Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Vor einiger Zeit ging durch die Zeitungen folgende Mitteilung:
»Die eigentliche ›Insel der Glückseligen‹ scheint die Pitcairnsinsel in den australischen Gewässern zu sein. Eine norwegische Barke hat diese Insel angelaufen und den Berichten des Barkenführers entnimmt der ›Daily Telegraph‹ folgendes: Solch ein Musterstaat ist vorher niemals bekannt gewesen. Die Gesetze desselben umfassen die kleinsten Dinge, und sind, was häusliche Angelegenheiten betrifft, geradezu mikroskopisch. Die Regierung komponiert die Hymnen für die Schulkinder, das Staatsoberhaupt entwirft nicht nur das Programm der täglichen Tänze, sondern spielt selber die Violine und geigt seinen Leuten die Tänze vor, mit denen sie jeden Werktag der Woche schließen.«
Das klingt so merkwürdig, daß einiges aus der Geschichte der Insel und ihrer Bewohner gewiß gern vernommen wird:
Vor ungefähr hundert Jahren brach auf dem englischen Schiffe ›Bounty‹ eine Meuterei der Mannschaft aus, der Kapitän und die Offiziere wurden den Wellen preisgegeben, während die Mannschaft im Besitze des Schiffes südwärts segelte. Sie landeten auf Tahiti, wo sie sich unter den Eingeborenen Frauen nahmen, begaben sich dann auf eine einsame Felseninsel, inmitten des Stillen Ozeans, die sogenannte Pitcairnsinsel, und machten das Schiff zum Wrack, indem sie alles zur Niederlassung brauchbare Material in und an dem Schiff auf das Eiland schafften. Pitcairns-Eiland liegt vom Weltverkehr so weit ab, daß nur selten Schiffe vorbeikommen. Man hatte die Insel für unbewohnt gehalten, bis im Jahre 1808 der Kapitän eines daselbst ankernden Schiffes zu seinem Erstaunen die Entdeckung der Insulaner machte. Die streitsüchtigen Meuterer hatten sich indessen gegenseitig bis auf zwei oder drei umgebracht, doch war bereits ein junger Nachwuchs vorhanden, so daß die Bevölkerung im Jahre 1808 27 Personen betrug. John Adams, der Rädelsführer, war noch am Leben: er war bis zu seinem 1879 erfolgten Tode der Beherrscher und Patriarch des Völkchens. Er war zu einem christlichen Lebenswandel übergegangen und sein Volk von 27 Köpfen bildete die frömmste und strengste Gemeinde der Christenheit. Adams hatte sich freiwillig unter den Schutz der englischen Flagge, die er aufhißte, begeben. Nach dem neuesten Zensus zählt die Bevölkerung 90 Personen: 16 Männer, 19 Frauen, 25 Knaben und 30 Mädchen, lauter Abkömmlinge der Meuterer. Sie sprechen nur die englische Sprache. Die Insel ragt wie Helgoland aus der See; sie ist dreiviertel Meilen lang und stellenweise bis zu einer halben Meile breit. Das Ackerland ist den verschiedenen Familien zugeteilt. Auch gibt es einen mannigfaltigen Viehstand: Ziegen, Schweine, Hühner und Katzen; aber keine Hunde oder sonst größere Tiere. Die Kirche auf Pitcairn ist zugleich Schule, Rathaus und Bibliothek. Das Staatsoberhaupt führt den Titel: ›Bürgermeister und Gouverneur, Untertan Ihrer Majestät der Königin von England‹. Dasselbe wird vom ganzen Volke gewählt; wahlberechtigt ist jeder Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts.
