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Von seinem zwanzigsten Lebensjahr an war Franz Polzer Beamter einer Bank. Täglich um dreiviertel acht Uhr morgens ging er in sein Bureau, niemals um eine Minute früher oder später. Wenn er aus der Seitengasse, in der er wohnte, hinaustrat, schlug die Uhr vom Turm dreimal.
Franz Polzer hatte in der ganzen Zeit, in der er Beamter war, weder jemals seine Stellung noch die Wohnung gewechselt. Er bezog sie, als er sein Studium aufgab und in seinen Beruf eintrat. Seine Wohnungsgeberin war Witwe, etwa so alt wie er. Als er zu ihr einzog, war sie im Trauerjahr nach ihrem Gatten.
In all den vielen Jahren seiner Beamtenzeit war Franz Polzer niemals am Vormittag auf der Straße, außer am Sonntag. Er kannte den Vormittag der Werktage nicht mehr, wo die Geschäfte geöffnet sind und einige Menschen auf den Straßen einander drängen. Er hatte nie einen Tag in der Bank gefehlt.
Die Straßen, durch die er morgens ging, boten täglich das gleiche Bild. An den Geschäften wurden die Rolläden hochgezogen. Vor den Türen standen die Kommis und warteten auf ihre Chefs. Täglich traf er die gleichen Menschen, Schulmädchen und Schuljungen, verblühte Kontoristinnen, schlechtgelaunte Männer, die in ihre Bureaus eilten. Er schritt unter ihnen, den Menschen seiner Tageszeit, eilig, achtlos und ungeachtet als einer der ihren.
Man hatte Franz Polzer vorausgesagt, daß er es bei seinen Anlagen durch Fleiß und Ausdauer zu einer leitenden Stellung in seinem Beruf bringen könne. Er hatte die ganze Zeit nicht darüber nachgedacht, daß im Grunde die Hoffnungen, die er an seine Laufbahn knüpfte, sich nicht erfüllten. Er hatte diesen Gedanken vergessen. Er vergaß ihn in all den kleinen Tätigkeiten, in die seine Zeit von Anbeginn zerlegt war. Er stand morgens auf, wusch sich, kleidete sich an, warf noch während des Frühstücks einen Blick in die Zeitung und begab sich in die Bank. Er setzte sich an seinen Tisch, auf dem Stöße von Papieren gehäuft waren, die er mit Eintragungen in den Büchern auf den Regalen ringsum zu vergleichen hatte. Jeden Bogen, den er durchgesehen hatte, bezeichnete er mit den Anfangsbuchstaben seines Namens und legte ihn in eine Mappe. Ringsum im Zimmer und in den Räumen saßen wie er an Tischen, die genauso aussahen wie seiner, viele andere Männer und Frauen. Der Geruch dieser Männer und Frauen, das Geräusch ihrer eintönigen Tätigkeit und Gespräche durchzog das ganze Haus. Franz Polzer war seiner Tätigkeit vollauf gewachsen. Sie bot keinen Anlaß zur Auszeichnung und also auch keine Gelegenheit, die Aufmerksamkeit der Höheren auf sich zu lenken.
In einem kleinen Gasthof in der Nähe der Bank aß er zu Mittag. Der Nachmittag verging gleich dem Vormittag. Nach sechs Uhr abends ordnete er Schriftstücke und Bleistifte auf seinem Tisch, versperrte seine Lade und ging nach Hause. Die Witwe brachte ihm ein einfaches Abendbrot auf sein kleines Zimmer. Er legte Schuhe, Rock und Hemdkragen ab. Nach dem Abendessen las er eine Stunde lang gründlich die Zeitung. Dann legte er sich zu Bett. Er schlief unruhig. Doch träumte er selten. Wenn er träumte, träumte er, er hätte sein Namenszeichen, das er täglich viele hundert Mal machen mußte, vergessen, seine Hand sei gelähmt, oder sein Bleistift schreibe nicht.
Am Morgen stand Polzer auf wie an allen Morgen zuvor und begann seinen Tag, der dahinging wie alle anderen Tage. Er war mürrisch und verdrossen, allein nie wurde ihm bewußt, daß es auch etwas anderes geben könne, als täglich auf seinem Platz in der Bank zu sitzen, daß man später aufstehen könne, in den Straßen spazierengehen, zwei Eier im Glas zum Frühstück in einem Café essen und mittags in einem guten Restaurant speisen.
