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III.
Was in Ragusa geschah.

Während diese Ereignisse sich in Antekirtta vollzogen, spielten sich in Ragusa folgende Vorgänge ab.

Frau Bathory befand sich damals bereits nicht mehr in dieser Stadt. Nach dem Tode ihres Sohnes hatte Borik, unterstützt von mehreren Freunden, sie weit fort aus dem Hause der Marinella-Straße gebracht. Während der ersten Tage hatte man gefürchtet, daß der Verstand der unglücklichen Mutter unter diesem letzten Schicksalsschlage leiden würde. So energisch diese Frau auch war, so zeigte ihr Benehmen doch Anzeichen von Geistesgestörtheit, die selbst die Aerzte erschreckten. Auf ihren Rath wurde in Folge dieser Anzeichen Frau Bathory in den Flecken Vinticello, zu einem Freunde ihrer Familie gebracht. Dort wurde ihr jede nur mögliche aufmerksame Pflege zu Theil. Doch welchen Trost konnte man dieser Mutter, dieser Gattin spenden, die zweimal in ihrer Liebe, zum Sohne wie zum Manne, tödtlich getroffen worden war?

Ihr alter Diener hatte sie nicht verlassen wollen. Nachdem er das Haus in der Marinella-Straße gut verschlossen, folgte er ihr, um ihr ein ergebener und pflichtgetreuer Vertrauter ihrer Schmerzen zu bleiben.

Von Sarah Toronthal, welcher die Mutter Peter Bathory's geflucht hatte, war zwischen ihnen niemals wieder die Rede; sie wußten nicht einmal, daß deren Heirat auf eine spätere Zeit verschoben worden war.

Der Zustand, in welchem sich das junge Mädchen befand, nöthigte sie, das Bett zu hüten. Sie hatte einen ebenso unerwarteten als furchtbaren Schlag erhalten. Der, den sie liebte, war todt ... jedenfalls aus Verzweiflung gestorben ... Und sein Körper war es gewesen, den man gerade auf den Kirchhof getragen hatte, als sie das Hotel verließ, um jene verabscheuenswerthe Verbindung einzugehen.

Während zehn Tage, das heißt bis zum 16. Juli, war die Lage Sarah's eine sehr bedenkliche. Ihre Mutter wich nicht von ihrer Seite. Es war übrigens die letzte Sorgfalt, die sie ihr angedeihen lassen konnte, denn sie selbst sollte tödtlich erkranken.

Welche Gedanken mochten wohl während der langen Stunden ungestörten Beisammenseins zwischen Mutter und Tochter ausgetauscht werden? Man ahnt es und es ist kaum nöthig, darauf näher einzugehen. Zwei Namen tauchten unaufhörlich zwischen Schluchzen und Thränen auf, derjenige Sarcany's, um ihm zu fluchen – und der Name Peter's, der wirklich nur noch ein auf dem Grabstein eingemeißelter Name war, um ihn zu beweinen.

Aus diesen Unterhaltungen, denen beizuwohnen Silas Toronthal sich versagte – er vermied es sogar, seine Tochter zu sehen – ging ein nochmaliger Versuch Frau Toronthal's, ihren Gatten umzustimmen, hervor. Sie verlangte, daß er auf Schließung dieser Ehe verzichtete, deren bloßer Gedanke schon Sarah Schrecken und Abscheu einflößten.

Der Bankier verharrte unbeugsam bei seinem Entschlusse. Wenn er sich selbst überlassen und keinem Drucke unterworfen gewesen wäre, hätte er vielleicht den Vorstellungen, die ihm gemacht wurden und die er sich selbst machen mußte, nachgegeben. Doch da er mehr noch als man glauben sollte von seinem Mitschuldigen geleitet wurde, so verweigerte er Frau Toronthal jede weitere Unterhaltung. Die Heirat Sarah's und Sarcany's war einmal beschlossen und sollte vollzogen werden, sobald der Gesundheitszustand Sarah's es gestatten würde.

Man kann sich leicht die Bestürzung Sarcany's vorstellen, als jener unvorhergesehene Zwischenfall eintrat, mit welchem wenig versteckten Zorn er die Störung seines Spieles ansah und mit welchen Anklagen er Silas Toronthal zu Leibe ging. Es handelte sich, bei Licht besehen, hier schließlich nur um einen Aufschub, doch gerade dieser Aufschub drohte, wenn er sich verlängerte, das ganze System umzuwerfen, auf dem er seine Zukunft aufgebaut hatte. Andererseits verhehlte er es sich durchaus nicht, daß Sarah für ihn nur eine unbesiegbare Abneigung empfinden konnte.

Was wäre wohl aus dieser Abneigung geworden, wenn das junge Mädchen geahnt hätte, daß Peter Bathory unter dem Messer des Mannes gefallen war, den man ihr als Gatten aufdrängte?

