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Man stelle sich ein Rechteck vor, das von Osten nach Westen fünfundsechzig Seemeilen lang und von Norden nach Süden deren vierzig breit wäre, fülle dasselbe mit zwei großen Inseln und gegen hundert Eilanden zwischen 60°;10' westlicher Länge und 51° und 52°45' südlicher Breite – so hat man die Gruppe, die geographisch unter der Bezeichnung Falklands- oder Malouinen-Inseln bekannt ist. Sie liegt dreihundert Seemeilen von der Magellanstraße entfernt und bildet eine Art vorgeschobenen Postens zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ocean.
Entdeckt wurde dieser Archipel 1592 von John Davis, der Seeräuber Hawkins besuchte ihn 1593, und Strong, ein Engländer wie die beiden andern, gab ihm 1689 den Namen.
Fast ein Jahrhundert später versuchten aus ihren kanadischen Niederlassungen vertriebene Franzosen auf genanntem Archipel eine Ausrüstungs- und Versorgungsstation für die den Stillen Ocean befahrenden Schiffe zu gründen, und da diese in der großen Mehrzahl von Seeräubern aus Saint-Malo bestanden, tauften sie die Inseln auf den Namen der Malouinen, der Ihnen auch neben dem der Falklands-Inseln verblieben ist. Ihr Landsmann Bougainville brachte 1763 die ersten Ansiedler der Colonie, siebenundzwanzig Personen, darunter fünf Frauen, hierher, und zehn Monate später war die Bevölkerung bereits auf hundertfünfzig Köpfe angewachsen.
Dieser gedeihliche Fortgang rief natürlich den Einspruch des länderräuberischen Großbritanniens hervor. Die Admiralität entsandte den »Tamar« und den »Dauphin« unter dem Befehle des Kommandanten Byron. Im Jahre 1766 steuerten die Engländer, nach einer Fahrt durch die Magellanstraße, auf die Falklands-Inseln zu, begnügten sich aber vorläufig, den Westen der Insel Port Egmont anzulaufen und fuhren dann nach den südlichen Meeren weiter.
Die französische Colonie machte aber doch keine weitern Fortschritte und übrigens erhoben die Spanier auf Grund einer ältern päpstlichen Concession nicht ganz unbegründete Ansprüche. Die Regierung Ludwigs des XV. entschied sich auch für Anerkennung derselben, wobei sie nur auf einer Geldentschädigung bestand, und 1767 übergab Bougainville die Falklands-Inseln den Vertretern des Königs von Spanien.
Dieser Wechsel, »dieses von Hand zu Hand gehen« führte das bei allen colonialen Unternehmungen unausbleibliche Resultat herbei, daß die Spanier später von den gewissenlosen Engländern verdrängt wurden. Seit 1833 sind also diese Länderräuber die Herren der Falklands-Inseln.
Seit sechs Jahren gehörte die Gruppe zu den britischen Besitzungen im südatlantischen Ocean, als unsre Goëlette am 16. October Port Egmont anlief.
Die beiden großen Inseln heißen, ihrer gegenseitigen Lage entsprechend, Ost-Falkland oder Soledad, und West-Falkland. An der Nordseite der letzteren liegt Port Egmont.
Als die »Halbrane« in diesem Hafen vor Anker gegangen war, gewährte der Kapitän Len Guy der gesammten Mannschaft einen zwölfstündigen Urlaub. Am nächsten Tag sollte mit der sorgfältigen und im Hinblick auf eine längere Fahrt im Polarmeere unumgänglichen Untersuchung des Schiffsrumpfes und der Takelage begonnen werden.
Der Kapitän Len Guy begab sich noch am nämlichen Tage ans Land, um mit dem Gouverneur der Gruppe – dessen Ernennung der Königin zustand – wegen sofortiger Ausrüstung der Goëlette zu verhandeln. Ein Geizen ist hier nicht am Platze, denn jede übel angebrachte Ersparniß kann der Grund zum Mißerfolge einer an und für sich so schwierigen Reise werden. Bereit, auch mit meiner Börse beizuspringen – was ich dem Kapitän nicht verhehlte – gedachte ich mich mit einer gewissen Summe an den Unkosten dieser Fahrt zu betheiligen.
