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Das Märchen von der verliebten Auster

Auf den Treppenabsätzen des Hafendammes zu Bastia hatte sich eine kleine Zahl Burschen und Mädchen versammelt. Die Sonne warf ihre morgendlichen Strahlen aufs Meer, in der Stadt läuteten die Sonntagsglocken, und fernher tönte das dumpfe Geräusch der Wagen und Ausrufer herüber. Eine Sonntagsstille auf dem Meere hat immer etwas Feierliches. Die geschmückten Schiffe stehen so ruhig da, hin und wieder aus einer Kajüte tönt ein frommer Gesang hervor, zuweilen schlägt eine einzelne verspätete Welle mit dumpfem Klange an die Wand des Dammes, an der die müßigen Matrosen lehnen und plaudern; weit hinaus blitzt das sonnenbeglänzte Meer, ungescheut spielen die Fische, und die Vögel wiegen sich auf den schweren Ankerketten. Das ist die Sonntagsstille im Hafen.

Die kleine Gesellschaft auf den Treppenabsätzen sitzt behaglich da und schaut in die Weite hinaus, da erhebt Casimir, ein langer, schwerfälliger Bursche, mit rotem Haar und träumerischem, bleichen Gesichte seine Hand und zeigt auf ein Boot, das langsam angerudert kommt. Ein hübsches, geputztes Mädchen sitzt darin, sie landet an der Treppe, die Burschen heben sie heraus, sie grüßt freundlich und wird nicht weit davon von einem ältlichen Mann empfangen und in die Stadt geführt. Kaum ist sie fort, so lästert man über sie in dem kleinen Kreise.

»Seht doch«, ruft Etienne, »wie sich der Dorfkessel blank gescheuert hat! Geht sie nicht wie eine Prinzessin daher?«

»Schäme dich!« sagte Marion, »du kannst es nicht vergessen, daß sie dir einen Korb gegeben hat und den alten, reichen Müller aus San Bonifaz heiratet.«

»Jawohl!« lachte Pierre, »du hättest nur gar zu gerne für deinen Teil das Fett von der Suppe geschöpft.« Die Mädchen lachen.

»Wenn du damit«, entgegnete Etienne finster, »ihr Gold meinst, so hast du unrecht, bei meiner Ehre, sehr unrecht; ich habe wahrlich nicht Lust, von dem alten Nixengold meinen Teil zu nehmen, das der Urgroßvater in die Familie gebracht hat.«

Susanne, ein hübsches, blondes Mädchen, fragte neugierig: »Was ist's mit dem Nixengold, Etienne?«

»Eigentlich kein Nixengold«, antwortete dieser, »sondern Teufelsgold.«

»Sag die Sache lieber gerade heraus!« sprach der kleine Tobby, »es ist das Gold einer alten, verliebten Auster, von dem die kleine Tesi noch jetzt zehrt.«

»Puh!« rief Pierre, indem er beide Backen aufblies und starre Augen machte, »wer spricht von solchen Dingen so unverschämt laut?«

Es trat jetzt eine allgemeine Stille ein, und viele dachten darüber nach, wie es doch zugehen möchte, daß man von einer Auster Geld erbte. Susanne schüttelte zuerst den Kopf. »Ich habe nicht gehört«, sagte sie mit bescheidener, aber fester Stimme, »daß Austern verliebt sein können, ebensowenig, daß sie Geld verschenken. Es wird wohl ein Nix gewesen sein, von solchen Geschöpfen pflegte mir meine Großmutter allerdings sonderbare Dinge zu erzählen.«

»Nein!« schrie Tobby heftig, »es war kein Nix, sondern eine Auster! Haltet ihr mich für so dumm, daß ich diese beiden nicht unterscheiden kann? Es war eine gute, natürliche Auster, wie ihr sie alle Tage hier auf dem Markte sehen könnt, die sich in die Braut des Meisters Jacques bis zum Sterben verliebte und sie ihm auch entführte.«

»O wie abscheulich, wie ganz abscheulich!« rief Pierre und lachte aus vollem Halse, »hat man jemals dergleichen gehört?«

»Stille!« riefen die Mädchen.

»Ich glaube«, sagte Tobby leise, »wenn man Tesi recht genau betrachtet, so findet man an ihr noch einige Ähnlichkeit mit einer Auster, ich für meinen Teil habe etwas der Art bemerkt.«

»Ich auch«, meinte Etienne, »wahrlich, sie duftet immer nach Seewasser, und ich hätte Lust, wie es die Leckermäuler mit der Auster tun, eine halbe Zitrone auf ihr Haupt auszupressen, ehe ich mich entschließen könnte, sie zu küssen.«

»Nein«, sagte Susanne, »ich esse nie Austern, weder mit noch ohne Zitronen, obgleich mein Vater die schmutzigen Muscheln oft zu Hunderten aus dem Meere fischt, rühre ich dennoch keine an.«

Die Mädchen lachten, und die Burschen besprachen sich leise miteinander, nur Etiennes Stimme tönte laut hervor, der da rief: »Ich will verflucht sein, wenn ich jemals in die Verwandtschaft trete!«

»Am Ende«, sagte Marion, »muß doch die Geschichte erzählt werden, denn wir wollen sie alle gern hören.«

»Ja, das wollen wir!« rief der Kreis der Mädchen, und alle rückten näher zusammen.

»Aber wer versteht sie zu erzählen?« fragte Etienne mit wichtiger Miene, »Tobby kann seines Vaters schadhafte Netze ausbessern und auch den Hut sonntags aufs linke Ohr setzen, wenn er seinem Mädchen gefallen will, allein er wird nimmermehr verstehen, die Geschichte von der verliebten Auster zu erzählen.«

Die kleine blonde Susanne wurde rot, Tobby spielte mit der schweren Ankerkette, die neben ihm ins Wasser hinabhing: Tobby und Susanne liebten sich.

