Mark Twain
Leben auf dem Mississippi / Nach dem fernen Westen
Mark Twain

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Ich gehe in die Lehre.

Die vier Tage, welche wir auf dem Felsen bei Louisville festlagen, und einen oder den anderen sonstigen Aufenthalt mit eingerechnet, verscherzte der arme alte ›Paul Jones‹ mit der Fahrt von Cincinnati nach New-Orleans volle zwei Wochen. Das gab mir denn endlich doch eine Gelegenheit, mit einem der Steuermänner bekannt zu werden, der sich sogar endlich herbeiließ, mich die Handgriffe seines Rades und die Bewegungen seines Bootes zu lehren, und dadurch den Zauber, den das Flußleben auf mich ausübte, zu einem gewaltigeren als je zuvor machte.

Auch gab es mir Gelegenheit, die Bekanntschaft eines Jünglings zu machen, der im Zwischendeck fuhr und dadurch meine Teilnahme erregte. Er borgte mir mit Leichtigkeit sechs Dollars ab, unter dem Versprechen, am Tage nach unserer Landung auf das Boot zurückzukehren und das Geld zurückzuzahlen. Indessen – er muß gestorben sein oder die Sache vergessen haben, denn er kam nicht. Wahrscheinlich war das erstere der Fall, da er mir von seinen Eltern erzählt hatte, daß sie vermögend seien, und er nur deshalb im Zwischendeck fahre, weil es kühler sei.

In New-Orleans entdeckte ich sehr bald zwei Dinge. Erstens, daß es nicht sehr wahrscheinlich sei, daß ein Schiff vor zehn bis zwölf Jahren von dort nach der Mündung des Amazonenstromes segeln werde. Und zweitens, daß selbst, wenn ich so lange warten könnte, die neun oder zehn Dollars, die ich noch in der Tasche hatte, zur Ausführung eines so großartigen Unternehmens, wie ich es im Kopfe hatte, nicht hinreichen würden. Daraus ergab sich denn die Notwendigkeit für mich, auf eine neue Karriere zu sinnen. Ich unternahm eine regelrechte Belagerung meines Lotsen und hatte den Triumph, ihn nach drei Tagen kapitulieren zu sehen. Er verpflichtete sich, mich für eine von den ersten Verdiensten meiner künftigen Lotsenstellung zu bezahlende Summe von fünfhundert Dollars den »Mississippi von New-Orleans bis St. Louis hinauf zu lehren,« und ich stürzte mich in das geringfügige Wagnis, das darin bestand, zwölf- bis dreizehnhundert Meilen des großen Mississippistroms zu »lernen« mit der ganzen Selbstvertrauensseligkeit meiner Jahre. Hätte ich allen Ernstes eine Vorstellung von dem gehabt, was ich meinen Fähigkeiten zuzumuten im Begriff stand, ich würde sicherlich den Mut nicht gefunden haben, es auch nur anzufangen. Ich nahm einfach an, daß ein Lotse nichts weiter zu thun habe, als sein Boot im Strome zu halten, und da derselbe so breit war, hatte ich keine Ahnung davon, welch ein Kunststück das sei.

Wir gingen um vier Uhr nachmittags von New-Orleans ab, und bis acht Uhr war »unsere Wache«. Herr Bixby, mein Chef, richtete das Boot, lenkte es haarscharf längs den Achterenden der übrigen, am Quai liegenden Dampfer hin und sagte dann zu mir: »Da, nimm das Ruder und halte so dicht an den andern Booten vorbei, als gelte es, einen Apfel zu schälen.« Ich ergriff das Rad, aber das Herz schlug mir bis in den Hals hinauf. Es schien mir ein Ding der Unmöglichkeit, an den Schiffen so dicht vorbeizukommen, ohne einem jeden die Seitenwand einzudrücken. Ich hielt den Atem an und begann sofort aus dem Verderben herauszusteuern. Ich hütete mich wohlweislich, es auszusprechen, hatte aber doch meine eigene Ansicht, von einem Lotsen, der nichts Besseres zu thun wußte, als uns in eine solche Gefahr zu stürzen. In einer halben Minute hatte ich einen breiten Streifen rettenden Wassers zwischen dem ›Paul Jones‹ und die Schiffe am Ufer gebracht, – und nach Verlauf weiterer zehn Sekunden war ich mit Schimpf und Schande beiseite geschleudert, Herr Bixby aber steuerte unter einer wahren Sturzflut von Schmähungen, die er über mich ausströmte, aufs neue in das Unheil zurück. Ich war aufs tödlichste verletzt, ohne jedoch mich gleichzeitig der höchsten Bewunderung enthalten zu können, wie Herr B. an dem Rade hin- und hertanzte und mit uns so dicht an den anderen Booten hinschoß, daß das Verderben jeden Augenblick unvermeidlich schien. Nachdem er sich ein wenig abgekühlt hatte, erklärte er mir, daß das ruhige Fahrwasser sich längs des Ufers, die Strömung hingegen weiter draußen befände, und daß wir aus diesem Grunde stromaufwärts am Ufer hinhalten müßten, um uns ersteres zu nutze zu machen, stromabwärts aber ihm fern zu bleiben hätten, um die Vorteile der letzteren für uns zu haben. Sofort beschloß ich bei mir, mich damit zu begnügen, ein Stromablotse zu werden und das Stromaufhandwerk solchen über die gewöhnliche Menschenweisheit hinaus gescheiten Leuten, wie Herrn B., zu überlassen.

