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Glücklicherweise ist unsre Kenntnis der Parthenonskulpturen nicht auf die Reste allein angewiesen, die sich heute noch am Tempel selbst befinden.
Sowohl für die Metopen und den Fries, als auch für die beiden Giebelkompositionen treten in Fällen, wo uns der heutige Bestand des Erhaltenen im Stich lässt, ergänzend die Zeichnungen ein, die der französische Maler Jaques Carrey dreizehn Jahre vor der venezianischen Beschiessung des Parthenon für den Gesandten Ludwigs XIV. bei der Pforte angefertigt hat. Aber auch seine Aufnahmen weisen beträchtliche Lücken auf, die empfindlichsten jene des Ostgiebels. Was Carrey hier sah und skizzierte, besitzen wir noch alles, ja noch ein bischen mehr, aber es ist wenig genug.
Wenig, und doch unendlich viel, wenn wir uns des Gedankens an das Verlorene entschlagen und den absoluten Wert des Geretteten allein ins Auge fassen. Denn unter diesen Stücken befinden sich einige, deren Schönheit der Mensch anstaunen wird bis ans Ende der Tage, deren unerreichliche Vollendung gebieterisch zur Annahme drängt, dass, wenn irgendwo am plastischen Schmuck des Parthenon, hier Phidias selbst den Meissel geführt habe.
Ruhig auf einem Pantherfell gelagert, blickt mit einer ganz leisen, wie grüssenden Neigung des Hauptes ein schöner nackter Jüngling der aufgehenden Sonne entgegen. Er hat den linken aufgestützten Arm etwas zurückgenommen, so dass uns die volle Breite seiner mächtigen Brust zugekehrt ist, in der linken leicht erhobenen Hand scheint er einen Wurfspeer gehalten zu haben. Ruhende Kraft ist das Wesen dieser Gestalt, die man verschiedentlich benannt hat. Am schönsten entsprach ihrer Erscheinung die Deutung Brunns, der in dem Jüngling den Gott des Berges Olympos erblickte, auf dessen Gipfeln der in der Mitte des Giebels geschilderte Vorgang sich abspielt, und der als erster den Gruss des neu erwachten Lichtes empfängt und erwidert. Mehr Wahrscheinlichkeit hat es freilich, mit Furtwängler in ihm den schönen rüstigen Jäger Kephalos, den Geliebten der Morgenröte, zu erkennen. Endgültig wird man über die Deutungsfrage wohl nie ins Klare kommen und sich gerne bei dem unendlichen formalen Reiz dieser Erfindung bescheiden.
Ein herrliches Gegenstück zu ihr ist die Dreifrauengruppe aus der anderen (rechten) Ecke des Ostgiebels. Es scheinen die drei Moiren zu sein, die Töchter der Nacht, daher der untergehenden Mondgöttin gesellt, die Schicksalsgöttinnen, die den Faden des neubeginnenden Lebens spinnen. Die Hochsitzende links ist mit voller Figur dem Beschauer zugewandt, während sie den Kopf nach dem Vorgang in der Mitte umwendet; Arme und Hände, die einen Spinnrocken gehandhabt haben dürften, fehlen fast völlig. Sie trägt wie ihre Schwestern einen dünnen Ärmelchiton, der ein wenig von der rechten Schulter herabgeglitten ist und einen Theil der männlich breiten Brust frei lässt, während über den Schoss ein Mantel herabfällt. Ihre Gefährtin zur Rechten hockt mit eingezogenen Beinen auf einem niedrigeren Sitz und nimmt, ein wenig nach rechts gewendet, in ihrem Schoss die dritte auf, die, lang hingestreckt, lässig und behaglich auf dem felsigen Boden lagert.
