Mark Twain
Meine Reise um die Welt – Zweite Abteilung
Mark Twain

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Zehntes Kapitel.

Er hatte viel mit Aerzten zu tun gehabt und sagte: Es gibt nur ein Mittel, um gesund zu bleiben, man muß essen, was einem nicht schmeckt, trinken, was man nicht mag, und tun, was man lieber bleiben ließe.

    Querkopf Wilsons Kalender.

Es war eine lange Reise, zwei Nächte und anderthalb Tage von Bombay ostwärts nach Allahabad, aber sehr interessant und nicht ermüdend. Das heißt, zuerst fühlte ich mich höchst unbehaglich, aber daran waren die ›Pyjamas‹ schuld. Dieser lästige Nachtanzug besteht aus Jacke und Beinkleidern; er ist entweder von Seide oder aus einem rauhen, kratzigen, dünnen Wollstoff, der einem die Haut reibt wie Sandpapier. Die Hosen haben Elefantenbeine und eine Elefantentaille, keine Knöpfe am Bund, sondern eine Schnur, um die überflüssige Weite zusammenzuziehen; die lose Jacke wird vorn zugeknöpft. In einer warmen Nacht sind einem die Pyjamas zu heiß, und man friert darin, wenn die Nacht kalt ist. Ich wollte nicht gegen die Sitte verstoßen und versuchte es mit dem Kleidungsstück, aber es war mir unerträglich, ich mußte es wieder ablegen. Der Unterschied zwischen Tag- und Nachtanzug ist nicht groß genug. In einem Nachthemd fühlt man sich wohlig und erfrischt, von beengendem Zwang erlöst, frei und ungebunden. Statt dessen hatte ich die erstickende, bedrückende, aufreibende und quälende Empfindung, angekleidet im Bette zu liegen. Während der warmen Hälfte der Nacht bekam ich von der rauhen Wolle ein solches Jucken auf der Haut, daß ich wie gekocht und im Fieber dalag; verfiel ich auf kurze Zeit in Schlaf, so peinigten mich Träume, wie die Verdammten sie haben mögen – oder haben sollten. In der kalten Hälfte der Nacht fand ich aber keine Zeit zum Schlafen, weil ich genug damit zu tun hatte, mir wollene Decken zu stehlen. Aber was nützen wollene Decken unter solchen Umständen? Je mehr man aufeinander häuft, um so fester korkt man die Kälte ein, daß sie nicht heraus kann. Die Beine werden einem zu Eisklumpen und man weiß genau, wie es sein wird, wenn man eines Tages im Grabe liegt. Sobald ich einen Augenblick zu Verstande kam, entledigte ich mich der Pyjamas und genoß mein Leben fortan auf vernünftige und behagliche Weise.

Der Tag fängt auf dem Lande in Indien früh an. Endlos dehnt sich die vollkommen flache Ebene im grauen Dämmerlicht nach allen Seiten aus. Schmale, festgetretene Fußpfade durchziehen sie überall; nur von Zeit zu Zeit ragt auf der ungeheuern Fläche eine Gruppe gespenstischer Bäume empor, zum Zeichen, daß da ein Dorf liegt. Auf den Pfaden sieht man allenthalben braune, hagere, nackte Männergestalten und schlanke Frauen, die an ihr Tagewerk eilen; die Frauen mit kupfernen Wassergefäßen auf dem Kopf, die Männer mit der Hacke in der Hand. Uebrigens ist der Mann nicht ganz nackt, einen weißen Lappen hat er immer um; dies Lendentuch ist eine Art Binde, ein weißer Strich auf seiner braunen Person, wie der Silberbeschlag, der mitten um ein Pfeifenrohr läuft. Trägt er noch einen luftigen, bauschigen Turban, dann ist das der zweite Strich. »Ein Mensch, dessen Kleidung aus einem Turban und einem Taschentuch besteht,« so beschreibt Miß Gordon Cumming sehr richtig den Eingeborenen.

Den ganzen Tag lang fährt man durch die einförmige, staubfarbene Ebene, an den verstreuten Baumgruppen und den Lehmhütten der Dörfer vorbei. Daß Indien nicht überall schön ist, läßt sich nicht leugnen, und doch übt es einen unwiderstehlich bestrickenden Zauber aus. Woher das kommt ist schwer zu sagen; man hat nur das unbestimmte Gefühl, daß es der uralte, geschichtliche Boden ist, dem dieser Reiz entspringt. Die Wüsten Australiens und die starren Eisfelder Grönlands besitzen keine solche Macht über uns; wir sehen sie in ihrer ganzen Kahlheit und Häßlichkeit, weil sie keine ehrwürdige Geschichte haben, die uns von menschlichen Leiden und Freuden in längst vergangenen Jahrhunderten erzählt.

