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1. Kapitel

Der kleine Ort Reifenstein war rings von prächtigen Wäldern umgeben. Das mochte auch der Grund sein, daß sich in den Sommermonaten eine Menge Fremde hier einfanden, die in dem würzigen Waldklima Stärkung ihrer Nerven und Erholung suchten. So herrschte in Reifenstein während der Sommermonate stets ein lebhaftes Treiben, und in den ausgedehnten Waldungen sah man hell gekleidete Damen aller Provinzen spazierengehen.

Unweit der Stadt, etwa zehn Minuten von dem letzten villenartigen Gebäude entfernt, lag die Oberförsterei Tannhausen. Ihr unterstanden verschiedene Forstbezirke, über die jedesmal ein Förster zu wachen hatte. Die kleinen Forsthäuser, die in dem großen Forst verstreut lagen, bildeten Ausflugspunkte für die Sommergäste; denn die freundlichen Förstersleute gaben ihren Gästen gern ein Glas gute Milch, ein prächtiges Stück selbstgebackenes Brot, das dick mit frisch zubereiteter Butter gestrichen war.

Die Oberförsterei, ein recht hübsches weißes Gebäude mit blitzenden Fensterscheiben, lag in einem großen Garten, der eine sorgsame Pflege verriet. Die Bewohner von Reifenstein wußten, daß die Oberförsterin nicht allein eine gute Hausfrau, sondern auch eine vorzügliche Gärtnerin war, die es verstand, ihr Hauswesen und all ihren Besitz in bester Ordnung zu halten. Auch der Oberförster Uhde galt als ein tüchtiger, gerechter und liebenswürdiger Herr, der von seinen Beamten und von seinen Freunden und Bekannten sehr geschätzt wurde. Manch neidischer Blick der vorübergehenden Sommergäste flog in den prachtvollen Garten mit den vielen Obstbäumen, von denen die roten Kirschen, die prächtigen Birnen, die Pfirsiche und Pflaumen lachten. Es war nicht selten, daß dieser oder jener stehenblieb und der fröhlichen Schar zuschaute, die sich auf dem weiten Rasenplatze tummelte. Alle die, die die Familie des Oberförsters nicht so genau kannten, wollten es kaum glauben, daß jenes junge Mädchen mit den flatternden Zöpfen die siebzehnjährige Tochter Stefani war; denn bubenhaft sprang die jugendliche Erscheinung neben dem großen Jagdhunde über die Einfassung der Beete, um im nächsten Augenblick auf einen der Bäume zu klettern und sich dort an den Früchten gütlich zu tun.

Die Oberförsterin hatte schon manchmal ihrer Siebzehnjährigen ernstlich ins Gewissen geredet. Sie sei doch jetzt kein Kind mehr, man würde sie demnächst in die Gesellschaft einführen. Da müßten vor allen Dingen die Hängezöpfe hübsch ordentlich um den Kopf gesteckt werden. Aber Stefani lachte nur, schlang ihre Arme um den Hals des Vaters und bettelte:

»Nicht wahr, Väterchen, ich bin noch immer deine kleine Steffy und noch lange keine Dame?«

Dann lachte Uhde und wehrte seiner Frau ab; denn das Kind war ihm in seiner übersprudelnden Lebenslust gerade so recht. Ein Wunder war es ja nicht, daß Steffy mehr einem Jungen als einem Mädchen glich. Sie war das einzige Mädchen von fünf Kindern, war mitten in der Brüderschar aufgewachsen. Zuerst hatte sie mit den beiden Älteren, mit Werner und Leopold, herumgetollt.

Später, als sich die beiden Brüder schon zu groß dünkten, um mit dem kleinen Mädchen zu spielen, da hatte sich Steffy einfach den beiden jüngeren Brüdern Karl und Robert zugewandt, und für die gab es kein größeres Vergnügen, als ihre ältere Schwester zu immer neuen Kraftproben und Streichen anzufeuern. Die Siebzehnjährige war im Klettern dem fünfzehnjährigen Karl entschieden über. Auch mit dem dreizehnjährigen Robert nahm sie es auf, und wenn von diesem die Aufforderung erging: »Wollen mal sehen, wer zuerst am höchsten in diesem Eichbaum sitzt,« dann gab es ein Wettklettern, und schließlich kamen Steffy und Robert zu gleicher Zeit beinahe in der Krone des Baumes an.