Von Unterbrechungen dieses Einerleis hatte sich Polzer besonders eine eingeprägt. Das war der Tod seines Vaters.
Zu seinem Vater war Franz Polzer niemals in einem innigen Verhältnis gestanden. Dazu trug wohl bei, daß seine Mutter kurz nach seiner Geburt gestorben war. Vielleicht hätte sie es vermocht, die Gegensätze zu mildern. Sein Vater war ein kleiner Kaufmann in einem Landstädtchen. Polzers Kinderstube stieß an des Vaters Laden an. Der Vater war ein harter, arbeitsamer und unzugänglicher Mensch. Von frühester Jugend an mußte Franz Polzer im Laden des Vaters aushelfen, so daß ihm kaum Zeit blieb, seine Aufgaben zu machen. Trotzdem verlangte der Vater, daß der Sohn gute Zeugnisse heimbringe. Als Polzer einmal eine schlechte Zensur hatte, entzog der Vater ihm auf vier Wochen das Abendessen. Damals war Polzer siebzehn Jahre alt.
Im Hause lebte eine Schwester des Vaters, eine kinderlose Witwe, die nach dem Tode von Polzers Mutter zur Führung des Haushaltes zum Vater gezogen war. Polzer hatte die unklare Vorstellung, daß die Schwester des Vaters seine tote Mutter aus dem Hause gedrängt habe, und trat ihr vom ersten Augenblick an mit unverstellter Abneigung entgegen. Auch die Tante machte aus ihren Gefühlen gegen ihn kein Hehl. Sie nannte ihn einen schlechten Burschen, der es zu nichts in der Welt bringen würde, schalt ihn gefräßig und arbeitsscheu. Sie gab ihm so wenig zu essen, daß er gezwungen war, sich einen Nachschlüssel zu ihrem Kasten anzufertigen und nachts heimlich im Hause des Vaters zu stehlen.
Dazu kam ein Umstand, von dem nur mit allen Vorbehalten gesprochen werden kann. Polzer war damals vierzehnjährig und hatte die leicht erregbare Phantasie der Knaben, die zudem der Haß befruchtete. Von den Beziehungen zwischen Mann und Frau hatte er keine andere Vorstellung als von etwas Grauenhaftem und an und für sich Ekelerregendem. Die Vorstellung eines nackten Frauenkörpers erfüllte ihn mit Abscheu. Er war einmal in das Zimmer seiner Tante getreten, als sie sich wusch. Das Bild ihres verblühten Oberkörpers, ihres müde herabhängenden Fleisches prägte sich ihm ein und wich nicht mehr aus seinem Gedächtnis. Einst stand er nachts im dunklen Flur hinter dem Laden vor dem offenen Brotschrank, als die Tür zum Zimmer der Tante geöffnet wurde. Er drückte sich an die Wand. Aus dem hellen Rahmen der Tür trat im Nachtgewand sein Vater. Hinter ihm erschien für einen Augenblick wie ein Schatten das Bild von des Vaters Schwester. Die Tante verriegelte von innen die Tür.
Der Vater schritt knapp an ihm vorbei. Sein Hemd war offen, und Polzer glaubte trotz des Dunkels die behaarte Brust sehen zu können. Für einen Augenblick streifte ihn der Geruch frischer Semmeln, der dem Vater wohl aus dem Laden immer anhaftete. Polzer hielt den Atem an und stand noch unbeweglich, als sich die Tür seines Zimmers schon lange hinter dem Vater geschlossen hatte.
Dieses Erlebnis erweckte in Franz Polzer Eindrücke, die von den nachhaltigsten Folgen auf sein späteres Leben sein sollten. Obwohl er nur den Schatten der Tante gesehen hatte, bildete er sich fest ein, daß seine Tante in diesem Augenblick nackt gewesen sei. Von nun an verfolgten ihn Vorstellungen von wüsten Szenen, die sich nachts zwischen dem Vater und des Vaters Schwester abspielen mußten. Polzer hatte keinen Anhaltspunkt als dieses eine nächtliche Erlebnis. Und auch später ereignete sich nichts, das klar seine Meinung bestätigt hätte.
