Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das setzte am andern Morgen eine ordentliche Strafpredigt für mich von Miss Watson über meine schmutzigen Kleider! Die Witwe aber, die zankte gar nicht, sondern putzte nur den Schmutz und Lehm weg und sah so traurig dabei aus, daß ich dachte, ich wolle eine Weile brav sein, wenn ich's fertigbrächte. Dann nahm mich Miss Watson mit in ihr Zimmer und betete für mich, aber ich spürte nichts davon. Sie sagte mir, ich solle jeden Tag ordentlich beten, und um was ich bete, das bekäme ich. Das glaub ein anderer! Ich nicht. Ich hab's probiert, aber was kam dabei heraus! Einmal kriegte ich wohl eine Angelrute, aber keine Haken dazu, und ich betete und betete drei- oder viermal, aber die Haken kamen nicht. Da bat ich Miss Watson, es für mich zu tun, die wurde aber böse und schimpfte mich einen Narren. Warum weiß ich nicht, sie sagte es mir nicht, und ich selbst konnt's nicht herausfinden.
Ich hab' dann lange im Wald gesessen und darüber nachgedacht. Sag' ich zu mir selber: Wenn einer alles bekommen kann, um was er betet, warum bekommt dann der Nachbar Winn sein Geld nicht zurück, das er an seinen Schweinen verloren hat? Und die Witwe ihre silberne Schnupftabaksdose, die ihr gestohlen wurde? Und warum wird die dürre Miss Watson nicht dick? Nein, sag' ich zu mir, da ist nichts dran, das ist Dunst. Und ich ging zur Witwe und sagte ihr's, und die belehrte mich, man könne nur um geistliche Gaben beten! Da das viel zu hoch für mich war, so suchte sie mir's deutlich zu machen: Ich müsse brav und gut sein und den andern helfen, wo ich könne, und nicht an mich, sondern immer nur an die andern denken. Damit war auch Miss Watson gemeint, wie mir's schien. Ich ging hinaus in den Wald und überlegte mir die Sache noch einmal. Aber, meiner Seel', dabei kommt nur was für die andern heraus und gar nichts für mich, und so ließ ich denn das Denken sein und quälte mich nicht länger damit. Zuweilen nahm mich die Witwe vor und erzählte mir von der gütigen, milden Vorsehung, die's so gut mit dem Menschen meine und wie sie sich meiner in Gnaden erbarmen wolle, bis mir der Mund wässerte und die Augen naß wurden. Nachher kam wieder Miss Watson und ließ ihre Vorsehung donnern und blitzen, daß ich mich ordentlich duckte und den Kopf einzog. Es muß zwei Vorsehungen geben, dachte ich mir, und ein armer Kerl wie ich hat's sicher bei der Witwe ihrer besser, denn bei Miss Watson's ihrer ist er verloren. So dachte und dachte ich und nahm mir vor, zu der Witwe ihrer Vorsehung zu beten, wenn die sich überhaupt aus so einem armen, unwissenden und elenden Kerl, wie ich einer bin, etwas macht und sich nicht viel wohler befindet ohne mich.
Mein Alter war nun schon seit einem Jahre nicht mehr gesehen worden, was für mich nur eine Wohltat war; ich hatte wahrhaftig kein Heimweh nach ihm. Gewöhnlich walkte er mich durch, wenn er nüchtern war und mich erwischen konnte; ich versteckte mich deshalb meistens im Wald, sobald er wieder auftauchte. Eines Tages sagten die Leute, man habe meinen Vater im Flusse, etwas oberhalb der Stadt, ertrunken gefunden. Sie meinten wenigstens, er müsse es sein. Sie sagten, der Ertrunkene sei gerade so groß, so zerlumpt gewesen und habe so ungewöhnlich langes Haar gehabt, genau wie mein Alter, das Gesicht war nicht zu erkennen gewesen, es hatte zu lange im Wasser gelegen. Sie verscharrten ihn am Ufer, aber ich war nicht ruhig, glaubte nicht an den Tod des alten Mannes und dachte, der würde schon mal wieder irgendwo auftauchen, um mich zu quälen und zu hauen.
Wir spielten hie und da einmal Räuber, vielleicht einen Monat lang, und dann verzichtete ich auf das Vergnügen – die anderen auch. Wir hatten keinen einzigen Menschen beraubt, keinen getötet, sondern immer nur so getan. Wir sprangen aus dem Wald, und jagten Sautreibern nach oder hinter Frauen her, die Gemüse in Karren zum Markte führten, nahmen aber nie irgend etwas oder irgend jemand in unsre Höhle mit. Tom Sawyer nannte das Zeug, das auf den Karren lag, Goldbarren und Edelsteine und 's waren doch nur Rüben und Kartoffeln, und wir gingen dann zur Höhle zurück und nahmen den Mund voll und prahlten, was wir alles getan hätten, wieviel Kostbarkeiten geraubt und Leute getötet und Kreuze in die Brust geritzt. Aber allmählich fing die Sache an langweilig zu werden.