Nicht minder tüchtig war sie im Rudern und Schwimmen. Die Hinterfront des Gartens der Oberförsterei stieß an einen ziemlich großen See. Der Oberförster besaß ein eigenes Boot, und in diesem fuhr Stefanie mit den Geschwistern fast täglich. Das Ziel dieser Ruderfahrten bildete gewöhnlich das kleine Jagdschloß, das am gegenüberliegenden Ufer des Sees lag. Es hatte lange Zeit den Baronen von Brenken gehört, jetzt war eine alte siebzigjährige Dame die alleinige Besitzerin, die aber fern bei Verwandten lebte und daher das Jagdschloß dem Oberförster Uhde übergeben hatte, damit er hin und wieder dort einmal nach dem Rechten sähe. Seit mehr als fünfzehn Jahren stand das Schlößchen unbewohnt, und der Zahn der Zeit nagt an den bereits morschen Mauern. Für die Kinder des Oberförsters hatte das kleine Jagdschloß etwas recht Anziehendes. Sie kannten kein größeres Vergnügen, als mit dem Vater oder der Mutter in die wenigen Zimmer zu gehen, sie dichteten jedem altertümlichen Möbelstück eine schaurige Geschichte an, und als Steffy gar erfuhr, daß man im Ort von dem Jagdschloß erzählte, ein Geist gehe dort um, da nahm ihr Interesse von Tag zu Tag mehr zu. Furcht kannte sie nicht, an Geister glaubte sie auch nicht. Sie hatte sich in der Stadt jene Spukgeschichte ausführlich erzählen lassen. In dem Schloß hauste eine weiße Frau, aber von Zeit zu Zeit ging dort auch noch ein anderes Ungeheuer um, das hatte einen riesenhaften Kopf, feurige Augen und spie Flammen. Steffy lachte, wenn die Bewohner von Reifenstein am Abend einen großen Bogen um das Jagdschlößchen machten. Karl war sogar so weit gegangen, einmal eine Frau aus dem Ort, die sich aus dem Walde Holz geholt hatte, zu erschrecken. Er hatte sich ein Bettlaken umgenommen und sich in der Dämmerung in die Tür des Jagdschlößchens gestellt. So verharrte er regungslos, bis die Frau vorüberkam, scheu glitt ihr Blick zum Schlößchen hinüber. Da schrie sie laut auf, sie hatte die weiße Gestalt erblickt. Als nun Karl sogar noch brummende Laute ausstieß, da ließ die Bäuerin ihr Holz im Stich und rannte so schnell, wie sie ihre Füße nur trugen, davon. Natürlich verbreitete sich in ganz Reifenstein die Nachricht sehr rasch, daß im Jagdschloß tatsächlich die weiße Frau hause, und scheuer denn je nahmen die Einwohner von Reifenstein ihren Weg dort vorbei.

Für Steffy und Bruder Robert war diese Maskerade Karls natürlich eine helle Freude. Sie lachten noch tagelang über den Streich, schwiegen aber gegen die Eltern, weil sie genau wußten, daß die Mutter mit den übermütigen Streichen ihrer Kinder nicht immer einverstanden war. Jedesmal, wenn die drei Geschwister zum Jagdschlößchen ruderten, gab es aufs neue Gelächter, in Erinnerung an jene Begebenheit.

In diesem Sommer herrschte besonders reges Leben in der Oberförsterei. Alle fünf Geschwister hatten sich eingefunden. Der jetzt dreiundzwanzigjährige Werner, der Älteste, verlebte die Universitätsferien im Elternhause. Er hatte sich dem medizinischen Studium zugewandt und brachte eine Menge Bücher und Instrumente mit, die die Aufmerksamkeit der jüngeren Geschwister erregten. Besonders ein Totenschädel interessierte die Schwester. Sie besah sich das Stück von allen Seiten und begann bald darauf Fangball damit zu spielen. Da kam sie aber bei Werner schlecht an. Er verwies der Übermütigen das Spiel und nahm ihr den Totenschädel einfach weg. Werner war überhaupt ein ernster und strebsamer junger Mann, der schon immer den Eltern durch seine guten Zensuren Freude gemacht hatte.