Sarcany konnte sich allerdings nur Glück dazu wünschen, daß er bei dieser Gelegenheit seinen Rivalen hatte verschwinden lassen können. Keine Spur von Gewissensbissen drang in dieses jeder menschlichen Regung verschlossene Herz.

»Es trifft sich gut, sagte er eines Tages zu Silas Toronthal, daß dieser Jüngling Selbstmordgedanken hegte. Je weniger von diesem Geschlecht der Bathory's am Leben bleiben, desto besser für uns. Der Himmel meint es wirklich nicht schlecht mit uns.«

Was war wirklich jetzt noch von den drei Familien Sandorf, Bathory und Zathmar am Leben? Eine alte Frau, deren Tage gezählt waren. Gott schien diese Elenden in der That beschützen zu wollen, denn seine Güte erstreckte sich scheinbar bis zum Aeußersten, das heißt, bis zu dem Tage, an welchem Sarcany der Mann Sarah Toronthal's und zugleich Herr über ihr Vermögen werden sollte.

Doch Gott schien ihn auch auf seine Geduld hin prüfen zu wollen, denn die Verzögerung, welche die Heirat betroffen, zog sich in die Länge.

Als die Kranke – körperlich wenigstens – sich von dem schrecklichen Zufalle wieder erholt hatte, als Sarcany annehmen konnte, daß nun die Rede von der Wiederaufnahme seiner Projecte sein würde, erkrankte Frau Toronthal ebenfalls. Die Lebenssäfte dieser bedauernswerthen Frau waren vollständig aufgebraucht. Nach dem Leben, das sie seit den Ereignissen in Triest geführt, und seitdem sie erfahren, an welch unwürdigen Mann sie gebunden war, kann das nicht wunderbar erscheinen. Dann kamen, wenn auch nicht die Kämpfe, so doch die Anstrengungen über sie, welche sie die letzten Schritte, die sie zu Gunsten Peter's gethan, gekostet. Ihr verlangte danach, einen Theil des Unrechts abzutragen, das man der Familie Bathory angethan hatte. Schließlich der Aerger über das Unnütze ihrer Bitten gegenüber dem Einflusse des so unvermuthet in Ragusa eingetroffenen Sarcany.

Von den ersten Tagen der Krankheit an war es offenbar, daß dieses Leben endgiltig entfloh. Die Aerzte machten Frau Toronthal nur noch auf wenige Tage Hoffnung. Sie mußte an Entkräftung sterben. Kein Mittel konnte ihr helfen, selbst wenn Peter Bathory seinem Grabe entstiegen wäre und ihre Tochter geheiratet hätte.

Sarah konnte ihr all die Liebe und Pflege noch vergelten, die sie ihr hatte angedeihen lassen und verließ Tag und Nacht nicht das Schmerzenslager.

Was Sarcany in Folge dieses neuen Aufschubs litt, ist begreiflich. Er zankte und schalt unaufhörlich auf den Bankier ein, der ebenso wie er lahm gelegt war.

Die Klärung dieser Lage konnte nicht auf sich warten lassen.

Am 29. Juli, also einige Tage später, schien Frau Toronthal's Befinden ein besseres, ihre Kräfte schienen sich wieder einzustellen.

Ein hitziges Fieber gab sie ihr, dessen heftiges Auftreten sie innerhalb 48 Stunden dahinraffen mußte.

Wilde Fieberphantasien entstiegen ihrem Gehirn: sie begann Unverständliches wirr durcheinander zu sprechen.

Ein Name – ein Name, der unaufhörlich dabei zum Vorschein kam – war namentlich dazu angethan, Sarah zu überraschen. Es war der Name Bathory, nicht der des Sohnes, sondern derjenige der Mutter, welchen die Kranke in einemfort nannte, rief, beschwor, als würde sie von Gewissensbissen gefoltert.

»Verzeihung, Madame! ... Verzeihung!«

Und als Frau Toronthal während einer durch die Fieberanfälle verursachten Erschöpfung, von dem jungen Mädchen dieserhalb befragt wurde, rief sie erschrocken:

»Schweige, Sarah! ... Schweige! ... Ich habe nichts gesagt!«

So kam die Nacht vom 30. auf den 31. Juli heran. Einen Augenblick glaubten die Aerzte, daß die Krankheit der Frau Toronthal, nachdem sie ihren Höhepunkt überschritten hatte, im Abnehmen begriffen sei.

Der Tag war ein besserer gewesen, ohne Gehirnaffectionen, und ein vollständiger, überraschender, weil unerwarteter Wechsel in der Krankheit war eingetreten. Die Nacht versprach ebenso ruhig zu bleiben, als es der Tag gewesen war.