Wie diese Gruppe der Ruhenden und der Stützenden in eins zusammengefügt ist, das ist von allerhöchster Schönheit. In einer weichen, langausgezogenen Kurve bewegt sich die Komposition der Lagernden, bis ihr die zusammengedrängte Gestalt der Kauernden einen starken Halt und Abschluss giebt. War bei dem Jüngling drüben die ruhende, verhaltene Kraft geschildert, so haben wir hier ein Bild der völligen, süssen Auflösung in der Ruhe.
Die Gewandbehandlung ist an diesen drei Figuren so geistvoll und erfindungsreich, dass die an den Gestalten des Frieses damit verglichen ärmlich und phantasielos erscheint. Dort begnügten sich die ausführenden Künstler fast in allen Fällen mit der gedankenlosen Wiederholung des jeweilig ergriffenen Motives; hier gleicht auch nicht eine Falte in ihrer Führung der anderen. Hier giebt es Feinheiten, die nur Künstler wiedererkennen und würdigen können; wie z. B. über den Beckenpartieen der Liegenden gewisse Faltenzüge, die nicht durch den Wurf und Fall des Gewandes bedingt sind, absichtvoll angelegt wurden, um die organische Struktur des Körpers darunter zu zeigen. Ein eminentes Naturstudium liegt dieser Arbeit zu Grunde, und doch wird wieder vom Natureindruck abstrahiert, um den statischen Bau des Körpers in seinen Generalpunkten aufs deutlichste zu betonen. So erscheinen die Brüste und Kniee fast nackt, diese gar durch Chiton und Himation hindurch, was auch bei nass aufgelegten Gewändern eine bare Unmöglichkeit ist. Dass übrigens das hier verarbeitete Beobachtungsmaterial sich nicht lediglich aus Erinnerungsbildern herleitete, der Künstler vielmehr diese (genässten und, um steif zu werden, appretierten) Gewänder mit unendlicher Berechnung und Sorgfalt an (wahrscheinlich lebensgrossen) Thonmodellen anordnete und dann sie erst, wenn auch nicht sklavisch, in Marmor abbildete, glaube ich mit voller Gewissheit aussprechen zu dürfen.
Aber die eigentliche Anziehung dieser Mädchen und jenes Jünglings lässt sich mit Worten nicht schildern; die Musik käme hier eher nach. Sie allein könnte die nämliche harmonische, wunschlose Stimmung wachrufen, in der sie wie in einer idealen Lebensluft atmen, sie allein den seelischen Rhythmus finden, dem diese Körper und ihre Bewegungen wie einem göttlichen Gesetze unterthan sind.
Die besprochenen Stücke überragen an Bedeutung alle anderen erhaltenen Reste des Giebelschmuckes. Von den Überbleibseln des Ostgiebels verdienen eine Erwähnung noch der vorderste Pferdekopf aus dem Gespann des Sonnengotts, der durch einen Ruck des Zügels herumgerissen wird, die auf Kephalos folgende trauliche Gruppe zweier göttlichen Mädchen, deren eine, uns zugekehrt, ruhig dasitzt, den linken Arm leicht auf die Schulter der Freundin gelehnt, die sich mit auffahrenden Armen lebhaft nach ihr umwendet; man hat bei ihnen an die »glanzthronenden« Horen gedacht, die Beschliesserinnen des Olympos, die nach ewigen Gesetzen den kreisenden Umschwung der Zeiten herbeiführen. Die Gewandbehandlung an den beiden Figuren bewegt sich in schlichteren und grösseren Motiven als bei den dreien auf der rechten Giebelseite, die Zusammenführung zur Gruppe hat den gleichen reinen Einklang wie dort. Dann folgt eine nach links hin Enteilende, den Kopf zurückgewendet, mit der erhobenen Linken den Saum des windgeblähten Mantels ergreifend. Hier hat die Gewandbehandlung etwas wundervoll Impressionistisches, Visionäres; kein Schwelgen in einem unerschöpflichen Reichtum von Einzelmotiven wie es bei jenen ruhenden Figuren am Platz war, sondern nur wenige starke Züge, die den Eindruck