Nicht ganz so tüchtig war Leopold. Auch er war heimgekommen. Er hatte sich des Vaters Laufbahn erwählt und besuchte augenblicklich in Süddeutschland eine Forstakademie. Bruder Leopold war immer heiter und guter Dinge, immer lustig und vergnügt, er erklärte sich gern damit einverstanden, wenn Steffy ihn zu irgendeinem tollen Streiche aufforderte. So tobte und lärmte es jetzt in der Oberförsterei durcheinander, man genoß die schönen Sommerwochen in vollen Zügen.

Obwohl Oberförsters Steffy in ganz Reifenstein wegen ihrer übermütigen und tollen Streiche bekannt war, vermochte doch niemand dem jungen Mädchen zu zürnen. Ging sie in ihrem Übermut mitunter zu weit, dann versuchte es Steffy nach Möglichkeit wieder gutzumachen, und ihre aufrichtige Reue versöhnte alle Grollenden bald wieder. So passierte es auch, daß die Eltern nur ganz selten von den wilden Streichen ihrer Tochter erfuhren. Trotzdem hatte die Oberförsterin doch viele Sorgen um Steffy. Die Tochter erschien ihr gar zu wild und unbändig, und sehnsüchtig wünschte sie, daß Steffy irgendeine gesittete gleichaltrige Freundin finden möge, von der sie allerhand Gutes lernen könne. Aber Steffy selbst machte all diese Pläne zuschanden. Es gab in Reifenstein eine ganze Menge gleichaltriger junger Mädchen, die auch gesellschaftlich zu Steffy paßten, aber schon nach wenigen Stunden des Beisammenseins erklärte die Oberförstertochter, daß ihr die Eva Mende nicht passe, weil sie viel zu langweilig sei, die Grete Bauer war ihr zu geziert, und Ina von Kröcher bildete sich bereits ein, mit siebzehn Jahren eine Dame zu sein. Keines der jungen Mädchen hatte Interesse an Baumbesteigungen, Wettlauf, Steinwerfen und anderen Dingen. Kurzum, Steffy wehrte sich ganz energisch, öfters mit den jungen Mädchen des Ortes zusammenzukommen.

Vergeblich hatte die Mutter versucht, ihre Tochter umzustimmen. Sie lud die jungen Mädchen auf die Oberförsterei ein, aber Steffy war eine so unliebenswürdige Gesellschafterin, daß alle diese Besuche nicht lange dauerten. An ihrem Vater fand das junge Mädchen einen starken Rückhalt. Er wollte sein Mädel noch recht lange als das fröhliche Kind sehen.

Da kam das Schicksal der Oberförsterin zu Hilfe. Der Briefbote trug ein Schreiben ihrer Schwester, der Frau Professor Klattermann, ins Haus, die bei Uhdes anfragte, ob es wohl angenehm sei, wenn sie mit ihrer achtzehnjährigen Tochter Angela auf einige Wochen als Gast in die Oberförsterei käme. Angela, die in letzter Zeit sich sehr angestrengt habe, da sie sich für das Mädchengymnasium vorbereite, sei doch recht schwächlich und mache den Eltern viele Sorge. Der Arzt habe große Blutarmut festgestellt und verlangt, Angela müsse einige Wochen alle Arbeit ruhen lassen und sich in waldreicher Gegend kräftigen.

Die Oberförsterin eilte sogleich mit dem Briefe zu ihrem Gatten und sprach eingehend mit ihm darüber. Zwischen den beiden Schwestern hatte stets ein herzliches Verhältnis geherrscht. Ebenso war der Oberförster seinem Schwager, dem Professor Ferdinand Klattermann, recht zugetan, er kannte den Gelehrten, der in Berlin seine Vorlesungen hielt, als ein Licht der Wissenschaft. Auch Angela war vor zwei Jahren bereits einmal in Tannhausen gewesen. Zwar hatte das stille, ruhige Mädchen nicht ganz Steffys Beifall gefunden, Bruder Karl aber behauptete, aus der kleinen Großstädterin sei »noch etwas zu machen«. Sie sei nur verschüchtert, und er werde ihr schon helfen. Da auch Angela mitunter über die Streiche der drei Geschwister herzlich lachte, so ließ auch Steffy diese Base gelten.

