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Zur Zeit als die nordischen Städte unter sich einen Bund schlossen, die Sicherheit der Meere zu gewinnen und der immer mehr zunehmenden Dreistigkeit der Seeräuber Einhalt zu tun, lebte auf der Insel Rügen ein alter Schiffer, von dem die Sage ging, daß er während eines langen, abenteuerlichen Lebens große Schätze gesammelt habe, die er aber sorgfältig verborgen hielt, so daß seine drei Söhne fast in Dürftigkeit aufwuchsen. Von diesen drei Söhnen zog er den jüngsten, der Ruthwer hieß, sichtlich den andern vor. Als er nun auf dem Todbette lag, ließ er sie vor sich kommen, und indem er sich anschickte, das Erbe zu verteilen, sprach er zu ihnen folgendes: »Meine Söhne, daß ihr es nur wißt, ich bin nicht so arm als ihr vermutet; teils sind meine Dienste, die ich großen Herrn erwiesen, reichlich belohnt worden, teils hat auch mein eigener Fleiß gute Früchte getragen, die ich jedoch mit bester Vorsicht geheimgehalten, weil mir bekannt ist, mit welcher Gier sowohl die äußern Feinde, Neid, Bosheit und Verfolgung, als auch die innern Feinde, Trägheit und Übermut, den Besitzern großer Schätze nachstellen. Deshalb erzog ich euch in Armut, Fleiß und Ordnung. Jetzt, da ihr sämtlich eure männlichen Jahre erreicht habt, soll euer Besitztum, das ihr nicht mehr mißbrauchen werdet, richtig euch abgeliefert werden.«
Mit diesen Worten ließ er die zwei ältesten Söhne zwei schwere Kisten herbeibringen, die bis oben mit Kostbarkeiten gefüllt waren, deren Glanz die armen Schiffersöhne, die sich auf wenig mehr als ein paar zerrissene Netze gefaßt gemacht hatten, nicht wenig blendete. Sie nahmen die Kisten in Empfang, und der Vater rief jetzt den dritten Sohn, der in einiger Entfernung stehengeblieben, herbei. »Für dich, Ruthwer«, sprach er, »habe ich das Schifflein bestimmt, welches du im Hafen finden wirst.« Der Jüngling vernahm diese Worte mit nicht geringem Schrecken, er hatte heimlich bei sich die Erwartung gehegt, daß ihm die Vorliebe des Vaters vielleicht das Doppelte von den Schätzen, welche die Brüder bekamen, zuteilen werde, und jetzt erhielt er nichts als ein altes, leckes Boot, das im Hafen schon seit Jahren faulte und von dem man, wenn die morschen Bretter und verrosteten Nägel verkauft wurden, kaum soviel lösen konnte, als ein neuer Sonntagsanzug kostete. Ruthwer bedeckte sein Antlitz mit beiden Händen und weinte bittere Tränen; denn obgleich er nicht sehr an Schätzen und Reichtümern hing, so schnitt ihm doch die Härte und Ungerechtigkeit des Vaters tief ins Herz. Der Alte erriet seine Gedanken, und nachdem er die beiden andern hatte hinausgehen lassen, sprach er nochmals zu ihm: »Mein Sohn, du tust Unrecht, das alte Schifflein gering zu achten; denn so wie du es da siehst, hat es schon meinem Vater gedient, ich habe durch seine Hilfe Glück und Reichtümer erworben, und so wird es auch dir Heil und Segen bringen. Vernimm nämlich, daß seit uralten Zeiten ein Geist in unserer Familie einheimisch ist, der Klabauterman heißt und der immerdar von Vater auf Sohn geerbt ist und den ich hiermit auch dir vererbe. Sein Aufenthaltsort ist jenes Schifflein. In einer verborgenen Kammer, tief im Raume steht eine kleine Kiste Blei, an die ist er gebannt. Hüte dich wohl, dieses Heiligtum zu verletzen und laß es auch keinen Menschen sehen. Das Schifflein selbst vertausche mit keinem größern und bessern, es sei denn, daß der Geist selbst dir anzeigt, daß er nunmehr eine andere Wohnung beziehen will. Nimm dich in acht, etwas Böses zu tun, und vor allen Dingen geschehe nicht die kleinste Ungerechtigkeit auf dem Boden, wo Klabauterman herrscht; bleibe überhaupt treu, redlich und strebe nicht nach zu großen Schätzen, dann wird dir das Schifflein, so elend es aussieht, hundertfachen Segen bringen, und Klabauterman wird dein bester Freund bleiben.«
Ruthwers Tränen waren schon beim Anfang der seltsamen Eröffnung des Alten versiegt. Er konnte vor Erstaunen nicht zu sich selbst kommen, und lange Zeit schienen ihm die wunderbaren Dinge, die er hörte, nur wie ein Traum. »Mein Sohn«, schloß der Alte seine Rede, »damit du nicht an der Wahrheit meiner Rede zweifelst, zugleich damit der Vertrag zwischen dir und dem Geiste ordentlich besiegelt werde, so strecke hiermit deine Hand aus und empfange Klabautermans Zusicherung. Er ist unter uns zugegen, obgleich dein Auge ihn nicht sieht.« – Ruthwer gehorchte und fühlte alsbald in seine warme Rechte eine kleine, feuchte, kalte Hand schmiegen, die sich ihm nach einem leisen Druck wieder entzog. Nicht lange darauf starb der Vater.