Dieser günstige Umstand hatte seinen guten Grund. Frau Toronthal fühlte nämlich noch kurz vor ihrem Tode eine Willensstärke in sich, deren man sie nie für fähig gehalten hätte. Nachdem sie sich mit ihrem Gott versöhnt, hatte sie einen Entschluß gefaßt, zu dessen Ausführung sie den günstigen Augenblick abwartete.

Sie verlangte von ihrer Tochter, daß sie in dieser Nacht mehrere Stunden ruhen sollte. Sarah mußte trotz aller Einwände, die sie erhob, ihrer Mutter gehorchen, da sie ihren festen Willen sah.

Gegen eilf Uhr Nachts kehrte Sarah in ihr Zimmer zurück. Frau Toronthal blieb allein in dem ihrigen. Alles schlief im Hause, wo jetzt eine Stille herrschte, die man mit Recht als das »Schweigen des Todes« bezeichnet.

Frau Toronthal erhob sich und diese Kranke, deren Schwäche sie an der leisesten Bewegung hinderte, wie man glaubte, besaß die Kraft, sich anzukleiden und vor einem kleinen Schreibtische Platz zu nehmen.

Hier griff sie nach einem Blatt Papier und mit zitternder Hand schrieb sie einige Zeilen nieder, welche sie mit ihrem Namenszuge unterzeichnete. Dann steckte sie diesen Brief in ein Couvert, siegelte dieses und beschrieb es mit folgender Adresse:

Frau Bathory, Marinella-Straße, Stradone,
Ragusa.

Frau Toronthal kämpfte mit Gewalt gegen die Müdigkeit an, welche sie in Folge dieser jetzt ungewohnten Thätigkeit befallen hatte, sie öffnete die Thür ihres Zimmers, stieg die Haupttreppe hinab, durchschritt den Hof des Hotels und öffnete mit Anstrengung die kleine Pforte, welche auf die Straße hinausführte; sie befand sich im Stradone.

Dieser lag in dieser Stunde verlassen und öde da; es mußte bereits Mitternacht sein.

Frau Toronthal schleppte sich mit schwankendem Gange ungefähr fünfzig Schritt weiter das Trottoir links hinauf bis zu einem Briefkasten, in den sie ihr Schreiben warf; dann kehrte sie in das Hotel zurück.

Nun war aber auch die gesammte Kraft, die sie zur Durchsetzung ihres letzten Willens aufgeboten hatte, völlig erschöpft, ohnmächtig fiel sie auf der Schwelle zur Kutscherwohnung zu Boden.

Hier wurde sie eine Stunde später aufgefunden. Silas Toronthal und Sarah brachten sie hier wieder zu sich. Man trug sie auf ihr Zimmer zurück, wo ihr Bewußtsein sofort wieder schwand.

Am nächsten Tage erzählte Silas Toronthal Sarcany, was vorgefallen war. Weder der Eine noch der Andere konnten ahnen, daß Frau Toronthal in der letzten Nacht einen Brief zur Post befördert hatte. Warum hatte sie das Hotel verlassen? Sie fanden keine erklärbare Antwort auf diese Frage und somit blieb der räthselhafte Vorgang für sie ein Gegenstand der Beunruhigung.

Die Kranke siechte noch fernere vierundzwanzig Stunden dahin. Sie gab nur durch convulsivische Zuckungen Lebenszeichen von sich; es waren die letzten Regungen einer Seele, die im Entschwinden begriffen. Sarah hielt ihre Hand gefaßt, als wollte sie die Mutter noch zurückhalten in einer Welt, in der sie nun bald ganz schutzlos dastand. Doch der Mund der Mutter blieb jetzt stumm und selbst der Name Bathory entschlüpfte nicht mehr ihren Lippen. Ihr Gewissen war nun beruhigt, ihr letzter Wunsch erfüllt. Frau Toronthal brauchte keine Bitte mehr auszusprechen, keine Verzeihung mehr zu erflehen.

In der folgenden Nacht gegen drei Uhr Früh, während Sarah sich allein bei der Mutter befand, machte diese eine Bewegung und ihre Hand suchte die ihrer Tochter zu erfassen.

Ihre Augen öffneten sich bei dieser Berührung halb, ihr Blick lenkte sich auf Sarah. Dieser Blick war ein so fragender, daß ihn Sarah nicht verstehen konnte.

»Mutter! ... Mutter! ... Willst Du etwas?«

Frau Toronthal machte ein Zeichen der Bejahung.

»Mit mir sprechen?

– Ja!« ließ sich deutlich vernehmen.

Sarah hatte sich über das Bett gebeugt; ein abermaliges Zeichen forderte sie auf, sich noch mehr zu nähern.

