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In einem holländischen Fischerdorfe, dicht am Meere, lebte ein alter Fischer, auf dessen Familie und Eigentum ein ganz besonderer Segen ruhte. Er genoß in seinem hohen Alter noch frischer, fast jugendlicher Kräfte, und seine Kinder und Kindeskinder, ein gutgeordnetes Völkchen, umgaben ihn zu Lust und Freude. Auch fehlte es nicht an reichlichem Gut, das Sparsamkeit und treffliches Haushalten stets vermehren halfen. Im Dorfe gab es manchen Tagedieb und schlechten Haushalter, der ihn um sein gutes Leben beneidete und Gerüchte in Umlauf setzte, auf welche Weise der alte Andreas seine Schätze erworben hatte. Da hieß es denn, er sei dem Teufel bündig geworden, daß dieser ihm die alten Schätze des Meeres bringe, oder Andreas sei in seiner Jugend Seeräuber gewesen und zehre nun vom Gut der armen Beraubten. Die Wahrheit von allem war jedoch, daß Andreas eine arme Seele aus dem Meeresgrunde befreit hatte, die dort unter einem darüber gestülpten Topfe gefangen saß. Die Sache verhielt sich, genau genommen, folgendermaßen.
Der alte Fischer pflegte, obgleich er im ganzen ein strenges Geheimnis daraus machte, dennoch im vertrauten Kreise seiner Kinder und Enkel einzelne Winke hinzuwerfen, aus denen die andern leicht eine vollständige Erzählung zusammensetzten. Wir lassen Andreas selbst sprechen:
»Ich bin nicht immer so glücklich gewesen, daß ich Gut und Eigentum um mich sah und liebende Herzen zählte, die mir meine Tage versüßten. Es ist jedem von uns gegeben, daß er einmal in der weiten Welt ganz allein steht und sich recht bis in die innerste Seele hinein verlassen fühlt. Der Himmel gibt uns solche bittere Einsamkeit zu kosten, damit wir uns dann desto freudiger an eine liebe Menschenbrust anschließen und Gott im Menschen lieben lernen. Meine Jugend war voller Widerwärtigkeit und Drangsal gewesen. So sehr ich auch arbeitete und mich abmühte, der Lohn wollte nicht kommen. Schon fing sich mein Rücken an zu krümmen und meine Haare sich grau zu färben, und noch sah ich kein Glück vor mir. Es war, als sollte nur ich allein von allen ausgeschlossen bleiben. Dennoch murrte ich nicht. Ich hatte frühe gelernt Gott lieben und auf ihn vertrauen. Eines Abends ging ich, wie ich oft zu tun pflegte, hinaus aus der Hütte, weit über die Grenze des Dorfes, bis dahin, wo das Gestade sich fernhin ausdehnt und das Auge nichts sieht als die einsamen Dünen und das weite Meer. Dieses war mir die liebste Stelle, weil ich dort keine andern Laute als die der Wellen vernahm und keinem fröhlichen Menschenantlitz begegnete, das mir hätte sagen können, wie elend und verlassen ich sei. Wirklich fand ich auch niemand, der mich hätte stören können. Das Meer war bis weit hinaus ruhig und glatt, ich hatte es in Wahrheit noch nie so stille gesehen: kein Segel und kein Boot, so weit ich auch spähen mochte, der Himmel darüber völlig wolkenlos, die Sonne, die im Sinken war, warf einen gelbroten Schein auf die Dünen vor mir. Ich ging bis an die Stelle, wo ein altes Wrack lag, ich stützte mich gegen einen der morschen Pfosten und sah vor mich hinaus. Hier in der Stille überkam mich nun der Schmerz in seiner ganzen Gewalt. Wie sehr ich mich auch dagegen sträubte, meine Gedanken nahmen ihren alten, gewohnten Weg. Andreas! rief ich bei mir selbst, heute ist der Tag deines Schutzpatrons. Wie wenig hat er getan, um dich reich und glücklich zu machen! Vor einem Jahre hast du dein Weib begraben und wenige Wochen darauf auch dein Kind. Womit hast du so viel Elend verdient? Wäre es anders gekommen, so gingst du nicht hier einsam umher, sondern säßest im Dorfe bei den Lustigen, die sorglos dahinleben und ihre besten Tage vor sich haben.
