Jules Verne
Das Dampfhaus. Erster Band
Jules Verne

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Achtes Capitel.

Einige Stunden in Benares.

Nun lag die Landstraße also für das Steam-House offen – jene Straße, die uns über Sasseram am rechten Ufer des Ganges bis nach Benares führen sollte.

Eine Meile von der letzten Haltestelle nahm die Maschine wieder einen gemäßigteren Gang an und legte etwa zweiundeinehalbe Meile in der Stunde zurück. Banks beabsichtigte denselben Abend fünfundzwanzig Meilen von Gaya zu rasten und die Nacht in Ruhe nahe der kleinen Stadt Sasseram zu verbringen.

Im Allgemeinen vermeiden die Landstraßen Indiens soweit als möglich die Wasserläufe, welche Brücken nothwendig machen, deren Herstellung auf dem Alluvialboden des Landes große Kosten bedingt. Selbst an solchen Stellen, wo man einem Flusse oder Strome nicht aus dem Wege gehen konnte, fehlen sie doch noch häufig. Zwar findet man dann wenigstens eine Fähre, das altertümliche unzureichende Auskunftsmittel, das zur Ueberführung unseres Zuges sicherlich nicht genügt hätte. Glücklicher Weise konnten wir desselben entbehren.

Gerade an diesem Tage mußten wir nun einen bedeutenden Fluß, die Sone, überschreiten. Oberhalb Rhotas aus seinen Quellflüssen Coput und Coyle entspringend, mündet derselbe etwa in der Mitte zwischen Arrah und Dinapore in den Ganges.

Die Ueberfahrt ging außerordentlich leicht vonstatten. Der Elephant verwandelte sich ganz von selbst in einen Wasser-Motor. Er stieg den sanft geneigten Uferrand hinab bis in den Fluß, schwamm auf dessen Fläche und die breiten Füße peitschten das Wasser wie die Schaufeln eines Rades, wobei er den Zug, der hinter ihm schwamm, nachschleppte.

Kapitän Hod wußte sich vor Jubel kaum zu fassen.

»Ein rollendes Haus!« rief er einmal über das andere, »ein Haus, das gleichzeitig ein Wagen und ein Dampfschiff ist! Nun fehlen ihm nur noch Flügel, um es in einen Fliegapparat zu verwandeln und den Luftraum zu durchmessen!«

»Das wird auch noch einmal kommen, Freund Hod,« sagte der Ingenieur ganz ernsthaft.

»Ja, ich weiß, Freund Banks,« antwortete ebenso ernsthaft der Kapitän, »es wird noch Alles werden! Nur Eines nicht, nämlich, daß wir in zweihundert Jahren noch einmal unter den Lebenden weilen, um all' diese Wunder zu schauen! Das Leben ist gar nicht alle Tage so angenehm, und doch wäre ich dabei, zehn Jahrhunderte zu leben – aus reiner Neugier!«

Gegen Abend, zwölf Stunden nach der Abfahrt von Gaya, nachdem wir unter der stolzen Röhrenbrücke der Eisenbahn, welche vierundzwanzig Fuß über dem Spiegel der Sone liegt, hinweggeglitten waren, hielten wir in der Nähe von Sasseram. Wir wollten hier nur eine Nacht über bleiben, um Holz und Wasser zu fassen, und mit Tagesanbruch wieder aufbrechen.

Dieses Programm wurde in allen Punkten eingehalten, und bevor die Sonne ihre brennenden Strahlen, welche uns für den Mittag gespart blieben, aussandte, fuhren wir am frühen Morgen des 22. Mai wieder ab.

Die Landschaft war immer dieselbe, d. h. reich und fleißig angebaut, so wie sie längs der Ufer des herrlichen Ganges-Thales erscheint. Ich erwähne hier die zahlreichen Dörfer nicht, die inmitten unendlicher Reisfelder zerstreut oder unter Palmengruppen mit dichter Blätterkrone, unter dem Schatten von Mango- oder anderen edlen Bäumen versteckt liegen. Wir hielten übrigens bei denselben nicht an. Sperrte dann und wann ein von Zebus langsam dahingezogener Karren den Weg, so genügte ein schriller Pfiff mit der Dampfpfeife, ihn zum Ausweichen zu veranlassen, und unser Zug rollte zur größten Verwunderung der Bauern vorüber.

