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Am folgenden Morgen, wir hatten Sonnabend, den 30. März, war das Wetter schön und ruhig; eine schwache Brise hatte sich aufgemacht. Die kräftig geschürten Feuer steigerten den Druck; die Schraube lieferte sechsunddreißig Umdrehungen in der Minute, und die Schnelligkeit des Great-Eastern überstieg jetzt zwölf Knoten.
Der Wind hatte nach Süden umgesetzt, und der Obersteuermann ließ die beiden Focksegel und das Besansegel aufspannen. Das besser gestützte Steamschiff rollte jetzt gar nicht mehr. Durch den schönen, sonnenhellen Himmel angelockt, fanden sich auf den Boulevards bald Damen in frischen Toiletten und muntere Kinder ein. Die Ersteren gingen spazieren, oder setzten sich – fast hatte ich gesagt »auf den schattigen Rasen unter die Bäume« –, und die Letzteren nahmen ihre seit zwei Tagen unterbrochenen Belustigungen wieder auf. Fröhliche Knaben spielten im wilden Galop Pferdchen, und wenn noch einige französische Soldaten mit den Mützen auf dem Hinterkopf und den Händen in den Taschen umhergeschlendert wären, hätte man sich auf einen französischen Promenadenplatz versetzt glauben können.
Um drei Viertel auf zwölf stiegen Kapitän Anderson und zwei Officiere auf die Brücken; das Wetter war zu Beobachtungen sehr günstig, und sie wollten dies benutzen, um die Höhe der Sonne aufzunehmen. Jeder der Herren hielt einen Spiegelsextanten in der Hand, und von Zeit zu Zeit visirten sie den südlichen Horizont, nach welchem die geneigten Spiegel ihres Instruments das Tagesgestirn überführen sollten.
»Zwölf Uhr«, sagte bald darauf der Kapitän.
Sofort ließ ein Steuermann die Schiffs-Uhr schlagen, und alle Uhren an Bord wurden nach der Sonne regulirt, deren Meridian-Durchgang soeben aufgenommen war.
Eine halbe Stunde später las man an der Thür des großen Saales folgende Beobachtung:
Lat. 51° 10' N.
Long. 24° 13' W.
Course: 227 Miles. Distance: 550.
Wir hatten also seit dem gestrigen Tage um zwölf Uhr zweihundertsiebenundzwanzig Meilen zurückgelegt. In Greenwich war es in diesem Augenblick ein Uhr neunundvierzig Minuten, und der Great-Eastern befand sich fünfhundertundfünfzig Meilen von Fastenet. Das Wetter blieb andauernd heiter; alles leuchtete und glänzte bei dem Prangen der unverhüllten Sonne.
Diesen ganzen Tag bekam ich Fabian nicht zu Gesicht, und mehrmals näherte ich mich, von Besorgniß um ihn getrieben, seiner Cajüte und überzeugte mich, daß er dieselbe nicht verlassen hatte.
Wahrscheinlich war ihm das lebhafte Treiben auf dem Verdeck nicht angenehm, und er floh vor dem Tumult in die Einsamkeit seiner Cajüte. Ich traf jedoch seinen Freund, den Hauptmann Corsican, und ging etwa eine Stunde lang mit ihm spazieren. Es war viel unter uns von Fabian die Rede, und ich konnte mich nicht enthalten, dem Hauptmann zu erzählen, was sich gestern gegen Abend zwischen Mac Elwin und mir zugetragen hatte.
Corsican konnte bei meinen Worten nicht ganz seine Bewegung verbergen: »Vor noch nicht zwei Jahren hielt er sich für den glücklichsten Menschen auf der weiten Welt, und jetzt ist er der unglücklichste.«
Und nun theilte mir Archibald Corsican mit wenigen Worten mit, daß Fabian in Bombay die Bekanntschaft eines reizenden jungen Mädchens gemacht habe, dem er seine innige Liebe schenkte, und die ihn ebenso wieder liebte. Nichts schien sich einer Heirat der jungen Leute entgegenzustellen, als plötzlich ein anderer, vom Vater der Braut begünstigter Bewerber, der Sohn eines Geschäftsfreundes aus Calcutta, auftauchte und den Sieg über Fabian davontrug. Nicht etwa, daß Liebe von Seite des Bräutigams oder gar der Braut mit in's Spiel gekommen wäre! Das Ganze wurde von allen Theilen als eine Geschäftssache betrachtet; Hodges, ein harter, wenig liebenswürdiger Mensch, befand sich gerade in einer sogenannten Geschäftsklemme, und hoffte, daß diese Heirat Vieles wieder in's Geleise bringen würde. So opferte er ohne weitere Bedenken das Glück der Tochter seinen Vermögensinteressen, und das arme Kind konnte nicht widerstehen. Man gab ihre Hand einem Manne, der ihr zuwider war, und von dem sie sehr wahrscheinlich nicht einmal geliebt wurde; es war eben ein Geschäft, und noch dazu ein schlechtes Geschäft. Am Tage nach der Hochzeit verließ das junge Paar Bombay, und von dieser Stunde an hat Fabian, der vor Schmerz außer sich gerieth und ernstlich erkrankte, den Gegenstand seiner Liebe niemals wieder gesehen.
