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Das Gig flog, von den sechs starken Ruderern geführt, pfeilschnell auf den Wassern der Rhede dahin; der Nebel verdichtete sich mehr und mehr, und James Playfair konnte sich nur mit großer Mühe auf der Linie seiner Aufnahmen halten. Crockston hatte sich vorne in's Boot gestellt, und Mr. Halliburtt saß hinten, neben dem Kapitän; er hatte in der ersten Ueberraschung, seinen Diener wiederzufinden, mit ihm sprechen wollen, es war ihm jedoch dringend Schweigen geboten.
Als aber das Boot einige Minuten später auf hoher Rhede war, entschloß sich Crockston zu sprechen; er wußte wohl, wie so manche Fragen sich jetzt in Mr. Halliburtt's Innern drängen mußten.
»Ja, mein lieber Herr, begann er jetzt, unser Kerkermeister befindet sich in diesem Augenblick in meiner Zelle; er brachte mir mein Abendessen, und ich war so undankbar, ihm dafür zwei tüchtige Faustschläge, einen in's Genick und einen auf den Magen als Narcoticum zu verabreichen. Darauf habe ich mir seine Kleider und das Schlüsselbund angeeignet und mich daran gemacht, Sie aufzusuchen, was mir auch alsbald gelang. Wie ich Sie dann vor den Augen der Soldaten fort und aus der Citadelle führte, brauche ich nicht weiter zu erzählen. Die ganze Sache machte sich sehr leicht und einfach.
– Und meine Tochter? fragte Mr. Halliburtt.
– Miß Jenny erwartet uns an Bord des Schiffes, das uns jetzt nach England bringen soll.
– Wie! meine Tochter ist hier? sie erwartet mich? rief der Amerikaner und sprang in großer Erregung von seinem Sitz auf.
– Ruhig, Mr. Halliburtt! mahnte Crockston. Noch wenige Minuten, und wir sind gerettet.«
Das Boot schoß mit großer Schnelligkeit, aber ein wenig auf's Gerathewohl, durch die Finsterniß dahin, denn James Playfair konnte die Laterne des Delphin nicht bemerken; er war zweifelhaft über seine Richtung, und die Dunkelheit war so dicht, daß die Matrosen nicht das Ende ihrer Ruder erkennen konnten.
»Nun, Herr James? fragte Crockston.
– Wir müssen bereits über anderthalb Meilen zurückgelegt haben. Siehst Du nichts, Crockston?
– Nein, und ich habe doch scharfe Augen. Aber ich habe keine Sorge, wir werden schon ankommen ... und in der Citadelle haben sie noch keine Ahnung ...«
Crockston hatte seine Worte noch nicht beendet, als plötzlich eine Rakete in die Luft emporzischte und hoch oben verschwand.
– Ein Signal! rief James Playfair.
– Teufel! flüchte Crockston, das muß von der Citadelle ausgehen.«
Eine zweite, und gleich darauf eine dritte Rakete stiegen in derselben Richtung auf wie die erste, und alsbald wurde dasselbe Signal eine Meile vor dem Boot wiederholt.
»Das kommt von dem Fort Sumter, rief Crockston, und bedeutet, daß ein Gefangener entflohen ist. Schnell darauf los gerudert. Alles ist entdeckt!
– Holt fest an, Matrosen! feuerte James Playfair seine Leute an. Die Raketen haben mir die Fahrstraße erhellt, und ich habe den Delphin in einer Entfernung von kaum achthundert Yards Etwa 700 Meter. bemerkt. Halt! jetzt höre ich auch die Schiffsglocke. Tüchtig darauf los; wenn wir in fünf Minuten an Bord sind, sollen zwanzig Pfund Euer sein.«
Die Matrosen fuhren in größter Schnelligkeit mit dem Gig davon; es schien fast über die Fluthen hinzuschweben. Aller Herzen schlugen heftig. Soeben war ein Kanonenschuß von der Stadtseite her abgefeuert, und Crockston hörte mehr als er sah, wie ein Körper auf zwanzig Faden Entfernung von dem Boot schnell vorbei fuhr. Es mußte eine Kugel gewesen sein.
Nun begann die Glocke des Delphin aus voller Macht zu läuten; das Boot näherte sich – noch wenige Ruderschläge, und man legte bei. Einige Secunden darauf sank Jenny ihrem Vater in die Arme.
Das Gig wurde sofort aufgehißt, und James Playfair stürzte auf das Verdeck.
»Herr Mathew, haben wir vollen Dampfdruck?
– Ja, Herr Kapitän.
