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Um zehn Uhr erschienen aus allen Abteilungen Herren in dem Zimmer, in dem Franz Polzer saß. Um diese Zeit verstummte das Geräusch der Maschinen für einige Minuten.
Polzer beugte sich über die Arbeit und sah nicht auf. Die Herren beglückwünschten ihn lachend.
»Wer hätte das gedacht,« sagte einer aus der Buchhaltung. »Die stillen Gewässer.«
»Ob er ihr genügt, meine Herren? Ist er ihr nicht zu schwach und zu mager?«
»Sagen Sie das nicht,« sagte der Prokurist. Er lächelte überlegen. Er war in solchen Dingen erfahren. »Die Frau weiß, was sie tut. Ich kenne das. Die mageren Hähne, sagt man, und nicht mit Unrecht, sind die besten!«
»Trotzdem, Herr Prokurist,« sagte der Beamte Fogl, »wenn sie sich im Bett umdreht, mit dieser Auslage, ich glaube, sie zerdrückt ihn an der Wand.«
»Wir wollen mit der Dame bekannt werden, Herr Polzer,« sagte der Prokurist. »Sie sind es uns schuldig, als Kollege, Herr Polzer. Ich schlage vor, daß wir Sonntag nachmittags gemeinsam einen Ausflug machen. Dagegen wenden Sie doch nichts ein, Herr Polzer?«
Polzer schwieg.
»Nun, sagen Sie nicht ja, Herr Polzer?«
Polzer nickte. Er hatte diese Nacht nicht geschlafen und war, ehe Frau Porges erwacht war, aus dem Haus geschlichen. Er hatte Angst, abends dahin zurückzukehren. Er dachte daran, zu Karl Fanta zu gehen, ihm alles zu erzählen und ihn zu bitten, daß er ihn bei sich aufnehme, wenigstens für eine Nacht. Aber Karl konnte es nicht verstehen. Man konnte es nicht einmal sagen, weil es so unbegreiflich war.
Der kleine Wodak reichte ihm einen Stoß Papiere herüber und lächelte. Alle lächelten und begriffen es nicht.
Heute abend konnte er nicht nach Hause gehen. Frau Porges würde ihn erwarten. Sie saß vielleicht schon in seinem Zimmer, wenn er nach Hause kam. Besser doch, zu Karl Fanta zu gehen, unter einem Vorwand länger zu bleiben. Erst nachts nach Hause zu kommen, wenn Frau Porges schon schlief. Aber vielleicht lag sie dann vorbereitet in seinem Bett, wenn er kam, und er konnte nicht entgehen.
Oder: es konnte sein, daß Frau Porges zürnte, und sie wies ihn aus der Wohnung. Dann blieb nichts übrig, als die Sachen in den Koffer zu legen und zu gehen. Eine Wohnung bei fremden Leuten, vielleicht bei Dieben zu nehmen und auch diese erst in ermüdend endlosen Gängen durch alle Stadtteile treppen- auf und treppenab zu suchen. Oh, alles auf sich nehmen, im Bett unter dem Bild des Heiligen, geschehen lassen wie die Schläge des Vaters in der dunklen Küche, wenn die Tante ihn hielt. Sie schrie, aber er schwieg, weil es so war, weil es so sein mußte, in dem Haus, bei dem Laden. Man konnte nicht entgehen. Den Händen Milkas nicht entgehen, dem Knarren der Treppe nicht, dem Scheitel der Tante, der entblößten fleischigen Brust des Vaters nicht mit den roten und grauen Haarstruppen darauf unter dem aufgerissenen Hemd, und Klara nicht, diesem Namen, Klara Porges, dieser geöffneten, ausgeladenen, näherkommenden Klara nicht, ihrem Scheitel, ihrem Wangenbart, ihrem warmen Körper im Bett nicht entgehen. Die Luft war schwer in dem kleinen Raum, die Hände waren feucht von der Arbeit, und die Finger ließen Spuren auf dem Papier. Es war nicht erlaubt, das Fenster zu öffnen, weil die Tür nicht stillstand und Zugluft entstehen mußte, die die losen Blätter von den Pulten wehte. Das große, volle Haus mit den vielen kleinen und großen Zimmern rauschte von Sprechen, den Schritten, die ununterbrochen über die Treppen und die Korridore gingen, dem rastlosen Hüpfen der klappernden blauen Buchstaben auf das weiße Papier in den Maschinen. Es war kurz vor sechs, als Polzer nicht widerstehen konnte und die Augen schloß. Er schlief nicht. Er hörte weiter das Rauschen des Hauses, hörte, wie der kleine Wodak Blatt um Blatt umwandte. Aber er fühlte zugleich, daß er die einzelnen Geräusche nicht mehr voneinander unterscheiden könne. Alle waren sie mit einem Male ungeheuer laut, nahe und gefährlich. Alle flossen zusammen und wuchsen zu tosendem Gewirr von Stimmen an. Polzer öffnete die Augen.