Im Laufe dieses Tages hatte ich auch das herrliche Vergnügen, sehr viele Rosenfelder zu sehen. Wir befanden uns jetzt nämlich nicht mehr fern von Ghazipore, dem Mittelpunkte für die Darstellung des Rosenwassers oder vielmehr der Rosenessenz.

Ich fragte Banks, ob er mir über diesen so gesuchten Artikel, den wichtigsten in der Kunst der Zusammenstellung von Wohlgerüchen, Näheres mittheilen könne.

»Ich will Ihnen Ziffern anführen,« antwortete mir Banks, »die den Beweis liefern, wie kostspielig die Fabrikation ist. Vierzig Pfund Rosen werden zuerst bei mäßigem Feuer einer Art langsamer Destillation unterworfen und liefern etwa dreißig Pfund Rosenwasser. Dieses Wasser gießt man auf eine neue Quantität von vierzig Pfund Blumen und setzt die Destillation so lange fort, bis die Flüssigkeit noch zwanzig Pfund beträgt. Dieselbe wird nun zwölf Stunden lang der kalten Nachtluft ausgesetzt, und am anderen Morgen findet man auf deren Oberfläche – eine Unze wohlriechendes Oel. Aus achtzig Pfund Rosen – eine Quantität, welche mindestens zweimalhunderttausend Blumen enthält – gewinnt man am Ende also eine Unze ätherisches Oel. Es ist ein wirklicher Massenmord! Es ist also nicht zu verwundern, daß die Rosenessenz selbst im Productionsland die Unze mit vierzig Rupien, gleich hundert Francs bezahlt wird.«

»Ah,« meinte Kapitän Hod, »wenn man zur Gewinnung einer Unze Alkohols achtzig Pfund Weintrauben brauchte, da würde der Grog verwünscht theuer werden!«

An diesem Tage hatten wir noch die Karamnaca, einen der Nebenflüsse des Ganges, zu überschreiten. Die Hindus haben aus diesem unschuldigen Flusse eine Art Styx gemacht, auf dem zu fahren nicht gerathen sei. Sein Ufer ist nicht minder in üblem Ruf als das des Jordans oder die Küste des Todten Meeres. Die Cadaver, welche in denselben geworfen werden, führt er direct in die brahmanische Hölle. Ich gehe auf diese Glaubensfragen hier nicht ein; wenn aber behauptet wird, das Wasser dieses Höllenflusses sei von unangenehmem Geschmack und der Gesundheit schädlich, so muß ich dem widersprechen, da es im Gegentheil ausgezeichnet ist.

Am Abend, nachdem wir durch ein wenig hügeliges Land mit unübersehbaren Mohnfeldern und weiten Reisplantagen gekommen, lagerten wir am rechten Ufer des Ganges, gegenüber dem uralten Jerusalem der Hindus, der heiligen Stadt Benares.

»Vierundzwanzig Stunden Aufenthalt!« rief Banks.

»Wie weit sind wir jetzt von Calcutta?« fragte ich den Ingenieur.

»Etwa dreihundertfünfzig Meilen,« erklärte er mir, »und Sie werden zugeben, lieber Freund, daß wir weder von der Länge des Weges noch von Beschwerden der Reise etwas bemerkt haben!«

Der Ganges! Giebt es einen Fluß, dessen bloßer Name mehr poetische Legenden in uns wachruft, und scheint sich nicht ganz Indien in ihm zu vereinen? Findet sich auf der weiten Erde ein dem seinigen vergleichbares Thal, das sich, um seinen stolzen Lauf zu regeln, über eine Strecke von fünfhundert Meilen fortsetzt und nicht weniger als hundert Millionen Einwohner zählt? Giebt es einen zweiten Ort, wo seit dem Auftreten der asiatischen Racen mehr Wunder zusammengehäuft worden wären? Was würde Victor Hugo, der die Donau so erhaben besang, von dem Ganges gesagt haben? Ja, man kann es laut von sich verkündigen, wenn man

. . . wie ein Meer seine hohle See hat,
Wenn man über die Erde dahinzieht
Wie eine Schlange, und wenn man strömt
Vom Abendlande bis zum Morgenland!