Als der Vater beerdigt war und die beiden Brüder ihr Besitztum in Sicherheit gebracht hatten, begab sich Ruthwer mit trübseligem Mute an die Bucht, wo das Schiff vor Anker lag. Mitten unter der stattlichen Anzahl bunt bewimpelter, lustig prangender Kameraden stand es allein und verlassen. Der Bugspriet neigte sich zum Wasser, Mast und Stangen waren schadhaft, und das Segel hing trübselig und matt herab wie ein müdes Augenlid über einem schläfrigen Auge. Das Deck war mit wenigen morschen Brettern gedeckt. Nicht leicht hatte man ein elenderes Schifflein gesehen. Die Schiffer standen umher und spotteten seiner. »Ei!« riefen sie, »was soll ein so schwindsüchtiges Mädlein auf dem Meere? Es taugt nicht zum kecken Liebespiel, weder den gewaltigen Kuß der Wellen noch den Seufzerhauch des Windes kann es vertragen. Gebt dem Dinge ein gutes Maß Seewasser zu schlucken, schlagt ihm die hohlen Seiten ein und stoßt ihm das Herz ab, daß es zugrunde gehe!«
Ruthwer ging trotz dieser Spottreden an Bord seines Schiffleins. Sowie er es betrat, ging ein leises Klopfen durch den Raum, gleichsam wie ein freudiges Menschenherz in der Brust klopft: es war Klabautermans Gruß. Ruthwer hatte ein paar tüchtige Gesellen mitgenommen, und auf den Rat eines ihm wohlgesinnten Schiffsbaumeisters ging er daran, die nötigen Ausbesserungen vorzunehmen. Kaum hatte er und die Seinigen die Hand angelegt, als auch das Werk zum Verwundern schnell gedieh; das Segel hob sich wieder, die neuen Stangen und Seile klappten und zuckten wie frische, wanderlustige Glieder. Der alte Schiffsbaumeister wiegte wohlgefällig das Haupt und sagte zum jungen Ruthwer:
»Seht nur, wie Euer Schifflein sich jugendlich aufputzt und flügge wird, gleichsam als wolle es neu aus dem Neste fliegen, macht ihm bald das Vergnügen.«
Dieses war auch Ruthwers Wunsch, er konnte die Stunde nicht erwarten, wo er zum erstenmal mit seinem Eigentum eine Fahrt unternehmen würde, so sehr beseelte jetzt Mut seine Brust.
Die Gelegenheit blieb nicht lange aus. Die verbündeten Städte rüsteten gerade eine Anzahl Schiffe aus gegen die Vitalierbrüder. Dieses waren äußerst freche Seeräuber, die sich die Herrschaft über die nordischen Meere angemaßt hatten und vielfache Greuel verübten. Es wurde jemand gesucht, der den Schiffen der Städte den Weg zeigen könnte bis zu den geheimen Schlupfwinkeln der Räuber. Zu diesem Unternehmen gehörte wegen der Gefahr, die damit verbunden, ein kühner, geschickter Führer, der mit seinem kleinen, leichten, schnellsegelnden Fahrzeuge die bösen Klippen der finnischen Küsten leicht zu umschiffen verstand. Die Belohnung war nicht karg zugemessen, dennoch fand sich niemand, der dem Rufe Folge leistete. Ruthwer übernahm es und rüstete sich auch alsbald zur Fahrt. Die Schätze der reichen Handelsherrn lockten ihn nicht so sehr als der Ruhm, etwas zu vollbringen, wobei die kühnsten Schiffer mit ihren guten Fahrzeugen feige zurückblieben. Er kümmerte sich auch nicht um ihren erneuten Spott.