Bei diesen Gedanken faßte mich die Wehmut so heftig, daß ich hätte weinen mögen, aber eine Gewalt in meiner Brust hielt die Tränen zurück. Ich konnte nichts als immer wieder auf das Meer schauen, dessen tiefe Ruhe und Freundlichkeit mir seltsam durch die Seele schnitt. Die Sonne ging langsam unter, und ein farbloses Grau begann sich über die weite Fläche zu breiten, nachdem noch lange einzelne lichte Scheine hin und her gezittert hatten, gleichsam als wollten sie den eintretenden Geistern der Nacht das Feld streitig machen. Der Himmel behielt seine helle, durchsichtige Farbe, bis auch er sich immer mehr mit tiefen Schatten füllte. Ein leiser Wind erhob sich und warf mit Getön kleine Wellen an die Wände des Wracks. Ich stand auf in der Absicht, meinen Rückweg anzutreten, da fiel mein Blick auf eine Erscheinung, die ich mir nicht gleich zu erklären vermochte. Es zeigte sich nämlich an dem alten Holzwerk ein lichtes Flämmchen, das mit großer Geschwindigkeit auf und nieder fuhr und mit seinem bläulichen Schimmer leuchtete. Ich kann sagen, daß ich während vieler Gefahren meines Lebens nie das Gefühl gekannt, das man Furcht nennt. Trotz meiner Einsamkeit und der schon eingetretenen Nacht empfand ich daher auch jetzt nicht die mindeste Bangigkeit. Aufmerksam sah ich dem Spiel des seltsamen Flämmchens zu und bemerkte, wie es sich von Zeit zu Zeit von dem Wrack losriß, eine ziemliche Strecke in die See hineinfuhr, dort mit hellerem Licht leuchtete und dann wieder zurückkehrte. Ich hatte wohl sprechen gehört, daß durch dergleichen Erscheinungen versunkene Schätze im Meere angezeigt würden, allein, ich empfand keine Lust, weiter darauf zu achten, drehte meinen Rücken und wanderte weiter. In dem Augenblick rief eine Stimme meinen Namen, sogleich wandte ich mich um und sah jetzt hinter dem Wrack, noch halb versteckt, einen Mann stehen, der aus einem ältlichen, bleichen Gesicht mich ansah. Ich kannte ihn nicht, und seine Kleidung war mir völlig fremd. Er stand lange Zeit da, ohne zu sprechen, und sein bittendes Auge, mit dem er mich unverwandt anblickte, werde ich nie vergessen. Endlich rief ich mit lauter und beherzter Stimme: ›Was wollt Ihr, Herr? Warum habt Ihr mich gerufen?‹
›Andreas!‹ tönte die Erwiderung, ›du hast soeben geklagt, daß das Glück dir Schätze versagt habe, ich will dir welche verschaffen, sobald du tust, was ich von dir begehre.‹
Diese Rede verdroß mich und ich antwortete schnell:
›Herr, was kümmert Euch mein Leid? Habe ich mir Schätze gewünscht, so habe ich sie nicht von Euch verlangt.‹
Der Blasse merkte meinen Unmut und daß ich dabei ein Kreuz über meine Brust schlug. Er rief mit einer Stimme, die sehr rührend und eindringlich klang:
›Ich bin kein böser Geist, Andreas, vertraue mir! Nimm diesen Ring und um die dritte Mitternacht steige getrost eine Büchsenschußweite ins Meer hinab; dort wirst du auf dem Boden drei umgestülpte Töpfe finden, den mittelsten derselben hebe auf und befreie die Seele eines Ertrunkenen, die daruntersteckt. Eile dann schnell wieder hinauf, ohne dich unten aufzuhalten und ohne dich im geringsten um das zu kümmern, was du sehen oder hören wirst. Hast du das vollbracht, so sei versichert, daß ich dich reichlich belohnen werde und es dir und den Deinigen nie an Segen fehlen wird.‹
Ohne meine Antwort abzuwarten, war er mit diesen Worten verschwunden, indem er ein Ding, gleich einem vor Alter trüb gewordenen Fingerreif vor mir zurückließ. Ich hütete mich wohl, es anzurühren. Ach! rief ich, was gehen mich die Seelen an, die dumm genug waren, sich auf dem Meeresgrunde unter einem elenden Topfe fangen zu lassen? Mögen sie immerhin bleiben, wo sie sind. Dieses bedenkend, ging ich ruhig nach Hause, und als die bezeichnete dritte Nacht kam, rührte ich mich nicht aus meiner Kammer.