– Lassen Sie das Ankertau durchhauen, und dann mit größtmöglicher Schnelligkeit vorwärts!«
Wenige Minuten später trieben die beiden Schrauben den Dampfer nach dem Hauptfahrwasser und brachten ihn so aus der gefährlichen Nähe des Fort Sumter.
»Wir können nicht daran denken, das Fahrwasser der Insel Sullivan zu wählen, erklärte James Playfair dem Obersteuermann Mr. Mathew; wir würden direct durch das Feuer der Conföderirten müssen. Fahren wir also möglichst nahe an der rechten Rhede hin, und lassen wir uns eine Salve von den Batterien der Nordstaatlichen gefallen. Haben Sie einen zuverlässigen Mann am Steuer?
– Ja, Herr Kapitän.
– Lassen Sie die Laternen und die Schiffslichter auslöschen; wir führen schon zu viel, viel zu viel Licht an dem Reflex der Maschine mit uns; das aber können wir nicht ändern.«
Während dieser Unterredung fuhr der Delphin mit fast unglaublicher Schnelligkeit dahin; als er jedoch schwenken mußte, um die rechte Seite von Charleston-Harbour zu erreichen, mußte er einem Seegatt folgen, das ihn für kurze Zeit wieder in die Nähe von Fort Sumter brachte, und er befand sich keine halbe Meile von dem gefährlichen Punkt entfernt, als es plötzlich in allen Schießscharten des Forts aufleuchtete, und mit entsetzlichem Getöse ein eiserner Orkan über den Steamer hinwegfegte.
»Zu früh, Ihr Hauptkerle, zu früh! rief James Playfair und lachte laut auf. Vorwärts! Herr Ingenieur! wir müssen zwischen zwei Feuern hindurch.«
Die Heizer schürten von Neuem die Gluth, und der Delphin erzitterte unter den Anstrengungen der Maschine, als wollte er von einander bersten.
In diesem Moment ließ sich ein zweites Krachen hören, und ein neuer Hagel von Projectilen pfiff hinter dem Steamer her.
»Zu spät, Ihr Dummköpfe!« rief der junge Kapitän mit Donnerstimme.
Crockston stand gleichfalls auf dem Deckzimmer und rief wohlgemuth:
»Eins wäre passirt. Nur noch ein paar Minute, und wir sind mit den Conföderirten fertig.
– Du scheinst zu glauben, daß wir von dem Fort Sumter nichts mehr zu fürchten haben? fragte James.
– Ja, aber dafür Alles von dem Fort Moultrie am äußersten Ende der Insel Sullivan. Von dort aus droht uns jedoch nur eine halbe Minute lang Gefahr, und wenn man uns treffen will, muß der geeignete Augenblick wahrgenommen und richtig gezielt werden; wir kommen nahe.
– Gut! die Lage des Fort Moultrie wird uns gestatten, gerade in das Hauptseegatt einzulaufen! Also Feuer! Feuer!«
Im nämlichen Augenblick, und als ob James Playfair das Feuer selbst commandirt hätte, wurde das Fort von einem dreifachen Blitz erhellt. Man vernahm ein furchtbares Getöse, und gleich darauf krachte es gewaltig an Bord des Steamers.
»Dies Mal haben sie getroffen! meinte Crockston.
– Herr Mathew, was giebt's? rief der Kapitän seinem Obersteuermann, der auf dem Verdeck stand, zu.
– Der Klüverbaum in See.
– Haben wir Verwundete?
– Nein.
– Nun, dann zum Teufel mit dem Mastwerk; gerade in das Fahrwasser! gerade! und steuern Sie auf die Insel zu.
– Die Sklavenhalter geprellt! rief Crockston; wenn wir schon Kugeln in unser Gerippe bekommen sollen, wollen wir nordstaaatliche haben; die sind leichter zu verdauen!«
Wirklich war die Gefahr noch nicht vorüber, denn wenn auch die größten Geschützbatterien erst einige Monate später auf die Insel Morris gebracht wurden, so konnten die dort befindlichen Kanonen und Mörser ein Schiff wie den Delphin doch mit Leichtigkeit in den Grund bohren.
Die Nordstaatlichen auf der Insel so wie auch die Blokadeschiffe waren durch die Salven auf den Forts Sumter und Moultrie alarmirt worden. Die Belagerer konnten zwar nichts von diesem nächtlichen Angriff, der nicht ihnen zu gelten schien, begreifen, sie mußten sich jedoch bereit halten, ihn zu erwidern, und hielten sich dazu bereit.