Die Fahrt hatte tausendmal mehr Gefahren, als man hätte glauben können. Der Sturm ereilte die Schiffe der Städte an der finnischen Küste und trieb sie auseinander; ohne Ruthwers Führung wären unfehlbar viele untergegangen, so aber gelangten sie dennoch zu ihrem Ziele. Ein unvorhergesehener Überfall machte die Räuber bestürzt und mutlos, die Städter nahmen ihnen mehrere Schiffe weg, sie landeten sogar und machten große Beute, zugleich wurden einige deutsche Herrn, die hier in schmählicher Gefangenschaft gehalten wurden, befreit. Ruthwer leitete den Zug ebenso klug und glücklich wieder heim, und jedermann war über den Mut und die Geschicklichkeit des jungen Schiffmanns erstaunt. Als er zu Hause angelangt, erschienen Abgesandte, die ihm einen größern als den bedungenen Preis einhändigten und ihn zugleich zum Dienst des Städtebundes anwarben. Die Schiffer spotteten jetzt nicht mehr über das Schifflein, und Ruthwer selbst hatte jetzt die Überzeugung von Klabautermans mächtigem Schutze. Er faßte den Entschluß, sich dessen immer würdig zu erhalten.
Mehrere glückliche Fahrten und Unternehmungen wie die vorige brachten Ruthwer bald so viele Schätze ein, als jeder einzelne Erbteil seiner Brüder ausmachte. Jetzt sah er ein, wie der Vater ihn vor den andern begünstigt hatte, dennoch blieb er treu und gut gegen jedermann. Auch brachte er das Erworbene wohl unter, so daß er bald ein neues Fahrzeug kaufen und bemannen konnte, das er ebenfalls den Städtern in Dienst gab. Er selbst blieb auf seinem Schifflein und wollte es nicht früher verlassen, bis ihm der Geist das Zeichen hierzu geben würde.
Unter den Schiffern in Helgoland gab es einen, der früher im Dienst des Städtebundes gewesen, jetzt aber von Ruthwer aus seiner Stelle verdrängt worden war. Er zeigte darum Haß und Neid, und da er seine bösen Plane nicht auf offenem Wege ins Werk setzen mochte, tat er sich zusammen mit einem Gesellen, dessen Seele ebenso voll Tücke und Bosheit war. Diese beiden faßten den Entschluß, Ruthwer zu ermorden; sie wollten sich in sein Vertrauen einschleichen, unter ihm Dienste nehmen und ihn während der Fahrt beiseite schaffen. Ruthwer, der nichts Böses argwohnte, nahm sie an Bord. Kaum hatte ihr Fuß dasselbe betreten, als sich ein unruhiges Pochen vernehmen ließ, das, je weiter die Reise, desto stärker wurde. Es war nicht das leise Klopfen, das wie eine freundliche, bittende Stimme klang und das Ruthwer oft in stillen Nächten, wo er einsam wachte, mit Freude vernommen hatte, es waren heftige, drohende Laute, die, wie Pulsschläge eines Fieberkranken, den ganzen Leib des Schiffleins durchschütterten. Dabei wurde die Mannschaft unruhig und zaghaft, keiner mochte mehr seinen Dienst ordentlich verrichten, die gute Ordnung wich, indem mit jedem Tage die Verwirrung und Gefahr stieg. Ruthwer war hierüber nicht wenig bekümmert; er fühlte wohl, daß es die zürnende Stimme des Geistes war, doch sann er vergeblich nach, wodurch er ihn könne beleidigt haben. Er rief endlich die Mannschaft zusammen, und während ein fürchterlicher Sturm im Nahen und das gespenstische Toben ärger als jemals war, ermahnte er sie, einzugestehen, ob irgendjemand unter ihnen etwas Unrechtes begangen habe oder noch zu begehen im Sinne trage. Alle schwiegen, da stürzten endlich jene beiden hervor und bekannten ihr schändliches Vorhaben. Ihr Ansehen war wild, und Wahnsinn lag in ihren Blicken. Ruthwer wollte ihnen Verzeihung angedeihen lassen, allein, das Schiffvolk rottete sich zusammen und bestand auf ihrem Tod, widrigenfalls das Schiff und die ganze Mannschaft umkommen würde. Die Verbrecher wurden ins Meer gestürzt. Kaum hatten die Wellen sie verschlungen, als sogleich das Pochen aufhörte und Ruhe und Ordnung auf das Schiff zurückkehrten.
