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Oben auf der Eifel wehten schon Herbstwinde. Sie kamen von Norden und schnoben daher, eilfertig und gehässig; sie färbten das magere Gras gelb und zausten die knorrigen Föhren und zitternden Birken. Drunten im sonnigen Moselthal blühten noch die Rosen in den Gärten, gelb, rot und weiß, in den krystallklaren Fluß nickten die obstbeladenen Bäume, die Traube schwoll des köstlichen Geistes voll, Nußbäume und Kastanien sprengten die grüne Hülle ihrer Frucht und ließen den braunen glänzenden Kern zur Erde fallen. Hier oben rochen die Nächte schon nach Winter; die Schlehe hing blau und herb an den dornigen Büschen, kalter Reif versilberte Gräser und Moose und dicker Nebel hockte in den Mulden. Unwirtlich war's, unfreundlich. Die kalte Eifel mit ihren baumlosen Höhen, ihren rotblühenden Heiden und dunklen Maaren, bereitete sich allgemach, ihren gestrengen Herrn, den Winter, zu empfangen.
Da, wo der Wald zu Ende geht, und nur struppiges Knieeholz mehr fortkommt, liegt ein Häuschen an den Felsen geschmiegt, ein armseliges Nest mit tiefhängendem Moosdach, darauf Hauswurz und Fetthenne gedeihen; sogar ein Tannenbäumchen hat sich naseweis und keck dort angesiedelt. Das Thürchen ist niedrig, das Fensterchen mit Papier verklebt, aber auf dem grünen Rasenfleck vor der Schwelle weidet eine genügsame weiße Ziege, und ein paar sturmgewohnte Sonnenblumen nicken protzig und gönnerhaft mit den dicken Köpfen.
In der einsamen Hütte, der armseligsten weit und breit, wohnt die ehrsame Witfrau Anna Maria Balduin. Sie wohnte drin seit langer Zeit; als junge glückliche Braut war sie vor achtzehn Jahren eingezogen an der Seite des Peter Balduin, des tüchtigsten Holzfällers weit und breit. Fünf Jahre später trug man ihn hinaus, starr und kalt, und begrub ihn unten in Kyllburg auf dem kleinen Bergfriedhof. Es war ein böses Jahr; die Kartoffeln mißraten, das Brot unerschwinglich, der Hungertyphus wütete in der armen Eifel, früher Schnee fiel und die gierigen Wölfe schlichen allnächtlich bis an die einsamen Hütten. Im Häuschen der Witwe waren Angst um's tägliche Brot, Kummer um den Verstorbenen, Kälte und Entbehrung zu Gast. Die bleiche Frau saß am Spinnrad und ließ ihre Thränen rinnen, und das Töchterchen, die kleine Margret, hockte daneben, lachte und spielte mit bunten Steinen und begriff nichts von dem Kummer der Mutter.
Nun waren Jahre vergangen; das frische Grab eingesunken und Gras darüber gewachsen, wie über die Wunden des Herzens. Die kleine Hütte war baufälliger geworden, und statt der kleinen Margret saß eine große vor der Thür. Sie spann um's liebe Brot für die reichen Bauernfrauen und hatte die Ziege mit einem Strick an ihre große Zehe gebunden; da konnte die grasen und lief doch nicht weg. Margret spann und guckte auch zuweilen halb gedankenlos, halb sehnsüchtig hinauf in den Himmel, der blaßblau und unnahbar kühl sich über den nackten Höhen wölbte. – Mit der Mutter stand's schlimm. Sie hatte Gliederweh, lag seit Wochen und Monaten, krummgezogen und steif, in der wurmstichigen Bettstatt auf den blaugewürfelten groben Kissen, ächzte und stöhnte und konnte kaum die Hand zum Munde heben. »Et es en bedenkliche Saach',« sagte die kluge Frau aus Kyllburg, die sich auf vieles Bitten und gegen bare fünfzig Pfennig herabließ, zu der armen Hütte heraufzusteigen. Sie nahm das einzige Huhn der Witwe mit hinab und hatte dafür ein wunderwirkendes Tränklein zurückgelassen. Aber das Tränklein that kein Wunder, die Kranke jammerte noch um vieles mehr und der Totenvogel, das Käuzchen, schrie jede Mitternacht vor'm Hüttenfenster. –
Heut war ein besonders schlimmer Tag. Die hübsche Margret saß am Bett und ließ den Kopf hängen. Ihre fleißigen Finger spannen, aber ihre sonst lachenden braunen Augen füllten sich oft jählings mit Thränen. Sie war ein gutes Kind, hatte weiter nichts auf der Welt, als ihre Mutter und ihre siebzehn Jahr; aber auf das bißchen Jugend, da fiel die Sorge um die Mutter wie Hagel im Mai. Es war traurig.
Ein Glück, daß es nun an die Hüttenthür klopfte und mit Seufzen und Gepuste eine behäbige Bauersfrau sich über die Schwelle schob. »Gelowt sei Jeses Christes!«
»In Ewigkeit Aomen!« –
Es war die Gevatterin aus Kyllburg, Frau Margareta Rindsfüßer, die Patin der Kleinen. Da kam sie den Berg heraufgeklettert, die gute Seele, und war doch ein bißchen sehr komplett! Und nun packte sie den Korb aus, den sie am Arme trug – Knackwurst, Semmel, Cichorien und ein paar Eier.