Das Alles bedachte James Playfair, als er in dem Fahrwasser der Insel Morris vorwärts dampfte, und er hatte Grund zur Besorgniß, denn nach Ablauf einer Viertelstunde wurde hier und da die Finsterniß von Lichtern erhellt, und ein Schauer kleiner Bomben fiel um den Steamer nieder, so daß das Wasser hoch auf und bis über seine Verschanzungen spritzte. Einige dieser Geschosse fielen sogar auf dem Verdeck des Delphin nieder, aber glücklicher Weise mit ihrer Grundfläche nach unten, so daß die furchtbare Gefahr für das Schiff vorüberging.
Eigentlich wurden diese Bomben in der Absicht geschleudert, daß sie in hundert Stücke zerspringen und dann eine Fläche von hundertundzwanzig Quadratfuß mit einem griechischen Feuer bedecken sollten, das durch nichts zu löschen war und zwanzig Minuten lang brannte. Eine einzige dieser Bomben hätte ein Schiff in Brand stecken können, wenn sie sich nämlich bewährten; zum Glück für den Delphin aber waren sie erst neuerdings erfunden und noch sehr unvollkommen construirt. Wenn die Bomben in die Luft geschleudert waren, hielt eine falsche Rotationsbewegung sie mit dem Boden nach unten geneigt, so daß sie mit der Grundfläche niederschlugen und nicht mit der Spitze, in welcher der ganze Percussionsapparat enthalten war. Einzig und allein dieser Constructionsfehler rettete den Delphin von einem gewissen Verderben. Der Fall dieser an und für sich nicht besonders gewichtigen Bomben verursachte dem Schiffe keinen großen Schaden, und er setzte unter dem Druck des übertriebenen Dampfes seinen Weg rüstig fort.
In diesen gefährlichen Augenblicken nahten sich dem Kapitän trotz seiner gegentheiligen Befehle Mr. Halliburtt und dessen Tochter. James Playfair wollte Beide nöthigen, wieder in die Cajüte zurückzukehren, aber umsonst – Jenny bestand darauf, zur Seite des Kapitäns bleiben zu wollen.
Mr. Halliburtt hatte soeben von Jenny erfahren, wie großherzig und voller Edelmuth sein Retter sich gegen sie gezeigt habe; er drückte dem Kapitän nur schweigend die Hand.
Der Delphin dampfte nun mit enormer Geschwindigkeit dem hohen Meere zu; er hatte nur noch drei Meilen in diesem Fahrwasser zurückzulegen, um in die Fluthen des Oceans zu gelangen; zeigte sich sein Weg an der Einfahrt frei, so war er gerettet. James Playfair kannte, wie schon erwähnt, alle Geheimnisse der Bucht von Charleston auf das Genaueste, und er lenkte mit unvergleichlicher Sicherheit sein Schiff durch Finsterniß und Klippen. Schon glaubte er, die Gefahren seiner kühnen Unternehmung überwunden zu haben, als ein Matrose vom Hinterdeck herrief:
»Ein Schiff!
– Wo? fragte James.
– An Backbord.«
Der Nebel war gestiegen, und man konnte in Folge dessen eine große Fregatte bemerken, deren Manoeuvres augenscheinlich darauf gerichtet waren, das Fahrwasser zu versperren und dem Delphin ein Hinderniß in den Weg zu legen. Man mußte sie unter jeder Bedingung an Schnelligkeit überholen, und um dies zu ermöglichen, die Maschine zu noch größerer Geschwindigkeit bringen. Gelang dies nicht, so war Alles verloren.
»Holen an Steuerbord! ganz!« donnerte der Kapitän. Dann stürzte er auf die Brücke über der Maschine. Er ließ hier eine der Schrauben hemmen und schwenkte nun mit fabelhafter Geschwindigkeit in so kurzem Radius, daß es schien, als habe der Delphin sich um sich selbst gedreht. Auf diese Weise hatte er vermieden, auf die nordstaatliche Corvette zu stoßen, und rückte, genau wie sie, nach dem Eingange in das Fahrwasser vor. Jetzt war der Sieg nur noch eine Frage des Wettrennens, und James Playfair sagte sich, daß die glückliche Lösung derselben mit der Rettung Jenny's, seiner selbst und der ganzen Mannschaft identisch sei.
Die Fregatte war dem Delphin noch um ein Bedeutendes voraus, aber man sah an den Strömen schwarzen Rauchs, die seinen Schornsteinen entströmten, welche Kraft er einzusetzen gedachte, um sie zu überholen. Kapitän James Playfair war nicht der Mann danach, ohne heißen Kampf zu unterliegen.
