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1768
Der alte Belus, König von Babylon, hielt sich für den bedeutendsten Mann der Welt, denn alle seine Höflinge sagten und seine Geschichtschreiber bewiesen es ihm. Was diese seine Lächerlichkeit immerhin entschuldigen konnte, war der Umstand, daß seine Vorgänger in der Tat dreißigtausend Jahre vor ihm Babylon erbaut hatten, und er es verschönerte. Es ist bekannt, daß sein Palast und sein Park sich einige persische Meilen vor Babylon zwischen dem Euphrat und dem Tigris ausdehnten, welche beiden Flüsse diese verzauberten Ufer bespülten. Sein mächtiges, dreitausend Schritte langes Haus ragte bis in die Wolken hinauf. Das flache Dach war von einem fünfzig Fuß hohen Marmorgeländer umgeben und trug die Riesenbildsäulen aller Könige und aller großen Männer des Reiches. Das Dach selber, welches aus zwei mit dicken Bleiplatten belegten Backsteinschichten bestand, war zwölf Fuß hoch mit Erde bedeckt, und in diese Erde hatte man Oliven-, Orangen-, Zitronen-, Palmen-, Gewürz-, Kokosnuß- und Zimtwälder gepflanzt, welche keinen Sonnenstrahl auf die schattigen Wege herabfallen ließen.
Die durch Pumpen in hundert hohlen Säulen emporgehobenen Wasser des Euphrat füllten in diesen Gärten mächtige Marmorbecken und bildeten dann, durch andere Kanäle wieder herabfallend, unten im Park sechstausend Fuß lange Wasserfälle und hunderttausend Springbrunnen, deren Höhe sich kaum wahrnehmen ließ; darauf flössen sie zurück in den Euphrat, dem sie entstiegen waren. Die Gärten der Semiramis, welche um einige Jahrhunderte später Asien in Erstaunen versetzten, waren nur eine schwächliche Nachahmung dieser alten Wunder, denn zu Zeiten der Semiramis begann ein großer allgemeiner Niedergang sowohl unter den Männern wie unter den Weibern.
Was in Babylon jedoch am wunderbarsten war, was alles übrige in Schatten stellte, das war die einzige, Formosante geheißene Tochter des Königs. Nach ihren Bildnissen und Statuen hat im Verlauf der Jahrhunderte Praxiteles seine Aphrodite und jenes andere Standbild gemeißelt, welches man die Venus mit den schönen Hinterbacken nannte. Oh Himmel, welch ein Unterschied aber zwischen dem Urbild und seinen Nachbildungen! So war Belus auf seine Tochter denn auch stolzer als auf sein Königreich. Sie zählte achtzehn Jahre, und ein Gatte tat ihr not, der ihrer würdig war. Wo aber ihn finden? Ein altes Orakel hatte bestimmt, Formosante dürfe nur demjenigen angehören, der Nimrods Bogen zu spannen vermöchte. Nimrod, der gewaltige Jäger vor dem Herrn, hatte einen sieben babylonische Fuß hohen Bogen aus einem Ebenholze hinterlassen, das härter war als das Eisen aus dem Berge Kaukasus, welches in den Schmieden von Derbent verarbeitet wird, und kein Sterblicher seit Nimrod hatte diesen wunderbaren Bogen zu spannen vermocht.
Ferner war noch gesagt worden, daß der Arm, so diesen Bogen gespannt, auch den furchtbarsten und gefährlichsten Löwen töten sollte, der je im Zirkus von Babylon losgelassen. Das war noch nicht alles: der Bogenspanner und Löwentöter sollte auch alle seine Nebenbuhler zu Boden ringen, vor allem aber mußte er viel Verstand haben, der Herrlichste von allen Menschen und der Tugendhafteste sein, und das seltenste Ding besitzen, das es auf der ganzen Erde gab.
Es traten drei Könige auf, welche um Formosanten zu streiten wagten: der Pharao Ägyptens, der Schah von Indien und der große Khan der Skythen. Belus bestimmte den Tag des Kampfes und als Ort die weite, von den vereinigten Wassern des Euphrat und Tigris begrenzte Ecke am äußersten Ende seines Parkes. Rings um den Kampfplatz errichtete man ein marmornes Amphitheater, das fünfhunderttausend Zuschauer fassen konnte. Dem Amphitheater gegenüber war der Thron des Königs, der, vom gesamten Hofe geleitet, mit Formosanten erscheinen wollte, und zur Rechten und Linken zwischen diesem Thron und dem Amphitheater waren noch andere Throne und Sitze für die drei Könige und alle anderen Herrscher aufgestellt, welche etwa Lust verspüren sollten, dieser erhabenen Zeremonie beizuwohnen.
Als Erster kam der König von Ägypten auf dem Stier Apis an und hielt in der Hand das Sistrum der Isis. Zweitausend Priester, deren Linnengewänder weißer waren denn Schnee, zweitausend Eunuchen, zweitausend Magier und zweitausend Krieger folgten ihm.
Bald darauf erschien der König der Indier in einem von zwölf Elefanten gezogenen Wagen. Sein Gefolge war noch zahlreicher und glänzender als das des Pharaos von Ägypten.
Der König der Skythen kam als Letzter. Er hatte nur auserwählte, mit Bogen und Pfeilen bewaffnete Krieger um sich. Sein Reittier war ein prachtvoller Tiger, den er selber gezähmt, und der ebenso groß war, wie die schönsten persischen Pferde. Der majestätisch prangende Leib dieses Monarchen stellte die seiner Nebenbuhler in Schatten: seine nackten, so nervigen wie weißen Arme schienen den Bogen Nimrods schon zu spannen.
Die drei Fürsten küßten zunächst vor Belus und Formosante den Boden. Der König von Ägypten brachte der Prinzessin die beiden schönsten Krokodile des Niles, zwei Flußpferde, zwei Zebras, zwei ägyptische Ratten und zwei Mumien mit den Büchern des großen Hermes dar, welche er für die größte Seltenheit hielt, die es auf der Erde gab.
Der König Indiens machte ihr hundert Elefanten zum Geschenk, von denen ein jeder einen Turm aus vergoldetem Holze trug, und zu ihren Füßen legte er den von Xaca's eigener Hand geschriebenen Veda nieder.
Der König der Skythen, der weder lesen noch schreiben konnte, schenkte hundert mit Schabracken und schwarzen Fuchsfellen bedeckte Schlachtrosse.
Die Prinzessin senkte vor ihren Werbern die Augen und verneigte sich mit einer ebenso bescheidenen wie edlen Anmut.
Belus ließ die Monarchen auf die für sie errichteten Throne führen. »Warum habe ich nicht drei Töchter,« sprach er zu ihnen, »dann würde ich heute sechs Menschen glücklich machen können.« Darauf ließ er losen, wer sich zuerst an Nimrods Bogen versuchen sollte. Man warf die Namen der drei Bewerber in einen goldenen Helm. Der des Königs von Ägypten sprang zuerst heraus, dann der des indischen Königs. Der König der Skythen maß den Bogen und seine Mitbewerber – und bedauerte nicht, der Dritte zu sein.
Während man die glänzenden Proben vorbereitete, reichten zwanzigtausend Edelknaben und zwanzigtausend junge Mädchen zwischen den Sitzreihen den Zuschauern in höchster Ordnung Erfrischungen: jedermann war der Meinung, die Götter hätten die Könige nur eingesetzt, um alle Tage Feste zu geben, vorausgesetzt, daß sie abwechslungsreich seien, ferner, daß das Leben zu kurz sei, um auf andere Weise verbracht zu werden, daß die Prozesse und Kabalen, der Krieg und das Gezänk der Priester, welche alle das menschliche Leben aufzehren, törichte und schreckliche Dinge seien, daß der Mensch nur zur Freude geboren sei, daß er das Vergnügen nicht leidenschaftlich und dauernd lieben würde, wenn er dafür nicht geschaffen wäre, daß das Wesen der menschlichen Natur darin bestände, zu genießen, und daß alles übrige Narrheit sei. Diese fürtreffliche Moral ist immer nur durch die Tatsachen Lügen gestraft worden.
Als die Proben, die über Formosantens Geschick entscheiden sollten, gerade ihren Anfang zu nehmen bereit waren, zeigte sich plötzlich ein junger, auf einem Einhorn reitender Unbekannter, von einem ebenso berittenen Diener begleitet, an der Schranke, und auf seiner Faust trug er einen großen Vogel. Die Wachen waren erstaunt, eine Gestalt, die den Eindruck einer Gottheit machte, in diesem Aufzuge zu sehen. Wie man später gesagt hat, trug sie das Antlitz des Adonis auf dem Leibe des Herkules. Mit Anmut gepaarte Majestät und die schwarzen Augenbrauen und langen blonden Haare, eine in Babylon unbekannte Verbindung von Schönheiten, versetzte die Versammlung in Entzücken; das ganze Amphitheater erhob sich, um den Fremden besser sehen zu können, alle Frauen des Hofes hefteten ihre erstaunten Blicke auf ihn, und selbst Formosante, die sonst stets die Augen senkte, erhob jetzt ihre Lider und errötete. Die drei Könige erbleichten: denn alle Zuschauer, die Formosanten mit dem Unbekannten verglichen, brachen in den Ruf aus: »Auf der ganzen Welt ist nur dieser junge Mann ebenso schön wie die Prinzessin.«
Die verwunderten Palastdiener fragten ihn, ob er ein König sei. Der Fremde erwiderte, er sei dieser Ehre nicht teilhaftig, dagegen von sehr weit hergekommen aus Neugier, ob es wohl Könige geben möchte, die Formosantens würdig seien. Man führte ihn in die erste Reihe des Amphitheaters, ihn, seinen Diener, seine beiden Einhorne und seinen Vogel; er verneigte sich tief vor Belus, seiner Tochter, den drei Königen und der ganzen Versammlung, und dann nahm er errötend Platz; seine beiden Einhorne lagerten sich zu seinen Füßen, sein Vogel setzte sich ihm auf die Schulter, und sein Diener, der einen kleinen Sack trug, ließ sich an seiner Seite nieder.
Die Proben begannen. Man nahm den Bogen Nimrods aus seiner Goldschachtel. Der Oberhofzeremonienmeister, dem fünfzig Edelknaben folgten und zwanzig Bläser voranschritten, reichte ihn dem Könige von Ägypten, der ihn durch seine Priester segnen ließ, und nachdem er ihn auch noch auf das Haupt des Ochsen Apis gelegt hatte, zweifelte er nicht mehr daran, diesen ersten Sieg davonzutragen. Hurtig begab er sich in die Mitte der Arena, machte zunächst einen Versuch, spannte dann alle seine Kräfte an und drehte und wand sich derart, daß das Theater in Lachen ausbrach und sogar Formosante lächeln mußte.
Sein Oberpriester näherte sich ihm nun: »Eure Majestät mögen«, so sprach er zu ihm, »auf diese eitle Ehre, welche nur Muskeln und Sehnen erfordert, verzichten, in allem übrigen werdet Ihr triumphieren: Ihr werdet den Löwen besiegen, da Euch das Schwert des Osiris zu eigen ist, außerdem soll die Prinzessin von Babylon demjenigen Fürsten angehören, der am meisten Verstand hat, und Ihr habt Rätsel enträtselt; sie soll sich dem Tugendhaftesten vermählen, und der seid wiederum Ihr, denn Ägyptens Priester haben Euch auferzogen; der Großmütigste soll sie erringen: Ihr habt die beiden schönsten Krokodile und die beiden schönsten Ratten verschenkt, die das Delta besaß. Ihr besitzet den Stier Apis und die Bücher des großen Hermes, die beiden seltensten Dinge von der Welt, niemand kann Euch Formosanten streitig machen.« »Du hast recht«, sprach da der König von Ägypten, und setzte sich wieder auf seinen Thron.
Man legte den Bogen nun in die Hände des Königs von Indien: er trug für vierzehn Tage Blasen davon und tröstete sich mit der Vermutung, der König der Skythen werde nicht glücklicher sein denn er.
Der Skythe versuchte sich nun seinerseits an dem Bogen: er verband Gewandtheit mit Kraft, der Bogen schien in seinen Händen etwas Geschmeidigkeit anzunehmen, er krümmte ihn ein wenig, niemals jedoch hätte er ihn wirklich zu spannen vermocht. Das Amphitheater, das für diesen Fürsten um seines angenehmen Äußeren willen günstig gestimmt war, seufzte über seinen geringen Erfolg und fürchtete, die Prinzessin möchte niemals verheiratet werden.
Da schwang sich der junge Unbekannte in die Arena hinab und sprach den König der Skythen folgendermaßen an: »Euere Majestät dürfen über das halbe Gelingen nicht verwundert sein, diese Ebenholzbogen werden in meiner Heimat verfertigt, man braucht ihnen nur eine bestimmte Wendung zu geben. Euer Verdienst, ihn ein wenig gekrümmt zu haben, wiegt weit schwerer als das meine, wenn ich ihn nun wirklich spanne.« Zugleich ergriff er einen Pfeil, setzte ihn auf die Sehne, spannte den Bogen Nimrods und sandte den Pfeil weit über die Schranken hinaus. Eine Million Hände klatschten diesem Wunder Beifall, Babylon hallte von freudigen Rufen wider, und alle Frauen sprachen: »Welches Glück, daß ein so schöner Knabe zugleich so stark ist.«
Darauf zog der Fremde aus seiner Tasche ein Elfenbeinplättchen hervor, schrieb auf dieses Plättchen mit einer goldenen Nadel, befestigte das Täfelchen darauf an dem Bogen und überreichte das Ganze der Prinzessin mit einer solchen Anmut, daß alle Beiwohnenden außer sich vor Entzücken waren; dann setzte er sich bescheidentlich wieder auf seinen Platz zwischen seinen Vogel und seinen Diener. Ganz Babylon war über die Maßen verwundert, die drei Könige waren bestürzt und der Unbekannte schien von alledem nichts zu bemerken.
Am erstauntesten jedoch war Formosante, als sie auf dem am Bogen befestigten Elfenbeintäfelchen in schönstem Chaldäisch das folgende Verslein las:
Dem Krieg gehöret der Bogen des Nimrod.
Der Liebe Bogen dem Glück sich gesellt:
Ihr tragt ihn! Durch Euch ward der siegende Gott
Zum jubelnden Herren der Welt!
Drei mächtige Fürsten, drei Werber heut
Kühn Euch zu gefallen streben:
Ich weiß nicht, wen Euer Herze freit,
Doch das All wird vor Eifersucht beben.
Dieses kleine Madrigal mißfiel der Prinzessin keineswegs. Es wurde von einigen Herren des alten Hofes beurteilt, und diese meinten, ehemals, in der guten alten Zeit nämlich, würde man Belus mit der Sonne verglichen haben, Formosanten mit dem Monde, ihren Hals mit einem Turm und ihren Busen mit einem Scheffel Weizen; sie sagten ferner, der Fremde habe keine Phantasie und irre von den Regeln der echten Poesie ab; alle Damen jedoch fanden die Verse sehr artig; sie wunderten sich, daß ein Mann, der einen Bogen so gut zu spannen vermochte, auch so viel Geist besaß. Die Ehrendame der Prinzessin sagte zu ihr: »Oh Gnädigste, wie viele völlig nutzlose Gaben! Wozu können diesem jungen Manne sein Verstand und der Bogen des Belus wohl dienlich sein?« »Um Bewunderung zu erregen«, erwiderte Formosante. »Ah,« zischte die Ehrendame zwischen den Zähnen, »noch ein Madrigal, und er möchte gar geliebt werden!«
Unterdessen hatte Belus seine Magier befragt und verkündete nun, daß er, obgleich keiner der drei Könige den Bogen des Nimrod zu spannen vermocht, darum seine Tochter doch nicht weniger verheiraten müsse, und so solle sie dem angehören, dem es gelingen würde, den großen Löwen niederzukämpfen, den man eigens hierzu in seinem Zwinger herangefüttert habe. Der König von Ägypten, der in der ganzen Weisheit seines Landes auferzogen worden war, fand es äußerst lächerlich, einen König Tieren auszusetzen, um ihn zu verheiraten: er gestand, der Besitz Formosantens habe zwar einen großen Wert, hob aber hervor, daß er die schöne Babylonierin eben doch niemals würde heiraten können, falls ihn der Löwe zerrisse. Der König von Indien hegte die gleichen Gefühle wie der Ägypter. Alle beide einigten sich dahin, daß der König von Babylon sich über sie lustig mache, daß man Heere herbeirufen müsse, um ihn zu bestrafen, daß sie genug Untertanen besäßen, die sich äußerst geehrt fühlen würden, im Dienste ihrer Gebieter zu sterben, ohne daß dies ein Haar von ihren geheiligten Häuptern kosten sollte, und daß sie den König von Babylon gar leicht entthronen und dann um die schöne Formosante losen könnten.
Nachdem diese Meinungsübereinstimmung erzielt war, sandte jeder der beiden Könige den ausdrücklichen Befehl in sein Land, es solle zur Entführung Formosantens ein Heer von dreihunderttausend Mann zusammengebracht werden.
Der König der Skythen stieg unterdessen allein in die Arena hinab, den krummen Türkensäbel in der Hand: er war in Formosantens Reize nicht töricht verliebt, der Ruhm war bisher seine einzige Leidenschaft gewesen, sie hatte ihn auch nach Babylon geführt. Wenn die Könige von Indien und Ägypten nun auch klug genug waren, sich mit Löwen nicht einzulassen, so wollte er zeigen, daß er seinerseits doch eben tapfer genug sei, diesen Kampf nicht zu scheuen und die Ehre der Kronen wieder reinzuwaschen. Sein seltener Mut ließ nicht einmal zu, daß er den Beistand seines Tigers begehrte: leicht bewaffnet und mit einem goldverzierten, von drei schneeweißen Roßschweifen beschatteten Stahlhelm bedeckt, drang er ganz allein vor.
Man ließ den ungeheuersten Löwen gegen ihn los, der jemals in den Bergen des Antilibanon geboren worden war; seine furchtbaren Tatzen sahen so aus, als könnten sie die drei Könige auf einmal zerreißen, sein mächtiger Rachen, als könne er sie alle verschlingen, und von seinem grausigen Gebrüll gar hallte das ganze Amphitheater wider. Die beiden stolzen Kämpen stürzten sich wie zwei Sturmwinde aufeinander, der kühne Skythe stieß sein Schwert in das Maul des Löwen, aber die Spitze traf auf einen der breiten unzerbrechlichen Zähne, zersprang in Splitter, und das Ungeheuer der Wälder schlug schon voller Wut über die Wunde seine blutenden Krallen in die Flanken des Monarchen.
Gerührt von der Gefahr, in der sich ein so tapferer Fürst befand, fuhr der junge Unbekannte schneller als ein Blitz in die Arena hinab und trennte den Kopf des Löwen mit derselben Geschicklichkeit ab, mit der man später in unseren Ringelrennen junge gewandte Ritter Mohrenköpfe oder Ringe hat treffen sehen.
Darauf zog er ein Kästchen hervor und überreichte es dem skythischen Könige mit folgenden Worten: »Euere Majestät finden in diesem Schächtelchen echten Eschenwurz, der in meiner Heimat wächst. Eure ruhmreichen Wunden werden davon augenblicks geheilt werden. Einzig der Zufall hat Euch den Sieg über den Löwen geraubt. Eure Tapferkeit ist darum nicht weniger bewunderungswürdig.«
Der skythische König, der für Dankbarbeit empfänglicher war als für Eifersucht, dankte seinem Befreier, und nachdem er ihn aufs zärtlichste umarmt hatte, begab er sich in seine Behausung, um den Eschenwurz auf seine Wunden zu legen.
Der Unbekannte übergab den Kopf des Löwen seinem Diener, und nachdem dieser ihn an dem großen Brunnen, der sich unterhalb des Amphitheaters befand, gewaschen und alles Blut hatte ablaufen lassen, zog er ein Eisen aus seinem Beutel, riß die vierzig Zähne des Löwen aus und steckte an ihre Stelle vierzig gleich große Diamanten.
Sein Herr setzte sich mit seiner gewöhnlichen Bescheidenheit auf seinen Platz zurück. Dann gab er den Löwenkopf seinem Vogel: »Schöner Vogel,« sprach er, »lege diese schwache Huldigung zu Formosantens Füßen nieder.« Der Vogel flog auf, in der einen seiner Krallen die furchtbare Trophäe haltend. Er überbrachte sie der Prinzessin, indem er ehrerbietigst den Hals neigte und sich vor ihr tief zu Boden streckte. Die vierzig Strahlensteine blendeten aller Augen: ihre Herrlichkeit war in dem prachtliebenden Babylon noch unbekannt, noch galten Smaragd, Topas, Saphir und Pyrop für den kostbarsten Schmuck. Belus und der ganze Hof wurden von Bewunderung erfaßt, und der Vogel, der dieses Geschenk darbrachte, überraschte sie noch mehr. Sein Rumpf glich dem eines Adlers, aber seine Augen waren so sanft und zärtlich, wie die des Adlers stolz und drohend sind. Sein Schnabel war rosenfarben und schien etwas von dem schönen Munde Formosantens an sich zu haben; sein Hals schillerte in allen Farben des Regenbogens, heller jedoch und glänzender, und in tausend Tönungen glitzerte Gold in seinem Federkleide. Seine Füße zeigten eine Mischung aus Silber und Purpur, und der Schweif jener schönen Vögel, die man seither vor den Wagen der Juno spannte, stand hinter dem seinen an Schönheit zurück.
Die Aufmerksamkeit und Neugier und das Erstaunen und Außersichsein des ganzen Hofes teilte sich zwischen den vierzig Diamanten und dem Vogel. Er hatte sich auf das Geländer zwischen Belus und seiner Tochter Formosante niedergelassen: sie streichelte, liebkoste und küßte ihn, er schien ihre Freundlichkeit halb mit Freuden und halb mit Ehrfurcht zu empfangen, und als die Prinzessin ihn küßte, küßte er sie wieder und sah sie mit gerührten Augen an. Er bekam kleine Kuchen von ihr und Pistazien, die er mit seiner silbernen und gepurpurten Klaue ergriff und mit unaussprechlicher Anmut an seinen Schnabel führte.
Belus, der die Diamanten aufmerksam betrachtet hatte, schätzte, daß eine ganze seiner Provinzen ein so kostbares Geschenk kaum zu vergelten vermöchte. Er befahl, man solle für den Unbekannten noch prächtigere Gaben vorbereiten, als für die drei Monarchen bestimmt waren: »Dieser junge Mann«, sagte er, »ist zweifellos der Sohn des Königs von China oder jenes Weltteiles, den man Europa nennt und von dem ich sprechen gehört habe, oder von Afrika, das dem ägyptischen Reiche benachbart sein soll.«
Auf der Stelle entsandte er seinen Oberstallmeister, um den Unbekannten begrüßen und fragen zu lassen, ob er der Beherrscher eines dieser Reiche sei, und warum er, da er ja doch so erstaunliche Schätze besäße, nur mit einem Diener und einem kleinen Mantelsack erschienen wäre.