Das Jahr, das jetzt folgte, brachte mich noch tiefer herunter, ich verlor eine kleine Summe, die ich mir mühsam erspart hatte, auf dem Schiffe, wo ich in Dienst stand, brach eine Krankheit aus, und ich mußte neun Monate im Krankenhaus zubringen. Als man mich entließ, kam ich am Bettelstabe hierher, um mein Grab zu suchen, denn ich war müde zu leben. Ich weiß nicht, wie es kam, denn ich suchte nichts dort, daß ich mich in einer Nacht wieder an dem einsamen Strande befand. Es war wiederum der Andreastag, aber das Meer war dieses Mal nicht ruhig, es rauschte und lärmte wild, und die Schaumwellen trieben ihr Spiel mit dem alten Wrack, so daß es aussah, als wolle es wieder in See stechen. Ich hatte nicht lange hier gestanden, als sich die wohlbekannte Stimme hören ließ und das alte Männchen vor mir stand. Ich sah ihm jetzt wie einem alten Bekannten dreister ins Antlitz. Er wiederholte denselben Antrag wie früher, nur zeigte er sich um vieles dringender und ließ dann beim Verschwinden denselben Reif wie früher zurück. Diesmal nahm ich ihn und steckte ihn an den Finger, zudem faßte ich den Entschluß, dem Geiste den Willen zu tun. Bei den Menschen, rief ich bei mir selbst, ist keine Hilfe und kein Beistand für dich zu finden, laß sehen, was die Geister vermögen.
Um es kurz zu machen, ich kam in der dritten Mitternacht und stieg ins Wasser hinab. Noch jetzt weiß ich nicht, wie es zuging, aber je tiefer ich ins Wasser tauchte, desto mehr hörte es auf Wasser zu sein, und zuletzt befand ich mich auf einer hübschen, grünen Wiese, die ich nie schöner und üppiger auf der Erde gesehen. Auf der Wiese waren viele junge Burschen versammelt, von denen einige mit blitzenden Sensen das Gras abmähten, andere es in Bündel zusammenbanden. Sie sangen dabei eine fröhliche Weise, in der viel von dem Lobe einer schönen Frau vorkam sowie von dem Lohne, den sie ihnen nach der Arbeit reichen werde. Nach der Weisung des Geistes hielt ich mich nicht lange bei ihnen auf, doch konnte ich mir nicht versagen, manchem ins Gesicht zu spähen, und da war es mir, als sähe ich meine Freunde und Bekannten, die schon vor langen Jahren im Meere ertrunken waren. Auf der Wiese stand ein Haus, und wie ich darauf zuging, trat eine wunderschöne Frau auf mich zu, breitete die Arme aus und rief mit einer süßen, schmeichelnden Stimme:
›Ach, so kommst du endlich, mich heimzuführen! Wie lange schon habe ich auf dich gehofft!‹
Bei dieser Rede und bei dem Anblick der schönen Gestalt hätte ich beinahe die Mahnung des Geistes vergessen; doch besann ich mich noch schnell, schoß unter den erhobenen Armen der Schönen durch und auf einen Platz los, wo ich die drei Töpfe aufgestellt sah. Im Nu hatte ich den mittelsten umgeworfen. Ich weiß nicht, wie mir geschah, im Augenblicke sah ich alle jungen Burschen von der Wiese auf mich zustürzen, die schöne Frau erhob ein helles Klagegeschrei, ich hörte es dicht vor meinen Ohren auf betäubende Weise rauschen und klingen und hatte das Gefühl, als wenn mich jemand schnell aufwärts zöge. Wie ich meine Sinne wieder sammelte, befand ich mich am Ufer, am alten Wrack lehnend, todmüde und wie an allen Gliedern zerschlagen.
