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Dritter Theil.

I.
Das Mittelmeer.

»Das Mittelmeer ist schön, vornehmlich durch zwei Eigenschaften: seinen harmonievollen Rahmen und die Lebhaftigkeit, Durchsichtigkeit seiner Luft und seines Lichtes ... So wie es ist, härtet es bewundernswerth den Menschen ab. Es gibt ihm die ausdauerndste, straffe Kraft; es erzeugt die dauerhaftesten Rassen.«

Michelet hat das gesagt und er hat das Richtige gesagt. Doch zum Glück für die Menschheit hat die Natur, in Ermangelung eines Hercules, den Felsen von Calpe von dem von Abyla getrennt, um die Meerenge von Gibraltar zu formen. Man kann ganz getrost über die Behauptung so mancher Geologen hinwegsehen und behaupten, daß diese Meerenge schon von jeher vorhanden gewesen ist. Ohne sie gäbe es kein Mittelmeer. Die Verdunstung entführt in Wirklichkeit diesem Meere dreimal so viel Wasser, als ihm seine sämmtlichen Zuflüsse zuführen; wenn also der es wiederergänzende Strom aus dem atlantischen Ocean sich nicht durch die Meerenge wälzen würde, so wäre es schon seit vielen Jahrhunderten eine Art Todten Meeres, anstatt das lebendige Meer » par excellence« zu sein.

In einer der verborgensten und unbekanntesten Gegenden dieses ungeheueren Mittelländischen Sees hatte Graf Sandorf – er mußte bis zur festgesetzten Stunde, bis zur vollständigen Vollendung seines Werkes der Doctor Antekirtt bleiben – sein Leben geborgen, um alle Vortheile, die ihm sein falscher Tod bringen mußte, genießen zu können.

Es gibt auf der Erdkugel zwei Mittelmeere, eines in der alten, eines in der neuen Welt. Das amerikanische Mittelmeer ist der Golf von Mexiko; es nimmt nicht weniger als vier und eine halbe Million Quadratkilometer ein. Während indessen das lateinische Mittelmeer nur über eine Oberfläche von zwei Millionen achtmalhundertfündundachtzigtausend, fünfhundert und zweiundzwanzig Quadratkilometer verfügt, also nur halb so groß ist wie das andere, erscheint es in seiner ganzen Gestaltung viel bunter, an prächtigen Bassins und Meerbusen reicher und an breiten hydrographischen Unterabtheilungen, welche den Namen von Meeren verdienen. So der griechische Archipel, das Meer von Creta oberhalb der gleichnamigen Insel, das untere Lybische Meer, das Adriatische zwischen Italien, Oesterreich, der Türkei und Griechenland, das Ionische, welches Korfu, Xante, Kephalonia und die anderen Inseln bespült, das Tyrrhenische im Westen Italiens, das Aeolische bei der Gruppe der Liparischen Inseln, der Golf von Lyon, der Meerbusen der Provence, der Golf von Genua, die Bucht der Ligurischen Halbinsel, der Golf von Gabes, die Bai des tunesischen Gestades, die beiden Syrten, die so tief zwischen der Cyrenäischen Halbinsel und Tripolis in den afrikanischen Continent einschneiden.

Welchen verborgenen Theil dieses Meeres, von dem einige Küsten noch wenig bekannt sind, hatte Doctor Antekirtt zu seinem Wohnsitze auserkoren? Es gibt im Umfange dieses ungeheuren Bassins hunderte, ja tausende kleinerer Inseln. Es würde vergebene Mühe sein, ihre Kaps und Baien zu zählen. Wie viele Völker verschiedenster Rasse, verschieden in Sitten, politischen Zuständen drängen sich nicht auf diesen Gestaden, denen die Geschichte der Menschheit seit mehr als zwanzig Jahrhunderten ihr Siegel aufgedrückt hat: Franzosen, Italiener, Spanier, Oesterreicher, Türken, Griechen, Araber, Aegypter, Tripolitaner, Tunesen, Algerier, Marokkaner – sogar Engländer in Gibraltar, Malta und Cypern? Drei ungeheure Continente bilden die Ufer dieses Meeres: Europa, Asien, Afrika. Wo also hatte Graf Mathias Sandorf, jetzt Doctor Antekirtt – ein Name, der den Orientalen theuer war – seine ferne Residenz aufgeschlagen, in der das Programm seines neuen Lebens sich abspielte? Peter Bathory sollte es bald erfahren.