Während der Oberstallmeister gegen das Amphitheater zuschritt, um sich seines Auftrages zu entledigen, kam noch ein zweiter Diener auf einem Einhorn an: er wandte sich an den jungen Mann und sprach die Worte: »Ormar, Euer Vater, geht seiner letzten Stunde entgegen, ich bin gekommen, es Euch zu melden.« Der Unbekannte erhob die Augen gen Himmel, vergoß Tränen, und sprach nur dies eine Wort: »Laßt uns aufbrechen.«
Nachdem der Oberstallmeister dem Besieger des Löwen, dem Spender der vierzig Diamanten, dem Gebieter des schönen Vogels, Belus' artige Worte ausgerichtet hatte, fragte er den Diener, aus welchem Reiche der Vater dieses jungen Helden stamme. Der Diener antwortete: »Sein Vater ist ein alter Schäfer und allgemein beliebt im ganzen Kanton.«
Während dieser kurzen Unterredung hatte der Unbekannte bereits sein Einhorn bestiegen, er sprach zu dem Oberstallmeister: »Erlauchter Herr, wollet mich Belus und seiner Tochter zu Füßen legen; ich wage sie um äußerste Sorgfalt für den Vogel zu bitten, den ich ihr lasse: er ist einzig wie sie.« Kaum hatte er diese Worte zu Ende gesprochen, so zuckte er auch schon wie ein Blitz dahin, die beiden Bedienten hielten sich hinterdrein, und man verlor sie aus den Augen.
Formosante konnte einen lauten Schrei nicht unterdrücken. Der Vogel, der sich zum Amphitheater wandte, wo sein Herr gesessen, schien sehr betrübt darüber, daß er ihn nun nicht mehr sah, dann blickte er die Prinzessin starr an, rieb sanft mit seinem Schnabel ihre schöne Hand und schien sich so ihrem Dienste zu weihen.
Belus war erstaunter denn je in seinem Leben, als er vernahm, dieser außerordentliche junge Mann sei der Sohn eines Hirten, er konnte es nicht glauben und ließ ihm nachjagen, aber bald schon meldete man ihm, die Einhorne, auf denen die drei Männer dahinritten, könnten nicht eingeholt werden, da sie bei dem Galopp, den sie hielten, wohl hundert Meilen am Tag zurücklegen mußten.
Alle Welt sprach über das seltsame Abenteuer hin und her und erschöpfte sich in leeren Vermutungen: wie vermöchte der Sohn eines Hirten vierzig große Diamanten zu verschenken? Warum ritt er auf einem Einhorne? Man konnte es nicht fassen, Formosante aber streichelte, tief in Träume versunken, unaufhörlich ihren Vogel.
Die Prinzessin Aldea, ein Geschwisterkindeskind, die wohlgewachsen und fast ebenso schön wie Formosante war, sprach zu ihr: »Base, ich weiß nicht, ob dieser junge Halbgott der Sohn eines Schäfers ist, aber es dünkt mich, er habe alle vor Eure Heirat gesetzten Bedingungen erfüllt: er hat den Bogen Nimrods gespannt und den Löwen besiegt, er besitzt viel Verstand, denn er hat für Euch ein recht artiges Gedicht aus dem Stegreif gemacht, und in Ansehung der vierzig riesengroßen Diamanten, die er Euch geschenkt hat, müsset Ihr zugeben, daß er der großmütigste von allen Menschen ist: in seinem Vogel besaß er die größte Seltenheit, die es auf der Erde gibt, und seine Tugend hat nicht ihresgleichen, da er bei der Nachricht von der Krankheit seines Vaters ohne Besinnen aufbrach, obgleich er hätte an Eurer Seite bleiben können. Das Orakel ist in allen Punkten erfüllt, ausgenommen dem einen, welcher fordert, er solle seine Nebenbuhler zu Boden werfen, aber er hat mehr getan, er hat dem einzigen Mitbewerber, den er fürchten konnte, das Leben gerettet, und im Fall eines Kampfes mit den beiden anderen, glaube ich, kann es Euch nicht zweifelhaft sein, daß er gar leicht obsiegen würde.«
»Alles, was Ihr da sagt, ist wohl wahr,« erwiderte Formosante, »aber könnte es möglich sein, daß der größte und vielleicht auch der liebenswürdigste von allen Männern der Sohn eines Schäfers ist?«
Nun mischte sich die Ehrendame ins Gespräch und sagte, daß das Wort Schäfer sehr oft auf Könige angewandt würde, man nenne sie so, weil sie ihre Herde gar kurz zu scheren liebten. Zweifelsohne handele es sich um einen schlechten Scherz des Dieners; der junge Held sei wahrscheinlich nur so dürftig geleitet erschienen, um darzutun, wie sehr sein bloßer Wert das Gepränge der Könige übertreffe, und um Formosanten nur sich allein verdanken zu müssen. Die Prinzessin gab statt aller Antwort ihrem Vogel nur tausend zärtliche Küsse.
Unterdessen bereitete man ein großes Gastmahl für die drei Könige und für die Fürsten vor, die zum Feste erschienen waren. Die Tochter und die Nichte des Königs sollten dabei die Aufwartung machen. In die Häuser der Könige trug man Geschenke, die der Pracht Babylons würdig waren. Und während Belus das Auftragen der Speisen erwartete, versammelte er seine Ratgeber in Sachen der Heirat der schönen Formosante um sich und sprach als ein großer Politiker folgendermaßen zu ihnen:
»Ich bin alt, ich weiß nicht mehr, was ich tun, noch wem ich meine Tochter geben soll. Der, welcher sie verdiente, ist nur ein niederer Schäfer, der König von Indien und der von Ägypten sind Feiglinge, der König der Skythen würde mir allenfalls recht sein, aber er hat keine einzige der geforderten Bedingungen erfüllt. Ich will das Orakel noch einmal befragen, inzwischen beratet euch untereinander, und dann wollen wir nach dem Spruch des Orakels einen Entschluß fassen, denn ein König darf sich immer nur von dem unmittelbaren Befehl der unsterblichen Götter leiten lassen.«
Darauf ging er in seine Kapelle, und das Orakel antwortete ihm seiner Gewohnheit gemäß mit wenig Worten: »Deine Tochter wird erst verheiratet werden, nachdem sie die Welt durchstreift hat.« Belus kehrte in den Rat zurück und überbrachte diese Antwort.
Alle Minister hatten eine tiefe Ehrfurcht vor Orakelsprüchen, alle stimmten dahin überein, oder taten doch wenigstens so, daß sie die Grundlage der Religion seien, daß die Vernunft vor ihnen zu schweigen habe, daß einzig dank ihrer die Könige über die Völker und die Magier über die Könige herrschten, und daß es ohne die Orakel weder Tugend noch Ruhe auf Erden geben könne. Kurz, nachdem sie die tiefste Verehrung für sie an den Tag gelegt hatten, kamen fast alle zu dem Schluß, daß der vorliegende Orakelspruch schamlos sei, daß man ihm nicht gehorchen dürfe, daß nichts für ein Mädchen und gar für die Tochter des großen Königs von Babylon unzüchtiger sein könnte, als davonzugehen, ohne zu wissen wohin, daß dies gerade das beste Mittel sei, nicht geheiratet zu werden oder eine schmähliche und lächerliche Winkelehe zu schließen, mit einem Wort, daß es dem Orakel an gesundem Verstand gebräche.
Der jüngste der Minister, Onatas mit Namen, welcher klüger war als jene, sagte, das Orakel meine zweifellos eine fromme Pilgerfahrt, und stellte sich als Führer der Prinzessin zur Verfügung. Der ganze Rat bekannte sich schließlich zu seiner Meinung, aber ein jeder wollte als Stallmeister dienen. Der König entschied, die Prinzessin solle auf dem Wege nach Arabien dreihundert persische Meilen weit in einen Tempel reisen, dessen Heiliger im Rufe stand, den Mädchen glückliche Ehen zu verschaffen; begleiten sollte sie der Älteste des Rates. Nach dieser Entscheidung begab man sich zu Tisch.
Zwischen zwei Wasserfällen erhob sich inmitten der Gärten ein länglich gerundeter Pavillon von dreihundert Schritten Durchmesser, dessen azurblaue mit Goldsternen besäte Wölbung alle Gestirne mit den Planeten darstellte, einen jeden an seinem wirklichen Platz, und die Wölbung wurde gleich dem Himmel durch Maschinen gedreht, welche ebenso unsichtbar waren, wie die, welche die himmlischen Bewegungen treiben. Hunderttausend in Gläser aus Bergkristall eingeschlossene Fackeln erhellten das Äußere und Innere des Speisesaales; eine abgestufte Anrichte trug zwanzigtausend goldene Schüsseln oder Teller, und der Anrichte gegenüber waren andere Stufen mit Musikanten besetzt; zwei weitere Amphitheater waren, das eine mit Früchten aller Jahreszeiten und das andere mit Kristallkrügen beladen, in denen alle Weine der Erde funkelten.
Die Geladenen nahmen an einer Tafel Platz, die durch Blumen und Fruchtranken aus kostbaren Steinen in gleiche Felder geteilt war. Die schöne Formosante saß zwischen dem König von Indien und dem Ägyptens, die schöne Aldea neben dem Könige der Skythen. Es waren einige dreißig Fürsten anwesend, und ein jeder von ihnen saß an der Seite einer der schönsten Damen des Palastes. Der König von Babylon saß in der Mitte, seiner Tochter gegenüber, und schien zu schwanken zwischen dem Kummer, sie nicht haben verheiraten zu können, und der Freude, sie noch zu behalten. Formosante bat ihn um Erlaubnis, ihren Vogel neben sich auf den Tisch setzen zu dürfen, und der König billigte es gern.
Die Tafelmusik ließ jedem Fürsten völlige Freiheit, seine Nachbarin zu unterhalten. Das Gastmahl war so angenehm wie prächtig. Man hatte vor Formosanten ein Ragout aufgetragen, das ihr Vater besonders liebte, sie gab daher den Befehl, es seiner Majestät zu bringen, und sogleich ergriff der Vogel mit wunderbarer Geschicklichkeit die Schüssel und reichte sie dem Könige dar. Noch niemals hatte wohl an einer Abendtafel größeres Erstaunen geherrscht. Belus liebkoste den Vogel ebenso sehr wie seine Tochter es zu tun pflegte. Der Vogel flog darauf an ihre Seite zurück, und im Fluge entfaltete er einen so schönen Schweif, seine gespreizten Flügel zeigten so viele glänzende Farben, und von dem Golde seines Gefieders ging ein so blendendes Strahlen aus, daß aller Augen nur auf ihn blickten; die Spielleute hielten in ihrer Musik inne und wurden unbeweglich, niemand aß, niemand sprach mehr, und nur ein Murmeln der Bewunderung war vernehmlich. Die Prinzessin von Babylon küßte ihn während des ganzen Mahles, ohne auch nur daran zu denken, daß es Könige auf der Welt gäbe. Die von Indien und Ägypten fühlten ihren Groll und Verdruß sich verdoppeln, und jeder von ihnen schwur sich zu, den Marsch seiner dreimalhunderttausend Mann zu beschleunigen, um sich in Bälde zu rächen.
Was den König der Skythen anging, so war er damit beschäftigt, die schöne Aldea zu unterhalten. Sein stolzes Herz, das die Unliebenswürdigkeit Formosantens ohne jeden Ärger verachtete, empfand gegen sie mehr Gleichgültigkeit als Zorn. »Sie ist schön,« sagte er, »ich gestehe es gern, aber sie scheint mir eine jener Frauen zu sein, die nur mit ihrer Schönheit beschäftigt sind und wähnen, das Menschengeschlecht müsse ihnen sehr verbunden sein, wenn sie sich öffentlich zu zeigen geruhen: in meinem Lande betet man jedoch keine Götzen an. Mir wäre eine häßliche aber gefällige und aufmerksame Meerkatze lieber, als diese schöne Bildsäule. Sie, Gnädigste, besitzen ebensoviel Reiz wie Formosante und lassen sich doch wenigstens herab, mit uns Fremden zu sprechen. Ich gestehe Ihnen mit dem Freimut eines Skythen, daß ich Ihnen vor Ihrer Base den Vorzug gebe.« Dennoch täuschte er sich über Formosantens Charakter, sie war nicht so hoffärtig, wie sie erschien. Seine artigen Worte wurden jedoch von der Prinzessin Aldea sehr freundlich aufgenommen, ihre Unterhaltung ward schließlich immer verfänglicher, sie fühlten sich höchst befriedigt und waren schon lange vor dem Verlassen der Tafel ein jeder des anderen sicher.
Nach dem Mahle lustwandelte man in den Gartenanlagen. Der König der Skythen und Aldea verfehlten nicht, eine einsame Laube aufzusuchen. Aldea, welche die Offenheit selber war, sprach folgendermaßen zu dem Fürsten: »Ich hasse meine Base keineswegs, obgleich sie schöner ist als ich und auf Babylons Thron kommen wird. Die Ehre, Euch zu gefallen, ersetzt mir meine mangelnden Reize; ich ziehe das Skythenland mit Euch der Krone von Babylon ohne Euch vor, aber diese Krone steht mir rechtmäßig zu, wenn es anders Recht auf der Welt gibt, denn ich stamme von einem älteren Zweige Nimrods ab, Formosante nur von einem jüngeren. Ihr Großvater entthronte den meinen und tötete ihn.«
»So also steht's um die Kraft des Blutes im Hause Babylon!« sagte der Skythe; »wie hieß Euer Großvater?« »Er hieß Aldeus, und mein Vater trug denselben Namen, er wurde mit meiner Mutter in einen Winkel des Reiches verbannt; da Belus mich jedoch nicht fürchtete, ließ er mich nach ihrem Tode mit seiner Tochter erziehen, allein mir ist niemals zu heiraten bestimmt.«
»Ich will Euren Vater und Euren Großvater und Euch rächen,« sagte der König der Skythen, »und daß Ihr geheiratet werden sollt, dafür bürge ich Euch. Ich werde Euch übermorgen in aller Frühe entführen, denn morgen muß ich noch mit dem Könige von Babylon zu Mittag speisen; Eure Rechte aber werde ich später mit einem Heere von dreimalhunderttausend Mann geltend zu machen wissen.« »Das ist mir schon recht«, sagte die schöne Aldea, und nachdem sie sich ihr Wort gegeben, trennten sie sich von einander.
Schon lange hatte sich die unvergleichliche Formosante schlafen gelegt. Neben ihr Bett hatte sie einen kleinen Orangenbaum in einem silbernen Topf zu stellen befohlen, um ihren Vogel darauf ruhen zu lassen. Ihre Bettvorhänge waren geschlossen, aber sie verspürte keine Lust zu schlafen, ihr Herz und ihre Phantasie waren allzu wach. Vor ihren Augen schwebte der reizende Unbekannte, sie sah ihn mit dem Bogen Nimrods einen Pfeil abschießen und betrachtete ihn, wie er dem Löwen das Haupt abhieb. Sie sagte das Madrigal leise vor sich hin, und zu guter Letzt sahen ihre Augen ihn auf einem Einhorne reitend aus der Menge entweichen. Da brach sie in Seufzer aus und rief mit Tränen in der Stimme: »Ich werde ihn also niemals wiedersehen, niemals wird er zurückkehren!«
»Oh, er kehrt zurück, gnädige Frau«, antwortete ihr der Vogel von seinem Orangenzweige herab. »Könnte man Sie denn je erblickt haben, ohne Sie wiedersehen zu müssen?«
»Oh Himmel, oh ewige Mächte, mein Vogel spricht reines Chaldäisch!« Mit diesen Worten riß sie ihren Vorhang auseinander, streckte ihm die Arme entgegen und kniete in ihrem Bett nieder. »Bist du ein Gott, der auf die Erde herabgestiegen, bist du der große Oromazes, der sich unter diesem schönen Gefieder verbirgt? Wenn du ein Gott bist, gib mir den schönen jungen Mann wieder.«
»Ich bin nur ein geflügeltes Tier,« erwiderte der Vogel. »Ich ward aber in jener Zeit geboren, da noch alle Tiere sprechen konnten, und Vögel, Schlangen, Eselinnen, Pferde und Greifen sich vertraulich mit den Menschen unterredeten. Vor aller Welt habe ich nicht sprechen wollen aus Furcht, Eure Ehrendamen möchten mich für eine Hexe halten, nur Euch will ich mich entdecken.«
Bestürzt, verwirrt, trunken von so vielen Wundern und von dem Drange, hundert Fragen auf einmal zu tun, beengt, fragte Formosante ihn zunächst, wie alt er sei. »Siebenundzwanzigtausendneunhundert Jahre und sechs Monate, gnädige Fürstin. Ich entstamme dem Alter der kleinen Himmelsumdrehung, welche Eure Magier die Feststellung der Tag- und Nachtgleichen nennen, und welche sich ungefähr in achtundzwanzigtausend von Euren Jahren vollzieht. Es gibt noch unendlich viel längere Umdrehungen, und wir haben auch Wesen, welche viel älter sind als ich. Es sind zweiundzwanzigtausend Jahre her, als ich auf einer meiner Reisen chaldäisch erlernte, und ich habe mir stets ein großes Gefallen an der chaldäischen Sprache bewahrt. Meine Brüder, die anderen Vögel aber, haben unter Euren Himmeln auf das Sprechen verzichtet.« »Und warum das, mein göttlicher Vogel?« »Ach, weil die Menschen zu guter Letzt die Gewohnheit annahmen, uns aufzuessen, anstatt sich mit uns zu unterhalten und zu unterrichten. Hätten diese Barbaren nicht überzeugt sein müssen, daß wir, die wir im Besitze derselben Organe, derselben Empfindungen, derselben Bedürfnisse und derselben Wünsche wie sie, auch jenes gleich ihnen besäßen, was man eine Seele nennt, daß wir ihre Brüder seien, und daß man nur die Bösen braten und essen dürfe? In solchem Maße sind wir Euch verbrüdert, daß das große Wesen, das ewige schöpferische Wesen uns beim Abschluß seines Paktes mit den Menschen ausdrücklich in den Vertrag aufgenommen hat: es verbot Euch, Euch mit unserem Blute zu nähren, und uns, das Eure zu trinken.«Siehe Kapitel IX der Genesis und Kapitel III, Vers 18 und 19 im Prediger Salomonis.
»Die Fabeln Eures alten Lokman, welche in so viele Sprachen übersetzt worden sind, werden ein ewig bestehendes Zeugnis von dem glücklichen Umgange sein, den ihr einstmals mit uns gepflogen habt: sie beginnen sämtlich mit den folgenden Worten: »Zu der Zeit, da die Tiere noch sprachen.« Allerdings gibt es unter Euch viele Frauen, welche noch immer zu ihren Hunden sprechen, diese jedoch haben niemals zu antworten beschlossen, seit man sie mit Peitschenhieben gezwungen hat, auf die Jagd zu gehen und mitschuldig an dem Morde unserer alten, gemeinsamen Freunde, der Hirsche, der Damhirsche, der Hasen und der Rebhühner zu werden.
Ihr besitzt noch alte Gedichte, in denen die Pferde sprechen, und Eure Kutscher richten noch tagtäglich das Wort an sie, aber es geschieht in so niedrigen Ausdrücken und mit so viel Roheit, daß die Pferde, die Euch einst so herzlich liebten, Euch nun verabscheuen.
Das Land, welches Euer geliebter Unbekannter, der vollkommenste aller Menschen, bewohnt, ist das einzige geblieben, in dem Euer Geschlecht das unsere noch zu lieben und mit ihm zu sprechen versteht. Es ist das einzige Land auf der ganzen Erde, in dem die Menschen gerecht sind.«
»Und wo liegt dieses Vaterland meines teuren Unbekannten? Wie lautet der Name meines Helden? Und wie heißt sein Reich? Denn ich werde ebensowenig glauben, daß er ein Schäfer ist, wie ich glaube, daß du eine Fledermaus bist.«
»Sein Vaterland, gnädige Frau, ist das Land der Gangariden, eines tugendhaften und unbesieglichen Volkes, welches das östliche Ufer des Ganges bewohnt. Der Name meines Freundes ist Amasan. Er ist kein König, und ich weiß auch nicht, ob er sich so weit erniedrigen würde, einer sein zu wollen, dazu liebt er seine Mitbürger allzusehr. Er ist gleich ihnen ein Schäfer. Verfallet aber nicht darauf, Euch einzubilden, daß diese Schäfer den Euren gleichen, welche, von zerrissenen Lumpen kaum bedeckt, Schafe hüten, die unendlich besser gekleidet sind als sie, und unter der Last der Armut stöhnen und die Hälfte des kümmerlichen Lohns, den sie von ihren Herren empfangen, einem Halsabschneider abgeben müssen. Die gangaridischen Schäfer sind alle Gleichgeborene und Herren unzähliger Herden, die ihre ewig blühenden Weiden bedecken. Man tötet sie niemals, es ist ein Verbrechen gegen den Ganges Seinesgleichen zu töten und zu essen: ihre Wolle, welche feiner und glänzender als die schönste Seide ist, bildet den beträchtlichsten Handelsgegenstand des Morgenlandes. Daneben bringt der Boden der Gangariden alles hervor, was den Sinnen des Menschen schmeicheln kann: jene großen Diamanten, die Euch zu schenken Amasan die Ehre hatte, entstammen einem Bergwerk, das ihm gehört. Das Einhorn, das Ihr ihn besteigen saht, ist das übliche Reittier der Gangariden. Es ist das schönste und stolzeste, furchtbarste und sanfteste Tier, welches die Erde ziert. Hundert Gangariden und hundert Einhorne würden genügen, unzählige Heere zu zerstreuen. Vor ungefähr zwei Jahrhunderten war ein König von Indien toll genug, dieses Volk besiegen zu wollen: er erschien an der Spitze von zehntausend Elefanten und einer Million Krieger. Die Einhorne durchbohrten die Elefanten, wie ich auf Eurer Tafel Lerchen auf goldenen Spießen aufgereiht gesehen habe. Die Krieger fielen unter den Schwertern der Gangariden, wie Maishalme von den Händen morgenländischer Völker abgemäht werden. Man machte den König mit mehr denn hunderttausend Mann zum Gefangenen, badete ihn in den heilkräftigen Wassern des Ganges und zwang ihn zu der landesüblichen Lebensweise, die darin besteht, sich nur von Pflanzen zu nähren, als welche die Natur zur Erhaltung alles dessen, was atmet, hervorgebracht hat. Die mit Fleisch und starken Getränken geheizten Menschen haben alle ein scharfes, brennendes Blut, welches sie auf hundert verschiedene Weisen toll macht. Ihr vornehmster Wahnsinn ist die Sucht, das Blut ihrer Brüder zu vergießen und fruchtbare Gelände zu verwüsten, um über Totenäcker zu herrschen. Man brauchte sechs ganze Monate, um den indischen König von seiner Krankheit zu heilen. Als die Ärzte endlich fanden, daß sein Puls ruhiger ging und sein Geist gesetzter geworden war, bescheinigten sie es ihm vor dem Rate der Gangariden, und nachdem dieser Rat die Einhorne um ihre Meinung befragt, schickte er den König von Indien, seinen dummen Hofstaat und seine törichten Krieger aufs menschlichste in ihre Heimat zurück. Diese Lehre brachte sie zur Vernunft, und von der Zeit an achteten die Indier die Gangariden wie unter Euch die Unwissenden, die etwas lernen wollen, die chaldäischen Philosophen achten, denen sie doch niemals zu gleichen vermöchten.« »Sag mal, mein guter Vogel,« rief nun die Prinzessin, »gibt es bei den Gangariden auch eine Religion?« »Und ob es eine gibt, Fürstin! Im Vollmond versammeln wir uns, um Gott zu danken. Aus Furcht vor gegenseitiger Ablenkung halten sich die Männer dabei in einem großen Zedernholztempel, die Weiber in einem anderen. Alle Vögel sitzen in einem Gehölz, alle Vierfüßler lagern auf einem schönen Rasenplatz, und dann danken wir Gott für alle Güter, die er uns beschert hat. Wir haben vor allem ein paar Papageien, die ganz wunderbar predigen.
