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Unser verehrter Freund, Herr John William Bloke aus Virgina-City, trat gestern abend spät in unser Bureau ein, wo ich als zweiter Redakteur tätig war. Sein Gesicht war schmerzentstellt. Mit dem Ausdruck herzzerreißenden Jammers, unter schweren Seufzern legte er das nachfolgende ›Eingesandt‹ auf das Pult und wandte sich mit abgemessenem Schritt dem Ausgang zu. An der Tür hielt er inne, schien mit Gewalt seine Gefühle zu bemeistern, nickte dann nach seinem Manuskript hin und hauchte, in Tränen ausbrechend, mit zitternder Stimme die Worte:
»Einer meiner Freunde! ach, entsetzlich!«
Sein Kummer rührte mich so sehr, daß ich ganz vergaß ihn zurückzurufen, um ihm Trost zuzusprechen, bis er fort und es zu spät war. Das Blatt befand sich schon in der Presse, aber da ich wußte, daß unser Freund der Veröffentlichung seiner Mitteilung große Wichtigkeit beilegte und hoffte, es würde seinem kummervollen Herzen einen traurigen Genuß bereiten, dasselbe im Druck vor Augen zu haben, ließ ich sofort die Maschine anhalten und den Artikel in unsere Spalten einfügen.
»Entsetzlicher Unglücksfall,
Gestern abend 6 Uhr, als Herr William Schuyler, ein alter, ehrenhafter Bürger aus South-Park, seine Wohnung verließ, um sich in die untere Stadt zu begeben, wie es seit Jahren seine Gewohnheit ist, von der er nur im Frühling 1850 für kurze Zeit eine Ausnahme machte, als er genötigt war, wegen einer Verletzung das Bett zu hüten, die er sich bei dem Versuch zugezogen, ein durchgegangenes Pferd aufzuhalten, indem er kopfloserweise mit heftigen Gebärden hinter ihm drein schrie, ein Verfahren, welches das Tier, selbst einen Augenblick früher, unfehlbar erschreckt statt aufgehalten haben würde, und das, obgleich für ihn unheilvoll genug, doch noch entsetzlicher gemacht wurde durch den Umstand, daß seine Schwiegermutter zur Stelle war und Augenzeugin des traurigen Ereignisses sein mußte, während sie doch möglicherweise, wenn auch nicht mit Sicherheit anzunehmen, ebensogut anderswo Umschau nach Unglücksfällen hätte halten können, was übrigens gar nicht in ihrer Natur lag, vielmehr gerade im Gegenteil, wie ihre eigene Mutter gesagt haben soll – Gott hab' sie selig, sie starb vor ungefähr drei Jahren im sechsundachtzigsten Jahr in der gewissen Hoffnung einer seligen Auferstehung, denn sie war eine christliche Frau, sozusagen ohne Falsch und ohne Vermögen, was dem großen Brand Anno 1849 zuzuschreiben ist, der ihr sämtliche Habe einäscherte. Aber so geht es im Leben! Diese schauervolle Begebenheit möge uns allen zur Warnung dienen und uns anspornen, so gut zu leben, daß wir, wenn es einst ans Sterben geht, wissen, was wir zu tun haben. Die Hand aufs Herz! Wir wollen von heute an aufrichtig und ernst danach streben, die verhängnisvolle Flasche zu meiden.
(Morgenausgabe der California.)«
Der Chefredakteur ist hier gewesen und hat einen wahren Höllenlärm vollführt. Er raufte sich das Haar, stieß die Möbel in alle Ecken und schimpfte auf mich, als wäre ich ein Taschendieb. Er sagte, jedesmal, wenn mir auch nur auf eine halbe Stunde die Redaktion des Blattes überlassen bliebe, ließe ich mich vom ersten besten Wickelkind oder Tollhäusler überlisten. Er besteht darauf, daß Herrn Blokes unseliger Artikel der tollste Mischmasch ohne Sinn und Verstand ist, aus dem der Leser nicht das geringste erfährt. Es sei ein Unsinn gewesen, deswegen den Satz zu ändern.
Das hat man davon, wenn man gutherzig ist. Wäre ich auch so ungefällig und teilnahmlos wie gewisse Leute, ich hätte Herrn Bloke einfach gesagt, zu so später Stunde würden keine Mitteilungen mehr angenommen. Aber nein! Sein tränenreicher Schmerz rührte mein weiches Gemüt und mit Freuden ergriff ich die Gelegenheit, seinen Kummer ein wenig zu lindern. Schnell einige Eingangszeilen zu dem Artikel geschrieben und fort damit in die Druckerei, ohne weiter zu untersuchen! Und was ernte ich für meine Guttat? Nichts als Scheltworte und allerliebste Ehrentitel.