Nachdem er einen Augenblick die Augen aufgeschlagen hatte, war er wieder in die vollständige Bewußtlosigkeit zurückgefallen und ebenso unempfindlich wie in dem Augenblick, als der Doctor ihn für todt in dem Hause in Ragusa zurückgelassen hatte. Damals hatte der Doctor eines jener physiologischen Experimente ausgeführt, bei denen der Wille eine so bedeutende Rolle spielt und deren phänomenale Erscheinungen nicht mehr angezweifelt werden. Mit einer außerordentlichen Eingebungskraft begabt, hatte er vermocht, ohne erst das Magnesiumlicht oder einen brillirenden Metallknopf anwenden zu müssen, nur durch das Durchbohrende seines Blickes einen hypnotischen Zustand hervorzurufen und seinen Willen an Stelle desjenigen Peter's zu setzen. Dieser, vom Blutverluste sehr geschwächt, gab kein Lebenszeichen mehr von sich, er war entschlummert und nach dem Willen des Doctors wieder erwacht. Jetzt handelte es sich darum, das zum Verlöschen neigende Leben zu erhalten. Ein schwieriges Unternehmen, denn es erforderte ungeheure Sorgfalt und alle Hilfsmittel der medicinischen Kunst. Der Doctor durfte darin nichts versehen.

»Er wird leben! ... Ich will es, daß er lebt! wiederholte er. Warum habe ich auch in Cattaro meinen ersten Plan nicht ausgeführt? ... Warum hat die Ankunft Sarcany's in Ragusa mich abgehalten, ihn dieser verwünschten Stadt zu entreißen ... Ich werde ihn aber retten! ... In Zukunft soll Peter Bathory der rechte Arm von Mathias Sandorf sein!«

Seit fünfzehn Jahren war es der beständige Gedanke des Doctors Antekirtt, rächen und Vergeltung üben zu können. Was er seinen Genossen, Stephan Bathory und Ladislaus Zathmar, mehr noch als sich selbst schuldig war, hatte er nicht vergessen. Jetzt war die Stunde zum Handeln gekommen und deshalb hatte die »Savarena« ihn nach Ragusa gebracht.

Des Doctors Aussehen war während dieser langen Zeit ein völlig anderes geworden, so daß Niemand ihn hätte wiedererkennen können. Seine Haare, die er bürstenförmig trug, waren weiß geworden und sein Teint hatte eine glanzlose Farbe angenommen. Er war einer jener Fünfziger, welche sich die Kraft der Jugend erhalten, während sie die Kälte und Ruhe des reifen Alters gewonnen haben. Das gewellte Haar, die angehauchte Hautfarbe, der Bart vom venetianischen Blond, die dem jungen Grafen zu eigen gewesen waren, alles das konnte in keiner Weise in der Erinnerung Jener wieder auftauchen, die dem strengen und frostigen Doctor Antekirtt gegenüberstanden. Doch mehr geläutert und abgehärtet, war er eine jener eisenfesten Naturen geblieben, von denen man sagen kann, daß sie die Magnetnadel schon durch ihre bloße Annäherung erzittern machen. Nun wohl, aus dem Sohne Stephan Bathory's wollte er dasselbe machen, wozu er selbst geworden war.