»Casimir, Casimir!« riefen alle, »Casimir muß erzählen.« Der lange, rothaarige Bursche, der sich gleich nach der Anstrengung, die es ihn gekostet hatte, um auf das Boot mit der geputzten Tesi zu zeigen, wieder der Länge nach auf die Stufen niedergestreckt hatte, lüftete jetzt den Hut mit dem roten Granatbüschel, den er gegen die Sonne über Nase und Augen gezogen, und murmelte einige Worte.

»Man sieht, er ist wieder in seiner Seehundslaune«, sagte Pierre, »gewiß grübelt er nach, wieviel Zentner Fett in einem Walfischbauch Platz finden.«

»Man muß ihm etwas Seewasser zu trinken geben«, rief Tobby und stand auf der untersten Stufe, die hohle Hand zum Schöpfen niedertauchend.

Marion verhinderte es. »Oh«, rief sie zärtlich, »Casimir ist der beste, gefälligste Bursche auf der ganzen Insel, Casimir ist ein trefflicher Erzähler, er packt euch alle in den Sack, wenn er nur will, und er wird wollen. Seht nur, er richtet sich schon in die Höhe, macht ihm Platz, daß er in den Schatten kommt! Man muß die Leute nur zu bitten verstehen.«

»Still, er fängt an zu erzählen!« Und wirklich erzählte Casimir wie folgt:

»Es war einmal –« – »Nein, nein!« rief Etienne, »das geht nicht. Mein Großoheim pflegte immer seine Geschichte mit dem ›es war einmal‹ anzufangen, und ich weiß, wie verwünscht langweilig ihn die Leute deshalb fanden. Also einen andern Anfang, lieber Seehund!«

Casimir strich sich die roten Flammen etwas unwillig aus dem Gesicht. »Nun gut«, sagte er nach einer kleinen Pause. »Zur Zeit, als die Leute hier in Bastia noch spitzige Bärte, faltige Halskrausen und kleine spanische Mäntel trugen – ist's euch so recht?«

»O zum Teufel!« rief Tobby, »auf solche Weise wird die gute Tesi noch lange auf ihre Auster warten müssen. Ich glaube in der Tat, ich werde die Sache kürzer machen. Hört nur. Ihr kennt doch den Hutfelsen? Seht ihr, geradehinaus, dort im hellen Sonnenspiegel des ruhigen Meeres das schwarze Pünktchen? Es steht da wie ein dunkles Fleckchen auf dem weißen Hals einer hübschen Dirne. Seht, wenn ihr an diesen Stein hinanrudert bei tiefer Wasserstille, wie heute zum Beispiel, und ihr biegt euch aus dem Boote hinaus, vorsichtig auf die Schattenseite, dann erblickt ihr tief unten im Grunde des klaren Wassers ein gläsernes Haus, durch dessen Dach ihr durchsehen könnt. Und wenn ihr dann lange und angestrengt hinabseht, so werdet ihr im Hause ein wundersames, hübsches Mädchen gewahr, die sitzt unten traurig, und senkt ihr Köpfchen, daß die blonden Locken niederfallen, und auf ihrem Schoße mit ihren weichen Armen hält sie eine mächtig große Auster, ja, eine Auster!«

»Ach!« riefen die Mädchen, indem sie tief Atem schöpften, »das ist sehr wunderbar!«

»Nun gut«, sagte Casimir, »jetzt kannst du auch zu Ende erzählen. Du bist auf eine so ungeschickte Weise gerade in die Geschichte hineingeplumpst, daß meine spitzigen Bärte und spanischen Mäntel jetzt völlig unnütz sind.«

»Ach, lieber Casimir«, bat Marion, »wir wissen ja immer noch nicht, wie die Urgroßmutter der armen Tesi in den Meergrund geriet.«

»Freilich«, riefen alle Mädchen, »wir wissen ja eigentlich noch gar nichts.«

»Vor ein paar hundert Jahren«, nahm Casimir wieder das Wort, »lebte hier in Bastia ein armer Fischer, der sich damit mühsam Unterhalt erwarb, daß er an den gefährlichsten Stellen nach Korallen fischte und wenig genug fand. Statt dessen fielen ihm viele von den Dingen in die Hand, die man heutzutage so gierig verschlingt, die man aber damals durchaus nicht schätzte. Benedict warf eine große Menge der schönsten Austern über Bord oder ließ sie in seinem kleinen Hofraum elend verkümmern. Manches Leckermaul unserer lieben Stadt würde seufzen, wenn er die Mahlzeiten sehen könnte, die damals verlorengingen, aber es sollte nicht lange so bleiben.