Ich war jetzt in der That gefangen genommen . . . gefesselt durch so viele unerwartete Dinge, durch die merkwürdige Verkettung der Verhältnisse. Ich erschien mir wie der Held der »Domaine d'Arnheim«, nach dem »eine Reise durch die südlichen Meere angezeigt ist für jeden, dem vollständige Einsamkeit, unbedingtes Beschränktsein auf sich selbst und die Schwierigkeiten einer solchen Fahrt den höchsten, verlockendsten Reiz bilden«. Ja, dahin war ich infolge des Lesens der phantastischen Werke eines Edgar Poë gekommen! . . . Hier handelte es sich überdies darum, Unglücklichen Hilfe zu bringen, und es hätte mich hoch beglückt, zu ihrer Rettung persönlich beitragen zu können.
Begab sich an jenem Tage auch der Kapitän Len Guy ans Land, so blieb doch Jem West seiner Gewohnheit nach an Bord. Während sich die Mannschaft durch Zerstreuung erholte, gönnte sich der zweite Officier keine Ruhe, sondern beschäftigte sich bis zum Abend mit der Besichtigung des Laderaums.
Ich selbst wollte mich erst am nächsten Tage ausschiffen. Unser Aufenthalt ließ mir ja genügend Zeit, die Umgebung von Port Egmont kennen zu lernen und meine geologischen und mineralogischen Forschungen auszuführen.
Das bot dem schwatzhaften Hurliguerly vortreffliche Gelegenheit, mit mir wieder ein »Garn zu spinnen«, und er ließ sie auch nicht unbenützt.
»Meine aufrichtigsten und wärmsten Glückwünsche, Herr Jeorling,« begann er, an mich herantretend.
»Wozu denn, Hochbootsmann?«
»Zu dem, was ich gehört habe, daß Sie uns bis zum äußersten Strande der antarktischen Meere Gesellschaft leisten wollen.«
»O, ich denke, nicht so weit! Es handelt sich doch nicht darum, über den vierundachtzigsten Breitengrad hinauszugehen . . .«
»Wer kann das vorher wissen?« antwortete der Hochbootsmann. »Jedenfalls wird die ›Halbrane‹ über mehr Breitengrade hinwegkommen, als sie Seisinge im Großsegel oder Querleinen in den Strickleitern hat.«
»Das wird sich ja finden.«
»Und das erschreckt Sie nicht, Herr Jeorling?«
»Nicht im mindesten.«
»Na, uns auch nicht, das dürfen Sie glauben!« versicherte Hurliguerly. »O, Sie sehen ja, daß unser Kapitän, wenn er auch nicht viel spricht, doch seine guten Seiten hat. Man muß ihn nur zu nehmen wissen! Nachdem er Ihnen bis Tristan d'Acunha die Ueberfahrt gewährt hat, die er anfangs verweigerte, läßt er sich sogar herbei, Sie bis zum Pole mitzunehmen und . . .«
»Vom Pol ist keine Rede, Hochbootsmann!«
»Mag sein; eines schönen Tages kommt aber doch einmal Einer dahin.«
»Das ist noch nicht abgemacht. Uebrigens ist das nicht von besonderem Interesse und ich beabsichtige nicht, mir den Ruhm der Entdeckung des Pols zu erwerben. In jedem Fall handelt es sich einzig um die Insel Tsalal . . .«
»Die Insel Tsalal, einverstanden!« erwiderte Hurliguerly. »Immerhin denken Sie daran, daß unser Kapitän sich in Bezug auf Sie sehr zuvorkommend erwiesen hat . . .«
»Wofür ich ihm sehr verbunden bin, Hochbootsmann . . . und auch Ihnen,« beeilte ich mich hinzuzufügen, »weil ich es Ihrem Einflusse verdanke, an dieser Fahrt haben theilnehmen zu können . . .«
»Und auch an der noch in Aussicht stehenden . . .«
»Das hoffe ich bestimmt, Hochbootsmann.«
Es ist wohl möglich, daß Hurliguerly – im Grunde ein braver Mann, wie ich es später noch mehr erkennen sollte – aus meiner Antwort eine leichte Ironie herausfühlte. Jedenfalls ließ er davon aber nichts merken, sondern bemühte sich, mir gegenüber die Rolle des Gönners zu spielen. Eine Unterhaltung mit ihm konnte mir übrigens nur von Nutzen sein, denn er kannte die Falklands- ebenso wie alle andern Inseln des südatlantischen Meeres, die er schon seit einer Reihe von Jahren besuchte.