»Wie steht's? schrie er dem Ingenieur zu.
– Auf dem Maximum des Drucks, antwortete Mr. Mathew; der Dampf entweicht durch alle Ventile.
– Belasten Sie die Ventile«, befahl James Playfair.
Das Commando wurde ausgeführt, und zwar auf die Gefahr hin, das ganze Fahrzeug in die Luft zu sprengen.
Der Delphin begann noch schneller dahinzuschießen; die Kolbenstöße folgten sich mit entsetzlicher Hast; alle Grundplatten der Maschine bebten unter den Stößen, die einander überstürzten – es war ein Moment, in dem auch das ruhigste, kühlste Herz erzittern mußte.
»Das Feuer forcirt, noch immer mehr forcirt« rief James Playfair.
– Unmöglich, entgegnete der Ingenieur, die Ventile sind hermetisch verschlossen und unsere Feuer voll bis oben hin.
– Füllen Sie sie mit weingeistgetränkter Baumwolle; wir müssen um jeden Preis an dieser verwünschten Fregatte vorbei und sie überholen!«
Bei diesem Befehl sahen die unerschrockensten Matrosen einander an, aber sie zögerten nicht, ihn auszuführen. Einige Ballen Baumwolle wurden in den Maschinenraum hinuntergeworfen, einem Fasse Weingeist der Boden ausgeschlagen und dieser Brennstoff dann, nicht ohne Gefahr, in die weißglühenden Feuerschlünde eingeführt. Das Brüllen des Feuers war bereits so stark, daß die Heizer einander nicht mehr verstehen konnten; die Feuerthüren wurden weißglühend; die Kolben flogen auf und nieder wie an einer Locomotive; die Manometer Dampfdruckmesser. gaben eine fast unglaubliche Spannung an.
Der Steamer flog über die Wellen dahin; seine Fugen krachten, seine Schornsteine spieen Flammenströme empor, die sich mit den Rauchwirbeln vermischten; der Delphin wurde von einer rasenden, wahnsinnigen Schnelligkeit fortgerissen, der Raum zwischen ihm und der Fregatte verringerte sich, schwand dann gänzlich, und jetzt ging der Steamer an dem feindlichen Schiff vorbei – er hatte es überholt.
»Gerettet! jubelte der Kapitän.
– Gerettet!« frohlockte triumphirend die Mannschaft.
Schon war der Leuchtthurm von Charleston im Südwesten nicht mehr deutlich sichtbar, der Glanz seines Feuers erbleichte, und man fing an zu glauben, daß alle Gefahr überstanden sei, als eine Bombe, die von einem auf hoher See kreuzenden Kanonenboot abgefeuert war, pfeifend durch die Finsterniß dahinfuhr. Man konnte an dem Zünder, der eine Feuerlinie hinter sich zurückließ, ihre Spur verfolgen, und es war dies ein Moment der Angst, der jeder Schilderung spottet, Niemand sprach ein Wort oder ließ einen Ausruf der Furcht oder des Schreckens hören; aber die verstörten Augen hingen mit furchtbarer Erwartung an der von dem Projectil beschriebenen ballistischen Curve. Man konnte nichts thun, um dem Geschoß auszuweichen, und nach Verlauf einer halben Minute fiel es mit entsetzlichem Geräusch auf das Verdeck des Delphin nieder.
Die Seeleute flüchteten in namenlosem Schrecken nach dem Hinterdeck, und Keiner von ihnen wagte, sich der Bombe auch nur um einen Schritt zu nähern, während der Zünder mit unheimlichem Knistern weiter brannte.
Da lief ein einziger Mann muthig auf die furchtbare Zerstörungsmaschine los, nahm die Bombe, die tausend Funken aus ihrem Zünder hervorsprühte, in seine kräftigen Arme und schleuderte sie mit übermenschlicher Anstrengung über Bord. Dieser Mann war Crockston.
Kaum hatte das Projectil die Oberfläche des Wassers erreicht, als ein entsetzlicher Krach erfolgte.
»Hurrah! Hurrah!« schrie enthusiastisch die ganze Mannschaft des Delphin, Crockston aber stand vergnügt bei Seite und rieb sich die Hände.
Einige Zeit darauf durchfuhr der Steamer rasch die Wasser des Atlantischen Oceans; die amerikanische Küste verschwand in der Finsterniß, und die Feuer, die sich fern am Horizont kreuzten, verkündeten, daß zwischen den Batterien der Insel Morris und den Forts von Charleston-Harbour ein größerer Angriff stattfand.