Das Gute an der Sache war, daß der kleine Blasse Wort hielt rücksichtlich der versprochenen Belohnung. Ich fand an meiner Seite eine lederne Tasche, wie sie vor hundert Jahren die reisenden Kaufleute zu tragen pflegten, angefüllt mit Gold und kostbaren Steinen. Noch mehr aber als dieser Schatz war der Segen wert, der von Stunde an sichtlich auf allem ruhte, was ich tat und unternahm. Mein Leben war wie umgewandelt: hatte es früher die rauhe Seite herausgekehrt, so zeigte es jetzt nur die glatte, samtweiche. Ich machte noch einige Fahrten, heiratete dann mein liebes Weib, setzte mich zur Ruhe hier im Dorfe und nahm die guten Tage hin, die mir der Himmel gab. Gott sei Dank! Sie haben noch nicht aufgehört, obgleich ich nahe an die Hundert zähle, fühle ich mich doch frisch und wacker, und wenn irgendwo lustige junge Burschen zusammensitzen, bin ich gerne unter ihnen, wohl bedenkend, wie es einst eine Zeit gab, da ich jedes heitere Gesicht scheute, das mich an mein Elend und meine Verlassenheit erinnerte. Das ist das Werk des guten Geistes.«
In dem Dorfe, wo sich die vergnügliche Begebenheit mit dem alten Andreas zugetragen hatte, lebte ein Fischer, der der trägste, liederlichste und ausgelassenste Bursche war, den man weit und breit finden konnte. Sein Gesicht glich einer alten, aufgekochten und geplatzten Pflaume, die Augen waren die einer Wasserratte, die kleine Nase steckte in diesem ungeschlachten Antlitz wie ein Mandelkern im Pfefferkuchen, sein aufgerissenes Maul umgab ein Bart, der wie die Stacheln eines Igels aussah, und seine Beine waren nicht viel dicker wie Peitschenstiele und nicht viel gerader wie eine Sichel. Die Leute, die zu Peter Knöck kamen, um mit ihm Geschäfte zu machen, mußten von seinem Weibe Martha hören, er sei unwohl und könne nicht erscheinen. Die Wahrheit aber war, daß Peter Knöck vom frühen Morgen bis zum späten Abend betrunken in der Hütte hinterm Ofen lag und den Kirchturm von Gent für eine Branntweinflasche ansah. In diesem Zustande führte denn Martha das Regiment des Hauses, und man mußte ihr den Ruhm lassen, daß ihr Szepter von einer durchgreifenden Sprödigkeit war. Sie pflegte oft zu sagen, ihr Mann sei ein altes, schwerfälliges Paketboot, das wegen zu starker Ladung nicht recht fortkönne, sie aber sei eine leichtfüßige Fregatte, der der Wind nur die schmächtigen Flanken zu rühren brauche, um sie zum pfeilschnellen Laufe anzutreiben. Die Wahrheit dieses Gleichnisses bestand darin, daß Martha am Tage den Fischfang und die Geschäfte besorgte und am Abend, wenn sie nach Hause kam, ihrem Manne das Leben sauer machte. Gewissenhafte Leute wollen behaupten, daß sie ihn gelegentlich tüchtig zerschlug.
Diese kleinen Zerwürfnisse verbitterten Peters Privatleben. Es wollte keine rechte gemütliche Freude mehr zustandekommen. Saß er in Cornelis Delfts freundlicher Trinkstube, so war es ihm nicht recht, daß die Fenster aufs Meer gingen. Das Meer war ihm verhaßt, weil er wußte, daß Frau Martha darauf herumruderte und Fische fing. Er hätte gewünscht, sie läge tief auf dem Boden des Meeres, und er und die Fische hätten Ruhe vor ihr. Aber Frau Martha war nicht der Meinung, sie erfreute sich des besten Wohlseins und blühte in ihren reifen Tagen gleichsam noch einmal auf, je mehr Peter Knöck zusehends einschrumpfte. Wahrlich, wenn Frau Martha nicht bald dazu tat, so hatte Peter nicht übel Lust, ihre Stelle auf dem Meeresgrunde einzunehmen, so herzlich überdrüssig war er des Treibens.