Seit dieser Zeit wurde Ruthwer von seinen Genossen gefürchtet, es wagte fürder niemand, ihm ein Leides zuzufügen oder auch nur einen losen Possen zu spielen. Selbst Böses von ihm zu sprechen auf dem Grund und Boden, auf dem er herrschte, getraute sich niemand.
Ruthwer hatte jetzt eine Menge Schätze gesammelt, und diese Besitztümer machten ihm so viel Freude, daß er darauf dachte, immer mehr zu erlangen. Er ließ jetzt ein prächtiges Schiff bauen, mit allem ausgerüstet, was nur für eine zahlreiche Mannschaft und zu trefflicher Leitung erforderlich war. Als dieses Schiff fertig im Hafen lag, gedachte er es einem jungen geübten Seefahrer anzuvertrauen, den er kürzlich kennengelernt hatte und der Fife hieß. Fife beneidete, wie die übrigen Schiffer, Ruthwers Glück, doch ließ er sich nichts merken und verschloß seine bösen Pläne sorgfältig in sich. Als Ruthwer mit ihm noch wegen des Schiffes unterhandelte, ward ihm eines Morgens angezeigt, daß im alten Schifflein die Fenster der Kajüte zerbrochen, das Hauptsegel zerrissen gefunden worden und daß das Steuer einen großen Spalt bekommen habe. Der Bootsmann, der dieses meldete, gab den Rat, Wachen aufzustellen, denn er meinte, daß böswillige Hände die Schmach verübt hätten. Allein, trotz der Wachen fand man wiederum bald darauf den ausgebesserten Teil von neuem beschädigt. Jetzt gedachte Ruthwer der Worte des Vaters, und es wurde ihm deutlich, daß der Schiffsgeist nunmehr die alte Wohnung verlassen und eine neue beziehen wolle. Er entschloß sich daher, das neuerbaute Schiff selbst in Besitz zu nehmen, Fife erhielt ein anderes, mit welchem Tausch er jedoch nicht zufrieden war.
Die Mannschaft des Schiffleins setzte jetzt einen Tag fest, an dem sie feierlichst ausziehen wollte. Der Bootsmann hielt eine Rede, in welcher er dem alten Schiffe für seine gute Dienstleistung dankte und es in Frieden entließ. Ein Matrose, der im Namen des Schiffes sprach, erwiderte den Dank und versicherte, daß das Schiff vollkommen mit seiner Mannschaft zufrieden sei, die es gut durch Sturm und Wellen geleitet habe. Darauf, wie die Seele vom Körper scheidet, wurde jetzt die Seele des Schiffs, der Kompaß, verhängt mit Trauerflor, vom Schiffsherrn selbst hinweggetragen. Die Matrosen wanderten aus, indem sie ein Lied sangen und jeder, sein Päckchen unter dem Arme, dem Schifflein eine selige Ruhe wünschte. Mancher im Zuge wischte sich eine Träne aus dem Auge, denn er hatte auf den Brettern, die er nun für immer verließ, sein erstes Probestück vollführt. Auf dem obersten Seile hatte der schlanke Knabe sich über dem Taumel der empörten Wellen gewiegt, ohne vom Schwindel hinabgerissen zu werden. Ein anderer Geselle zeigte Blutflecken auf dem Boden; es war sein Herzblut, das er vergossen hatte, als es einst an den Küsten des obersten Nordens zum Gefecht gekommen war. So hatte dieser mit Blut, jener mit Tränen den lieben Boden getauft, von dem sie jetzt schieden. Sie wollten es nicht hören, wenn der Baumeister zuerst das Beil ansetzte, um dem Schifflein den Gnadenstoß zu geben und es in seine ursprünglichen Bestandteile wieder aufzulösen, sie wollten es nicht sehen, wenn ihm die Nägel ausgezogen wurden und das schöne Segel wie ein hochzeitlich Gewand vom Leibe gestreift, sie wollten nicht dabei sein, wenn nun die letzten, unbrauchbaren Reste ins Meer versanken.