Doctor Antekirtt war übrigens schon seit geraumer Zeit der Letzte aus der großen Familie der Sandorfs. Man wird nicht vergessen haben, daß er ein Kind, ein Töchterchen besessen hatte, welches nach seiner Verhaftung der Frau Landeck's, des Verwalters von Schloß Artenak, anvertraut worden war. Dieses Mädchen, damals zwei Jahre alt, war die einzige Erbin des Grafen. An sie sollte, sobald sie das achtzehnte Lebensjahr erreicht haben würde, die Hälfte der Güter ihres Vaters ausgeliefert werden. Durch denselben Urtheilsspruch, der die Confiscation der Besitzthümer und den Tod des Besitzers verfügte, war ihr diese Gunst zu Theil geworden. Da Intendant Landeck in seiner Stellung als Verwalter des unter Sequester gestellten Theiles der siebenbürgischen Domäne belassen worden war, so waren er und seine Frau mit dem Kinde auf dem Schlosse geblieben, dem sie ihr ganzes ferneres Leben weihen wollten. Doch es schien, als schwebte ein Verhängniß über die nur noch aus diesem kleinen Wesen bestehende Familie Sandorf. Einige Monate nach der Verurtheilung der Verschwörer von Triest und den Ereignissen, welche darauf folgten, verschwand das Kind, ohne daß es gelang, seiner wieder habhaft zu werden. Man fand nur sein Hütchen am Rande eines der zahlreichen Bäche, welche von den benachbarten Abhängen der Berge in den Park sich ergießen. Man mußte leider annehmen, daß die Kleine in einen der Abgründe gerissen worden war, durch welche die Karpathenströme ihren Weg nehmen; eine fernere Spur fand man nicht. Rosena Landeck, die Frau des Intendanten, traf dieser Schlag tödtlich; einige Wochen nach der Katastrophe starb sie. Die Regierung wollte trotzdem eine Aenderung ihrer einmal erlassenen Verfügungen nicht eintreten lassen. Das Sequester über den einen reservirten Theil der Sandorf'schen Besitzungen blieb in Kraft, und die Güter des Grafen sollten nur dann an den Staat fallen, wenn seine Erbin, deren Tod nicht in gesetzmäßiger Weise constatirt werden konnte, nicht innerhalb der festgesetzten Zeit wieder zum Vorschein käme, um die Erbschaft in Empfang zu nehmen.

Dieses war der letzte Schlag, der die Sandorf's getroffen hatte, deren Geschlecht durch das Verschwinden der einzigen Sprossin dieser edlen und mächtigen Familie so gut wie erloschen schien. Die Zeit that im Uebrigen ihr Werk und bald war dieses Ereigniß ebenso wie die anderen Vorfälle vergessen, die sich an die Verschwörung von Triest geknüpft hatten.

In Otranto, wo damals Graf Mathias Sandorf im strengsten Incognito lebte, erfuhr derselbe den Tod seines Kindes. Mit ihm verschwand Alles, was ihm noch von der Gräfin Réna geblieben, welche nur so kurze Zeit seine Gattin und von ihm so heiß geliebt worden war. Unbemerkt wie er gekommen war, verließ er eines Tages Otranto und Niemand hätte verrathen können, wo er ein neues Leben begann.

Als fünfzehn Jahre später Graf Mathias Sandorf wieder auf der Bildfläche erschien, vermuthete Niemand, daß er es war, der sich unter dem Namen und dem Spiel der Rolle des Doctors Antekirtt verbarg.

Mathias Sandorf lebte nun vollständig der Erfüllung seiner Pläne. Er stand jetzt allein auf der Welt und hatte nur noch ein Werk zu vollenden, ein Werk, dessen Durchführung er als eine heilige Aufgabe betrachtete. Mehrere Jahre, nachdem er Otranto verlassen hatte, nachdem er mächtig durch jene Macht geworden, welche allein ein ungeheures Vermögen verleiht, erworben unter Umständen, die wir bald kennen lernen werden, nachdem er vergessen war und durch sein Incognito geschützt wurde, begann er Jenen nachzuspüren, die er entschädigen, beziehungsweise bestrafen wollte. Peter Bathory – so war es längst seine Absicht gewesen – sollte diesem Werke der Gerechtigkeit verbündet werden. Er hatte Agenten in den verschiedensten Städten an der Küste des mittelländischen Meeres angeworben. Sie wurden reichlich belohnt, dafür aber angehalten, unverbrüchliches Schweigen über ihre Thätigkeit zu beobachten. Sie correspondirten nur mit dem Doctor, theils vermittelst der Eilschiffe, die wir bereits kennen, theils durch das unterseeische Kabel, welches die Insel Antekirtta mit den elektrischen Drähten auf Malta, und Malta wiederum mit Europa verband.