Es reiste gerade damals ein Wundermann herum, der auf offenem Markte Steine, Eisen, glühende Kohlen und flüssiges Blei verschluckte. Diese Delikatessen seiner Tafel vermehrte er einstmals zufällig durch ein paar jener Muscheln, die Benedict täglich aus dem Meer fischte. Die harte Schale sprang knisternd entzwei unter seinen mörderischen Zähnen, und das weiche Innere berührte die Zunge. Obgleich diese durch Küchenkünste eben nicht verwöhnt war, so fühlte sie dennoch dunkel einen gewissen feinen Wohlgeschmack und brachte diese Entdeckung unter die Leute. Anfangs wurde der Eisenfresser ausgelacht, allein er ließ sich nicht abschrecken. Er machte jetzt vorsichtig die Schale auf, zeigte den Inhalt umher und forderte, wie es in der Ballade heißt, ›Rittersmann oder Knapp‹ auf, sich mit dem fremden Dinge näher bekannt zu machen. Aber jedermann graute vor dem kleinen, grauen Molluskenleib, der im weichen Atlasbettchen der Muschel zusammengekrümmt lag. ›Eßt nicht!‹ riefen die Pfaffen, ›es ist ein Stückchen eingewickelter Erbsünde vom Paradies her!‹ – ›Eßt nicht!‹ schrien andere, ›es ist des Teufels Zunge!‹ – ›Eßt nicht!‹, riefen die Weiber, ›es sind ungeborne Kinderherzen, die böse Zauberer in diese Kapseln eingeschlossen haben!‹ – ›Nein!‹ riefen andere, ›es ist das Auge des heiligen Johannes, der um der Welt Sünde weint, wer es verschluckt, kann mit dem Magen sehen.‹ Wieder andere behaupteten, es sei ein Stück der wundertätigen Fischleber, mit der Tobias die Blinden heilte. So riefen sie durcheinander, aber keine hatte den Mut, die Auster zu verschlucken, und der Eisenfresser stand vergeblich mit der offenen Schale auf dem Markte da. Endlich rief der schlaue Benedict, der sich herbeigeschlichen hatte: ›Es ist das Ohrläppchen der heiligen Veronica, wer es verschluckt, wird wieder jung und verliebt!‹

Und kaum waren diese Wort ausgesprochen, als sogleich der Haufe der alten Weiber in Bewegung geriet. Aus ihrer Mitte brach eine hervor, die sich mit ihren Krücken Platz machte und geradewegs, wie ein kecker Soldat auf den Feind, auf die Auster, losmarschierte. Ihre Augen funkelten, man sah ihr an, daß sie Mut genug besaß, den Teufel selbst mit Haut und Haar zu verschlucken. Sie ergriff die Auster und leerte sie wie einen Becher Weins auf ihre vorgestreckte Zunge aus. Ein allgemeines Geschrei des Beifalls und der Bewunderung erfüllte die Luft. Weiber, Männer und Kinder drängten sich um die Alte, ganz Bastia geriet in Bewegung, da die erste Auster verschluckt worden war. Nach und nach fanden sich jetzt welche ein, die das Wagestück nachzumachen Lust zeigten. Endlich kamen auch die fetten Söhne des heiligen Augustin herbei, sprachen den Segen über die neue Meerfrucht und verschlangen sie dann wohlgefällig und zu ganzen Hunderten. Bald aß die ganze Welt Austern.

Die Folge hiervon war, daß Benedict ein reicher Mann wurde. Er gab seine Korallen auf und fischte jetzt Austern. Hierbei begegnete ihm jedoch ein seltsames Abenteuer. In Benedicts Seele lag leider zuviel Gier und zuwenig Bescheidenheit. Er hätte sich sollen mit seinen Schätzen begnügen, die er schon erworben, allein er strebte ungebührlich nach mehr und fiel dadurch in eine böse Schlinge, aus der er sich nicht wieder herauswinden konnte.

Eines Abends, da er länger als gewöhnlich auf seinem Felsen saß und kratzte und schabte, hörte er plötzlich neben sich eine Stimme erschallen, die ihm völlig fremd war und die sehr hohl und abenteuerlich klang. Sie sprach die Worte: ›Nichtswürdiger Schwabewurm, so wagst du es, alle Tage wiederzukommen und meine Kinder und Untertanen zur Schlachtbank zu führen! Warte, mein Zorn erreicht dich jetzt, und keine Stunde weiter sollst du leben!‹ – Benedict wußte nicht, wie ihm geschah, er fühlte in der Dämmerung etwas nach ihm schnappen und preßte sich daher ängstlich an die Felsenwand. Da sah er im trüben Gewässer eine ungeheure Auster dicht an ihn heranschwimmen und vor ihm stillehalten. Aus ihren halbgeöffneten Schalen tönten dumpf die Worte hervor, die ihn eben so heftig erschreckt hatten. Sie gab sich die Mühe, noch einmal ihren weiten Rachen zu öffnen und dieselbe entsetzliche Drohung zu wiederholen, indem sie sich zugleich anschickte, ernst zu machen. Benedict schrie zu allen Heiligen, allein, keiner sprang ihm bei, und er wäre in seiner Not untergegangen, wenn sich nicht die Auster selbst plötzlich eines Besseren besonnen hätte. Sie nahm, so gut es gehen wollte, eine kleine freundliche Miene an und sprach: ›Du hast eine hübsche Tochter, Alter, ich weiß es. Sie kommt öfters mit dir und sammelt meine gefangenen Untertanen in einen großen Korb, den sie dann auf ihrem schönen Nacken nach Hause trägt. So geizig bist du, daß du trotz deines auf meine Kosten erworbenen Vermögens nicht einmal einen Esel halten magst, sondern lieber dein eigenes Fleisch und Blut befrachtest. Ich will dem elenden Schicksal dieser Armen ein Ende machen und sie zu meinem Weibe erheben. Versprich, daß du sie mir auslieferst, und du sollst nicht allein mit dem Leben frei ausgehen, sondern sogar reich belohnt werden.‹

Benedict fühlte sein Blut sich empören bei diesem unverschämten Anerbieten des Ungetüms, er nahm seinen Mut zusammen und schrie so laut, daß man es hier im Hafen hätte hören können, er wolle sein Kind lieber in die Hölle als einer Auster in den Rachen schieben. ›Nun gut‹, entgegnete diese und sperrte ihre beiden Schalen weit auf, indem sie sich zugleich einen Stoß auf Benedict zu gab: ›So komm, daß ich dich verschlinge!‹ Welch ein verzweifelter Augenblick! – Benedict wurde schwach, und ein schwacher Vater läßt schon mit sich handeln: er gab endlich sein Wort, die Tochter auszuliefern. Die Auster schwamm nach dieser Zusage, gleichsam wie beruhigt, während einer kleinen Pause am Felsen hin und wider und verzehrte ein paar Seespinnen, die gerade vorübergerudert kamen, dann sprach sie weiter: ›Unser Geschäft ist abgemacht, der Pakt geschlossen, wehe dir, wenn du nicht Wort hältst! Am Tage des heiligen Benedict komme ich, meine Braut heimzuführen.‹ Hiermit klappte sie zu und schwamm fort.

