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Es war gar nicht so leicht für die kleinen Abcschützen, ruhig und emsig in der Klasse über den Büchern zu sitzen, während goldene Frühlingssonne vom Himmel lachte. Viel lieber hätten die munteren Beinchen mit den zum Klassenfenster übermütig hereinflimmernden Sonnenstrahlen um die Wette getanzt. Aber jetzt hieß es fein still gesessen, so schwer es auch manchem kleinen Wildfang wurde.
Fräulein Hering sorgte dafür, daß die Stunden den Kindern keine Last, sondern eine Freude waren. Da wurde trotz allen ernsthaften Lernens so fröhlich gescherzt, da wurden nette Gedichte gelernt und lustige Liedchen gesungen, daß keines von den Kleinen bei der Arbeit allzusehr ermüdete.
Bis zu den großen Buchstaben waren die Schlauköpfchen inzwischen schon vorgedrungen. Annemarie stand und buchstabierte, wo sie nur einen beschriebenen Fetzen Papier fand. Ja, sie sprach auch zu Hause meist lautierend und buchstabierend und wurde von den größeren Brüdern deshalb oft ausgelacht.
Seit sie nun noch gar die Bekanntschaft der gedruckten Buchstaben gemacht hatte, war es Fräulein beinahe unmöglich, mit Klein-Annemarie auf der Straße zu gehen. Vor jedem Ladenschild blieb sie stehen und übte ihre Lesekunst, es war jedesmal ein Wunder, daß sie noch zurzeit in der Schule anlangte.
Eines Tages wollte das kleine Mädchen durchaus nicht in die Hardenbergstraße einbiegen, durch die ihr Schulweg führte.
»Nein, Fräulein, ach bitte nein, ich graule mich so, wir wollen doch lieber die andere Straße lang gehen«, bettelte sie flehentlich und zog Fräulein an der Hand zurück.
»Aber Annemie, bist du denn nicht gescheit?« lachte diese. »Wir gehen doch jetzt seit Wochen täglich durch die Hardenbergstraße, wovor fürchtest du dich denn plötzlich am hellen Tage?«
»Ich will's nicht sagen«, flüsterte Annemarie verlegen mit einem Blick auf die neugierig lauschende Freundin. »Margot grault sich sonst auch so doll. Bitte, liebes Fräulein, geh' doch hier lang mit uns.« Die Kleine zog mit allen Kräften in eine seitwärts abzweigende Straße hinein.
»Nein, Annemie,« Fräulein schüttelte den Kopf, »wenn du so dumm bist und nicht sagen willst, was du in der Hardenbergstraße fürchtest, gehen wir ruhig dort lang. Es ist auch ein Umweg durch die andere Straße, wir kommen nicht mehr zur Zeit.«
Es half nichts, Annemarie mußte mit in die gefürchtete Hardenbergstraße einbiegen. Die schaute mit ihren schönen Häusern, den blühenden Vorgärten und den lustig entlang bimmelnden elektrischen Bahnen so frühlingsmäßig freudig drein, daß weder Fräulein noch Margot hier irgend etwas Schreckhaftes wahrnehmen konnten.
Und doch umklammerte Nesthäkchen angstvoll Fräuleins Rechte, ja, sie kroch fast in die Falten ihres Kleides, um sich möglichst unsichtbar zu machen.
»Da – da –«, flüsterte sie aufgeregt und wies scheu auf einen höchst appetitlich aussehenden Schlächterladen an der Ecke.
»Ja, was denn, siehst du Gespenster, Annemiechen, was ist denn da so Fürchterliches? Frische Blut- und Leberwurst gibt's heute, aber davor kannst du doch unmöglich Angst haben.«
»Das Schild«, stieß das kleine Mädchen zitternd hervor und hielt sich die Augen zu.
»Rind- und Schweineschlächterei von Karl Piependeckel«, las Fräulein. Sie konnte beim besten Willen daran nichts Schauriges entdecken.
»Schnell, komm schnell vorbei, Fräulein«, bestürmte sie Annemarie in höchster Aufregung.