So ist das Vaterland meines lieben Amasan beschaffen, und dort wohne auch ich. Ich empfinde ebensoviel Freundschaft zu ihm, als er Liebe in Euch erregt hat. Wenn Ihr auf mich hören wolltet, so würden wir zusammen aufbrechen, und Ihr würdet ihm seinen Besuch erwidern.«
»Wahrhaftig, mein Vogel, du läßt dich da auf ein hübsches Handwerk ein«, erwiderte lächelnd die Prinzessin, welche vor Lust brannte, die Reise zu unternehmen, und es doch nicht zu gestehen wagte. »Ich diene meinem Freunde,« antwortete der Vogel, »und nach dem Glücke euch zu lieben, gibt es nur noch ein höheres, das Glück, eurer Liebe zu dienen.«
Formosante wußte nicht mehr, wo sie sich befand, sie wähnte sich weit über die Erde emporgehoben! Alles, was sie an diesem Tage gesehen, alles, was sie noch sah, was sie hörte und vor allem, was sie in ihrem Herzen empfand, warf sie in einen Wonnentaumel, welcher jenen gar weit überstieg, den heute die glücklichen Mohammedaner durchleben, wenn sie sich von allen irdischen Banden befreit in den Armen ihrer Houris im neunten Himmel erblicken, umwogt und durchdrungen von himmlischer Verklärung und Glückseligkeit.
Sie verbrachte die ganze Nacht damit, von Amasan zu sprechen. Sie nannte ihn nur noch ihren Schäfer. Aus dieser Zeit stammt es, daß bei einigen Völkern die Worte Schäfer und Geliebter stets für einander gebraucht werden können.
Bald fragte sie den Vogel, ob Amasan schon eine Andere geliebt hätte. Er antwortete: »Nein«, und sie wußte sich im Freudenüberschwange kaum zu fassen. Bald wieder wollte sie wissen, womit er sein Leben verbringe, und sie vernahm überwältigt, daß er es nütze, Gutes zu tun, die Künste zu pflegen, die Geheimnisse der Natur zu ergründen, und sein eigenes Wesen zu vervollkommnen. Dann wieder wollte sie wissen, ob die Seele ihres Vogels von derselben Natur sei, wie die ihres Geliebten, und weshalb er nahezu achtundzwanzigtausend Jahre gelebt habe, während ihr Geliebter doch nur achtzehn oder neunzehn Jahre alt sei. Sie stellte hundert ähnliche Fragen, auf die der Vogel mit einer Zurückhaltung antwortete, die ihre Wißbegier nur noch mehr anstachelte. Endlich schloß der Schlaf Formosantens Augen und überließ sie dem süßen Wahn von Träumen, welche die Götter schicken, – Träume, welche bisweilen sogar die Wirklichkeit übertreffen und die die ganze Philosophie der Chaldäer kaum zu erklären vermöchte.
Erst spät erwachte Formosante. In ihrem Gemache herrschte noch graue Dämmerung, als der König, ihr Vater, es betrat. Der Vogel empfing seine Majestät mit ehrfurchtsvoller Höflichkeit, schritt rückwärts vor ihm her, schlug mit den Flügeln, reckte den Hals und flog dann wieder auf seinen Orangenbaum zurück. Der König setzte sich auf das Bett seiner Tochter, welche von ihren Träumen noch lieblicher geworden war. Sein großer Bart näherte sich ihrem schönen Antlitz, und nachdem er ihr zwei Küsse gegeben, sprach er folgendermaßen zu ihr:
»Meine geliebte Tochter, du hast gestern wider meine Hoffnung keinen Gatten finden können, dennoch mußt du einen bekommen, das Heil meines Reiches fordert es. Ich habe das Orakel, welches, wie du wohl weißt, niemals lügt und alle meine Schritte lenkt, befragt, und es hat mir befohlen, dich durch die Welt streifen zu lassen, du mußt dich also auf die Reise begeben.« »Oh, zu den Gangariden natürlich!« rief die Prinzessin, aber während sie diese, ihr wider Willen entschlüpfenden Worte aussprach, fühlte sie bereits, daß sie eine Dummheit begangen. Der König, der keine Ahnung von Geographie hatte, fragte sie, was sie mit den Gangariden meine, und so konnte sie leicht eine Ausrede finden. Der König verkündete ihr nun, sie müsse eine Pilgerfahrt antreten; ihr Gefolge habe er bereits bestimmt: den Ältesten des Staatsrates, den Groß-Almosenpfleger, eine Ehrendame, einen Arzt, einen Apotheker und ihren Vogel und sonst noch alle erforderliche und schickliche Dienerschaft. Formosante, die den Palast des Königs, ihres Vaters, noch niemals verlassen, und bis zu dem Tage der drei Könige und Amasans ein sehr schales, von den Gesetzen des Prunkes und befohlenen Vergnügungen beherrschtes Leben geführt hatte, war von dem Gedanken an eine Pilgerfahrt über die Maßen entzückt. »Wer weiß,« flüsterte es ganz leise in ihrem Herzen, »ob die Götter meinem teuren Gangariden nicht den Wunsch eingeben möchten, nach derselben Kapelle zu wallfahrten, und ob mir nicht das Glück zuteil werden wird, dort den Pilger wiederzusehen.« Sie dankte ihrem Vater aufs zärtlichste und sagte ihm, sie habe stets eine heimliche Verehrung gerade für den Heiligen empfunden, zu dem man sie entsende.
Belus gab seinen Gästen ein vortreffliches Gastmahl, an dem nur Männer teilnehmen durften. Es waren lauter gar schlecht zusammenpassende Leute: Könige, Fürsten, Minister, Priester, welche alle aufeinander eifersüchtig waren, alle ihre Worte vorsichtig abwogen und sich sämtlich durch ihre Nachbaren und durch sich selber beengt fühlten. Obgleich gar viel getrunken ward, herrschte doch eine trübe Stimmung bei dem Mahle. Die beiden Prinzessinnen blieben in ihren Gemächern, eine jede mit ihrer Abreise beschäftigt. Sie speisten allein an der kleinen Familientafel. Darauf lustwandelte Formosante mit ihrem Vogel durch die Gärten, und um sie zu ergötzen, flog dieser von Baum zu Baum und breitete seinen prächtigen Schweif und sein göttliches Gefieder.
Der König von Ägypten, welcher vom Weine heiß, um nicht zu sagen trunken geworden war, verlangte von einem seiner Edelknaben einen Bogen und einen Pfeil. Dieser Fürst war in Wirklichkeit der ungeschickteste Schütze seines Königreichs: schoß er nach der Scheibe, so war die Stelle, an der man sich in der größten Sicherheit befand, gerade der Fleck, auf den er zielte. Der schöne Vogel jedoch, der ebenso schnell flog wie der Pfeil, geriet von selbst in die Schußbahn und fiel über und über blutend in die Arme Formosantens hinab. Der Ägypter brach in ein dummes Lachen aus und zog sich in seine Behausung zurück. Die Prinzessin zerriß den Himmel mit ihrem Schreien, zerschmolz in Tränen und zerfleischte sich Wangen und Brust. Der sterbende Vogel sprach ganz leise zu ihr: »Versäume nicht, mich zu verbrennen und meine Asche in das glückliche Land Arabien ostwärts in die alte Stadt Aden oder Eden zu bringen und sie dort auf einem kleinen Scheiterhaufen aus Gewürznelken und Zimt in die Sonne zu breiten.« Nachdem er diese Worte gesprochen, verschied er. Formosante blieb lange ohnmächtig und erblickte das Licht des Tages nur wieder, um in Schluchzen auszubrechen. Ihr Vater teilte ihren Schmerz, stieß gegen den König von Ägypten Verwünschungen aus, zweifelte nicht, daß dieses Ereignis eine unheilvolle Zukunft anzeige, und befragte schleunigst sein Hausorakel. Das Orakel antwortete: »Alles miteinander, lebendiger Tot, Untreue und Beständigkeit, Verlust und Gewinn, Drangsal und Glück.« Weder er noch sein Rat vermochten diesen Spruch zu verstehen, aber schließlich empfand er immerhin die Genugtuung, seiner Glaubenspflicht genügt zu haben.
Während er das Orakel befragte, ließ seine ganz in Tränen aufgelöste Tochter dem Vogel die Totenehren erweisen, die er selber angeordnet hatte. Sie war entschlossen ihn selbst auf Gefahr ihres Lebens nach Arabien zu bringen. Er wurde zusammen mit dem Orangenbäumchen, auf dem er gesessen, in unverbrennbarem Linnen verbrannt, und eigenhändig sammelte sie seine Asche in eine kleine Goldvase, die über und über mit Karfunkelsteinen und mit den Diamanten besetzt war, die man aus der Schnauze des Löwen genommen hatte. Warum konnte sie nicht, anstatt diese traurigen Pflichten zu erfüllen, den abscheulichen König von Ägypten lebendig verbrennen? hierin gipfelten alle ihre Wünsche, sie ließ in ihrem Zorn seine beiden Krokodile, seine beiden Flußpferde, seine beiden Zebras und seine beiden Ratten töten und die beiden Mumien in den Euphrat werfen, und wäre der Stier Apis in ihrer Gewalt gewesen, so würde sie nicht anders mit ihm verfahren sein.
Durch diesen Schimpf zum Äußersten gebracht, brach der König von Ägypten sofort auf, um den Marsch seiner Dreimalhundertausend zu beschleunigen. Als der König von Indien seinen Verbündeten abziehen sah, machte auch er sich am selben Tage in der festen Absicht auf den Weg, seine dreimalhunderttausend Indier mit dem ägyptischen Heere zu vereinigen. Der König von Skythien machte sich in selbiger Nacht mit der Prinzessin Aldea aus dem Staube und war fest entschlossen, an der Spitze von dreimalhunderttausend Skythen für sie zu kämpfen und ihr die Erbschaft Babylons wieder zu erringen, die ihr ja auch zustand, da sie dem älteren Zweige der Herrscherfamilie entstammte.
Die schöne Formosante ihrerseits brach um drei Uhr des Morgens mit ihrer Pilgerkarawane in dem festen Glauben auf, sie könne nach Arabien ziehen, um den letzten Willen ihres Vogels zu erfüllen, und die Gerechtigkeit der unsterblichen Götter würde ihr ihren geliebten Amasan wiedergeben, denn sie vermochte ohne ihn nicht mehr zu leben.
So fand denn der König von Babylon bei seinem Erwachen niemand mehr vor. »Wie doch die großen Festtage zu Ende gehen,« sagte er, »und welch erstaunliche Leere bleibt nicht in der Seele zurück, wenn der Lärm verklungen.« Als er jedoch erfuhr, daß man die Prinzessin Aldea entführt habe, ward er von einem wahrhaft königlichen Zorne erfaßt. Er gab Befehl, alle seine Minister zu wecken und sich im Rat zu versammeln. Ihrer Ankunft harrend verfehlte er nicht, sein Orakel zu befragen. Aber er konnte ihm niemals etwas anderes abringen als diese seither auf dem ganzen Erdenballe so berühmt gewordenen Worte: »Wenn man die Mädchen nicht verheiratet, verheiraten sie sich selber.«
Auch wurde auf der Stelle Befehl gegeben, mit dreimalhunderttausend Mann gegen den König der Skythen aufzubrechen. So war denn der schrecklichste Krieg auf allen Seiten entflammt, und hervorgerufen worden war er durch die Belustigungen des schönsten Festes, das man jemals auf Erden gegeben hatte. Asien sollte von vier Heeren verwüstet werden, von denen ein jedes dreimalhunderttausend Krieger stark war. Man wird wohl einsehen, daß der Trojanische Krieg, der die Welt einige Jahrhunderte später in Staunen versetzte, im Vergleich nur ein Kinderspiel war. Man darf aber auch nicht außer acht lassen, daß es sich im Streite der Trojaner nur um ein altes, ziemlich leichtfertiges Weib handelte, das sich zweimal hatte entführen lassen, während hier zwei Mädchen und ein Vogel in Frage kamen.
Der König von Ägypten erwartete sein Heer auf der großen prächtigen Straße, welche damals gradwegs von Babylon nach Kaschmir führte. Der König der Skythen eilte mit Aldea den schönen Weg dahin, welcher nach dem Berge Immaus führte. Alle diese Wege sind später durch die Schuld schlechter Verwaltungen verschwunden. Der König von Ägypten hatte sich nach Osten gewandt und rückte auf das kleine mittelländische Meer vor, welches die unwissenden Hebräer seitdem das Große Meer getauft haben.
Was die schöne Formosante anbetrifft, so hatte sie den mit hohen, ewig Schatten und Früchte spendenden Palmen bepflanzten Weg nach Bassora eingeschlagen. Der Tempel, zu dem sie wallfahrtete, lag in Bassora selbst. Der Heilige, dem dieser Tempel geweiht war, war jenem anderen, den man später in Lampsakus anbetete, einigermaßen wesensverwandt: er verschaffte den Mädchen nicht nur Ehemänner, sondern vertrat auch des öfteren selber Gattenstelle. Er war der gefeiertste Heilige in ganz Indien.
Formosante war an dem Heiligen von Bassora nichts gelegen, sie rief nur ihren geliebten gangaridischen Schäfer an, ihren schönen Amasan. Sie hoffte sich in Bassora einschiffen und in das glückliche Land Arabien fahren zu können, um das zu vollführen, was ihr der tote Vogel befohlen hatte.
Kaum hatte sie jedoch beim dritten Sonnenuntergange die Herberge betreten, in der ihre Vorläufer alles für sie hergerichtet, so vernahm sie auch schon, daß der König von Ägypten ebenfalls angekommen sei. Durch seine Spione von dem Weg der Prinzessin in Kenntnis gesetzt, hatte er auf der Stelle seinen Marsch geändert; angelangt, ließ er nun vor alle Türen Wachen stellen, begab sich in das Gemach der schönen Formosante hinauf und sprach: »Mein Fräulein, gerade Euch suchte ich! Als ich in Babylon war, habt Ihr mir gar geringe Beachtung geschenkt, es ist eine gerechte Sache, Hochmut und Launenhaftigkeit zu bestrafen. Ihr werdet freundlichst die Güte haben, heute abend mit mir zu Nacht zu speisen, danach soll kein anderes Bette für Euch gerichtet sein denn das meine, und darinnen werde ich so mit Euch verfahren, daß der Morgen einen Zufriedenen findet.«
Formosante sah wohl ein, daß sie nicht der Stärkere sei, und wußte, daß Klugheit heische, sich stets nach seiner Decke zu strecken; sie beschloß daher, sich von dem Könige von Ägypten durch eine unschuldige List zu befreien. Sie blickte ihn mit geneigtem und ein wenig gewendetem Kopf in einer Weise an, die man einige Jahrhunderte später äugeln genannt hat, und sprach folgendermaßen zu ihm, mit einer Bescheidenheit, einer Anmut, Sanftheit, Verwirrung und einer Unzahl von Reizen, welche den verständigsten Mann toll und den hellsichtigsten blind gemacht hätten.
»Gern gestehe ich Euch, werter Herr, daß ich vor Euch stets die Augen senkte, als Ihr dem Könige, meinem Vater, die Ehre antatet, ihn zu besuchen: Ich fürchtete mein Herz und meine allzukindliche Einfalt, ich zitterte davor, mein Vater und Eure Mitbewerber könnten der Vorliebe gewahr werden, die ich für Euch empfand und die Ihr auch wohl verdienet. Nun aber kann ich mich meinen Gefühlen hingeben. Ich schwöre bei dem Stiere Apis, dem Wesen, das ich nach Euch am meisten auf der Welt verehre, daß Eure Vorschläge mich entzückt haben. Schon beim Könige, meinem Vater, habe ich mit Euch zu Abend gespeist, ich werde es hier nun noch einmal tun, ohne daß er an unserem Mahle teilnimmt. Nur einzig darum bitte ich Euch, daß Euer Groß-Almosenpfleger mit uns trinken möchte, denn in Babylon hat er mich ein gar guter Trinkgesell dünken wollen. Ich habe einen vortrefflichen Schiraswein und will Euch beiden davon zu trinken geben. Was Euren zweiten Vorschlag angeht, so ist er sehr verlockend, einem wohlerzogenen Mädchen geziemt es jedoch nicht, davon zu sprechen. Laßt es Euch genügen, zu wissen, daß ich Euch für den größten aller Könige und für den liebenswürdigsten aller Männer halte.«
Diese Rede verdrehte dem König von Ägypten den Kopf. Gern willigte er, daß der Almosenpfleger der dritte sei. »Um noch eine Gnade habe ich Euch zu bitten,« sagte die Prinzessin: »wollet erlauben, daß mein Apotheker zu mir kommt. Mädchen haben stets gewisse kleine Unpäßlichkeiten, welche eine bestimmte Pflege erfordern: Schwindel, Herzklopfen, Bauchgrimmen und Beklemmungen, die man unter gewissen Umständen einer bestimmten Behandlung unterziehen muß, mit einem Worte, ich brauche meinen Apotheker dringend und hoffe bestimmt, daß Ihr mir diesen geringfügigen Liebesbeweis nicht versagen werdet.«
»Mein Fräulein,« antwortete ihr der König von Ägypten, »obgleich ein Apotheker Absichten verfolgt, welche den meinen genau entgegengesetzt sind, obgleich das Ziel seiner Kunst dem Ziele der meinigen entgegensteht, so besitze ich doch zu viel Lebensart, um Euch eine so gerechte Bitte abzuschlagen; ich werde ihm befehlen, sich zu Euch zu begeben, während wir des Abendessens harren. Ich begreife auch, daß Ihr von der Reise ein wenig ermüdet sein und Verlangen nach einer Kammerfrau tragen müßt. Ihr mögt die, welche Euch am liebsten ist, zu Euch kommen lassen, inzwischen harre ich Eurer Befehle und Eurer Erholung.« Dann zog er sich zurück, und der Apotheker und die Kammerfrau, Irla mit Namen, erschienen. Die Prinzessin hatte unbegrenztes Vertrauen zu ihr. Sie befahl ihr, sechs Flaschen Schiraswein zum Abendessen bringen zu lassen und allen Wachen, welche ihre Begleiter gefangen hielten, vom gleichen Weine zu trinken zu geben. Darauf befahl sie dem Apotheker, in alle Flaschen ein bestimmtes Kraut zu tun, welches jedermann in einen vierundzwanzigstündigen Schlaf versenkte und mit dem er stets versehen war. Ihr ward pünktlichster Gehorsam. Nach Verlauf einer halben Stunde kam der König mit dem Groß-Almosenpfleger zurück, und das Mahl verlief in aller Fröhlichkeit. Der König und der Priester leerten die sechs Flaschen und gestanden, daß es in Ägypten einen so guten Wein nicht gäbe. Die Kammerfrau trug Sorge, auch die Bedienten, welche aufgetragen hatten, davon trinken zu lassen. Was aber die Prinzessin anging, so hütete sie sich wohl, von dem Weine zu kosten, vorschützend, ihr Arzt habe ihr dies anbefohlen. Und so schlief denn bald alles.
Der Almosenpfleger des Königs von Ägypten hatte den schönsten Bart, den ein Mann seines Schlages nur haben konnte. Formosante schnitt ihn ihm geschickt ab, dann ließ sie ihn auf ein schmales Band heften und band ihn um ihr Kinn, sie hüllte sich auch in das Gewand des Priesters und in alle Anzeichen seiner Würde und kleidete ihre Kammerfrau als Sakristan der Göttin Isis. Nachdem sie noch ihre Urne an sich genommen, verließ sie endlich die Herberge mitten durch die Schildwachen hindurch, die gleich ihren Herren schliefen. Das Kammerfräulein hatte die Umsicht besessen, an der Tür zwei Pferde bereithalten zu lassen. Die Prinzessin konnte keinen der Offiziere ihres Gefolges mit sich nehmen, sie wären von der Hauptwache angehalten worden.
Formosante und Irla durchschritten die Reihen der Soldaten, welche die Prinzessin für den Oberpriester hielten und sie ihren hochwürdigsten Vater in Gott nannten und um seinen Segen baten. Die beiden Flüchtlinge gelangten, noch ehe der König erwacht war, in vierundzwanzig Stunden nach Bassora, und taten dort ihre Verkleidung, welche hätte Verdacht erregen können, von sich ab. Sie mieteten schnellstens ein Schiff, das sie durch die Enge von Ormus in das glückliche Land Arabien an das schöne Ufer von Eden brachte. Es war dasselbe Eden, dessen Gärten solchen Ruhm erlangten, daß man seither den Aufenthalt der Gerechten dorthin verlegt hat. Sie wurden das Vorbild der elysäischen Gefilde, der Gärten der Hesperiden und der Gärten auf den Kanarischen Inseln, denn unter diesen heißen Himmelsstrichen können sich die Menschen keine größere Glückseligkeit vorstellen als Schatten und Wassergeplätscher. Ewig mit dem höchsten Wesen im Himmel zu leben oder im Garten, im Paradiese, zu lustwandeln, bedeutete ein und dasselbe für jene Menschen, welche stets sprachen, ohne einander zu verstehen, und noch keine klaren Begriffe und Ausdrücke haben konnten.
Sobald sich die Prinzessin in diesem Lande sah, war es ihre erste Sorge, dem Vogel die Totenehren zu erweisen, die er von ihr erheischt hatte: ihre schönen Hände errichteten also einen kleinen Scheiterhaufen aus Gewürznelken und Zimt. Aber wie groß war ihre Überraschung, als sie nach dem Verstreuen der Asche des Vogels auf diesen Scheiterhaufen ihn sich von selbst entflammen sah. Bald war alles verzehrt und an Stelle der Asche lag ein großes Ei, aus dem sie ihren Vogel herrlicher emporsteigen sah, als er jemals gewesen. Dieses war der schönste Augenblick, den die Prinzessin jemals erlebt hatte, und nur einen gab es, der ihr noch lieber sein konnte, sie ersehnte ihn, aber sie wagte ihn nicht zu erhoffen.