Dadurch, daß er den Berichten seiner Agenten die eigenen Untersuchungen folgen ließ, gelangte er schließlich auf die Spuren aller derer, welche direct oder indirect an der Verschwörung des Grafen Sandorf betheiligt gewesen waren. Er konnte sie so von Weitem überwachen, sich über ihre Unternehmungen im Laufenden erhalten und ihnen, namentlich seit vier oder fünf Jahren, sozusagen auf Schritt und Tritt folgen. Er wußte, daß Silas Toronthal Triest verlassen und sich mit Frau und Kind im bewußten Hotel im Stradone von Ragusa niedergelassen hatte. Er beobachtete Sarcany's Rundreise durch die verschiedenen Hauptstädte Europa's, in denen er sein Vermögen verschwendete, dann seinen Aufenthalt in den östlichen Provinzen Siciliens, woselbst er und sein Genosse Zirone über die Coups nachsannen, mit Hilfe derer sie sich flott erhalten konnten. Er wußte, daß Carpena von Rovigno und Istrien nach Italien und Oesterreich gegangen und so lange müßig geblieben war, als die wenigen tausend Gulden, der Judaslohn, dies gestatteten. Er hätte Andrea Ferrato ganz gewiß aus dem Gefängnisse von Stein in Nieder-Oesterreich erlöst, wo er für seine edelmüthige Handlungsweise an den Flüchtlingen von Pisino büßte, wenn nicht schon nach einigen Monaten der Tod den ehrbaren Fischer von Ketten und Banden erlöst haben würde. Seine Kinder, Maria und Luigi, hatten Rovigno gleichfalls verlassen und kämpften wahrscheinlich gegen das Unglück eines zweimal gebrochenen Lebens an. Sie hatten sich indessen so gut zu verbergen gewußt, daß es nicht möglich gewesen war, sie aufzufinden. Frau Bathory, die sich mit ihrem Sohne Peter und Borik, dem früheren Diener des Grafen Ladislaus Zathmar, in Ragusa niedergelassen, hatte der Doctor niemals aus den Augen verloren und man weiß, daß er ihnen eine bedeutende Summe hatte zukommen lassen, die von der stolzen und muthigen Frau aber nicht angenommen worden war.

Endlich war nun die Stunde gekommen, in welcher der Doctor seinen schwierigen Feldzug beginnen konnte. Als ein schon seit fünfzehn Jahren todter Mann fühlte er sich sicher, nach so langer Abwesenheit von Keinem erkannt zu werden, und so kam er nach Ragusa, gerade gelegen, um den Sohn Stephan Bathory's und die Tochter Silas Toronthal's in Liebe zu einander entbrannt zu sehen, die er um jeden Preis vernichten mußte. Man wird nicht vergessen haben, was damals geschah, Sarcany's Dazwischentreten und die Folgen für beide Theile, wie Peter in das Haus seiner Mutter gebracht wurde und was Doctor Antekirtt in dem Augenblicke that, als der junge Mann zu sterben schien, wie und unter welchen Umständen er ihn ins Leben zurückrief und sich ihm unter seinem wirklichen Namen Mathias Sandorf vorstellte.

Jetzt mußte Peter geheilt werden und Alles erfahren, was er noch nicht wußte, das heißt, daß ein gemeiner Verrath zugleich mit seinem Vater dessen beide Genossen betroffen hatte; es mußte ihm gesagt werden, wer die Verräther waren, er mußte nun zum unerbittlichen Richter in der Sache werden, welche der Doctor abseits von der Gerichtsbarkeit der Menschen entscheiden wollte, da er selbst ein Opfer dieser Gerechtigkeitspflege geworden war.

Zunächst die Heilung Peter Bathory's! Und dieser Heilung widmete der Doctor sein ganzes Können.

Während der ersten acht Tage nach seiner Transportirung auf die Insel schwebte Peter thatsächlich zwischen Leben und Tod. Nicht nur, daß seine Wunde ein sehr bedenkliches Aussehen hatte, auch sein Verstand schien schwer erkrankt. Die Erinnerung an Sarah, welche er jetzt mit Sarcany verheiratet wähnen mußte, der Gedanke an seine Mutter, die ihn beweinte, dann die Auferstehung des Grafen Mathias Sandorf, der unter dem Namen des Doctors Antekirtt lebte – Mathias Sandorf's, des ergebensten Freundes seines Vaters – Alles das konnte ein schon so hart geprüftes Gemüth recht wohl in Verwirrung setzen.

Der Doctor wollte Peter Tag und Nacht nicht allein lassen. Er hörte ihn in seinen Fieberträumen den Namen Sarah Toronthal's unablässig wiederholen. Er sah recht, wie tief die Liebe in ihm wurzelte und welche Qual Peter die Heirat Derjenigen, die er liebte, verursachte. Er mußte sich schließlich fragen, ob eine so große Liebe nicht Allem widerstehen würde, selbst der Mittheilung, daß Sarah die Tochter des Mannes sei, der seinen Vater verrathen, verkauft, getödtet hätte. Und doch wollte der Doctor es ihm sagen. Er war dazu entschlossen, solches seine Pflicht.