Die einzige Beschäftigung der Leute, als sie entdeckt wurden, bestand in Landwirtschaft und Fischfang; ihre einzige Zerstreuung im Gottesdienst. Es gab weder einen Kaufladen noch Geld auf der Insel. Gewohnheiten und Bekleidung der Insulaner waren ebenso einfach wie ihre Gesetze. Sie lebten dahin in einer tiefen Sabbatruhe, fern von der Welt, ihrem Ehrgeiz und ihrer Drangsal. Einmal alle drei bis vier Jahre landete ein Schiff, das die mittlerweile veralteten Neuigkeiten von blutigen Schlachten, verheerenden Epidemien und gestürzten Thronen brachte, sodann gegen Seife und Flanell einige Yamswurzeln und Brotfrucht eintauschte, und dann wieder fortsegelte, um die Insel für ein paar Jahre sich selbst zu überlassen.
Vor einigen Jahren besuchte der Admiral Horsey an der Spitze der englischen Flotte in den pazifischen Gewässern die Insel und erstattete darüber an das Parlament einen Bericht. In demselben heißt es:
»Die Insulaner pflanzen Bohnen, rote und weiße Rüben, Kohl und etwas Mais, Ananas, Feigen- und Orangen-, Zitronen- und Kokosnußbäume. Ihre Kleider erhalten sie gelegentlich von vorüberfahrenden Schiffen im Austausch gegen Nahrungsmittel. Die Insel hat kein eigenes Wasser, da es aber eine Regenperiode auf der Insel gibt, fehlt es nicht daran. Trunkenheit ist ein unbekanntes Laster. Die Bedürfnisse der Insulaner sind vornehmlich: Leinwand, Flanell, Halbstiefel, Kämme, Seife, Tabak; auch Landkarten und Schiefertafeln für ihre Schulen, sowie Werkzeuge jeder Art tauschen sie gerne ein. Ich ließ sie mit einer Flagge zum Aufhissen bei der Ankunft von Schiffen versehen, sowie mit einer Handsäge, deren sie sehr bedürftig waren. Dies wird, wie ich hoffe, die Billigung der Lords finden. Sobald das freigebige englische Volk von den Bedürfnissen dieser kleinen würdigen Kolonie erfährt, wird es gewiß bereit sein, denselben abzuhelfen.
Gottesdienst wird jeden Sonntag um 10½ Uhr vor- und 3 Uhr nachmittags in dem von John Adams gebauten Hause gehalten. Derselbe wird streng nach der Liturgie der Kirche von England von Mr. Simon Young, ihrem erwählten Pastor, der in hoher Achtung steht, begangen. Eine Bibelstunde wird jeden Mittwoch gehalten, wo alle, die abkommen können, zugegen sind. Auch ist eine allgemeine Gebetstunde am ersten Freitag jeden Monats. Familiengebete werden in jedem Haus als Erstes in der Frühe und Letztes des Abends gesprochen, und nie wird gespeist, ohne daß Gottes Segen vor- und nachher erbeten würde. Von den religiösen Eigenschaften dieser Insulaner kann man nur mit der größten Hochachtung sprechen. Ein Volk, das sich's zum größten Vergnügen und zur Pflicht macht, im Gebet mit seinem Gott vereinigt zu sein und das fröhlich, fleißig ist und freier von Lastern als irgend eine andere Gemeinde, bedarf kaum eines Priesters.«
In dem Bericht des Admirals findet sich zum Schluß die geringfügig erscheinende Bemerkung: »Ein Fremder, ein Amerikaner, hat sich unlängst auf der Insel niedergelassen – eine zweifelhafte Erwerbung.« Der Admiral hatte keine Ahnung, wie sehr er mit seiner kritischen Bemerkung recht hatte. An diesen Amerikaner knüpft sich die Geschichte einer großen Revolution auf der sonst so stillen und friedlichen Insel. Über dieses Ereignis liegt von dem amerikanischen Kapitän Ormsby, welcher vier Monate nach des englischen Admirals Besuch zufällig auf die Insel kam, ausführliche Kunde vor, die wir in Kürze wiedererzählen.
