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Bald war die ganze Mannschaft in Miß Halliburtt's Geschichte eingeweiht, denn Crockston nahm keinen Anstand, sie überall zu erzählen. Er war auf Befehl des Kapitäns von dem Gangspill losgebunden worden und hatte mit großer Befriedigung gesehen, wie die neunschwänzige Katze wieder in ihre Behausung zurück kroch.
»Ein nettes Thierchen, meinte er – besonders wenn es schläft!«
Sobald der treue Diener wieder auf freien Fuß gesetzt war, stieg er in die Matrosenkammer hinab, nahm ein kleines Felleisen und überbrachte es Miß Jenny; das junge Mädchen konnte nun wieder Frauenkleider anlegen, blieb aber heute den ganzen Tag in ihrer Cajüte eingeschlossen und erschien nicht wieder auf Deck.
Was Crockston's Seemannsdienste anbetraf, so war es an den Tag gekommen, daß er nicht mehr davon verstand, als der erste, beste Stallknecht; man mußte wohl oder übel darauf verzichten, daß er sich an Bord nützlich machte.
Indessen durchdampfte der Delphin mit großer Schnelligkeit den Atlantischen Ocean; seine beiden Schrauben durchwühlten die Fluthen mit ungeheurer Macht, und die Wache an Bord wurde mit großer Vorsicht und Aufmerksamkeit versehen. Am Tage nach der geschilderten Scene, die das Incognito der Miß Jenny verrieth, ging Kapitän James Playfair schnellen Schrittes auf der Brücke auf und ab. Er hatte keinen Versuch gemacht, sich dem jungen Mädchen wieder zu nähern oder die Unterhaltung vom vorigen Tage mit ihr wieder aufzunehmen.
Während seines Spaziergangs bemerkte er, daß Crockston ihm wieder und immer wieder in den Weg kam und ihn mit einer Grimasse unverkennbarer Befriedigung angrinste. Augenscheinlich wünschte er mit dem Kapitän zu plaudern, denn er zeigte eine Beharrlichkeit ihn anzustarren, die diesen endlich verdroß.
»Was, zum Teufel, willst Du von mir? redete er ihn endlich an; der Kerl dreht sich um mich herum, wie ein Schwimmer um die Boje! was soll das heißen?
– Nehmen Sie's nicht für ungut, Herr Kapitän, sagte Crockston blinzelnd und zog seinen Mund von einem Ohr bis zum andern, ich hätte Ihnen wohl etwas zu sagen.
– Nun, wird's bald?
– O, Herr Kapitän, es ist nichts Besonderes; ich wollte Ihnen nur einmal rundheraus sagen, daß Sie im Grunde ein wackerer Mann sind.
– So! warum denn im Grunde?
– Im Grunde und auch auf der Oberfläche, Herr Kapitän.
– Es ist gut, Du kannst Dir Deine Complimente sparen.
– Keine Complimente, Herr Kapitän; die werde ich Ihnen erst machen, wenn Sie Alles fertig gebracht haben.
– Wie denn «Alles fertig»?
– Nun, wenn Ihre Aufgabe zu Ende ist, meine ich, Herr Kapitän.
– So! ich hätte also eine Aufgabe zu erledigen?
– Natürlich, Herr Kapitän! Sie haben mich und das Fräulein an Bord aufgenommen – gut. Sie haben Miß Halliburtt Ihre Cajüte gegeben – gut, sehr gut! Sie haben mir das Kätzchen geschenkt – sehr angenehm, ganz ausgezeichnet, Herr Kapitän! Sie wollen uns direct nach Charleston fahren; das ist herrlich! aber Alles ist das noch nicht, Herr Kapitän.
– Wie, noch nicht Alles? rief James Playfair, über solch anspruchsvolles Gebahren erstaunt.
– Gewiß nicht, Herr Kapitän, entgegnete Crockston mit seinem listigen Blinzeln; der Vater von Fräulein Jenny wird da unten gefangen gehalten.
– Nun, und? ...
– Nun, und wir müssen doch den Vater befreien.
– Den Vater der Miß Halliburtt soll ich befreien?
– Gewiß, Herr Kapitän; ein ehrenwerther Mann, ein muthiger Bürger, unser Herr Halliburtt! es lohnt schon, daß man für ihn Etwas riskirt.
– Höre Crockston, sagte James Playfair nach einer kleinen Pause, Du scheinst mir ein Spaßvogel erster Sorte zu sein; aber wenn ich Dir rathen soll, so merke Dir ein für alle Mal: ich habe keine Lust, mit Dir meine Scherze zu machen.
– Sollen Sie auch nicht, Herr Kapitän, ich spreche im vollsten Ernst. Mein Vorschlag mag Ihnen zuerst wohl abgeschmackt scheinen, aber wenn Sie sich Alles überlegt haben, werden Sie zu der Ansicht kommen, daß Sie nicht anders handeln können.