Ich war also hinreichend vorbereitet und unterrichtet, als am nächsten Tage das Boot, das mich ans Land brachte, ans Ufer stieß, wo eine starke Ansammlung von Seegras nur dazu da zu sein schien, das Stoßen und Schaukeln sich nahender Boote zu mildern.
Jener Zeit waren die Falklands-Inseln noch nicht so besucht und benützt, wie heutzutage. Erst später wurde auf Soledad der Stanley-Hafen entdeckt – jener Hafen, den der französische Geograph Elisée Reclus als geradezu »ideal« bezeichnet hat, denn er ist gegen die Winde aus allen Richtungen geschützt und könnte die ganze Flotte Großbritanniens aufnehmen. Die »Halbrane« hatte an der Nordküste von West-Falkland, oder dem eigentlichen Falkland, den Hafen Port Egmont aufgesucht.
Hätte ich nun während der letzten zweimonatlichen Seereise eine Binde um die Augen und auch von dem von der Goëlette eingehaltenen Curse keine Ahnung gehabt, und es hätte mich einer in den ersten Stunden nach der Ankunft hier gefragt, ob ich mich auf den Falklands-Inseln oder in Norwegen befände – ich wäre um die Antwort wirklich verlegen gewesen.
Angesichts dieser von tiefen Buchten eingeschnittenen Küsten, der schroff aufragenden Berge und der Steilufer, an denen sich graubraune Felsmassen aufthürmen, erscheint ja ein Zweifel verzeihlich. Sogar das ausgesprochene Seeklima ohne große Unterschiede in der Wärme und der Kälte ist beiden Ländern gemeinsam. Die häufigen Regen des westlichen Skandinaviens fallen ebenso reichlich auch über die Magellansgebiete, und nicht minder stellen sich hier im Frühling und Herbst dichte Nebel und so stürmische Winde ein, daß sie die Gartenpflanzen aus der Erde reißen.
Einige Ausflüge hätten mich freilich leicht überzeugt, daß der Aequator mich von den westlichen Ländern Europas trennte.
In der Umgebung des Port Egmont erkannte ich ja schon nach wenigen Tagen – und konnte es gar nicht übersehen – daß hier ausschließlich die Vegetation der Malediven, ohne jeden Baumwuchs, vorherrschte. Nur da und dort fanden sich einige dürftige Gebüsche gegenüber den stolzen Fichtenwaldungen der norwegischen Berge – wie der Bolax, eine Schwertlilie, dünn wie eine sechs bis sieben Fuß hohe Binse, die ein aromatisches Harz aussondert; ferner Baldrianarten, Bomareen, fadenförmige Flechten, Cenomyceen, Azorellen, kriechende Cytisen, Bionien, Pfriemengräser, Lebermoose, Veilchen, Sumach und rothe und weiße Selleriestauden, deren Früchte ein so vortreffliches Mittel gegen den Skorbut bilden. Auf dem flachen, torfartigen Boden, der sich unter dem Fuße senkt und hebt, breitete sich endlich noch ein bunter Teppich von Moosen, Flechten und ähnlichen niedrigen Pflanzen aus . . . Nein, das war nicht das reizende Land, wo die Echos der Sagas widerhallen, das war nicht die poetische Wohnstätte Odins, der Aasen und der Walküren!
Auf dem tiefen Gewässer der Falklandstraße, die die beiden Hauptinseln scheidet, zeigten sich seltsame Wasserpflanzen, die sogenannten Pfriemenseile, die eine Reihe mit Luft gefüllter Blasen tragen und die ausschließlich in der Flora Falklands vorkommen.