»Dao, Anna, wat micht Ihr, wie gieht et Eich?«
»Schlächt – siehr schlächt!«
»Jao, jao,« nickte die andre, »ech glauwen et sälwer, dat Ihr et net e su lang mieh maachen duht! Gäwt de Hoffnung ald nor uf, bereit Eich zom säligen Stärwen!«
»Da dau mein Jesses,« wimmerte die Kranke, »ech duhn jao e su gären stärwen – et es mer nor om et Margret, et es noach gaor e su jong!«
»Waohr, waohr,« die Gevatterin zwinkerte mit den Augen und schnäuzte sich gewaltig in das rotblaue Sacktuch – »et es haard, siehr haard, äwer duh es kein Hölf net mieh. Jao, wann Ihr eweil zom heiligen Rock erunner naoch Trier maachen kunnt, lao kennt Eich geholf gänn –!«
»Geholf – zom heiligen Rock!?« Margret hatte mit weit aufgerissenen Augen der Sprecherin zugehört, nun näherte sie sich und faßte die Gevatterin am Ärmel. »Tant, ech bitten Eich ville Maol, wat es dat met em ›heiligen Rock‹?«
Frau Margareta Rindsfüßer bekreuzte sich fromm. »Bitt for ons, heiliger Rock, for ons on om Vergäwung onsrer Sünd – Mädchen, dau bis e su domm! Lao unnen ze Trier, duh bimmeln de Glocken Dag on Nacht wat se kennen, se bimmeln, dat de Fischelcher in der Musel Angst gänn. Mer maant, mer kennt dat Bim-bam hei owen heeren. On aus der ganzen Welt kommen se gerennt de Musel eruf, met Kreizcher on Fähncher on grußen Faohnen, on singen on bäten den heiligen Rock an. Wat meim Vadder sin Broder sin Sohn es, dän Stadtfeld's Hanni, dän haot et mer verzällt, dän es sälwer duh gewest. Weil hän gaor kein Könner krieht, haot hän lao erunner gemaach on haot met seim Trauring dän heiligen Rock anröhren laoßen – dat hilft! Im heiligen Duhm zeigt em de hohe Gaastlichkeit, on wän krank es, dän verliert esubaal sin Onüwelkaat – jao! On wän en Kranken derhäm haot on holt ebbes von em met, en Hemd or en Bettduch or sunst ebbes, dem sein Kranker werd gesond!«
»Jesses Maria!« Die Kleine faltete die Hände. »Modder, ech maachen daorhin!«
»Et es gaor e su weid« – die Kranke seufzte halb angstvoll, halb sehnsüchtig – »ech laoßen dech net, dau bis mein anzig Könd – wannste zo Schaoden kämst, Jeßmarijusep!«
»O Modder, laoßt mech doach! Ech sein jao schuns met Beeren bis erunner zor Musel gewest, nau giehn ech hald noach ebbes weider; naoch Trier finden ech ganz kommod. On wann ech den heiligen Rock vill dausendmaol bitt, dann hilft hän gewöß, on wanneh ech widder komm', dao seid Ihr gesond – o Modder, die Freid!«
Mit ausbrechendem Jubel umschlang das Mädchen die Kranke. Es preßte seine blühende Wange an die bleiche, abgezehrte. – »Modder, saot neist, ech giehn zom heiligen Rock – morgen!«
»Anna laoßt dat Margret giehn in Gottes Naomen; on de heilige Jongfrau sei met em,« sagte die Gevatterin. »Ech kommen derweil ale Däg eruf, on kucken naoch der Zieg – on naoch Eich!«
Gerührt nahm sie Abschied.
Der Abend kam, Margret molk die Ziege und kochte die Suppe; dann stand sie am Brunnen und wusch sich und scheuerte sich, als sei acht Tage kein Wasser an ihren jungen Leib gekommen. Blitzeblank und rein, das konnte der heilige Rock verlangen. Dann kniete sie drinnen in der Stube vor dem Muttergottesbild, das aus schmalen Goldrähmchen grell und vielfarbig von der getünchten Wand herunterschielte. Lang und innig war ihr Gebet. Heute betete sie nicht nur das Vaterunser und den Englischen Gruß, – die Erwartung, die Spannung, das geheime Sorgen vor dem kommenden Tag drängten ihr eigene Worte auf die Lippen.
Todmüde sank Margret auf ihr Lager. Die Hände auf der Brust gefaltet, atmete sie bald tief und gleichmäßig im süßen Schlaf der Jugend.
Als sie erwachte, graute schon der Tag und hinter rosigen Wölkchen schien die Sonne den Morgentraum abzuschütteln; es war Zeit zum Aufbruch. Frau Anna weinte, als die Tochter vor ihr stand, so frisch und rotwangig, das festtägliche schwarze Kleid hochgeschürzt über dem blauen Friesrock, das winzige goldene Kreuz am schwarzen Schnürchen um den schlanken Hals. In der Hand hielt sie das Bündel, drinnen der Mutter Hemd, durch das der heilige Rock Wunder wirken sollte, ferner die blankgewichsten Schuhe und die weißen Strümpfe; die wurden erst angezogen draußen vor dem Thor der Stadt. Auch das Geschenk der Pate, die Sonntagsschürze mit den bunten Blumen, war eingepackt; sie war Margret's bestes Stück, ihr Stolz und ihre Freude, aber für den heiligen Rock war nichts zu schade.