Aber als sich jetzt mit Axt und Säge die Zerstörer auf dem Schifflein einfanden, da geschah das Wunder, daß ihre scharfen Beile ausglitten und kein Nagel, keine Spange von ihrem Platze wich, so heftig sich die Arbeiter auch anstrengen mochten. Das Schiff wollte noch nicht zerstört sein: vielleicht war noch etwas vom Eigentum des Kapitäns oder der Mannschaft zurückgeblieben. Ruthwer ging selbst nochmals an Bord, doch trotz seines eifrigen Suchens fand er lange nichts, bis er endlich tief im Raume auf eine kleine, wohlverwahrte Kammer stieß. Jetzt fielen ihm die Worte seines Vaters ein, vorsichtig öffnete er den Behälter und hob eine kleine, bleierne Kiste fast in Gestalt eines Kindersargs heraus, die er, ohne sie die Mannschaft sehen zu lassen, ins neue Schiff hinübertrug. Kaum war sie dort angelangt, als die Seiten des alten Schiffs wie von selbst zusammenfielen und die Arbeiter ein leichtes Werk hatten.
Ruthwer wußte jetzt gar wohl, daß ihm niemand widerstehen könne, daß er das Glück an seinem Bord gefesselt halte. Diese Überzeugung machte, daß er übermütig wurde, auf seine Macht trotzte, indem er die kecksten, gewagtesten Streiche unternahm. Immerdar ging er unbeschädigt aus großen Gefahren. Statt wie sein Vater sich mit mäßigem Gut zu begnügen, hatte bald unmäßige Goldgier ihn erfaßt. Er war nicht mehr zufrieden, der reichste und angesehenste Schiffsherr auf der Insel zu sein, es trieb ihn der Stolz, sich von der Verbindung mit den Städtern loszusagen und eigene Unternehmungen zu beginnen.
Diese Gesinnung des stolzen Ruthwer benutzten die Vitalier, ihn auf ihre Seite herüberzulocken. Er widerstand anfangs mit edlem Mute.
»Soll ich die Friedlichen, Schutzlosen berauben, ungerechte Schätze an mich bringen?« sagte er zu den Abgesandten, »solches fordert nicht von mir.«
Aber die Seeräuber ließen sich so leicht nicht abschrecken. Sie nahmen den tückischen, gleisnerischen Fife in ihren Sold, und dieser, der Ruthwers Vertrauen besaß, benutzte jeden Augenblick, ihn zum Bösen zu überreden. »Du bist reich und angesehen,« sagte er oft, »aber du könntest deine Macht noch viel höher treiben; anstatt von diesen übermütigen und eiteln Städtern Befehle anzunehmen, kannst du selbst ihnen Gesetze vorschreiben und deinen Namen zu der Zahl jener kühnen Beherrscher der Meere fügen, deren Taten noch jetzt das Schrecken und die Lust der späten Nachkommen sind. Trittst du in den Bund mit jenen stolzen Männern, so werden sie dich zu ihrem Häuptling aufnehmen, und du wirst bewunderswürdige Taten vollführen, unendliche Schätze sammeln.«
Solche Reden wurde Fife nicht müde zu wiederholen, bis endlich Ruthwer auf sie hörte. Die frommen Gefühle der Mäßigung und des Gehorsams für die väterlichen Ermahnungen wichen gänzlich aus seiner Seele, er trat in den Bund der Seeräuber, doch blieben die Unterhandlungen geheim, und die Städter hielten dabei Ruthwer noch für einen ihrer Wohlgesinnten. Er unterzeichnete einen Vertrag, nach welchem ihm ein reiches Kaufmannsschiff mit Waren beladen anvertraut wurde, um es nach dem Ort seiner Bestimmung zu führen. Wie das Schiff sich den gefährlichen Küsten näherte, ließ es Ruthwer nach der schon festgesetzten Übereinkunft mit den Räubern diesen in die Hände fallen. Sein Anteil an der Beute war groß, das Schiff selbst nahmen die Vitalier, damit Ruthwers schlimmer Verrat fürs erste noch unentdeckt bliebe. Allein, der Kaufherr, der sein ganzes Besitztum verloren, sein Vertrauen auf das böslichste getäuscht sah, fand Mittel und Wege, den Städtern das Vorgefallene zu melden. Jetzt ward über Ruthwers Haupt der Bann ausgesprochen, sein Leben und sein Gut für frei erklärt. Ruthwer spottete dessen. Fife schloß sich jetzt ihm immer enger an.
Ruthwers Name ward nach Verlauf einiger Jahre der Schrecken der Meere. Niemand wagte es, dem kühnen und glücklichen Räuber sich entgegenzustellen; er herrschte ungehindert. Weder Feuer noch Wasser konnten seinem Schiffe etwas anhaben. Der tückische Fife, der Ruthwer nur aus dem Grunde zum Bösen verleitet hatte, um sich selbst die Herrschaft anzumaßen, faßte jetzt, da er seinen Zweck nicht erreicht sah, den giftigsten Haß gegen den Genossen. Er sann Tag und Nacht darauf, wie er ihn verderben könne, und endlich fiel ihm hierzu ein Mittel ein.