Zwanzig Male glaubte man Peter unterliegen zu sehen. An Körper und Geist sterbenskrank, war er dem Tode so nahe, daß er Mathias Sandorf, der an seinem Kissen stand, nicht mehr erkannte. Er besaß nicht einmal die Kraft mehr, den Namen Sarah auszusprechen.

Die ihn umgebende Sorgfalt half ihm endlich über die Krisis fort. Die Kraft der Jugend gewann die Oberhand. Der Kranke begann bereits am Körper zu genesen, als der Geist noch krankte. Die Wunde fing an zu vernarben, die Lungenflügel nahmen ihre regelmäßige Thätigkeit wieder auf, am 17. Juli konnte der Doctor es als gewiß ansehen, daß Peter am Leben bleibe.

An diesem Tage erkannte dieser den Doctor wieder. Mit einer noch schwachen Stimme konnte er ihn bei seinem wirklichen Namen nennen.

»Für Dich, mein Sohn, bin ich Mathias Sandorf, antwortete dieser ihm, doch nur allein für Dich.«

Und da Peter ihn mit einem Blick betrachtete, der ungeduldig Erklärungen zu fordern schien, setzte er hinzu:

»Später, später.«

In einem traulichen Gemache, das durch seine sich nach Norden und Osten öffnenden Fenster der gesunden Meeresluft freien Eintritt gestattete und im Schatten schöner Bäume gelegen war, denen munter fließende Gewässer ein ewiges Grün verliehen, mußte die Gesundheit Peter's schnell und sicher wieder zunehmen. Der Doctor hörte nicht auf, ihn mit jeder nur denkbaren Sorgfalt zu umgeben; von Minute zu Minute war er bei ihm, seitdem aber die Heilung gesichert schien, hatte er billigerweise einen Pfleger angestellt, dessen Umsicht und gutem Willen er durchaus Vertrauen schenkte.

Es war das Pointe Pescade, der Peter Bathory ebenso ergeben war wie dem Doctor. Er sowohl wie Kap Matifu hatten selbstverständlich über die Vorgänge auf dem Kirchhofe von Ragusa reinen Mund gehalten; ebenso gewiß war es, daß sie nie darüber sprechen würden, daß der junge Mann noch lebend seinem Grabe entrissen worden war.

Pointe Pescade war ziemlich tief in alle Geschehnisse eingeweiht worden, die sich während des Verlaufes dieser wenigen Monate zugetragen hatten. Er hatte demgemäß ein erhöhtes Interesse an seinem Kranken. Diese Liebe Peter Bathory's, welche das Dazwischentreten Sarcany's gekreuzt hatte – ein Unverschämter in seinen Augen, der ihm eine wohl gerechtfertigte Antipathie einflößte – das Zusammentreffen des Trauerzuges mit den hochzeitlichen Kutschen vor dem Hotel im Stradone, die auf dem Kirchhofe von Ragusa vorgenommene Ausgrabung, alles das hatte das gutmüthige Wesen sehr zum Mitleid angeregt, umsomehr als er sich den Plänen des Doctors Antekirtt verbunden fühlte, ohne das Endziel derselben begreifen zu können.

Es geht aus Gesagtem hervor, daß Pointe Pescade mit Eifer den Auftrag, den Kranken zu pflegen, entgegennahm. Es wurde ihm gleichzeitig vom Doctor anempfohlen, Peter durch seinen drolligen Humor so viel als möglich zu zerstreuen. Daran konnte es ihm nun nicht fehlen. Er betrachtete überdies seit dem Feste in Gravosa Peter Bathory als seinen Gläubiger und hatte sich schon längst vorgenommen, gelegentlich auf die eine oder die andere Weise mit ihm abzurechnen.

Deshalb gab sich Pointe Pescade nach erfolgter Installirung bei dem Kranken alle Mühe, die Gedanken Peter's durch Plaudern, Schwatzen abzulenken und ihm keine Zeit zum Nachdenken zu lassen.

So wurde er eines Tages auf eine directe Frage Peter's hin veranlaßt, zu erzählen, wie er die Bekanntschaft des Doctors Antekirtt gemacht habe.

