Mark Twain
Im Gold- und Silberland
Mark Twain

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Fünftes Kapitel.

Belehrendes.

Ich erlaube mir, den geneigten Leser im voraus zu benachrichtigen, daß ich in diesem Kapitel einige statistische Bemerkungen zu machen gedenke, damit er es überschlagen kann, wenn er will.

Im Jahre 1863, zur Zeit unseres höchsten Glanzes, glich Virginia einem wahren Bienenstock, so schwärmte es darin von Menschen und Wagen, doch ließ sich das von ferne schwer erkennen, da die Stadt im Sommer meist in eine dichte Wolke Alkalistaub eingehüllt war. Fuhr man zehn Meilen weit in diesem Staub dahin, so wurden Pferde und Menschen mit einer eintönig blaßgelben Kruste überzogen und im Wagen lag der Staub mindestens drei Zoll hoch, da ihn die Räder aufwühlten und hineinwarfen. Dabei ist dieser Alkalistaub so fein, daß er sogar in das luftdicht verschlossene Glasgehäuse eindringt, in welchem der Wardein seine äußerst empfindlichen Probierwagen aufbewahrt, deren Genauigkeit dadurch beeinträchtigt wird.

Es war damals die Zeit der gewagtesten Spekulationen, doch wurden auch solide Geschäfte in Menge abgeschlossen und es herrschte der großartigste Handelsverkehr. Von Kalifornien aus schaffte man alle Frachtgüter in ungeheuren Wagen über das Gebirge, denen oft eine so lange Reihe von Maultieren zum Vorspann diente, daß es ganz den Anschein hatte, als reiche der große Wagenzug, wie eine endlose Prozession, von Virginia nach Kalifornien hinüber. An dem aufgewirbelten Staub, der sich gleich einer ungeheuren Schlange durch die Wüstengegend wälzte, ließ sich die Richtung der Handelsstraße in dem Territorium leicht erkennen.

Die Lasten wurden die ganze Strecke von hundertfünfzig Meilen auf Transportwagen für den Preis von 100 bis 200 Dollars das Tonnengewicht (2000 Pfd.) nach dem Ort ihrer Bestimmung befördert. Eine einzige Firma in Virginia erhielt monatlich 100 Tonnen Fracht und bezahlte dafür 10,000 Dollars. Im Winter stiegen die Preise noch bedeutend. Alles Edelmetall wurde in Barren mit der Post nach San Francisco geschafft. Ein solcher Barren war meist doppelt so groß als eine Mulde, wie sie beim Bleiguß benützt wird, und zwischen 1500 und 3000 Dollars wert, je nach der Menge Goldes, die sich im Silber vorfand. Bei größeren Sendungen belief sich der Frachtsatz auf Fünfviertel Dollars für hundert Dollars des wirklichen Metallwerts, bei kleineren auf zwei Dollars. Die Fracht für einen Barren betrug daher im Durchschnitt etwas über 25 Dollars. Es gingen täglich drei Posten hin und her und ich habe oft gesehen, daß die nach Kalifornien bestimmten Postwagen eine Drittel Tonne in Silberbarren mitnahmen; manchmal teilten die drei Wagen sogar eine Last von zwei Tonnen unter sich, doch waren das nur Ausnahmefälle. Zwei Tonnen Rohsilber machten etwa 40 Barren aus, deren Fracht über 1000 Dollars kostete. Außerdem wurde mit jeder Postkutsche noch viel gewöhnliche Fracht befördert und zwischen fünfzehn bis zwanzig Passagiere, welche ein Personengeld von 25 und 30 Dollars bezahlten.

Die Firma Wells, Fargo und Co., in deren Händen der Postverkehr mit Virginia City lag, hatte demnach einen sehr bedeutenden und einträglichen Geschäftsbetrieb. In anderthalb Jahren wurden, wie mir der langjährige Agent der Firma, Valentin, mitteilte, Silberbarren im Wert von 5,330,000 Dollars befördert.

Von Virginia und Goldhill aus erstreckt sich in einer Länge von mehreren Meilen die große Comstock-Mine, eine Metallader von fünfzig bis achtzig Fuß Dicke, welche in Felswände eingeschlossen ist. Die Ader ist so breit wie manche Straße von New-York. Will man sich einen Begriff davon machen, was das heißt, so braucht man nur zu bedenken, daß in Pennsylvanien ein acht Fuß breites Kohlenlager schon für bedeutend gilt.

Außer dem Virginia über der Erde, einer geschäftigen Stadt mit vielen Straßen und Häusern, gab es demnach noch eine andere, unterirdische Stadt, in der eine zahlreiche Bevölkerung aus und ein ging. Hunderte von Menschen sah man sich dort durch die verworrenen Labyrinthe der Tunnels und Stollen drängen und beim Schein der unruhig flackernden Grubenlichter hierhin und dorthin huschen. Über ihren Häuptern erhoben sich die ungeheuren Balkengerüste, welche die Mauern des ausgehöhlten Comstocks auseinander hielten; die einzelnen Stützen hatten Manneslänge und die Grubenzimmerung ging zu so beträchtlicher Höhe hinauf, daß von unten kein menschliches Auge so weit zu dringen vermochte und sich ihr Ende im Dunkel verlor; sie war zwei Meilen lang, sechzig Fuß breit und höher als der höchste Kirchturm in Amerika. Man kann sich kaum eine Vorstellung davon machen, was es gekostet haben muß, diesen Wald von Bauholz in den Tannenforsten jenseits des Washoe-Sees zu fällen, um ihn für unsinnige Frachtsätze bis nach dem Mount Davidson zu schaffen, auf dessen Höhe sich Virginia City erhebt, das Holz dann zuzuhauen, in den Grubenschacht hinabzulassen und dort zurecht zu zimmern. Wenn zwanzig reiche Kapitalisten ihr Gesamtvermögen zusammenthäten, so würde das kaum ausreichen, um die Zimmerung zu bezahlen, welche zu einer einzigen dieser großen Silberminen gehört. Ein spanisches Sprichwort sagt, man brauche eine Goldgrube zum Betrieb einer Silbergrube und das ist nur zu wahr. Wer nichts besitzt als ein Silberbergwerk, weder Mittel hat es auszubeuten noch Gelegenheit zum Verkauf, der ist der ärmste Bettler von der Welt.

Ich habe von dem unterirdischen Virginia als von einer Stadt gesprochen. Um eine Vorstellung davon zu geben, führe ich nur an, daß die Gould- und Curry-Grube, welche nur eine von vielen anderen ist, Stollen und Tunnels in der Länge von fünf Meilen hatte und 500 Arbeiter beschäftigte. Alles in allem aber betrug die Länge der Straßen jener unterirdischen Stadt einige dreißig Meilen und ihre Bevölkerung 5–6000 Arbeiter. Manche derselben sind in einer Tiefe von 12–1600 Fuß unter den Häusern von Virginia und Goldhill im Innern der Erde beschäftigt und man bedient sich des elektrischen Stroms, um die Signalglocken anzuschlagen, durch welche der Grubendirektor ihnen Anweisung bei der Arbeit erteilt. Stürzt einmal ein Bergmann in einen 1000 Fuß tiefen Schacht hinab, wie das dort zuweilen vorkommt, so begnügt man sich bei solchem Fall gewöhnlich damit, die Leichenschau zu halten.


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