Auf der langen Fahrt bis Allahabad kamen wir nur an Dörfern vorbei, die innerhalb verfallener Mauern lagen. Ein solches indisches Dorf ist nicht schön; ein Teil der schmutzfarbenen Lehmhütten ist meist vom Regen verwittert, so daß sie vermoderten Ruinen gleichen. Auch Viehherden und Ungeziefer leben innerhalb der Mauern, wie mir scheint, denn ich sah dort Kühe und Ochsen ein- und ausgehen, und so oft ich einen der Dorfbewohner gewahrte, juckte er sich. Letzteres ist zwar nur ein Indizienbeweis, aber ich glaube, daß er schwerlich trügt.

Mich interessierten die indischen Dörfer, weil ich in Major Sleemans Büchern allerlei darüber gelesen hatte. Er schildert die Teilung der Arbeit, die unter der Bevölkerung herrscht. Der Grund und Boden Indiens, sagt er, bestehe aus lauter einzelnen Feldern, die zu den Dörfern gehören. Neun Zehntel der ganzen Einwohnerschaft sind Ackerbauer und wohnen in den Dörfern. Doch hält sich jedes Dorf auch gewisse bezahlte Arbeiter, Handwerker und andere Leute zum allgemeinen Dienst, deren Geschäft in der Familie bleibt und sich von Vater auf Sohn weiter erbt. Solche Berufsarten sind: Priester, Grobschmied, Zimmermann, Rechnungsführer, Waschmann, Korbflechter, Töpfer, Wächter, Barbier, Schuhmacher, Klempner, Zuckerbäcker, Weber, Färber u. a. m. Zu Sleemans Zeit gab es auch viele Hexen, und aus praktischen Gründen ließ niemand seine Tochter gern in eine Familie heiraten, zu der keine Hexe gehörte. Man brauchte ihre guten Dienste, um die Kinder vor dem Unheil zu schützen, das ihnen sonst die Hexen der Nachbarfamilien ohne Zweifel angetan hätten.

Der Beruf der Hebamme blieb stets in der Familie des Korbflechters. Seiner Frau gehörte das Amt, mochte sie etwas davon verstehen oder nicht. Ihre Einnahme war nicht so groß: für einen Knaben erhielt sie 25 Cents, und halb so viel für ein Mädchen. Die Geburt einer Tochter kam unerwünscht, wegen der furchtbaren Kosten, die sie mit der Zeit verursachen würde. Sobald sie alt genug war, um der Sitte gemäß Kleider tragen zu müssen, galt es für eine Schande, wenn die Familie sie nicht verheiratete. Den Vater brachte jedoch die Heirat der Tochter an den Bettelstab, denn er mußte, nach altem Herkommen, beim Hochzeitsgepränge und dem Festschmaus alles verausgaben, was er besaß und entlehnen konnte, so daß er vielleicht nie wieder imstande war, sich emporzuarbeiten.

Aus Furcht vor solchem unvermeidlichen Ruin tötete man in früherer Zeit viele Mädchen gleich nach der Geburt, bis England die grausame Sitte mit eiserner Strenge abschaffte. »Bei dem Spiel der Dorfkinder,« sagt Sleeman, »hörte man niemals Mädchenstimmen.« Schon aus dieser gelegentlichen Bemerkung läßt sich entnehmen, wie allgemein der Mädchenmord in Indien verbreitet war.

Das Hochzeitsgepränge besteht nach wie vor im Lande, weshalb auch noch hie und da neugeborene Mädchen umgebracht werden, aber ganz heimlich, weil die Regierung sehr wachsam ist und jede Uebertretung des Gesetzes mit strengen Strafen bedroht.