Der obenerwähnte amerikanische Eindringling hieß Butterworth Stavely. Derselbe begann damit, sich durch alle möglichen Pfiffe und Kniffe bei den Pitcairnern einzuschmeicheln. Er wurde bald sehr beliebt; zumal er alle seine weltlichen Gewohnheiten verließ und sich mit ganzer Inbrunst auf die Religion warf. Bald übertraf er alle in der Ausdauer und Inbrunst des Betens und Hymnensingens. Sobald er die Zeit für gekommen erachtete, begann er heimlich die Saat der Zwietracht zu streuen. Es war von Anfang an seine überlegte Absicht, die Regierung zu stürzen. Zu diesem Zweck bediente er sich der verschiedensten Mittel. Bei den einen erweckte er Unzufriedenheit, indem er auf die Kürze der Sonntagsfeier hinwies, und drei- anstatt der eingeführten zweistündigen Gottesdienste befürwortete. Die Anhänger dieser Meinung verbündeten sich in der Stille zu einer Partei, um für ihre Reform zu wirken. Den Frauen redete er ein, daß ihre Stimme nicht genügend in der Gebetstunde vertreten sei; so entstand eine zweite Partei. Keine Waffe war ihm zu gering. Selbst die Kinder zog er zu sich herüber, indem er in ihren jungen Herzen Unzufriedenheit erweckte, durch seine Entdeckung, daß sie nicht genug Sonntagsschule hätten. Das erzeugte eine dritte Partei.
Als Stavely solchermaßen vorgearbeitet, führte er einen Schlag gegen die oberste Magistratsperson, Yames Russel Nickroy, einen Mann von Charakter und Tüchtigkeit, einen der wohlhabendsten Bewohner und Besitzer des einzigen Fahrzeuges auf der Insel, eines Walfischbootes. Um zu erzählen, wie sich das begab, muß in der Geschichte der Insel zurückgegriffen werden.
Eines der wichtigsten Gesetze auf der Insel ist das gegen Eigentumsverletzung; es gilt als das Palladium der Volksfreiheit. Vor etwa dreißig Jahren kam ein wichtiger Fall, der unter dieses Gesetz fiel, vor das Gericht. Ein Hühnchen, das der Elisabeth Young (damals 58 Jahre alt, eine Tochter John Mills, eines der Meuterer der ›Bounty‹) gehörte, richtete auf dem Grundstück Henry Christians (29 Jahre alt, ein Enkel Fletcher Christians, eines der Meuterer) Unfug an. Christian tötete das Hühnchen.
Nach dem Gesetz war Christian berechtigt, indem er das tote Huhn zurückgab, Ersatz für den von demselben angerichteten Schaden zu beanspruchen. Christian tat das letztere und beanspruchte einen Scheffel Yamswurzeln als Entschädigung, was Fräulein Young zu viel war. Sie klagte und das Gericht setzte die Entschädigung auf einen halben Scheffel herab.
Christian appellierte dagegen. Der Prozeß ging darauf durch alle Instanzen. Endlich – im vorigen Sommer – nachdem der Prozeß zwanzig Jahre geschwebt – war der Streit vor das höchste Obergericht gelangt. Dasselbe bestätigte das ursprüngliche Urteil. Christian mußte sich nun zufrieden geben, aber Stavely raunte dessen Verteidiger ins Ohr, er solle – ›bloß der Form wegen‹ – verlangen, daß ihm das betreffende Gesetz, auf das sich das Urteil bezog, vorgezeigt werde, damit er sich von seiner Existenz überzeugen könne. Das Gericht ließ diesen seltsamen Einfall gelten. Ein Bote wurde in das Haus des Bürgermeisters geschickt, welcher bald darauf mit der Nachricht wiederkehrte, das Gesetz sei aus dem Staatsarchiv verschwunden. Der Gerichtshof mußte darauf seine Entscheidung für null und nichtig erklären. Das Publikum aber geriet in große Aufregung über den Verlust des Gesetzes, das seine wichtigsten Freiheitsrechte enthielt. Auf Stavelys Antrag erfolgte die Anklage des Bürgermeisters. Seine würdige Haltung und ruhige Beteuerung, daß er an dem Verlust unschuldig sei, indem er das Staatsarchiv stets in der nämlichen Zigarrenschachtel aufbewahrt habe und dasselbe weder verlegt noch zerstört habe, half ihm nichts. Er wurde abgesetzt und sein Vermögen eingezogen. Das Erbärmlichste an der Geschichte war, daß von seinen Feinden als Grund, warum er das Gesetz vernichtet habe, angegeben wurde, er habe dadurch Christian nützen wollen, weil er sein Vetter sei. Und doch gab es auf der Insel außer Stavely keinen Menschen, der nicht Christians Vetter gewesen wäre. Denn es läßt sich denken, daß die ganze Einwohnerschaft mit der Zeit durch Heiraten so miteinander verbunden wurde, daß nachgerade ein jeder in allen möglichen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den anderen stand.