Eines Tages sandte Tom einen Jungen mit einem brennenden Kienspan, einem Feuerbrand, wie er es nannte, durch die Straßen der Stadt, das war das Zeichen für die Bande, sich zu versammeln. Als wir alle beieinander waren, teilte er uns mit, er habe gehört, daß anderntags ein ganzer Haufen spanischer Kaufleute und reicher Ah-raber, wie er sagte, samt zweihundert Elefanten und sechshundert Kamelen und über tausend Saumtieren – was das für Tiere waren, wußte er selber nicht –, alle schwer mit Diamanten beladen im Höhlen-Grunde lagern wollten. Da nur eine kleine Bewachung von vielleicht vierhundert Soldaten dabei sei, sollten wir uns in Hinterhalt legen, die Mannschaft töten und die Diamanten rauben. Er gebot uns unsere Schwerter zu wetzen, die Flinten zu laden und uns bereitzuhalten. Er konnte niemals auch nur hinter einem alten Rübenkarren hersetzen, ohne daß die Schwerter und Flinten, die doch nur Holzlatten und Besenstiele waren, mit dabei sein mußten. Ich für meinen Teil glaubte nun nicht, daß wir es mit einem solchen Haufen Spanier und Ah-raber aufnehmen könnten, hatte aber große Lust, die Kamele und Elefanten zu sehen. Ich stellte mich also am Sonnabend zur bestimmten Stunde ein und legte mich mit in Hinterhalt. Tom kommandierte und wir brachen los, stürmten aus dem Wald und rannten den Hügel hinunter. Mit den Spaniern, den Ah-rabern, Kamelen, Elefanten aber war's Essig. Nur eine Sonntags-Schulklasse hatte einen Ausflug gemacht und sich im Gras gelagert und noch dazu nichts als die allerkleinsten Mädchen. Wir jagten sie auf und rannten hinter den Kindern her, eroberten aber nur etwas Eingemachtes und ein paar Stückchen Kuchen, Ben griff nach einer Puppe und Joe nach einem Gesangbuch, aber als die Lehrerin kam, warfen wir die Sachen weg und rannten davon. Diamanten hatte ich ebensowenig gesehen und sagte das Tom auch. Es seien doch massenhaft dagewesen, erwiderte er, desgleichen Ah-raber und Kamele und alles. Warum haben wir's dann aber nicht gesehen? fragte ich. Er sagte, wenn ich kein solcher Dummkopf wäre und ein Buch gelesen hätte, das Domkuischote oder ähnlich hieß, so wüßte ich warum, ohne ihn zu fragen. Er sagte, es sei alles nur Zauberei gewesen. Es wären Hunderte von Soldaten und Elefanten und Schätze dort gewesen, aber wir hätten mächtige Feinde, Zauberer, die uns zum Trotz alles in eine Kleinkinder-Sonntagsschule verwandelt hätten. Darauf meinte ich, das sei alles ganz schön, dann wollten wir einmal ordentlich gegen die Zauberer losgehen. Tom Sawyer sagte, ich sei ein Esel.
»So ein Zauberer«, sagte er, »würde ein ganzes Heer von Geistern zur Hilfe rufen, und die würden dich in Stücke hauen, ehe du Amen sagen könntest. Die sind so groß wie Bäume und so dick wie Kirchtürme.«
»Gut«, sagte ich, »laß uns doch ein paar Geister nehmen, die uns helfen, dann wollen wir die andern schon zwingen.«
»Wie willst du sie denn bekommen?«
»Das weiß ich nicht. Wie kriegen die sie denn?«
»Die? Oh, ganz einfach. Die reiben eine alte Blechlampe oder einen eisernen Ring, und dann kommen die Geister angesaust mit Donner und Blitz und Rauch, und was man ihnen befiehlt, das tun sie. Es ist ihnen eine Kleinigkeit, einen Kirchturm aus der Erde zu reißen und ihn dem nächsten besten um den Kopf zu hauen.«
»Wer befiehlt ihnen denn?«
»Nun, der Zauberer, der die Lampe oder den Ring reibt, und sie müssen tun, was er sagt. Wenn er ihnen sagt, sie sollen einen Palast bauen, vierzig Meilen lang und ganz aus Diamanten und ihn mit Brustzucker oder Hustenleder oder irgend etwas füllen und dann die Tochter vom Kaiser von China holen zum Heiraten und – Gott weiß was noch – sie müssen alles tun. Und wenn man den Palast woanders hingestellt haben will, müssen sie ihn rings im Lande herumschleppen, bis er an der rechten Stelle ist und ...«
»Aber«, sag' ich, »warum sind sie denn solche Esel und behalten den Palast nicht für sich selber, anstatt damit herum zukutschieren für andre. Wegen mir könnte, wer wollte, eine alte Blechlampe oder einen eisernen Ring reiben, bis er schwarz würde, mir fiel's gar nicht ein, deswegen zu ihm zu laufen und mir befehlen zu lassen.«
»Wie du jetzt wieder redest, Huck Finn, du müßtest eben kommen, wenn du ein Geist wärst und einer riebe den Ring, ob du wolltest oder nicht.«
»Was? Und dabei war' ich so groß wie ein Baum und so dick wie ein Turm? Gut, ich käme, aber der riefe mich nicht zum zweitenmal, das kannst du mir glauben.«
»Pah, mit dir ist nicht zu reden, Huck Finn, du weißt und verstehst nicht» – du bist der vollkommenste Hohlkopf!«
Zwei oder drei Tage lang überlegte ich mir nun die Sache, und dann beschloß ich zu probieren, ob wirklich etwas dran sei. Ich verschaffte mir eine alte Blechlampe und einen eisernen Ring, ging hinaus in den Wald und rieb und rieb bis ich schwitzte wie ein Dampfkessel – ich hätte so gerne einen Palast zum Verkaufen gehabt. Aber es war alles umsonst, es kam kein Donner und kein Blitz und kein Dampf und kein Rauch und am allerwenigsten ein Geist. Da begriff ich denn, daß all' der Unsinn wieder einmal eine von Toms Lügen gewesen war. Er glaubt vielleicht an die Ah-raber und die Elefanten, ich aber denke anders – es schmeckte alles zu sehr nach der Sonntagsschule.