Aber Fräulein blieb ruhig stehen. Sie mußte der Sache aus den Grund gehen und hören, was das törichte Kind in Furcht setzte. Auch Margot sah ganz erstaunt auf die sonst so kecke Freundin.
»Jetzt sagst du mir, was dich an dem Schild ängstigt«, verlangte Fräulein in so bestimmtem Ton, daß Klein-Annemarie die Händchen von den Augen zog.
»Da –«, sagte sie noch einmal, und buchstabierend las Nesthäkchen voll Grausen: »Kind- und Schweineschlächterei.«
Hellauf lachte Fräulein, und auch Margot stimmte in ihr Lachen ein. Ganz betroffen sah das verängstigte Kind die heiteren Mienen der beiden.
»Aber Annemie, du bist doch dümmer als dumm, der erste Buchstabe ist doch ein großes R und kein K«. Fräulein lachte immer noch. »Rind- und Schweineschlächterei und nicht Kind- und Schweineschlächterei heißt das; du hast wohl Angst gehabt, hier werden kleine Kinder geschlachtet und als Sonntagsbraten verkauft, du kleines Dummerchen?«
»Ja«, gab Nesthäkchen zu und atmete erleichtert auf.
Aber als Margot sie jetzt neckte: »Die Annemie hat geglaubt, der Schlächter macht eine Wurst aus ihr!« da war es ihr doch recht peinlich, daß sie ausgelacht wurde.
Besonders, weil auch daheim etwas von Nesthäkchens merkwürdiger Lesekunst verlautete. Wo sich die Kleine blicken ließ, wurde sie damit aufgezogen.
Sogar Vater, der sein Nesthäkchen doch sonst ein wenig verzog, gab ihr belustigt das Rätsel auf, wodurch sich ein Kind von einem Rind unterscheide.
Und als die Kleine alle möglichen Unterschiede herausfand, hieß die Auflösung: Durch den Anfangsbuchstaben.
Mit den Brüdern mochte Klein-Annemarie gar nicht mehr auf die Straße gehen. Hans machte sie auf jeden Schlächterladen aufmerksam, und Klaus, der Strick, nahm aus Ulk schreiend Reißaus, sobald sie sich einem Fleischgeschäft näherten.
Sogar die gute Hanne hatte mit der Kleinen ihren Spaß. Annemarie pflegte ihr stets, wenn sie aus der Schule kam, einen Besuch in der Küche abzustatten und dabei gleichzeitig nachzuforschen, was es wohl zu Mittag Gutes gab. Als Nesthäkchen wieder einmal Fräulein Topfgucker war und wissen wollte, was Hanne gekocht habe, antwortete diese ernsthaft: »Heut' gibt's Kinderbrust mit Bouillonkartoffeln.« Und dabei kam doch nachher Rinderbrust aus den Tisch.
Das Gute an Annemaries lustigem Irrtum war, daß sich die Kleine in der Lesestunde jetzt noch viel mehr Mühe gab als vorher. Sie hatte sich zu sehr geschämt, so was durfte ihr nicht wieder passieren.
Auch in den anderen Stunden konnte Fräulein Hering mit Annemarie Braun zufrieden sein. Keine rechnete so flott wie sie. Längst hätte Annemarie wohl ihre Freundin Margot Thielen überflügelt, denn sie wurden beim Rechnen herauf- und heruntergesetzt, wenn nicht leider auch beim Schreiben die Plätze nach den Nummern eingenommen wurden.
Doktor Brauns Nesthäkchen blieb das, als was es sich gleich in der ersten Schreibstunde eingeführt hatte: Ein kleiner Schmierfink.
Annemaries Hefte sahen niemals tadellos sauber aus. Irgendwo gab es immer ein niedliches Kleckschen, ein ausgewischtes Schwänzchen, und die Seiten zeigten meist lustige Eselsohren. Die schönen, blauen Papierumschläge, die Fräulein zu Beginn der Schule über die Bücher gezogen, hingen zerfetzt herum, trotzdem sie schon erneuert worden waren. Dem kleinen Mädel konnte es nie schnell genug gehen, sie schleuderte stets ihre Schulsachen unachtsam in die Mappe. Alles Schelten und Predigen von Fräulein wollte nichts nützen.