Dessenungeachtet hielten es beide doch noch ein Jahr miteinander aus. Da geschah es, daß Frau Martha eines Abends, als die Fischerboote einliefen, nicht mit nach Hause kam. Sie hatte ein wichtiges Hindernis, nicht zu kommen, denn sie lag nun in der Tat da, wo Peter sie oft hingewünscht hatte. Peter erschrak anfangs über diese rasche Gefälligkeit des Schicksals, dann aber rieb er sich vor Freude die Hände, schlich in Cornelis Delfts Trinkstube, ließ sich seine Flasche geben, zündete den kleinen Pfeifenstummel an, strich den borstigen Bart über die Lippen, drückte beide Augen schmunzelnd zu und schielte aufs Meer hinüber, zum ersten Male mit dem freundlichsten Blicke von der Welt. Denn das Meer war jetzt sein bester Freund, er bedachte, daß Frau Martha auf seinem Grunde liege und er und die Fische Ruhe vor ihr haben.
Peter lief noch abends an den einsamen Strand, und der Himmel weiß, was ihm in den Sinn kam, er setzte sich auf das alte Wrack, schwenkte seinen Hut in die Lüfte, und den Pfeifenstummel im Munde, brummte er in wahnsinniger Lustigkeit ein altes Schifferlied, das er einmal in bessern Tagen gelernt hatte. Die kleine schwarze Koboldgestalt mit den dürren, in der Luft umherfahrenden Händen und der rauchenden Pfeife im bärtige Maule zeichnete sich wie ein Schattenriß schwarz gegen den Abendhimmel und das ruhige Meer ab. Aber Peter Knöck blieb nicht lange allein der Schauspieler auf dieser einsamen Bühne. Alsbald zeigte sich ein blaues Flämmchen, das hin und her zuckte und um Peters Beine fuhr. Diesem kam jetzt die Geschichte des Andreas in den Sinn. In der Freude seines Herzens und bei der Stimmung, in die ihn die Flasche in der Trinkstube versetzt hatte, fühlte er nicht die mindeste Furcht.
»Aha, Gevattersmann!« rief er laut, »bist du wieder da? Gibt's noch ein Seelchen zu befreien?«
Der Geist, der jetzt vor ihm stand, nickte bejahend mit dem Haupte.
»Nun, wenn sich etwas dabei gewinnen läßt, so hast du hier deinen Mann gefunden. Ich bin ein freier Bursche geworden und gerade bei Laune, deine Taschen um ein paar Goldsäcke leichter zu machen. Geschwind, zeigte mir, wie du dem Andreas gezeigt hast, wo der Weg hinuntergeht in dein Kämmerlein.«
Der Geist verzog bei dieser Rede, die ihm sehr wenig behagen mochte, merklich sein Antlitz. Ohne etwas zu erwidern, legte er den Reif auf einen der Pfosten vor Petern und verschwand. Peter bedachte sich nicht lange, schob ihn geschwind an den Finger, und sowie sein Fuß das Wasser betreten hatte, schwand es vor ihm hin, und er gelangte, ohne weit zu suchen, auf die Wiese im Meeresgrunde.
Hier sah er, wie Andreas erzählt hatte, die Jünglinge mit dem Heumachen beschäftigt und dazu ein Lied singend, das die Reize ihrer Gebieterin und den Lohn, den sie zu erteilen pflegte, rühmte.
»Ei«, rief Peter bei sich, »möchte ich sie nur auch zu sehen bekommen! Ist sie wirklich so schön, wie ihr sagt, so will ich mich anders benehmen wie der blöde Andreas.«
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als er das Haus auf der Wiese vor sich sah und daraus hervortretend eine Gestalt, dick wie eine Biertonne und auf kurzen, breiten Füßen daherwatschelnd. Ihr Gesicht glich dem aufgehenden Monde, wenn er dicht am Horizonte durch die Nebel in feuriger Gestalt erscheint, und ein Maul zog sich darinnen in die Breite, bewaffnet mit ungeheuren Robbenzähnen, blitzend und weiß wie das schönste Elfenbein. Mit diesem Munde und den kleinen, feurigen Augen winkte sie dem Ankömmling einen freundlichen Gruß zu. Peter erschrak heftig und hatte nur den Mut, mit leiser Stimme nach den drei Töpfen zu fragen.