»Ich sehe nun wohl,« sprach sie zu dem Vogel, »daß Sie der Phönix sind, von dem man mir so viel erzählt hat, fast sterbe ich vor Erstaunen und Freude. Ich glaubte nicht an die Auferstehung, aber mein Glück hat mich von ihr überzeugt.« »Die Auferstehung, meine Gnädigste,« antwortete der Phönix, »ist ja die einfachste Sache von der Welt, denn es ist nicht erstaunlicher zweimal als einmal geboren zu werden. In dieser Welt ist alles Auferstehung: die Raupen erstehen als Schmetterlinge wieder, ein Kern, den man in die Erde legt, als Baum, alle in die Erde verscharrten Tiere erstehen als Kräuter und Pflanzen wieder und nähren andere Tiere, von deren Körperlichkeit sie gar bald einen Teil bilden, alle kleinsten Teilchen, aus denen die Leiber bestehen, werden in verschiedene Wesen umgewandelt. Ich allerdings bin das einzige Wesen, dem der große Oromazes die Gnade hat widerfahren lassen, in seiner eigenen Wesenheit auferstehen zu können.«
Formosante, welche seit dem Tage, da sie Amasan und den Phönix zum ersten Male erblickt, all ihre Zeit mit Erstaunen verbracht hatte, sprach nun zu ihm: »Ich nehme wahr, daß das große Wesen aus Ihrer Asche wohl einen Phönix zu gestalten vermocht hat, der Ihnen ungefähr ähnlich sieht, daß Sie jedoch genau dasselbe Wesen sein und dieselbe Seele haben sollten, das verstehe ich nicht völlig. Was war denn aus Ihrer Seele geworden, während ich Sie nach Ihrem Tode in meiner Tasche mit mir herumtrug?«
»Aber mein Gott, gnädige Frau, warum sollte es denn dem großen Oromazes nicht ebenso leicht sein, sein Wirken auf einen kleinen Funken meines Ichs fortdauern zu lassen, wie dieses Wirken überhaupt zu beginnen? Einst hatte er mir Empfindung, Gedächtnis und Denkkraft beschert, und er beschert sie mir noch; ob er nun diese Gunst an ein Fünkchen elementaren, in mir verborgenen Feuers oder an das Gefüge meiner Organe geknüpft hatte, das macht doch im Grunde nichts aus: die Phönixe und Menschen werden immerdar nicht wissen, wie die Sache eigentlich vor sich geht, die größte Gnade jedoch, die mir das höchste Wesen zuteil werden lassen konnte, besteht darin, mich wiedergeboren zu haben für Euch! Oh, weshalb darf ich die achtundzwanzigtausend Jahre, die ich bis zu meiner nächsten Auferstehung noch zu leben habe, nicht zwischen Euch und meinem teuren Amasan verbringen.«
»Mein Phönix,« erwiderte die Prinzessin, »denke daran, daß die ersten Worte, die du zu mir in Babylon sprachest und die ich niemals vergessen werde, mir mit der Hoffnung schmeichelten, ich würde den geliebten Schäfer, den ich vergöttere, wiedersehen: Wir müssen unter allen Umständen zusammen zu den Gangariden wandern, damit ich ihn nach Babylon mit mir zurücknehmen kann.« »Das ist auch meine Absicht,« sagte der Phönix, »aber wir dürfen keinen Augenblick verlieren, es gilt, Amasan auf dem kürzesten Wege zu erreichen, das heißt durch die Lüfte. In dem glücklichen Lande Arabien leben zwei Greife, meine vertrautesten Freunde, deren Wohnstätte nur um einhundertundfünfzig Meilen von hier entfernt ist, ich will ihnen durch die Taubenpost schreiben, sie werden noch vor Nacht eintreffen, inzwischen haben wir vollauf Zeit, für Euch ein kleines, bequemes Ruhebett mit Schubladen arbeiten zu lassen, in die man Euren Mundvorrat hineinlegen kann. Ihr werdet es in diesem Gefährt mit Eurem Fräulein sehr bequem haben. Die beiden Greifen sind die kräftigsten ihrer Gattung, jeder von ihnen wird eine der Lehnen des Sofas mit seinen Krallen ergreifen, aber wie gesagt, jeder Augenblick ist kostbar.« Auf der Stelle begab er sich mit Formosanten zu einem ihm bekannten Tapezier, um das Sofa zu bestellen; in vier Stunden war es fertig. Man legte in die Schubladen kleine Königskuchen und weit bessere Brezeln, als es in Babylon gab, Zitronat, Ananasfrüchte, Kokosnüsse, Pistazien und einen Wein aus Eden, welcher um so viel besser war als der Schiraswein, wie dieser besser denn ein Grünberger ist.
Das Ruhebett war so leicht, wie bequem und fest. Die beiden Greife langten zur bestimmten Stunde in Eden an. Formosante und Irla setzten sich auf das Gefährt, und die beiden Greife hoben es wie eine Feder in die Luft. Der Phönix flog bald hinter her, bald setzte er sich auf die Rückenlehne. Die beiden Greife segelten mit der Schnelligkeit eines Pfeils, der die Luft durchfährt, auf den Ganges zu, nur nachts rastete man einige Augenblicke, um zu essen und um die Fuhrleute ein paar Schlucke trinken zu lassen.
Endlich langte man bei den Gangariden an. Das Herz der Prinzessin klopfte vor Hoffnung, Liebe und Freude. Der Phönix ließ den Wagen vor Amasans Hause halten und bat, ihn sprechen zu dürfen; er war jedoch vor drei Stunden fortgegangen, ohne daß man wußte, wohin.
Es gibt selbst in der Sprache der Gangariden keine Worte, welche die Verzweiflung auszudrücken vermöchten, von der Formosante befallen wurde. »Oh,« rief der Phönix, »das hatte ich befürchtet, die drei Stunden, die Ihr auf dem Wege nach Bassora in dem Wirtshause mit dem vermaledeiten Könige von Ägypten verbracht habt, haben Euch vielleicht auf immer das Glück Eures Lebens geraubt. Ich fürchte beinahe, wir möchten Amasan unwiederbringlich verloren haben.«
Darauf fragte er die Diener, ob man nicht wenigstens seine Frau Mutter begrüßen dürfe. Sie erwiderten: Ihr Gatte sei am Abend vorher gestorben, sie empfange niemanden. Der Phönix, welcher im Hause einiges Ansehen genoß, unterließ es trotzdem nicht, die Prinzessin von Babylon in einen Saal zu führen, dessen Wände mit Orangenholz und Elfenbeinplatten getäfelt waren. Die Unterhirten und Unterhirtinnen, die in lange weiße Gewänder mit regenbogenfarbenen Gürteln gekleidet waren, reichten ihnen in hundert Körben aus schlichtem Porzellan hundert köstliche Gerichte, unter denen sich auch nicht ein einziger verkappter Kadaver befand: Reis, Sago, Gries, Nudeln, Makkaroni, Eierkuchen, Milcheier, Sahnenkäse, Zuckergebäck allerart, Gemüse und Früchte von einem Geschmack und einem Duft, von denen man sich unter anderen Himmelsstrichen keine Vorstellung machen kann, und eine Unzahl von Getränken, welche weit lieblicher waren als die besten Weine.
Während die Prinzessin auf einem Rosenbett gelagert aß, fächelten sie vier glücklicherweise stumme Pfauen oder Pfauinnen oder Pane mit ihren glänzenden Flügeln. Zweihundert Vögel, hundert Schäfer und hundert Schäferinnen veranstalteten ein zweistimmiges Konzert vor ihr. Die Nachtigallen, Finken, Grasmücken und Stieglitze sangen mit den Hirtinnen zusammen den Diskant, die Hirten den Alt und den Baß, und in allem herrschte die schönste und schlichteste Natur. Die Prinzessin gestand, wenn es in Babylon auch mehr Pracht gäbe, so wäre die Natur bei den Gangariden doch tausendmal lieblicher. Während man dann aber vor ihr jene tröstende und wohlig schmeichelnde Musik aufführte, vergoß sie Tränen. Sie sagte zu ihrer Gefährtin, der jungen Irla: »Diese Hirten und Hirtinnen, diese Nachtigallen und Stieglitze können einander lieben, soviel sie nur wollen. Mir aber ist der gangaridische Held, das würdige Ziel meiner sehr zärtlichen und ungeduldigen Wünsche geraubt.«
Während sie dergestalt ihren Imbiß zu sich nahm, und bewunderte und weinte, sprach der Phönix zu der Mutter Amasans folgendermaßen: »Gnädige Frau, Ihr könnt nicht umhin, die Prinzessin von Babylon zu empfangen, denn Ihr wißt . . .«. »Ich weiß alles, sogar ihr Abenteuer in dem Wirtshause auf dem Wege nach Bassora. Eine Amsel hat mir heute morgen alles haarklein erzählt, und diese grausame Amsel ist auch schuld daran, daß mein Sohn aus Verzweiflung toll geworden ist und sein väterliches Haus verlassen hat.« »Wißt Ihr denn aber nicht,« fuhr der Phönix fort, »daß die Prinzessin meine Wiedergeburt bewirkt hat?« »Nein, mein liebes Kind, ich erfuhr durch die Amsel, daß Ihr tot seiet, und war untröstlich darüber: dieser Verlust, der Tod meines Gatten und die plötzliche Abreise meines Sohnes hatten mich so betrübt, daß ich meine Tür für jedermann verbot; da mir jedoch die Prinzessin von Babylon die Ehre erweist, mich zu besuchen, lasset sie unverzüglich eintreten, ich habe ihr Dinge von äußerster Wichtigkeit mitzuteilen und will, daß Ihr dabei seid.« Sie begab sich noch vor dem Eintritt der Prinzessin in ein anderes Gemach. Ihr Gang war nicht mehr leicht, denn sie war doch immerhin eine Dame im Alter von dreihundert Jahren, aber ihr waren noch einige schöne Züge geblieben, und man sah gar wohl, daß sie so um das zweihundertunddreißigste bis zweihundertundvierzigste Jahr herum entzückend gewesen sein mußte. Sie empfing Formosanten mit ehrfurchtgebietender Vornehmheit, in die sich Teilnahme und Schmerz mischten und die auf die Prinzessin einen lebhaften Eindruck machte.
Formosante äußerte ihr gegenüber zunächst Beileidsbezeugungen über den Tod ihres Gatten. »Ach,« sagte die Witwe, »sein Hingang hat mehr für Euch zu bedeuten, als Ihr ahnt.« »Oh, er trifft mich im Innersten,« sagte Formosante, »er war der Vater meines . . .« Bei diesen Worten fing sie zu weinen an. »Nur um seinetwillen bin ich hergekommen, und zwar unter gar großen Fährnissen, um seinetwillen habe ich meinen Vater und den glanzvollsten Hof des Erdenrunds verlassen. Unterwegs bin ich von einem Könige von Ägypten, den ich verabscheue, aufgehalten worden. Nachdem ich jedoch diesem Entführer entkommen, habe ich die Lüfte durchquert, um den zu sehen, den ich liebe. Ich lange an und er flieht vor mir.« Tränen und Seufzer verhinderten sie, weiter zu sprechen.
Die Mutter erwiderte ihr darauf: »Gnädige Fürstin, als der König von Ägypten Euch zu entführen trachtete, als Ihr mit ihm auf dem Wege von Bassora in einer Herberge zu Abend speistet, als Eure schönen Hände ihm Schiraswein einschenkten, könnt Ihr Euch da nicht erinnern, eine Amsel gesehen zu haben, die in dem Zimmer umherflog?« »Ja, allerdings, Ihr ruft sie mir ins Gedächtnis zurück. Ich hatte nicht acht auf sie gegeben, aber nun, wo ich meine Gedanken sammle, erinnere ich mich sehr wohl, daß die Amsel in dem Augenblick, da der König von Ägypten aufstand, um mir einen Kuß zu geben, mit einem lauten Schrei aus dem Fenster flog und nicht wieder kam.«
»Oh, gnädige Frau,« fuhr die Mutter Amasans fort, »gerade das ist die Ursache alles Unglücks: mein Sohn hatte diese Amsel ausgeschickt, um sich über den Stand Eurer Gesundheit und über alles zu erkundigen, was in Babylon vorging. Er gedachte gar bald dorthin zurückzukehren, um sich Euch zu Füßen zu werfen und Euch sein Leben zu weihen: Ihr wißt nicht, mit welchem Überschwange er Euch liebt. Alle Gangariden sind verliebt und treu, mein Sohn aber ist der leidenschaftlichste und beständigste von allen. Die Amsel fand Euch in einer Schenke, Ihr speistet höchst vergnügt mit dem Könige von Ägypten und einem garstigen Priester. Sie sah Euch jenem Monarchen, der den Phönix getötet hatte und wider den mein Sohn einen unbesieglichen Abscheu hegt, einen zärtlichen Kuß geben. Bei diesem Anblick überkam die Amsel gerechtfertigte Empörung und sie flog davon, Eure verhängnisvollen Liebeleien verfluchend. Heute ist sie zurückgekommen. Sie hat alles erzählt, du grundgütiger Himmel, in welchem Augenblick aber! In dem Augenblicke nämlich, in dem mein Sohn zusammen mit mir den Tod seines Vaters und den Tod des Phönix beweinte, in der Stunde, da er erfuhr, daß er als ein Geschwisterkindeskind Euer Vetter . . .«
»Oh Himmel, gnädige Frau, mein Vetter, ist es möglich, durch welche abenteuerlichen Ereignisse, wie, auf welchem Wege sollte mir ein derartiges Glück beschert sein? Und zugleich sollte ich so unglücklich sein, ihn gekränkt zu haben?«
»Mein Sohn ist Euer Vetter, wie ich es Euch sage«, erwiderte die Mutter. »Ich will es Euch bald beweisen, aber indem Ihr zu meiner Verwandten werdet, raubt Ihr mir meinen Sohn, er wird den Schmerz, den ihm Euer dem Könige von Ägypten gegebene Kuß zugefügt hat, nicht überleben können.«
»Oh meine Tante,« schrie die schöne Formosante, »ich schwöre es bei Ihnen und bei dem mächtigen Oromazes, daß dieser unglückselige Kuß kein schuldiger Kuß, sondern im Gegenteil der stärkste Liebesbeweis war, den ich Eurem Sohn hätte geben können. Um seinetwillen ward ich meinem Vater ungehorsam, um seinetwillen wanderte ich vom Euphrat bis zum Ganges; da ich nun unterwegs aber in die Hände des unwürdigen Pharaos von Ägypten geriet, vermochte ich mich vor ihm nur zu retten, indem ich ihn täuschte. Die Asche und die Seele des Phönix, welche sich damals noch in meiner Tasche befanden, rufe ich zu Zeugen an, sie werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wie aber kann Euer am Ganges geborener Sohn mein Vetter sein, da ja doch meine Familie seit soviel Jahrhunderten an den Ufern des Euphrat herrscht?«
»Ihr wißt,« antwortete ihr die ehrwürdige Gangaridin, »daß Euer Großonkel Aldeus König von Babylon war und vom Vater des Belus entthront wurde?« »Ja, gnädige Frau.« »Ihr wißt ferner, daß sein Sohn Aldeus in seiner Ehe die Prinzessin Aldea bekam, welche an Eurem Hofe auferzogen worden ist. Dieser Prinz flüchtete sich, als er von Eurem Vater verfolgt wurde, unter einem anderen Namen in unsere glückliche Gegend und heiratete mich. Ich empfing von ihm den jungen Prinzen Aldeus-Amasan, den schönsten, stärksten, tapfersten, tugendhaftesten und heute geschlagensten von allen Sterblichen: Auf den Ruf Eurer Schönheit zog er zu den Babylonischen Festen, seit jenem Tage vergötterte er Euch, und nun werde ich meinen geliebten Sohn vielleicht niemals wiedererblicken.«
Darauf ließ sie vor der Prinzessin alle Beglaubigungsurkunden des Hauses der Aldeer ausbreiten, aber Formosante ließ sich kaum herbei, sie anzusehen. »Oh, gnädige Frau,« rief sie, »untersucht man das, was man wünscht, mein Herz glaubt Euch völlig, wo aber ist Aldeus-Amasan, wo ist mein Verwandter, mein Geliebter, mein König, wo ist mein Leben? Wohin hat er sich gewandt? ich will nach ihm suchen auf allen Gestirnen, die der Ewige geformt hat und deren höchste Zierde er stets sein wird. Ich will auf dem Stern Kanopus, auf Schakath und auf dem Aldebaran suchen, um ihn von meiner Unschuld und meiner Liebe zu überzeugen.«
Der Phönix rechtfertigte die Prinzessin wegen des ihr von der Amsel zur Last gelegten Verbrechens, dem König von Ägypten einen Kuß gegeben zu haben. Es kam jedoch vor allem darauf an, Amasan von seinem Wahne zu erlösen und zurückzubringen. Er schickte Vögel auf allen Wegen aus und ließ Einhorne nach allen Richtungen dahinjagen, und endlich berichtete man ihm, Amasan habe den Weg nach China eingeschlagen. »Wohlan,« rief die Prinzessin, »laßt uns nach China aufbrechen, die Reise ist nicht lang, spätestens in vierzehn Tagen hoffe ich, Euch Euren Sohn zurückzubringen.« Wie viele Tränen der Zärtlichkeit vergossen nicht bei diesen Worten die gangaridische Mutter und die Prinzessin von Babylon! Welch ein Umschlingen, welch ein Herzensüberschwang!
Der Phönix ließ auf der Stelle einen mit sechs Einhörnen bespannten Wagen vorfahren. Die Mutter stellte zweihundert Ritter zur Verfügung und schenkte der Prinzessin, ihrer Nichte, einige tausend der schönsten Diamanten des Landes. Der Phönix ließ aus Kummer über das Böse, welches die Unverschwiegenheit der Amsel verursacht hatte, allen Amseln befehlen, das Land zu räumen. Dies ist der Grund, warum sich seither an den Ufern des Ganges keine Amsel mehr aufhält.
In weniger denn acht Tagen brachten die Einhorne Formosanten, Irla und den Phönix nach Kambalu, der Hauptstadt von China. Sie war größer als Babylon und ihre Pracht von völlig anderer Art. Die neuen Dinge und Sitten würden Formosanten ergötzt haben, hätte sie mit etwas anderem beschäftigt sein können, als mit Amasan.
Sobald der Kaiser erfahren hatte, daß sich die Prinzessin von Babylon vor einem Tore der Stadt befände, schickte er ihr viertausend Mandarine in Feiergewändern entgegen. Alle neigten sich vor ihr zu Boden, und ein jeder reichte ihr eine in goldenen Lettern auf ein purpurrotes Seidenblatt geschriebene Begrüßung. Formosante sagte ihnen, wenn sie viertausend Zungen hätte, würde sie nicht verfehlen, einem jeden Mandarin zu antworten, da sie jedoch nur eine besäße, bäte sie sie, es freundlich aufzunehmen, wenn sie sich ihrer bediene, um ihnen allen auf einmal und im allgemeinen zu danken. Sie geleiteten sie ehrfurchtsvoll vor den Kaiser.
Der Kaiser war der gerechteste, liebenswürdigste und weiseste Herrscher der Erde. Als Erster hatte er einen kleinen Acker mit seinen kaiserlichen Händen bestellt, um die Landwirtschaft bei seinem Volke in Ansehen zu bringen, als Erster stiftete er einen Tugendpreis, und im Vergleich mit dem seinen waren in allen anderen Ländern die Gesetze im Bestrafen der Verbrechen schmachvoll begrenzt. Eben hatte der Kaiser eine Schar Bonzen aus seinem Staate verjagt, welche in der unvernünftigen Hoffnung, ganz China zwingen zu können, so zu denken wie sie, aus dem fernsten Westen gekommen waren, und unter dem Vorwande, Wahrheiten zu verkünden, bereits Ehren und Reichtümer erworben hatten. Als er sie verjagte, hatte er zu ihnen genau die folgenden Worte gesprochen, welche in den Reichsakten gebucht sind: »Ihr könntet hier ebenso leicht Unheil stiften, wie ihr woanders getan: Ihr seid hergekommen, um dem tugendhaftesten Volke der Erde Lehren der Unduldsamkeit zu predigen. Ich heiße euch gehen, um niemals gezwungen zu sein, euch zu bestrafen. Ihr werdet höflich bis an die Grenzen geleitet werden, und man soll euch alles geben, was ihr braucht, um bis an die Tore der Halbinsel, der ihr entstammt, gelangen zu können. Ziehet in Frieden, wenn anders es euch überhaupt gegeben ist, in Frieden zu leben, und kehret niemals zurück.«
Die Prinzessin von Babylon vernahm dieses Urteil und die Rede mit Freuden. Sie durfte nun sicher sein, am Hofe gut aufgenommen zu werden, da sie ja doch weit davon entfernt war, unduldsamen Ansichten zu huldigen. Während der Kaiser von China mit ihr allein tafelte, war er freundlich genug, den Zwang aller beengenden Hofbräuche zu verbannen: sie zeigte ihm den Phönix, den der Kaiser herzlich liebkoste und der sich auf die Lehne seines Sessels niederließ. Gegen das Ende des Mahles vertraute ihm Formosante unbefangen den Zweck ihrer Reise an und bat ihn, in Kambalu nach dem schönen Amasan suchen zu lassen, dessen Geschichte sie ihm erzählte, ohne ihm etwas von der unheilvollen Leidenschaft zu verbergen, mit der ihr Herz für den jungen Helden entflammt war. »Wem sagt Ihr das,« rief der Kaiser von China, »der liebenswürdige Amasan hat mir die Freude gemacht, meinen Hof zu besuchen, und hat mich entzückt: er ist allerdings tief bekümmert, aber das hat den Zauber seines Wesens nur verstärkt. Kein einziger meiner Günstlinge hat mehr Verstand wie er, kein gelehrter Mandarin umfassendere Kenntnisse, kein soldatischer ein kriegerischeres und heldenhafteres Aussehen, und seine übergroße Jugend verleiht allen diesen seinen Gaben noch einen neuen Wert. Wenn ich unglücklich genug und von Tien und Schanti so ganz verlassen wäre, um ein Eroberer werden zu wollen, so würde ich Amasan bitten, sich an die Spitze meiner Heere zu stellen, und ich könnte dann sicher sein, über den ganzen Erdball zu triumphieren. Es ist wirklich schade, daß sein Kummer ihm bisweilen den Sinn verwirrt.«
»Oh Herr,« rief Formosante flammenden Auges und schmerzvoll beklommenen und vorwurfsvollen Tones, »warum habt Ihr mich nicht mit ihm zusammen speisen lassen? Ihr tötet mich, laßt ihn augenblicklich herbitten.« »Er ist heute morgen abgereist, gnädige Fürstin, und hat nicht gesagt, in welches Land er seine Schritte lenken würde.« Formosante wandte sich zu dem Phönix: »Wohlan, Phönix,« sprach sie, »hast du jemals ein unglücklicheres Mädchen gesehen als mich? Wie aber,« fuhr sie fort, »wie und warum, Herr, hat er einen Hof so kurz entschlossen verlassen können, der so gar gesittet ist? Mich dünkt, man müsse sein ganzes Leben hier zu verbringen wünschen?«
»Ich will Euch sagen, was vorgefallen ist, gnädige Frau. Eine der liebenswürdigsten Prinzessinnen von Geblüt hat sich leidenschaftlich in ihn verliebt und ihn zu einem Stelldichein in ihrem Hause auf heute mittag entboten, daher ist er bei Tagesanbruch abgereist und hat das folgende Brieflein zurückgelassen, das meiner Verwandten gar bittere Tränen gekostet hat:
»Schöne Prinzessin chinesischen Geblüts, Ihr verdienet ein Herz, das niemals für eine andere denn für Euch geschlagen hat, ich aber habe den unsterblichen Göttern gelobt, ewig nur Formosanten, die Prinzessin von Babylon, zu lieben und ihr zu lehren, wie man seine Wünsche auf Reisen zu bezähmen vermag, denn sie hat das Unglück gehabt, einem unwürdigen Könige von Ägypten zu erliegen. Ich bin der unglückseligste von allen Menschen. Ich habe meinen Vater und den Phönix und die Hoffnung verloren, von Formosanten geliebt zu werden. Ich habe meine bekümmerte Mutter und mein Vaterland verlassen, da ich keinen Augenblick lang an dem Orte zu leben vermochte, an dem ich erfuhr, daß Formosante einen anderen liebe als mich. Ich habe geschworen über die Erde zu irren und treu zu sein. Wollte ich meinen Schwur brechen, so würdet Ihr mich verachten und die Götter würden mich bestrafen: Nehmt einen Liebhaber, gnädige Frau, und seid ihm ebenso treu wie ich treu bin.«
»Oh, laßt mir diesen erstaunlichen Brief,« rief die schöne Formosante, »er soll mein Trost sein. Ich bin glücklich mitten in meinem Mißgeschick. Amasan liebt mich, um meinetwillen verzichtet er auf den Besitz chinesischer Prinzessinnen; auf der ganzen Welt gibt es nur ihn, der einen solchen Sieg zu erringen vermöchte. Er stellt ein großes Beispiel vor mir auf, aber der Phönix weiß, daß es dessen nicht bedurfte. Es ist recht grausam, um des unschuldigsten und nur aus reiner Treue gegebenen Kusses willen seines Geliebten beraubt zu werden, wohin aber hat er sich gewandt, welchen Weg hat er eingeschlagen, geruhet es mir zu sagen, und ich breche auf.«
Der Kaiser von China erwiderte, nach den Meldungen, die man ihm gemacht, glaube er, ihr Geliebter habe einen Weg eingeschlagen, der nach Skythien führt. Sogleich wurden die Einhorne angespannt, und nach den zärtlichsten und artigsten Worten nahm die Prinzessin mit dem Phönix, ihrer Kammerfrau Irla und ihrem ganzen Gefolge von dem Kaiser Abschied.