Sarah legte nun ihren Kopf dicht an den der Mutter, die zu ihr sagte:

»Mein Kind, es geht zu Ende!

– Mutter! ... Mutter!

– Leiser! mahnte diese, leiser ... Niemand darf uns hören!«

Dann, mit einer abermaligen Aufraffung, sagte sie:

»Sarah, ich muß Dich um Verzeihung bitten, daß ich Dir übel mitgespielt habe; ich hatte nicht den Muth, das Schlimme zu verhüten.

– Du, Mutter, Du? ... Du willst mir weh gethan haben? ... Du bittest mich um Verzeihung?

– Einen letzten Kuß, Sarah! ... Ja? ... Einen letzten! ... Sage mir damit, daß Du mir verzeihest.«

Das junge Mädchen legte sanft ihre Lippen auf die bleiche Stirn der Sterbenden.

Diese hatte die Kraft, ihren Arm um den Hals der Tochter zu schlingen. Dann machte sie sich von ihr los und sie mit einer beängstigenden Stetigkeit anschauend, sagte sie:

»Sarah! ... Sarah, Du bist nicht die Tochter von Silas Toronthal! ... Du bist nicht meine Tochter! ... Dein Vater –«

Sie konnte nicht vollenden. Ein Krampf ließ sie den Armen Sarah's entschlüpfen, ihre Seele entflog mit den letzten Worten.

Das junge Mädchen hatte sich über die Todte gebeugt ... Es versuchte, sie ins Leben zurückzurufen ... Es war vergebens.

Sie rief nach Hilfe. Man lief von allen Seiten herbei. Silas Toronthal kam als einer der Ersten in das Zimmer seiner Frau.

Sarah wurde, als sie ihn sah, von einem unbeschreiblichen Gefühle des Widerwillens ergriffen; sie bebte förmlich vor diesem Manne zurück, den zu verachten, zu hassen sie jetzt das Recht hatte, denn es war ja nicht ihr Vater. Die Sterbende hatte es gesagt und man stirbt nicht mit einer Lüge auf den Lippen.

Sarah zog sich zurück, erschrocken über das, was ihr die unglückliche Frau erzählt hatte, die sie wie ihre Tochter geliebt hatte, vielleicht auch noch mehr erschrocken über das, was zu sagen Frau Toronthal keine Zeit mehr gehabt hatte.

Am nächstfolgenden Tage wurden die Leichenfeierlichkeiten mit großem Pompe begangen. Welch' eine Menge von Freunden zählt nicht jeder reiche Mann, also auch dieser Bankier! Neben ihm schritt Sarcany einher; seine Anwesenheit bewies, daß sein Vorhaben, in die Familie Toronthal zu treten, noch das alte war. Es war das in der That sein Hoffen; doch sollte es sich jemals verwirklichen, mußten zuvor noch viele Hindernisse aus dem Wege geräumt werden. Sarcany glaubte übrigens, daß die gegenwärtigen Umstände seinen Projecten durchaus günstig waren, denn sie ließen Sarah noch mehr als zuvor von seiner Gnade abhängen.

Der Verzug, den die Krankheit Frau Toronthal's hervorgerufen hatte, mußte durch ihren Tod naturgemäß ein noch ausgedehnterer werden. Während der Dauer der Familientrauer konnte von der Heirat gar keine Rede sein. Die Schicklichkeit verlangte es, daß mindestens mehrere Monate nach dem Dahinscheiden vorübergehen mußten, ehe an eine Heirat zu denken war.

Auch das kam Sarcany, dem die Beendigung der Angelegenheit natürlich am Herzen lag, sehr in die Quere. Wie dem auch immer war, er mußte sich der Nothwendigkeit fügen, doch nicht ohne mit Silas Toronthal wiederholt in heftigen Wortwechsel gerathen zu sein. Ihre Unterhaltungen schlossen stets mit der von dem Bankier angewendeten Redensart:

»Ich kann daran nichts ändern und übrigens haben Sie, wenn die Heirat noch vor dem Ablaufe von fünf Monaten zu Stande kommen sollte, keinen Grund besorgt zu sein.«

Diese beiden Männer kannten ersichtlich einander. Jedesmal wenn Toronthal das sagte, gerieth Sarcany regelmäßig in Zorn und mehrfach entstanden dann Auftritte von ungewöhnlicher Heftigkeit.

Beide waren nach wie vor höchst beunruhigt über den unbegreiflichen Schritt, den Frau Toronthal kurz vor ihrem Tode gethan hatte. Sarcany kam sogar der Gedanke, daß die Sterbende vielleicht die Absicht gehabt hatte, einen Brief auf die Post zu befördern, dessen Bestimmung sie verheimlicht habe.