Der Ganges aber hat seinen gefährlichen Seegang, seine Cyclonen, die schlimmer auftreten, als die Stürme des europäischen Stromes! Er windet sich, einer Schlange gleich, durch die paradiesischsten Gegenden der Welt! Auch er fließt vom Abend nach Morgen. Aber seine Quelle entspringt nicht auf mittelmäßigen Hügeln – die höchste Bergkette der Erde ist es, in den Gebirgsriesen von Tibet, von der sie herabstürzt, alle Nebenflüsse verschlingend! Vom Himalaya steigt er zur Erde herab!

Am folgenden Tage, am 23. Mai, lag bei Sonnenaufgang der breite Wasserspiegel vor unseren Blicken da. Auf dem weißen Sand lagen einige Gesellschaften gewaltiger Alligatoren, welche die ersten Strahlen der Sonne zu trinken schienen. Sie verhielten sich ruhig dem glänzenden Gestirn zugewendet, als wären sie die gewissenhaftesten Anhänger Brahmas. Einige vorüberschwimmende Leichen störten sie jedoch bald aus ihrer Andacht auf. Von den Cadavern, welche der Strom mit hinabführt, hat man gesagt, daß sie auf dem Rücken schwimmen, wenn es solche von Männern, auf der Brust aber, wenn es solche von Frauen wären. Ich kann versichern, daß an dieser Beobachtung nichts Wahres ist. Schnell stürzten sich die Ungeheuer auf die willkommene Beute, welche ihnen die Ströme der Halbinsel täglich liefern, und schleppten dieselben in die Tiefe.

Die Eisenbahn von Calcutta verläuft vor ihrer Gabelung bei Allahabad, von wo aus sie nordwestlich nach Delhi und südwestlich nach Bombay führt, stets am rechten Ufer des Ganges, dessen Krümmungen sie nur abschneidet. Bei der Station Mogul Seraï, von der wir nur wenige Meilen entfernt waren, zweigt sich eine kleinere Strecke ab, die nach Ueberschreitung des Stromes Benares berührt und durch das Gounti-Thal sechzig Kilometer weit bis Jaunpore reicht.

Benares liegt demnach am linken Ufer. Hier wollten wir indeß nicht über den Ganges gehen, sondern erst bei Allahabad. Der Stahlriese blieb also an dem am Vorabend des 22. Mai gewählten Halteplatze. Am Flußufer lagen Gondeln bereit, uns nach der heiligen Stadt zu bringen, die ich etwas eingehender zu besichtigen wünschte.

Oberst Munro hatte in der oft von ihm besuchten Stadt nichts mehr zu lernen, nichts mehr zu sehen. An jenem Tage kam ihm zwar einmal der Gedanke, sich uns anzuschließen, nach reiflicher Ueberlegung aber entschied er sich für einen in Gesellschaft Mac Neil's längs des Flusses zu unternehmenden Ausflug. Beide verließen auch das Steam-House, bevor wir aufgebrochen waren. Kapitän Hod, der früher in Benares in Garnison gelegen hatte, wollte einige Kameraden besuchen. Banks und ich – der Ingenieur wollte mir als Führer dienen – wir waren also die Einzigen, welche ein Gefühl von Neugierde nach der Stadt verlockte.

Wenn ich sagte, daß Kapitän Hod in Benares garnisonirt habe, so darf man nicht vergessen, daß die Truppen der königlichen Armee gewöhnlich nicht in den Hindustädten selbst untergebracht sind. Ihre Kasernen liegen in den sogenannten »Cantonnements«, welche gleich an und für sich englische Städte darstellen. So ist es in Allahabad, in Benares und an anderen Punkten des Reiches, wo sich nicht allein die Soldaten, sondern auch die Beamten, Kaufleute und Rentiers mit Vorliebe ansiedeln. Jede von jenen großen Städten besteht also eigentlich aus zwei Theilen, dem einen, in dem man allen modernen Luxus Europas wiederfindet, und dem anderen, der die Landessitte und die Gebräuche der Hindus mit der ganzen Localfarbe bewahrt hat.