Ein Fremder sagt z. B. zu einem der Insulaner: »Sie sprechen von jener jungen Frau als Ihrer Base; vor einer Weile nannten Sie sie Tante!« Er wird vielleicht darauf zur Antwort erhalten:
»Nun, sie ist meine Tante und auch meine Base; ferner ist sie meine Stiefschwester, meine Nichte, meine Base im 4., 23. und 32. Grad, meine Großtante, meine Großmutter, meine verwitwete Schwägerin, – und nächste Woche wird sie mein Weib werden!«
So war denn der Vorwurf des Nepotismus gegen den Angeklagten überaus schwach; aber schwach oder stark, er paßte in Stavelys Plan. Derselbe wurde alsbald an des Gestürzten Stelle zum Bürgermeister gewählt. Es regnete nun Reformen. Eine der ersten war, daß der zweite Sonntagvormittags-Gottesdienst, der sonst 35 bis 40 Minuten gedauert hatte und in welchem eine Fürbitte für jeden Weltteil, jede Nation und jeden Volksstamm eingelegt war, um eine Stunde verlängert und daß die Fürbitte auf alle erdenklichen Völker auf den verschiedenen Planeten ausgedehnt wurde. Die Neuerung gefiel allgemein und die Leute sagten sich: das sieht doch etwas gleich. Als Stavely das Verbot des Essens am Sonntag an die Stelle des bisherigen Verbots, an diesem Tage zu kochen, setzte, und die Sonntagsschule über den ganzen Sonntag dauern ließ, kannte der Jubel des Volkes keine Grenzen. Durch seine Neuerungen machte sich Stavely bald zum Abgott des Volkes.
Stavely wagte einen weiteren Schritt. Er begann unter der Hand die öffentliche Meinung gegen England aufzuwiegeln. Als er die Geister einzeln angeschürt, trat er öffentlich auf und erklärte, die Nation sei es ihrer Ehre und Vergangenheit schuldig, sich des drückenden englischen Joches zu entledigen. Darauf erwiderten einige besonnene Insulaner: »Wir fühlen den Druck nicht. Wie sollten wir? England sendet alle paar Jahre ein Schiff zu uns, das uns Seife und Tuch und was wir sonst brauchen, bringt, und läßt uns im übrigen in Ruhe.«
»Läßt uns in Ruhe?« entgegnete Stavely. »So haben Sklavenseelen jederzeit gefühlt und gesprochen. Solche Worte zeigen, wie tief ihr schon unter dem Druck der Tyrannei gesunken seid. Wie, hat euch aller Mannesstolz verlassen? Ist euch Freiheit nichts? Seid ihr zufrieden, immer nur ein Anhängsel an eine fremde und hassenswerte Macht zu sein, wo ihr doch berechtigt wäret, euern Platz unabhängig groß und frei in der erhabenen Familie der Nationen einzunehmen?«
Solche Reden verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Insulaner begannen das englische Joch zu fühlen; sie fühlten es, ohne zu wissen, wo und wie. Sie begannen zu klagen, zu murren, unter eingebildeten Ketten zu seufzen und sich nach Befreiung und Erleichterung zu sehnen. Ihre Abneigung gegen England wuchs. Während sie vordem auf dem Wege nach ihrem Kapitol freudig an dem englischen Banner hinaufsahen, schlugen sie jetzt die Augen vor dem Symbol ihrer Untertänigkeit nieder. Eines Morgens fand man die Flagge herabgerissen und in den Staub getreten. Niemand hißte sie wieder auf. Der Staatsstreich lag in der Luft. Nächtlicherweile kamen einmal einige Bürger zu Stavely. Es entspann sich folgende Unterhaltung:
