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Eine hervorragend gute Marmorkopie einer anderen Phidiasischen Bronze ist bei den römischen Tiberregulierungsarbeiten im Bette des »weltschuttführenden« Stromes vor wenig Jahren gefunden; es ist der Torso eines nackten Apollon mit verhältnismässig wohlerhaltenem Kopf.
Manches an dem herrlichen Werk, dessen spröde Schönheit sich erst der wiederholten Betrachtung voll erschliesst, mutet noch archaisch an und gemahnt an die peloponnesische Schule, aus der Phidias nach dem Zeugnis der Alten hervorgegangen ist. Scharf setzen die Muskelpartien gegen einander ab, breit ist die Brust herausgenommen, »wohlgeöffnet« (Goethe) blicken die lichtfangenden Augen zwischen scharfen Lidrändern hervor. Auch die Gliederung der Haare in dreierlei streng von einander gesonderten Partien hat noch etwas Schematisches: vor der schmalen Binde quellen Ringellöckchen über die Stirn herab, hinter ihr bedeckt den Schädel die übliche gewellte Zeichnung, unter ihr fallen einzelne lange Locken über die Schulter. Doch ist die Ähnlichkeit des runden breiten Kopfes mit dem der Parthenos unverkennbar, andres wie die Intensität des Ausdrucks, der in der huldvollen Wendung und Neigung des süssen lockenumhangenen Hauptes liegt, hat wieder seine nächsten Analogien in der Athena Lemnia.
Huld drückt die ganze Gestalt und Bewegung unverkennbar aus, und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass, wie vermutet worden ist, das Urbild dieser Statue jener Bronzegruppe angehörte, die die Athener aus dem Zehnten der marathonischen Beute nach Delphi, dem Sitze des Gottes, stifteten. Sicherlich war in dieser Gruppe, der ausser Apollon und Athena auch Miltiades, der Sieger von Marathon sowie zwölf Ahnherren des athenischen Volkes angehörten, der delphische Gott als Siegverleiher geschildert. Über die Attribute, die er hielt, lässt sich nichts Sicheres mehr sagen.
An die haubentragende Aphrodite im Ostfriese des Parthenon lässt ein auch sonst in Wiederholungen vorhandener schöner marmorner Aphroditekopf im Kasino Borghese denken, dessen Urbild man ohne Bedenken Phidias zuweisen darf. Der Kopf, dessen feines Oval an die Lemnierin erinnert, ist, von vorn gesehen, etwas nach rechts und emporgewandt. Melodisch wie bei der Lemnierin verfliessen die Wellenlinien der Lippenzeichnung, aber hier ist der Mund leise geöffnet, sehnsuchtatmend; und sehnsüchtig blicken die aphrodisisch schmalen Augen. Trotzdem ist der Gesamteindruck des Kopfes in der Vorderansicht hehr und keusch; milder und freundlicher im Profil. Hier auch kommt erst die kunstvolle und reiche Frisur und der eigentümliche reizvolle Kopfputz voll zur Geltung, die zusammen die charakteristische Hauptanziehung dieser Arbeit ausmachen. Die Binden, die das Haar dreimal kreuzen, schneiden tief, wie bei der Lemnierin, in seine darüber hinausquellenden Wellen ein, und verbreitern sich unten am Hinterkopf zu einer Halbhaube, die das hier in einen dicken runden Schopf zusammengenommene Haar trägt. Vor dem Ohrläppchen ringeln sich je zwei flach anliegende Löckchen herab und rechts und links über den äusseren Augenwinkeln je zwei sichelförmig über die Binde empor.
Längst auch ist mit dem Atelier des Phidias in Zusammenhang gebracht jene berühmte weibliche Kolossalstatue der vatikanischen Rotunde, die mit der erhobenen Linken wahrscheinlich ein Skeptron hochfasste und in der Rechten ein Attribut hielt, dessen Verlust uns über die Benennung der Göttin im Unklaren lässt. Die Behandlung des dorischen Chitons mit gegürtetem Überschlag, vor allem der schöne Gegensatz zwischen den tiefschattigen Steilfalten mit den glatten Massen des linken Beines, und der Kopf mit den mütterlich breiten Formen und dem grossoffenen Auge der Parthenos erinnern an das Goldelfenbeinbild. Das Antlitz hat etwas strahlend Jugendliches, ja Heiteres.