Zuversichtlich blickten die hellen Mädchenaugen in das Gesicht der Mutter: Adjö – wann ech widderkomm', seid Ihr gesond!«
Noch ein Händedruck, das Zeichen des Kreuzes auf Stirn und Brust, ein gemurmelter Segenswunsch, ein freundliches Nicken – nun war sie fort, nun stand sie auf der Schwelle und der erste goldene Sonnenstrahl küßte ihre runden Kinderwangen.
So begann Margret's Wallfahrt. –
Die Vögel zwitscherten in den Büschen, Tautröpflein hingen gleich Diamanten an Blatt und Gras, als sie leichtfüßig den Berg hinuntersprang. Drüben im Nebel und Morgengrau lag Kyllburg. Die Hähne krähten, aber noch kräuselte sich kein Rauch aus den Schornsteinen, die Leute schliefen alle. Ja, da war's schön in Kyllburg, da mochte einer wohl hausen! Da war man nicht gar so allein, wie droben auf dem Berg, und die Mädchen saßen abends in den Spinnstuben und lachten, jede mit ihrem Schatz. So ein Schatz war doch was Schönes! Wie mocht's nur einem Mädchen zu Mute sein, das einen Schatz hatte? Ob sie, die kleine Margret, wohl auch mal einen bekam? Sicher nicht. »Arme Mädcher kriehn kein Schatz,« sagte die Mutter.
Hopps, da war ein Stein, da wäre sie beinahe gefallen – das kam von dem dummen Denken; was ging sie ein Schatz an? Sie war die arme Margret und ging zum heiligen Rock – punktum. Und nun zog sie den Rosenkranz aus der Tasche und ließ die kleinen Kügelchen durch ihre Finger rollen, und die frischen Lippen murmelten emsig ein Vaterunser nach dem anderen dazu. Das kürzt den Weg.
Der Wald ward dichter, die krüppligen Föhren und ärmlichen Birken wandelten sich in schlanke Buchen und stattliche Eichen; es sproßte allerhand buntes Blumengesindel, ein warmer Hauch zog durch die Luft und ein Quellchen rannte eilfertig zu Thal. Ah, hier war's schön! Margret stand still und holte tief Atem, sie war wacker zugeschritten, die Sonne stand im Mittag.
Bis jetzt war ihr kein Mensch begegnet, mit sich und ihrem Engel allein, war sie durch die Welt gewandert, aber nun tönte es aus der Ferne wie summende Stimmen, nur wenige Schritte noch, der Wald hatte ein Ende, und sie stand an der breiten Landstraße; jenseits floß ruhig und schön die Mosel. Wie ein silbernes Band schlängelte sie sich, weich und schmiegsam, zwischen den rebenbekränzten Ufern, sanft fluteten ihre Wellen und die goldene Sonne und der lachende Himmel guckten hinein in den klaren Spiegel.
Margret's Gesicht glänzte. Da war ja die Mosel, nun war's nicht mehr weit, bald mußte sie die Glocken von Trier hören! Und da kam es auch schon daher, langsam und würdevoll, eine stattliche Prozession mit wehenden Fahnen; voran schritt der Vorbeter, er stimmte einen Gesang an und betete das Ave und der Chor fiel bei der zweiten Hälfte summend und brummend ein. Margret kreuzte sich und trat zur Seite in den Graben.
Was waren das für viele Leute! Gern hätte sie sich angeschlossen, aber die Weiber am Ende blickten so abweisend, und eine junge, hübsche Person im roten Unterrock musterte sie von Kopf zu Füßen, daß ihr der Mut fehlte. Sie wartete, bis alle vorbei waren, dann folgte sie in einiger Entfernung dem Zug, der wie ein langer, schwarzer Wurm längs der Mosel dahinkroch. Wo die ganze Herde den Weg weist, da kann das einzelne Schäflein nicht irren. –
Die Sonne brannte, der Staub wirbelte auf, kam das Trier denn noch nicht?! Margret's Magen knurrte, ihre Füße fingen an zu schmerzen, – ob's nicht besser war, die Schuhe anzuziehen? Aber nein, die mußten blank bleiben; nur tapfer weiter! Endlos dehnte sich die Straße, ewig wechselten ein Apfelbaum – ein Birnbaum – hier und da ein Steinhaufen und ein Meilenzeiger, – o, wie lange das dauerte!
Weit voran waren schon die Wallfahrer, Margret humpelte müde hinterdrein; gern hätte sie auf dem Stein am Wege ausgeruht, aber da verlor sie den Zug aus den Augen, das durfte nicht sein. So zog sie nur ein Stück Brot aus dem Bündel und einen Happen Ziegenkäse; im Weiterschreiten biß sie mit den gesunden Zähnen hinein. –
Die Sonne neigte sich zur Rüste, der Abend umwob mit duftigem Schleier Fluß und Thal; nur oben die Gipfel der Berge schimmerten noch in goldenem Licht und am Himmel umsäumten sich kleine Wolkenkissen mit zartem Rosenrot. Margret's klare Augen blickten müde, langsamer hob sich ihr Fuß. Ach, wer doch ruhen könnte, wie die Vögel, die eben in's Nest schlüpften – da, horch! – surrte nicht ein Ton durch die Luft, tief und klangvoll, und nun noch einer und noch einer, und trug der Wind nicht andere Stimmen herzu, die fielen ein, feiner und dünner, und umrankten mit zartem Gebimmel den einzigen großen Ton? Die Glocken von Trier!