des schnellen Laufes markieren. Hier sollte das Auge eben nicht zum lang verweilenden Geniessen eingeladen werden, sondern die visionäre Impression einer vorüberrauschenden Bewegung erhalten; so, meine ich, wird die grosse Verschiedenheit der Gewandbehandlung hier und dort verständlich. Von den Torsi der rechten Seite ist der einer Göttin zu nennen, die in weit ausgreifendem Laufschritt, mit hocherhobenem linken Arm, auf die Mitte zueilt; sie war geflügelt, so dass wir in ihr Nike erkennen müssen, die Göttin des Sieges, die in Athena sofort ihre Herrin erkennt, der sie fortan treu bleibt und unzertrennlich zugehört, und der sie jetzt jubelnd zueilt; eine wunderschöne Erfindung ohne Zweifel. Endlich ein Pferdekopf aus dem Gespann der Selene, so gross gesehen und breit behandelt, dass man lieber von einem »Haupt« sprechen möchte, wie man bei Böcklin lieber von einem »Hain« als »Wald« reden wird. Aber durch die Hülle der starken Stilisierung schimmert auch hier die intimste Naturbeobachtung hindurch; von hier bis zum Manierismus ist noch ein weiter Schritt.
Die angeführten Bruchstücke befinden sich sämtlich im Britischen Museum; hierzu kommen der nackte Rumpf eines mit erhobenen Armen erstaunt zurückweichenden Gottes und der Oberkörper der Selene in Athen. Über den wichtigsten Bestandteil des Giebels, die Mittelgruppe, wissen wir nichts unbedingt Sicheres, das Wahrscheinlichste ist, dass in der Mitte Zeus thronte, zu seiner Rechten die aus seinem Haupt geborene waffenprangende Athena davonstürmte, zu seiner Linken Hephästos, der als Geburtshelfer mit seinem Beile den erlösenden Schlag geführt, entsetzt zurückprallte. Dann wäre der Kompositionsgedanke, der den Künstler leitete, der gewesen, dass die aus den beiden Giebelecken sich erhebenden, allmählich anschwellenden Bewegungen an der durch die ruhig sitzende Zeusfigur betonten statischen Mitte abprallen und wieder in sich selbst zurückfliessen; eine für das Auge ewig sich erneuernde, ewig in sich zurückkehrende Bewegung, die den von Jakob Burckhardt schön erkannten architektonischen Gedanken des Giebels aufs sinnvollste illustriert. Nach ihm ist »der stumpfe Winkel des Giebels das Schlussergebnis der ganzen idealen Rechnung zwischen Kräften und Lasten; er deutet genau an, wie viel von strebender Kraft am Ende übrig ist«. So prallen auch im Westgiebel des Parthenon Poseidon und Athena und mit ihnen die ganze Bewegung der »übriggebliebenen strebenden Kraft« vor der hier wahrscheinlich durch den bronzenen Ölbaum bezeichneten Mittellinie des Giebels wie vor dem personifizierten Prinzip der Schwere zurück. Die Einzelkomposition der Figur ist sehr stark auf die Silhouette angelegt, was dem ungeübten Auge an der entzückenden Silhouette des Kephalos am deutlichsten wird. Der Wirkung dieser Umrisse kam eine energische Bemalung der Giebelhinterwand ausserordentlich zu gute. Natürlich waren auch die Figuren selbst bemalt, worüber wir aber leider nichts Genaues wissen.
Staunen hat es von jeher erregt, dass an diesen sämtlichen Gestalten die Rückseiten, die doch nie gesehen werden konnten, eben so sorgfältig bearbeitet sind als die Vorderseiten. Ist dies nicht nutzlos vergeudete Kraft und Kunst, und wie stimmt es zu dem Gesetz, das erwiesenermassen die ganze Natur durchwaltet, das aber auch, wie mir scheint, die griechische Kunst der guten Zeit beherrscht, dass nämlich mit dem geringsten möglichen Aufwand von Kräften die grösste mögliche Wirkung zu erzielen sei? Denn hier ist ein Plus aufgewendeter Kräfte, dem gar keine Wirkung entspricht!