Im Nachhausgehen brach Benedict trotz seiner Trauer und des gehabten Schreckens in ein lautes Gelächter aus. Die ganze überstandene Brautwerbung kam ihm doch zu toll und lustig vor. ›Du Geck von einer Auster!‹ rief er einmal übers andere, ›du Spitzbube von einer Muschel! Seh mir doch einer den verliebten Meerschlamm an! Ist das Ganze doch kaum ein nicht fertig gewordenes Stückchen Schöpfung zu nennen und hat schon so überirdisch seine Gesinnungen und Gefühle! Liegt das Ding selbst doch so unaufgeputzt, verwirrt und liederlich in seiner Schale und will nun doch meinen Haushalt tadeln! Warte, du unreifer Bursche, werde erst etwas Ordentliches, Spinne, Wurm oder Fisch, ehe du daran denkst, ein Weib zu nehmen. Der Schelm ist dazu noch ohne Arme und Mund, womit will er denn in seinem Liebesrausch umarmen und küssen? – Aber Benedict!‹ rief er dazwischen ernsthaft, ›wie willst du denn deinen Schwiegersohn empfangen? – O ganz gehorsamer Diener, Herr Schlabberleib, werde ich sagen, Herr Seewassertrinker! Ergebenster Knecht, Herr Muschelmaul, wie befinden Sie sich? Wieviel Spinnen begehren Euer Gnaden zum Frühstück? Was macht Ihre Frau Muhme, die Seekröte, und Ihre Vettern, die kleinen Krabben?‹ So sprang Benedict leichtsinnig auf offener Landstraße hin und wurde nicht müde, seine eigenen Späße zu wiederholen, so daß die Vorübergehenden ihn für verrückt hielten und ihm scheu aus dem Wege wichen. Er kam noch lachend und singend nach Hause, wo die kleine Tesi mit dem Abendbrot auf ihn wartete.

Von Tesi will ich nichts weiter sagen, als daß sie ein schönes Mädchen war, das ist ganz genug. Da weiß man nun schon, daß sie viele lose Vögel zu Liebhabern und einen gesetzten, anständigen Burschen zum Bräutigam hatte. Hübsche Mädchen werden immer mit dergleichen geplagt, es ist Gott zu klagen.«

»Wie schlecht erzählt Casimir!« rief Susanne, indem sie sich von Tobbys umfangendem Arm losmachte.

»Tesis Bräutigam«, fuhr der Erzähler fort, »war der kleine Meister Jacques, ein sauberer Bursche mit kinderblondem Haar, das ihm in zwei dicken Zöpfen ums Haupt gebunden und mit einer großen, hochroten Bandschleife hinten aufgeknüpft war. In seinem Sonntagsputze trug er weite rote Hosen, unten am Knie mit handbreiten Spitzen, und ein kaffeebraunes Jäckchen mit gelben Püffchen. Meister Jacques war ganz der Mann, um einem jungen Mädchen warm zu machen, recht sehr warm. Er war der niedlichste Korse, den man jemals gesehen, und selbst in Paris fand man keinen so hübschen Burschen.

Benedict verschwieg ihm wohlweislich das Abenteuer mit der Auster, und Meister Jacques und Tesi lebten wie im Himmel, bis der Tag des heiligen Benedictus herankam. Ein fataler Tag! Frühmorgens erhob sich Benedict von seinem Lager mit der Miene eines Mannes, mit dem man sich einen schlechten Spaß erlaubt hat. Jetzt fiel ihm die Brautwerbung mit Zentnergewicht aufs Herz, und als die schöne Tesi ihm den Morgengruß brachte, murmelte er einige Worte, die den andern wie Unsinn klangen, die aber dennoch einen Sinn hatten. Er beschloß, an diesem Tage sich und seine ganze Familie eingeschlossen zu halten, damit es keinem einfallen möchte, einen Spaziergang am Meer zu unternehmen. Die Morgenstunden vergingen, es ward Mittag, und Benedict änderte jetzt seine Gedanken. Er machte oft heimlich das Fenster auf und sah die Gasse hinauf, ob nicht ein bewußtes fatales Ding angewackelt, angeschwommen oder angerutscht komme, aber immer schlug er das Fenster wieder verdrießlich zu. Endlich verlor er alle Geduld und schalt sich selbst einen Narren, indem er bei sich sprach: ›Es wird niemand kommen, guter Benedict, was im Meere, wird es deinetwegen nicht verlassen.‹

Da kommt auf einmal ein prächtiger Zug die Straße herauf. Voraus ein Trompeter, der auf einer langen wunderlichen Trompete bläst, so heftig, daß ihm die Backen platzen wollen, hinter ihm auf weißen Pferden sechs stolze Reiter, in wasserblaue Seide gekleidet, und mit weißen Federbüschen geziert, dann zwölf Pagen in glänzendem Rot, die gleich schlanken Korallenstäben aussahen. Sie tragen eine kostbare Sänfte in Form einer Muschel, in deren Silberpolstern ein kleines, zusammengekrümmtes, in gelbgrauen Atlas gekleidetes Männchen liegt, an dem nur zwei schwarze Augen und ein dünner, weißlicher Bart zu sehen sind. Als er sich emporrichtet und seine kleinen Glieder auseinanderwirrt, heben ihn die Pagen heraus bis dicht vor die Schwelle von Benedicts Wohnung. Die Menge hatte sich davor versammelt, und es ging schnell das Gerücht herum, ein fremder vornehmer Herr sei angekommen, um Tesi zu freien. Alle waren über dieses große Glück erstaunt, und ihr Erstaunen wuchs noch, als die schlanken roten Pagen Dinge austeilten, die ganz wie die schönsten echten Perlen aussahen, und es am Ende auch wirklich waren. In Bastia geschieht nicht alle Tage dergleichen, darum konnten sich die guten Leute vor Freude nicht fassen und griffen nach den gelbgrauen Rockschößen des kleinen Prinzen, um sie zu küssen, gerade als er zur Tür von seines Schwiegervaters Wohnung hineinwackelte.