Hier und da lenkte Herr Bixby meine Aufmerksamkeit auf gewisse Dinge. So z. B.: »Das ist die Sechsmeilenspitze!« Ich stimmte ihm zu. Es war ganz hübsch, in dieser Weise belehrt zu werden, aber ich sah nicht ein, was dabei herauskommen sollte. Weiterhin hieß es: »Das ist die Neunmeilenspitze!« Noch weiterhin: »Und das ist die Zwölfmeilenspitze!« Ich hatte wirklich keine Ahnung, daß diese Landvorsprünge irgendwie Gegenstände des Interesses für mich seien. Sie lagen fast alle in derselben Höhe mit dem Wasserspiegel, und einer sah genau wie der andere aus. Zudem waren sie von unmalerischster Eintönigkeit. Ich hoffte ernstlich, Herr B. würde nun bald ein anderes Gesprächsthema aufgreifen. Aber nein. Er steuerte, ganz hart ans Ufer haltend, um eine dieser Landspitzen herum und sagte: »Hier hört das tote Wasser auf, gerade oberhalb jener Gruppe von Chinabäumen. Jetzt gehen wir querüber.«

Zwei- oder dreimal übergab er mir auch wieder das Rad. Aber ich hatte kein Glück. Bald kam ich nahe daran, auf ein ins Wasser hineinreichendes Zuckerfeld aufzufahren, bald hielt ich zu weit vom Ufer ab. Und so fiel ich immer wieder in Ungnade und hatte für ein paar Minuten die bekannte Sturzflut von Scheltworten aufs neue über mich ergehen zu lassen.

Endlich war die erste Wache beendet. Wir nahmen unser Abendbrot und gingen zur Ruhe. Um Mitternacht fiel mir plötzlich der grelle Schein einer Laterne ins Gesicht, und der Nachtwächter des Boots rief:

»Auf – hinaus an Deck!«

Damit verschwand er. Ich war außer stande, mir dieses seltsame Vorgehen zu erklären. Da ich aber vorderhand keine Neigung verspürte, weiter darüber nachzudenken, wandte ich mich um und begann weiterzuschlafen. Aber schon war auch der Nachtwächter wieder da und zwar war er diesmal grob. Mich verdroß das, und ich sagte:

»Wer heißt euch hier mitten in der Nacht herumstöbern und andere stören? Es ist ja gerade als sollte ich heute nicht mehr zum Einschlafen kommen!«

Der Mann sagte:

»Na, das ist heiter – das muß ich sagen!«

In diesem Augenblick kam die abgelöste Wachmannschaft herein und ich hörte, wie sie unter rohem Gelächter verschiedene Bemerkungen machten, wie die folgenden: »Hallo, Wächter, ist das neue ›Steuermännchen‹ noch nicht heraus? Ein zarter Junge, nicht? Gebt ihm ein Stück Zucker in einem Sauglappen und ruft das Stubenmädchen, um ihn einzusingen.«

In diesem Augenblick erschien Herr B. auf der Szene. Eine Minute später aber klimmte ich bereits die steilen Stufen zum Steuermannshäuschen empor, die eine Hälfte meiner Kleider auf dem Leibe, die andere über dem Arm, Herr B. folgte mir auf den Fersen und machte seine Glossen. Das war wirklich neu für mich – so mitten in der Nacht heraus und an die Arbeit zu müssen! Es war das eine jener Einzelheiten im Lotsenleben, an die ich noch nie gedacht hatte. Ich wußte wohl, daß die Boote die ganze Nacht hindurch gingen, aber es war mir nie beigefallen, daß ein menschliches Wesen seinem warmen Bette entrissen werden müßte, um sie zu steuern. Eine trübe Ahnung überkam mich, daß der Steuermannsberuf doch nicht ganz so romantisch sei, wie ich geträumt hatte; wenigstens war in der neuesten Phase desselben, die sich mir da eben enthüllte, etwas verzweifelt Reales.