»Wir können diese verhaßte Tyrannei nicht länger ertragen; wie entledigen wir uns derselben?«
»Durch einen coup d'état!«
»Was ist das?«
»Ein Staatsstreich, oder coup d'état ist so: Alles wird vorbereitet und zur verabredeten Stunde verkündige ich, als das Staatsoberhaupt, öffentlich und feierlich die Unabhängigkeit der Insel.«
»Das klingt einfach und leicht. Wir könnten das gleich tun. Womit sollen wir beginnen?«
»Bemächtigt euch aller Kriegsmittel und des öffentlichen Eigentums, veröffentlicht das Kriegsrecht, setzt die Armee und Marine auf Kriegsfuß und verkündigt das Kaisertum.«
Dieses schöne Programm blendete die Unerfahrenen. Sie sagten:
»Das ist groß – erhaben, aber wird England keinen Widerstand leisten?«
»Es mag! Dieser Felsen ist ein Gibraltar!«
»Richtig, aber wie ist's mit dem Kaisertum? Brauchen wir ein Kaiserreich und einen Kaiser?«
»Was ihr braucht, meine Freunde, das ist Einheit. Seht auf Deutschland, auf Italien. Sie sind geeinigt. Einigkeit tut not. Dieselbe verteuert zwar das Leben; aber das ist gleichbedeutend mit Fortschritt. Wir müssen ein stehendes Heer, eine Flotte haben. Daraus folgen selbstverständlich Steuern, aber diese sind nur Zeichen der Größe. Einig und groß, was wollt ihr mehr? Nur ein Kaisertum kann euch diese Wohltaten schaffen.«
So wurde am 8. Dezember Pitcairns-Eiland für ein freies und unabhängiges Reich erklärt und an demselben Tage fand unter großem Jubel und Festlichkeiten die Krönung von Butterworth I., Kaiser der Pitcairnsinsel statt.
Nie in der Geschichte der Insel war ein solches Schauspiel gesehen worden. Im Gänsemarsch zog das gesamte Volk – mit Ausnahme der kleinen Kinder – hinter dem Throne, auf welchem der Kaiser saß, mit Fahnen und Musik einher. Die Begeisterung kannte keine Grenzen.
Nun begannen unverzüglich die kaiserlichen Reformen. Adelsklassen wurden eingerichtet, ein Marineminister ernannt und das Walfischboot in Dienst gesetzt; ein Kriegsminister wurde berufen, mit dem Auftrag, sogleich zur Bildung eines stehenden Heeres zu schreiten. Ein erster Lord des Schatzes wurde ernannt und mit dem Entwurfe eines Steuerplanes betraut; zugleich sollte er Unterhandlungen eröffnen zum Abschluß von Schutz- und Trutzbündnissen, sowie von Handelsverträgen mit den fremden Mächten. Einige Generale und Admirale wurden eingesetzt, ebenso einige Kammerherren, Hofstallmeister und sonstige Hofchargen.
Damit aber war alles vorhandene Menschenmaterial verwendet. Der Kriegsminister, mit dem Titel ›Großherzog von Galiläa‹, beklagte sich, daß die sechzehn erwachsenen Männer des Reiches sämtlich hohe Ämter erhalten hätten und sich infolgedessen weigerten, in Reih' und Glied zu dienen; er sei deshalb in großer Verlegenheit betreffs seines stehenden Heeres. Der Marineminister, Marquis von Ararat, beklagte sich aus demselben Grunde; er erklärte sich bereit, das Walfischboot selbst zu steuern, müsse aber unbedingt Leute zum Rudern haben.