Die an Benares anliegende englische Stadt ist Secrole, deren Bungalows und christliche Kirchen nichts Interessantes bieten. Hier befanden sich auch von Touristen frequentirte bessere Hotels. Secrole ist eine ganz und gar »gemachte« Stadt, welche die Fabrikanten des Vereinigten Königreiches in Kisten versenden könnten, um sie sofort wieder aufzustellen. Hier giebt es also etwas Merkwürdiges nicht zu sehen. Nachdem Banks und ich in einer Gondel Platz genommen, fuhren wir in schräger Richtung über den Ganges, um zunächst einen Ueberblick über das prächtige Amphitheater zu gewinnen, das Benares oberhalb des hohen Ufers bildet.

»Benares,« sagte Banks zu mir, »ist vor allen anderen die heilige Stadt Indiens, das Mekka der Hindus, und Jeder, der sich daselbst, wenn auch nur vierundzwanzig Stunden aufgehalten hat, versichert sich damit eines Theiles der ewigen Glückseligkeiten. Es erscheint begreiflich, welchen Zufluß von Pilgern ein solches Dogma herbeilocken und welch' große Anzahl Bewohner eine Stadt haben muß, der Brahma so hochwichtige Vorrechte verliehen hat.«

Benares soll schon über dreißig Jahrhunderte alt sein. Es wäre also etwa zu der Zeit gegründet worden, als Troja von Erdboden verschwand. Nachdem es von jeher einen großen, nicht politischen, aber geistigen Einfluß auf ganz Hindostan ausgeübt, wurde es bis zum 9. Jahrhundert der anerkannte Mittelpunkt der buddhistischen Religion. Da vollzog sich eine religiöse Umwälzung. Der Brahmanismus verdrängte den alten Cultus. Benares wurde die Hauptstadt der Brahmanen, der Brennpunkt für die Fahrten der Gläubigen, und man behauptet, daß hier jährlich 300.000 Pilger zusammenströmen.

Die heilige Stadt hat noch immer ihren eigenen Rajah. Dieser von England nur kärglich besoldete Fürst bewohnt einen prächtigen Palast in Ramnagur am Ganges. Er ist ein wirklicher Nachkomme der Könige von Kazi (der alte Name für Benares), hat aber keinerlei Einfluß, und würde sich darüber wohl hinwegsetzen, hätte man seinen Ruhegehalt nicht auf ein Lakh Rupien vermindert, d. h. also auf 100.000 Rupien, gleich 200.000 Mark, eine Summe, die einem früheren Nabob kaum als Taschengeld ausreichte.

Der Aufstand von 1857 berührte, wie überhaupt alle Städte des Ganges-Thales, auch Benares. Jener Zeit bestand dessen Garnison aus dem 37. Regiment eingeborner Infanterie, einem Corps regulärer Cavallerie und einem halben Regiment Sikhs. An königlichen Truppen besaß es nur eine halbe Batterie europäischer Artillerie. Diese Handvoll Menschen konnte es nicht wagen, die eingebornen Soldaten zu entwaffnen. Die Regierungsbehörden erwarteten daher auch mit Verlangen die Ankunft des Oberst Neil, der mit dem 10. Regiment der königlichen Armee auf Allahabad marschirte. Oberst Neil zog in Benares nur mit zweihundertfünfzig Mann ein und ordnete sofort eine Parade auf dem Exercirplatze an.

Als die Sipahis versammelt waren, erhielten sie den Befehl, die Waffen niederzulegen. Das verweigerten dieselben. Damit kam es zwischen ihnen und der Infanterie des Oberst Neil zum Kampf. Die reguläre Cavallerie schloß sich sofort den Empörern an, ebenso wie später die Sikhs, welche sich verrathen glaubten. Jetzt eröffnete die halbe Batterie das Feuer mit einem Hagel von Kartätschen, der die Aufrührer trotz ihrer Uebermacht und Erbitterung völlig auflöste.