In einigen Teilen Indiens gibt es in den Dörfern noch drei besondere Angestellte. Erstens den Astrologen, der dem Bauer sagt, wann er säen und pflanzen, eine Reise machen oder ein Weib nehmen soll, wann er ein Kind erwürgen, einen Hund entlehnen, auf einen Baum steigen, eine Ratte fangen und seinen Nachbar betrügen darf, ohne die Rache des Himmels auf sein Haupt zu ziehen. Auch die Träume legt er ihm aus, falls der Mann nicht klug genug ist, sie sich selbst aus der Mahlzeit zu erklären, die er vor Schlafengehen zu sich genommen hat. Die beiden andern Angestellten sind der Tiger- und der Hagelbeschwörer. Ersterer hält die Tiger fern, wenn er kann, und bezieht auf alle Fälle sein Gehalt; letzterer beschützt das Dorf vor Hagelschlag oder gibt an, aus welchem Grund sein Geschäft mißlungen sei, und läßt sich denselben Lohn bezahlen, mag der Hagel kommen oder ausbleiben. Wer in Indien seinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann, muß wirklich auf den Kopf gefallen sein.

Auch die Gewerkvereine und der Boykott sind alte indische Einrichtungen. Es gibt eben nichts, was nicht dort seinen Ursprung hätte. »Die Straßenkehrer,« sagt Sleeman, »zählen zur niedrigsten Kaste; alle andern Kasten verachten sie und ihr Amt, aber sie selbst sind stolz darauf und dulden keine Eingriffe in ihr Monopol. Das Recht, in einem gewissen Stadtteil die Straßen zu kehren, gehört einem bestimmten Mitglied der Kaste an; wagt sich ein anderes Mitglied in diesen Bezirk, so wird es ausgestoßen – niemand darf mehr aus seiner Pfeife rauchen oder aus seinem Kruge trinken – der Missetäter kann die Wiederaufnahme in die Kaste nur dadurch erlangen, daß er für sämtliche Straßenkehrer ein Festmahl veranstaltet. Beleidigt ein Hausbesitzer den Straßenkehrer seines Bezirks, so bleibt aller Abfall und Kehricht solange bei ihm liegen, bis er den Mann wieder versöhnt hat, kein anderer Straßenkehrer getraut sich den Schmutz fortzuschaffen. Die Bürger der Städte müssen sich von diesen Leuten oft unglaublich viel gefallen lassen; ja die Tyrannei, welche die Innung der Straßenkehrer ausübt, ist noch heutigen Tages eins der größten Hindernisse aller sanitären Reformen in Indien. Zwingen kann man diese Menschen nicht, denn kein Hindu oder Muselmann würde ihre Arbeit verrichten, und sollte es ihm das Leben kosten; nicht einmal prügeln würde er den widerspenstigen Straßenkehrer, um sich nicht zu verunreinigen.«

Allahabad bedeutet die ›Stadt Gottes‹. Das Hindu-Viertel habe ich nicht gesehen; der englische Teil der Stadt hat schöne, breite Alleen und auf Raumersparnis ist gar keine Rücksicht genommen. Alle Einrichtungen lassen auf Luxus und Bequemlichkeit schließen; mir scheint, die Leute führen dort ein so heiteres, sorgloses Leben, wie man es nur bei einem guten Gewissen haben kann, wenn diesem ein genügendes Konto auf der Bank zur Seite steht.

Am Morgen nach unserer Ankunft in Allahabad stand ich in aller Frühe auf und ging auf der Veranda, die rings um das Haus läuft, an den schlafenden Dienern vorbei, die, bis über die Ohren in ihre wollenen Decken gewickelt, vor der Tür ihrer Herren lagen. Ich glaube, kein indischer Diener schläft jemals in einem Zimmer. Vor einer Tür sah ich einen Hindu kauern. Die gelben Schuhe seines Herrn waren geputzt und bereitgestellt; nun hatte er nichts mehr zu tun als zu warten, bis er gerufen würde. Es war bitter kalt, aber der Mensch blieb geduldig und regungslos wie ein Steinbild auf demselben Fleck. Ich konnte es kaum mit ansehen. Gern hätte ich zu ihm gesagt: »Stehe doch auf und mache dir Bewegung, um dich zu erwärmen, was hockst du da in der Eiseskälte, das verlangt niemand von dir.« Allein mir fehlten die Wörter. Die einzige Redensart, die mir einfiel war »Jeldy jow,« und was sie bedeutete, wußte ich nicht. So ging ich denn notgedrungen stumm vorbei, entschlossen, nicht mehr an den Menschen zu denken; aber seine nackten Beine und Füße kamen mir nicht aus dem Sinn und zwangen mich immer wieder, die Sonnenseite zu verlassen und bis zu dem Punkt zurückzugehen, wo ich ihn sehen konnte. Eine Stunde verging, ohne daß er seine Stellung auch nur im geringsten veränderte. Ob das Sanftmut und Geduld, Seelenstärke oder Gleichgültigkeit verriet, will ich nicht entscheiden; aber der Anblick quälte mich und verdarb mir den ganzen Morgen. Nach zwei Stunden riß ich mich endlich aus seiner Nähe los; mochte er sich nun allein weiter kasteien so viel er wollte. Bis dahin war er um keines Haares Breite von seinem Platz gewichen; ich sehe ihn noch immer deutlich vor mir und werde die Erinnerung wohl ewig mit mir herumtragen. Wenn ich von der Geduld und Ergebung der Inder bei ungerechter Behandlung, in Schmerz und Unglück lese, so steigt sein Bild vor mir auf. »Jeldy jow!« (mach daß du weiter kommst!) ruft man dem Inder in seiner Not seit ungezählten Jahrhunderten zu. Hätte ich es nur damals auch gesagt, es wäre gerade das Richtige gewesen; aber leider war mir, wie gesagt, die Bedeutung des Wortes entfallen.