Jetzt wußte der arme Benedict, wieviel die Glocke geschlagen hatte. Er nahm schnell seine Tochter beiseite, entdeckte ihr den eingegangenen Handel, ohne die eigentliche Natur des Bräutigams zu nennen, und schloß mit der Bemerkung, er könne nicht anders als sein Wort halten und sie ausliefern. Da rang Tesi die schönen Hände hoch über dem Kopfe, so daß die braunen Haarflechten wie ein paar dunkle Felsenbäche in den weißen Nacken hinabstürzten. ›0 Vater, Vater!‹ rief sie, ›was habt Ihr getan? Euer Kind verkauft, Euer Fleisch und Blut verhandelt! Nun, so sagt mir doch wenigstens, wer ist mein Bräutigam, wo kommt er her, wes Landes Kind und wann hat er um mich geworben?‹

Benedict hatte wenig Lust, auf diese Fragen zu antworten. ›A1bernes Mädchen‹, sagte er, ›siehst du nicht, daß ich trefflich gewählt habe? Ist's dir noch nicht genug, daß dein Liebster der reichste Mann auf der Insel ist? Du wirst mit ihm ein Götterleben führen, und jeder Wunsch wird dir gewährt sein!‹ – ›Ach, aber Jacques!‹ rief Tesi. – ›Oh, der Flachskopf, die Rothose! Laß ihn laufen, in meinem Leben hätte ich nicht zugegeben, daß das matte Gesicht dich als Frau heimführt.‹

So sprach Benedict zu seiner Tochter. Mittlerweile waren der Prinz und sein Gefolge sehr ungeduldig, aber noch ehe es völlig Nacht geworden war, hoben die roten Pagen die kleine zitternde Tesi in die zweite große, für sie bestimmte Muschel, und der ganze Zug ging in lautem Gebrause davon. Viele Leute liefen ihm bis ans Tor nach, Benedict jedoch ging in seine Kammer, um über sein Kind zu weinen, andere sagen aber, um die Säcke mit Perlen zu zählen, die er dort hingestellt fand und die ihm zum reichsten Mann in ganz Bastia machten. Gewiß ist's, daß Benedict sich bald tröstete; wer aber keinen Trost fand, war Meister Jacques, den man um seine Braut betrogen hatte.

Da der alte Sünder immerdar ein hartnäckiges Schweigen beachtete, so wußte Jacques nicht, wo er die Verlorene suchen sollte. Es gingen darüber vier Jahre hin, ohne daß er nur die geringste Spur entdeckte, bis er einst, der Himmel weiß wodurch veranlaßt, auf den Einfall kam, mit einem Boote hinauszurudern bis zu dem schwarzen Steine dort, der damals noch nicht so hoch aus der Flut hervorragte. Als er ganz nahe daran war, ließ er ermüdet die Ruder sinken und schaute vor sich hin, ohne zu wissen, was er tat, in die Tiefe hinab. Plötzlich sah er, und das Blut erstarrte darüber dem armen Burschen in den Adern, zwei Augen, die unverwandt ihn aus der Tiefe hervor anblickten. Er wurde fast sinnlos vor Freude, es waren die Augen seiner Tesi, ja, es waren in der Tat die Augen seiner Tesi. Sie saß dort unten, gerade so wie Tobby es beschrieben hat und wie man sie jetzt noch sehen soll, in einem gläsernen Haus, ganz allein auf dem Meeresgrund.

Jacques bedachte sich nicht lange, er sprang kopfüber aus dem Boot ins Wasser und stand, ohne daß er sagen konnte, wie es zuging, in wenigen Augenblicken vor Tesi, die ihn von Kopf bis zu Fuß betrachtete. Er hatte immer noch seine blonden Haarzöpfe, seine große, hochrote Bandschleife am Hinterhaupt, seine roten Sonntagshosen und sein kaffeebraunes Jäckchen. So stand er auf dem Meeresgrunde in dem gläsernen Häuschen und wollte eben sein Willkommen rufen, als die arme Tesi, zum Tode erbleicht, ihm Schweigen zuwinkte. Jetzt erst sieht Jacques, daß das ungeheure graue Ding, das auf ihrem Schoße liegt, eine Auster ist, und rund um Tesis Füße drei, vier ähnliche Austern. Tesi legt leise die Muschel nieder, nimmt ihn bei der Hand und verbirgt ihn in einem Verstecke. Als beide sich darin befinden, spricht sie: ›Armer Jacques, was für ein Einfall! Wie bist du hergekommen? Aber sprich, was machen sie dort in der Oberwelt? Wie geht's meinem lieben, bösen Vater? Was machen die Muhmen und Freunde in der Stadt? Ach, ich sterbe an meinen Tränen!‹ Damit lag sie an seinem Halse und weinte wie ein Kind. Aber wenn Jacques antworten wollte, hielt sie ihm den Mund zu, indem sie rief: ›Nein, ein andermal! Wenn mein Mann erwachte und dich hier erblickte, wäre es um dein Leben geschehen. Er ist ein verzauberter Prinz, elf Monde im Jahr muß er in Gestalt einer häßlichen Auster verbringen, im letzten Monde jedoch erhält er seine Menschengestalt wieder, die freilich auch nicht die schönste ist. Harre geduldig hier aus, wir haben nur ein paar Tage bis zu unserer Verwandlung zu überstehen, dann werde ich dich vor meinen Mann bringen und ihm sagen, daß du mein Bruder bist.‹