Margot aber war ein sehr ordentliches kleines Mädchen, das sorgsam mit seinen Heften und Büchern umging. Die Schreibseiten von Margot waren stets so sauber und nett, daß fast immer ein »Sehr gut« mit roter Tinte darunter stand.
Ach, wie schauten Annemaries Abschriften dagegen aus! So unsauber, als ob die Hühner darübergelaufen wären. Darum saß Margot noch immer über Annemarie, wenn letztere eigentlich auch aufgeweckter war und im Lesen und Rechnen entschieden besser.
Heute wurde zum erstenmal Diktat in der zehnten Klasse geschrieben. Das war ein Ereignis. Besonders, da Fräulein Hering die Kinder nach der Fehlerzahl setzen wollte. Mit heißen Wangen schrieben die kleinen Mädchen »Beil – Maus – Igel«, und wie die schönen Worte aus der Fibel alle heißen.
»Pfui, Hilde, wer guckt denn ab! Auf das Heft der Nachbarin darf man nicht schielen, denn das ist unehrlich«, unterbrach die Lehrerin plötzlich ernsthaft ihr Diktat.
Hilde Rabe senkte den Kopf mit den stets wie Feuerrädchen allenthalben umherkreisenden Augen. Aber es dauerte nicht lange, da ließ sie dieselben wieder zum Heft des neben ihr sitzenden Mariannchens spazieren, trotzdem dieses schon aus Vorsicht ihr Löschblatt vorhielt.
Diesmal gab es keinen Verweis, sondern Fräulein Hering holte das Schielböckchen nach vorn aufs Katheder. Dort konnte die Hilde beim besten Willen nicht abschreiben, wenn sie auch ihren Hals noch so sehr reckte.
O die Schmach!
Alle Kinder sahen auf sie, Margot Thielen wurde sogar für Hilde rot. Deren Augen aber gingen ebenso lustig im Kreise herum wie sonst, sie schien die Schande nicht übermäßig zu empfinden. Ja, als Fräulein Hering ihr den Rücken wandte, schnitt sie sogar Annemarie eine Grimasse zu.
Die mußte über das ulkige Gesicht lachen.
Fräulein Hering wunderte sich über die beim Diktat nicht recht angebrachte Lustigkeit, besonders, da sie gerade das Wort »weinen« diktierte.
»Ei, Annemie, weshalb freust du dich denn so über dieses Wort?«
Die Kleine sprang, rot wie eine Mohnblume, von ihrem Sitz auf. Denn das hatte die Annemarie auch inzwischen gelernt, daß man aufstehen muß, wenn man in der Schule gefragt wird.
Aber sie antwortete nicht. Nesthäkchen wußte von den größeren Brüdern, daß Klatschen gemein ist, und Klaus hatte erst gestern einen Jungen aus seiner Sexta einen »Petzerich« genannt. Nein – Klein-Annemarie verriet Hilde Rabe nicht.
Da aber meldete sich Ruth, und als Fräulein Hering sie fragte, was sie wolle, antwortete sie mit lauter Stimme: »Hilde Rabe hat ein Gesicht geschnitten!« Das klang wieder, als ob sie ein Gedicht aufsagte.
»Pfui, so 'ne olle Petze!« entfuhr es Annemarie verächtlich.
Fräulein Hering wandte sich zu Ruth und sagte halblaut: »Die Angeberin muß man nie spielen, das ist nicht nett, Kind!«
Ruth, die geglaubt hatte, noch obendrein belobt zu werden, wurde jetzt ebenso rot wie Annemarie vorhin. Das Diktat aber konnte nun seinen Fortgang nehmen.
Die Erste einer jeden Bank sammelte die Hefte ein und brachte sie der Lehrerin auf das Katheder. Da lag nun das ganze Pack, die himmelblauen, rosa und roten Seidenbändchen, mit denen die Löschblätter angeheftet waren, grüßten lustig zu den Kindern herüber.
Schon in der letzten Stunde gab Fräulein Hering die Diktate korrigiert zurück.
»Also null Fehler hat nur eine einzige geschrieben«, begann die Lehrerin.