Nun will ich aber doch den Artikel einmal selbst lesen und sehen, ob all der Spektakel begründet ist. Sollte es der Fall sein, dann wehe dem Verfasser!
Ich habe es gelesen und muß in der Tat gestehen, daß es zuerst etwas konfus erscheint. Aber ich probiere es noch einmal.
Ich habe es zum zweitenmal durchgegangen – es scheint verwirrter denn je.
Ich habe es nun fünfmal durchgelesen, aber ich will verdammt sein, wenn ich auch nur eine Silbe davon verstehe. Es verträgt keine nähere Untersuchung. Man kann keine Klarheit hineinbringen. Erfahren wir etwa, was aus William Schuyler geworden ist? Nur gerade unser Interesse für ihn wird geweckt – dann wird er fallen gelassen. Wer ist denn dieser William Schuyler überhaupt? In welchem Teil von South-Park lebt er eigentlich? Er verließ seine Wohnung um sechs Uhr – ist er aber auch in der unteren Stadt angekommen und ist ihm irgend etwas zugestoßen? Ist er es vielleicht, der mit dem ›entsetzlichen Unglücksfall‹ etwas zu tun hat? Wenn man den Wust von Einzelheiten in dem Artikel bedenkt, sollte man doch auch wirklich etwas mehr daraus erfahren können. Aber man erfährt nichts, es macht alles nur noch dunkler. War Herrn Schuylers Beinbruch vor fünfzehn Jahren der ›entsetzliche Unglücksfall‹, welcher Herrn Bloke in unaussprechlichen Jammer versetzte und ihn veranlaßte zur Nachtzeit hier anzurücken und den Betrieb zu stören, damit die Welt doch ja sogleich von dem interessanten Umstand in Kenntnis gesetzt würde? Oder bezieht sich der ›entsetzliche Unglücksfall‹ vielleicht auf die Mutter von Schuylers Schwiegermutter und ihr verlorenes Vermögen? Oder sollte ihr vor drei Jahren eingetretener Tod gemeint sein? (obgleich sich keine Andeutung findet, daß derselbe durch einen Unglücksfall herbeigeführt wurde). Um es kurz zu fassen: Worin bestand der ›entsetzliche Unglücksfall‹? Warum schrie der Eselskopf von Schuyler unter heftigen Gebärden hinter dem durchgebrannten Pferde her, wenn er es aufhalten wollte? Und wie zum Henker konnte er von einem Pferde umgeworfen werden, das schon an ihm vorbei war? Was sollen wir uns ›zur Warnung dienen lassen‹ und wie sollen wir uns aus diesem Schriftstück voll Unbegreiflichkeiten eine Lehre ziehen? Was kann vor allem die ›verhängnisvolle Flasche‹ damit zu tun haben? Es ist gar nicht gesagt, daß Schuyler ein Trunkenbold gewesen, oder daß seine Frau oder seine Schwiegermutter oder das Pferd sich dem Trunk ergeben hätten – wozu also die Erwähnung der ›verhängnisvollen Flasche‹? – Mir scheint fast, daß, wenn nur Herr Bloke selbst die ›verhängnisvolle Flasche‹ gemieden hätte, so würde er gar nicht in solche Aufregung über diesen widersinnigen eingebildeten Unglücksfall geraten sein. Ich habe dieses alberne ›Eingesandt‹ mit seinen scheinbaren Wahrscheinlichkeiten wieder und wieder gelesen, bis es mir ganz wirr im Kopfe war, und doch habe ich nichts herausgebracht. Es muß allerdings ein Unglücksfall irgend welcher Art stattgefunden haben, aber es ist unmöglich festzustellen, wen er betroffen hat oder was geschehen ist. So schwer es mir wird, es scheint mir Pflicht, zu verlangen, daß wenn Herrn Blokes Angehörige wieder etwas mit Unglücksfällen zu tun haben, er seinem Bericht jedenfalls einige aufklärende Notizen beifüge, damit man aus dem Unfall einigermaßen klug werden kann und erfährt, wer der Betroffene ist. Lieber würde ich schon seine sämtlichen Verwandten auf dem Totenbette sehen, als noch einmal bis an den Rand des Wahnsinns gebracht zu werden, in dem Bestreben, ein ähnliches Machwerk wie das obige zu entziffern.