Das müde Kind faltete die Hände, dann eilte es freudig weiter – nun noch um die Biegung der Straße, – da lag das großmächtige Trier, beglänzt vom Abendstrahl, mit seinen grauen Dächern und Türmen, jenseits der Brücke, die sich in steinernem Bogen über den Fluß schwang.
Und über die Brücke schob und drängte es. Fußgänger, vereinzelt und zusammengeschart, strebten eilig hinüber, Wagen rasselten in langen Reihen, Fahnen wehten; das war ein Wandern, ein Treiben hinein in die begnadigte Stadt, daß dem einsamen Mädchen das Herz stockte. Nein, da ging sie noch nicht hinein, da blieb sie die Nacht doch lieber hier, diesseits der Mosel, wo nicht so viele Häuser standen.
Ein einzelnes Wirtshaus lag am Weg, da wollte sie einkehren. Ihre Hand tastete nach den wenigen Groschen im Sack, sie hatte ja Geld, sie konnte zahlen; und nun schritt sie näher herzu auf dem kleinen Pfad, der seitab zu der Herberge führte. Fast wäre sie wieder umgekehrt, ein wüstes Stimmengewirr tönte ihr entgegen; aus den offenen Fenstern schallte Gesang, Gejohle und Gelächter. Im Hof stand eine Wagenburg aufgefahren, Aufwärter und Mägde eilten geschäftig hin und her. Schüchtern trat sie in die Thür, niemand kümmerte sich um sie; sie legte ihr Bündel auf das noch unbesetzte Eckchen einer Bank und klemmte sich daneben, die Hand fest auf ihre Habseligkeiten gelegt. Es schwindelte ihr. Was war das für ein Lärmen und Geschrei! Da war kein Plätzchen unbesetzt, jeder trieb, was er wollte; hier spielten ihrer drei Karten, hier zankten zwei und drohten sich mit den Fäusten, hier saßen ein paar und beteten ihren Rosenkranz, dort hatte sich schon einer auf die Streu geworfen und schnarchte laut, da in der Ecke saß die hübsche Person im roten Unterrock, der Margret auf der Straße begegnet war, und schäkerte mit ein paar Burschen.
Ob sie die mal fragte? Die schien doch recht freundlich. Errötend trat sie näher: »Maacht Ihr aach naoch Trier zom heiligen Rock?«
»Ei jao!«
»Bleiwt Ihr de Nacht hei? Ech mechten aach gaor e su gären dao bleiwen« – sie zog ihre Groschen aus der Tasche – »dao, zaohlen kann ech – äwer allein graulen ech e su!«
Die Angeredete hatte erst ruhig zugehört, nun stieß sie einen ihrer Begleiter in die Seite, zwinkerte dem andren zu, und alle drei brachen in ein nicht endenwollendes Gelächter aus.
»Dau kannst jao bei mir bleiwen,« rief der eine Bursche und zwirbelte den Schnurrbart unternehmend in die Höh, »dann es 't dir net graulich!«
Er wollte Margret umfassen, sie stieß ihn zurück, faßte blitzgeschwind ihr Bündel und war zur Thür hinaus, so flink wie ein Eidechschen. Wie gepeitscht rannte sie von dannen; erst, als sie eine weite Strecke fort war und der Lärm des Wirtshauses längst verklungen, hielt sie hochatmend inne. –
Was nun? Zurück in's Wirtshaus zu den vielen Menschen, in den Lärm, das Geschrei? Nein, o nein! Weit lieber hier draußen unter Gottes freiem Himmel, wo die Sterne gleich freundlichen Augen herunterglitzerten und die Grillen im Grase traulich zirpten. Da stand hinter den Büschen eine niedrige Strohhütte, die gehörte wohl dem Obstpächter, der von hier aus seine Bäume bewachte. Ob jemand drinnen war? Vorsichtig guckte Margret hinein, die Hütte war leer und halb verfallen; mit einem Seufzer der Erleichterung kroch sie unter das niedrige Dach. Sie langte ihr letztes Stück Brot vor, und als das verzehrt war, schob sie ihr Bündel als Kissen unter, zog ihr Kleid über dem Kopf zusammen und schlief ein. –
Strahlend und golden stand die Sonne schon am Himmel, als Margret aus tiefem Schlaf erwachte. Verwirrt schaute sie um sich; wie ein Traum schien ihr der gestrige Tag, und sie selbst kam sich anders vor, wunderbar fremd und unbekannt. Ja, da lag das großmächtige Trier, da war die Mosel, da das Wirtshaus, aus dem sie geflohen, – und sie selbst? Ei, sie war doch die Margret, die zum heiligen Rock wanderte! Nun galt's! Hurtig schlüpfte sie hinunter zur Mosel hinter das dichte Weidengebüsch, niemand sah sie; sie streifte das Kleid ab, badete Gesicht, Hals und Arme in der frischen Flut und ließ die klaren Wellchen über ihre nackten Füße rieseln. Ihre langen Zöpfe flocht sie auf und strählte sie mit Wasser, daß sie hübsch glatt und gedrechselt hinter den rosigen Ohren lagen; nun noch den silbernen Pfeil hindurch, Schuh und Strümpfe angezogen, die köstliche Schürze vorgebunden – fertig war sie. –
Die Straße entlang zogen die Scharen von Wandrern; mancher schaute wohlgefällig hinter dem jungen Bauernmädchen drein, das schmuck und lenzesfrisch, frommen Glauben in den Augen, dem heiligen Rock entgegenging. War gestern schon Gedränge auf der Brücke, so war's heute noch tausendmal mehr. Wie ein Ameisenhaufen kribbelte und wibbelte es, die Luft erzitterte von dem eintönigen Gemurmel: »Heiliger Rock bitt' für uns.« Eine Prozession nach der anderen schob sich über die uralten Steinbogen.