Der Kaiser tat das beste, was er in diesem Falle tun konnte: er nahm alle Knaben über zehn Jahre ihren Müttern weg und preßte sie zum Militärdienst, indem er so ein Korps von Gemeinen bildete, das von einem Generalleutnant und zwei Generalmajoren befehligt wurde. Das gefiel dem Kriegsminister, erregte aber die Feindseligkeit aller Mütter im ganzen Lande, welche sagten, ihre Lieblinge würden jetzt auf den Schlachtfeldern ein blutiges Grab finden.
Infolge der großen Spärlichkeit an lebendem Material trat die Notwendigkeit ein, daß der Herzog von Bethanien, der sonst Generalpostmeister war, in der Marine als Ruderer dienen und so hinter einem Adeligen niederen Ranges, dem Grafen Canaan, der zugleich die Stelle des Lordoberrichters begleitete, sitzen mußte. Das verwandelte den Herzog von Bethanien in einen offenen Unzufriedenen und in einen geheimen Verräter – was der Kaiser voraussah, aber nicht ändern konnte.
Die Dinge gestalteten sich schlimmer und schlimmer. Eines Tages machte der Kaiser Marie Peters zur Gräfin und heiratete sie, trotzdem ihm das Ministerium aus politischen Gründen entschieden geraten hatte, Emmeline, die älteste Tochter des Erzbischofs von Bethlehem, zu heiraten. Das rief in einem mächtigen Lager – dem der Kirche – große Unzufriedenheit hervor. Die neue Kaiserin verschaffte sich die Unterstützung und Freundschaft von zwei Dritteln der sechsunddreißig erwachsenen Frauen der Nation, indem sie dieselben als Ehrendamen an ihren Hof zog; aber damit machte sie sich die übrigen zwölfe zu Todfeindinnen. Die Familien der Ehrendamen begannen bald zu rebellieren, weil jetzt niemand daheim war, um das Hauswesen zu führen. Die zwölf hintangesetzten Damen weigerten sich, in die kaiserliche Küche als Mägde einzutreten; so war die Kaiserin gezwungen, die Gräfin von Jericho und andere große Hofdamen in Anspruch zu nehmen zum Wasserholen, Palastfegen und zur Verrichtung anderer niedriger Dienstleistungen. Auch das erregte wieder böses Blut.
Jedermann fing an sich zu beklagen, daß die zum Unterhalt des Heeres, der Marine und der kaiserlichen Hofhaltung auferlegten Steuern unerträglich drückend seien und die Nation an den Bettelstab brächten. Des Kaisers Antwort – »Blickt auf Deutschland, blickt auf Italien, was beklagt ihr euch? Alle großen Nationen haben für ihre Einigkeit Opfer gebracht!« – befriedigte sie nicht. Sie sagten: »Man kann die Einigkeit nicht essen, und wir verhungern. Der Ackerbau hat aufgehört; jedermann ist im Heere, in der Marine oder im Hofdienst, steht umher in einer Uniform, hat nichts zu tun, nichts zu essen, und niemand ist da, um die Felder zu bestellen.«
Als die Unzufriedenheit schon stark um sich gegriffen hatte, stellte sich im Staatshaushalt ein Defizit von mehr als 45 Dollar heraus; das machte einen halben Dollar auf den Kopf der Bevölkerung. Das Kabinett erörterte die Frage eines Anlehens. Auch von der Ausgabe von Schatzscheinen und Papiergeld, nach fünfzig Jahren in Yamswurzeln und Kohlköpfen einzulösen, war ernstlich die Rede.
Die Minister erklärten, die Löhnung der Armee, Marine und der Beamtenschaft sei bedeutend im Rückstand, und wenn nicht irgend etwas geschehe und zwar unverzüglich, so müsse der Staatsbankerott hereinbrechen und möglicherweise Aufstand und Revolution. Der Kaiser entschloß sich sogleich zu einer durchgreifenden, auf Pitcairns-Eiland bis jetzt unerhörten Maßregel. Er begab sich am Sonntag früh in feierlichem Aufzug zur Kirche, gefolgt von der ganzen Armee: dort befahl er dem Finanzminister, eine Sammlung vorzunehmen.