Im Morgenlicht unternahmen wir eine lange zum Teil wunderschöne Fahrt nach der Festung. Der Weg führte unter hohen Bäumen an Häusergruppen und am Dorfbrunnen vorbei, wo man zu andern Tageszeiten malerische Scharen von Eingeborenen fortwährend lachend und schwatzend hin- und hergehen sieht. Diesmal trafen wir sie bei ihren Waschungen; die kräftigen Männer ließen das klare Wasser reichlich über die braunen Körper strömen, ein erfrischender Anblick, der meinen Neid erregte, denn die Sonne hatte sich schon an ihr Geschäft gemacht, den Tag über tüchtig in Indien einzuheizen. Viele Hindus nahmen ein solches Morgenbad; die Frühstückstunde nahte heran, und kein Hindu darf essen, ehe er die vorgeschriebene Waschung beendet hat.

Als wir in die heiße Ebene kamen, wimmelte es auf allen Pfaden von Wallfahrern und Wallfahrerinnen. Hinter der Festung, wo die heiligen Ströme Ganges und Jumna ineinander fließen, sollte eine der großen religiösen Messen Indiens gehalten werden. Eigentlich gibt es drei heilige Ströme; der dritte fließt zwar unter der Erde und niemand hat ihn gesehen, aber das schadet nichts, wenn man nur weiß, daß er da ist. Die Pilger stammten aus den verschiedensten Gegenden Indiens; einige waren monatelang unterwegs gewesen; arm, hungrig und abgemattet, waren sie bei Staub und Hitze geduldig weitergewandert, von unerschütterlichem Glauben und Vertrauen gestützt und aufrecht erhalten. Jetzt strahlten alle vor Glück und Zufriedenheit, denn bald winkte ihnen der reichste Lohn für ihre Mühsal. Sie sollten Läuterung von jeder Sünde und Unreinheit in dem heiligen Wasser finden, welches alles was es berührt, sogar Totes und Verwestes, rein machen kann. Wie wunderbar ist doch die Kraft eines Glaubens, welcher Alte und Schwache, Junge und Leidende treibt, ohne Zaudern und ohne Klage die unerhörten Anstrengungen einer solchen Reise, samt allen Entbehrungen, die sie mit sich bringt, geduldig auf sich zu nehmen! Ob es aus Furcht geschieht oder aus Liebe, weiß ich nicht, aber was auch immer der Beweggrund sein mag, die Sache selbst ist für uns kühle Verstandesmenschen vollkommen unbegreiflich. Nur wenige auserlesene Naturen unter den Weißen besäßen einen ähnlichen Opfermut; wir übrigen wissen genau, daß wir außerstande wären, uns dazu aufzuschwingen. Da wir aber alle die Selbstaufopferung gern im Munde führen, so darf ich hoffen, daß wir wenigstens groß genug denken, um sie bei dem Hindu würdigen zu können.

