Hermine Villinger
Aus meiner Heimat
Hermine Villinger

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Pfälzer Art.

Alleweil fidel – lautete Schneider Valentins Wahlspruch – nur spielte ihm, als er sein »Herzens-Trautche« heimführte, sein Leichtsinn einen sehr bedenklichen Streich. Der Hochzeiter im Vatermörder, mit einer Nase, in die es regnete, und Augen, die wie Funken sprühten, kam mit seinem hübschen »Trautche« eben vom Standesamt; eine Stunde später sollte die kirchliche Trauung stattfinden, und bis dort wollte sich das Paar mit einem Glas Wein auf die anstrengende Festlichkeit vorbereiten. Im »Schwarzen Adler«, dem bescheidenen Schneiderhäuschen gegenüber, war das Hochzeitsessen bestellt. Nun aber geschah's, daß die Vettern und Basen schon alle angekommen waren, hungrig und durstig vom weiten Weg, und kaum trat das junge Paar über die Schwelle, gingen die Glückwünsche los, und jeder zeigte sich froh, daß die Trauung überstanden, und schrie nach der Suppe.

»Ja halt,« wollte Valentin einwenden, »die Sach' ist noch nicht so weit – der Hauptpunkt – der Kirchensegen fehlt« – wer aber nicht zu Wort kam, war er.

Schließlich, als man ihm Gehör schenkte, erschien gerade die Suppe, und er genierte sich, nun plötzlich allen Jubel der eßlustigen Leute zum Teufel zu jagen 32 mit der Bemerkung: »Erst muß zur Kirche gegangen werden.«

»Weißt Schatz,« wandte er sich zu seinem Trautche, »wir gehen nach dem Essen.«

Aber mit dem Wein erfaßte sein an sich sorgloses Gemüt eine solche welt- und sittenverachtende Stimmung, daß er zwar die Engelein im Himmel geigen zu hören glaubte, aber von den Pflichten, die der Mensch gegen diesen Himmel hatte, so wenig mehr wußte, als von der Stunde, in der ihn der Geistliche in der Kirche erwartete.

»Weißt Schatz,« sagte er, als er spät in der Nacht mit seinem Trautche über die Gasse wankte, »wir gehen morgen.«

Und sie war's zufrieden, denn sie ließ sich gerne treiben und freute sich in aller Ruhe des Lebens, während ihr Valentin dies mit quecksilberner Hast besorgte. Den anderen Tag gingen sie natürlich auch nicht, denn ein Teil der Verwandtschaft war noch da, die Hochzeitsbrocken verzehren zu helfen; man machte einen Ausflug über den Neckar, und der »süffige Pfälzer« that ein übriges, um alle grillenähnlichen Gedanken in die Flucht zu schlagen.

Endlich nahmen aber die Hochzeitsfeierlichkeiten ihr Ende, und das junge Paar befand sich eines Tages allein in seinem Nestchen und hätte nun mit Muße an das Nachholen der versäumten Pflicht gehen können. Allein da gab's nun wieder so allerlei – erst die Lust aneinander, dann die Freude an dem kleinen Haushalt, den man noch zu ergänzen hatte. Valentin war ein 33 gesuchter Meister; drei tüchtige Gesellen saßen in der großen Mittelstube, wo's immer laut herging, denn in friedlichen Zeiten wurde wie im Taglohn gesungen, geriet der Meister aber in Wut, so war's erst recht lustig, denn dann hüpfte er schimpfend und fluchend wie eine Heuschrecke über Tische und Stühle, mit der Ellmesse nach rechts und links Hiebe austeilend, ob's traf oder nicht. Die Gesellen sprangen von ihren Plätzen, erstickten vor Lachen, warfen alles durcheinander, stießen sich über den Haufen, fielen dem Meister zwischen die Beine, und war die Unordnung aufs höchste gestiegen, so kam Valentin wieder zu sich, verfluchte im Innersten seine Seele, die ihm immer wie eine Rakete aus der Haut fuhr, und überließ seinen Gesellen das Aufräumen, was sie stets mit Lust und Liebe nach der stattgehabten Motion thaten.

