt war, als plötzlich der General Rehnsköld erschien, der diese Feldwache aufgehoben hatte. August fand kaum noch Zeit, in der elften Stunde zu Pferde zu steigen. General Rehnsköld verfolgte ihn vier Tage lang, alle Augenblicke auf dem Sprunge ihn zu erwischen. Der König floh bis Sandomir; auch bis dahin eilte ihm der schwedische General nach und nur durch ein besonderes Glück entwischte ihm der König.
Während dieser ganzen Zeit behandelte die Partei des Königs August die des Kardinals als Verräter am Vaterlande und wurde von ihr ebenso behandelt. Auch die Armee der Krone zerfiel in diese beiden Parteien. August sah sich endlich gezwungen, den Beistand der Moskowiter anzunehmen und bereute nur, daß er ihn nicht schon früher erbeten hatte.
Bald eilte er nach Sachsen, wo seine Hilfsquellen erschöpft waren, bald kehrte er nach Polen zurück, wo man es nicht wagte ihm zu dienen. Andererseits regierte der siegreiche Schwedenkönig in Wahrheit ruhig in Polen.
Der Graf Piper, der ebensoviel politische Geschicklichkeit besaß, wie sein Herr Seelengröße, machte um diese Zeit Karl den Vorschlag, sich die polnische Krone selbst aufs Haupt zu setzen. Er stellte ihm vor, daß dies an der Spitze einer siegreichen Armee eine leichte Sache und daß eine mächtige Partei im eigentlichen Herzen des Königreichs ihm ja bereits unterworfen sei. Er lockte ihn mit dem Titel eines Verteidigers des evangelischen Glaubens, was dem Ehrgeiz Karls auch schmeichelte. Er sagte ihm, es sei leicht in Polen durchzusetzen, was Gustav Wasa in Schweden getan, das Luthertum einzuführen und die Ketten eines Volks zu brechen, das dem Adel und der Geistlichkeit leibeigen sei. Karl schwankte einen Augenblick; aber der Ruhm war sein Götze. Ihm opferte er sein Interesse und das Vergnügen, das er etwa empfunden hätte, dem Papste Polen zu entreißen. Er sagte dem Grafen Piper: es kitzele ihn mehr, Königreiche zu vergeben, als sie für sich zu gewinnen, und lächelnd fügte er hinzu; »Ihr hättet der Minister eines italienischen Fürsten werden sollen.« Karl stand noch bei Thorn, in jenem Teil des Königreichs Preußen, der zu Polen gehört; von hier aus behielt er im Auge, was zu Warschau geschah und hielt zugleich die benachbarten Mächte in Respekt. Der Prinz Alexander, Bruder der beiden in Schlesien aufgehobenen Sobieskis, kam hier zu ihm und flehte ihn um Rache an. Karl versprach es ihm um so lieber, als er die Rache für eine leichte Sache hielt und er sich zugleich selbst dabei mit rächen konnte. Allein in seiner Ungeduld, Polen einen König zu geben, machte er dem Prinzen Alexander den Vorschlag, den Thron zu besteigen, von dem ein eigensinniges Geschick seinen Bruder ferne hielt. Er erwartete natürlich keine abschlägige Antwort. Aber der Prinz Alexander erklärte ihm, daß nichts auf der Welt ihn veranlassen könnte, von dem Unglück seines ältesten Bruders einen Nutzen für sich zu ziehen. Der König von Schweden, der Graf Piper, alle seine Freunde und besonders der junge Palatin von Polen, Stanislaus Leczinski, drangen in ihn die Krone anzunehmen. Allein er blieb fest in seinem Vorsatz. Die benachbarten Fürsten hörten mit Staunen von dieser unerhörten Weigerung und wußten nicht, wen sie mehr bewundern sollten, den König von Schweden, der in seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahre die Krone von Polen vergeben konnte, oder den Prinzen Alexander, der sie ausschlug.