»Heiliger Rock bitt für uns,« »heiliger Rock bitt für uns!« – Es summt wie ein Bienenschwarm, es wälzt sich durch die engen Gassen, die in festlichem Schmuck glänzen. Da ist kein Haus, kein Häuschen, hoch noch niedrig, in dessen Fenstern nicht bunte Teppiche hängen, Fähnchen wehen, Heiligenbilder hinter brennenden Kerzen prangen, andächtige und neugierige Zuschauer sich drängen. Je näher dem Dom, desto größer das Getriebe!« Auf den Plätzen, in den Buden preisen kreischende Verkäufer ihre Waren an: »Rosenkränze – frische Bretzeln kauft! Pilgerstäbe – leckere Wurst – Beschreibung der Domreliquien, als da sind: Zahn des Petrus, Hand der heiligen Anna, Splitter und Nagel vom Kreuz – kauft, kauft! Einzig wahre und getreue Abbildung des heiligen Rocks – unerhört billig, zehn Pfennig das Stück!« – Heiliger Rock, heiliger Rock, wohin man sieht, wohin man hört – ein ohrenbetäubender Lärm, ein sinnverwirrendes Durcheinander; und durch das Chaos von Farben und Tönen, Staub, Dunst, Betrug und Wahrheit, Glauben und Unglauben, zieht sich wie ein leitender Faden das eintönige Murmeln der Prozessionen, das dumpfe Läuten der Glocken.
Margret war schier betäubt. In einem Bäckerladen hatte sie eine Semmel verzehrt, die freundliche Frau sie zurechtgewiesen; nun stand sie verloren auf der Gasse, ihr Bündel fest unter den Arm gepreßt.
Eine neue Prozession kam daher; sie drängte sich hinter eine der letzten Frauen im Zug und strebte mit vorwärts. Die eifrig Betende sah sich unwillig um: »Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnaden, der Herr ist – Mädchen, wat willste?«
»In den Duhm, zom heiligen Rock!«
»Wat fällt der ein? Hei dat es onse Pression, kost ons vill Geld – maach, dat de wegkömmst!« Das Weib stieß sie grob mit dem Ellenbogen; vorüber zogen die frommen Beter und thränenden Auges sah ihnen Margret nach. Da gingen sie hin, die Glücklichen, die Auserkorenen! Die kamen nun zuerst dran, denen gab der heilige Rock schon alles, für sie blieb nichts mehr übrig. Und sie hatte doch eine kranke Mutter zu Haus – oh! Eilig lief sie nach.
Da war sie am Domplatz, aber eine ungeheure, viel tausendköpfige Menschenmasse trennte sie von dem grauen Portal, das, weit geöffnet, die strömenden Scharen kaum fassen konnte. Die Domschweizer in ihren roten Gewändern mit den langen Stäben standen wie feurige Cherubim am Eingang zum Paradiese und ordneten die Reihen und wiesen zurecht. Langsam schob sich die Menge vorwärts. Ganz hinten stand Margaret, eingepreßt und eingeengt. Endlich gab die Mauer vor ihr etwas nach, sie schlüpfte durch, nicht achtend der Knüffe und Stöße – nun war sie nahe am Portal – nun ging's nicht weiter, dicht gestaut stand die Menge. Da gab's kein Vor und Zurück, auch hielten die Schweizer die Stäbe vor. Keiner kam mehr durch.