Polzer verbrachte nun seine Nächte bis gegen den Morgen schlaflos. Er horchte. Er glaubte Türen knarren zu hören und vorsichtig tastende Schritte auf den morschen Dielen des alten Hauses. Er fuhr aus leichtem Schlummer, und ihm war, als hätte er einen unterdrückten Schrei gehört. Er war von bitterem Ekel erfüllt. Dabei trieb ihn Neugierde, nachts sich vor die Tür der Tante zu schleichen. Nie konnte er etwas anderes als ihren Atem hören.
Der Vater schlug Franz Polzer oft, und die Tante hielt ihn fest. Wenn Polzer nachts von ihm geträumt hatte, im Traume grenzenlos über seinen Anblick erschrocken, über sein schmutziges Kleid, sein rotes, stumpfes Traumgesicht, hinter dem die Tante stand, daß er ihn quäle und schlage, wollte er am Tage, wenn er ihm begegnen mußte, wieder von ihm geschlagen sein. Ihm war so, als müßte er alles wahr machen, auch seinen Haß gegen den Vater, dadurch, daß dieser wirklich mit seinen schweren Fäusten ihn in den Rücken schlage. Dabei fühlte er, daß er erwachsen sei, daran dachte er, aber schwächer, eben nur viel schwächer als jener.
Bei Leuten, die im ersten Stockwerk des Hauses wohnten, diente eine Magd, die Milka hieß. Sie trug eine lose Bluse und kam oft in den Laden. Einmal sah Polzer, wie der Vater Milka an die Brust griff. An diesem Abend ließ Polzer einen Teller zu Boden fallen. Der Vater schlug ihn, und die Tante krallte die Finger in sein mageres Fleisch. Er weinte nicht, und darum schlug ihn der Vater wilder, und Franz Polzer wollte es so.
Wenn er konnte, entlief er aus dem Laden und trieb sich in den Gassen des Städtchens umher, bloß um nicht zu Hause sein zu müssen. Oft auch verbrachte er den ganzen Tag im Hause eines reichen Mannes mit Namen Fanta, dessen Sohn mit ihm das Gymnasium besuchte. Mit Karl Fanta verband ihn innige Freundschaft. Polzer hatte das Haus der Fantas zuerst mit Widerwillen betreten. Er wußte, daß die Juden den Heiland ermordet hätten und daß sie in dunklen und grausamen Gebräuchen ihrem Gott dienten. Er dachte nicht anders, als daß es nicht bloß eine schwere Sünde für einen römischen Katholiken als auch eine große Gefahr sei, im Hause eines Juden ein- und auszugehen. Milka hatte früher bei Juden gedient. Sie hatte es der Tante im Laden erzählt. Vor dem Osterfest war sie entlaufen. Denn sie hatte sich gefürchtet. Seine Scheu überwand Polzer erst nach und nach durch seine Liebe zu Karl Fanta. Karl Fanta sah, daß Polzer sich unglücklich fühle, und oft umarmten und küßten einander die beiden Knaben unter Tränen.
Polzer wagte es nicht, Karl Fanta sein Herz auszuschütten. Er wuchs auf in dem kleinen engen Haus, in dem unsauberen Laden, in dem er in seinen freien Stunden zwischen Mehl- und Pfeffersäcken, Gurkenfässern und Kanditenbüchsen kleine Leute nach ihren Wünschen fragen oder die Diele kehren mußte. Er schämte sich dieses Ladens. Er schämte sich seines Vaters, dessen Rock immer mehlbestaubt war, der ehrerbietig auswich, wenn ein reicher Bürger an ihm vorbeikam, seiner Tante, die ohne Hut ging und deren schwarzes Haar an den Schläfen leicht ergraut und vom Wind zerrauft war. Sie band auch kein Tuch um den Kopf, immer sah man die weiße Linie ihres Scheitels zwischen den schwarzen Haaren links und rechts. Seines Freundes Mutter war eine große, vornehme Dame, die Schmuck trug und dunkle Kleider. Sie hatte ein blasses, feingeschnittenes Gesicht wie ihr Sohn, der ihr sehr ähnlich sah. Auch sie hatte schwarzes Haar wie die Tante, allein es war zu einem Schopf gekämmt. Bei ihr wie bei ihrem Sohn waren an den Schläfen bläulich schimmernde Äderchen sichtbar. Das Schönste an ihr wie an Karl waren die schmalen weißen Hände. Karls Vater war ein korpulenter Herr, der ruhig und gemessen sprach, voll Selbstbewußtsein und Würde. Polzer konnte in dieser Umgebung, konnte vor dem schönen Karl nicht von seines Vaters kleinem Rosinenladen erzählen.