Mit Ruthwers Reichtümern und seinem Ansehen schlich sich auch Mißtrauen und Argwohn in sein Gemüt. Weil er wußte, daß ihm das Leben gesichert war auf seinem Schiffe, verließ er es nur selten, obgleich er keine ruhige Stunde mehr darauf hatte, so unablässig verfolgte ihn die warnende Stimme Klabautermans seit seiner ersten schlimmen Tat. Schon mit den Ballen und Kisten, die von dem geplünderten Kaufmannsschiff an Bord gebracht wurden, ereignete sich das Seltsame, daß man am Morgen einen Teil zertrümmert, einen andern ins Meer geworfen fand. Klabauterman zeigte an, daß er kein unrechtes Gut auf seinem Gebiet litt, Ruthwer mußte seinen Raub ans Land in Sicherheit bringen. In der Nacht begann jetzt wieder das unruhige Gepoche, und jedesmal, wenn eine neue Raubfahrt unternommen wurde, schlug es an die Seiten des Schiffes mit einer solchen Gewalt, als wenn es sie zertrümmern wolle. Oft wenn Ruthwer mit Fife und andern wilden Gesellen in der Kajüte beim Branntwein saß, ging es mit schweren Schritten die Stiege hinauf und hinab und warf im untern Raum die großen Lastgewichte und Steine durcheinander. Die Matrosen, wenn sie nach fernen Wahrzeichen ausschauten, erhielten Sand und Wasser in die Augen gespritzt, auch den Steuermann neckte es auf mannigfaltige Weise. In stürmischen Nächten wirbelten an den Masten blaue und gelbe Flammen empor, die wie Flaggen im Winde wehten und andern Schiffen ein Entsetzen einflößten. Nicht selten stiegen dann aus dem Meere eine Menge großer schwarzer Spinnen herauf, die übers Deck liefen und sich an Tauwerk und Segel hingen, auch fanden die Matrosen in der Nacht oft fürchterliche mißgestaltete Tiere in ihren Hängematten neben sich liegen, die alsbald wieder ins Meer hinab verschwanden.
Trotz dieser bösen Zeichen geschah dem Schiffe und der Mannschaft dennoch kein Unglück; aber die alten frömmern Leute, die es früher mit Ruthwer gehalten, sagten sich allmählich aus seinem Dienste los, es drängten sich immer mehr wilde, freche Burschen hinzu, die Mut genug hatten, es mit dem Spuk auf dem Schiffe aufzunehmen. In der ganzen umliegenden Küstengegend ward jetzt Ruthwers Schiff der Schrecken aller. Wo es sich zeigte, flohen selbst die kühnsten Segler furchtsam in die Weite. Am Strande in der niedern Hütte erzählte der greise Fischer seinen Enkeln von dem wilden Jäger der Meere, von Ruthwer und seinen Scharen und von dem Zauberschiff, das in stürmischen Nächten mit flammenden Wimpeln seine verruchte Straße zieht. Die jungen Burschen legten dann die Hände in die zitternde Rechte des Alten und gelobten, Gott zu lieben und immerdar Recht zu tun.
Als er wieder eine große Unternehmung im Werke war und Ruthwer sich dazu rüstete, trat Fife zu ihm und sprach: »Mein Wunsch ist nun erreicht, Ruthwer, du bist jetzt der Schrecken deiner Nachbarn; der Ruhm deiner Genossen und der Beherrscher der Meere. Durch dich sind die geächteten Seeräuber zu Glanz und Ruhm gelangt; dennoch trübt den Schimmer deiner Größe ein geringfügiger Umstand, den du, wenn du nur willst, alsobald beseitigen kannst.«
»Sprich, worin besteht dieser Umstand?« fragte Ruthwer. »Auf deinem Schiffe«, erwiderte Fife, »geht es nicht immer zu, wie es sollte, die Leute murren und behaupten, du seiest ein böser Zauberer, und deine ganze Kraft bestehe in einem Talisman, der auf deinem Schiffe verborgen liege. Wenn dieser nicht wäre, meinen sie, wäre dein Mut und deine Geschicklichkeit nicht größer als die des kleinsten Kajütenjungen.« Ruthwer hörte diese Worte mit Zorn, er war berauscht, und im trunkenen Mute und Unwillen verriet er an den schlauen Fife das Geheimnis mit der bleiernen Kiste. Fife benutzte es sogleich und redete ihm zu, die Kiste ins Meer zu werfen. »Zeige diesen Elenden«, setzt er mit listigem Tone hinzu, »die dich für mutlos und ungeschickt halten, daß du an keinen Talismann gebunden bist, wirf die Kiste vor den Augen der ganzen Mannschaft ins Meer und reinige dich so von dem Verdacht schändlicher Zauberei.«
Ruthwer hörte diese Rede gleichgültig an, allein, im Innern erschrak er über ihren Sinn. Es war ihm, trotz seiner Wildheit, noch nicht eingefallen, den Geist geradezu beleidigen zu wollen, und jetzt sollte er sogar das Heiligtum desselben mit verbrecherischen Händen anfassen und in die Wellen schleudern? Er wies jedes Ansinnen der Art standhaft zurück, doch dem böswilligen Fife war es schon recht, das Geheimnis mit der Kiste ihm entlockt zu haben, er verdoppelte jetzt seine Anstrengungen, um ans Ziel zu gelangen, und Ruthwer entdeckte ihm nach und nach alle Umstände, die mit dem Geiste zusammenhingen.