Uhde erklärte sich sofort bereit, die Schwägerin und seine Nichte aufzunehmen.

»Dem armen Ding wird unsere Waldluft gut bekommen. Es ist ja eigentlich eine verdrehte Idee von Angela, studieren zu wollen. Sie hätte besser getan, nach Absolvierung des Lyzeums daheimzubleiben. Aber meinetwegen, das kümmert mich nicht. Jetzt soll sie sich mal erst hier in unserem schönen Walde gründlich erholen.«

Beglückt schrieb Frau Uhde noch am gleichen Tage nach Berlin und forderte die Schwester auf, sie möge umgehend mit Angela nach Tannhausen kommen. In der Oberförsterei sei Platz für viel Besuch. Man hoffe, Angela recht lange hierbehalten zu können, damit sie sich gründlich kräftige. Die Oberförsterin konnte es kaum erwarten, daß der Besuch endlich käme. Nun bekam ihr Wildfang doch eine Gefährtin, die im günstigen Sinne Steffy beeinflussen würde. Hoffentlich blieb Angela Klattermann recht lange in Tannhausen und Steffy lernte von ihr das Beste.

Nachdem der Brief geschrieben war, teilte sie ihren Kindern den zu erwartenden Besuch mit. Steffy rümpfte ein wenig die Nase.

»Na, weißt du, Muttchen, wenn die Angela aber so eine Berliner Zierpuppe geworden ist, dann soll sie mir gestohlen bleiben.«

Bruder Karl aber fügte mit Ueberzeugung hinzu: »Wir werden sie schon kurieren. Ich verstehe mich schon auf derartige Großstadtdamen. Wir werden sie schon zurecht schnitzen.«

In der ganzen Familie sah man schließlich mit Ungeduld dem Besuch entgegen. Frau Klattermann hatte auf den Brief der Oberförsterin hin mitgeteilt, daß man schon Anfang der nächsten Woche in Tannhausen eintreffen werde, und zwei Tage später gab ein Telegramm Kunde, daß man am Dienstag, gegen Mittag, dort ankäme.

Die Fremdenzimmer wurden hergerichtet, es waren hübsche helle Räume, Frau Uhde bereitete mit großer Sorgfalt alles vor, damit sich ihre Gäste recht wohl in ihrem Hause fühlen sollten. Besonders für Angela hatte man einen lauschigen Raum zurechtgemacht. Das nach dem See hinaus gelegene Zimmer hatte einen kleinen Balkon, der Blick ging über das Wasser hinweg, hinüber zum Jagdschloß und zu den grünbewaldeten Höhen. Im Zimmer selbst hatten freundliche helle Möbel Aufstellung gefunden, und jetzt, als man noch zahlreiche frische Blumensträuße auf Schreibtisch, Schrank, Eckbrett und Tisch stellte, glich der Raum einem kleinen Paradiese.

»Es fehlt noch etwas,« tuschelte Steffy ihrem Bruder Karl zu. »Die Tante hat doch geschrieben, daß Angela Medizin studieren will. Wir müssen uns von Werner den Totenkopf holen und müssen ihn Angela auf den Schreibtisch stellen. Immer individuell muß man die Menschen behandeln. Meinst du nicht auch, Karlemann?«

Der Bruder war natürlich damit einverstanden, und so begaben sich beide auf heimlichen Schleichwegen nach dem Zimmer Werners, um dort Umschau nach dem Totenkopfe zu halten. Sie fanden ihn auch, und nun wurde er in Angelas Zimmer gebracht.

»Er sieht noch nicht festlich genug aus,« meinte Steffy und war im Augenblick verschwunden. Nach kaum einer Minute kehrte sie wieder und hielt einige frische Blumen in der Hand.