Mit lautem klingendem Seufzer schlossen die Glocken; brausende Orgelklänge ertönten. Weihrauchdüfte wehten. » O vestis inconsutilis« klang's, wie von Engelstimmen gesungen, heraus aus der Kirche in die sonndurchflimmerte Luft, feierlich, getragen über die Köpfe der unabsehbaren, schauernden Gemeinde. Wie ein reifes Ährenfeld, durch das der Wind streicht, so neigten sich die Häupter; ein jeder sank in's Knie und schlug an seine Brust. » O vestis inconsutilis« kam's wie ein Hauch von tausend Lippen. Jeder lauschte in der weiten Runde. Im Dom schwieg der Gesang, man hörte die hallende Stimme des Priesters – dann ward alles still. – »Nun zeigen sie den Rock! Nun rühren sie daran!« flüsterte es um Margret. »Nun werden sie all ihre Sünden los und die Kranken gesund!« – Ach die Glücklichen! – – –
Über Margret's Wangen rollten dicke Thränen. So weit war sie gewandert mit müden Füßen, nun stand sie dicht vor der Thür und konnte nicht zum heiligen Rock. Ihre Brust hob sich in bitterlichem Schluchzen. Ein paar feingekleidete Herren neben ihr wurden aufmerksam. »Mädchen, warum weinst du?« fragte der eine ganz freundlich. Erst erschrak sie, dann stammelte sie: »Ech – ech – kommen e su weid här – owen von der Eifel – ech haon derhäm en kranke Modder – hei es er Hemd« – sie zog's ein wenig aus dem Bündel – »dat sollten dän heiligen Rock anröhren, on nau kaonn ech net erein zo em – oa Jeß – oa – oa – on nau werd mein Modder net gesond!«
Der Herr biß sich auf die Lippen und stieß seinen Gefährten an; der hielt den Hut vor's Gesicht und drehte sich rasch um. Da sagte der erste wieder: »Liebes Kind, weine nur nicht; das thut gar nicht not, daß du in den Dom kommst. Tritt nur hierher zu mir; stell dich mal auf die Zehen – siehst du da drinnen in der Kirche, vorn am Altar das Rote? Das ist der heilige Rock. Jetzt bewegt sich's – paß nur auf – siehst du ihn?«
O, das Rote, das war's? So schön grell und bunt, schier wie der Rock des Mädchens bei den Wallfahrern. Laut atmend stand Margret auf den Zehen und reckte die Hände: »Heiliger Rock – mein' Modder!«
»St,« – der fremde Herr zog sie nieder. »Siehst du wohl, nun hast du ihn gesehen, und er dich auch; hören kann er dich bis hierher. Nun bete du, was du kannst, und wenn sie drinnen im Dom wieder singen und läuten, dann wird deine Mutter gesund.«
Margret verbarg ihr Gesicht in den Händen – o, beten wollte sie schon, was sie konnte! Und sie betete aus Leibeskräften, daß ihr der Schweiß auf der Stirn perlte, betete alle Gebete, die sie gelernt hatte, und zum Schluß immer das eine: »Heiliger Rock, heiliger Rock, maach mein' Modder gesond!«
Drinnen im Dom hub wieder die Orgel an und die seligen Stimmen schwebten vom Chor: » Ecclesia missa est.« Mit einer großen Zuversicht, mit einer heiligen Freude im Herzen erhob sich Margret von den Knieen – ja, die Mutter ward gesund!
Als sie umher blickte, war von dem freundlichen Herrn nichts mehr zu sehen; die Menge zerstreute sich. Nun fühlte sie erst, wie müde und hungrig sie war. Die Kniee zitterten ihr; auch brannte die Sonne heiß und stechend und weiße Wolken ballten sich, es konnte wohl ein Wetter aufziehen.
Sie mußte ein wenig ruhen, aber nicht hier drinnen in der dunstigen Stadt, draußen vor dem Thor, im Grünen; dann wollte sie gestärkt den Heimweg antreten.
Ungehindert wanderte sie die Straßen zurück, die sie gekommen; von den letzten Groschen kaufte sie Brot und etwas Obst. Dann eilte sie mit ihren Schätzen über die alte Brücke hinaus zu den heimlichen Weiden am Moselufer. Der Lärm der Stadt blieb zurück; nichts regte sich, nichts rührte sich hier, als der Windhauch in den Büschen und die blauen surrenden Fliegen in der Luft. In der Mosel sprang ab und zu ein Fisch schnalzend in die Höhe und fiel plätschernd zurück in's erquickende Naß. Eine traumhafte Stille umwob das müde Kind; kein Glockenhall, kein Menschenruf, kein Laut der Welt.
Das Brot war verzehrt, die Früchte auch. Margret saß unter den schattenden Weidenbüschen, der Kopf sank auf den Arm – nur ein halbes Stündchen! –
Ob sie gar geschlafen und wie lange, das wußte sie nicht; ein lautes Lachen schreckte sie auf. Vor ihr standen die beiden Herren, die sie vom Dom her kannte. »Das nenne ich Glück,« meinte der eine, »so ein Gänschen trifft man nicht alle Tage! Du bist wohl sehr erleuchtet, Kleine?«
»Laß sie doch,« erwiderte der Freundliche, »sie ist zu niedlich! – Nun, liebes Kind,« sagte er darauf und faßte sie unter's Kinn, »einen Dank bist du mir aber noch schuldig. Ohne mich hättest du den heiligen Rock nicht gesehen und deine Mutter würde nicht gesund – na, was giebst du mir?«
»Och, guder Hähr,« die Kleine knixte und faßte zutraulich seine Hand, »ech danken Eich aach vill dausendmaol! On wann ech wößt, wuh Ihr wohnen däht, ech mechten Eich e su gären Tannäppel bringen zom Feier anfänken, on Beeren, on for Eier liewe Madam gären ummesunst spinnen!«
»Ich danke dir, Kind,« der Herr verzog den Mund, »das ist zu weitläufig, aber einen Kuß kannst du mir geben, oder auch zwei – he?«
»Und mir auch,« lachte der andere, »wir sind Freunde und teilen uns darein!«
Das erschrockene Mädchen starrte von einem zum andern; es zog mit der Linken seine Röcke an sich und hielt den rechten Arm abwehrend vor. »Ne – ne!«
»Doch, doch, – hab' dich nicht so, Kleine!«
Das Gesicht des Freundlichen war lange nicht mehr so nett; er streckte die Arme aus und preßte die Widerstrebende an sich. Mit einem gellenden Schrei riß sie sich los und sprang zurück.