– Du behauptest also, ich müßte Mr. Halliburtt befreien?
– Gewiß, Herr Kapitän; Sie werden von General Beauregard seine Freilassung fordern, und er wird sie Ihnen nicht verweigern.
– Und wenn er sie mir nun verweigert?«
Diese Querfrage des Kapitäns setzte Crockston keinen Augenblick in Verlegenheit:
»Dann wenden wir eben ein Kraftmittel an, meinte er, ohne sich zu besinnen, und entführen den Conföderirten ihren Gefangenen vor der Nase.
– So? rief James Playfair, empört über diese Zumuthung; nicht genug, daß ich durch die nordstaatliche Flotte dringe und die Blokade von Charleston breche, soll ich auch noch unter den Kanonenschüssen der Forts wieder meine Rückreise antreten, und das Alles weshalb? Um einen mir wildfremden Herrn, einen Abolitionisten, den ich verabscheue, zu befreien, einen Federfuchser, der sich damit begnügt, Tinte zu verspritzen, statt sein Blut für's Vaterland zu vergießen!
– Ein Kanonenschuß mehr oder weniger wird dem Delphin nichts schaden, Herr Kapitän, bemerkte Crockston.
– Verstehe mich recht, Meister Crockston, sagte jetzt Playfair: Unterstehe Du Dich noch einmal, mir von dieser Geschichte zu sprechen, so schicke ich Dich für die ganze Dauer der Fahrt in den untersten Schiffsraum; dort kannst Du lernen, Deine Zunge besser im Zaum zu halten.«
Der Amerikaner machte sich eiligst aus dem Staube, murmelte aber, als er eine Strecke entfernt war, vergnügt vor sich hin:
»Ich bin durchaus nicht unzufrieden mit dieser Unterhaltung! Die Sache ist jetzt eingefädelt und wird sich machen!«
Als James Playfair von einem Abolitionisten, den er verabscheue, gesprochen hatte, war seine Zunge, wie man wohl zu sagen pflegt, mit ihm durchgegangen. Er war nichts weniger als ein Anhänger der Sklaverei, aber er mochte nicht zugestehen, daß die Sklavenfrage die vorwiegende in dem Bürgerkriege der Vereinigten Staaten sei, trotzdem Präsident Lincoln dies in den formellsten Ausdrücken erklärt hatte. Behauptete er vielleicht, daß die Südstaaten – acht gegen sechsunddreißig – principiell Recht hatten, sich abzusondern, da sie sich doch freiwillig dem Bundesstaat angeschlossen hatten? Auch das nicht; er war gegen die Männer des Nordens eingenommen, und zwar weil sie, ehemalige Brüder, sich von der gemeinsamen Familie losgerissen hatten, eigentlich Engländer, die eben nur für gut befunden hatten zu thun, was er, James Playfair, jetzt bei den conföderirten Staaten billigte. So weit die politischen Ansichten des Kapitäns; vor allen Dingen aber war ihm der amerikanische Krieg persönlich lästig, und er hegte ein Gefühl der Erbitterung gegen Diejenigen, von denen er ausging. Nach alledem begreift man wohl, weshalb James Playfair den Vorschlag, einen Vertheidiger der Sklaven zu befreien und gegen die Conföderirten, seine Handelsfreunde, zu agiren, mit solcher Indignation aufnahm.
Gleichwohl konnte er sich die Insinuationen Crockston's nicht ganz aus dem Sinn schlagen, und als Miß Jenny am folgenden Morgen ein wenig auf das Verdeck kam, konnte er ihr nicht gerade in das Gesicht schauen.
Und abgesehen von allem Andern, war das schade, denn das junge Mädchen sah mit ihrem hübschen blonden Haar und dem sanften, verständigen Blick so lieblich aus, daß sie immerhin einen wohlgefälligen Blick von dem dreißigjährigen jungen Mann verdient hätte. Aber James konnte sich in ihrer Gegenwart einer gewissen Verlegenheit nicht erwehren; er fühlte, daß sie eine große, edelmüthige Seele besaß, die in der Schule des Unglücks gereift war, und begriff, daß sein Schweigen dem jungen Mädchen gegenüber die Verweigerung ihrer liebsten Wünsche bedeutete. Was Miß Jenny anbetraf, so suchte sie den Kapitän weder auf, noch vermied sie ihn; doch kam sie während der ersten Tage überhaupt sehr wenig aus ihrer Cajüte heraus und wäre wohl nie auf den Gedanken gekommen, James Playfair anzureden, hätte nicht Crockston eine Kriegslist ersonnen, um die beiden Parteien einander zu nähern.