Ernst Rietschel, der berühmte Berliner Bildhauer, hat diese merkwürdige Erscheinung zu erklären versucht. Er sagt: »Es hat mich immer mit einer Art Rührung und Bewunderung erfüllt, dass die parthenonschen Giebelfiguren an der Rückseite ebenso vollendet sind als vorn. Der Künstler wusste, dass, wenn dies Werk aus seiner Hand und seiner Werkstatt war, nie ein menschliches Auge dahin blicken könne, wo seine Liebe, Mühe und Sorge das Reizendste geschaffen und gepflegt hatte. Jetzt nach über zweitausend Jahren ist es uns, mehr durch glücklichen Zufall als durch geschichtliche Notwendigkeit, vergönnt, diese treuen Liebesopfer einer echten Künstlerseele zu entdecken. Warum that dies der Künstler, da so viel Zeit und Mühe verloren schien? Er that es aus wahrhaft göttlichem Schaffensdrange, das, was da werden sollte, vollkommen und seiner selbst wegen werden zu lassen, wie die Blume auf einsamem Abhange in menschen- und tierlosen Einöden blüht; sie nutzt nichts als Nahrungsmittel für Tiere, sie erfreut kein menschliches Auge und doch ist sie so vollkommen entwickelt, wie die prachtvollste Blume des Ziergartens. Da ist kein Nebenzweck, nur harmonisch vollkommene Entwickelung, um ihren göttlichen Schöpfer zu preisen.« Diese Erklärung ist schön, aber gewiss unrichtig; von der »erhabenen Zwecklosigkeit der Kunst«, auf die hier im Zusammenhang mit den kunstphilosophischen Überzeugungen jener Tage angespielt wird, hat die mitten im Leben stehende griechische Kunst niemals etwas gewusst, ich möchte sagen, Gott sei dank nie etwas zu wissen gebraucht …
Richtiger wäre es schon, wenn man sagte, das hochgesteigerte Gefühl des griechischen Bildhauers für das Organische habe sein Verfahren auch in diesem Falle bestimmt. Aber der wahre Grund scheint mir tiefer zu liegen.
Man vergisst immer wieder, dass der griechische Tempel nicht für die Menschen da war, dass er ein Weihgeschenk an die Gottheit war, ein ausschliesslich für die Gottheit hergestelltes Prunkhaus für ihr Bild, das heisst also nach dem Glauben der älteren Zeit für die Gottheit selbst. In diesen Gedanken war auch der ganze Skulpturenschmuck mit einbezogen, er war in erster Linie nicht für den Anblick der Menschen sondern dem Gotte zum Geschenk bestimmt. Nur zur Hälfte fertige Figuren aber dem Gotte zu schenken und zu weihen, wäre dem frommen griechischen Gefühl wie eine Verhöhnung der Gottheit, wie der Versuch eines frevelhaften Betruges an ihr erschienen.