Der Bankier, dem Sarcany seine Ansicht mittheilte, schien dieselbe fast glaublich.

»Wenn dem so ist, folgerte Sarcany, bedroht uns dieser Brief direct und in sehr bedenklichem Maße. Ihre Frau hat Sarah stets gegen mich einzunehmen gewußt, sie unterstützte sogar meinen Nebenbuhler, und wer weiß, ob sie nicht im Sterben eine Willenskraft wiedergefunden hat, um unsere Geheimnisse zu verrathen, deren wir sie nicht für fähig gehalten haben würden. Thäten wir nicht besser daran, in diesem Falle allen Möglichkeiten vorzubeugen und eine Stadt zu verlassen, in der wir, Sie sowohl wie ich, mehr zu verlieren als zu gewinnen haben?

– Wenn dieser Brief uns bedrohte, bemerkte Silas Toronthal einige Tage später, so würde die Drohung schon ihre Wirkung hervorgebracht haben, bis jetzt aber hat sich unsere Lage in keiner Hinsicht geändert.«

Sarcany konnte dieser Beweisführung gegenüber nur schweigen. Wenn sich der Brief in der That auf ihre künftigen Pläne bezogen hatte, so waren die Folgen seines Inhaltes bis jetzt nicht zu spüren und bis dahin schien keine Gefahr im Verzuge. Wenn eine Gefahr wirklich drohte, war immer noch Zeit zum Handeln.

Die Gefahr trat vierzehn Tage nach dem Tode Frau Toronthal's ein, aber von einer Seite her, auf die sie Beide nie gekommen wären.

Seit dem Tode ihrer Mutter hatte sich Sarah stets abseits gehalten, sogar ihr Zimmer nie verlassen. Man sah sie nur zur Stunde der Mahlzeiten. Den ihr gegenüber genirten Bankier gelüstete es nach keinem Alleinsein mit ihr, welches ihn nur in Verlegenheit gebracht haben würde. Er ließ ihr also freien Willen und lebte seinerseits in einem anderen Flügel des Hotels.

Mehr als einmal hatte Sarcany Toronthal darüber heftige Vorwürfe gemacht, daß er in diese Absonderung willigte. In Folge dieser von dem jungen Mädchen angenommenen Gewohnheit hatte er keine Gelegenheit mehr, mit derselben zusammenzutreffen. Das konnte aber seinen neuesten Plänen nicht förderlich sein. Er erklärte es auch dem Bankier rund heraus. Obwohl keine Rede von einer Feier der Hochzeit während der ersten Trauermonate sein konnte, wollte er wenigstens verhüten, daß Sarah zu der Annahme käme, ihr Vater und er hätten auf diese Verbindung Verzicht geleistet.

Schließlich zeigte sich Sarcany so befehlerisch und anmaßend Silas Toronthal gegenüber, daß dieser am 16. August Sarah benachrichtigen ließ, er wünsche am Abend mit ihr zu sprechen. Da er sie gleichzeitig wissen ließ, daß Sarcany bei ihrer Unterhaltung zugegen sein würde, erwartete er eine Weigerung. Er täuschte sich. Sarah ließ zurücksagen, daß sie seinem Wunsche Folge leisten würde.

Als der Abend angebrochen war, erwarteten Toronthal und Sarcany Sarah ungeduldig im großen Salon des Hotels. Der Erste war fest entschlossen, sich nicht von ihr leiten zu lassen, da er über sie als Vater Macht und Recht zu beanspruchen hatte. Der Andere, entschlossen, sich zu mäßigen, mehr zuzuhören als zu sprechen, wollte vor allen Dingen entdecken, welche die geheimen Gedanken des jungen Mädchens waren. Er fürchtete stets, daß sie über manche Dinge besser unterrichtet sein könnte, als es den Anschein hatte.

Sarah betrat den Salon zur festgesetzten Stunde. Sarcany erhob sich, als sie eintrat; aber auf den Gruß, den er ihr bot, antwortete sie nicht einmal durch ein Neigen des Kopfes. Sie schien ihn nicht bemerkt zu haben oder vielmehr, sie wollte ihn jedenfalls nicht bemerken.

Sie setzte sich auf eine Einladung von Silas Toronthal hin. Regungslos und mit einem Antlitz, das die Trauergewänder noch bleicher erscheinen ließen, wartete sie auf die erste Frage, die an sie gestellt werden würde.

»Sarah, sagte der Bankier, ich habe die Trauer geachtet, die der Tod Deiner Mutter Dir verursacht hat und Deine Zurückgezogenheit nicht stören wollen. Diese traurigen Ereignisse haben indessen Folgen nach sich gezogen und über gewisse Angelegenheiten von Interesse muß nothwendiger Weise gesprochen werden ... Obwohl Du die Großjährigkeit noch nicht erreicht hast, ist es gut, daß Du erfährst, welcher Erbtheil Dir zufällt ...