Das war die Feder, die das Kamel zusammenbrechen machte. Ein Bürger nach dem andern erhob sich und weigerte sich, diese unerhörte Gewalttätigkeit zu dulden – und jeder Weigerung folgte augenblicklich Konfiskation des Vermögens des Unzufriedenen. Dieses Verfahren machte den Weigerungen bald ein Ende, und die Sammlung nahm inmitten tiefen und ominösen Schweigens ihren Fortgang. Als der Kaiser mit den Truppen abzog, sagte er: »Ich werde euch zeigen, wer hier Meister ist.« Mehrere Personen riefen: »Nieder mit der Einigkeit!« Sie wurden sogleich festgenommen und vom Militär aus den Armen ihrer weinenden Angehörigen gerissen.
Mittlerweile aber hatte sich, wie jeder Prophet hätte voraussehen können, ein Sozialdemokrat entwickelt. Als der Kaiser vor der Kirchentür den vergoldeten kaiserlichen Schubkarren bestieg, schoß der Sozialdemokrat fünfzehn- oder sechzehnmal nach ihm – aber mit so merkwürdig sozialdemokratischer Unsicherheit im Ziel, daß er keinen Schaden anrichtete.
In der nämlichen Nacht folgte die Erschütterung. Die Nation erhob sich wie ein Mann – obgleich neunundvierzig der Revolutionäre vom andern Geschlecht waren. Die Infanterie warf ihre Mistgabel weg, die Artillerie ihre Kokosnüsse, die Marine empörte sich; der Kaiser wurde in seinem Palast ergriffen und an Händen und Füßen gebunden. Er war sehr niedergeschlagen und sagte:
»Ich befreite euch von der drückenden Tyrannei; ich erhob euch aus eurer Erniedrigung und machte euch zu einer Nation unter den Nationen; ich gab euch eine starke, festgefügte, zentralisierte Regierung; ich gab euch schließlich, was mehr ist, den Segen aller Segen – die Einigkeit. Ich habe das alles getan, und mein Lohn ist Haß, Schmach und diese Ketten. Da habt ihr mich; tut mit mir, was ihr wollt. Auf der Stelle entsage ich meiner Krone und allen meinen Würden, und gern entledige ich mich ihrer allzuschweren Bürde. Um euretwillen nahm ich sie an; um euretwillen lege ich sie nieder.«
Einstimmig verurteilte das Volk den Exkaiser und den Sozialdemokraten zu immerwährender Ausschließung vom Gottesdienst oder zu lebenslänglicher Zwangsarbeit als Galeerensklaven auf dem Walfischboot – sie konnten wählen. Am nächsten Tage versammelte die Nation sich abermals, hißte die britische Flagge wieder auf, setzte die britische Tyrannei wieder ein, erniedrigte die Adeligen wieder zu gemeinen Bürgern und richtete dann sogleich ihren Fleiß und ihre Aufmerksamkeit auf das Ausjäten der vernachlässigten Yamsfelder und auf die Wiederherstellung der alten nützlichen Gewerbe und der alten heilsamen und tröstlichen Frömmigkeit. Der Exkaiser gab das verloren geglaubte Gesetz gegen Eigentumsverletzung zurück und erklärte, er habe es gestohlen – nicht um jemanden zu schaden, sondern um seine politischen Ziele zu fördern. Daraufhin gab die Nation dem früheren Staatsoberhaupt sein Amt und auch sein konfisziertes Eigentum wieder zurück.
Nach reiflicher Überlegung zogen der Exkaiser und der Sozialdemokrat dauernde Ausschließung vom Gottesdienst der lebenslänglichen Arbeit als Galeerensklaven ›mit fortwährendem Gottesdienst‹, wie sie es nannten, vor, weshalb die Leute glaubten, daß die erlittene Angst den armen Teufeln den Verstand verwirrt hätte. Sie hielten es daher für geraten, dieselben vorläufig gefangen zu halten, was auch geschah.
Das ist die Geschichte von Pitcairns ›zweifelhafter Erwerbung‹.