Sobald sie in Skythien angelangt war, erkannte sie mehr denn jemals, wie verschieden die Menschen und Staaten voneinander sind und stets sein werden, bis zu der Zeit, da nach tausend Jahrhunderten voller Schatten ein erleuchteteres Volk seinen Nachbarn das Licht mitteilen wird, und sich in barbarischen Himmelsstrichen heldenhafte Seelen finden werden, welche die Kraft und Ausdauer besitzen, Tiere in Menschen zu verwandeln. In Skythien gab es keine Städte und infolgedessen keine Künste, man erblickte nur endlose Prärien und ganze Völkerschaften unter Zelten und Wagen: dieser Anblick erweckte Schrecken und Angst. Formosante fragte, auf welcher Karre oder unter welchem Zelte der König wohne; man erwiderte ihr: er sei vor acht Tagen an der Spitze von dreimalhunderttausend Reitern zum Kriege gegen den König von Babylon aufgebrochen, dessen Nichte, die schöne Prinzessin Aldea, er entführt habe. »Er hat meine Base entführt,« rief Formosante, »auf dieses neue Abenteuer war ich wahrlich nicht gefaßt! Wie, meine Base, die nur allzu glücklich war, in meinem Gefolge sein zu dürfen, ist Königin geworden, und ich bin noch nicht einmal verheiratet!« Unverzüglich ließ sie sich in die Gezelte der Königin führen.
Ihr unverhofftes Zusammentreffen in diesen fernen Gegenden und die seltsamen Dinge, die sie sich gegenseitig mitzuteilen hatten, verliehen ihrer Zusammenkunft einen Reiz, der sie vergessen ließ, daß sie sich niemals geliebt hatten. Bewegt wurden sie einander ansichtig, Rührung trat an die Stelle wahrer Zärtlichkeit, weinend fielen sie sich in die Arme, ja, da ihr Zusammentreffen nicht in einem Palaste stattfand, herrschte sogar Offenheit und Herzlichkeit zwischen ihnen.
Aldea erkannte den Phönix und die Vertraute Irla; sie schenkte ihrer Base Zobelpelze und diese ihr Diamanten, man sprach von dem Kriege, den die beiden Könige gegeneinander führten, man beklagte das Geschick der Menschen, welche durch den launischen Einfall ihrer Beherrscher gezwungen werden, sich um eines Zwistes willen zu erwürgen, den zwei gesittete Leute in einer Stunde schlichten könnten. Vor allem aber unterhielt man sich über den schönen Fremden und Löwentöter, den Spender der größten Diamanten der Welt, den Versemacher und Besitzer des Phönix, der nun auf den Bericht einer Amsel zu dem unglückseligsten Menschen geworden war: »Er ist mein lieber Bruder,« sagte Aldea, »und mein Geliebter,« schrie Formosante, »Ihr habt ihn gewiß gesehen, vielleicht ist er sogar noch hier, denn er weiß, Base, daß er Euer Bruder ist, Euch würde er nicht so schnell verlassen haben, wie den Kaiser von China.«
»Ob ich ihn gesehen habe,« rief Aldea, »große Götter, vier ganze Tage hat er mit mir verbracht. Oh Base, wie bejammernswert ist nicht mein Bruder, eine falsche Nachricht hat ihn völlig toll gemacht, er irrt durch die Welt, ohne zu wissen, wohin! Stellt Euch vor, daß er die Tollheit so weit getrieben hat, die Gunst der schönsten Skythin des ganzen Skythenlandes zurückzuweisen. Gestern ist er aufgebrochen, nachdem er ihr einen Brief geschrieben, der sie in Verzweiflung gestürzt hat. Seinen Worten zufolge hat er sich zu den Kimmeriern begeben.« »Gelobt sei Gott,« rief Formosante, »noch eine Weigerung mir zuliebe! Mein Glück übersteigt meine Hoffnungen, wie mein Unglück all meine Befürchtungen überboten hat. Laßt mir den entzückenden Brief bringen, damit ich, die Hände angefüllt mit seinen Opfern, aufbreche und ihm folge. Lebet wohl Base, Amasan ist bei den Kimmeriern, ich fliege hin.«
Aldea fand die Prinzessin, ihre Base, noch toller wie ihren Bruder Amasan; da sie jedoch selber die Feuer dieser Krankheit durchgemacht, da sie die Pracht und die Wonnen Babylons um den König der Skythen verlassen hatte, und da sich die Frauen stets für alle Narrheiten einnehmen lassen, deren Ursache Liebe ist, so rührte sie Formosantens Geschick aufrichtig, sie wünschte ihr eine glückliche Reise und versprach ihr, ihrer Leidenschaft zu dienen, falls sie jemals das Glück haben sollte, ihren Bruder wiederzusehen.
Die Prinzessin von Babylon und der Phönix langten gar bald im Reiche der Kimmerier an, welches wohl weniger bevölkert, dafür aber doppelt so groß wie China ist, einstmals Skythien glich, seit einiger Zeit aber ebenso blühend geworden war, wie die Reiche, die sich rühmten, Lehrer der anderen Staaten zu sein.
Nach einigen Marschtagen gelangte man in eine große Stadt, welche die regierende Kaiserin[Katharina II.] verschönern ließ. Sie selber war jedoch nicht da, sie reiste damals von den Grenzen Europas nach denen Asiens, um ihre Staaten mit eigenen Augen kennen zu lernen, sich eine Meinung über die Mißstände zu bilden, Abhilfe zu schaffen, das Gedeihen zu fördern und um Licht und Wissen zu verbreiten.
Einer der ersten Beamten der Hauptstadt beeilte sich auf die Nachricht von der Ankunft der Babylonierin und des Phönix der Prinzessin seine Huldigung darzubringen und sie im Namen des Landes zu begrüßen, da er sicher war, seine Herrin, die höflichste und herrlichste aller Königinnen, möchte es ihm Dank wissen, eine so große Dame mit eben der gleichen Artigkeit empfangen zu haben, die sie selber angeordnet haben würde.
Man beherbergte Formosanten im Schloß, aus dem eine lästige Menge Volkes verjagt wurde, und gab ihr herrlich ersonnene Feste. Der kimmerische Edelmann, der ein großer Naturwissenschaftler war, unterhielt sich gar viel mit dem Phönix in den Stunden, in denen die Prinzessin allein in ihren Gemächern weilte. Der Phönix gestand ihm, er habe früher schon einmal das Land der Kimmerier bereist, erkenne es aber nicht wieder. »Wie konnte nur ein so durchgreifender Wandel in so kurzer Zeit Platz greifen,« sagte er, »es sind noch nicht dreihundert Jahre her, da sah ich hier die wilde Natur in ihrer ganzen Schrecklichkeit, heute finde ich Kunst, Glanz, Ruhm und Gesittung.« »Ein einziger Mann[Peter I.] hat das große Werk begonnen,« erwiderte der Kimmerier, »und eine Frau hat es beendet, ein Weib ist eine bessere Gesetzgeberin geworden, als die Isis der Ägypter und die Ceres der Griechen. Die meisten aller Gesetzgeber haben einen engen und herrschsüchtigen Geist, der ihre Absichten auf das Land beschränkt, das sie beherrschen. Jeder hält sein Volk für das einzige oder meint, es müsse wenigstens ein Feind der ganzen übrigen Erde sein; alle ihre Einrichtungen haben sie deshalb stets nur für das eine Volk getroffen, für es allein Bräuche eingeführt und eine Religion begründet. Auf diese Weise sind die durch ein paar Steinhaufen so berühmt gewordenen Ägypter durch ihren barbarischen Aberglauben vertiert und entehrt worden, andere Völker haben keinen Verkehr mit ihnen, und nur mit Ausnahme des Hofes, der sich bisweilen über die gemeinen Vorurteile erhebt, gibt es nicht einen Ägypter, der würde von einem Teller essen wollen, welcher einem Fremden bereits einmal gedient. Ihre Priester sind grausam und unsinnig, besser wäre es schon, kein Gesetz zu haben und nur auf die Natur zu hören, welche in unsere Herzen das Gefühl für Recht und Unrecht gegraben hat, als die menschliche Gesellschaft so ungeselligen Gesetzen zu unterwerfen.
Unsere Kaiserin hat völlig entgegengesetzte Absichten, sie betrachtet es als eine Pflicht ihres unermeßlichen Staates, allen Völkern Rechnung zu tragen, welche unter seinen verschiedenen Meridianen wohnen. Das erste ihrer Gesetze ist ein Gebot der Duldsamkeit gegenüber allen Religionen und des Mitgefühls mit allen Irrtümern gewesen. Ihr gewaltiger Geist hat erkannt, daß unter den verschiedensten Bekenntnissen die Moral doch überall die gleiche ist, aus diesem Grundsatze hat sie ihr Volk mit allen Völkern der Erde verknüpft, und die Kimmerier haben gelernt den Skandinavier und den Chinesen als ihren Bruder zu betrachten, sie hat mehr getan, sie hat den Willen gehabt, diese wundervolle Duldsamkeit, das vornehmste Band der Menschen, möchte auch bei ihren Nachbarn Eingang finden, und so hat sie denn den Titel ›Mutter des Landes‹ wohl verdient, und wenn sie fortfährt, wird sie einst Wohltäterin des menschlichen Geschlechtes heißen.
Vor ihr entsandten unglücklicherweise mächtige Menschen Scharen von Mördern, um unbekannte Völkerschaften zu überfallen und mit ihrem Blute das Erbe ihrer Väter zu tränken. Man nannte diese Mörder Helden und ihre Räubereien gar großen Ruhm. Unsere Herrscherin kennt einen anderen, sie hat Heere entsendet, um Frieden zu stiften, um die Menschen zu hindern, sich gegenseitig Abbruch zu tun, und um sie zu zwingen, einander zu ertragen; ihre Fahnen sind stets die der öffentlichen Eintracht gewesen.«
Der Phönix war entzückt über alles, was der Edelmann ihm erzählte, und sagte: »Mein Herr, ich bin siebenundzwanzigtausendneunhundert Jahre und sieben Monate auf der Welt und habe nichts dem Vergleichbares gesehen, was Ihr mich da hören lasset.« Dann fragte er ihn nach seinem Freunde Amasan. Der Kimmerier erzählte ihm dasselbe, was man der Prinzessin bei den Chinesen und bei den Skythen berichtet hatte: Amasan flüchtete von allen Höfen, die er besuchte, sobald ihm eine Dame ein Stelldichein gab, in welchem er zu unterliegen fürchtete. Der Phönix berichtete Formosanten sofort von diesem neuen Beweis der Treue, den Amasan für sie abgelegt . . . . . einer um so erstaunlicheren Treue, als er ja nicht ahnen konnte, daß sie jemals zur Kenntnis seiner Prinzessin gelangen würde.
Er war nach Skandinavien abgereist. In diesen Gegenden traten neue Zustände vor seine Augen, Königtum und Freiheit bestanden hier nebeneinander, und zwar in einem Einklange, der in anderen Staaten unmöglich erschien. Ein Ackerbauer hatte an der Gesetzgebung den gleichen Anteil wie die Großen des Reiches, und ein junger Fürst berechtigte zu der großen Hoffnung, des Herrschens über ein freies Volk würdig zu sein. Noch etwas Seltsameres sah er: der einzige König der ganzen Erde, der durch einen besonderen Vertrag mit seinem Volke rechtmäßiger Alleinherrscher war, war zugleich der jüngste und gerechteste aller Könige.
Bei den Sarmaten fand Amasan einen Philosophen[Stanislaus Poniatowski] auf dem Throne; man konnte ihn den König der Gesetzlosigkeit nennen, denn er war der höchste von hunderttausend Königen, von denen jeder einzelne die Beschlüsse aller anderen zunichte machen konnte: Das Zusammenhalten aller unaufhörlich widereinander streitenden Winde kostete Äolus nicht mehr Mühe, als dieser Herrscher in der Aussöhnung der Geister fand. Er glich einem vom ewigen Sturme umtosten Steuermanne, und dennoch zerbarst das Schiff nicht, denn der Fürst war ein vortrefflicher Lotse.
Während Amasan diese von seinem Vaterlande so verschiedenen Länder durchquerte, wies er standhaft alle sich ihm bietende Frauengunst zurück, denn stets blieb er verzweifelt über den Kuß, den Formosante dem Könige von Ägypten gegeben hatte, und stets fest in seinem unbegreiflichen Entschlusse, Formosanten das Beispiel einziger und unerschütterlicher Treue zu geben.
Die Prinzessin von Babylon folgte mit dem Phönix überallhin seiner Spur und verfehlte ihn immer nur um ein oder zwei Tage, ohne daß der eine von ihnen müde geworden wäre, dahinzustürmen, und ohne daß der andere ihn auch nur einen Augenblick lang unverfolgt gelassen hätte.
Auf diese Weise durchquerten sie ganz Germanien und bewunderten die Fortschritte, welche Vernunft und Philosophie im Norden gemacht. Alle Fürsten waren hier unterrichtet und beschützten alle die Denkfreiheit. Ihre Erziehung war nicht Menschen anvertraut worden, denen daran liegen mußte, sie zu betrügen, oder die selber Betrogene gewesen wären. Man hatte sie in der Kenntnis der allgemeinen Moral und in der Verachtung jeglichen Aberglaubens erzogen. Man hatte aus allen diesen Staaten einen unsinnigen Brauch verbannt, welcher mehrere südliche Länder entnervte und entvölkerte, jene Sitte nämlich, in große Kerker eine unendliche Zahl von Menschen beiderlei Geschlechts ewig voneinander getrennt lebendig einzugraben und sie schwören zu lassen, niemals Umgang miteinander zu pflegen: Dieses Übermaß von Zucht, welches jahrhundertelang in Ansehen gestanden, hat die Erde ebensosehr verwüstet, wie die grausamsten Kriege.
Die Fürsten des Nordens hatten endlich begriffen, daß man bei dem Wunsche, Gestüte zu besitzen, eben die stärksten Hengste nicht von den Stuten trennen dürfe. Sie hatten auch noch andere nicht weniger seltsame und verderbliche Irrtümer zerstört. Kurz, die Menschen hatten in diesen großen Ländern den Mut, vernünftig zu sein, während man woanders sie noch immer nur beherrschen zu können wähnte, solange sie Dummköpfe seien.
Amasan gelangte zu den Batavern: Sein Herz empfand in all diesem Kummer eine süße Befriedigung, dort einem schwachen Abbilde des glücklichen Gangaridenlandes zu begegnen: Freiheit, Gleichheit, Sauberkeit, Überfluß und Duldsamkeit herrschten. Die Damen des Landes aber waren so kalt, daß keine einzige ihm ein derartiges Entgegenkommen bewies, wie es überall woanders geschehen. So blieb ihm die Mühe des Widerstandes erspart, hätte er aber seinerseits Angriffe auf diese Damen machen wollen, so würde er sie alle eine nach der anderen besiegt haben, ohne von einer einzigen geliebt zu werden, aber nichts lag ihm ferner, als der Gedanke, Eroberungen zu machen.
Bei diesem langweiligen Volke hätte Formosante ihn beinahe eingeholt, nur um einen Augenblick kam sie zu spät.
Amasan hatte bei den Batavern mit solcher Beredsamkeit von einer gewissen, Albion genannten Insel sprechen hören, daß er beschloß, sich mit seinen Einhornen auf ein Schiff zu begeben, und dieses trug ihn bei günstigem östlichen Winde in vier Stunden an das Ufer jenes Landes, welches berühmter ist als Tyrus und die Insel Atlantis.
Die schöne Formosante, die ihm an das Ufer der Donau, der Weichsel, der Elbe und der Weser gefolgt war, gelangte nun schließlich auch an die Mündung des Rheines, welcher damals seine schnellen Wasser in das Germanische Meer ergoß.
Sie erfuhr, daß ihr teurer Geliebter nach der Küste Albions abgesegelt sei, sie glaubte sein Schiff noch zu erblicken und stieß Freudenschreie aus, über die alle batavischen Damen verwundert waren, da sie sich nicht vorzustellen vermochten, wie ein junger Mann so gar große Freude erregen könnte; was jedoch den Phönix anbetraf, so machten sie kein großes Aufheben um ihn, weil sie meinten, seine Federn ließen sich wahrscheinlich nicht so gut verkaufen wie die der Enten und Gänse ihrer Teiche. Die Prinzessin von Babylon mietete oder befrachtete zwei Schiffe, um sich mit ihrem ganzen Geleit auf die glückselige Insel bringen zu lassen, welche das Ziel aller ihrer Wünsche, die Seele ihres Lebens, den Gott ihres Herzens beherbergen sollte.
Ein verhängnisvoller Westwind erhob sich in demselben Augenblick, da der getreue und unglückliche Amasan den Fuß auf den Boden Albions setzte. Die Schiffe der Prinzessin von Babylon konnten nicht auslaufen. Formosantens Herz krampfte sich zusammen, bitterer Schmerz, tiefe Schwermut befielen sie. Um das Umschlagen des Windes abzuwarten, legte sie sich in ihrer Qual zu Bett, aber er wehte acht ganze Tage lang mit verzweifelter Gewalt. In diesem acht Tage währenden Jahrhundert ließ sich die Prinzessin von Irla Romane vorlesen. Nicht etwa, daß die Bataver welche zu schreiben verstanden hätten, da sie jedoch die Krämer der ganzen Erde waren, verhandelten sie auch den Geist der anderen Völker ebenso wie ihre Waren. Die Prinzessin ließ bei Markus Michel Rey alle Erzählungen einkaufen, die bei den Aussoniern und den Welschen geschrieben worden und deren Verschleiß bei diesen Völkern weisheitsvoll verboten war, um die Bataver zu bereichern. Sie hoffte in diesen Geschichten auf Erlebnisse zu stoßen, die den ihren ähnelten und ihren Schmerz zu lindern vermochten. Irla las, der Phönix sagte seine Meinung und die Prinzessin fand nichts in der »Emporgekommenen Bäuerin«, nichts in dem »Sofa«, noch in den »Vier Fakr-ed-din«, was die geringste Beziehung zu ihren Abenteuern gehabt hätte, und alle Augenblicke unterbrach sie die Vorlesung, um zu fragen, von welcher Seite der Wind wehe.
Unterdessen befand sich Amasan bereits in seiner mit sechs Einhornen bespannten Karosse auf dem Wege nach der Hauptstadt Albions und träumte von seiner Prinzessin: dabei ward er eines in einen Graben geworfenen Wagens ansichtig. Die Bedienten hatten sich entfernt, um Hilfe herbeizurufen, der Herr des Wagens jedoch saß ruhig auf seinem Sitz, zeigte nicht die geringste Ungeduld und ergötzte sich mit Rauchen, denn man rauchte damals. Er hieß Mylord What-then, was in der Sprache, in die ich diese Denkwürdigkeiten übersetze, ungefähr soviel bedeutet, wie Mylord Was-tut's.
Amasan eilte hinzu, um ihm behilflich zu sein. Ganz allein packte er den Wagen und richtete ihn auf, denn so sehr überragte seine Kraft die Kraft aller Menschen. Mylord Was-tut's beschied sich damit zu bemerken: »Welch ein starker Mensch!«
Die inzwischen aus der Nachbarschaft herbeigeeilten Bauernlümmel gerieten in Wut darüber, daß man sie unnütz gerufen hatte, und hielten sich dafür an den Fremden. Sie bedrohten ihn, nannten ihn »fremder Hund« und wollten ihn schlagen.
Amasan ergriff ihrer zwei mit jeder Hand und schleuderte sie zwanzig Schritte weit fort, die anderen respektierten ihn nun, grüßten ihn und baten um ein Trinkgeld. Er gab ihnen mehr, als sie je zusammen auf einem Haufen gesehen. Mylord Was-tut's sagte nun zu ihm: »Ich schätze Sie, speisen Sie mit mir in meinem Landhause zu Mittag, es ist nur um drei Meilen von hier entfernt.« Darauf bestieg er den Wagen Amasans, weil der seine von dem Sturze in Unordnung geraten war.
Nach einer Viertelstunde tiefen Schweigens sah er Amasan einen Augenblick lang an und sagte zu ihm: »How dye do«, buchstäblich übersetzt heißt dieses: Wie tuen Sie tun, dem Sinne nach jedoch: Wie geht es Ihnen, was in keiner Sprache etwas zu besagen hat; dann fügte er hinzu: »Sie haben da sechs hübsche Einhorne« und rauchte weiter.
Der Reisende erwiderte, diese Einhorne ständen ihm zur Verfügung, er käme mit ihnen aus dem Lande der Gangariden, und dann nahm er Gelegenheit, ihm von der Prinzessin von Babylon und von dem verhängnisvollen Kusse zu sprechen, den sie dem Könige von Ägypten gegeben hatte, worauf der andere nichts antwortete, da es ihm völlig gleichgültig war, ob es einen König von Ägypten und eine Prinzessin von Babylon auf der Welt gab. Eine weitere Viertelstunde verging ohne ein Wort, worauf er seinen Gefährten noch einmal fragte, wie er tuen täte, und ob man im Lande der Gangariden gutes Rostbeef äße. Der Reisende erwiderte mit der ihm eigenen Höflichkeit, man pflege an den Ufern des Ganges seine Brüder nicht zu verspeisen und setzte ihm das System auseinander, welches um viele Jahrhunderte später auch dem Pythagoras, dem Porphyrius und dem Jamblikus eigen war, worüber Mylord einschlief und erst wieder erwachte, als man vor seinem Hause angelangt war.
Er hatte eine junge, sehr hübsche Frau, der die Natur eine so lebhafte und empfindsame Seele gegeben, wie die ihres Gatten gleichmütig war. An jenem Tage waren mehrere albionesische Edelleute zur Mittagsmahlzeit eingetroffen und unter ihnen gab es alle nur möglichen Charaktere, denn da dieses Land fast nur von Fremden beherrscht worden war, hatten die mit jenen Fürsten zusammen herübergekommenen Familien alle verschiedene Sitten mit sich gebracht. Es befanden sich in der Gesellschaft äußerst liebenswürdige Menschen, andere zeigten einen überragenden Verstand, wieder andere eine tiefe Wissenschaft.