»So, die roten Nelken stecken wir ihm in den Schnabel, und hier die Kornblumen kommen in die Augenhöhlen. Na, ist das Ding nicht fein? Ordentlich freundlich sieht er aus.«

»Noch nicht schön genug,« meinte Bruder Karl. »Einen Hut muß er haben.«

Sie überlegten nur ein Weilchen, dann hatten sie die Frage gelöst. Oben auf dem Boden befand sich ein alter Zylinderhut, der wurde heruntergeholt, aber da er viel zu groß war, stopfte man ihn erst tüchtig mit Heu aus.

»Salonmäßig ist er immer noch nicht,« tadelte Steffy. »Er hat noch keinen Kragen und keine Krawatte.«

Sofort machte sich Karl daran, aus weißem Papier einen Kragen zu schneiden. Steffy gab ihre blaue Haarschleife, und nun war man mit dem Werk zufrieden. Das junge Mädchen knickste höflich.

»Begrüßen Sie meine Kusine recht artig, Herr Knochenmann, das rate ich Ihnen.«

Die beiden amüsierten sich königlich, dann verließen sie unter Gekicher das Zimmer. Bruder Robert wurde natürlich noch in das Geheimnis eingeweiht, der ebenfalls seinen Spaß an dem Totenkopfe hatte.

So kam die Stunde der Ankunft heran. Der Oberförster und seine Gattin waren zur Bahn gefahren, um den Besuch abzuholen. Man hatte auch Steffy aufgefordert, mitzukommen, aber jene wollte nicht.

»Wir empfangen sie hier an der Gartentür, das ist viel stimmungsvoller,« entgegnete das junge Mädchen und war davongesprungen. So erwarteten jetzt die Eltern den Zug, der sich fauchend näherte.

Man hieß Frau Klattermann und Angela auf das herzlichste willkommen.

»Du hast es allerdings nötig, Waldluft zu atmen,« meinte der Oberförster gutmütig, indem er Angela über die blassen Wangen strich. »Paß auf, Mädel, in einem Monat schon siehst du ganz anders aus.«

Während man dann der Oberförsterei zufuhr, betrachteten Frau Klattermann und Angela die hübsche Landschaft mit hellem Entzücken. Es war auch ein selten schöner Augusttag. Hell und warm strahlte die Sonne vom Himmel, so daß die roten Dächer der Häuser nur so leuchteten. Dann endlich verließ man das Städtchen, und schon zeigten sich rechts und links die prächtigen alten Bäume, die stämmigen Eichen, die schlanken Edeltannen, die Buchen mit ihren grauen Säulenstämmen. Entzückt schweiften die Augen Angelas über all diese Waldpracht.

»Es ist mir, als sei der Wald in den zwei Jahren, da ich ihn nicht gesehen habe, noch viel, viel schöner geworden. Ach, Onkel Kurt, ich glaube, ich werde bei euch zu vollwangig werden; denn Tante Agnes wird ja auch dafür sorgen, daß nicht nur das Auge, sondern auch der Magen etwas Schönes bekommt.«

»Aber Angela,« tadelte Frau Professor Klattermann, »wie darfst du denn so etwas sagen!«

Die Oberförsterin lachte belustigt. »Ich werde dich nicht enttäuschen, Angela. Du wirst mit meiner Kochkunst schon zufrieden sein.«

Und nun schimmerte bereits die Oberförsterei durch das Grün der Bäume. Uhde streckte die Hand aus. »Gleich sind wir da.«

Noch eine Minute, und der Wagen hielt vor dem eisernen Gartenzaune. Suchend schaute sich die Oberförsterin um. Außer ihren beiden ältesten Söhnen war niemand zu sehen. Wo blieb denn Steffy? Warum kam sie nicht, die Tante und Kusine zu begrüßen?

Werner und Leopold halfen den Neuangekommenen aus dem Wagen, die Magd trug mit dem Knecht die beiden Koffer ins Haus, und nun schritt man durch die Pappelallee zur Oberförsterei. Vor dem weißen Bau stand rechts und links je eine mächtige Kastanie. In dem Augenblick, da Frau Professor Klattermann mit Angela sich unter den Bäumen befand, wurden von oben her mehrere Hände voll Wald- und Wiesenblumen heruntergeworfen. Lachend blickten alle auf. Oben in den Zweigen saß der dreizehnjährige Robert und streute die Blumen als Willkommensgruß herab.