Die Buchten dieses Archipels, worin die Walfische bereits seltner wurden, waren von andern gewaltigen Seesäugethieren stark bevölkert; hier tummelten sich langhaarige Ohrenrobben von fünfundzwanzig Fuß Länge und zwanzig Fuß Umfang, und gleich heerdenweise See-Elephanten, See-Wölfe und ‑Löwen von nicht geringerer Größe. Das laute Geschrei dieser Thiere, vorzüglich der Weibchen und ihrer Jungen, kann sich gar niemand vorstellen, der es nicht selbst gehört hat. Man möchte glauben, große Ochsenheerden am Strande brüllen zu hören. Der Fang, oder eigentlich das Erschlagen dieser Thiere, bietet aber weder Schwierigkeiten noch Gefahren. Die Fischer tödten sie einfach durch einen Knüppelhieb, wenn jene sich auf dem Sande am Ufer gelagert haben.
Das sind etwa die Eigenthümlichkeiten, die Skandinavien und die Falklands-Inseln unterscheiden, ohne von den großen Schwärmen verschiedner Vogelarten zu reden, die bei meiner Annäherung kreischend aufflatterten, wie Trappen, Cormorane, Silbertaucher, schwarzköpfige Schwäne und vor allem große Völker von Pinguinen, von denen hier jährlich hundertausende erlegt werden.
Eines Tages, als die Luft von rein ohrzerreißendem Geschrei erfüllt war, fragte ich darüber einen alten Seemann von Port Egmont.
»Giebt es denn auch Esel in der Umgebung des Hafens?«
»Nein, Herr, das sind keine Esel, was Sie da schreien hören – das sind Pinguine.«
Das mag richtig sein, doch selbst wirkliche Esel würden sich täuschen, wenn sie das blökende Geschrei jener stumpfsinnigen Vögel hörten.
Während der drei Tage des 17., 18. und 19. October ließ Jem West den Rumpf unsers Fahrzeugs mit peinlichster Sorgfalt untersuchen. Dabei zeigte sich, daß dieser nicht im mindesten gelitten hatte. Der Steven erschien fest genug, um die jungen Schollen am Rande des Packeises zu zersprengen. Nur der Hintersteven erhielt einige Verstärkungen, um die Bewegungen des Steuerruders zu sichern und es vor dem Anprall des Eises zu schützen. Die Goëlette wurde stark nach Back- und dann nach Steuerbord umgelegt und so einige Plankennähte frisch kalfatert und sorgsam getheert. Wie die meisten Schiffe, die durch kalte Meere segeln sollen, war die »Halbrane« nicht gekupfert, was deshalb vorzuziehen ist, weil beim unvermeidlichen Anstreifen an Eisschollen deren scharfe Kanten einen Metallbeschlag zu leicht aufreißen. Eine gewisse Anzahl Holzpflöcke, die die Abdeckung der Rippen mit diesen verband, wurde erneuert, und unter Leitung Hardie's, unsers Kalfatermeisters, »erklangen« die Schlägel mit einer Tonfülle und Uebereinstimmung von guter Vorbedeutung.
Am Nachmittage des 20. dehnte ich, in Gesellschaft des schon erwähnten alten Seemanns – eines kreuzbraven Mannes, der für die Lockspeise eines Piasters nebst einem Gläschen Gin sehr empfänglich war – meinen Spaziergang im Westen der Bucht etwas weiter aus. Die Insel West-Falkland übertrifft an Ausdehnung ihre Nachbarin Soledad und hat am Südende des Byron-Sundes noch einen zweiten Hafen, der aber zu weit entfernt lag, als daß ich ihn hätte besuchen können.
Die Volksmenge des Archipels vermag ich nicht einmal annähernd abzuschätzen. Vielleicht betrug sie nicht mehr als zwei- bis dreihundert Personen, meist Engländer und daneben Indianer, Portugiesen, Spanier, Gauchos aus den argentinischen Pampas und Eingeborne aus dem Feuerlande; andrerseits war aber die Anzahl der Vertreter der Schaf- und Rinderrassen, die hier überall verstreut vorkommen, auf ungezählte Tausende anzunehmen. Ueber fünfhunderttausend Schafe liefern z. B. alljährlich für vierhunderttausend Dollars Wolle. Man züchtet auf den Inseln auch Rinder, deren Größe hier noch gewachsen zu sein scheint, während die anderer Vierfüßler, wie Schweine, Ziegen, Kaninchen u. s. w. sich verringert hat. Uebrigens leben alle diese Thiere wild: Ein der Falklands-Fauna eigenthümlicher Fuchshund ist der einzige Vertreter der Hunderasse.