Der Hausherrin eignete nichts von jener unnatürlichen linkischen Art, jener Steifheit und falschen Scham, welche man damals den Frauen Albions vorwarf. Sie verbarg keineswegs unter einer hoffärtigen Haltung und einem erkünstelten Schweigen die Unfruchtbarkeit ihrer Gedanken und die Verlegenheit, nichts zu sagen zu haben. Keine Frau konnte anziehender sein als sie. Sie empfing Amasan mit der ihr eigenen Liebenswürdigkeit und Anmut. Die ungewöhnliche Schönheit des jungen Fremden und der schnelle Vergleich, den sie zwischen ihm und ihrem Gatten anstellte, beeindruckten sie sichtlich.
Man trug auf. Sie ließ Amasan an ihrer Seite Platz nehmen, und da sie von ihm gehört, daß die Gangariden nichts zu sich nähmen, was von den Göttern die himmlische Gift des Lebens erhalten hatte, gab sie ihm alle möglichen Puddings zu essen. Seine Schönheit, seine Stärke, die Sitten der Gangariden, der Fortschritt der Künste, die Religion und die Regierung bildeten die Gegenstände einer so angenehmen wie belehrenden Unterhaltung während des Mahles, welches bis in die Nacht hinein dauerte und bei dem Mylord Was-tut's viel trank und kein Wort sprach.
Während Mylady nach dem Essen den Tee einschenkte und die Augen des jungen Mannes verschlang, unterhielt er sich mit einem Mitgliede des Parlamentes, denn wie jeder weiß, gab es damals ein Parlament, welches Witten-agemot hieß, was so viel bedeutet, wie: Der Verein der Gescheiten. Amasan erkundigte sich über die Verfassung, die Sitten, die Gesetze, die Heeresstärke, die Bräuche und die Künste, welche dieses Land so gar schätzenswert machten, und der Herr antwortete ihm folgendermaßen: »Wir sind lange nackt einhergegangen, obgleich das Klima nicht sehr warm ist, und lange sind wir von Menschen, welche aus dem alten, von den Wassern des Tiber bespülten Lande Saturns kamen, wie Sklaven behandelt worden, aber wir haben uns selber viel mehr Böses zugefügt, als wir von unseren ersten Besiegern erlitten. Einer unserer Könige hat die Niedrigkeit so weit getrieben, sich für den Untertan eines Priesters zu erklären, welcher ebenfalls an den Ufern des Tiber wohnte und den man den Alten von den sieben Bergen nannte, so ist es denn auch lange das Schicksal dieser sieben Berge gewesen, über einen großen Teil Europas zu herrschen, welches damals von Tölpeln bewohnt wurde.
Nach dieser Zeit der Erniedrigung sind Jahrhunderte der Wildheit gekommen. Unser Land, das stürmischer ist als die Meere, die es umgürten, ist von unserer Zwietracht aufgewühlt und in Blut getränkt worden, mehrere gekrönte Häupter sind durch Todesstrafe umgekommen, mehr als hundert Prinzen königlichen Geblüts haben ihre Tage auf dem Schafott beschlossen. Dem Henker käme es zu, die Geschichte unseres Volkes zu schreiben, da er es war, der stets alle großen Ereignisse darin geendigt hat.
Es ist noch nicht lange her, daß einige Leute, die einen schwarzen Mantel[Die Puritaner] und andere, die ein weißes Hemd über ihren Jacken trugen, und die von tollen Hunden gebissen worden waren, um den Graus vollzumachen das ganze Volk mit ihrer Tollwut ansteckten. Alle Bürger wurden entweder Mörder oder Ermordete, Henker oder Hingerichtete, Verheerer oder Sklaven, und das im Namen des Himmels und auf der Suche nach dem Herrn und Heiland.
Wer möchte wohl glauben, daß aus diesem schauerlichen Abgrund, diesem Chaos aus Streit, Wildheit, Unwissenheit und Fanatismus endlich die vollkommenste Regierung emporgestiegen ist, die es vielleicht heute auf der Welt gibt. Ein reicher geehrter König, allmächtig um das Gute, ohnmächtig um Böses zu tun, steht an der Spitze eines freien, kriegerischen, handeltreibenden und erleuchteten Volkes. Die Großen des Landes einerseits und die Vertreter der Städte andrerseits teilen mit dem Herrscher die gesetzgebende Kraft.
Wie ein seltsames Verhängnis mutet es an, daß stets Unordnung, Bürgerkrieg, Anarchie und Armut im Lande geherrscht haben, wenn die Könige die unumschränkte Macht inne hatten, und Ruhe, Reichtum und allgemeine Wohlfahrt, wenn die Könige anerkannten, daß sie nicht unumschränkt seien: alles ward zerrüttet, wenn man über unverständliche Dinge stritt, und alles ging seinen rechten Gang, solange man sie hintenan setzte. Unsere siegreichen Flotten tragen unseren Namen über alle Meere, und die Gesetze schützen unseren Besitz, kein Richter kann sie willkürlich auslegen, kein Haftbefehl wird ohne Begründung erlassen: wir würden die Richter, welche wagen wollten, einen Bürger ohne Veröffentlichung der ihn anklagenden Zeugnisse und der Gesetze, die ihn verdammen, in den Tod zu schicken, wie Mörder bestrafen.
Es gibt bei uns stets zwei Parteien, welche sich mit der Feder und mit allerlei Kabalen bekämpfen, sobald es sich jedoch darum handelt, die Waffen zur Verteidigung des Vaterlandes und der Freiheit zu ergreifen, verbünden sie sich eng. Diese beiden Parteien überwachen einander und verhindern sich gegenseitig, den heiligen Schatz der Gesetze zu vergewaltigen, sie hassen sich, aber sie lieben den Staat, sie sind zwei eifersüchtige Liebhaber, die mit ganzem Herzen ein und derselben Geliebten dienen.
Dieselbe geistige Grundlage, welche uns die Rechte der menschlichen Natur hat erkennen und schützen lassen, ließ uns auch die Wissenschaften bis auf die höchste Stufe emportragen, die sie unter Menschen erreichen können. Eure Ägypter, welche für so gar große Mechaniker gelten, Eure Indier, die man für große Philosophen hält, Eure Babylonier, die sich brüsten, vierhundertunddreißigtausend Jahre lang die Gestirne beobachtet zu haben, und die Griechen, die so viele Redensarten und so wenig Gründliches geschrieben haben, wissen völlig nichts im Vergleich mit unseren kleinsten Schulkindern, welche die Entdeckungen unserer größten Meister studieren. Wir haben der Natur in dem Zeitraume von hundert Jahren mehr Geheimnisse entrissen, als das menschliche Geschlecht in dem ganzen Kettenzug der Jahrhunderte entdeckt hatte.
Dies ist der wahre Stand der Dinge bei uns. Ich habe Ihnen weder das Gute noch das Schlechte, weder unsere Gebrechen noch unseren Ruhm verborgen, und ich habe in nichts übertrieben.« Amasan fühlte sich auf diese Rede hin von dem Wunsche durchdrungen, sich in jenen erhabenen Wissenschaften, von denen man ihm gesprochen, zu unterrichten, und hätte seine Leidenschaft für die Prinzessin von Babylon, seine kindliche Ehrfurcht vor seiner Mutter, die er verlassen, und die Liebe zu seinem Vaterlande in seinem zerrissenen Herzen nicht allzu laut gesprochen, so würde er sein Leben auf der Insel Albion haben verbringen wollen, aber der unglückselige Kuß, den seine Prinzessin dem Könige von Ägypten gegeben, ließ ihm nicht genug geistige Freiheit, um die hohen Wissenschaften zu studieren.
»Da ich mir das Gesetz auferlegt habe, durch die Welt zu irren und mir selber zu entfliehen, wäre ich wohl begierig, ich gestehe es, jenes alte Land des Saturn, jenes Volk am Tiber und den sieben Bergen, dem Sie einstmals unterworfen waren, kennen zu lernen. Es muß sicherlich das erste Volk der Erde sein.« »Wenn Sie Musik und Malereien lieben, rate ich Ihnen diese Reise an,« erwiderte der Albionier, »wir selber tragen unsere Langeweile gar oft zu den sieben Bergen; Sie werden aber beim Anblick der Nachkommen unserer Eroberer äußerst erstaunt sein!«
Das Gespräch währte lange, und obgleich das Gehirn des schönen Amasan ein wenig angegriffen war, sprach er doch so gefällig, seine Stimme war so wohltönend, seine Haltung so edel und anziehend, daß die Herrin des Hauses nicht umhin konnte, sich noch mit ihm allein zu unterhalten. Während sie mit ihm sprach, drückte sie ihm zärtlich die Hand und blickte ihn mit feuchtfunkelnden Augen an, mit Augen, welche heißes Verlangen in alle Spannkräfte des Lebens hineintrugen. Sie drängte ihn zum Abendessen und auch über Nacht zu bleiben, und jedes Wort, jede Bewegung, jeder Blick entflammten ihre Leidenschaft. Sobald sich alle zurückgezogen hatten, schrieb sie ihm ein kurzes Briefchen in der festen Überzeugung, er würde ihr, während Mylord Was-tut's in seinem Bette schlief, in dem ihren gar gerne den Hof machen kommen. Und wiederum besaß Amasan den Mut zu widerstehen: ja, ein Gran Tollheit vermag oft die wunderbarsten Wirkungen in einer starken und im Tiefsten verwundeten Seele hervorzubringen.
Seinem Brauche gemäß sandte Amasan der Dame eine ehrfurchtsvolle Erwiderung, in der er ihr die Heiligkeit seines Schwures und die strenge Pflicht vorstellte, der Prinzessin die Bezähmung ihrer Leidenschaften zu lehren; dann ließ er seine Einhorne anspannen und reiste, die ganze Gesellschaft in höchster Bewunderung, die Dame des Hauses in höchster Verzweiflung zurücklassend, wieder ins Bataverland zurück. Im Übermaß ihres Schmerzes ließ die Dame den Brief Amasans herumliegen. Mylord Was tut's las ihn am nächsten Morgen: »Was für schale Albernheiten«, sprach er achselzuckend und begab sich mit einigen Trunkenbolden auf die Fuchsjagd.
Amasan schaukelte bereits auf dem Meere, ausgerüstet mit einer Landkarte, die ihm der gelehrte Albionier, mit dem er sich beim Lord Was-tut's unterhalten hatte, zum Geschenk gemacht. Erstaunt sah er einen großen Teil der Erde auf einem kleinen Blatt Papier vor sich liegen.
Seine Augen und seine Phantasie verirrten sich auf dieser kleinen Fläche, er sah den Rhein, die Donau und die Tiroler Alpen, welche damals noch mit anderen Namen bezeichnet wurden, und alle Länder, die er durchqueren mußte, um in die Stadt der sieben Berge zu gelangen. Vor allem aber blieben seine Augen auf dem Lande der Gangariden haften, auf Babylon, wo er seine geliebte Prinzessin zuerst gesehen, und auf der unheilvollen Gegend von Bassora, wo sie dem Könige von Ägypten einen Kuß gegeben. Er seufzte und vergoß Tränen, sah aber ein, daß der Albionier, der ihm die Welt in verkleinertem Maßstabe zum Geschenk gemacht, keineswegs unrecht gehabt hatte mit der Behauptung, man sei an den Ufern der Themse tausendmal unterrichteter als an den Ufern des Nils, des Euphrats und des Ganges.
Während er ins Bataverland zurückkehrte, flog Formosante mit ihren beiden mit vollen Segeln dahinschießenden Schiffen gen Albion. Die Fahrzeuge Amasans und Formosantens kreuzten sich, ja, berührten sich fast: die beiden Liebenden waren einander nahe und konnten es doch nicht ahnen. Oh, wenn sie es gewußt hätten! aber das gebieterische Schicksal erlaubte es nicht.
Sobald Amasan den ebenen, schlammigen Boden Bataviens betreten hatte, brach er wie ein Blitz nach der Stadt mit den sieben Bergen auf. Er mußte den westlichen Teil Germaniens durchqueren: alle vier Meilen stieß er auf einen Fürsten, eine Fürstin, Hoffräuleins und Bettler. Er war verwundert über das liebreizende Entgegenkommen, das diese Ehrendamen und ‑Fräuleins ihm allenthalben mit germanischer Treuherzigkeit zu erkennen gaben, doch stets antwortete er darauf mit einer bescheidenen Weigerung. Nachdem er die Alpen überschritten, segelte er auf das dalmatinische Meer hinaus und berührte eine Stadt, die in keinem Stücke dem glich, was er bisher gesehen: das Meer bildete die Straßen, und die Häuser waren ins Wasser gebaut, die wenigen öffentlichen Plätze, welche die Stadt schmückten, waren mit Männern und Weibern bedeckt, die ein doppeltes Gesicht hatten, nämlich das, so ihnen die Natur gegeben, und ein Antlitz aus schlecht bemalter Pappe, welches darüber hing, so daß das ganze Volk aus Gespenstern zu bestehen schien. Die Fremden, die in diese Gegend kamen, kauften sich als erstes solch ein Gesicht, wie man sich wo anders mit Mützen oder mit Schuhen versieht. Amasan verschmähte diese unnatürliche Mode und zeigte sich so, wie er war. In der Stadt gab es zwölftausend in das große Buch der Republik eingetragene Mädchen, Mädchen, die dem Staate gar großen Nutzen brachten und mit dem angenehmsten und vorteilhaftesten Handel betraut waren, der jemals ein Volk bereichert hat. Die gewöhnlichen Kaufleute schickten mit großen Unkosten und Gefahren Stoffe in den Orient, diese schönen Händlerinnen dagegen unterhielten ohne jede Gefahr einen sich stets erneuernden Verschleiß ihrer Reize. Sie nahten sich alle dem schönen Amasan und boten sich ihm zur Wahl an, er jedoch rief den Namen der unvergleichlichen Prinzessin von Babylon aus, floh und schwur bei den unsterblichen Göttern, daß sie schöner sei als die zwölftausend venezianischen Mädchen zusammen: »Du erhabene kleine Metze,« rief er in seinem Überschwange aus, »ich will dich lehren, treu zu sein!«
Die gelben Wogen des Tiber, verpestete Sümpfe, vereinzelte hagere, abgezehrte Bewohner, welche mit alten durchlöcherten Mänteln bedeckt waren, durch die man ihre dürre gebeizte Haut schimmern sah, tauchten endlich vor ihm auf und verrieten ihm, daß er vor den Toren der sieben Hügel-Stadt angelangt sei, jener Stadt der Helden und Gesetzgeber, welche einen großen Teil der Erdkugel überwunden und zu gesitteten Ländern gemacht hatten.
Er hatte gewähnt, er würde am Triumphbogen fünfhundert von Helden befehligte Bataillone und im Senat eine Versammlung von Halbgöttern finden, welche der Erde Gesetze gaben. Statt der Heere fand er nur ungefähr dreißig Lumpe, welche aus Furcht vor der Sonne mit Schirmen auf Wache zogen. Nachdem er bis zum Tempel vorgeschritten war, der ihm sehr schön, aber doch nicht so schön wie der zu Babylon dünkte, hörte er zu seinem Erstaunen eine Musik darin, welche von Männern mit Weiberstimmen ausgeführt wurde.
»Welch ein ergötzliches Land, dies alte Land des Saturn«, rief er. »Ich habe eine Stadt gesehen, in der niemand sein eigenes Gesicht hatte, und nun finde ich gar eine, in der die Männer nicht einmal ihren Bart und ihre Stimme haben.« Man sagte ihm, die Sänger seien gar keine Männer mehr; man habe sie ihrer Männlichkeit beraubt, damit ihre Lob- und Preisgesänge auf eine Unzahl höchst verdienstvoller Männer lieblicher klängen. Amasan begriff nichts von diesen Reden. Die Herren baten ihn, seinerseits zu singen. Er sang ein gangaridisches Lied mit der ihm eigenen Anmut: seine Stimme war ein ungewöhnlich schöner hoher Tenor. »Oh, Signor,« riefen jene nun, »welch schönen Sopran würden Sie nicht haben, wenn . . .« »Wenn? was wollen Sie damit sagen? . . .« »Oh, Signor! . . .« »Nun?« »Wenn . . . wenn Sie keinen Bart hätten!« Und nun setzten sie ihm höchst vergnüglich und ihrer Gewohnheit gemäß unter den ergötzlichsten Gebärden auseinander, worum es sich handelte. Amasan war über die Maßen bestürzt. »Ich bin viel gereist,« versetze er, »aber von einem derartig unsinnigen Einfall hatte ich noch niemals etwas gehört.«
Nachdem man gar hübsch gesungen, begab sich der Alte der sieben Berge mit großem Geleit an die Tür des Tempels; mit erhobenem Daumen und zwei gespreizten und zwei geschlossenen Fingern vierteilte er die Luft und sagte dazu in einer Sprache, die man nicht mehr sprach, die folgenden Worte: Der Stadt und der Welt.Urbi et orbi. Der Gangaride vermochte nicht zu begreifen, wie zwei Finger so weit reichen sollten.
Bald darauf sah er den Hof des Herrn der Welt an sich vorbeischreiten. Er bestand aus würdevollen Herren, die einen in roten, die anderen in veilchenfarbenen Gewändern; fast alle blickten den schönen Amasan mit plötzlich sanft werdenden Augen an, sie nickten ihm zu und sagten zueinander: San Martino, che bel' ragazzo! San Pancratio, che bel' fanciullo!
Die Führer, denen es oblag, Fremden die Sehenswürdigkeiten zu zeigen, beeilten sich, ihn vor alte Gemäuer zu geleiten, unter denen nicht einmal ein Maultiertreiber würde die Nacht haben verbringen wollen, die aber einstmals die würdigen Denkmale der Größe eines königlichen Volkes gewesen waren. Er sah auch Gemälde, die zweihundert Jahre zählten, und Bildsäulen von mehr als zwanzig Jahrhunderten, welche ihm Meisterwerke zu sein dünkten. »Verfertigt Ihr noch derartige Werke?« »Nein, Euer Exzellenz,« erwiderte ihm einer der Führer, »wir verachten aber die ganze übrige Erde, weil wir solche Seltsamkeiten bewahren. Wir sind gewissermaßen Trödler, die ihren Ruhm durch die alten Kleider erringen, die in unsern Speichern lagern.«
Amasan wollte den Palast des Fürsten sehen, man führte ihn hin. Er sah dort veilchenfarben gekleidete Männer, welche das Geld aus den Staatseinkünften zählten, soviel von Ländereien, die an der Donau lagen, soviel von solchen an der Loire oder am Guadalquivir oder an der Weichsel. »Ah,« sagte Amasan, nachdem er seine Landkarte befragt, »Euer Herr hat also wie die alten Helden der sieben Berge Besitzungen in ganz Europa?« »Nach göttlichem Recht gehört ihm die ganze Erde,« erwiderte ihm ein Veilchenfarbener, »es hat sogar eine Zeit gegeben, in der seine Vorfahren fast ein alle Länder umfassendes Reich besaßen, ihre Nachfolger haben heute jedoch die Güte, sich mit etwas Geld zu begnügen, das ihnen die Könige, ihre Untertanen, in Gestalt eines Tributs auszahlen lassen.«
»Euer Herr ist also wirklich der König der Könige und lautet so sein Titel?« fragte Amasan. »Nein, Euer Exzellenz, sein Titel lautet: Diener der Diener; ursprünglich war er ein Fischer und Türhüter, und deshalb besteht das Wappen seiner Würde aus Schlüsseln und Netzen, er erteilt jedoch allen Königen Befehle; es ist noch nicht lange her, da hat er an einen König des Keltenlandes hundertundeinen Befehl gelangen lassen – und der König gehorchte.«
»So entsandte Euer Fischer also fünf oder sechshunderttausend Mann,« fragte Amasan, »um diesen seinen hundertundeinen Befehlen Gehör zu verschaffen?«
»Keineswegs, Euer Exzellenz, unser heiliger Herr ist nicht reich genug, auch nur hunderttausend Soldaten zu besolden. Er hat aber vier bis fünfhunderttausend göttliche Propheten in alle anderen Länder verteilt . . . Diese Propheten, Eingeborene aller Länder, leben wie billig auf Kosten der Völker; sie verkünden von Seiten des Himmels, daß mein Herr mit seinen Schlüsseln alle Schlösser zu schließen und zu öffnen vermag und vor allem die der Geldschränke: ein normannischer Priester, welcher an der Seite des Königs, von dem ich eben sprach, das Amt eines Vertrauten seiner Gedanken bekleidete, überzeugte ihn, daß er unweigerlich den hundertundeinen Gedanken meines Herrn zu gehorchen habe, denn Euer Exzellenz müßten wissen, daß eines der Vorrechte des Alten der sieben Berge darin besteht, stets recht zu haben, mag er nun zu sprechen oder zu schreiben geruhen.«
»Meiner Treu,« sagte Amasan, »welch seltsamer Mann, es würde mir Spaß machen, mit ihm zu Mittag zu speisen.« »Und wenn Euer Exzellenz ein König wären, so könntet Ihr dennoch nicht mit ihm zusammen an einer Tafel sitzen, alles was er für Euch zu tun vermöchte, wäre für Euch an seiner Seite auf einem Tische auftragen zu lassen, der kleiner und niedriger als der seine ist. Wenn Ihr jedoch der Ehre teilhaftig werden wollt, mit ihm zu sprechen, so will ich ihn vermittelst der buona mancia, welche Ihr mir zu geben die Güte haben werdet, bitten, Euch zu empfangen.« »Herzlich gern«, versetzte der Gangaride. Der Veilchenfarbene verneigte sich: »Morgen werde ich Euch einführen,« sagte er, »Ihr habt dreimal das Knie zu beugen und die Füße des Alten von den sieben Bergen zu küssen.« Bei diesen Worten brach Amasan in ein so krampfhaftes Gelächter aus, daß er beinahe daran erstickt wäre; sich die Seiten haltend, ging er fort und lachte auf dem ganzen Wege, bis er in seiner Herberge angelangt war, und auch dort lachte er noch lange.
Während seiner Mittagsmahlzeit erschienen zwanzig bartlose Männer und zwanzig Geigenspieler und gaben ein Konzert vor ihm. Den Rest des Tages über wurde er von den vornehmsten Männern der Stadt gefeiert: sie machten ihm Vorschläge, die noch weit seltsamer waren, als jener, dem Alten der sieben Hügel die Füße zu küssen. Da Amasan ungemein gesittet war, glaubte er zunächst, jene Herren hielten ihn für eine Dame, und setzte sie mit der umsichtigsten Höflichkeit von ihrer falschen Annahme in Kenntnis, als er sich jedoch von zwei oder drei der entschlossensten Veilchenfarbenen ein wenig allzu ungestüm bedrängt fand, warf er sie aus dem Fenster, ohne dieses gerade für ein großes Formosanten gebrachtes Opfer zu halten. Schnellstens verließ er diese Stadt der Herren der Welt, in der man einem alten Manne auf den Zeh küssen sollte, als habe er die Wange am Fuß – und wo man die jungen Männer gar mit noch weit absonderlicheren Zeremonien zu begrüßen pflegte.