Steht man unter dem Säulenumgang des Parthenon und versucht, mit den Augen zu den Figuren des Cellafrieses emporzudringen, so wird man diesen Versuch bald enttäuscht aufgeben. Sie sind von dem durch die Tempelarchitektur aufgezwungenen Standpunkt aus einfach unsichtbar, wenigstens nicht geniessbar. Ehedem mochte ja die Bemalung dem entziffernden Auge nachgeholfen haben, dieser Vorteil aber wurde durch die Verdunkelung infolge der Deckplatten, die einst Peristyl und Cella verbanden und die heute fehlen, mehr als wettgemacht. Der herrliche Fries, dieses Wunder der Kunst, wurde einfach nicht gesehen, so wird er denn auch in der gesamten antiken Litteratur nicht ein einzigesmal erwähnt. Er war eben auch nicht für die Augen der Menschen, sondern für die glänzenden der lieben Göttin bestimmt, deren Haus er wie ein schmückendes Band, wie ein teppichartiger Behang umschlang; und ich gestehe, dass mir nichts von der tiefen Herzensfrömmigkeit des attischen Menschen des 5. Jahrhunderts eine stärkere Empfindung giebt als eben diese Thatsache. –
Von den Figuren des Westgiebels ist nur ein Torso so weit erhalten, um dem Geniessen des modernen Betrachters sozusagen einige Angriffspunkte darzubieten. Es ist ein nach links hin sitzender nackter Mann, dessen Stelle in der linken Giebelecke war, der sich, die linke Hand auf den Boden gestemmt, in den Hüften nach rechts umwendet, so dass er uns die Brust in der Vorderansicht, den Kopf im Profil zeigt. Über den linken Arm fällt ein leichter Mantel. Die allmähliche Drehung des Körpers um die eigene Achse ist so überzeugend durchgeführt, dass man an Myrons Kunst im Diskobol erinnert wird, wie denn auch die Komposition der Mittelgruppe an eine bekannte z. T. erhaltene Komposition (Marsyas und Athena) jenes Meisters gemahnt. Was die Benennung dieser Figur betrifft, so ging sie bis vor kurzem von der Annahme aus, dass Pausanias mit seiner Bezeichnung analoger Eckfiguren im Ostgiebel des olympischen Zeustempels als Flussgötter recht hat; giebt man das zu, so hat es um so mehr Wahrscheinlichkeit, dass auch unsre Gestalt einen Flussgott und zwar den Kephisos darstelle, als ihr Motiv – das langhingestreckte, bequeme Lagern – für die Charakteristik eines Flussgottes gar nicht besser erfunden werden könnte als es hier geschildert ist. In dem hockenden Jüngling und lagernden Mädchen in der rechten Giebelecke hätten wir dann entsprechend einen Flussgott mit einer Quellnymphe anzunehmen, wofür sich die Namen Ilissos und Kallirrhoe wie von selbst anbieten, da die wirkliche Lage der genannten Gewässer in Beziehung zum Giebel genau ihrer Darstellung im Giebel entsprechen würde. Furtwängler hat diese Deutung angefochten und erkennt auch in den Eckfiguren, wie in den übrigen hier versammelten Zuschauern, mythische Urbewohner der Akropolis; sicherlich hat seine Erklärung den Vorzug der Einheitlichkeit vor der anderen voraus.
Die übrigen Reste dieser Giebelkomposition sind so stark fragmentiert, dass sie die Schönheit von einst kaum von ferne noch ahnen lassen. Hier hat das Unglück von 1687 mit am stärksten gewütet, denn noch Carrey sah an dieser Stelle sehr viel mehr und besser Erhaltenes als wir heute besitzen. Seine Zeichnung lehrt, dass die beiden Gottheiten, die in der Giebelmitte auseinanderfuhren, ihre Gespanne bei sich hatten, die von Frauen gelenkt wurden, dass ihnen ausserdem noch je eine Geleitfigur beigegeben war und die Zuschauer zum grössten Teil aus sitzenden weiblichen Figuren bestanden.
Die Idee, die die Kultbehörde leitete, als sie der Phidiasischen Werkstatt gerade diese Darstellungen für die beiden Giebel vorschrieb, ist klar. Im Ostgiebel, über dem Eingang in den Tempel, sollte die unmittelbare Abstammung der Stadtgöttin aus Zeus, dem obersten Herrn des Himmels und der Erde, verherrlicht, im Westgiebel ein Stück aus der heiligen Geschichte des Burgfelsens, auf dem sich der neue Tempel erhob, erzählt werden, eben die Legende von der Besitzergreifung der Akropolis durch die beiden auf ihr verehrten Hauptgötter und der Entstehung ihrer Wahrzeichen und Geschenke, des heiligen Ölbaums und des wunderbaren Salzquells, die nebenan im Poliastempel noch immer gezeigt wurden. Der Westgiebel galt ebenso der Verherrlichung des Poseidon als der Athena.