Da rauschte es in den Büschen. Eine kräftige Männergestalt trat zwischen sie und ihre Verfolger. »Laoßt dat Mädche gehn, – auf der Stell« – der Neuangekommene schwang einen derben Knotenstock, – »oder ich ziehn' Euch eins öwer, Ihr – –.«
Die Beiden machten sofort Kehrt, etwas murmelnd von »ungeschliffenem Bauernbengel« oder dergleichen.
Margret stand wie angewurzelt, sie war so erschrocken, daß sie zitterte.
»Komm!« sagte der Bursche, und faßte nach ihrer Hand.
Willenlos folgte sie auf die Straße, die sie am Tage vorher gekommen. Eine Weile schritten sie nun nebeneinander her, ohne zu sprechen; schüchtern ruhten die Augen des Mädchens auf der Gestalt des Burschen. Wie schlank und kräftig er war, und wie hübsch kraus sein Haar, und so keck das blonde Schnurrbärtchen! Eine tiefe Röte breitete sich über Margret's Wangen; leise zog sie ihre Finger aus der sie sanft umschließenden Hand und trat hinüber auf die andere Seite der Straße. Nun gingen sie, er hüben, sie drüben; und nur zuweilen glitten die Blicke verstohlen von rechts nach links. Der Himmel hatte sich verfinstert, die stechende Sonne sich längst verkrochen; von jeweiligen Windstößen beugten sich die Bäume am Straßenrain und ließen einen Schauer von Blättern und reifen Früchten herunterfallen. Die Stadt war hinter einem Schleier von wirbelndem Staub verschwunden; ganz in der Ferne grollte leiser Donner, ängstlich flatterten die Vögel und suchten piepend ein Versteck. Die Berge fingen an, graue Nebelkappen überzuziehen, und die Luft roch nach Kühle und Regen.
»Et gitt schlächt Wedder,« meinte endlich der Bursche und sah prüfend zum Himmel auf.
Richtig! Da fiel auch schon der erste Tropfen, dick und unverschämt.
»Wuh biste här?« fragte der Bursche.
»Owen von der Eifel bei Kyllburg!«
»Zo Kyllburg sein ech aach daohäm – dat trifft sech gud, dao kennen mer zosammengiehn!«
»Da jao,« sagte Margret und atmete erleichtert auf. Ihr war recht wohl neben dem stattlichen Begleiter; nun konnte ihr keiner was anthun, nun brauchte sie sich nicht zu graulen durch die Nacht und den Wald zu gehen.
»Ech sein dän Valentin Rohles; mein Vadder es dud, ech wertschaften met meiner Modder allein – äwer die es als e su ald!«
»O jao,« sagte Margret wiederum. Sie kannte den Namen, er war einer der besten im Ort, aber den Burschen hatte sie nie gesehen; die Mädchen in Kyllburg hatten sich wohl gefreut, wenn der hübsche Rohles von den Soldaten heimkäm, aber was ging die Häuslerstochter der Bauernsohn an? Was die Mädchen in Kyllburg wohl sagen würden, wenn sie jetzt sehen könnten, wie freundlich der reiche Bursche mit der armen Margret sprach?! Sie guckte an sich nieder – war ihr Anzug auch noch schön in Ordnung? Dann sah sie mit den klaren Augen dankbar und vertrauensvoll zu ihrem Begleiter hinüber.
»Ech sein et Margret von Balduin's Häuschen! Ihr könnt dat von Kyllburg aus ald owen am Berg siehn!«
»On wat wolltste zo Trier? Biste aach zom heiligen Rock gewest?«
Ja, das war's eben! Und nun sprudelte über Margret's Lippen die ganze Geschichte ihrer Leiden und Freuden; es that ihr so gut, einer Menschenseele anzuvertrauen, was ihr Herz belastete und bewegte. Im Eifer der Rede kam sie von ihrer Straßenseite herüber, dicht neben den Burschen, und legte mehr als einmal die braunen verarbeiteten Finger auf seinen feinen blauen Tuchrockärmel. »Äwer eweil es ales gud,« schloß sie, »mein' Modder wird gesond – o du heiliger Rock!« Sie jauchzte vor Freuden und hüpfte wie ein Reh über die Pfützen der Straße.