Der würdige Amerikaner war, wie schon erwähnt, ein treuer Diener der Familie Halliburtt; er hatte von Jugend auf im Hause seines Herrn gelebt und war ihm und der Familie desselben grenzenlos ergeben. Verstand und Muth waren seinem Geiste in eben so hohem Maße eigen, wie seinem Körper die Kraft; außerdem wohnte ihm eine gewisse Elasticität bei, die ihn die Ereignisse dieses Lebens mit einer besondern Philosophie anschauen ließ und die Entmuthigung von vornherein aus seinem Geistesleben verbannte. Selbst den ungünstigsten Conjuncturen pflegte Crockston noch eine gute Seite abzugewinnen, und überall wußte er sich aus der Affaire zu ziehen.
Dieser Mann nun hatte es sich in den Kopf gesetzt, Mr. Halliburtt zu befreien, zu seiner Rettung den Delphin und Kapitän Playfair zu benutzen und dann nach England zurückzukehren. So dachte er, wenn auch das junge Mädchen keinen andern Zweck hatte, als ihren Vater aufzusuchen und seine Gefangenschaft zu theilen. Crockston hatte deshalb den Plan gefaßt, den Kapitän entschiedener in die Angelegenheit zu verflechten, und wie wir bereits gesehen haben, eine erste Salve bereits abgefeuert, freilich bis jetzt ohne den gewünschten Erfolg.
»Miß Jenny und der Kapitän müssen sich durchaus verständigen, brummte er vor sich hin; wenn sie während der ganzen Fahrt in dieser Weise mit einander schmollen, kann Nichts aus meinem Plan werden. Sprechen müssen sie und mit einander discutiren und streiten; vor allen Dingen aber muß er mit ihr plaudern, und ich will mich hängen lassen, wenn James Playfair nicht im Lauf der Unterhaltung dazu kommt, selbst das vorzuschlagen, was er mir verweigert hat.«
Als aber Crockston sah, daß Jenny und Playfair sich gegenseitig aus dem Wege gingen und vermieden, gerieth er mehr und mehr in Verlegenheit.
»Wie wär's, wenn man die Sache forcirte?« fragte er sich. Und am Morgen des vierten Tages trat er selbstzufrieden lächelnd und sich die Hände reibend in die Cajüte von Miß Halliburtt.
»Gute Nachricht, Miß, gute Nachricht! Wenn Sie wüßten, was der Kapitän soeben mit mir für Pläne geschmiedet hat! Wirklich ein sehr vortrefflicher junger Mann, sehr brav, wirklich!
– Wie, rief Jenny, deren Herz heftig zu klopfen begann, er hat mit Dir über unsere Angelegenheiten gesprochen und mit Dir Pläne gemacht? ...
– Mr. Halliburtt zu befreien, ihn den Conföderirten zu entführen und dann mit ihm nach England überzusetzen.
– Ist das wirklich wahr? rief Jenny aus.
– Wie ich Ihnen schon sagte, Miß; ein edles Herz, dieser Kapitän Playfair! Aber so sind die Engländer, entweder ganz gut oder ganz schlecht. Nun, auf meine Dankbarkeit kann er rechnen, ich würde mich von jetzt an für ihn in Stücke hauen lassen, wenn er's wünschen sollte.«
Jenny war innig erfreut, als sie Crockston so reden hörte. Sie hätte nie gewagt, einen Plan zur Befreiung ihres Vaters zu machen, und jetzt wollte gar der Kapitän des Delphin sein herrliches Schiff nebst Mannschaft auf's Spiel setzen, um ihr dazu behilflich zu sein!
»Ja, so ist er, fügte Crockston noch schließlich hinzu, und ich dächte, Miß Jenny, solch Benehmen wäre schon einen Dank von Ihrer Seite Werth.
– O mehr, viel mehr als meinen Dank, rief das junge Mädchen begeistert; meine Verehrung und Freundschaft für immer!«
Und sie verließ sofort die Cajüte, um James Playfair aufzusuchen und ihn ihrer überquellenden Gefühle zu versichern.
»Nun ist die Kugel im Rollen, murmelte der Amerikaner, wir wollen hoffen, daß sie schneller und schneller läuft und endlich am Ziel ankommt.«
James Playfair ging Nichts ahnend auf den Deckzimmern spazieren und war nicht wenig überrascht und erstaunt, als er das Fräulein in tiefer Bewegung, thränenden Auges auf sich zukommen sah. Sie streckte ihm sogleich ihre Hand entgegen und rief, indem sie ihn voll und dankbar anschaute:
»Wie innig danke ich Ihnen, Herr Kapitän, für Ihren Edelmuth gegen mich, eine Fremde, die solche Aufopferung nie erwartet haben würde.«
James Playfair machte ein Gesicht, wie Jemand, der nicht begreifen kann, um was es sich handelt.
»Ich weiß wirklich nicht, Miß ... begann er.