›Was das für dumme Geschichten sind!‹ brummte Jacques und zupfte sich die rote Bandschleife am Hinterhaupte zurecht. ›Und die kleinen Austern, Tesi, die um deine Füße herumlagen? – Wo kommen sie her?‹ Tesi wurde rot bis über die Ohren. ›0 pfui!‹ rief Jacques und stampfte mit dem Fuße, daß das ganze gläserne Haus dröhnte, ›du bist immer ein Muster von einem Mädchen gewesen, und nun –‹

›Sieh sie nur in ihrer wahren Gestalt!‹ sagte Tesi bittend und wollte ihn umarmen, aber er wandte sich ab. Meister Jacques war in der allerschlechtesten Laune von der Welt. Sie konnte nichts Klügeres tun, als ihn in seinem Versteck allein lassen. Hier sah er nun durch eine kleine Spalte, wie sie die jungen Austern eine nach der anderen vom Boden nahm, mit frischem Seewasser tränkte und mit kleinem Gewürme aller Art speiste. Er hätte bersten mögen vor Ingrimm. Endlich kam der Tag der Verwandlung, und als Jacque an einem Morgen aus seinem Versteck erwachte, sah er vor sich –‹

»Tesi!« rief Etienne.

»Allerdings«, entgegnete der Erzähler langsam, »allein, nicht sie allein.«

»Gott sei Dank, sie allein!« rief Etienne heftiger. »Seht ihr denn nicht das arme Kind, das schon lange Zeit hinter euch steht?«

Die Mädchen waren so vertieft in die Angelegenheiten der fabelhaften Urgroßmutter, daß sie die lebende Tesi durchaus nicht bemerkten. Jetzt begrüßten sie sie, und fragten verwundert, was ihr geschehen, denn das Mädchen weinte heftig. Marion zog sie zu dich nieder, Susanne schlang den Arm um sie und beide baten auf das zärtlichste.

»Ach, läge ich doch auf dem Meeresgrund«, seufzte Tesi, »wo meine bezauberte Urgroßmutter lebt, mir wäre besser, als hier oben bei den grausamen Menschen und in dieser verkehrten Welt!«

»Sieh doch die Auster an!« sagte Tobby leise, indem er Etienne anstieß, der sich jedoch verdrießlich beiseite wandte.

»Was macht denn dein Bräutigam, Tesi?« fragte Marion.

»Wir sind geschiedene Leute«, antwortete das Mädchen unter Tränen. »Heute, als ich ihn zum ersten Mal sah, gab sein Alter, seine Häßlichkeit und sein widriges Wesen mir plötzlich den Mut, dem Vater zu erklären, daß ich eher ins Meer springen wolle, als den Müller heiraten. So springe ins Meer, sagte der Vater im Zorne, damit meine Augen dich nie wieder sehen. Vater, sagte ich, lebt wohl! Und somit faßte ich seine Hand, drückte einen heißen Kuß auf sie, rannte aus der Müllerwohnung fort, immer weiter, bis ich hierher gekommen bin. Nun will ich mein Wort halten. Ich will von den Menschen und der ganzen übrigen Welt nichts mehr, ich will zu meiner lieben Urgroßmutter ins gläserne Haus. Sie hat sich auch einem häßlichen Untier vermählen müssen, das im Grunde nur wenig schlimmer war, als mein alter Müller, sie wird Mitleid mit mir haben und mich bei sich aufnehmen. – Wer will mich im Boote hinüberbringen bis zum schwarzen Steine?«

Sie sprach diese Worte, indem sie sich erhob und frei und kühn auf die oberste Stufe stellte. Ihr schönes Auge, eben noch mit Tränen gefüllt, blickte jetzt glänzend und fast wild umher. Die jungen Burschen sahen sich an und schwiegen.

»Tesi!« riefen die Mädchen und umschlossen die Knie der Stehenden, »du wirst doch nicht toll und einfältig sein?«

»Ich will toll und einfältig sein!« entgegnete sie, indem eine dunkle Röte ihr Antlitz übergoß. »Ist nicht heute der Tag des heiligen Benedict? Haben sie heute vor zweihundert Jahren nicht meine Urgroßmutter ins Meer verstoßen in ihrem Brautstaat? Wohl, auch ich bin als Braut geputzt, auch mir haben sie all mein Liebes genommen, auch ich will jetzt ins Meer hinab! Ist den keiner so mitleidig und bringt mich hinüber?«

Etienne ging leise und ohne ein Wort zu sprechen hinab, indem er das Boot von seiner Kette löste und dann selbst hineinsprang. »Der da?« sagte Tesi, indem sie verächtlich und rot vor Zorn auf den Jüngling wies, »ich wollte, ein Besserer und einer, den ich weniger haßte, erwiese mir den Dienst. Doch gleichviel!« Sie neigte sich noch einmal herum, küßte die ihr am nächsten sitzenden Mädchen und sprang dann rasch von der untersten Stufe ins Boot.

Etienne ruderte fort. Schweigend blickten sich die Zurückbleibenden an. Casimir schien noch immer mitten in seinem Märchen zu stecken, denn er strich sich die roten Haare aus der Stirn und sah mit träumerischen Augen auf das Boot, das, sich auf der spiegelhellen Flut leise und fast furchtsam bewegend, immer weiter vom Ufer sich entfernte. »Was ist denn das?« fragte er endlich mit zögernder Stimme.