Das Gefecht fand außerhalb der bewohnten Quartiere statt. Im Gebiete der Stadt selbst kam es nur zu einer ohnmächtigen Erhebung der Muselmanen, welche die grüne Fahne aufzogen – ein Versuch, der gänzlich fehlschlug. Von diesem Tage ab wurde Benares während des ganzen Aufstandes nicht wieder gestört, nicht einmal als die Empörung in den Provinzen des Westens siegreich zu sein schien.

Banks machte mir diese Mittheilungen, während unser Boot über die Fluthen des Ganges glitt.

»Lieber Freund,« sagte er, »wir wollen also Benares besuchen; gut! So alt diese Stadt auch ist, so werden Sie selbst kein Bauwerk finden, das mehr als dreihundert Jahre zählte. Wundern Sie sich darüber nicht. Es ist das die Folge der Religions-Streitigkeiten, bei denen Eisen und Feuer stets eine nur zu bedauerliche Rolle spielten. Nichtsdestoweniger bleibt Benares eine merkwürdige Stadt, und Sie werden keine Ursache haben, ihren Ausflug zu bereuen!«

Bald darauf lag unsere Gondel in geeigneter Entfernung still, um uns am Grunde eines Golfes, ähnlich dem von Neapel, das pittoreske Amphitheater von Häusern erkennen zu lassen, die auf einem Hügel übereinanderliegen, und die Menge Paläste, von denen ein ganzer Complex in Folge einer Senkung des Bodens, den die Wellen des Stromes fort und fort unterwühlen, vom Einstürzen bedroht ist. Eine nepalesische Pagode von chinesischer Architektur, welche Buddha geweiht ist, ein Wald von Thürmen, Spitzen, Minarets und kleinen Pyramiden, die von Tempeln und Moscheen emporstreben, überragt von dem goldenen Lingam-Pfeile Sivas und den beiden unscheinbaren Pfeilen der Moschee Aurung Zebs, krönt das wunderbare Panorama.

Statt unmittelbar an einer der »Ghâts« oder Treppen, die vom Wasser zu den Uferstraßen hinaufführen, zu halten, ließ Banks die Gondel längs der Quais weiter fahren, deren unterste Mauerschichten bis zum Strome hinabreichen.

Ich sah hier eine Wiederholung der Auftritte von Gaya, nur in anderer Landschaft. An Stelle der grünen Wälder des Phalgou trat hier als Hintergrund das Bild der heiligen Stadt.

Das Schauspiel selbst war nahezu das gleiche.

Auch hier bedeckten Tausende von Pilgern den Uferabhang, die Terrassen und Treppen, und stürzten sich voller Andacht zu Dreien und Vieren in den Strom. Man darf aber nicht etwa glauben, daß dieses Bad unentgeltlich zu haben wäre. Wächter mit rothem Turban und den Säbel an der Seite erhoben auf den untersten Stufen der Ghâts das Eintrittsgeld im Verein mit geschäftigen Brahmanen, welche Rosenkränze, Amulette und andere fromme Bedürfnisse verkauften.

Übrigens drängten sich hier nicht nur Pilger, welche nur selbst zu baden gekommen waren, sondern auch Händler, deren einziges Geschäft darin bestand, heiliges, geweihtes Wasser zu schöpfen, das bis in die entlegensten Theile der Halbinsel vertrieben wird. Als Garantie ward jeder Flasche das Siegel der Brahmanen aufgedrückt. Immerhin darf man annehmen, daß hierbei Betrügereien im größten Maßstabe mit unterlaufen, denn der Export der wunderbaren Flüssigkeit hat eine gar zu beträchtliche Höhe erreicht.

»Vielleicht,« meinte Banks, »genügte der ganze Inhalt des Ganges noch nicht für den Bedarf der Gläubigen!«

Ich fragte ihn darauf, ob bei dieser »Baderei« nicht zuweilen Unfälle vorkämen, da man von Sicherheitsmaßregeln nichts bemerkte. Denn Schwimmmeister gab es z. B. hier nicht, um Unvorsichtige abzuhalten, die sich in die schnelle Strömung des Flusses verirrten.