»Das nenne ich einen herzlichen Empfang,« lachte die Professorin und rief Robert einige herzliche Willkommensworte hinauf. –

Auch in der Oberförsterei war weder von Stefanie noch von Karl etwas zu sehen. Das berührte Frau Uhde sehr unangenehm, all ihr Rufen war vergeblich, die beiden Kinder ließen sich nicht sehen, nicht hören. So blieb denn nichts weiter übrig, als die Neuangekommenen die Treppe hinauf, in ihre Logierzimmer zu führen. Angela umfaßte mit freudig aufleuchtenden Blicken das sich ihr bietende Bild, als sie in ihr Zimmer eintrat. Wie schön war es hier, wie traulich! Und dann der herrliche Blick hinüber über das Wasser zu dem ausgedehnten Wald. Der Oberförster, der die Führung übernommen hatte, da sich die Oberförsterin mit ihrer Schwester beschäftigte, küßte Angela auf die Stirn.

»Möge es dir hier bei uns recht gut gefallen, mein liebes Nichtchen, mögest du hier neue Kräfte sammeln zu deiner Arbeit.«

»Oh, Onkel,« entgegnete Angela, »wie sollte es mir hier nicht gefallen? Welch herrlichen Blick, welch reizendes Stübchen! Ich freue mich herzlich auf die kommenden Wochen.«

Als sie sich wieder vom Fenster wandte, um im Zimmer Umschau zu halten, fiel ihr Blick auf den Totenkopf. Verwundert, ohne zu wissen, was das sei, trat sie näher; und nun brach ein so heiteres Lachen von ihren Lippen, daß sie sich förmlich schüttelte. Angelockt von diesem Freudenausbruch trat auch der Oberförster heran, und auch er mußte über die Ausstattung des Schädels herzlich lachen.

»Da hast du meine Steffy, das ist natürlich ihr Werk. Solche Dummheiten heckt deine liebe Kusine fast jeden Tag aus.«

Behutsam wurde der Totenkopf nebenan in das Zimmer der Mutter getragen, die sich ebenfalls darüber belustigte.

»Ja, ja,« seufzte Frau Uhde, »das hat natürlich meine Steffy getan. Wenn ich nur wüßte, wo das Mädel bleibt.«

Angela kehrte in ihr Zimmer zurück und trat hinaus auf den kleinen Balkon, von dem aus sie einen freien Blick über den See hatte. Erstaunt schaute sie auf das Wasser. Da schwamm in der Mitte des Sees ein großes Waschfaß, in dem ein junges Mädchen und ein größerer Knabe hockten. Das Faß drehte sich ständig um sich selbst herum, die Insassen besaßen kein Ruder und mußten sich ziellos treiben lassen. Angela schüttelte den Kopf. Wie kam das Faß auf den See und was für unvorsichtige Menschen hatten sich dort hineingesetzt? Sie wollte sogleich den Onkel darauf aufmerksam machen, um vielleicht ein Unglück zu verhüten.

Uhde befand sich noch im Nebenzimmer bei seiner Schwägerin. Angela bat ihn, auf den Balkon zu kommen, und dann wies sie auf das Faß.

»Siehst du die beiden Menschenkinder dort draußen in dem Faß?«

»Potz Wetter!« entfuhr es dem Oberförster. »Das sind ja Steffy und Karl!«

»Sie werden verunglücken, Onkel, man muß ihnen doch sogleich zu Hilfe kommen.«

Uhde rief nach seinem Sohne Leopold und hieß ihn, er möge mit dem Kahn zu den beiden rudern und jedes ans Ufer holen. Er ahnte schon den Zusammenhang. Seine beiden übermütigen Kinder hatten das große Faß, das noch von der letzten Wäsche her am Ufer gestanden hatte, gesehen, waren hineingestiegen, und dann hatte eine leichte Strömung das Faß vom Ufer abgetrieben. Da die beiden kein Ruder besaßen, war es ihnen unmöglich geworden, wieder ans Land zu kommen.