Es war eine äußerst dunkle Nacht, wiewohl eine beträchtliche Anzahl Sterne am Himmel stand. Der zweite Steuermann war gerade am Rade. Er hielt auf einen bestimmten Stern zu, und das Boot schoß mitten im Strom dahin. Wiewohl keines der Ufer weiter als eine Meile von uns entfernt war, schienen doch beide in entlegene Ferne entrückt, ganz unbestimmt, kaum erkennbar. Der zweite Steuermann sagte:

»Wir müssen an Jones Plantage anlegen, Herr.«

Sofort regte sich triumphierend auch der Geist der Verneinung in mir. Ich sagte bei mir selbst: »Viel Glück zu diesem Unternehmen, Herr B., Sie werden einige Zeit brauchen, um Jones Plantage in einer Nacht, wie diese, zu finden. Und ich hoffe, Sie werden sie überhaupt nicht finden, wenigstens in diesem Leben nicht!«

In diesem Augenblick fragte Herr B. den zweiten Steuermann, den er eben ablöste:

»Am unteren oder oberen Ende der Plantage?«

»Am oberen!«

»Wird unmöglich sein. Es sind Baumstümpfe dort, die, wie der Fluß eben steht, außerhalb des Wassers sind. Die Entfernung bis zum unteren Ende ist nicht groß; er muß zufrieden sein, wenn wir dort halten.«

»Ganz wohl. Wenn es Jones nicht paßt, soll er sehen, wie er zurechtkommt.«

Und der zweite Steuermann ging. Meine Schadenfreude verrauchte, und statt ihrer ergriff Bewunderung meine Seele. Da stand ein Mann vor mir, der sich nicht nur anheischig machte eine bestimmte Plantage in solch einer Nacht aufzusuchen, sondern auch das obere oder untere Ende derselben, wie man eben beliebte. Es juckte mich förmlich, eine Frage zu thun, da ich aber bereits genug kurze Antworten eingeheimst hatte, um meine Schlafkabine damit vollzustauen, schwieg ich lieber. Die Frage, welche ich so gerne an Herrn B. gerichtet hätte, war einfach die: ob er wirklich so närrisch sei, um sich allen Ernstes einzubilden, diese Plantage in einer Nacht, in der eine Plantage ganz genau wie die andere aussieht, ausfindig zu machen? Aber wie gesagt, ich schwieg, wie ich denn überhaupt in jenen Tagen in Bezug auf das, was klug war, einen trefflichen Instinkt entwickelte.

Herr B. steuerte gegen das Ufer und strich an demselben hin, als wäre es helles Tageslicht. Und dazu sang er ganz ruhig:

»Vater im Himmel, der Tag geht zur Rüste!« u. s. w.

Es blieb mir kein Zweifel, ich hatte mein Leben in die Hände eines wahren Ausbunds von Gewissenlosigkeit gelegt. Eben als mir dies klar zu werden begann, wandte er sich nach mir um und fragte:

»Wie heißt die erste Landspitze oberhalb New-Orleans?«

Erfreulicherweise konnte ich die Frage ohne Besinnen beantworten, und ich that es. Ich sagte, ich wüßte es nicht.

»Weißt es nicht?«

Die Art, in der dies ›nicht‹ betont wurde, empörte mich. Aber wie schnell ich meine Fassung auch wiedergewann, – ich wußte doch nichts anderes zu sagen, als ich zuvor gesagt hatte.

»Schön so, – du bist mir der Rechte!« entgegnete Herr B.

»Wie heißt denn die nächste Spitze?«

Wieder wußte ich es nicht.

»Das geht denn doch über alles und jedes. So sage mir den Namen von irgend einem der Punkte, welche ich dir genannt.«

Ich sann eine Weile nach und war endlich in der Lage, zu versichern, daß ich keinen einzigen wüßte.