Auch Trautche, die erst große Augen zu dem Höllenlärm gemacht, gewöhnte sich in kurzer Zeit an das wöchentliche Donnerwetter, lachte von ihrer Hinterstube aus mit den Gesellen um die Wette, wenn der Meister »raketete«, und sang in friedlichen Zeiten alle Schelmen- und Liebeslieder herzhaft mit. Nur waren sie noch immer nicht kirchlich getraut, und es wurde auch nicht mehr darüber geredet, bis eines Tages ein kleiner Bursche zur Welt kam und durch sein lustiges Strampeln und Schreien den Vater zu Freudenthränen rührte. Er nahm seinen Cylinder, Pate und Patin – der älteste Geselle und dessen Braut – trugen den jungen Erdbürger hinter ihm drein – so ging's zur Kirche, wo Valentin erst mit dem Herrn Pfarrer in der Sakristei einer 34 geheimen Unterredung pflog, die damit endigte, daß des Schneiders bartloses Gesicht ganz in Reuethränen unterging; nur die Nase behielt ihren unverschämt lustigen Ausdruck, den keine Thränenmacht der Welt wegzulöschen vermochte. Als er den getauften Valentin der Mutter in die Arme legte, gab es kaum zwei Menschen, die es ernster und heißer mit ihren Vorsätzen meinten, als Valentin und sein Trautche. Nichtsdestoweniger fiel der Taufschmaus über die Maßen lustig aus, und es war ordentlich, als ob das Räuschlein, das sich der Meister an diesem Tage gestattete, ihm auf Wochen hinaus das Gedächtnis raubte, denn von der Trauung war nicht mehr die Rede. Trautche, die nie die Inititative ergriff, ging in hellen Mutterfreuden auf, in die sie sich um so lieber versenkte, als ihr anfing, vor dem Gedanken zu grauen, mit ihrem Valentin als arme Sünder vor dem Herrn Pfarrer zu stehen.

Mittlerweile ging das Geschäft immer flotter, und alljährlich wanderte Freund Valentin mit einem neuen Täufling zur Kirche, meinte aufrichtige Reuethränen und versprach das Blaue vom Himmel herunter. Das nachgiebige, behagliche Trautche aber wollte immer weniger von dem unglückseligen Kirchgang wissen, je mehr quecksilberne und indolente Sprößlinge um sie herum zu spielen begannen. Sie erklärte, in den Boden zu sinken, wenn der Herr Pfarrer sie nach der Zahl der Kinder frage, und habe die »trockene Trauung«, wie sie die standesamtliche zu nennen pflegte, so lange gehalten, so halte sie diese auch bis an ihr seliges Ende. So lebten sie im alten Stile weiter, und nur manchmal schaute 35 Valentin mit einer plötzlichen Besorgnis über die vielen Köpflein hin, von denen schon einige über den Tisch ragten, und es flog ihm durch den Sinn: Ihr armen, unkirchlichen Kinder, am End' habt ihr der Eltern Leichtsinn zu büßen.

Dieses Gefühl nahm zu, als er seinem Aeltesten, der ein gar aufgeweckter Bursche war, den Katechismus abhörte; als Valentin II. aber gar eines Tages erklärte, das Predigen sei das Schönste, was es auf der Welt gäbe, und er wolle Pfarrer werden, da durchfuhr's den unglücklichen Vater wie der Blitz; er griff mit noch nie dagewesener Energie nach seinem Cylinder und flog wie besessen durch die Gassen ins Pfarrhaus. »Hochwürden,« begann er, »schmeißen Sie mich nicht hinaus, denn es steht geschrieben in der Bibel, daß man einige hundert Male verzeihen soll, was ein echtes Gotteswort ist. Mein Trautche, wissen Sie, kann zur Zeit wieder nicht kommen, da abermals ein Malheur unterwegs. Ist aber sonst eine kernbrave Seele, und hatte schon das schwarzseidene Kleid an, um den schweren Gang zu wagen, da war's ihr zu eng; ein anderes Mal befanden wir uns auf der Gasse und hatten nur noch einen Katzensprung bis zum Pfarrhaus, da kommt ein eben getrauter Gesangsbruder mit Gattin aus derselben unglücklichen Kirche, und wer sich einbildet, wir kämen zu seiner Hochzeit, und uns ins Wirtshaus schleppt, war er! Hochwürden, ich bin ein Mann, der unter einer Kette von Verhängnissen seufzt, und darum komme ich heute mit der Anfrage: Könnten Sie mich nicht jetzt gleich im Beisein des Meßners mit meiner abwesenden Frau 36 trauen, für deren ›Ja‹ ich Ihnen mit Leib und Seele hafte? Da wär' meinem Trautche mit eins alle Scham erspart, und das Pläsier, könnt' ich ihr den Kirchensegen so hinterrücks mit heimbringen!«