»Was?« schrie die Frau, »kommst du nicht, um mich zu heiraten?«
»Für jetzt noch nicht, Liebchen!« stotterte Peter und drückte sich scheu zur Seite. In dem Augenblicke ward er der drei umgestülpten Töpfe gewahr. Mit ein paar Sätzen sprang er auf sie zu, aber nun fiel ihm mit Schrecken ein, daß er vergessen habe, den Geist zu fragen, welchen der Töpfe er aufheben solle. Angstschweiß trat auf seine Stirne, seine Glieder bebten, er sah die dicke Frau zornig auf sich zu watscheln, und auf ihren Ruf versammelten sich alle Burschen von der Wiese, indem sie ihre Sicheln und Sensen schwangen. Ohne viel zu überlegen, hob er den mittelsten Topf. Da quiekte es drunten wie ein Gemisch von Froschstimmen und Hahnengeschrei, und es klang genau so, als wenn Frau Martha zankte. Schnell wollte Peter den Topf wieder aufstülpen, aber in der Eile und Betäubung entglitt er seinen Händen. Das Toben und Schreien um ihn her raubte ihm die Besinnung, und als er wieder zu sich selbst kam, lag er halbtot auf dem Sande am Ufer.
Ein böses Abenteuer, der ehrliche Peter Knöck war wohl nicht dazu gemacht, mit Geistern in Verkehr zu treten. Aber das Ärgerlichste an der ganzen Sache sollte noch nachfolgen. Kaum hatte er seine zertrümmerten Gliedmaßen zusammengerafft und war in das Dorf gehinkt, auf den Geist und seine umgestülpten Töpfe fluchend, als er in seinem Häuschen schon von weitem Licht flimmern sah. »Wer schafft denn dort?« fragte er sich selbst und näherschleichend, legte er sein Ohr an die Türe. »Wer spricht denn drinnen? Wahrhaftig, wenn Frau Martha nicht mausetot auf der Bank an der Wand läge, so könnten diese Schaltworte aus keiner andern als aus ihrer Kehle kommen! Ei, laß doch sehen!« Damit öffnete er leise, leise die Tür, kaum so viel, daß ein Lichtstrahl auf seine Nase fallen kann. Aber ach! was sieht er? Die Bank an der Wand ist leer, und mitten im Zimmer sitzt Frau Martha und zählt ihre Fische in den Kübel, frisch und gesund, als hätte sie nie Seewasser getrunken, und dabei auf den nichtswürdigen Tagedieb, ihren Mann, schimpfend, der sich noch immer nicht sehen lassen.
Als jetzt die Tür aufging und Peter hereintrat, empfing sie ihn auf die gewohnte Weise, und alles war völlig im alten Gleise. Frau Marthas Wiederbelebung wurde im Dorfe alsbald bekannt, und so sehr Peter sich die Mühe gab, den eigentlichen Hergang der Sache zu verdecken, so hatten es die feinen Köpfe und Späher im Dorfe doch bald heraus.
»Es ist ihm recht geschehen«, riefen viele, »wer hieß ihn aus frechem Übermute und Geldgier ein so gefährliches Abenteuer aufsuchen?« Andere lachten ihn von Herzen aus, indem sie ihn das Muster eines zärtlichen Gatten nannten, der selbst auf den Meeresboden hinabgestiegen, um sein liebes Weib wiederzubringen. Peter schüttelte den Kopf und meinte, sein ganzes Unglück habe in einem Fehlgriff bestanden: hätte er den Topf zur Rechten oder zur Linken aufgehoben, so besäße er unfehlbar jetzt die Freundschaft des Geistes und könnte über Tonnen Goldes gebieten. Dennoch hatte er nie den Mut, einen zweiten Versuch anzustellen.
Die Sage aber, daß die Seelen der im Meer Ertrunkenen auf dem Boden desselben von bösen Geistern unter drübergestülpten Töpfen gefangen gehalten werden, ist eine Wahrheit, die kein rechtgläubiger Schiffer bezweifelt.