»Bei dem Stapellaufe des Trabocolo, Herr Peter, gab er zur Antwort. Sie müssen sich dessen doch noch erinnern? Die Geschichte mit dem Trabocolo, welche aus Kap Matifu einen Helden gemacht hat?«

Peter hatte keineswegs das ernste Ereigniß vergessen, welches das Jahrmarktsfest in Gravosa bei der Ankunft der Vergnügungs-Yacht unterbrochen hatte; doch das wußte er bisher nicht, daß auf den Vorschlag des Doctors hin die beiden Akrobaten ihre Künste aufgegeben hatten und bei Letzterem in Dienst getreten waren.

»Ja, Herr Peter, meinte Pointe Pescade, das war es und die Aufopferung Kap Matifu's ist für uns ein großes Glück geworden. Doch dürfen wir über dem, was wir dem Doctor schulden, nicht vergessen, Ihnen zu danken.

– Mir?

– Ihnen, Herr Peter, der Sie an jenem Tage beinahe unser ganzes und einziges Publikum gewesen wären; das heißt mit anderen Worten, wir hatten zwei Gulden verdient, ohne sie verdient zu haben, weil das geehrte Publikum uns im Stiche ließ, obwohl es seinen Platz bezahlt hatte.«

Und Pointe Pescade rief Peter Bathory ins Gedächtniß zurück, wie dieser, kaum nachdem er die zwei Gulden erlegt hatte und im Begriffe stand, die provençalische Arena zu betreten, plötzlich verschwunden war.

Der junge Mann hatte an diesen Vorfall nicht mehr gedacht, doch jetzt erinnerte er sich lächelnd desselben mit einem traurigen Lächeln, denn es fiel ihm gleichzeitig ein, daß er sich nur, um Sarah Toronthal wieder zu finden, in der Menge verloren hatte.

Seine Augen schlossen sich. Er sann darüber nach, wie Alles von jenem Tage an gekommen war. Sobald er an Sarah dachte, die er jetzt verheiratet glaubte, folterte ihn eine schmerzende Beklemmung und er war oft nahe daran, Jenen zu fluchen, die ihn dem Tode entrissen hatten.

Pointe Pescade sah wohl, daß dieses Fest in Gravosa in Peter trübe Erinnerungen wachrief. Er sprach also nicht weiter von demselben und hüllte sich selbst in Schweigen, indem er bei sich meinte:

»Mein Kranker soll alle fünf Minuten einen halben Löffel voll guter Laune einnehmen. So wünscht es der Doctor, aber es ist nicht so leicht.«

Peter selbst war es, der von Neuem zu fragen begann, als er einige Augenblicke später die Augen wieder aufschlug:

»Kanntet Ihr den Doctor Antekirtt schon vor dem Stapellaufe des Trabocolo, Pointe Pescade?

– Wir hatten ihn nie zuvor gesehen, Herr Peter, antwortete Pointe Pescade, und kannten bis dahin nicht einmal seinen Namen.

– Von jenem Tage an aber habt Ihr ihn nie verlassen?

– Niemals, außer wenn er mich mit einigen Aufträgen beehrte.

– In welchem Lande befinden wir uns hier? Könnt Ihr mir das sagen, Pointe Pescade?

– Ich muß annehmen, daß wir uns auf einer Insel befinden, da das Meer uns auf allen Seiten umgibt.

– Jedenfalls, doch in welchem Theile des Mittelmeeres?

– Ja so! Offen gestanden, ich weiß es nicht, ob im Norden, Westen, Süden oder Osten, meinte Pointe Pescade. Es ist das auch im Uebrigen vollständig gleichgiltig. Eines ist sicher, daß wir uns nämlich beim Doctor Antekirtt befinden und daß man uns gut beköstigt, kleidet, schlafen läßt, ohne der Auszeichnungen zu gedenken ...

– Aber Ihr werdet doch wenigstens wissen, wie diese Insel heißt, wenn Ihr auch nicht ihre Lage kennt? fragte Peter.

– Wie sie heißt? ... O gewiß! Sie heißt Antekirtta!« erwiderte Pointe Pescade.

Peter Bathory strengte vergebens sein Gedächtniß an, um sich zu erinnern, ob eine Insel des Mittelmeeres diesen Namen trüge. Er blickte Pointe Pescade an.