Nachdem Amasan so als ein Vorbild der Standhaftigkeit, der Prinzessin von Babylon stets getreu und stets zornig auf den König von Ägypten, ein Land nach dem anderen durcheilt und alle nur möglichen Arten von Verlockungen zurückgewiesen hatte, gelangte er endlich in die neue Hauptstadt der Gallier. Diese Stadt hatte gleich vielen anderen alle Stufen der Barbarei, der Unwissenheit, der Torheit und des Elends durchlaufen; ihr erster Name war Schmutz und Kot gewesen, darauf hatte sie von dem Isiskult, der bis zu ihr gelangt war, den Namen Isis angenommen. Ihr erster Senat war eine Gesellschaft von Schiffern, und sie selber lange eine Sklavin der Raubhelden von den sieben Hügeln gewesen, und nach einigen Jahrhunderten hatten sich andere heldenhafte Räuber, die von der anderen Seite des Rheins gekommen waren, ihres kleinen Gebietes bemächtigt.
Die alles ändernde Zeit hatte aus ihr jedoch endlich eine Stadt gemacht, deren eine Hälfte sehr vornehm und freundlich, die andere dagegen etwas grob und lächerlich war: das war das Wahrzeichen ihrer Bewohner. Innerhalb ihrer Mauern lebten mindestens hunderttausend Menschen, die nichts zu tun hatten, wie zu spielen und sich zu vergnügen. Dieses müßige Völkchen urteilte über die Künste, welche die andere Hälfte hervorbrachte; es wußte nichts von dem, was bei Hofe vor sich ging, obgleich er nur vier kleine Meilen von ihm entfernt war, es hatte den Anschein, als seien es mindestens sechshunderttausend: Gesellige Freuden, Fröhlichkeit und Leichtfertigkeit waren dieser Menschen wichtigstes und einziges Geschäft, man regierte sie wie Kinder, die man mit Spielzeug überschüttet, um sie am Schreien zu verhindern. Sprach man zu ihnen von den Schrecken, welche zwei Jahrhunderte vorher ihr Vaterland verwüstet hatten und von den entsetzlichen Zeiten, in denen die eine Hälfte des Volkes die andere wegen einiger Sophismen niedermetzelte, so erwiderten sie, daß dieses ja wirklich nicht recht gewesen sei, und dann fingen sie wieder an zu lachen und Gassenhauer zu trillern.
Je höflicher, gefälliger und liebenswürdiger die Müßigen waren, desto stärker fiel der traurige Gegensatz zwischen ihnen und der Gesellschaft der Arbeitenden auf.
Unter diesen Arbeitenden oder unter denen, die es zu sein behaupteten, gab es eine Schar finsterer, halb törichter, halb schurkischer Fanatiker, deren Anblick allein schon die Erde betrübte, und hätten sie es vermocht, so würden sie sie zertrümmert haben, um sich in Ansehen zu setzen, aber das Volk der Müßigen trieb sie singend und tanzend in ihre Höhlen zurück, wie die Vögel die Eulen in ihre Mauerlöcher zurückzukriechen zwingen.
Eine kleinere Zahl der Arbeitenden bestand aus Beschützern alter barbarischer Bräuche, gegen welche die entsetzte Natur mit lauter Stimme schrie, aber sie befragten nur ihre von Würmern zerfressenen Bücher, und wenn sie darin auf einen unsinnigen und schrecklichen Brauch stießen, behandelten sie ihn wie ein heiliges Gesetz. Durch diese feige Gewohnheit, nicht den Mut zu eigenen Gedanken zu haben, sondern ihre Vorstellungen aus Überbleibseln der Zeiten zu schöpfen, in denen man überhaupt noch nicht gedacht hatte, entsprang es, daß in der Stadt der Lustbarkeiten noch wilde Sitten herrschten. Aus diesem Grunde bestand auch kein Verhältnis zwischen den Vergehen und den Strafen, zuweilen ließ man einen Unschuldigen tausend Tode erleiden, um ihn zu dem Geständnis eines Verbrechens zu zwingen, das er nicht begangen hatte.
Man bestrafte die Unbesonnenheit eines jungen Menschen, wie man auch nicht anders einen Gift- oder Vatermord bestraft haben würde. Die Müßigen brachen darüber in ein großes Geschrei aus, aber schon am nächsten Morgen dachten sie nicht mehr daran und unterhielten sich wieder über neue Moden.
Dieses Volk hatte ein ganzes Jahrhundert vorüberziehen sehen, in dem sich die schönen Künste zu einem Grade der Vollendung erhoben, den man nie zu erhoffen gewagt: damals kamen die Fremden wie nach Babylon, um die großen Denkmale der Baukunst, die Wunder der Gärten und die erhabenen Taten der Bildhauerei und Malkunst zu bewundern. Und eine Musik, die in die Seele zog, ohne vorher die Ohren in Erstaunen versetzt zu haben, ward ihr Entzücken.
Die wahre Dichtkunst, das heißt die natürliche und harmonische, welche das Herz ebenso wie den Geist anspricht, kannte das Volk eben nur in diesem glücklichen Jahrhundert. Neue Arten der Redekunst entfalteten ihre erhabenen Schönheiten: die Schaubühnen vor allem hallten von Meisterwerken wieder, die kein anderes Volk jemals erreichen wird, und der gute Geschmack verbreitete sich schließlich in solcher Vollkommenheit, daß es selbst unter den Priestern gute Schriftsteller gab.
Alle diese Lorbeerbäume, welche mit ihren Wipfeln bis in die Wolken hineingewachsen waren, vertrockneten gar bald in dem erschöpften Boden, nur wenige Zweige blieben am Leben, aber ihr Laub zeigte ein fahles sterbendes Grün. Der Niedergang ward verursacht durch Leichtigkeit im Schaffen, Trägheit im Vollenden, Sattheit am Schönen und durch Lust an Absonderlichkeiten. Eitelkeit schirmte die Künstler, welche die Zeiten der Barbarei zurückbrachten, und eben diese Eitelkeit verfolgte die wahren Talente und zwang sie dazu, ihr Vaterland zu verlassen: die Wespen vertrieben die Bienen.
Es gab nun keine wahren Künste mehr und keinen echten Schaffensgeist, das Verdienst bestand darin, über die Verdienste des verflossenen Jahrhunderts hin und her zu streiten. Die Kleckser, so die Wände von Schenken besudelten, kritisierten aufs gelehrteste die Gemälde der großen Maler, und die Papierbesudler entstellten die Werke der großen Schriftsteller: Unwissenheit und schlechter Geschmack hatten andere Sudler in ihrem Dienst, man wiederholte unter verschiedenen Titeln dieselben Dinge in hundert Bänden, alles war Wörterbuch oder Flugschrift. Ein zeitungschreibender Druide veröffentlichte zweimal in der Woche die dunklen Geschichten einiger dem Volke unbekannter Teufelskinder und die Geschichten himmlischer Wunder, welche in irgend welchen jämmerlichen Hundelöchern von kleinen Bettlern oder Bettlerinnen hervorgerufen worden waren. Andere schwarzgekleidete Exdruiden, die vor Hunger und Wut beinahe starben, beklagten sich in hundert Schriften, daß man ihnen nicht mehr erlaube, die Menschen zu betrügen, sondern dieses Recht graugewandeten Böcken überlassen habe. Einige Exdruiden druckten sogar Schmähschriften.
Amasan wußte von alledem nichts, und hätte er es auch getan, so würde es ihn dennoch nicht bekümmert haben, da er ja nur die Prinzessin von Babylon und den König von Ägypten und seinen unverletzlichen Schwur im Kopfe hatte, alle Damen zu verschmähen, in welches Land der Kummer seine Schritte auch immer lenken mochte.
Die ganze leichtlebige, unwissende Bevölkerung, welche die dem menschlichen Geschlecht natürliche Neugierde stets bis ins Übermaß steigerte, drängte sich lange um seine Einhorne, die gescheiteren Frauen dagegen sprengten die Türen seines Gasthauses, um ihn selber anzuschaun.
Er bezeugte seinem Wirte nun zunächst den Wunsch, zu Hofe zu gehen, aber ein paar Müßige der guten Gesellschaft, die zufällig da waren, sagten ihm, die Zeiten hätten sich geändert, es sei nicht mehr Mode, nur noch in der Stadt fände man Vergnügen. Er wurde noch für denselben Abend von einer Dame zum Essen geladen, deren Geist und deren Talente bis weit über die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus bekannt geworden und welche auch in einigen Ländern gereist hatte, durch die Amasan gekommen war. Ihm gefiel diese Dame und die Gesellschaft, die er bei ihr versammelt fand, ungemein. Die darin herrschende Freiheit war züchtig, die Lustigkeit ohne Lärm, die Wissenschaft hatte nichts Abstoßendes und der Geist keine rauhe Strenge. Er sah, daß der Begriff »gute Gesellschaft« kein leeres Wort sei, obgleich es gar oft fälschlich angemaßt wird. Am Tage darauf speiste er in einer nicht weniger liebenswürdigen, aber viel sinnenfreudigeren Gesellschaft. Je mehr ihm die Geladenen behagten, desto zufriedener war man auch mit ihm. Er fühlte sein Herz weich werden und sich lösen, wie die Gewürze seines Landes auf gemäßigtem Feuer leicht zerschmelzen und in köstlichen Düften ausströmen.
Nach Tisch führte man ihn zu einem entzückenden Schauspiel, welches von den Druiden verdammt war, weil es ihnen die Zuschauer raubte, auf die sie am erpichtesten waren. Das Schauspiel bestand aus einer Zusammenstellung von angenehmen Versen, berauschenden Gesängen, von Tänzen, welche die Regungen der Seele ausdrückten, und von Fernsichten, welche die Augen bezauberten, indem sie sie täuschten. Diese Art Lustbarkeit, welche so gar viele Arten in sich vereinte, trug einen fremden Namen, sie hieß Oper, was ehedem in der Sprache der sieben Hügel Arbeit, Mühe, Beschäftigung, Betriebsamkeit, Unternehmen, Verrichtung, Geschäft bedeutete. Dies Geschäft bezauberte ihn. Ein Mädchen vor allem entzückte ihn durch ihre reizende Stimme und die ihr eigene Anmut. Nach dem Schauspiel wurde ihm dieses Geschäftsmädchen durch seine neuen Freunde vorgestellt, und er machte ihr eine Handvoll Diamanten zum Geschenk. Sie war so erkenntlich dafür, daß sie ihn für den Rest des Tages nicht mehr verlassen wollte. Sie speisten zusammen zu Nacht, und während des Mahles vergaß er seine Mäßigkeit und nach dem Mahle auch seinen Schwur, gegen die Schönheit stets unempfindlich und allen zärtlichen Verlockungen gegenüber stets unerbittlich zu sein. Welch ein Beispiel der menschlichen Schwäche!
Da langte die Prinzessin von Babylon mit dem Phönix, ihrer Kammerfrau Irla und ihren auf zweihundert Einhornen reitenden gangaridischen Rittern an. Sie mußte ziemlich lange warten, bis man ihr die Tore öffnete, dann fragte sie sofort, ob der schönste aller Männer, der mutigste, geistvollste und der treueste noch in der Stadt weile. Die Ratsbeamten merkten sofort, daß sie von Amasan sprach. Sie ließ sich vor sein Gasthaus führen und betrat es mit liebepochendem Herzen, ihre ganze Seele war durchdrungen von der unaussprechlichen Freude, endlich ihren Geliebten, das Vorbild aller Standhaftigkeit, wiederzusehen. Durch nichts ließ sie sich verhindern, schnurstracks in sein Zimmer zu treten . . . Die Bettvorhänge waren weit auseinandergeschlagen . . . sie sah den schönen Amasan in tiefem Schlafe in den Armen einer hübschen Brünette . . . und alle beide verrieten ein gar übermächtiges Ruhebedürfnis.
Formosante stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, der zwar das ganze Haus durchhallte, aber weder ihren Vetter noch das Geschäftsmädchen zu erwecken vermochte, dann brach sie ohnmächtig in Irlas Armen zusammen. Sobald sie wieder zur Besinnung gekommen war, verließ sie schmerz- und zornestrunken das verhängnisvolle Gemach. Irla erkundigte sich, wer denn dies junge Fräulein sei, die gar so süße Stunden mit dem schönen Amasan verbrächte. Man sagte ihr, es sei ein äußerst gefälliges Geschäftsmädchen, das neben all ihren anderen Talenten auch die Gabe des anmutigsten Gesanges besäße. »Oh gerechter Himmel, oh allmächtiger Oromazes,« rief die Prinzessin von Babylon aus, »von wem und um wen bin ich verraten! Der also, der um meinetwillen so viele Prinzessinnen zurückwies, er verläßt mich um eine gallische Bänkelsängerin! Nein, diese Schmach vermag ich nicht zu überleben.«
»Gnädige Frau,« sprach Irla zu ihr, »so sind nun einmal alle jungen Männer von einem Ende der Welt bis zum andern, liebten sie auch eine vom Himmel herabgestiegene Schönheit, in gewissen Augenblicken würden sie ihr dennoch um einer Kellnerin willen untreu werden.«
»Es ist vorbei,« sagte die Prinzessin, »niemals in meinem Leben will ich ihn wiedersehen. Laßt uns augenblicklich abreisen! Man spanne meine Einhorne an.« Der Phönix beschwor sie, wenigstens zu warten, bis Amasan erwacht sei und er ihn habe sprechen können. »Er verdient es nicht,« sagte die Prinzessin, »Ihr kränkt mich aufs grausamste! Würde er nicht glauben, ich hätte Euch gebeten, ihm Vorwürfe zu machen, und wolle mich gar mit ihm versöhnen? Wenn Ihr mich liebt, fügt nicht noch diesen Schimpf zu dem Schimpf, den er mir angetan!« Der Phönix, der der Tochter des Königs von Babylon schließlich sein Leben verdankte, konnte ihr nicht gut ungehorsam sein, sie reiste also mit ihrem ganzen Geleite ab. »Wohin gehen wir, gnädige Frau?« fragte Irla. »Ich weiß es nicht,« erwiderte die Prinzessin, »wir nehmen den ersten besten Weg, der sich uns bietet; wenn ich Amasan nur für immer entfliehe, bin ichs zufrieden.« Der Phönix, der verständiger war als Formosante, da keine Leidenschaft ihn beherrschte, tröstete sie unterwegs. Er bewies ihr sanft, daß es ein gar traurig Ding sei, sich für die Fehler anderer zu strafen, daß Amasan ihr doch ausreichend ungewöhnliche und zahlreiche Beweise seiner Treue gegeben, daß sie ihm nun auch müsse verzeihen können, sich einen Augenblick lang vergessen zu haben, daß er ein Gerechter sei, dem nur Oromazes seine Gnade versagt, und der künftig deshalb in Liebe und Tugend um so beständiger sein werde, daß der Wunsch, seine Schuld zu sühnen, ihn über sich selbst erheben und sie dadurch um so glücklicher werden würde, und daß mehrere hohe Prinzessinnen vor ihr dergleichen Seitensprünge verziehen hätten und sehr gut dabei gefahren seien. Er führte ihr Beispiele davon an und besaß die Kunst des Erzählens in solchem Maße, daß Formosantens Herz endlich stiller und friedlicher schlug. Sie wünschte, sie wäre nicht so schnell abgereist, und fand, daß ihre Einhorne zu schnell liefen: sie wagte jedoch nicht umzukehren. Zwischen dem Wunsche zu vergeben und der Sucht ihren Zorn zu zeigen, zwischen ihrer Liebe und ihrer Eitelkeit schwankend, ließ sie ihre Einhorne laufen und streifte so, gemäß der Voraussage des Orakels ihres Vaters in der Welt umher.
Bei seinem Erwachen erfuhr Amasan die Ankunft und Abreise Formosantens und des Phönix, er erfuhr auch die Verzweiflung und den Grimm der Prinzessin, man sagte ihm, daß sie ihm niemals zu vergeben geschworen habe. »So bleibt mir nichts,« rief er, »als ihr zu folgen und mich zu ihren Füßen zu töten.«
Seine Freunde aus der guten Gesellschaft der Müßigen liefen auf das Gerücht des Vorfalles hin zusammen, und alle bedeuteten ihm, daß es unendlich gescheiter sei, bei ihnen zu bleiben, daß nichts dem süßen Leben gleich käme, das sie im Schoße der Künste und einer stillen, zarten Sinnenlust führten, daß Fremde und Könige sogar diese so gar wohltuende und angenehm angewandte Ruhe ihrem Throne und Vaterlande vorgezogen hätten, daß andrerseits sein Wagen zerbrochen sei, ein Sattler an einem neumodischen für ihn erst arbeite, daß der beste Schneider ein Dutzend neumodischer Kleider bereits für ihn zugeschnitten habe und daß die geistvollsten und liebenswürdigsten Damen der Stadt, bei denen man vortrefflich Komödie spielte, eine jede schon einen Tag bestimmt hätten, an dem sie ihm Feste geben wollten. Das Geschäftsmädchen trank währenddessen bei ihrer Toilette eine Tasse Schokolade, lachte, sang und neckte verbuhlt den schönen Amasan, der es nun endlich gewahr ward, daß sie nicht soviel Verstand besaß wie ein Vogel.
Da der Charakter dieses großen Prinzen ebensosehr aus Aufrichtigkeit, Herzlichkeit und Freimut, wie aus Größe und Mut bestand, hatte er seinen Freunden von seinem Unglück und von seiner Reise erzählt, sie wußten, daß er als Geschwisterkindeskind ein Vetter der Prinzessin war, und sie waren auch von dem verhängnisvollen dem Könige von Ägypten von ihr gegebenen Kusse unterrichtet. »Man verzeiht sich«, sagten sie, »solche kleinen Seitensprünge unter Verwandten gern, sonst müßte man doch das ganze Leben in ewigem Zwiste verbringen.« Nichts vermochte seinen Entschluß, hinter Formosanten herzusetzen, zu erschüttern; da sein Wagen jedoch nicht reisefertig war, mußte er noch drei Tage unter Vergnügungen und Festen bei den Müßigen verbringen. Endlich nahm er Abschied von ihnen, umarmte sie, machte ihnen die bestgeschliffenen Diamanten seines Landes zum Geschenk und empfahl ihnen stets oberflächlich und leichtlebig zu sein, da sie dadurch ja nur liebenswürdiger und glücklicher würden. »Die Germanen«, sagte er, »sind die Greise Europas, die Völker Albions die reifen Männer, die Bewohner Galliens die Kinder, und gar gut läßt sich's mit ihnen spielen!«
Es ward seinen Führern nicht schwer, der Prinzessin auf ihren Wegen zu folgen, denn man sprach unterwegs von nichts anderem als von ihr und ihrem großen Vogel; alle Einwohner befanden sich noch in Begeisterung und Bewunderung. Die Völker Dalmatiens und der Mark Ankona hatten danach allerdings eine weniger wonnevolle Überraschung erlebt, als sie ein Haus durch die Lüfte fliegen sahen, aber die Ufer der Loire, der Dordonne, der Garonne und der Gironde hallten noch von Beifallsrufen wieder.
Als Amasan an den Fuß der Pyrenäen gelangt war, ließen die Beamten und Druiden des Landes wider seinen Willen ihm zu Ehren einen Tamburintanz aufführen, sobald er jedoch die Pyrenäen überschritten hatte, kam ihm keine Freude und keine Fröhlichkeit mehr zu Gesicht. Wenn er hier und da ein Lied hörte, so war es auf einen traurigen Ton gestimmt, die Bewohner schritten ernst mit einer Kette aus kleinen Kügelchen und einem Dolch im Gürtel einher, das ganze in Schwarz gekleidete Volk schien in Trauer zu sein. Wenn die Bedienten Amasans die Vorübergehenden ansprachen, antworteten sie mit Zeichen, wenn man eine Herberge betrat, so teilte der Wirt des Hauses den Leuten in drei Worten mit, er habe nichts da und müsse erst einige Meilen weit schicken, um die notwendigsten Dinge herbeizuschaffen.
Wenn man diese Schweigsamen fragte, ob sie die schöne Prinzessin von Babylon vorüberziehen gesehen hätten, so antworteten sie etwas weniger kurz: »Wir haben sie gesehen, aber sie ist nicht so schön, schön ist nur bräunliche Haut, sie hingegen spreizt einen alabasterfarbenen Busen, ein abscheulichstes Ding von der Welt, das man unter unseren Himmelsstrichen kaum kennt.«
Amasan drang in die wasserreiche Provinz Bätis vor. Es waren noch nicht ganz zwölftausend Jahre vergangen, seit die Tyrier dieses Land ungefähr um dieselbe Zeit entdeckt hatten, wie die große atlantische Insel, welche einige Jahrhunderte später vom Meere verschlungen wurde. Die Tyrier bebauten Bätis, das von den Eingeborenen des Landes brach liegen gelassen wurde, da diese behaupteten, sie brauchten sich um nichts zu kümmern, es käme vielmehr ihren Nachbarn, den Galliern zu, ihre Äcker zu bestellen. Die Tyrier hatten Palästiner mit sich gebracht, die seit jener Zeit unter allen Himmelsstrichen umherziehen, vorausgesetzt, daß sich dort Geld verdienen läßt. Dadurch, daß diese Palästiner Geld um fünfzig Prozent ausliehen, hatten sie fast alle Reichtümer des Landes an sich gebracht. Dies hatte in den Völkern der Bätis den Glauben erweckt, die Palästiner seien Hexenmeister, und alle, die man wegen Hexerei anklagte, wurden von einer Druidengesellschaft, die man Schnüffler oder Anthropokäer nannte, mitleidlos verbrannt. Diese Priester kleideten sie zunächst in ein Maskengewand, bemächtigten sich ihrer Güter und sagten fromm die eignen Gebete der Palästiner her, während man sie auf niedrigem Feuer por l'amor de Dios briet.
Die Prinzessin von Babylon war in der Stadt, die seither Sevilla genannt wird, ans Land gestiegen. Es war ihre Absicht, sich auf dem Bätis einzuschiffen, um über Tyrus nach Babylon zurückzukehren, den König Belus, ihren Vater, wiederzusehen, und falls sie es über sich vermochte, ihren ungetreuen Geliebten zu vergessen oder auch ihn zum Gatten zu fordern. Sie beschied zwei Palästiner zu sich, die alle Geschäfte des Hofes besorgten. Sie sollten ihr drei Schiffe mieten. Der Phönix traf alle notwendigen Anordnungen mit ihnen, und sie kamen nach kurzem Streit auch über den Preis überein.
Die Gasthauswirtin war sehr fromm und ihr nicht weniger frommer Gatte war ein Vertrauter, das heißt ein Spion der schnüffelnden Priester und Menschenverbrenner; er verfehlte nicht ihnen mitzuteilen, daß sich in seinem Hause eine Hexe und zwei Palästiner befänden, welche mit dem als großer goldener Vogel verkleideten Teufel einen Pakt abgeschlossen hätten. Da die Schnüffler überdies noch erfuhren, daß die Dame eine Menge wunderbarer Diamanten hatte, hielten sie sie sogleich für eine Hexe. Sie warteten jedoch erst die Nacht ab, um die zweihundert Ritter und Einhorne, welche in großen Ställen schliefen, gefangen zu nehmen, denn die Schnüffler sind Feiglinge.
Nachdem sie die Türen fest verrammelt hatten, bemächtigten sie sich Irlas und der Prinzessin, den Phönix konnten sie jedoch nicht fangen, er flog mit schnellen Flügelschlägen davon, denn er wußte wohl, daß er Amasan auf dem Wege von Gallien nach Sevilla antreffen würde.