»Gieb acht, – wo gingen wir oberhalb der Zwölf-Meilen-Spitze quer über den Fluß?«

»Ich – ich – weiß es nicht.«

»Du – du – weißt es nicht –?« spottete Herr B. mir nach. »Was weißt du denn?«

»Ich, – ich? Nichts – mit Bestimmtheit.«

»Beim Geist des großen Propheten, ich glaube dir. Du bist der ärgste Strohkopf, der mir je vorgekommen ist, oder wovon ich je gehört habe. Die Idee, aus dir einen Lotsen zu machen, – aus dir! Du hast ja nicht Grütze genug, eine alte Kuh eine Straße hinunterzusteuern.«

Und immer höher schlug sein Unwille empor. Er war ein nervöser Mann, und sprang von einer Seite des Rades auf die andere, als ob der Fußboden glühend sei; dann kochte er eine Weile für sich allein, um gleich darauf wieder überzulaufen und mich mit seinem Grimme zu verbrühen.

»Gieb acht, – warum glaubst du, daß ich dir die Namen von den Spitzen und Punkten da eigentlich genannt habe?«

Ich dachte zitternd einen Moment nach, und dann ließ ich mich vom Teufel der Versuchung packen und sagte:

»Nun, zur – zur Unterhaltung, dachte ich.«

Das war denn freilich ein rotes Tuch für meinen Stier. Er raste und tobte derartig – wir kreuzten gerade den Fluß – daß es ihn ganz blind machte, denn er rannte mit dem Boot über das Steuerruder eines stromabwärts gehenden Getreidekahnes hinweg. Natürlich schickte die Bemannung des Kahnes einen Hagel siedend heißer Flüche zu uns herüber. Herrn B. war das gerade recht; denn voll von Gift und Galle, war er froh, Menschenkinder zu finden, die ihm Rede und Antwort standen. Er riß ein Fenster des Steuerhäuschens auf und streckte den Kopf hinaus. Und dann erfolgte ein solcher Ausbruch, wie ich ihn nie vorher erlebt hatte. Je weiter sich die beiden Fahrzeuge voneinander entfernten, um so höher wurde Herrn B.'s Stimme, um so wuchtiger fielen die Beinamen, mit denen er die Enteilenden belegte. Als er endlich das Fenster schloß, war sein Vorrat vollkommen erschöpft. Wenn man ihn durch ein Haarsieb hätte sieben können, würde man nicht so viel lästerliche Reden gefunden haben, um eine fromme Frau damit zu erschrecken. Und so kam es denn, daß seine Rede durchaus menschlich und liebreich klang, als er sich plötzlich mit den Worten zu mir wendete:

»Mein Junge, du mußt dir ein kleines Memorandumbuch anlegen und darin alles, was ich dir erkläre, sogleich aufzeichnen.

»Es giebt nur ein Mittel, ein guter Steuermann zu werden, und das ist: den ganzen Strom auswendig zu lernen. Du mußt ihn ebenso genau kennen, wie dein ABC.«

Das war denn eine nicht wenig unheimliche Eröffnung für mich! Mein Gedächtnis war nie mit etwas anderem geladen gewesen, als mit leeren Patronen. Trotzdem hielt meine Entmutigung nicht lange an – ich war so sehr überzeugt, daß Herr B. in der zwanglosesten Weise übertrieb, daß mir die Überzeugung unwillkürlich Nachsicht mit ihm auferlegte. Auf einmal zog er an dem Strick der großen Glocke und läutete einigemal. Die Sterne waren verschwunden, und die Nacht war schwarz wie Tinte. Ich konnte deutlich hören, wie die Schaufelräder am Lande hinstrichen, war jedoch keineswegs sicher, ob ich das Ufer sah. Die Stimme des unsichtbaren Wächters auf dem Oberdeck rief:

»Was ist dies, Herr?«

»Jones Plantage!«

Ich bedauerte innerlich auf das tiefste, nicht eine Wette anbieten zu können, daß dies nicht Jones Plantage sei. Aber ich muckste nicht. Ich wartete einfach ab. Herr B. zog die zum Maschinenraum führende Glockenleitung, und im nächsten Moment stieß das Bug des Schiffes an das Land. Eine Fackel leuchtete auf dem Vorderdecke auf, – ein Mann sprang auf das Ufer hinüber, – die Stimme eines Negers klang ihm dort entgegen: »Geben Sie mir die Reisetasche, Massa Jones,« – und in der nächsten Minute befanden wir uns feierlich und stattlich wieder mitten im offenen Fahrwasser. Eine Weile dachte ich ernstlich nach, dann sagte ich – natürlich nicht laut –: »Wenn es je einen glücklichen Zufall gegeben, so war es dieses Auffinden von Jones Plantage. Hundert Jahre mögen vergehen, ehe sich wieder etwas Ähnliches ereignet!« Und nicht genug, daß ich dies bei mir selbst sagte, – ich war auch durchdrungen davon, daß es nur ein Zufall gewesen.