»Ja wohl,« begehrte der Geistliche auf, »für Eueren Leichtsinn und Euere Gottlosigkeit soll man's Euch auch noch so bequem wie möglich machen! Wie viele Jahre hab' ich in Euch hinein geredet, Eueren Versprechungen geglaubt und Euere Reue für ehrlich gehalten –«

»Und war sie's vielleicht nicht,« schrie der Schneider, »allein alle Dinge haben zwei Seiten, und Hochwürden sehen mich leider immer nur von meiner schlechten –«

»Das ist richtige Pfälzer Art,« unterbrach ihn der Geistliche. »Euch muß am jüngsten Tag ein ganz besonders gewaltiger Posaunenstoß aus dem ewigen Schlaf wecken, denn wenn euch nicht gleich das Trommelfell platzt, seid ihr leicht im stand, die himmlische Musik für einen fidelen Walzer zu halten. Zum letztenmal – macht öffentlich gut, was ihr versäumt, oder ich rechne euch zu den Abtrünnigen, mit denen die Kirche nichts mehr zu thun hat.«

Valentin ging in sich während des ganzen Heimwegs, allein es war nun einmal in diesem Menschenherzen kein Boden für Trauer oder Betrübnis, und so kam's eines Tages wieder glücklich dazu, daß der Meister seinen Aeltesten ins Pfarrhaus schicken mußte, mit der jährlichen Anfrage, wann er seinen Jüngsten taufen lassen könne.

»Der Neunte?« fuhr der Geistliche auf.

»Ja,« erwiderte Valentin, »und ob's in der Früh sein könnt', der Vater laßt uns immer gern in der Früh taufen –«

37 »Ich will dir auch sagen, warum er den hellen Tag scheut,« begann der Geistliche nach kurzem Besinnen, »dein Einsegnungstag ist nah, und du bist klug und verständig und kannst mich verstehen. Merke wohl, mein Sohn, deine Eltern sind brave Leute, aber ihr Christentum ist flau und daraus entstand die Sünde. Standesamtlich sind sie getraut, aber aus unerhörtem Leichtsinn verpaßten sie der Kirche Segen und haben ihn bis auf die heutige Stunde nicht nachgeholt. Du weißt, die Ehe ist ein Sakrament, und bist fähig, zu begreifen, daß ein Bund ohne kirchlichen Segen wohl vor den weltlichen Mächten, nimmer aber vor den himmlischen besteht. Stell' es drum klug und fein an, mein Sohn, und ruhe nicht, bis du deine Eltern auf den rechten Weg gebracht, damit du dich ihrer an deinem Ehrentag nicht zu schämen hast.«

Valentin II. fühlte sich von dieser Rede tief betroffen, denn er war, wie gesagt, ein aufgewecktes Bürschlein, in dem sich die ausgesprochenen Eigenschaften der Eltern in gedämpfter Weise reproduzierten, so daß er sich weder überstürzte, wie der Vater, noch fünfe grad sein ließ, wie die Mutter. Tiefen Ernst in den jugendlichen Zügen, trat er bei den Seinen ein. Es war Sonnabend, die Gesellen polterten die Treppe hinab; Vater Valentin nähte, während er sich mit seinen Buben herumzankte und puffte, an dem Konfirmandenanzug seines Aeltesten. Die Abendsonne lugte zu dem offenen Fenster der Hinterstube herein, im Hof stand ein Maulbeerbaum, in dessen Zweigen die Sperlinge ein heilloses Gekreische verführten; sie wurden aber noch überboten 38 durch die Schneiderssöhne, von denen der jüngste in der Wiege schrie, und der zweitkleinste, vor der Mutter auf dem Tisch sitzend, sie mit der ganzen Kraft seiner Lunge ansang. Trautche war noch immer ein kernfrisches, hübsches Weib mit runden Wangen und rundem Kinn. Der Große stand einige Augenblicke unentschlossen hinter ihrem Stuhl, endlich sagte er ihr leise ins Ohr – er hätte auch laut sprechen dürfen, so groß war der Lärm: »Mutter, ich wünsch' mir zur Einsegnung keine Uhr – aber daß ihr euch kirchlich trauen laßt –«

Da barg sie, tief erschrocken und purpurrot, das Gesicht in dem Schoß des Kleinen, der sich sofort über ihre Haare hermachte.