– O doch! Herr Kapitän, rief Jenny; Sie wollen meinetwillen so vielen Gefahren Trotz bieten, vielleicht gar Ihr eigenes Interesse schädigen, und haben doch schon so Viel für mich gethan, indem Sie mir auf Ihrem Schiffe eine Gastlichkeit gewährten, auf die ich nicht im Mindesten ein Recht hatte.
– Verzeihen Sie, Miß Jenny, nahm jetzt James Playfair das Wort, ich versichere Ihnen, daß ich Ihre Worte nicht verstehe; ich habe mich gegen Sie benommen, wie sich jeder wohlerzogene Mann gegen eine Dame benehmen würde, aber meine Handlungsweise verdient weder so viel Erkenntlichkeit, noch irgendwelche Danksagungen.
– Herr Playfair, sprach Jenny in unerschütterlichem Glauben an ihre Sache, Sie suchen vergeblich, sich meinem Dank noch länger zu entziehen; Crockston hat mir bereits Alles mitgetheilt.
– Ah so! sagte Kapitän Playfair ein wenig gedehnt, Crockston hat Ihnen Alles mitgetheilt? Aber dann begreife ich, offen gestanden, noch viel weniger, was Sie aus Ihrer Cajüte hervorgelockt hat, um mich Worte hören zu lassen, die...«
Als der junge Mann so sprach, war er in nicht geringer Verlegenheit; er erinnerte sich noch sehr genau an die brutale Art und Weise, mit der er den Amerikaner abgewiesen hatte; aber Jenny ließ ihm zum Glück keine Zeit, sich weiter zu erklären, und unterbrach ihn mit den Worten:
»Herr James, ich hatte von vornherein nur die Absicht, nach Charleston zu reisen, und hoffte, daß die Sklavenhalter dort, so grausam sie auch sein mögen, mir nicht verweigern würden, das Gefängniß mit meinem Vater zu theilen. Auf eine mögliche Rückkehr nach England hätte ich nie gehofft; da aber Ihr Edelmuth so weit geht, daß Sie meinen armen gefangenen Vater befreien und Alles zu seiner Rettung versuchen wollen, seien Sie meiner aufrichtigsten Dankbarkeit versichert und gestatten Sie mir, Ihnen die Hand zu reichen.«
James wußte nicht, was er zu alledem sagen, wie er sich dabei benehmen sollte; er biß sich auf die Lippen und wagte die Hand des jungen Mädchens nicht anzunehmen. Natürlich sah er, daß Crockston ihn »compromittirt« hatte, um ihm den Rückzug abzuschneiden, und doch kam es ihm nicht in den Sinn, sich in eine so böse Geschichte, wie die Befreiung Mr. Halliburtt's füglich werden konnte, zu verwickeln.
Andererseits konnte er sich nicht entschließen, die Hoffnungen, die das arme Mädchen gefaßt hatte, mit grausamem Schlage zu vernichten; wie konnte er diesen Händedruck ablehnen, den sie ihm in so herzlichem Freundschaftsgefühl zugedacht hatte? Er brachte es nicht über das Herz, die Thränen der Dankbarkeit, die jetzt ihren Augen entströmten, in Thränen der Scham und des Schmerzes zu wandeln.
So versuchte denn der junge Mann, ausweichend zu antworten und sich die Freiheit seiner Handlungsweise für die Zukunft vorzubehalten.
»Miß Jenny, begann er und nahm ihre kleine Hand in die seine, glauben Sie mir, daß ich thun werde, was in meinen Kräften steht, um ...«
Aber bei dem sanften Druck ihres Händchens fühlte er, wie sein Herz weich wurde und seine Gedanken sich verwirrten; die Worte, um auszudrücken, was er sagen wollte, fehlten ihm in diesem Augenblick. und er stammelte nur einige unbestimmte Ausdrücke, wie:
»Miß ... Miß Jenny ... für Sie..
Der Amerikaner hatte unterdessen von ferne gestanden und die Beiden beobachtet; jetzt rieb er sich vergnügt die Hände und brummte vor sich hin:
»Es wird etwas! wahrhaftig, es wird etwas! Ich glaube beinahe, es ist schon was geworden!«
Wie sich James Playfair aus dieser verlegenen Situation ohne jeden Zwischenfall herausgeholfen haben würde, ist wohl eine schwer zu entscheidende Frage; aber zum Glück für ihn, wenn auch nicht für sein Schiff, ließ sich in diesem Augenblick die Stimme des Matrosen vom Mastkorbe vernehmen:
»He! Officier von der Wache!
– Was giebt's? fragte Mr. Mathew.
– Ein Segel vor dem Winde!«
James Playfair verabschiedete sich eilig von dem jungen Mädchen und stürzte in die Wantung des Besan-Mastes.