»Unfälle kommen häufig genug vor,« antwortete mir Banks, »doch, wenn der Körper des Gläubigen verloren ist, so ist wenigstens seine Seele gerettet. Deshalb macht man nicht viel Aufheben darum.«

»Und die Krokodile?« forschte ich weiter.

»Die Krokodile halten sich meist beiseite. Der Lärm im Wasser erschreckt und verscheucht sie. Diese Ungeheuer sind weit weniger zu fürchten, als die Bösewichte, welche untertauchen, unter dem Wasser hingleiten, Frauen und Kinder herabzerren und ihnen das Geschmeide rauben. Man erzählt auch von einem Schurken, der mit einem künstlichen Kopfe bedeckt, lange Zeit die Rolle eines falschen Krokodils gespielt und bei diesem einträglichen und gefährlichen Geschäfte sich ein ganz nettes Vermögen erworben haben soll. Eines Tages ward dieser Eindringling von einem wirklichen Alligator aufgefressen und man fand von ihm nichts als den Kopf von lohgarer Haut, der noch auf dem Strome hinabtrieb.«

Außerdem giebt es auch genug überspannte Gläubige, welche freiwillig den Tod im Ganges suchen und dabei sogar mit Raffinement zu Werke gehen. Um ihren Körper befestigen sie dann z. B. einen Rosenkranz von leeren, aber unverschlossenen urnenartigen Gefäßen. Allmälich dringt das Wasser in dieselben ein und zieht sie unter dem beifälligen Jubel der andächtigen Menge langsam hinunter.

Die Gondel hatte uns bald an die Manmenka Ghat gebracht. Hier erhoben sich die Scheiterhaufen, denen die Leichen aller Derjenigen übergeben werden, welche wegen des zukünftigen Lebens etwas in Besorgniß sind. Die Gläubigen halten viel auf die Einäscherung an dieser Stelle, und die Scheiterhaufen lodern deshalb Tag und Nacht. Aus weiter Ferne her lassen sich die reichen Babous nach Benares bringen, sobald sie sich von einer unheilbaren Krankheit ergriffen fühlen. Benares gilt ohne Zweifel für den besten Abfahrtsplatz bei »der Reise in die andere Welt«. Hat der Verstorbene sich nur verzeihliche Sünden vorzuwerfen, so geht seine Seele auf den Rauchwolken der Manmenka sofort zur ewigen Glückseligkeit ein. War er ein großer Sünder, so muß sich seine Seele dagegen erst in dem Körper eines eben gebornen Brahmanen läutern. Er darf dann hoffen, daß, wenn sein Leben während dieser zweiten Fleischwerdung ein tadelloses gewesen ist, ihm keine dritte »Avatâra« (eine dritte Menschwerdung) auferlegt wird, bevor er für immer zum Genuß der Seligkeiten in Brahma's Himmel zugelassen wird.

Den Rest des Tages benutzten wir zu einem Besuche der Stadt, ihrer hauptsächlichsten Bauwerke und der von düsteren Läden nach arabischer Sitte eingefaßten Bazars. Hier bringt man vorzüglich seine Mousselins zum Verkaufe, neben dem »Kinkôb«, einer Art goldbroschirten Seidenstoffs und das wichtigste Erzeugniß der Industrie von Benares. Die Straßen waren gut erhalten, aber eng, eine Anlage, die man in allen von den Strahlen der Tropensonne fast senkrecht getroffenen Städten wiederfindet. Empfindet man doch im Schatten hier noch eine unausstehliche Hitze. Ich bedauerte die Träger unseres Palankins aufrichtig, obgleich diese sich nicht selbst zu beklagen schienen.

Die armen Teufel fanden hierbei ja Gelegenheit, einige Rupien zu verdienen, das genügte, ihnen Kräfte und Muth einzuflößen. Ganz anders erschien dagegen ein Hindu, oder vielmehr ein Bengali, mit lebhaften Augen und verschlagenem Ausdruck im Gesicht, der uns ohne Scheu auf Tritt und Schritt verfolgte.