»Mutter, versprich mir's,« beharrte Valentin.

»O Bub, er wird uns herunter machen vor der ganzen Kirche, und wir werden dastehen wie die armen Sünder –«

»Nein, nein, er weiß recht gut, daß ihr brave Leute seid, und wird euch nicht wie schlechte behandeln – thu's mir zulieb, Mutter –«

Valentin wußte recht wohl, was er damit sagte, er war ihr Augapfel, und sie hatte ihm zu Willen gelebt von dem ersten Tag seines Lebens.

»Nun ja denn,« flüsterte sie.

Des Abends gab's eine lange Unterredung zwischen den Eheleuten, und das Ende vom Lied war, daß Trautche ein neues schwarzseidenes Kleid und er einen Cylinder haben müßte.

»Weißt, Schatz,« sagte er, »dem alten Kerl trau' 39 ich nicht mehr recht, den hab' ich schon so vielmals wegen der verfluchten Hochzeit auf den Kopf gestülpt, und immer war's für nichts – nur frischen Mut – 's ist wie beim Zahnausziehen – schwub ist's fertig und vorüber –«

Aber sie blieb doch gedrückt, denn sie konnte die Vorstellung nicht los werden, vor einer ganzen Kirche voll Leute blamiert zu werden, und jemand anders als ihr Aeltester hätte sie zu dieser Selbstverleugnung nicht vermocht.

Die Trauung war auf neun Uhr, gleich nach der heiligen Messe, anberaumt; als Zeugen figurierten der erste Geselle und Frau.

Trautche, mehr tot als lebendig, schwankte am Arm ihres Mannes aus der Sakristei; die Kirche prangte schon im vollsten Schmucke, denn tags darauf war das Einsegnungsfest, und also wandelte das Paar zwischen Blumen und Sonnenstrahlen, die zu allen Fenstern hereinfluteten. Aber noch ein anderer Empfang wurde ihnen zu teil, ein Empfang, der Frau Trautche vollends um die schwer behauptete Fassung brachte, während Valentin, ebenfalls erschüttert, nichts hervorbrachte, als immer nur: »Uff, Trautche – uff!«

Es tönte ihnen nämlich aus sieben Knabenkehlen ein laut schallendes – »Großer Gott, wir loben dich« – entgegen, und das schwerbedrängte Hochzeitspaar kannte diese Stimmen nur zu gut, auch waren die jugendlichen Sänger rechts vom Altar zu sehen, von Valentin überragt, der mit ruhiger Würde die zweite Stimme sang. Der Pfarrer wartete ein paar Augenblicke, da die Burschen 40 aber unbeirrt weiter sangen, nahm er die Trauung vor und gab alsdann den Kindern ein Zeichen, zu schweigen, da er sprechen wollte. Er wurde aber nicht verstanden oder nicht beachtet – vielleicht auch hatten sich die Kinder vorgenommen, hier niemand außer sich selber zu Wort kommen zu lassen – wie dem auch sei, sie sangen unentwegt weiter und ließen den Meßner nach Lust schimpfen und drohen, und die Leute in den Bänken lachen und kichern.

Des Geistlichen Blick aber begegnete den Kinderaugen, die sich, bittend und beschwörend, bald auf ihn, bald auf das zitternde Elternpaar hefteten, und es ging dem Diener Gottes plötzlich ein Licht auf von dem Zweck dieser Stimmen, welche die seine zu übertönen suchten. Und er erkannte, daß allwo die Liebe mit Engelszungen redete, er keinen Tadel mehr zu sagen hatte, sprach den Segen über das Paar und schloß die Trauung mit einem lauten – Amen. 41

 


 


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