– Wenn es sich nur um eine Vermögensfrage handelt, erwiderte Sarah, brauchen wir uns nicht lange darüber zu unterhalten. Ich beanspruche nichts von der Erbschaft, von der Sie sprechen wollen.«

Sarcany machte eine Bewegung, die ebenso gut eine lebhafte Enttäuschung als auch, vielleicht, eine mit Besorgniß gepaarte Ueberraschung ausdrücken konnte.

»Ich glaube, Sarah, begann Silas Toronthal von Neuem, daß Du nicht recht die Tragweite meiner Worte begriffen hast. Ob Du willst oder nicht, Du bist die Erbin von Frau Toronthal, Deiner Mutter, und das Gesetz verpflichtet mich, Dir Rechnung abzulegen, sobald Du großjährig geworden sein wirst ...

– Wenn ich nicht schon vorher auf das Erbe verzichte, erwiderte das junge Mädchen gelassen.

– Und warum?

– Weil ich zweifellos kein Recht darauf habe.

Der Bankier wendete sich auf seinem Fauteuil herum. Auf diese Antwort wäre er nie und nimmermehr gefaßt gewesen. Sarcany sagte nichts. Nach seiner Ueberzeugung spielte Sarah ein Spiel und er gab sich lediglich Mühe, ihr in die Karten blicken zu können.

»Ich weiß nicht, Sarah, sagte Silas Toronthal, ungeduldig über die von dem jungen Mädchen bewahrte kühle Haltung, ich weiß nicht, wohin Deine Worte zielen, auch nicht, wer sie Dir eingegeben hat. Ich will auch hier nichts weniger als mit Dir über Recht und Rechtswissenschaft streiten. Du stehst unter meiner Vormundschaft und hast gar keine Befugniß, etwas von der Hand zu weisen oder anzunehmen. Du wirst Dich also der Autorität Deines Vaters unterwerfen, die Du doch nicht in Abrede stellen kannst, wie ich annehme? ...

– Vielleicht, antwortete Sarah.

– Also wirklich, rief Silas Toronthal, der nun ein wenig seine Kaltblütigkeit zu verlieren begann, also wirklich! Du sprichst drei Jahre zu früh, Sarah. Wenn Du mündig geworden bist, kannst Du über Dein Geld nach Belieben verfügen. Bis dahin sind Deine Interessen mir anvertraut und ich werde sie vertheidigen, wie ich es für gut erachte.

– Schön, sagte Sarah, so werde ich warten.

– Worauf willst Du warten? erwiderte der Bankier. Du vergißt zweifellos, daß Deine Stellung sich ändern wird, sobald die Schicklichkeit es erlaubt. Du hast also um so weniger das Recht, Dein Vermögen zum Fenster hinauszuwerfen, als Du bei diesem Geschäft nicht mehr allein interessirt sein wirst ...

– Ja ... Ein Geschäft ist es! bemerkte Sarah in verächtlichem Tone.

– Glauben Sie mir, mein Fräulein, glaubte hier Sarcany einschalten zu müssen, auf den das mit der schneidendsten Verachtung ausgesprochene Wort zu zielen schien, daß ein edleres Gefühl ...«

Sarah sah nicht so aus, als ob sie das Gesagte gehört hätte und blickte unentwegt den Bankier an, der mit einer etwas unsicher gewordenen Stimme zu ihr sagte:

»Nein, Du bist nicht mehr allein – da der Tod Deiner Mutter an unseren Projecten nichts hat ändern können.

– Welche Projecte sind das? fragte Sarah.

– Das Ehebündniß, welches Du vergessen zu haben heuchelst, welches Herrn Sarcany zu meinem Schwiegersohne machen wird.

– Sind Sie auch dessen ganz gewiß, daß diese Heirat Herrn Sarcany zu Ihrem Schwiegersohne machen wird?«

Die Drohung war diesmal eine so direct ausgesprochene, daß Silas Toronthal sich erhob, um das Zimmer zu verlassen, weil er seine Verwirrung zu verbergen wünschte. Auf ein Zeichen Sarcany's blieb er. Dieser wollte bis ans Ende gehen, er wollte durchaus wissen, woran er wäre.