In angstvollem Bangen verfolgte Angela das Weitere. Leopold hatte mit wenigen Ruderschlägen das Faß erreicht, hielt Steffy die Kette des Kahnes, die an dem Faß befestigt wurde, hin, und so schleppte er Faß und Insassen ans Land zurück.

Nun waren die Vermißten gefunden und kamen im nächsten Augenblick lärmend die Treppe hinaufgestürmt, um die Verwandten zu begrüßen.

Die Mutter empfing Steffy mit einem strafenden Blick, aber die Tochter schüttelte lachend den Kopf.

»Du mußt uns nicht böse sein, Muttchen. Wir wollten für Angela ein paar schöne Wasserrosen holen, und da gerade das Faß dastand, sind wir dort eingestiegen. Wir konnten ja nicht wissen, daß wir vom Ufer so weit abgetrieben werden würden. Nun aber sind wir ja wieder gesund hier, und nun will ich der Tante und Base Angela erst einmal recht herzlich guten Tag sagen.«

In ihren wilden, ungestümen Art warf sie sich der Tante um den Hals und küßte sie herzhaft ab. Dann kam Angela an die Reihe. Hier war die Musterung schon kritischer. Aber da Angela sie freundlich anlachte und sofort damit begann, daß man gut Freund sein wollte, nickte Steffy wohlgefällig und meinte:

»Na, ich denke, wir beide werden uns schon vertragen.«

Dann ließ man die Gäste allein, die in einer halben Stunde zum Essen unten im gemeinsamen Eßzimmer erwartet wurden. Angela brachte dazu den geschmückten Totenkopf mit.

»Er ist gar so schön,« lachte sie. »Er muß auch beim Essen neben mir stehen.«

Als Werner den Totenkopf erblickte, zog sich seine Stirn finster zusammen: »Was gehen dich denn meine Sachen an, Steffy? Habe ich dir nicht verboten, den Totenkopf anzurühren?«

Steffy verzog den Mund schmollend. »Deinem dummen Totenkopf tut es nicht mehr weh, wenn ich ihm Blumen in die Augenhöhlen stopfe. Mit dir würde ich das ja nicht versuchen.«

Da mußte selbst der ernste Werner lachen, und der Frieden war wieder hergestellt. Aber als er dann nach dem Essen bei der Zigarre saß und einen Augenblick aufstand, um der Mutter etwas herbeizuholen und die Zigarre auf den Aschenbecher legte, da juckte es Steffy schon wieder in den Fingern. Nur Bruder Karl bemerkte es, daß sie mit blitzartiger Geschwindigkeit das feuchte Ende der Zigarre in den Pfeffernapf tauchte und dann die Zigarre wieder an ihren alten Platz legte.

Gespannt hingen die Augen der beiden Geschwister an Bruder Werner, als dieser wieder seinen Platz einnahm und nach seiner Zigarre griff. Hu, wie schnell hatte er die Zigarre wieder aus dem Munde! Ganz rot war er im Gesicht geworden. Steffys Augen aber blitzten lustig. Er sah sie mit einem strafenden Blick an.

»Du solltest dich nicht schon am ersten Tage von deiner besten Seite zeigen,« grollte Werner. »Es ist wirklich an der Zeit, daß du mit deinen siebzehn Jahren endlich diese Kindereien läßt.«

Obgleich er nur leise gesprochen hatte, waren die verweisenden Worte doch gehört worden, und die Mutter fragte, was es schon wieder gäbe. Aber Werner wehrte ab, und Steffy fühlte sich dadurch entwaffnet.

»Ein anständiger Bruder bist du doch,« meinte sie, »ich werde es auch nicht wieder machen.«

So verging der Tag der Ankunft heiter und gemütlich, und als sich die Gäste des Abends zur Ruhe begaben, äußerte sich Steffy: »Ich denke, wir werden noch manchen tollen Streich zusammen ausführen können. Du mußt nur recht lange bei uns bleiben, Angela.«


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