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Kein Roman des berühmten Franzosen ist für die Gegenwart lesenswerter als der vorliegende, der ein so interessantes Gemälde von dem Reiche der Mitte giebt, wie wohl kaum ein zweites Werk solcher Gattung. Gelehrte Werke über China sind vorhanden oder erschienen in Menge, aber den Nutzen, den sie für den deutschen Leser stiften sollen, welchen die neuesten politischen Ereignisse vor die Notwendigkeit gestellt haben, sich mit den Verhältnissen, Gebräuchen und Sitten dieses eigentümlichsten aller Völker vertraut zu machen, können sie um deswillen nicht stiften, weil bei ihnen die trockne Behandlung der Materie zu rasch ermüdet. In dem vorliegenden Werke aber – einem Roman im eigentlichen Sinne des Wortes – bietet sich dem Leser in wunderbarer Fülle ein schier unerschöpfliches Material zur Belehrung über China und die Chinesen im Rahmen einer sehr geschickt angelegten Fabel, deren Kernpunkt die alte weise Lehre bildet: Das Glück des Lebens lehrt man erst schätzen, wenn man Unglück im Leben erfährt.
Ein steinreicher Chinese – in einer goldenen Wiege geboren, blasiert, des Lebens überdrüssig – wird von seinem Erzieher und Lehrer, dem Philosophen Wang, aus seinem Glück herausgerissen und durch eine mit echt Verne'scher Phantasie zusammengefügte Kette von Unglücksfällen geführt, deren Unwahrscheinlichkeit sich von Stufe zu Stufe überbietet. Zu Beginn des Romans im Begriff, sich mit einer der schönsten Landsmänninnen zu vermählen, wird er von einer Tantalusqual in die andre gestürzt, ehe er am Schlusse des Werkes der liebenden Gattin in die Arme geführt wird.
Erhöht wird die Spannung der Handlung dadurch, daß der steinreiche Chinese, als er seinen Reichtum über Nacht einbüßt, seinen Plan, sich selbst aus dem Leben zu schaffen, dadurch fördert, daß er mit einer Lebensversicherungs-Gesellschaft eine außerordentlich hohe Prämie zu gunsten seiner Braut und Wangs abschließt. Infolgedessen heftet ihm der Generalagent dieser Gesellschaft zwei Agenten als Wächter an die Fersen, die ihn auf allen seinen Unglücksfahrten begleiten und die Situationen dadurch verschärfen, daß sie ihn vorm Tode und ihre Gesellschaft vor dem Riesenverluste zu schützen versuchen. Das durch diese beiden Agenten vertretene komische Element wird durch eine dritte Figur verstärkt, den bei Verne unvermeidlichen Lakaien Sun – einen bezopften Chinesen, wie er schnurriger wohl nirgends geschildert worden ist – der für alle Dummheiten, die er begeht, mit seinem Zopfe zu büßen hat. – – –
Durch die Zeitungen läuft die folgende Notiz:
Unter den Kandidaten für die französische Akademie wurde dieser Tage auch der bekannte Schriftsteller Jules Verne genannt. Dieser schreibt aber aus Amiens an Pierre Giffard, der ihn im »Vélo« warm empfiehlt:
»Amiens, 5. Februar 1901.
Ich möchte Ihnen ohne Verzug für den Artikel danken den Sie im »Vélo« veröffentlicht haben, und der im »Matin« wiedergegeben worden ist. Ich werde bald mein dreiundsiebzigstes Lebensjahr vollenden, und in einem solchen Alter habe ich wirklich nicht mehr den Ehrgeiz, in die Akademie zu kommen. Vor achtundzwanzig Jahren stellten Alexandre Dumas fils und einige Freunde meine Kandidatur auf, aber ich begriff bald, daß das ein unkluges Wagnis war, und ich habe mich in meine »Klause von Amiens«, wie Sie sagen, zurückgezogen, um nie wieder daraus hervorzukommen.
Seit jener Zeit sind neunundfünfzig Akademiker in jene andere Welt hinübergegangen, wo sie ohne Zweifel keine Kuppel des Instituts finden, die ihnen eine ewige Zufluchtsstätte bieten würde. Das soll heißen, daß, wenn die Akademie auch die Unsterblichkeit verleiht, sie doch nicht unsterblich macht.
Ich bin sehr gerührt durch die Anteilnahme, welche Sie, geehrter, Herr mir bezeigen, und indem ich Ihnen von ganzem Herzen danke, bitte ich Sie, einen Händedruck von dem alten Geschichtenerzähler anzunehmen.
Jules Verne.«
Wenn eines von seinen vielen Werken Jules Verne den Ehrenplatz in der französischen Akademie zu sichern angethan sein dürfte, so ist es der hier zum erstenmal in vollständiger und sachlich richtiger Verdeutschung vorliegende Roman:
»Die Drangsale eines Chinesen in China«.