In einer Nacht, als beide wieder bei der Flasche zusammensaßen, wuchs der Spuk auf dem Schiff zum allertollsten Tumulte an; das Deck und die Seiten hallten wider von donnernden Schlägen, rund ums Schiff zischte und brauste es in tausend fremden Stimmen durcheinander, und die flammenden Wimpel streckten sich immer länger wie feurige Zungen in die Nacht hinaus. Das Schiffsvolk murrte laut. Diesen Augenblick benutzt Fife, Ruthwer zuzureden, die Kiste ins Meer zu werfen. Dieser säumte auch nicht lange, in wilder Aufregung und im Wunsch, sich einmal von aller Plage befreit zu sehen, stürzte er in den untern Raum, wo die geheimnisvolle Kammer sich befand. Er schloß sie auf und faßte die Kiste unter den Arm. Wie er mit ihr die Treppe hinaufwankte, ertönte plötzlich eine zarte Stimme, die da rief: »Ruthwer, ich verlasse dich!« Kaum waren diese Worte verklungen, als Ruthwer leise umkehrte, die Kiste wieder an ihren Platz legte und die ganze Nacht über sich vor jedermann verschloß.
Von dieser Stunde an änderte Ruthwer sein wüstes Leben; er zog nicht mehr auf den Raub aus, er brachte kein unrechtes Gut mehr zusammen und entließ aus seinem Dienst die wildesten und ruchlosesten Burschen. So tief hatte Klabautermans Warnung in ein böses Herz geschnitten. Von der Zeit an wurden auch die Beunruhigungen auf dem Schiffe geringer, allein, sie hörten nicht ganz auf, die Warnungszeichen ließen sich noch immer hören. Ruthwer wollte sich nunmehr von aller Gemeinschaft mit den Räubern lossagen, allein, er hatte nicht mehr den Mut dazu, besonders gestattete er dem bösen Fife immer wieder Rechte auf sein Vertrauen, und dieser wußte dies trefflich zu nutzen.
Ein Jahr war vergangen, indes Ruthwer friedlich gelebt und keine der räuberischen Unternehmungen mitgemacht hatte. Fife stellte ihm vor, daß solches sein Ansehen bei der Genossenschaft zerstören müsse und daß sie ihn seiner Stelle entsetzen würden. Ruthwer dachte an die Lehren seines Vaters, sich an geringem Gut genügen zu lassen, allein, die Goldgier und der Ehrgeiz waren schon zu mächtig in ihm geworden, als daß sie sich hätten unterdrücken lassen können. Er fing bald wieder sein früheres Leben an, und von neuem ließ Klabauterman seine ernstlicheren Ermahnungen hören.