»Ja, Herr Peter, Antekirtta! beantwortete dieser die stumme Frage. Meinem Onkel würde nichts übrig bleiben, »unter keinem Längen- und keinem Breitengrade« auf die Adresse eines Briefes an mich zu schreiben, vorausgesetzt, daß ich einen Onkel hätte; leider aber hat mir der Himmel bis jetzt diese Freude versagt. Es gibt aber gar nichts Erstaunliches an der Sache, daß diese Insel sich Antekirtta nennt, weil sie dem Doctor Antekirtt gehört. Ob nun der Doctor seinen Namen der Insel entlehnt hat oder ob die Insel den Namen des Doctors angenommen hat, das zu sagen ist mir ganz unmöglich, und wenn ich selbst Generalsecretär einer geographischen Gesellschaft wäre.«

Die Reconvalescenz Peter's nahm ihren regelmäßigen Verlauf. Keiner der Zufälle, die befürchtet werden konnten, trat hinzu. Mit Hilfe einer konsistenteren, doch vorsichtig bereiteten Mahlzeit nahm der Kranke von Tag zu Tag an Kräften zu. Der Doctor besuchte ihn häufig und sprach mit ihm über alles Mögliche, nur nicht von solchen Dingen, die Peter directer interessiren konnten. Und Peter, der nicht vorzeitige Vertraulichkeiten wachrufen wollte, wartete, bis es dem Doctor gefallen würde, sich ihm zu eröffnen.

Pointe Pescade hatte dem Doctor getreulich die Brocken der Unterhaltung hinterbracht, die zwischen ihm und dem Kranken ausgetauscht worden waren. Das Incognito, welches nicht nur den Grafen Mathias Sandorf beschützte, sondern sich auch auf die von ihm bewohnte Insel erstreckte, beschäftigte die Gedanken Peter Bathory's augenscheinlich. Ebenso ersichtlich war es, daß er beständig noch an Sarah Toronthal dachte, die ihm jetzt so entfernt weilte, da jede Verbindung zwischen Antekirtta und dem europäischen Continente abgeschnitten schien. Doch der Augenblick war nahe, in welchem er stark genug sein sollte, Alles zu erfahren.

Ja! Alles zu hören, und an jenem Tage wollte der Doctor, wie ein operirender Chirurg, mitleidslos den Wehrufen des Patienten gegenüber sein.

Mehrere Tage verstrichen. Die Wunde des jungen Mannes war vollständig vernarbt. Er konnte schon aufstehen und an dem Fenster seiner Stube Platz nehmen. Die mildthätige Sonne des mittelländischen Meeres schmeichelte ihm, eine lebhafte Meeresbrise blähte seine Lungen auf und gab ihm Gesundheit und Kraft wieder. Er fühlte sich wider Willen gesunden. Seine Augen hefteten sich hartnäckig an den grenzenlosen Horizont, über den hinaus sein Blick gern geschweift wäre; sein Gemüth war eben noch sehr leidend. Die ungeheure Wasserwüste rings um die Insel lag fast immer verlassen da. Kaum einige Küstenfahrzeuge, Schebecken oder Tartanen, Polaken oder Speronaren tauchten auf der offenen See auf, hielten aber nie auf die Insel zu, um hier anzulegen. Ein großes Handelsschiff oder ein Packetboot einer der Linien, welche diesen großen europäischen See nach allen Richtungen der Windrose durchziehen, war hier nie zu sehen.

Man hätte mit Recht behaupten können, daß Antekirtta an die Grenzen der Erde verbannt worden sei.

Am 24. Juli kündete der Doctor Peter Bathory an, daß er am folgenden Nachmittage ausgehen dürfte und er bot sich selbst zu seiner Begleitung auf dieser ersten Promenade an.

»Wenn ich die Kraft habe, auszugehen, Doctor, sagte Peter, so habe ich auch die Kraft, von Ihnen zu hören.

– Von mir zu hören, Peter? Was meinst Du damit?

– Ich will sagen, daß Sie meine ganze Lebensgeschichte kennen, ich aber nicht die Ihrige.«

Der Doctor betrachtete ihn aufmerksam, mehr als Arzt denn als Freund, um zu prüfen, ob es gerathen sein würde, Feuer und Eisen in das gesundende Blut des Kranken zu mischen. Dann setzte er sich zu ihm und sagte:

»Du sollst meine Geschichte kennen lernen, Peter. Höre zu.«


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