Er traf ihn auf der Grenze von Bätis und verkündete ihm das Mißgeschick der Prinzessin. Amasan war zu sehr erschüttert, zu sehr von Zorneswut erfaßt, als daß er hätte sprechen können, er bewaffnete sich mit einem goldgestreiften Stahlharnisch, einer zwölf Fuß langen Lanze, zwei Wurfspeeren und einem schneidenden Schwerte, Fulminante genannt, welches mit einem einzigen Hieb Bäume, Felsen und Druiden zerspalten konnte, und seinen schönen Kopf bedeckte er mit einem goldenen von Reiher- und Straußenfedern beschatteten Helm. Es waren die alten Waffen Magogs, welche ihm seine Schwester Aldea auf seiner Reise in Skythien zum Geschenk gemacht hatte. Das kleine ihn begleitende Gefolge ritt gleich ihm auf Einhornen.
Amasan umarmte seinen geliebten Phönix und sprach nur die folgenden traurigen Worte zu ihm: »Ich bin schuldig. Hätte ich in der Stadt der Müßigen nicht mit einem Geschäftsmädchen geschlafen, befände sich die schöne Prinzessin von Babylon auch nicht in dieser entsetzlichen Lage. Doch auf! den Anthropokäern entgegen!« Bald langte er in Sevilla an; fünfzehnhundert Häscher bewachten die Tore der Schranken, in denen die zweihundert Gangariden mit ihren Einhornen ohne Speise und Trank eingekerkert waren. Schon war alles zu dem Opfer vorbereitet, das man mit der Prinzessin von Babylon, ihrer Kammerfrau Irla und den beiden reichen Palästinern vornehmen wollte.
Der Groß-Anthropokäer saß, umgeben von seinen kleinen Anthropokäern, bereits auf seinem geweihten Gerichtssessel, eine Menge von Sevillanern, die alle aufgereihte Kügelchen in ihren Gürteln trugen, falteten wortlos ihre Hände, und die schöne Prinzessin, Irla und die Palästiner wurden mit auf den Rücken gebundenen Händen in Maskengewändern herangeführt.
Der Phönix drang durch eine Dachluke in das Gefängnis, dessen Türen die Gangariden bereits einzuschlagen begannen; der unbesiegliche Amasan zerbrach sie von außen. Auf ihren Einhornen reitend, drangen sie alle bewaffnet hervor, Amasan setzte sich an ihre Spitze, es ward ihm nicht schwer, die Häscher, die Vertrauten und die priesterlichen Anthropokäer zu bezwingen, jedes Einhorn spießte Dutzende von ihnen auf einmal auf, die Fulminante Amasans spaltete alle, deren sie habhaft werden konnte, in zwei Stücke, das Volk floh in seinen schwarzen Mänteln und schmutzigen Halskrausen auseinander und behielt dabei por l'amor de Dios seine geweihten Kügelchen in den Händen.
Amasan ergriff mit einer Hand den Groß-Schnüffler auf seinem Sessel und warf ihn auf den Scheiterhaufen, der vierzig Schritte weiter bereit stand, und auch alle kleinen Schnüffler schleuderte er einen nach dem anderen hinauf, dann warf er sich Formosanten zu Füßen. »Ah, wie seid Ihr liebenswürdig, wie wollte ich Euch nicht vergöttern, wäret Ihr mir nicht mit einem Geschäftsmädchen untreu gewesen.«
Während Amasan seinen Frieden mit der Prinzessin schloß, während die Gangariden auf den Scheiterhaufen die Leiber aller Anthropokäer häuften, und die Flammen bis in die Wolken hinaufschlugen, sah Amasan in der Ferne etwas wie ein Heer auf sich zukommen, ein alter König, die Krone auf dem Haupt, zog auf einem mit acht durch Stricke angeschirrten Maultieren bespannten Wagen heran, hundert andere Wagen kamen hinterher, sie wurden von ernsten, in schwarze Mäntel und Halskrausen gekleideten Männern, die auf ungewöhnlich schönen Pferden ritten, begleitet, und eine Menge Leute folgte mit fettigen Haaren und schweigend zu Fuß.
Amasan reihte zunächst seine Gangariden um sich und drang mit eingelegter Lanze vor. Sobald der König ihn jedoch gewahrte, nahm er seine Krone ab, stieg aus dem Wagen, küßte den Steigbügel Amasans und sprach zu ihm: »Du gottgesandter Mann, du bist der Rächer des ganzen Menschengeschlechts, der Befreier meines Vaterlandes, mein Beschützer, die geheiligten Ungeheuer, von denen du die Erde gereinigt hast, waren meine Herren im Namen des Alten der sieben Hügel, ich war gezwungen ihre verbrecherische Macht zu dulden, mein Volk würde mich verlassen haben, hätte ich ihre scheußlichen Gewalttaten auch nur zu mildern versucht, heute nun atme ich wieder, herrsche ich wieder, und dir habe ich das zu danken!«
Darauf küßte er Formosanten ehrfurchtsvoll die Hand und bat sie, mit Amasan, Irla und dem Phönix gütigst seinen Maultierwagen besteigen zu wollen. Die beiden Palästiner, welche Hofbankiers waren und vor Entsetzen und Dankbarkeit noch auf dem Boden kauerten, erhoben sich, und die Schar der Einhorne folgte dem König von Bätis in seinen Palast.
Da die Würde des Königs eines ernsten Volkes verlangte, daß seine Maultiere im langsamen Schritt gingen, fanden Formosante und Amasan vollauf Zeit, ihm ihre Abenteuer zu erzählen. Er unterhielt sich auch mit dem Phönix, bewunderte ihn und küßte ihn wohl an die hundert Mal. Er begriff, wie unwissend, roh und barbarisch die westlichen Völker waren, welche die Tiere aßen und ihre Sprache nicht mehr verstanden, begriff, daß allein die Gangariden die ursprüngliche Natur und Würde des Menschen bewahrt hatten, vor allem aber gab er zu, daß die größten Barbaren aller Sterblichen jene schnüffelnden Anthropokäer gewesen, von denen Amasan die Welt gereinigt hatte, und er hörte nicht auf, ihn zu segnen und ihm zu danken. Die schöne Formosante fing an, den Vorfall mit dem Geschäftsmädchen zu vergessen, ihre Seele war nur noch von der Tapferkeit des Helden erfüllt, der ihr das Leben gerettet hatte. Nachdem Amasan von der Unschuld des dem Könige von Ägypten gegebenen Kusses und der Wiedergeburt des Phönix unterrichtet war, genoß er eine reine Freude und fühlte sich von der ungestümsten Liebe beseelt.
Man speiste im Palast, und zwar ziemlich schlecht, die Köche von Bätis waren die schlechtesten von Europa. Amasan riet, Gallier kommen zu lassen. Während des Mahles spielten die Musikanten des Königs jene berühmten Melodien, die man im Laufe der Jahrhunderte auf den Namen »Folies d'Espagne« getauft hat. Nach aufgehobener Tafel sprach man von Geschäften.
Der König fragte den schönen Amasan, die schöne Formosante und den schönen Phönix, was sie mit sich beschlossen hätten. »Was mich angeht,« sagte Amasan, »so will ich nach Babylon zurückkehren, dessen Thronerbe ich bin, und von meinem Onkel Belus meine Base zweiten Grades, die unvergleichliche Formosante, zur Frau verlangen, falls sie nicht lieber mit mir bei den Gangariden leben will.«
»Meine Absicht ist zunächst,« sagte die Prinzessin, »mich unter gar keinen Umständen jemals von meinem Vetter zweiten Grades zu trennen, ich glaube aber, er wird um so eher zugeben, daß ich mich zu dem Könige, meinem Vater, begebe, als dieser mir ja nur die Erlaubnis erteilt hatte, eine Pilgerfahrt nach Bassora zu machen, während ich doch durch die Welt gezogen bin.« »Was mich angeht,« sagte der Phönix, »so werde ich den beiden zärtlichen und großmütigen Liebenden überallhin folgen.«
»Ihr habt recht,« sagte der König von Bätis, »aber die Rückkehr nach Babylon ist nicht so leicht, wie Ihr denkt: ich erhalte täglich Nachrichten aus jenem Lande durch Schiffe aus Tyrus und durch meine palästinischen Bankhalter, welche mit allen Völkern der Erde in brieflichem Verkehr stehen. In der Gegend des Euphrats und des Niles steht alles in Waffen, der König von Skythien fordert mit der Menge von dreimalhunderttausend samt und sonders berittenen Kriegern das Erbe seiner Frau ein, der König von Ägypten und der König von Indien verheeren ebenfalls die Ufer des Tigris und des Euphrats, jeder an der Spitze von dreimalhunderttausend Mann, um Rache dafür zu nehmen, daß man sich über sie lustig gemacht hat, und während der König von Ägypten nun außer Landes ist, verwüstet sein Feind, der König von Äthiopien, Ägypten mit dreimalhunderttausend Mann, und der König von Babylon hat erst sechsmalhunderttausend Mann aufgebracht, um sich zu verteidigen.
Ich gestehe Euch,« fuhr der König fort, »wenn ich von den zahllosen Heeren, die der Osten aus seinem Schoße speit, und von ihrer erstaunlichen Pracht sprechen höre, und sie mit unserer kleinen Schar von zwanzig- bis dreißigtausend Soldaten vergleiche, die zu bekleiden und zu nähren schon so schwer hält, so fühle ich mich versucht zu glauben, der Osten müsse lange vor dem Westen erschaffen worden sein, mir kommt es vor, als seien wir erst vorgestern aus dem Chaos und gestern aus der Barbarei emporgestiegen.«
»Gnädiger Herr,« sagte Amasan, »die zuletzt Gekommenen überholen bisweilen jene, die zuerst auf dem Plane erschienen. In meinem Lande glaubt man, des Menschen Ursprung sei Indien, aber ich habe keine Gewißheit darüber.«
»Und Ihr,« sprach der König von Bätis zum Phönix, »was denkt Ihr darüber?« »Gnädiger Herr,« erwiderte der Phönix, »ich bin noch allzu jung, um etwas über die alten Zeiten zu wissen, ich habe erst ungefähr siebenundzwanzigtausend Jahre gelebt, mein Vater, der fünfmal ein solches Alter erreicht hatte, sagte mir, er habe von seinem Vater gehört, die Länder des Ostens seien stets bevölkerter und reicher gewesen als die übrigen, er wußte von seinen Vorfahren, daß die Geschlechter aller Tiere an den Ufern des Ganges ihren Ursprung genommen, was mich angeht, so bin ich nicht eitel genug, diese Ansicht zu teilen, ich vermag nicht zu glauben, daß die Füchse Albions, die Murmeltiere der Alpen und die Wölfe Galliens aus meinem Lande stammen sollten, und ebensowenig glaube ich, daß die Kiefern und Eichen Eurer Gegenden von den Palmen und Kokosnußbäumen der Indier herzuleiten sind.«
»Woher kommen wir dann aber?« fragte der König. »Ich weiß darüber nichts,« erwiderte der Phönix, »wissen möchte ich nur, wohin die schöne Prinzessin von Babylon und mein geliebter Amasan gehen könnten.« »Ich bezweifele sehr,« erwiderte der König, »er möchte mit seinen zweihundert Einhornen imstande sein, soviele Heere von je dreimalhunderttausend Mann zu durchbrechen.« »Warum nicht?« fragte Amasan.
Der König von Bätis empfand die Erhabenheit dieses »Warum nicht«, glaubte jedoch, das Erhabene allein genüge gegen unzählige Heere nicht. »Ich rate Euch,« sagte er, »den König von Äthiopien aufzusuchen; ich stehe durch meine Palästiner mit diesem schwarzen Fürsten in Verbindung und will Euch Briefe an ihn mitgeben. Da er ein Feind des Königs von Ägypten ist, wird er nur allzu glücklich sein, durch ein Bündnis mit Euch stärker zu werden. Ich selber kann Euch mit zweitausend äußerst mäßigen und tapferen Soldaten beistehen, und es wird nur von Euch abhängen, eine gleiche Anzahl unter den Völkerschaften zu werben, welche am Fuße der Pyrenäen wohnen oder vielmehr springen und die man Vaskonier oder Basken nennt. Entsendet einen Eurer Krieger auf einem Einhorne mit einigen Diamanten, und es wird nicht einen Basken geben, der nicht seine Burg, das heißt die Hütte seines Vaters, verließe, um Euch zu dienen; sie sind unermüdlich, mutig und drollig, Ihr werdet mit ihnen zufrieden sein. Während wir ihrer Ankunft harren, wollen wir Euch Feste geben und Schiffe vorbereiten lassen; ich kann mich ja für den Dienst, den Ihr mir erwiesen habt, gar nicht erkenntlich genug bezeigen.«
Amasan freute sich seines Glückes, Formosanten wiedergefunden zu haben und friedlich im Gespräch mit ihr alle Reizungen versöhnter Liebe zu genießen, welche nämlich denen der entstehenden fast gleichkommen.
Bald zog eine stolze und fröhliche Schar von Basken im Tamburintanze heran, und auch die stolze und ernste Schar der Bewohner von Bätis war bereit. Der alte welke König umarmte zärtlich die beiden Liebenden, er ließ ihre Schiffe mit Waffen, Betten, Schachspielen, schwarzen Gewändern, Halskrausen, Gänsen, Hammeln, Hühnern, Zucker und vielem Knoblauch beladen und wünschte ihnen eine glückliche Überfahrt, beständige Liebe und viele Besiegte.
Die Flotte lief das Ufer an, wo, wie man sagt, viele Jahrhunderte später die Phönizierin Dido, eine Schwester Pygmalions, Gemahlin eines Sychäus, nachdem sie die Stadt Tyrus verlassen, die herrliche Stadt Karthago gegründet hatte, indem sie eine Ochsenhaut in Streifen schnitt, dies nach dem Zeugnis der ernsthaftesten Schriftsteller des Altertums, die niemals Märchen berichtet, und nach den Professoren, welche für kleine Knaben schreiben, obgleich es schließlich in Tyrus niemals ein Wesen gegeben hat, das Pygmalion, Dido oder Sychäus geheißen, als welches alles rein griechische Namen sind, und obgleich es endlich in Tyrus keinen König gab.
Das herrliche Karthago war noch kein Seehafen, nur einige Numider lebten dort und trockneten ihre Fische. Man lief Byzacium, die Syrten und die fruchtbaren Ufer an, welche später Kyrene und die große Chersones genannt wurden.
Endlich gelangte man vor die Mündung des heiligen Nilflusses. Am Ende dieses fruchtbaren Landstriches nahm der Hafen Kanopus bereits die Schiffe aller handeltreibenden Völker auf, ohne daß man gewußt hätte, ob der Gott Kanopus den Hafen gegründet, ob die Bewohner erst den Gott geschaffen, oder ob der Stern Kanopus der Stadt seinen Namen gegeben, oder die Stadt den ihren dem Stern; alles was man darüber wußte, war, daß die Stadt wie der Stern sehr alt waren, und das ist schließlich alles, was man vom Ursprunge der Dinge überhaupt wissen kann, welchen Wesens sie auch immer sein mögen.
Der König von Äthiopien hatte ganz Ägypten verheert und sah nun gerade hier den unbesieglichen Amasan und die anbetungswürdige Formosante ans Land steigen: ihn hielt er für den Gott des Krieges, sie für die Göttin der Schönheit. Amasan überreichte ihm den Empfehlungsbrief des Königs von Spanien. Nach dem unumgänglichen Brauche heroischer Zeiten veranstaltete der König von Äthiopien zunächst wunderbare Feste, dann sprach man davon, die dreimalhunderttausend Mann des Königs von Ägypten, die dreimalhunderttausend Mann des Kaisers von Indien und die dreimalhunderttausend Mann des großen Khans der Skythen zu vernichten, welche alle die unermeßliche hochmütige wollüstige Stadt Babylon belagerten.
Die zweitausend Spanier, welche Amasan mit sich gebracht, erklärten, es bedürfe des Königs von Äthiopien nicht, um Babylon beizustehen, es genüge, daß ihnen ihr König befohlen habe, es zu befreien, sie seien zu diesem Unternehmen völlig ausreichend.
Die Basken sagten, sie hätten weiß Gott schon genug Kriege geführt, sie würden die Ägypter, die Indier und die Skythen ganz allein besiegen, und wollten mit den Spaniern nur unter der Bedingung zusammenmarschieren, daß diese den Nachtrab bildeten.
Die zweihundert Gangariden mußten über die Anmaßung ihrer Verbündeten lachen und hielten aufrecht, daß sie mit hundert Einhornen alle Könige der Welt in die Flucht schlagen würden. Die schöne Formosante beschwichtigte sie durch ihre Klugheit und ihre einnehmenden Reden, und Amasan führte dem schwarzen Fürsten seine Gangariden, seine Einhorne, die Spanier, die Basken und seinen schönen Vogel vor.
In kurzer Zeit war alles bereit, über Memphis, Heliopolis, Arsinoe, Petra, Artemisia, Sora und Apamea zu marschieren, um die drei Könige anzugreifen und jenen denkwürdigen Krieg zu beginnen, dem gegenüber alle Kriege, welche die Menschen seither geführt, nur Hahnen- und Wachtelkämpfe gewesen sind.
Jedermann weiß, wie sich der König von Äthiopien in die schöne Formosante verliebte, und wie er sie im Bette beschlich, gerade als ein süßer Schlummer ihre langen Wimpern umfangen hielt. Man erinnert sich, daß Amasan beim Anblick dieses Schauspiels Tag und Nacht beieinander schlafen zu sehen glaubte, man weiß auch, daß Amasan vor Entrüstung über diesen Schimpf schnell seine Fulminante zog und den entarteten Kopf des frechen Negers spaltete und alle Äthiopier aus Ägypten verjagte. Sind denn diese Wunder nicht alle in den Geschichtsbüchern Ägyptens erzählt? Der Ruhm hat mit seinen hundert Mündern die Siege verkündet, die Amasan mit seinen Spaniern, seinen Basken und seinen Einhornen über die drei Könige davontrug. Er brachte die schöne Formosante zu ihrem Vater zurück und befreite das ganze Gefolge seiner Geliebten, welches der König von Ägypten in die Sklaverei geführt hatte. Der große Khan der Skythen schwur ihm Vasallentreue, und seine Heirat mit der Prinzessin Aldea wurde bestätigt. Der unbesiegliche, großmütige Amasan wurde als Erbe des Reiches Babylon anerkannt und zog mit seinem Phönix und hundert tributpflichtigen Königen als Triumphator in die Stadt. Das Fest seiner Vermählung übertraf in allen Stücken das Fest, das der König Belus gegeben. Bei Tisch wurde der Ochse Apis gebraten aufgetragen. Der König von Ägypten und der König von Indien waren die Mundschenke der beiden Ehegatten, und ihre Hochzeit wurde von fünfhundert babylonischen Dichtern gefeiert.
Oh, ihr Musen, die man stets zu Beginn seines Werkes anruft, ich flehe erst an seinem Ende zu euch! Umsonst wirft man mir vor, gratias zu sagen, noch ehe ich benedicite gesagt. Musen, ihr werdet darum nicht weniger meine Beschützerinnen sein. Verhindert, daß vermessene Fortsetzer durch ihre Erfindungen die Wahrheiten verderben, die ich in dieser treuen Erzählung den Sterblichen geoffenbart habe. Beim »Candid«, beim »Harmlosen« haben sie es gewagt, und auch bei den keuschen Abenteuern der keuschen Johanna, welche ein Exkapuziner durch Verse, die wahrlich eines Kapuziners würdig waren, in batavischen Nachdrucken entstellt hat. Sie sollen meinem Drucker, der eine zahlreiche Familie und kaum genug Geld hat, um Typen, Papier und Druckerschwärze zu bezahlen, sie sollen ihm dieses Unrecht nicht zufügen.
Oh Musen, erleget dem abscheulichen Cogé, Professor der Schwatzhaftigkeit am Kollegium Mazarin, erleget ihm Schweigen auf, ihm, der mit den moralischen Reden Belisars und des Kaisers Justinian nicht zufrieden gewesen ist und niedrige Schmähschriften gegen diese beiden großen Männer verfaßt hat.
Stopfet dem Schulmeister Larcher einen Knebel in den Mund, ihm, der ohne ein Wort altbabylonisch zu können und ohne wie ich die Ufer des Euphrat und des Tigris bereist zu haben, die Unverschämtheit besessen hat zu behaupten, die schöne Formosante, die Tochter des größten Königs der Welt, und die Prinzessin Aldea und alle Frauen dieses respektablen Hofes hätten aus religiösen Grundsätzen im großen Tempel zu Babylon mit allen Stallknechten Asiens für Geld geschlafen. Dieser Schulwüstling, euer Feind und der Feind aller Scham, beschuldigt die schönen Ägypterinnen aus Mendes, nur Böcke geliebt zu haben, und plant daher insgeheim im Vertrauen auf dieses Beispiel, eine kleine Reise durch Ägypten zu machen, um endlich Liebesabenteuer zu haben.
Da er die heutige Zeit nicht besser kennt, denn die alte, verbreitet er in der Hoffnung sich dadurch bei irgend einer guten Alten einzuschmeicheln, die unvergleichliche Ninon habe im Alter von achtzig Jahren mit dem Abbé Gedoyn, Mitglied der französischen Akademie und der Akademie für alte Geschichte und Sprachen, geschlafen! Er hat niemals von dem Abbé von Châteauneuf sprechen gehört und verwechselt ihn mit dem Abbé Gedoyn, und die Ninon kennt er nicht besser als die Mädchen Babylons.
Ihr Musen, Töchter des Himmels, euer Feind Larcher tut Schlimmeres, er ergeht sich in Lobeshymnen auf die Päderastie und wagt zu behaupten, alle Knaben meines Vaterlandes seien dieser Schändlichkeit ergeben. Er glaubt sich selber zu retten, indem er die Zahl der Schuldigen vergrößert.
Ihr edlen, ihr keuschen Musen, die ihr sowohl die Schulmeisterei wie die Päderastie verabscheut, schützt mich vor Magister Larcher!
Und Ihr, Magister Aliboron, genannt Fréron, ehemals sozusagen Jesuit, Ihr, für den der Parnaß bald im Tollhause Bicêtre und bald in einer Winkelschenke liegt, Ihr, dem man für das sittsame Lustspiel »Die Schottin« so gar große Gerechtigkeit in allen Theatern Europens hat widerfahren lassen, Ihr, der würdige Sohn des Pfaffen Desfontaines, der Ihr hervorginget aus seinen Liebeleien mit einem jener schönen Knaben, die wie der Sohn der Venus ein Eisen und eine Binde tragen und sich gleich ihm in die Lüfte schwingen, wenn auch immer nur bis zur Höhe der Schornsteine, mein teurer Aliboron, für den ich stets so große Zärtlichkeit empfunden habe, und der mich zur Zeit jener Schottin einen ganzen Monat lang hat lachen machen, ich empfehle Ihnen meine Prinzessin von Babylon: machen Sie sie recht herunter, damit man sie liest.
Und auch Sie will ich hier nicht vergessen, Sie kirchlicher Zeitungsschreiber, erlauchter Redner der Verzückten, Vater der vom Abbé Bécherand und Abraham Chaumeix gegründeten Kirche, verfehlen Sie ja nicht in Ihren so frommen wie beredsamen und klugen Blättern zu behaupten, die Prinzessin von Babylon sei eine Ketzerin, eine Deistin, eine Atheistin. Versuchen Sie vor allem, den Herrn Riballier dahin zu bringen, daß er die Prinzessin von Babylon von der Sorbonne verdammen läßt. Sie werden dadurch nämlich meinem Verleger, dem ich diese kleine Geschichte zu Weihnachten geschenkt habe, eine große Freude bereiten.