Sie hatte nicht acht, daß während ihrer Erzählung mehr als einmal ein halb spöttisches, halb gutmütiges Lächeln um die Lippen ihres Zuhörers glitt. Er räusperte sich zuweilen; seine Augen sahen mit merkwürdig schelmischem Zwinkern auf sie nieder, um dann fest auf ihrem vom Eifer geröteten, lieblichen Gesicht zu ruhen. Die offenen braunen Augensterne und die schalkhaften blauen begegneten sich in einem langen Blick; sie hafteten in einander, bis das Mädchen, plötzlich errötend, die seinen niederschlug, und der Bursche mit verlegenem Schmunzeln sagte:
»Bis en gudes Mädchen, Margret, gieb mer als immer widder dein Hand!«
Es regnete stärker, ja es goß. Margret schlug ihren Rock über den Kopf und hielt ihn fest zusammen. Was war natürlicher, als daß der Bursche den Arm um ihre Schultern legte und sie leitete, ging sie doch halb blind durch die Welt, und einzig und allein die Nasenspitze guckte wie ein rosiger Punkt aus der schwarzen Umhüllung.
Der Abend dämmerte schon; früher als sonst sank er nieder in Wolken- und Regenschauern. Der Boden war aufgeweicht und klebte an den Sohlen, aber trotz alledem war's nicht häßlich zu wandern; der Bursche machte große Schritte, und die Mädchenfüße eilten vergnügt, wie beschwingt, nebenher. Was schadeten Dunkelheit und Nässe, wenn sich's so behaglich schwatzte! Und in ihren Herzen saß eine heimliche große Freude, die vor den Füßen herlief, den Weg mit Rosen bestreute und den grauen Himmel blau anglänzte. Die ganze schmutzige, verregnete Welt schien zum leuchtenden Paradiesgarten umgewandelt. Was der heilige Rock nicht alles schafft! –
Stunden flossen vorüber. In dem einsamen Wirtshaus, das an der Wegscheide liegt, wo der Eifelbewohner die Mosel verläßt, um aufwärts in seine Berge zu steigen, kehrten sie ein. Seit Mittag waren sie nun gewandert; Margret biß mit Wonne in ein kräftiges Butterbrot und trank in langen Zügen aus dem Glase, das ihr der Bursche hinhielt. Wie das schmeckte! Der feurige Landwein rollte ihr erwärmend durch die Glieder und versetzte sie in einen seligen Taumel.
Der Valentin sagte: »De kannst als immer ›du‹ for mech saon!«
Das that sie denn auch; so leicht und flüssig glitt das ›du‹ über die Lippen, als hätte sie's ihr Lebtag gesagt.
Nachdem sie eine Stunde gerastet, brachen sie wieder auf. Der Regen hatte aufgehört, die volle Mondscheibe schimmerte mit hellem Licht hinter zerrissenen Wolken. Der Weg wurde steinig und mühsam; große Furchen hatte das strömende Wasser in's Erdreich gerissen, der Fuß rutschte aus, mehr als einmal mußte der kräftige Arm des Mannes das strauchelnde Mädchen umschlingen.
Margret wurde sehr müde, ihr Plaudern hatte aufgehört; wie ein verschüchtertes Vögelchen duckte sie sich an den starken Gefährten. Wie gut der war! Er führte sie wie ein Kind, er hob sie über Wasser und Steine, und ab und zu sprach er tröstend: »Bal sein mer derhäm!« Das ›Bald‹ war eigentlich ›Rechtlange‹; zuletzt trug er sie mehr als er sie führte. Margret empfand alles wie im Traum; sie hielt die Augen geschlossen, sie dachte in seligem Vertrauen, es gehe so in die Ewigkeit weiter. Sie fuhr fast erschrocken zusammen, als der Bursche plötzlich stehen blieb und mit der Hand in einige Entfernung wies, wo dunkle Massen sich aus grauem Nebel abhoben und hie und da noch ein Lichtlein glänzte.
»Kyllburg!«
Sie schlugen den schmalen Pfad seitab und bergaufwärts ein; Margret war wieder wach. Hier der Weg, der führte zur einsamen Hütte droben auf kahler Höh', bald war sie zu Haus, die alte Margret – und der Traum hatte ein End'! Sie eilte nun vor dem Burschen her, hier kannte sie jeden Tritt, jeden Stein, jedes Rinnsal. In ihrem Herzen ging es hin und her, auf und nieder, Bedauern und Freude; Bedauern um's Scheiden von dem Begleiter, Freude auf's Wiedersehen mit der Mutter. Sie wußte selbst nicht, wie das so seltsam war.
Nun hielten sie inne. Da war die Hütte, dunkel und still, mit dem Grasrain davor und den dicken Sonnenblumen; da stand der Brunnen und der verfallene Ziegenstall, und der Mond übergoß alles mit silbernem Licht.
»Ech danken der aach vill dausendmaol,« sprach sie leise und griff nach der Hand des Burschen.
Der war merkwürdig still geworden; nun sagte er: »Hm – dau – hm. Dem Hähr unnen zo Trier wolltste ke Küßche geben, äwer mir könntste doch – Margret, wat maanste?!«
Halb lächelnd, halb bittend beugte er sich nieder zu ihrem Gesicht. Ja, was war denn das?! Margret, die kleine schüchterne Margret schlang beide Arme um seinen Hals und gab ihm einen rechten, echten, wahrhaftigen Kuß, mitten auf den Mund! Dann riß sie sich los und sprang in die Hüttenthür.
Der Bursche stand auf dem feuchten Rasen und wartete, bis drinnen in Balduin's Häuschen ein Lichtlein erglommen. Dann sprach er laut und fest vor sich hin: »Die will ech!«
So endigte Margret's Wallfahrt.