Nicht ohne Grund hat man die Inselgruppe als »Thierfarm« bezeichnet. Sie enthält in der That unerschöpfliche Weideflächen mit einem Ueberfluß der saftigen, hier Tussock genannten Grasart, die die Natur den so zahlreichen Thieren überall bietet. Das in dieser Hinsicht so reiche Australien hält für seine Gäste aus den Schaf- und Rinderrassen auch keinen bessern Tisch gedeckt.
Wenn Schiffe sich frisch verproviantieren wollen, finden sie dazu auf den Falklands-Inseln gewiß die beste Gelegenheit, und das gilt ebenso für die, die durch die Magellanstraße segeln wollen, wie für die Fischerfahrzeuge, die in der Nähe der Polarländer auf den Fang ausziehen.
Nach Vollendung der Arbeiten am Rumpfe, beschäftigte sich der Lieutenant unter Beihilfe unsers in seinem Fache gründlich bewanderten Segelwerksmaats Martin Holt mit dem Mastwerk und der Takelage.
»Herr Jeorling,« sagte mir an jenem Tage – dem 21. Oktober – der Kapitän Len Guy. »Sie sehen, daß nichts unterlassen wird, den Erfolg unserer Fahrt zu sichern. Alles, was vorzusehen war, ist vorgesehen. Sollte die »Halbrane« doch bei einer Katastrophe ihren Untergang finden, nun, so geschieht es, weil es dem Menschen nicht vergönnt ist, gegen die Absichten Gottes mit Erfolg anzukämpfen.«
»O, ich habe die beste Hoffnung, Herr Kapitän,« antwortete ich. »Ihre Goëlette und Ihre Mannschaft verdienen das größte Vertrauen.«
»Gewiß, Herr Jeorling, und wir werden unter den besten Umständen durch das Eis einzudringen versuchen. Ich weiß freilich nicht, was der Dampf noch dereinst ermöglichen wird, bezweifle aber, daß Schiffe mit so sperrigen und zerbrechlichen Triebrädern bei der Fahrt im tiefen Süden einem Segler die Wage halten können. Daneben wird immer der Kohlenvorrath erneuert werden müssen . . . Nein, es ist immer rathsamer, an Bord eines gut steuerbaren Schiffes zu sein, sich des Windes, der ja aus drei Vierteln der ganzen Windrose zu benützen ist, zu bedienen und sich auf die Segel einer Goëlette zu verlassen, die noch ganz scharf am Winde hinfährt . . .«
»Ich bin ganz Ihrer Ansicht, Herr Kapitän, und was Seetüchtigkeit betrifft, wird man kaum ein besseres Schiff als das Ihrige finden. Im Falle die Fahrt aber längere Zeit beanspruchen sollte, dürften vielleicht die Nahrungsmittel . . .«
»O, davon führen wir für zwei Jahre mit, Herr Jeorling, und nur solche von bester Beschaffenheit. Port Egmont hat unsern Bedarf völlig gedeckt . . .«
»Gestatten Sie mir noch eine andere Frage? . . .«
»Ich bitte . . .«
»Sollten Sie an Bord der ›Halbrane‹ nicht eine zahlreichere Mannschaft nöthig haben? . . . Sind Ihre Leute auch zur Schiffsführung ausreichend, so könnte es im antarktischen Meere doch vorkommen, daß wir jemand angreifen oder uns vertheidigen müßten. Vergessen wir nicht, daß die Bewohner der Insel Tsalal nach Arthur Pym's Berichte nach Tausenden zählen. Und wenn nun Ihr Bruder William und seine Gefährten deren Gefangene wären . . .«
»Ich hoffe, Herr Jeorling, daß die ›Halbrane‹ durch unsere Artillerie besser geschützt sein wird, als es die »Jane« seiner Zeit war. Die jetzt vorhandene Mannschaft würde freilich für ein kriegerisches Unternehmen nicht ausreichen und ich habe auch bereits an ihre Vermehrung gedacht.«