Im Zimmer standen die Herren vom Vormittag zum Weggehen bereit, sahen ihn an und lächelten. Polzer stand auf und nahm seinen Hut. Die Herren waren gut gelaunt und erinnerten ihn an den Ausflug am Sonntag. Man fand es begreiflich, daß Polzer eingeschlafen sei. Franz Polzer sah in das lachende Gesicht des Prokuristen. Es schien ihm dicker als sonst. Der Prokurist hatte eine neue Krawatte an und einen dünnen Pepitaanzug. Polzer bemerkte, daß sich seine eigene schwarze Masche bis unter das Ohr verschoben habe. Er konnte sie trotz Anstrengung nicht in die Mitte ziehen, ging aus dem Zimmer und lief die Treppe hinunter. Er hörte das Lachen der Herren und schämte sich, daß sie, die gute Kleider und frischgesohlte Schuhe hatten, über seinen Anzug lachten. Es fiel ihm ein, daß der Prokurist ihn schlafend gefunden hatte. Er konnte es der Direktion melden. Polzer mußte morgen zum Prokuristen gehen und ihn bitten, daß er davon absehe, da es zum erstenmal geschehen sei.
Als Polzer das Tor geöffnet hatte und auf die Straße trat, stand Frau Porges vor ihm. Sie hatte auf ihn gewartet.
Er hörte schon die Schritte und Stimmen der Herren im Stiegenhaus. Er faßte Frau Porges am Arm.
»Kommen Sie«, sagte er, »kommen Sie!«
Er zog sie rasch fort. Sie durften nicht sehen, daß Frau Porges ihn erwartete.
»Warum denn so rasch fort?« fragte Frau Porges.
Er antwortete nicht.
Da lächelte Frau Porges böse.
»Warum bist du morgens fortgelaufen?« sagte sie.
Er wich ihrem Blick aus und sah zu Boden.
»Wie ein Schuljunge bist du, wie ein Schuljunge!«
Sie lachte.
»Man sollte dich vielleicht prügeln wie einen Jungen,« sagte sie.
Darüber erschrak Franz Polzer sehr.
»Damit du gehorchst,« sagte sie.
Er aß rasch das Abendbrot, das sie ihm gebracht hatte. Dann versperrte er die Tür und legte sich zu Bett.
Frau Porges kam und wollte öffnen. Als sie die Tür verriegelt fand, pochte sie.
»Öffne, Polzer,« rief sie. Und da er zauderte:
»Öffne!«
Franz Polzer stand auf und öffnete.
Frau Porges hatte bloß das Hemd an und einen schwarzen Unterrock.
»Du warst wohl nicht zufrieden mit mir,« sagte sie.
Sie trat nahe an ihn heran. Er wollte zurückweichen, doch sie ergriff ihn am Handgelenk.
Auf dem Stuhl lag der Riemen, mit dem er seine Hosen festschnallte. Sie nahm ihn.
»Ziehe das Hemd aus,« befahl sie.
Er hielt es mit beiden Händen fest. Sie entriß es ihm.
»Das Hemd weg!«
Sie warf das Hemd zu Boden.
Er deckte die dünnen Arme vor den Leib, die eingefallene Brust und den vortretenden, schlaffen Bauch zu bergen. Er schämte sich, diesen Leib zu entblößen.
Er bewegte sich nicht und hielt die Augen halb geschlossen. Er wartete.
Er hörte sie auflachen. Er fuhr bei diesem Lachen zusammen. Dann hörte er den Riemen sausen.
Klara Porges hatte den Riemen gehoben und schlug. Sie schlug mit dem Ende, an dem die Schnalle war. Er hob schützend die dünnen Arme. Sie stieß ihn auf das Bett, daß sein Rücken nach oben lag.
»Nun wirst du gehorchen,« sagte sie.
Sie stieg nackt zu ihm ins Bett. Der Knoten ihres Haares hatte sich gelöst. Das Haar fiel um die Schulter.
Sie legte den Leib für ihn zurecht. Polzer bewegte sich nicht. Ihr Körper glänzte feucht von Schweiß. Über ihren Augen lag der Scheitel. Die weiße Kopfhaut schimmerte. Die dicken Brüste waren zur Seite gefallen und lagen schlaff vor ihm.
Das Bett wurde warm von ihr. Er fühlte auch seinen Körper feucht werden von ihrer Wärme. Sie war grauenhaft entblößt und geöffnet. Nur der Kopf war nicht entblößt. Auf ihm lag der Scheitel der Tante, nicht zerstört.
Franz Polzer bewegte sich nicht. Der Gedanke von gestern war da und war lebendiger, als er gestern gewesen war.
Frau Porges stieß ihn aus dem Bett, daß er schwer zu Boden fiel. Er ergriff sein Hemd und bedeckte sich damit.
In der Nacht erwachte er. Er fühlte, daß Frau Porges' Hände sein Hemd wegschoben und an seinen Leib tasteten.
Das Bett war niedrig, und die Hände erreichten ihn leicht. Er sah Frau Porges nicht; bloß ihre Arme ragten aus dem Bett.
Er wandte den Kopf zur Seite. Er schloß die Augen. Nun war gewiß, was geschehen würde. Er zitterte wie auf der Treppe unter Milkas Händen.
Sie gab ihm einen Stoß und lachte. Er atmete tief.
Er wartete die ganze Nacht, daß sie wieder nach ihm greife. Gegen Morgen griff sie zum zweitenmal nach ihm.