Beim Aussteigen am Quai der Manmenka Ghât hatte ich im Gespräch mit Banks den Namen des Oberst Munro laut fallen lassen. Der Bengali, der unsere Gondel anlegen sah, schien dabei unwillkürlich zu erzittern. Ich beachtete das zwar nicht weiter, doch kam es mir in den Sinn, als ich diesen Spion immer an unsere Fersen geheftet sah. Er verließ uns nur, um wenige Augenblicke später vor oder hinter uns wieder aufzutauchen. War es ein Freund oder ein Feind? Ich wußte es nicht; jedenfalls erregte der Name des Oberst Munro bei ihm ein mehr als gewöhnliches Interesse.

Unser Palankin hielt bald am Fuße der großen Treppe von hundert Stufen, die vom Quai nach der Moschee Aureng Zebs hinaufführt.

Früher klommen die Gläubigen, so wie die in Rom, diese Art Santa Scala nur auf den Knieen empor. Damals erhob sich der Tempel Wischnus an derselben Stelle, die später die Moschee des Eroberers einnahm.

Ich hätte Benares gern von der Höhe der Minarets in Augenschein genommen, die für ein architektonisches Meisterwerk gehalten werden. Bei einer Höhe von hundertzweiunddreißig Fuß haben sie doch nur den Durchmesser einer gewöhnlichen Küchenesse, und dennoch windet sich in ihrem cylindrischen Schafte noch eine Treppe empor; es ist aber, und zwar mit Recht, verboten, dieselben zu besteigen. Schon jetzt weichen die beiden Minarets nicht wenig von der lothrechten Linie ab und werden, da sie nicht so stabil sind wie der schiefe Thurm zu Pisa, über kurz oder lang einmal umstürzen.

Als wir die Moschee Aureng Zebs verließen, sah ich den Bengali wieder, der uns am Thore derselben erwartete. Jetzt faßte ich ihn scharf in's Auge und er sah dabei zur Erde. Bevor ich Banks' Aufmerksamkeit wach rief, wollte ich mich überzeugen, ob die verdächtige Persönlichkeit uns immer nachfolgen werde, und schwieg deshalb.

Die Pagoden und Moscheen der Wunderstadt Benares zählen nach Hunderten. Ebenso die glänzenden Paläste, deren ohne Zweifel schönster dem Könige von Nagpore gehört. Es versagt sich nämlich kein Rajah, ein Stück Boden in der heiligen Stadt zu erwerben, nach der sich Alle zur Zeit der großen religiösen Feste von Mela begeben.

Ich konnte nicht daran denken, in der kurzen uns zu Gebote stehenden Zeit alle diese Gebäude zu besuchen, und beschränkte mich also darauf, den Tempel Bicheschwar's, wo sich der Lingam Siva's befindet, kennen zu lernen. Dieser unförmige Stein, der als ein Theil des Körpers vom wildesten der Götter der Hindu-Mythologie betrachtet wird, bedeckt einen Brunnen, dessen modriges Wasser der Sage nach Wunderkräfte besitzen soll. Ich sah auch die Mankarnika oder den heiligen Springbrunnen, in dem sich die Gläubigen zum großen Vortheile der Brahmamen baden, ferner den Mân Mundir, ein vor zwei Jahrhunderten durch den Kaiser Akbar errichtetes Observatorium, dessen Instrumente alle aus – Stein hergestellt sind.

Auch von einem Palaste der Affen, den alle Reisenden in Benares aufsuchen, hatte ich reden hören. Ein Pariser würde dabei natürlich erwarten, das berühmte Affenhaus aus dem Jardin des Plantes wiederzufinden. Weit gefehlt!

Der Palast ist nichts als ein Tempel, der Dourga Khound, etwas außerhalb der Vorstädte gelegen. Er stammt aus dem 9. Jahrhundert und gehört zu den ältesten Bauwerken der Stadt. Die Affen sind hier nicht in einem vergitterten Käfig eingesperrt. Sie schweifen frei durch die Höfe, springen von einer Mauer zur anderen, klettern in die Gipfel der riesigen Mango-Bäume und zanken sich mit lautem Geschrei um geröstete Körner, nach denen sie so lüstern sind und welche die Besucher ihnen mitzubringen pflegen. Hier, wie überall erheben die Brahmanen, als Wächter des Dourga Khound, eine kleine Steuer, welche diesen Stand zu dem einträglichsten in ganz Indien macht.