»Sollte das Schwierigkeiten machen?«
»Ja und nein, denn ich habe die Zusage des Gouverneurs, mich bei der Anwerbung von Leuten zu unterstützen.«
»Sie werden den Leuten aber wohl einen hohen Lohn zusichern müssen, Herr Kapitän?«
»Den doppelten Sold, Herr Jeorling, der übrigens dann der ganzen Mannschaft gewährt werden wird.«
»Sie wissen, Herr Kapitän, ich bin in der Lage . . . ja ich wünschte sogar sehr, an den Unkosten der Fahrt theilnehmen zu dürfen.«
»Das wird sich ja finden, Herr Jeorling; vorläufig dank' ich Ihnen bestens. Die Hauptsache bleibt es, daß unsere Ausrüstung bald fix und fertig ist. Binnen acht Tagen müssen wir bereit sein, in See zu gehen.«
Die Neuigkeit, daß die Goëlette nach dem Südpolarmeere steuern sollte, hatte auf den Falklands-Inseln, in Port Egmont ebenso wie in den Häfen von Soledad, eine gewisse Erregung geweckt. Zur Zeit befanden sich hier nicht wenige arbeitslose Seeleute, die auf das Eintreffen von Walfängern warteten, um diesen ihre gewöhnlich gut bezahlten Dienste anzubieten. Hätte es sich nur um einen Fischzug in der Nähe des Polarkreises zwischen den Gewässern von Sandwich und Neu-Georgien gehandelt, so hätte der Kapitän Len Guy nur die Qual der Wahl gehabt. Sich aber über den Packeisrand hinauszuwagen, tiefer vorzudringen, als es einem Seefahrer bisher gelungen, das gab, obwohl es sich um die Rettung Schiffbrüchiger handelte, denn doch zu denken und ließ die meisten zögern. Es mußte einer schon zu den altgewohnten Leuten der »Halbrane« gehören, um vor den Gefahren einer solchen Fahrt nicht zurückzuschrecken und deren Führer so weit zu folgen, wie es ihm beliebte.
Es handelte sich jetzt thatsächlich um nichts geringeres, als um eine Verdreifachung der Mannschaft der Goëlette. Mit dem Kapitän, dem Lieutenant, dem Hochbootsmann, dem Koch und mir, waren wir dreizehn an Bord. Zweiunddreißig bis vierunddreißig Mann mochten aber doch nicht zu viele sein, wenn man bedenkt, daß die »Jane« achtunddreißig Köpfe zählte.
Sich nun noch einmal so viele neue Matrosen, wie die jetzt vorhandenen zu beschaffen, das wollte doch wohl überlegt sein. Es war ja fraglich, ob jene Seeleute auf den Falklands, die sich sonst den Walfängern anzubieten pflegten, auch die wünschenswerthen Garantien boten. Handelt es sich nur um die Aufnahme von vier bis fünf Mann unter eine schon zahlreichere Besatzung, so hat das am Ende nicht viel zu bedeuten; für die »Halbrane« traf das aber nicht zu.
Der Kapitän Len Guy hoffte immerhin, seine Wahl nicht zu bereuen zu haben, wenn die Behörden des Archipels ihm dabei halfen.
Des Gouverneur entfaltete in dieser Angelegenheit, die ihn ungemein interessierte, einen unglaublichen Eifer.
Bei der zugesicherten hohen Bezahlung fehlte es übrigens nicht an Angeboten.
Am Abend vor der für den 27. October bestimmten Abfahrt, war die Besatzung denn auch vollzählig.
Es erscheint überflüssig, hier jeden der Neuangeworbenen seinem Namen und seinen Eigenschaften nach anzuführen. Das wird der Leser aus dem Folgenden selbst entnehmen. Es gab eben Gute und Schlechte darunter.
In Wahrheit hätte man bessere oder – wenn man will – weniger schlechte nicht finden können.