Als ich dies Alles gehört hatte, begriff ich wohl, daß das Leiden, an dem mein Freund krankte, ein sehr schweres sein mußte.
»Wie war der Name jenes jungen Mädchens? fragte ich.
– Ellen Hodges.
– Ellen! Dieser Name erklärte mir die Buchstaben, welche Fabian gestern im Kielwasser zu sehen glaubte.
– Und wie heißt der Gatte der armen Frau?
– Harry Drake.
– Drake! rief ich überrascht; aber dieser Mensch ist ja an Bord!
– Harry Drake hier auf dem Great-Eastern? wiederholte Corsican, indem er mich mit Hand festhielt und mir in's Gesicht schaute.
– Ja, allerdings.
– Nun so gebe der Himmel, daß er und Fabian sich nicht begegnen, bemerkte der Hauptmann ernst. Glücklicherweise kennen sie einander kaum, oder vielmehr Fabian kennt Harry Drake nicht; er würde jedoch rasend werden, wenn man diesen Namen in seiner Gegenwart ausspräche.«
Ich erzählte nun Hauptmann Corsican, was ich von Harry Drake wußte, d. h. was mir der Doctor Dean Pitferge über ihn mitgetheilt hatte. Ich schilderte ihn als einen unverschämten Abenteurer und Scandalmacher, durch Spiel und Ausschweifungen ruinirt, und im Stande Alles zu thun, um das Glück zu erjagen. In diesem Augenblick kam Harry Drake in unsere Nähe, und ich machte den Hauptmann auf ihn aufmerksam. In Corsican's Augen leuchtete es wild auf, und eine Zornesader schwoll auf seiner Stirn. Er wollte unwillkürlich eine drohende Geberde gegen den Schurken machen, aber ich hielt ihn noch rechtzeitig hiervon zurück.
»Der Kerl hat die ausgeprägteste Galgenphysiognomie, sagte er; wohin reist er?
– Man sagt nach Amerika, um dem Zufall abzutrotzen, was er durch Arbeit nicht erringen mochte.
– Arme Ellen! flüsterte der Hauptmann. Wo ist sie in diesem Augenblick?
– Vielleicht hat der Elende sie verlassen!«
– Wie so? Ist sie nicht mit an Bord?«
An diese Möglichkeit hatte ich noch nicht gedacht; ich wies den Gedanken indessen sofort zurück. Ellen konnte nicht unter den Passagieren sein; sie wäre dem forschenden Auge des Doctor Pitferge sonst nicht entgangen. Nein, gewiß; sie begleitete Drake auf dieser Reise nicht.
»Möchte Ihre Annahme richtig sein! entgegnete Corsican; der Anblick dieses armen, in so großes Elend gestürzten Opfers würde Fabian furchtbar ergreifen und könnte von den unberechenbarsten Folgen sein. Mac Elwin wäre ganz der Mann dazu, diesen Drake niederzuschlagen wie einen Hund. Da Sie wie auch ich Fabian's Freund sind, möchte ich mir einen Vorschlag in dieser Angelegenheit erlauben. Wir wollen uns das Wort darauf geben, ihn nie aus den Augen zu verlieren, so daß einer von uns immer bereit ist, zwischen ihm und seinem Nebenbuhler zu interveniren. Sie werden mich verstehen, wenn ich sage, daß eine Begegnung mit den Waffen in der Hand zwischen diesen beiden Männern unter jeder Bedingung vermieden werden muß. Verbietet ja hier wie überall das Gesetz einer Frau, den Mörder ihres Gatten zu heiraten, mag dieser auch noch so unwürdig gewesen sein.«
Ich begriff die Schlußfolgerung des Hauptmann Corsican sehr wohl; Fabian durfte hier nicht sein eigener Anwalt sein. Man mußte diesem »Vielleicht«, diesen möglicherweise kommenden Ereignissen aus weiter Ferne entgegensehen und sie in Berechnung ziehen. Eine Ahnung stieg in mir auf; konnte in diesem gemeinsamen Leben an Bord, bei diesen tagtäglich wiederkehrenden Begegnungen, die auffallende, lärmende Persönlichkeit Drake's meinem Freunde überhaupt entgehen? mußte nicht im Lauf der Zeit ein Zufall, eine Einzelheit, ein ausgesprochener Name, ein Nichts vielleicht den verhängnißvollsten Zusammenstoß herbeiführen? Ach, wie sehr hätte ich den Lauf unseres Schiffes beschleunigen mögen! Bevor ich mich von dem Hauptmann Corsican trennte, versprach ich ihm, über unseren Freund zu wachen und Drake zu beobachten, den auch er seinerseits nicht aus dem Gesicht verlieren wollte.
Gegen Abend trieb der Südwestwind den Nebel auf dem Ocean dichter zusammen, und die tiefe Dunkelheit auf dem Meere contrastirte eigenartig mit den glänzend erleuchteten Sälen, aus denen abwechselnd Romanzen und Walzer erschallten. Nach jeder Production ertönte lebhafter Applaus, der sich zu einem wahren Beifallssturme erhob, wenn der Possenreißer T.... am Clavier saß und mit den Allüren eines Coupletsängers seine Lieder »abpfiff«.