Polzer bürstete seinen Anzug und preßte seine Hosen unter Büchern. Er wollte aussehen wie ein Gymnasiast aus einem Bürgerhaus und nicht wie der Sohn eines Greislers. Er verbarg seine Hände, die von der Arbeit im Laden rot und dick waren, vor den Menschen, eine Gewohnheit, die dazu beitrug, den Eindruck größter Unsicherheit und Unbeholfenheit hervorzurufen, und die er auch später nie ablegte. Wenn ein Fremder bei Karls Eltern war und den Hausherrn leise nach Franz Polzer fragte, fühlte dieser, wie er rot wurde vor Scham. Man mochte so leise und unauffällig wie nur irgend möglich diese Frage stellen, Franz Polzer hörte sie nicht, er fühlte sie mit seinem maßlos geschärften inneren Ohr.
Er wollte nichts mehr, als aus gutem Hause sein. Lange später noch errötete er, wenn man ihn des näheren über seine Abkunft fragte, und antwortete ausweichend. Manchmal log er und sagte, sein Vater sei Gymnasiallehrer gewesen oder Richter. Einmal behauptete er sogar, er sei Fabrikantensohn. Im nächsten Augenblick schon fühlte er den prüfenden Blick des Fragers an seinem Anzug herabgleiten und wurde sich der Dürftigkeit seines Äußeren schmachvoll bewußt.
Karl Fantas Vater ermöglichte ihm den Besuch der Universität in der Hauptstadt. Polzer bezog sie zusammen mit Karl. Er widmete sich dem Studium der Medizin, Karl dem der Jurisprudenz. Polzer war glücklich, von zu Hause fortzukommen, nicht mehr die Schande des Ladens immer vor sich sehen zu müssen, nicht mehr immer der Strenge des Vaters gehorchen, den Scheitel der Tante sehen und ihre Scheltworte über sich ergehen lassen zu müssen. Eine einzige Erinnerung nahm er von zu Hause mit, die ihm immer über alles teuer gewesen war. Die Erinnerung an seine Mutter. Er hatte sie kaum gekannt. Er glaubte sich aber zu erinnern, daß sie ihn an ihr Sterbelager habe bringen lassen, auf dem sie mit gelöstem Haar lag. Sie drückte ihn an sich, und ihre Tränen feuchteten sein Haar. Bei dieser Erinnerung wurde ihm stets warm ums Herz. Er flüchtete vor dem Haß seiner Tante in die Liebe zu seiner Mutter, die in demselben Maße wuchs, wie die Abneigung gegen die Tante stärker wurde.
Das Verhältnis Polzers zu Karl war so innig, wie es irgend zwischen jungen gleichaltrigen Menschen sein konnte. Polzer freute sich, an der Seite dieses schönen Jünglings leben zu dürfen, dessen Sicherheit und Anfechtungslosigkeit er nicht weniger bewunderte als das edle Maß seiner Glieder. Karl war immer freundschaftlich zu ihm, und Polzer war es ein Bedürfnis, Karl seine Wünsche von den Augen ablesen zu können und ihm durch kleine Handreichungen behilflich zu sein. Er bereitete ihm seine Wäsche vor und sah darauf, daß kein Fleckchen an Karls Kleidung war. Karl hatte schwarzes Haar, das sich wie Seide anfühlte. Trotz seines freundlichen Zutrauens war Polzer oft, als ginge Karl innerlich an ihm vorbei. Er sehnte sich nach einer kleinen Zärtlichkeit, einer Wiederholung jener Knabenküsse. Doch diese Sehnsucht wurde nicht erfüllt.
Man lobte an der Universität Polzers Fleiß und sein Verständnis. Er legte die ersten Vorprüfungen mit ausgezeichnetem Erfolg ab. Da erkrankte Karl und wurde von den Ärzten nach dem Süden geschickt, wo er ein Jahr bleiben sollte. Nicht mehr Gesellschafter des reichen Freundes, war es Polzer unmöglich, das Studium fortzusetzen, und er mußte froh sein, als ihm Karls Vater eine Stellung in der Bank verschaffte.