»Hören Sie mich, mein Vater, denn es ist das letzte Mal, daß ich Ihnen diesen Namen gebe, fuhr das junge Mädchen fort. Nicht mich wünscht Herr Sarcany zu heiraten, sondern mein Vermögen, auf das ich von heute an keinen Anspruch mehr habe. Wie groß auch seine Unverfrorenheit ist, er wird es nicht wagen, mich Lügen zu strafen. Da er mich daran erinnert, daß ich dieser Heirat zugestimmt hatte, so soll auch meine Antwort schnell gegeben sein. Ja! Ich fühlte mich verpflichtet, mich selbst zum Opfer zu bringen, als ich noch glauben konnte, daß die Ehre meines Vaters in dieser Frage auf dem Spiele stand; mein Vater aber, das wissen Sie sehr wohl, kann in diesen schändlichen Handel nicht hineingezogen werden! Wenn Sie also Herrn Sarcany zu bereichern wünschen, so geben Sie ihm mein Vermögen ... Mehr verlangt er nicht.

Das junge Mädchen war aufgestanden und wendete sich der Thüre zu.

– Sarah, rief Silas Toronthal, der sich ihr in den Weg stellte, in Deinen Worten ... liegt so viel Zusammenhangloses, daß ich sie einfach nicht verstehe ... Du verstehst sie wahrscheinlich selbst nicht ... Ich bin versucht, mich zu fragen, ob nicht vielleicht der Tod Deiner Mutter ...

– Meiner Mutter ... ja! Es war meine Mutter, dem Gefühle nach! murmelte das junge Mädchen.

– ... Ob nicht der Schmerz Deine Vernunft getrübt hat, fuhr Silas Toronthal, der nur noch sich selbst reden hörte, fort. Ja, ob Du nicht etwa toll geworden bist ...

– Toll!

– Was ich beschlossen habe, geschieht! Ehe sechs Monate vorüber sind, bist Du Sarcany's Frau!

– Niemals!

– Ich werde Dich zu zwingen wissen!

– Und mit welchem Recht? fragte das junge Mädchen mit einer Geberde des Unwillens, die ihr schließlich entschlüpfte.

– Mit dem Rechte meiner väterlichen Gewalt!

– Sie! Sie! ... Sie sind gar nicht mein Vater und ich heiße nicht – Sarah Toronthal!

Der Bankier, der auf diese Worte nichts zu erwidern wußte, wich zurück und das junge Mädchen ging, ohne auch nur den Kopf zu wenden, aus dem Salon in ihr Zimmer zurück.

Sarcany, der Sarah aufmerksam während der ganzen Unterredung beobachtet hatte, war von dem Ausgange derselben, den er hatte kommen sehen, keineswegs überrascht. Er hatte ihn bereits geahnt. Was er gefürchtet, war eingetreten. Sarah wußte, daß zwischen ihr und der Familie Toronthal kein verwandtschaftliches Band existirte.

Der Bankier war von dem unvorhergesehenen Schlage um so empfindlicher getroffen worden, als er nicht mehr genug Herr seiner selbst gewesen war, um ihn kommen zu sehen.

Sarcany ergriff nun das Wort und mit seiner üblichen Knappheit entwarf er ein Bild der Situation. Silas Toronthal begnügte sich, ihm zuzuhören. Er mußte ihm in Allem zustimmen, denn die Folgerungen seines einstigen Genossen wurden von einer unbestreitbaren Logik dictirt.

»Es ist nicht mehr darauf zu rechnen, daß Sarah jemals, freiwillig gewiß nicht, dieser Heirat zustimmt, sagte er. Aus den Gründen indessen, die wir kennen, müßte die Heirat jedenfalls vollzogen werden. Was weiß sie von unserer Vergangenheit? Nichts, denn sonst hätte sie etwas gesagt. Sie weiß nur, daß sie Ihre Tochter nicht ist. Das ist Alles. Kennt sie ihren Vater? Keine Spur, denn sonst wäre es der erste Name gewesen, den sie uns ins Gesicht geschleudert hätte. Ist sie seit Langem von ihrer wirklichen Stellung Ihnen gegenüber unterrichtet? Nein, wahrscheinlich hat Frau Toronthal erst kurz vor ihrem Tode darüber mit ihr gesprochen. Doch was nicht weniger wahrscheinlich, ist, daß sie Sarah nicht gesagt hat, was sie thun soll, um dem Manne den Gehorsam zu verweigern, der nicht ihr Vater ist.«

Silas Toronthal billigte durch ein Nicken mit dem Kopfe die Beweisführung Sarcany's. Man weiß, daß dieser sich weder über die Art, wie das junge Mädchen von diesen Dingen unterrichtet wurde, noch über den Zeitabschnitt, seitdem sie jene kannte, noch über das, was ihr von dem Geheimniß ihrer Geburt verrathen worden war, täuschte.