Jedes Jahr strömen zwei Millionen Eingeborene zu dieser Messe herbei. Wie viele die Reise antreten und unterwegs vor Alter, Mühsal, Krankheit und Mangel sterben, weiß niemand. Alle zwölf Jahre ist ein besonderes Gnadenjahr, und die Pilger kommen in noch größeren Massen gezogen, das ist schon seit undenklichen Zeiten so gewesen. Man sagt übrigens, daß es für den Ganges nur noch ein zwölftes Jahr geben wird, dann soll dieser heiligste aller Flüsse seine Kraft verlieren und erst nach Jahrhunderten werden die Pilger wieder zu seinen Ufern wallfahrten, wenn die Brahminen verkünden, daß er seine Heiligkeit wiedergewonnen hat. Was die Priester damit bezwecken, daß sie sich diese Goldmine verschließen, kann ich nicht sagen. Aber mir ist nicht bange, sie werden wohl wissen was sie tun. Ehe man sich's versieht, werden sie dem Volk der Inder eine Ueberraschung bereiten, welche beweist, daß sie ihren Vorteil nicht aus den Augen gelassen haben, als sie auf den Marktwert des Ganges verzichteten.

Wir begegneten vielen Eingeborenen, welche heiliges Wasser aus den Flüssen geholt hatten. Man bietet es in ganz Indien zum Verkauf aus, auch soll es oft bei Hochzeiten becherweise verteilt werden.

 

Die Festung ist ein ungeheueres, altes Gebäude und hat in religiöser Beziehung Erlebnisse der mannigfaltigsten Art zu verzeichnen. In dem großen Hof steht seit über zweitausend Jahren ein Monolith mit einer buddhistischen Inschrift. Vor dreihundert Jahren wurde die Festung von einem mohammedanischen Kaiser erbaut und nach dem Ritus seiner Religion eingeweiht; auch ein Hindutempel mit unterirdischen Gängen voller Heiligtümer und Götzenbilder befindet sich daselbst, und seitdem die Festung den Engländern gehört, besitzt sie eine christliche Kirche. So ist für das Seelenheil aller gesorgt.

Von den hohen Wällen schauten wir auf die heiligen Flüsse hinab, die sich an diesem Punkt vereinigen. Das Wasser des blaßgrauen Jumna sieht klar und rein aus, der schlammige Ganges aber ist trübe, gelb und schmutzig. Auf der schmalen, gebogenen Landzunge zwischen den Flüssen erhob sich eine Zeltstadt mit zahllosen, wehenden Wimpeln und großen Scharen von Pilgern. Man hatte Mühe, dorthin zu gelangen, aber interessant war es, sobald man unten ankam, wenn auch sehr unruhig. Eine ganze Welt bewegte sich dort in rastloser, lärmender Tätigkeit, teils mit religiösen, teils mit kaufmännischen Angelegenheiten beschäftigt. Die Mohammedaner fluchen und verkaufen, während die Hindus kaufen und beten, denn die Messe ist zugleich ein Jahrmarkt und ein religiöses Fest. Eine Unmenge von Leuten badete, betete und trank das heilige Wasser; kranke Pilger kamen von weither im Palankin, um durch ein Bad Heilung von ihrem Uebel zu finden oder an den gesegneten Ufern zu sterben und sicher in den Himmel zu kommen. Auch viele Fakirs waren da; sie hatten sich ganz mit Asche bestreut und ihr Haar mit Kuhdünger zusammengeklebt, denn die Kuh und alles was von ihr stammt ist heilig. Der gute Hindubauer malt oft die Wand seiner Hütte mit dem Dünger an oder formt daraus allerlei Figuren, mit denen er den Estrich des Fußbodens verziert. In den Zelten saßen auch ganze Familien beieinander, die schrecklich und wunderbar bemalt waren und nach ihrer Stellung und Gruppierung zu urteilen, die Angehörigen großer Gottheiten vorstellten. Ein heiliger Mann saß dort schon Wochen lang nackt auf spitzen Eisenstäben und schien sich gar nichts daraus zu machen. Ein anderer Heiliger stand den ganzen Tag auf einem Fleck und hielt seine abgezehrten Arme regungslos in die Höhe; er soll das schon seit Jahren tun. Neben jedem dieser frommen Büßer lag ein Tuch am Boden, auf das milde Spenden gelegt wurden; selbst die ärmsten Leute gaben eine Kleinigkeit in der Hoffnung, das Opfer werde ihnen Segen bringen. Zuletzt kam noch eine Prozession nackter heiliger Männer singend vorbeigezogen – da riß ich mich los und ging meiner Wege.


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