In der Bank wurde er in kurzem ein anderer. Alles zerfloß an seiner Tätigkeit. Regelmäßigkeit, Pünktlichkeit, die unausweichliche Gewißheit des nächsten Tages zerstörten ihn. Er ging auf in Tätigkeiten, die seine Zeit zerlegten. In diesen siebzehn Jahren kam er kaum je unter Menschen. So wurde er unsicher, wenn er einmal etwas anderes tun sollte, als er zu tun gewöhnt war. Hatte er mit Fremden zu sprechen, fielen ihm die Worte plötzlich nicht ein, die er sagen sollte. Immer hatte er das Gefühl, daß seine Kleidung nicht entspreche, ihm nicht passe und ihn lächerlich mache. Die geringste Unregelmäßigkeit verwirrte ihn. Er legte Wert auf die peinlichste und gewohnte Ordnung auch in seinem Zimmer. Die Zeitung mußte täglich genau auf demselben Fleck auf dem Tisch liegen, und zwar parallel zu den Tischkanten. Seine Pedanterie ging so weit, daß es ihn erregte, wenn die Gardinenschnüre nicht gerade ausgerichtet und in ihrer Verlängerung auf dem Fensterbrett nicht im rechten Winkel abgebogen lagen. Verstimmt brachte er sie in Ordnung.
Franz Polzer war etwa zehn Jahre in der Bank, als sein Vater starb. Das Begräbnis fiel auf einen Sonntag, so daß er keinen Arbeitstag versäumen mußte. Am Samstag nachmittag verließ er mit der Bahn die Stadt.
Immer ist Polzer der Begräbnistag in unangenehmster Erinnerung geblieben. Auf der Hinreise konnte er im überfüllten Zug keinen Platz finden und mußte die ganze Zeit stehen. Seine Füße, solche Anstrengung nicht gewohnt, schmerzten noch in den folgenden Tagen. Er kam schlechter Laune an und wurde von der Tante, die denken mochte, er sei gekommen, ihr den väterlichen Laden nun streitig zu machen, mürrisch begrüßt. Er fand trotz schneidender Winterkälte ein ungeheiztes Zimmer und schlief von schlechten Träumen gequält auf seinem alten Bett. Am Morgen war für ihn kein Frühstück gekocht. Er fand es unpassend, in einen Gasthof zu gehen, und mußte so bis zum Begräbnis nüchtern bleiben. Leute kamen, die er kaum mehr kannte, und drückten ihm die Hand. Seine Tante stand im Mittelpunkt neben der aufgebahrten Leiche des Vaters. Polzer wie ein Fremder in einer dunklen Ecke des Zimmers.
Als die Einsegnung begann, mußte er neben die Tante treten. Nun erst sah er seinen Vater. Er hatte einen schwarzen Rock an, der über der Brust Falten machte. Sein Haar war ganz grau geworden. Sein Gesicht schien klein und eingefallen. Der Anblick der Leiche machte auf Polzer keinen Eindruck. Er berührte ihn nicht anders als der Anblick eines fremden Gegenstandes. Er fühlte sich nicht an seinen Vater erinnert.
Am Friedhof faßte ihn die Tante unter und weinte laut. Polzer stand im weichen Schnee und fühlte, wie die Feuchtigkeit sein Schuhwerk durchdrang. Er kannte seine Empfänglichkeit für Erkältungen und trat unruhig von einem Fuß auf den andern.
Die Blicke aller Menschen, die zur Beerdigung gekommen waren, lagen musternd und beobachtend auf Franz Polzer. Die Aufmerksamkeit, die er erregte, machte ihn unsicher. In seiner Hilflosigkeit tastete er mehrmals nach den Knöpfen seiner Hose, um sich immer von neuem zu vergewissern, daß sie geschlossen sei. Er schämte sich dieser auffallenden Bewegung zutiefst, konnte aber nicht verhindern, daß nach wenigen Minuten das Gefühl seiner Nacktheit ihn wieder unwiderstehlich zu ihr zwang.
Nach der Beerdigung erklärte Franz Polzer seiner Tante, daß er nichts vom Gute seines Vaters erben wolle. Geld hatte der Vater keines hinterlassen. Das Haus war überschuldet. Polzer wollte keinen Anzug und kein Möbelstück. Er wollte keine Erinnerung.