Nach und nach waren wir sieben- bis achthundert Meilen den Fluß hinaufgekommen. Allem zum Trotz hatte ich es allmählich doch gelernt, ein erträglicher Tages-Steuermann zu sein, und ehe wir St. Louis erreichten, sogar in der Nachtarbeit einige Fortschritte gemacht. Ich besaß ein Notizbuch, welches in der gediegensten Weise von allerlei Namen von Städten, Landspitzen, Punkten, Sandbänken, Inseln, Buchten, Krümmungen u. s. w. u. s. w. starrte. Aber diese wichtigen Informationen waren alle nur in dem Notizbuch zu finden, – in meinem Kopfe hätte man vergebens danach gesucht. Auch machte es mir nicht geringen Kummer, bloß die Hälfte des Flusses in meinem Buch zu wissen, denn da unsere Wache jedesmal nur vier Stunden währte, denen eine ebenso lange Pause folgte, so gähnte mir in meinen Aufzeichnungen eine ununterbrochene Kette von Vier-Stunden-Lücken entgegen, die ich vom Beginn der Reise an verschlafen hatte.

In St. Louis übernahm mein Chef die Lotsenstelle auf einem der größten New-Orleans-Dampfer. Ich packte meine kleine Handtasche und folgte ihm. Das neue Boot war die Pracht selbst. Als ich zuerst in dem Steuermannshäuschen stand, befand ich mich so hoch über dem Wasserspiegel, daß ich mich auf die Spitze eines Berges versetzt wähnte, und die Verdecke dehnten sich unter mir so weit nach allen Richtungen hin, daß ich es gar nicht mehr begreifen konnte, wie ich am alten ›Paul Jones‹ jemals Gefallen zu finden vermochte. Alles war anders. Das Steuerhäuschen des ›Paul Jones‹ war eine armselige, lumpige Rattenfalle, in der man die Ellenbogen nicht regen konnte. Hier hatten wir einen schimmernden Glastempel, geräumig genug, um darin zu tanzen, mit rotgemalten und vergoldeten Fensterrahmen, einem üppigen Sofa, ledernen Polstern und einem gastfreundlichen großen Ofen für den Winter. Das sah denn doch nach etwas aus, – und aufs neue wuchs mir der Mut, den Lotsenberuf allen bisherigen Erfahrungen zum Trotz für etwas Romantisches zu halten. Kaum hatten wir unsere Fahrt angetreten, so begann ich auch das ganze große Fahrzeug zu durchstreichen und mich förmlich vor Freude zu berauschen. Alles war neu und sauber wie ein Putzzimmer. Wenn ich den langen, reich mit Vergoldungen gezierten Hauptsalon entlang sah, so meinte ich durch einen schimmernden Tunnel zu blicken. Jede Kajütenthür war von der Hand irgend eines hochbegabten Künstlers bemalt. Überall blitzten die Kristall-Prismen von Arm- und Kronleuchtern. Der Schreibtisch des Buchhalters war ein Schmuckkästchen, der Schenktisch prachtvoll, und der Kellner mit großem Aufwand frisiert und herausgeputzt worden. Das Kesseldeck, d. h. die zweite Etage des Bootes, erschien mir geräumig wie eine Kirche. Ebenso das Vordeck. Und wir hatten nicht bloß eine Handvoll Mannschaft, sondern ein ganzes Bataillon Matrosen, Heizer, Deckarbeiter und sonstiger Angestellten. Die Feuer strahlten rotglühend aus einer langen Reihe von Heizflächen her, und über ihnen erhoben sich acht mächtige Kessel. Es war eine unsägliche Großartigkeit. Die riesigen Maschinen, – doch genug! Ich hatte mich nie vorher so gehoben gefühlt! Und als ich schließlich gar noch die Entdeckung machte, daß die sauber gekleidete Schiffsdienerschaft mich in respektvoller Weise per ›Sir‹ behandelte, da fühlte ich mich auf dem Gipfel aller Genugthuung!


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