»Zum Schluß also, fuhr Sarcany fort. So wenig Sarah von dem auch kennt, was sie betrifft und obwohl sie über unsere Vergangenheit im Unklaren gelassen ist, so sind wir dennoch Beide bedroht. Sie in der ehrenhaften Stellung, die Sie sich in Ragusa geschaffen haben, ich in den bedeutenden Interessen, die mir diese Heirat zusichern muß und auf die ich nicht verzichten werde. Was also geschehen muß und zwar so schnell als möglich, ist Folgendes: Ragusa verlassen, Sie und ich, Sarah mitnehmen, lieber heute als morgen, ohne daß sie Jemand vorher sehen oder sprechen kann, und nicht eher hierher zurückkehren als bis die Heirat vollzogen ist und Sarah als meine Frau ein Interesse daran haben wird, zu schweigen. Befindet sie sich erst einmal draußen, so ist sie vor jedem Einflusse so gut geborgen, daß wir von ihr nichts zu befürchten haben werden. Es ist meine Sache, sie dahin zu bringen, daß sie freiwillig in die Verbindung mit mir einwilligt; der Verzug soll mir zum Vortheile gereichen, und Gott verdamme mich, wenn mir das nicht gelingt.«

Silas Toronthal stimmte dem bei: die Situation war eine solche, wie sie Sarcany gezeichnet hatte. An ein Ausweichen konnte nicht gedacht werden. Da er mehr und mehr von seinem Genossen beherrscht wurde, so hätte er überhaupt nicht anders gekonnt. Und warum sollte er es auch gethan haben? Dieses Mädchens wegen, vor dem er stets eine unüberwindliche Abneigung empfunden hatte, welchem sein Herz sich nie geöffnet hatte?

Es wurde an demselben Abend noch festgestellt, daß das Beschlossene zur Ausführung kommen sollte, noch ehe Sarah das Hotel zu verlassen im Stande wäre. Silas Toronthal und Sarcany trennten sich dann. Mit übergroßer Hast betrieben sie die Vorbereitungen zur Inscenirung ihres Vorhabens, sie hatten, wie man sehen wird, nicht Unrecht.

Am nächstfolgenden Tage kam Frau Bathory, begleitet von Borik, aus Vinticello zum ersten Male seit dem Tode ihres Sohnes in das Haus der Marinella-Straße zurück. Sie war entschlossen, dasselbe ein für alle Male zu verlassen, ebenso wie die Stadt, die ihr zu reich an herzzerreißenden Erinnerungen war; sie wollte ihre Vorbereitungen zum Auszuge treffen.

Als Borik die Hausthür aufgeschlossen hatte, fand er einen Brief in dem zum Hause gehörigen Briefkasten vor.

Es war derselbe, den Frau Toronthal am Abend vor ihrem Tode auf die Post unter Umständen gegeben hatte, die man gewiß nicht vergessen hat.

Frau Bathory nahm diesen Brief in Empfang, öffnete ihn und betrachtete zuerst die Unterschrift; dann las sie im Fluge die von der Hand der Sterbenden hingeschriebenen wenigen Zeilen, welche das Geheimniß von Sarah's Geburt enthüllten.

Eine jähe Verbindung schloß im Geiste Frau Bathory's mit einem Male der Name Peter's mit demjenigen Sarah's!

»Sie! ... Er! ...« rief sie aus.

Und ohne ein Wort hinzuzusetzen – sie hätte es auch nicht vermocht – ohne ihrem alten Diener ein Wort zu erwidern, den sie zurückstieß, als er sie halten wollte, stürzte sie aus dem Hause hinaus, die Marinella-Straße hinab, durch den Stradone und stand erst vor der Thür des Hotels Toronthal wieder still.

Begriff sie nicht die Tragweite dessen, was sie thun wollte? Begriff sie nicht, daß es richtiger gewesen wäre, mit weniger Uebereilung vorzugehen und folglich mit mehr Klugheit in Sarah's eigenem Interesse? Nein! Sie fühlte sich mächtig zu dem jungen Mädchen hingezogen, ihr war es, als riefen ihr Gatte Stephan, ihr Sohn Peter aus ihren Gräbern ihr zu:

»Rette sie! ... Rette sie!«

Frau Bathory klopfte an die Thür des Hotels. Sie öffnete sich. Ein Diener zeigte sich und fragte nach ihrem Begehr.

Frau Bathory wollte Sarah sprechen.

Sie befand sich nicht mehr im Hotel.

Frau Bathory wollte den Bankier Toronthal sprechen.

Der Bankier war am Abend zuvor abgereist, ohne zu sagen, wohin und hatte das junge Fräulein mitgenommen.

Frau Bathory, von diesem neuen Schlag hart getroffen, wankte und fiel in die Arme Borik's, der sie gerade zur rechten Zeit erreichte.

Als der alte Diener sie in das Haus in der Marinella-Straße zurückgebracht hatte, sagte sie:

»Morgen, lieber Borik, gehen wir zusammen auf die Hochzeit Peter's und Sarah's.«

Frau Bathory hatte den Verstand verloren.


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