Etwas vager ist die Beziehung der Metopenreliefs zur tempelbewohnenden Göttin. Den Kentauren-, Giganten-, Amazonen- und trojanischen Kämpfen, die sie erzählen, liegt nur der eine gemeinsame Gedanke zu Grunde, dass in ihnen einen höhere Gesittung über urweltliche Wildheit, Griechentum über Barbarentum triumphierte; am Kriege gegen die Giganten hatte Athena selbst teilgenommen, für die übrigen Kämpfe durfte sie wenigstens als Patronin gelten, wenn sie auch keinem so eng verbunden ist wie etwa denen des Herakles. Dass fast ausschliesslich Kampfszenen zur Darstellung gewählt wurden, erklärt sich einfach aus dem oben schon berührten architektonischen Zweck der Metopen; jene gaben Gelegenheit zur Entfaltung heftigster Bewegung, wie sie die Metope braucht.
Eine stattliche Reihe wohlerhaltener Platten von der Südseite, mit Darstellungen von Kentaurenkämpfen, befindet sich im Britischen Museum, viel Schlechterhaltenes ist noch an Ort und Stelle, von vielem hat Carrey die Umrisse gerettet, andres ist gänzlich zerstört und für immer verloren.
Betrachten wir die Londoner Reliefs, so drängt sich uns zunächst Bewunderung der Leistung auf, die in der reichen Variation des einen einförmigen Stoffes, Kampf eines Rossmenschen mit einem Griechenjüngling, dargestellt auf einer fast quadratischen Platte, unzweifelhaft beschlossen liegt. Mit eigentümlich griechischer Freiheit wurde den Künstlern zunächst allerdings gestattet, auch siegende Kentauren darzustellen, obwohl dies jener religiösen Grundidee wenigstens für den Augenschein widersprach; aber die Aufgabe blieb noch immer schwierig genug, und die Erfindungsgabe des Künstlers, der die Zeichnungen lieferte, muss hoch gerühmt werden.
Einige Prachtstücke seien in aller Kürze bezeichnet. Da ist ein Grieche, der mit seinem linken Knie dem Kentauren so scharf in den Bug getreten ist, dass das Ungetüm in den Vorderbeinen eingeknickt ist; mit der Linken reisst der Jüngling das Haupt seines Gegners am wilden Bart herum, mit der Rechten holt er zum tödlichen Stoss aus.
Ein andrer hat den davoneilenden Pferdemenschen im Haupthaar gepackt, vergebens sucht sich dieser loszumachen, und schon schwingt der Grieche, mit einer prachtvoll weiten Gebärde, die von einem breit über Rücken und Arm herunterfallenden Mantel, zwar auf Kosten der Naturwahrheit aber höchst eindrucksvoll umrahmt wird, die lange Lanze gegen den Mädchenräuber.
Dann wieder sprengt der Kentaur jauchzend, ein Löwenfell wie einen Schild vor sich herhaltend, wild mit dem Schweife peitschend, über die Leiche eines besiegten Griechenjünglings hinweg. Oder er würgt ihn am Halse in eherner Umklammrung, presst den Schenkel des Feinds mit den Vorderbeinen zusammen und bearbeitet seinen Rücken mit einem Baumast. Und so weiter, in reichem Wechsel.
Der Wechsel erstreckt sich aber auch auf den Stil dieser Hochreliefs. Es kann mit Sicherheit hier eine altertümliche, härtere Weise von einer jüngeren, freieren unterschieden werden, was zu Verwunderung weiter keinen Anlass giebt, wenn man bedenkt, dass Phidias, um die Bildwerke am Parthenon in verhältnismässig kurzer Frist herstellen zu können, auch Künstler älterer Richtung in seine Werkstatt auf der Akropolis mit aufnehmen musste.