»Das will ich dir sagen«, rief Tobby, »es ist eine verliebte Auster, die ins Wasser zurückkehrt, von wo sie gekommen. Ist denn dabei so etwas Wunderbares? Erzähle nur deine Geschichte weiter.«

»Spotte nicht!« rief Susanne und hob den Finger drohend in die Höhe. »Etienne ist ganz der Bursche dazu, um die Arme ins Wasser springen zu lassen, und sie – ach! In ihren Augen lag etwas, das gar deutlich anzeigte, wie sehr ernst es ihr mit dem Vorsatz war.«

»Ich bemerke«, sagte Marion, »daß beide so weit wie möglich voneinander im Boote sitzen und daß sie vermeiden, einander auch nur flüchtig anzusehen.«

Tobby sprang auf, und die Hand übers Auge gegen den blendenden Sonnenglanz haltend, rief er: »Wer wettet mit mir, daß beide in einer halben Stunde heimkehren und daß sie dann ganz nahe beieinandersitzen, so nahe, daß eines notgedrungen den Arm um den Nacken des andern legen und eines das andere ins Auge fassen muß?«

»Wenn das geschieht«, riefen Marion und Susanne lebhaft, »so soll Tobby von mir ein schönes, neues Band – und von mir einen Blumenstrauß auf den Hut bekommen.«

»Und wenn es nicht geschieht«, bemerkte Tobby, »so will ich mich niemals mehr vor euern Augen sehen lassen.«

»Hörst du, Susanne?« lachte Pierre, »nimm nur Abschied von dem tollen Jungen, du wirst ihn auf diese Weise bald verlieren, denn Etienne und Tesi sind zu erbitterte Feinde, als daß sie sich jemals versöhnen könnten.«

»Ach!« rief Marion, »das Boot ist nicht mehr zu sehen, jetzt weiß man in der Tat nicht, was sie miteinander ausmachen. Und unterdessen könnte Casimir seine Geschichte beendigen.«

»Der Teufel mag hier das Ende zufügen!« brummte Casimir. »Ich finde, daß wir auf eine recht einfältige Weise in unserer Erzählung gestört worden sind. Wo blieben wir, Marion?«

»Deine letzten Worte«, antwortete diese, »waren: als Jacques eines Morgens erwachte, sah er vor sich –«

»Ganz recht. Da sah er vor sich das reichste fürstliche Landhaus mit den herrlichsten Gärten, den schönsten Gebäuden und den kostbarsten Verzierungen geschmückt, die man sich nur denken mag. Sein Auge ward geblendet von all dem Glanz, und er mußte sich eine Weile besinnen, ob er wache oder im Traum liege. In ganz Bastia und in der Umgegend hatte er nie von einem solchen Palast sprechen hören, auch wurde es ihm jetzt deutlich, daß er sich auf einer Insel befinde, denn rund umher sah man das Meer im Sonnenglanze funkeln und ganz bedeckt mit zierlichen Booten von allen Formen.

Meister Jacques war ein Mann, der sich nicht aus der Fassung bringen ließ; er tat nicht mehr, als daß er im nächsten Wasserspiegel eines klaren Marmorbeckens seinen Anzug musterte, die blonden Haarzöpfe in Ordnung brachte und sich dann anschickte, vor dem Prinzen und der Prinzessin, die diesen kostbaren Palast bewohnten, zu erscheinen. Wie erschrak er, als ihm aus den goldenen Pforten seine Tesi entgegentrat, an der Hand eines kleinen Mannes, der Jacques durchaus nicht gefallen wollte. Dennoch begrüßte man sich ziemlich freundlich, und der Austernprinz lud seinen vermeintlichen Schwager ein, längere Zeit zum Besuche in seinen Staaten zuzubringen. Jacques hütete sich wohl, sein wahres Verhältnis zu der ungetreuen Tesi zu verraten.

Im Austernstaate ging es nun auf die allerglänzendste Weise her. Ein Fest drängte das andere, und manche waren so belustigender und seltsamer Art, daß schwerlich der Gedanke dazu einem Zeremonienmeister oder Hofmarschall an unsern Höfen gekommen wäre. In den Gesellschaften gab es sehr kokette Austern, die es ordentlich darauf abgesehen zu haben schienen, Meister Jacques seiner Tesi ungetreu zu machen, allein der gute Bursche hatte nur einen Fehler, und dieser bestand darin, daß er seiner Liebsten treu war, selbst die größten Schönheiten des Austernstaates vermochten nichts über ihn.

Als die Zeit der Verzauberung wiederum nahe war und Jacques sich zur Abreise rüsten sollte, nahm er eines Abends Tesi an der Hand und führte sie in ein entlegenes Gemach, und als sie allein waren, küßten sie sich zärtlich und vergossen dabei die bittersten Tränen. ›Liebes Herz‹, sagte Jacques mit zitternder Stimme, ›obgleich du hier eine Königin geworden, ich aber meiner Mutter ärmster Sohn geblieben bin, so sei doch so gut und liebe mich noch ferner und folge mir und sei meine Hausfrau, aber in der schönen Gotteswelt.‹ Tesi verbarg ihr Haupt an seinem Halse, sie antwortete nicht, sondern öffnete nur eine Seitentür des Gemachs, und herein traten drei hübsche Fräulein, die sich zärtlich an die Mutter schmiegten. ›Sieh!‹ rief Tesi, ›soll ich diese verlassen?‹ – ›Aber bin ich dir nicht lieber?‹ fragte Jacques und sah mit seinen treuherzigen blauen Augen sie an, ›und dein Vater, Tesi, und die gute Stadt Bastia?‹ – ›Hoffe nur‹, sagte sie leise, ›vielleicht ist es mir möglich, heimlich zu euch ans Land zu kommen; doch ganz bei euch bleiben? – Ach, das fordere nicht!‹ – Sie schloß ihn hiermit nochmals in ihre Arme, indem sie ihn zur Abreise drängte.