Dies verdroß Ruthwer, und in seinen finstern Stunden verwünschte er jetzt den Geist. Er dachte ernstlich daran, sich von ihm zu freien, der Gedanke schien ihm willkommen, sein Glück oder Unglück sich selbst zu verdanken, und Fife bestärkte ihn in dieser Gesinnung. So stieg er denn in der Stille nochmals hinab, und mit Fifes Hilfe, während die ganze übrige Mannschaft ruhte oder auf ihren Posten beschäftigt war, trug er die Lade herauf. Diesmal ließ sich keine warnende Stimme hören, in der Kiste schien es wie ausgestorben. Beide Männer traten schweigend an den Bord, die Nacht war ruhig, glänzend spiegelten sich die Sterne in der dunkeln Flut. Ruthwer wendete sich ab, und Fife stieß mit einem Fußtritt die Kiste ins Meer. Sowie die Wellen darüber zusammenflossen, ging ein Ton über die schweigenden Gewässer wie ein tiefer, lang ausgehaltener Schmerzensruf, aus menschlicher Brust ausgestoßen. Die Mannschaft lief eilend und erschreckt zusammen, jeder, auch der wildeste Genosse, fühlte unbewußt Rührung und Schmerz. Einer fragte den andern, welches Unglück geschehen, aber keiner wußte etwas darauf zu erwidern.
Die Matrosen waren nicht wenig verwundert, als jetzt das Toben und der Spuk auf dem Schiffe gänzlich ein Ende hatte. Sie teilten sich darüber ihre Freude mit; allein der Unterbootsmann, ein kluger und erfahrner Mann, schüttelte das Haupt. Er merkte bald, daß es mit dem Schiffe jetzt anders stehe: die Bretter wollten nicht mehr haften, das Segel riß, das Tauwerk wurde schadhaft, und trotz aller Sorge und Arbeit fanden sich doch immer wieder böse Stellen und Lücken im Raume. Die Matrosen, die sich an ein müßiges Leben gewöhnt hatten, murrten jetzt, da sie unaufhörlich beschäftigt sein mußten. In mehreren Jahren war nicht so viel gebessert worden als nun einer eine Woche. Dazu rannte, trotz der Sorgfalt des Steuermanns, das Schiff gleich in den ersten Tagen so heftig an eine verborgene Klippe, daß ein tüchtiger Leck ins Unterdeck gerissen wurde und kaum schnell genug das eindringende Wasser fortgeschafft werden konnte.
Doch dieses war nicht das schlimmste Mißgeschick; unter der Mannschaft brach Uneinigkeit und Trotz aus. Kaum merkte Fife, daß er jetzt ungestraft Ruthwer anfallen könne, als er mit einigen Verbündeten eines Tages ihn gefangen nehmen und in den untern Raum in ein elendes Gefängnis werfen ließ. Aber die Herrschaft, die er hierdurch auf dem Schiffe erreichte, nahm bald ein Ende: ein Teil der Matrosen, die Ruthwers Partei anhingen, vergalten ihm seine böse Tat und brachten ihn ums Leben, vergeblich suchten seine Genossen ihn zu rächen. Mord und Blutvergießen herrschte jetzt auf dem Schiffe, alle Ordnung war gelöst, jeder wollte befehlen und keiner gehorchen. In dieser Verwirrung brachen noch wütende Stürme los auf dem Meere, das Schiff verlor seine sichere Küstenstraße und ward in die offene See hinausgetrieben. Im Andrang der tobenden Wellen brachen die Masten, die Segel zerrissen, und als nach dieser fürchterlichen Nacht die Sonne aufging, trieb ein elendes Wrack auf der weiten Wasserwüste umher, ohne Rettung, ohne Hilfe, in wenig Stunden vielleicht auch von den Wellen verschlungen, die einzigen Überreste von dem stolzen Seeräuberschiffe, dem Schrecken der Meere.
Ein Teil der Mannschaft hatte sich in den Booten retten wollen, doch vor den Augen der andern waren diese umgeschlagen. Ruthwer saß mit wenigen Genossen allein auf den Trümmern seiner Herrschaft und seiner Schätze. Er stützte das Haupt in die Hand und sah mit einem Blicke der Verzweiflung der Sonne entgegen, die das Ende seiner Tage leuchten sollte. Seit Klabauterman das Schiff verlassen hatte, war der Unglückliche in tiefe Schwermut versenkt; kein froher Augenblick war ihm mehr erschienen, und er sehnte sich nach dem Tode, doch dieser zögerte zu erscheinen. Zwölf Tage trieb das Wrack auf den Wellen, die Lebensmittel waren aufgezehrt, der wütendste Hunger und alle Schrecken des unglücklichsten Schiffbruchs fielen die Armen an, da endlich zeigte sich in der Ferne ein Segel: neue Hoffnung, es kommt näher, schon werden die Boote ausgesetzt, doch in dem Augenblick, als zöge sie eine tückische Macht in die Tiefe, versinken die morschen Trümmer, und Ruthwer und seine Genossen sind in der Tiefe begraben. Keine menschliche Hand sollte die retten, die der zürnende Geist aufgegeben hatte.