Hundert Kinderohren spitzten sich begierig, denn jede der Kleinen glaubte sicher, selbst diese »Einzige« zu sein.
»Das beste Diktat hat Annemarie Braun, setze dich die Erste«, fuhr Fräulein Hering fort.
»Juchhe!« – schrie Nesthäkchen voll Seligkeit, trotzdem es längst wußte, daß man solche Freudenäußerungen in der Schule zu unterlassen hat.
»Freu' dich leise, Annemarie,« mahnte denn auch die junge Lehrerin in ihrer gewinnenden Art, »und ein andermal streiche beim Diktat nichts aus. Heute habe ich nur nach den Fehlern gesetzt, künftig wird auch nach Sauberkeit und Schrift die Rangordnung gemacht.«
Mit glückstrahlenden Augen nahm die Kleine den Ehrenplatz in der Klasse ein.
Ach, was ist das für ein wunderbares, stolzes Gefühl, Erste zu sein! Nesthäkchen hätte in diesem Augenblick nicht mit der Kaiserin von Deutschland getauscht.
Die Zweite wurde Mariannchen, Margot erst die Fünfte. Sie hatte Hund mit t statt mit d geschrieben und lieb mit einem p am Schluß. Da wurden wieder die Tränenschleusen aufgezogen. Margot heulte, weil sie herunterkam und weil sie nun nicht mehr neben ihrer Freundin Annemarie saß. Dadurch fiel auch auf Klein-Annemaries helles Glück ein leichter Schatten, denn welches gutherzige Kind vermag sich uneingeschränkt zu freuen, während die beste Freundin weint?!
Hilde Rabe hatte trotz Abguckens das schlechteste Diktat geschrieben und kam Letzte. Neunzehn Fehler, in jedem Wort einer, manchmal sogar zwei. Jetzt weinte sie und schnitt dabei ebenfalls Gesichter, aber keine lustigen.
»Du wirst schon wieder raufkommen, Margotchen«, tröstete Annemarie die Freundin auf dem Heimweg. »Das nächstemal geht es auch nach Sauberkeit, da kommst du sicher über mich«, stellte sie in uneigennütziger Weise in Aussicht.
Margots betrübtes Gesichtchen wurde hoffnungsvoller. Und als im Tiergarten plötzlich rrrrrrr – rrrrrrr – ein Luftschiff über den Bäumen dahinsegelte, ganz tief, daß die Kinder die winkenden Passagiere erkennen konnten, war sie vollends getröstet und brüllte mit Annemarie um die Wette: »Hurra!«
»Au – fein – so dicht habe ich den Zippel-Zappel-Zeppelin noch nie gesehen, man kann ja den Namen erkennen«, rief Nesthäkchen in das Surren der Propeller hinein und begann zu buchstabieren.
Aber sie kam nur bis zum s, dann war das Luftschiff ihren Blicken entschwunden.
»Hans!« – rief sie hinterher, »es heißt Hans!«
»Ach wo,« lachte Fräulein, »das ist die ›Hansa‹, du bist mit dem Lesen nicht fertig geworden.«
»Wenn ich doch bloß mal mit dem Zippel-Zappel-Zeppelin mitfahren dürfte!« Nesthäkchen sah sehnsüchtig hinter dem stolz seine Bahn ziehenden Luftschiff her. »Das müßte lustig sein, auf all die Menschen und Häuser hinabzublicken.«
»Ich würde mich halbtot ängstigen«, sagte die schüchterne Margot und schüttelte furchtsam das Köpfchen.
»Ich gar nicht,« lachte Nesthäkchen unternehmungslustig, »ich möchte am liebsten eine Reise bis in alle Ewigkeit mit dem Zippel-Zappel-Zeppelin machen!«
Als Annemarie daheim anlangte, wußte sie nicht, welche Neuigkeit sie Mutti zuerst entgegenschmettern sollte. So kam es, daß sie in ihrer Aufregung alles durcheinanderwirbelte.
»Mutti, ich hab' eben das Luftschiff gesehen – und ich bin Erste gekommen – ich möchte so gern mal mitfahren! Null Fehler habe ich im Diktat, das allerbeste – und Margot hat Angst – die Letzte ist Hilde Rabe!« Nesthäkchens kleines Mundwerk surrte beinah so schnell wie vorhin die Propeller.