Selbstverständlich fühlten wir uns von der Hitze nicht wenig erschöpft, als wir gegen Abend daran dachten, nach dem Steam-House zurückzukehren. Wir hatten in Secrole, in einem der besten Hotels der englischen Stadt, gefrühstückt und zu Mittag gespeist, doch gestehe ich, daß wir dabei die Küche des Monsieur Parazard doch vermißten.

Als die Gondel an den Fuß der Ghât zurückkam, um uns nach dem rechten Gangesufer überzusetzen, sah ich jenen Bengali dicht bei unserem Boote zum letzten Male wieder. Ein von einem Hindu geführtes Boot schien ihn zu erwarten. Wollte er wohl ebenfalls über den Fluß setzen und bis zu unserem Haltepunkt folgen? Die Sache ward allmälich verdächtig.

»Banks,« begann ich da mit leiser Stimme, auf den Bengali zeigend, »das ist ein Spion, der uns auf jedem Schritte folgte.«

»Ich hab' ihn wohl bemerkt,« erwiderte Banks, »und auch gesehen, daß der von Ihnen ausgesprochene Name des Oberst Munro seine Aufmerksamkeit erweckte.«

»Sollten wir ihn also nicht . . .?«

»Nein, nein, lassen wir ihn gehen,« fiel mir Banks in's Wort. »Besser er hält sich für unbeachtet . . . übrigens ist er ja gar nicht mehr da.«

Wirklich war das Canot des Bengali schon unter der Menge von Fahrzeugen verschwunden, welche jetzt die dunklen Wellen des Ganges durchschnitten.

Da wandte sich Banks an unseren Bootsmann.

»Kennst Du jenen Mann?« fragte er mit möglichst gleichgiltiger Stimme.

»Nein, ich sah ihn zum ersten Male!« antwortete der Bootsführer.

Die Nacht sank herab. Hunderte von beflaggten, mit bunten Laternen geschmückte Boote, besetzt mit Sängern und Musikanten, kreuzten sich in allen Richtungen auf dem Strome. Vom linken Ufer leuchteten verschiedene Feuerwerke auf und erinnerten mich an die Nähe des Himmlischen Reiches, wo dieselben so hoch in Ansehen stehen. Es wäre schwierig, dieses Schauspiel zu beschreiben, das wirklich kaum seinesgleichen finden dürfte. Aus welcher Veranlassung dieses scheinbar improvisirte Nachtfest gefeiert wurde, an dem Hindus aller Klassen theilnahmen, konnte ich nicht erfahren. Als es zu Ende ging, hatte unsere Gondel das linke Stromufer wieder erreicht.

Das Ganze erschien wie eine Vision. Es dauerte kaum länger, als der aufblitzende Lichtschein, der den Himmel auf Augenblicke erleuchtet und dann erlischt. Doch wie gesagt, Indien verehrt dreihundert Millionen Gottheiten, Untergottheiten, Heilige und Halbheilige jeder Sorte, und das Jahr hat nicht so viel Stunden, Minuten und Secunden, als daß jeder dieser Gottheiten eine einzige gewidmet werden könnte.

Bei unserer Rückkehr nach dem Halteplatz waren Oberst Munro und Mac Neil daselbst schon wieder eingetroffen. Banks fragte den Sergeanten, ob während unserer Abwesenheit etwas vorgefallen sei.

»Nichts,« antwortete Mac Neil.

»Sie sahen keine verdächtige Persönlichkeit hier herumschleichen?«

»Nein, Herr Banks. Haben Sie Veranlassung zu irgend einem Verdachte? . . .«

»Wir wurden bei unserem Ausfluge nach Benares fortwährend beobachtet,« erwiderte der Ingenieur, »und das gefällt mir nicht.«

»Und dieser Spion war . . .«

»Ein Bengali, den der Name des Oberst Munro erst aufmerksam zu machen schien.«

»Was kann der Mann von uns wollen?«

»Das weiß ich nicht. Mac Neil. Jedenfalls heißt es aufzupassen.«

»Ich werde auf dem Posten sein!« versicherte der Sergeant.

 


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