Auf dem Meere bewegte sich eine herrliche Flotte schön geputzter Gondeln; der Austernprinz wollte sich's nicht nehmen lassen, seinem Gaste noch das Geleit zu geben. Bei Musik und Fackelschein bestieg man die Boote, und das alte Meer trug vielleicht nie ein so lustiges Völkchen als jetzt auf seinem Rücken. Zwölf Kammerherrn in größtem Putz, jeder in seiner besonderen Gondel, umgaben Jacques' Fahrzeug. Tesi hatte ihm vertraut, daß mit den ersten Strahlen der Morgensonne die Verwandlung vor sich gehen würde, aber schon ergraute der Horizont im Osten und noch immer sah man in der Ferne die erleuchteten Paläste der Insel ragen, noch immer flimmerten tausend Lichter um ihn her. In schwermütigen Gedanken vertieft, setzte er sich am Rande seiner Gondel nieder und hatte bald alles um sich her vergessen. Plötzlich ward er durch einen harten Stoß, gleichsam als landete die Gondel, aus seinen Träumen geweckt. Wie erschrak er, als er ringsumher das Meer leer und öde, sich selbst aber auf dem schwarzen Felsen sitzen sah. Die Höflinge waren verschwunden, statt ihrer trieben zwölf fest geschlossene Austernschalen an die Klippen heran und setzten sich fest. Da rieb sich Jacques die Augen, und die Sonne schien ihm gerade ins Gesichte, und er mußte dreimal niesen, auf seiner einsamen Felsenspitze sitzend, und rundumher hörte er aus den Wellen leise ›Prosit!‹ rufen. Und das Märchen ist zu Ende.«

»Siehst du noch nicht das Boot?« fragte Marion leise die kleine Susanne.

»Ja«, entgegnete diese, »ich meine es zu sehen und den armen Jacques allein im Boote.«

»Närrin!« rief Pierre, »wer spricht von Jacques? Aber wahrlich, Casimir hat ihn da auf dem Felsen sitzen lassen, und wir wissen nicht, wie er wieder nach Bastia kam.«

»Wie wird er hergekommen sein?« rief Casimir, »gewiß auf sehr gewöhnlichem Wege. Man muß in einem Märchen nicht alles erschöpfen wollen. Es sei nur gesagt, daß Jacques niemals mehr Austern aß, denn er pflegte immer zu behaupten, daß er dieselben unscheinbaren Wesen einst als sehr wohlgekleidete Fräulein und hochachtsame Herrn kennengelernt habe und immer noch in einer gewissen zarten Beziehung zu ihnen stehe. Damit meinte der gute Junge seine Tesi, die wirklich ihr gegebenes Wort hielt und ihn oft in nächtlicher Stille besuchte. Benedict hatte zur Strafe ein unglückliches Ende, und Jacques, als er sein letztes Stündchen nahen fühlte, soll einen prophetischen Segen ausgesprochen haben, des Inhalts, daß, wenn einer von Tesis oder seinen Nachkommen sich in Gefahr, Not oder Kummer befinde, er nur zum schwarzen Steine hinauszurudern brauchte, um Trost und Hilfe zu finden.«

»Ja«, rief Susanne, »das hab ich auch gehört, und mit diesem Segen soll es seine völlige Richtigkeit haben. – Aber, Tobby, bist du von Sinnen? Weshalb reißt du das schöne Band und deinen Blumenstrauß vom Hute?«

Tobby hatte die höchste Brustwehr des Dammes erklettert, und wies statt einer Antwort nur vor sich hinaus auf das Meer. Alle erhoben sich von ihren Sitzen und erblickten jetzt das Boot, wie es hinter einem der Schiffe hervorruderte. Etienne und Tesi hielten sich eng umschlossen, ihre Blicke ruhten ineinander, und ihre Lippen fanden sich öfters zum Kusse. »Wie elend und schülerhaft sie rudern!« brummte Casimir, »lauter halbe und matte Schläge! Wenn ich das alte Meer wäre, ich würfe ihnen, ehe sie's dächten, das Boot überm Kopf zusammen. Ich habe so recht verliebte Wesen nie leiden können. Hat der Bursche nicht noch eben von Seewassergeruch und Austernähnlichkeit und sie vom Ins-Wasser-Springen gesprochen, und nun küssen sie sich, als wäre es nie anders gewesen!«

»Das ist der Segen der Urgroßmutter!« riefen die Mädchen.

»Das ist er auch!« fügten Etienne und Tesi hinzu, die jetzt an das Land sprangen.

»Als wir an dem schwarzen Steine anlangten«, sagte Tesi, »wurde es uns plötzlich ganz deutlich, wie wir uns so lange innig und treu geliebt, wie nur eigene Torheit und Zwang der Eltern uns ferngehalten.«

»Und meine Torheit war die größere!« rief Etienne, »wie konnte ich nur glauben, daß du den alten Müller wirklich liebtest?«

»Nein, die meinige war die größere«, sprach Tesi, »ich hätte es nicht übelnehmen sollen, daß du mich einmal im Unmut die Austernprinzessin genannt hast.«

»Der verliebten Auster die Ehre!« schrie Tobby und schwenkte seinen Hut, »sie hat mir ein neues Band und einen Blumenstrauß verschafft.«

»Und mir ein Weib!« rief Etienne, indem er seine Schöne umarmte. Die Mittagsglocke läutete auf den Schiffen, und die Burschen und Mädchen brachen auf.


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