Ich beschränke mich also auf die Bemerkung, daß unter den neuen Leuten sechs geborene Engländer waren, und unter ihnen ein gewisser Hearne aus Glasgow.
Fünf stammten aus Amerika (aus den Vereinigten Staaten) und acht waren von anderer, manchmal zweifelhafter Abstammung – einige gehörten zu der holländischen Bevölkerung, andere waren Halb-Spanier oder Halb-Feuerländer. Der jüngste zählte neunzehn, der älteste gegen vierzig Jahre. Den meisten war der Seemannsberuf nicht fremd, sie »hatten« bereits auf Handelsschiffen oder auf Schiffen, die den Fang von Walen, Robben und anderem Gethier der Polargegenden betrieben, meist wiederholt gefahren. Die Anwerbung der neuen Mannschaft hatte ja auch nur den Zweck, die zur Vertheidigung der Goëlette verfügbare Mannschaft zu vermehren.
Alles in allem hatten wir also neunzehn Recruten, die für die nicht vorher zu bestimmende Dauer der Fahrt in die Schiffsrolle eingetragen waren . . . Ueber die Insel Tsalal hinaus sollte die Reise jedoch nicht ausgedehnt werden. Was den Sold betraf, so war er derart bemessen, daß keiner der Matrosen früher wohl je halb so viel bezogen hatte.
Von mir abgesehen, bestand also, den Kapitän und den Lieutenant eingerechnet, die Besatzung aus einunddreißig Mann und daneben noch einem, mit dem wir uns eingehender befassen müssen.
Am Abend vor der Reise war auf den Kapitän an einer Ecke des Hafens ein Individuum zugetreten . . . offenbar ein Seemann, was seine Kleidung, Haltung und Sprechweise verriethen.
Dieses Individuum begann mit rauher, schwer verständlicher Stimme:
»Kapitän . . . ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu machen.«
»Und der wäre? . . .«
»Ja, hören Sie! . . . Haben Sie noch einen Platz an Bord?«
»Für einen Matrosen?«
»Für einen solchen.«
»Ja und nein,« antwortete der Kapitän Len Guy.
»Darf ich Ja annehmen?« fragte der Mann.
»In dem Falle, daß der, der sich anbietet, mir paßt.«
»Was denken Sie von mir selbst? . . .«
»Du bist Seemann?«
»Ich habe bereits zwanzig Jahre gefahren.«
»Wo denn?«
»Auf den südlichen Meeren. Weit . . . hören Sie mich recht . . . sehr weit!«
»Dein Alter? . . .«
»Vierzig Jahre.«
»Du bist in Port Egmont?«
»Kommende Weihnachten werden es drei Jahre.«
»Wolltest Du Dich auf einen Walfänger verheuern?«
»Nein.«
»Was hast Du dann hier angefangen?«
»Eigentlich nichts . . . jedenfalls wollt' ich nicht mehr zur See fahren.«
»Und warum willst Du Dich nun doch einschiffen? . . .«
»Ja, das war so ein eigner Gedanke! . . . Die Nachricht von der Reise, die Ihre Goëlette unternehmen sollte, drang bald überall hin. Ich wünschte nun . . . ja, ich wünsche lebhaft, daran theilzunehmen . . . natürlich mit Ihrer Zustimmung . . .«
»Bist Du in Port Egmont bei Andern bekannt?«
»Gewiß . . . und so lange ich hier weile, hat mir noch niemand etwas vorzuwerfen gehabt!«
»Schön, ich werde mich erkundigen,« antwortete der Kapitän.
»Thun Sie das, und wenn Sie dann Ja sagen, ist mein Sack noch heute Abend an Bord.«
»Wie ist Dein Name? . . .«
»Hunt.«
»Und Du stammst aus . . .?«
»Aus Amerika.«
Dieser Hunt war ein kaum mittelgroßer Mann mit sonnengebräuntem Teint, fast einem gebrannten Ziegel ähnlich. Er hatte im Uebrigen die gelbliche Haut eines Indianers, eine breite Brust, mächtigen Kopf und stark gebogene Beine. Seine Gliedmaßen verriethen große Körperkräfte, vorzüglich die Arme mit den großen Händen. Das Haar begann grau zu werden und ähnelte mehr einem Felle.