»Langsam, langsam, Lotte,« lächelte Mutti. »Null Fehler hast du im Diktat geschrieben, das ist ja schön! Zeig' dein Heft mal her.«
Annemarie kramte in der nicht sehr ordentlichen Mappe. Endlich hatte sie das Heft gefunden. Stolz schlug sie es auf.
Aber entsetzt starrte Nesthäkchen auf die Seite. Hatte ein böser Märchenkobold ihr unterwegs das Diktat verwandelt?
Da wimmelte es von Fehlern, jedes Wort war rot angestrichen – »19 Fehler« stand unter der Arbeit.
»Ja, Lotte, was soll denn das heißen – willst du mich etwa zum besten haben?« fragte Frau Doktor Braun ärgerlich.
»Nein, Mutti, in der Schule hatte ich bestimmt noch null Fehler, ich weiß wirklich nicht, wie die alle unterwegs in mein Diktat reingekommen sind!« beteuerte Klein-Annemarie.
»Hast du denn auch das richtige Heft eingesteckt, Annemie?« fragte Fräulein, welche die Huschligkeit des kleinen Mädchens nur zu gut kannte.
Nesthäkchen schlug den Deckel um und las die Aufschrift des Etiketts.
»Hil – de Ra – be«, buchstabierte die Kleine zu ihrem grenzenlosen Erstaunen.
»Ich habe Hildes Heft, wir müssen unser Diktat verwechselt haben, aber wie ist das nur möglich? Ich saß doch Erste und sie Letzte«, verwunderte sich Nesthäkchen.
Mutti aber war ärgerlich.
»Jeden Tag verwechselst du was, Lotte! Bald kommst du mit einem falschen Hut nach Hause, bald mit einem fremden Schirm. Nimm doch deine Gedanken zusammen!«
Das gescholtene Nesthäkchen schlich sich traurig in die Kinderstube. Denn wenn man besonders stolz gewesen ist und ein Lob erwartet hat, trifft Tadel um so empfindlicher.
Als Annemarie nachmittags ihre Schularbeiten machen wollte, stellte es sich heraus, wie das Heft von Hilde Rabe in die Mappe gekommen war.
Annemarie langte nach der Fibel – »Hilde Rabe« prangte auf dem Etikett. Sie suchte das Schreibheft hervor – »Hilde Rabe« war darauf zu lesen. Welches Buch oder Heft Klein-Annemarie auch vorkramte, überall stand »Hilde Rabe« darauf. Die Sache wurde der Kleinen immer rätselhafter.
»Fräulein, ich muß in Gedanken sämtliche Bücher und Hefte von Hilde eingepackt haben und ihren Federkasten dazu«, rief sie erstaunt.
Dies kam Fräulein denn doch nicht recht glaubhaft vor. Sie untersuchte selbst die Mappe, und da kam es heraus, daß unser kleines, liederliches Fräulein gar nicht ihre eigene Mappe hatte, denn auf dem Schild war ebenfalls »Hilde Rabe« eingraviert. Die Mappen sahen sich sehr ähnlich, und da die beiden Kinder ihre Garderobenhaken nebeneinander hatten, war Annemarie in ihrer freudigen Aufregung die Verwechselung passiert.
Nun mußte sie mit Fräulein zu der kleinen Schulkameradin gehen und die Mappen austauschen, sonst konnte sie ihre Schularbeiten nicht anfertigen.
Das war recht peinlich für die Erste der Klasse, sich als ein so huschliges kleines Mädchen zu zeigen. Und Fräulein hielt auf dem Wege auch nicht mit Vorwürfen zurück.
»Ich will mich aber ganz bestimmt bessern, Mutti soll nie mehr böse auf mich sein«, nahm sich Klein-Annemarie vor als sie abends in ihrem weißen Gitterbettchen lag. »Ich bin wirklich zu unachtsam« – aber als Annemarie so weit in ihrer Selbsterkenntnis gekommen war, da schlief sie auch schon.