Was der Physiognomie dieses Mannes einen besonderen Charakter verlieh und von vornherein nicht gerade für ihn einnahm, das war der stechende Blick seiner kleinen Augen, sein fast lippenloser, sehr breiter Mund mit langen, unverletzten Zähnen, die nie von Skorbut ergriffen gewesen waren, was man bei den in hohen Breiten fahrenden Seeleuten doch sonst so häufig wahrnimmt.
Seit drei Jahren wohnte Hunt auf den Falklands, zuerst in einem der Häfen an der Bai der Franzosen auf Soledad und zuletzt in Port-Egmont. Wenig geselliger Natur, lebte er einsam von einer Pension – wofür er diese bezog, wußte freilich niemand. Nirgends in festen Diensten, betrieb er auf eigene Faust Fischfang, und das hätte ja zu seinem Lebensunterhalte genügt, ob er sich unmittelbar mit den Fischen ernährte oder seine Beute verkaufte.
Die Auskunft, die der Kapitän über Hunt erhielt, konnte den Umständen nach nur sehr spärlich ausfallen, außer der über seine Lebensführung, seit er in Port Egmont wohnte. Der Mann schlug sich nicht mit andern herum, er trank nicht, hatte wenigstens nie einen »Hieb«, dagegen wiederholt Proben einer wahrhaft herkulischen Kraft abgelegt. Von seiner Vergangenheit war nichts weiter bekannt, als daß er Seemann gewesen sei. Er hatte dem Kapitän Len Guy darüber eigentlich mehr als je einem andern mitgetheilt. Ueber alles weitere beobachtete er hartnäckiges Schweigen, ebenso über seine Familie, wie über den Ort seiner Geburt. Das machte ja nicht viel aus, wenn er sich nur als brauchbarer Matrose erwies.
Alle Erkundigungen gaben keine Veranlassung, das Anerbieten Hunt's zurückzuweisen. Ja, man hätte wünschen können, daß die andern, in Port Egmont neu Angeworbenen ebenso einwurfsfrei gewesen wären. Hunt erhielt also günstige Antwort und richtete sich am Abend an Bord ein.
Alles war zur Abreise fertig. Die »Halbrane« führte Lebensmittel für zwei Jahre, schwach eingesalzenes Fleisch, Gemüse verschiedner Art, sowie in Essig eingelegten Sellerie und Löffelkraut, die beide gegen skorbutische Erkrankungen mit Vortheil angewendet werden. Der Frachtraum barg Fäßchen mit Branntwein und Gin für den täglichen Verbrauch und einen großen Vorrath von Mehl und Schiffszwieback, der in den Lagerhäusern des Hafens eingekauft worden war.
Auf Befehl des Gouverneurs waren der Goëlette auch Munition, Pulver, Geschosse, Flintenkugeln und Hagelschrot geliefert worden. Der Kapitän Len Guy hatte sogar Entergeräthschaften erworben, die von einem kürzlich an den Klippen vor der Bai gescheiterten Schiffe herrührten.
Am Morgen des 27. gingen, unter dem Beisein der Inselbehörden, die Arbeiten zur Abfahrt mit bemerkenswerther Schnelligkeit vor sich. Man tauschte noch die letzten Glückwünsche, die letzten Abschiedsrufe aus. Dann tauchte der Anker vom Grunde auf und die Goëlette setzte sich in Gang.
Ein mäßiger Wind wehte aus Nordwesten und mit ihren oberen und unteren Segeln glitt die »Halbrane« der Durchfahrt zu. Im freien Wasser angelangt, wendete sie nach Osten zur Umschiffung der Tamar Hart-Spitze am Ende der Meerenge, die beide Inseln trennt. Am Nachmittage segelte sie an Soledad vorüber, das sie an Backbord liegen ließ. Endlich verschwanden die Caps Dolphin und Pembroke hinter den Nebeln des Horizonts.
Die Fahrt war nun angefangen. Gott allein konnte wissen, ob ein Erfolg den muthigen Männern beschieden sein werde, die menschliches Mitgefühl jetzt in die schrecklichen Gebiete des südlichen Polarmeeres führte.